RG, 01.10.1884 - I 233/84

Daten
Fall: 
Kompensation der Gegenforderungen
Fundstellen: 
RGZ 12, 254
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
01.10.1884
Aktenzeichen: 
I 233/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Landsberg
  • OLG Berlin

1. Sind die Bestimmungen des A.L.R. J. 16. §§. 359 - 362 durch die §§. 136. 274 C.P.O. beseitigt und ersetzt?
2. Inwiefern kann nach dem Allgem. Landrechte mit Gegenforderungen kompensiert werden, welche zur Zeit der Klagerhebung bereits verjährt sind?

Gründe

Zu 1.

"Wenn die §§. 359 bis 362 A.L.R. I. 16 Normen des materiellen Rechtes enthielten, würden diese gesetzlichen Bestimmungen durch den Inhalt der Reichscivilprozeßordnung nicht ihre Geltung verloren haben. Jene Stellen des preußischen Gesetzbuches enthalten aber keine Normen des materiellen Rechtes, regeln vielmehr nur die prozessuale Behandlung von Kompensationsbehelfen, wie solches namentlich aus dem Inhalte des §. 861 a.a.O. hervorgeht. Deswegen sind die §§. 359 bis 362 A.L.R. I. 16 durch die §§. 136 und 274 der Reichscivilprozeßordnung beseitigt, und an ihre Stelle prozessuale Normen gesetzt, welche dem richterlichen Ermessen einen möglichst freien Spielraum gewähren.1"

Zu 2.

"Der Beklagte hat auszuführen versucht, daß der §. 377 A.L.R. I. 16 (in Verknüpfung mit dem §. 301 desselben Gesetzestitels) zu folgender Rechtsnorm führe:

"Wenn eine Forderung zu einer Zeit eingeklagt wird, wo eine Gegenforderung des Beklagten bereits verjährt wäre, so kann der Beklagte die Einrede des Getilgtseins der Klageforderung durch Kompensation der Gegenforderung doch mit Erfolg erheben, wenn nur die Entstehung der Klageforderung in eine Zeit trifft, wo die Verjährungszeit der Gegenforderung noch nicht abgelaufen war."

Das Bestehen vorstehenden Grundsatzes scheint auch von Förster in der dritten Auflage seiner Theorie und Praxis des preußischen Privatrechtes Tl. 1 §. 94 S. 599 und in der vierten Auflage desselben Werkes durch Eccius N. 1 §. 94 S. 687. 6. 88 behauptet, und als eine Konsequenz des Prinzipes der Rückziehung der vom Gericht zugelassenen Kompensation auf die Zeit des Anfanges der Koexistenz beider Forderungen verteidigt zu werden.

Die bestimmte Fassung des §. 377 Pr. A.L.R. I. 16:

"daß zur Zeit der eingeklagten Forderung die Gegenforderung schon verjährt ist, hindert die Kompensation nicht, wenn nur zu der Zeit, da die erstere zahlbar war, die Verjährung der letzteren noch nicht vollendet gewesen ist,"

läßt es aber nicht zu, den beklagterseits verteidigten Rechtsgrundsatz als eine Norm des Allgemeinen Landrechtes anzuerkennen. Die Gesetzesworte "zur Zeit der eingeklagten Forderung" lassen sich ungezwungen nur verstehen, als bedeutend:

"zur Zeit der Einklagung der Forderung,"
sowie die Worte des Gesetzes "zu der Zeit, da die erstere zahlbar war,"

nur in der Bedeutung

"zu der Zeit, als die später eingeklagte Forderung zahlbar,"

d. h. fällig war.

Nach dem Allgem. Landrecht gilt danach folgende Norm:

"Kompensation tritt nicht ein, wenn zur Zeit der Fälligkeit der Forderung die Gegenforderung bereits verjährt ist. War zur Zeit der Fälligkeit der Forderung die koexistente Gegenforderung noch nicht verjährt, so steht dem Schuldner der Forderung, wenn letztere zu einer Zeit eingeklagt wird, zu welcher der gesetzlich für die Verjährung der Gegenforderung bestimmte Zeitraum bereits abgelaufen ist, das Recht zu, die Gegenforderung auf die Forderung zu kompensieren."

In diesem richtigen Sinne sind die Bestimmungen des Allgem. Landrechtes in der preußischen Doktrin ausgelegt worden

  1. von Förster selbst in seinem Werke "Klage und Einrede nach preußischem Recht" S. 165;
  2. von Dernburg in der Geschichte und Theorie der Kompensation 2. Aufl. S. 472 bis 476;
  3. von demselben in dem Lehrbuch des preuß. Privatrechtes Bd. 2 3. Aufl. §. 105; 4. von Eck in Behrendt's Zeitschrift Bd. 3 S. 377.

Ein die Frage in ihrer Reinheit und Schärfe entscheidendes oberstrichterliches Urteil scheint bis jetzt nicht veröffentlicht zu sein. In der Entscheidung des preuß. Obertribunales, IV. Senates, vom 1. Oktober 1877 (Entsch. des preuß. Obertrib. Bd. 81 S. 39) ist der Dezisivgrund die formale Wirkung des in einem Vorprozesse der Parteien gefällten, in Rechtskraft gediehenen Judikats. In dem Urteil des R.G.'s, I. Civilsenates, vom 10. Dezember 1879 Rep. I. 191/79 (Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 1 Nr. 51 S. 126. 127) ist der §. 377 A.L.R. J. 16 nur (wie solches schon früher von Savigny in seinem System des heutigen römischen Rechtes Bd. 5 §. 251 S. 406 geschehen war) als Anzeige dafür herangezogen, daß nach dem Allgemeinen Landrechte die Wirkung der erlöschenden Verjährung die Aufhebung des verjährten Rechtes sei."

  • 1. Vgl. Förster, Theorie und Praxis des preuß. Privatrechtes, 4. Aufl. von Eccius, Bd. 1 §. 94 S. 686; Dernburg, Lehrbuch des preuß. Privatrechts Bd. 2, 3. Aufl. §. 106 S. 251; Schollmeyer, Die Kompensation §. 4 S. 37. 38; vgl. auch Eck in Behrendt's Zeitschrift Bd. 3 S. 141.