RG, 21.06.1884 - I 186/84
1. Abweisung der Klage wie angebracht wegen unterlassener Angabe des gerichtlich bestimmten Termines in der dem Beklagten zugestellten Abschrift der Klageschrift.
2. Hat der Kläger das Recht, nach §. 300 Nr. 2 C. P. O. Vertagung zu verlangen, auch dann, wenn der Beklagte erschienen ist und Abweisung der Klage beantragt?
Tatbestand
In dem zur Verhandlung über die Klage bestimmten Termine erschien der Beklagte nicht. Gegen das hierauf ergangene und ihm zugestellte Versäumnisurteil erhob er Einspruch, In dem zur Verhandlung über den Einspruch und die Hauptsache bestimmten Termine beantragte Beklagter vor Eintritt in die Verhandlung zur Hauptsache, durch Urteil zu erkennen, daß die Prozeßvoraussetzungen nicht vorhanden seien, da die Angabe des vom Vorsitzenden des Prozeßgerichtes bestimmten Verhandlungstermines in der ihm zugestellten Abschrift der Klageschrift gefehlt habe. Kläger beantragte dagegen, das Versäumnisurteil aufrecht zu erhalten, eventuell die Verurteilung nunmehr auszusprechen, höchst eventuell, unter dem Erbieten zu neuer Ladung, die Verhandlung der Sache zu vertagen. Das Landgericht ordnete Verhandlung zur Sache an, worauf Beklagter die Abweisung der Klage beantragte und zur Sache verhandelte. Das Landgericht erkannte auf endgültige Abweisung der Klage, indem es annahm, daß sowohl der Antrag, die Klage wegen mangelhafter Ladung angebrachtermaßen zuweisen, als auch der Antrag, dieselbe als unbegründet abzuweisen, gerechtfertigt sei. Auf Berufung des Klägers änderte das Oberlandesgericht das erste Urteil, indem es die Klage nur wie angebracht abwies. Die von dem Kläger hiergegen eingelegte Revision wurde zurückgewiesen.
Gründe
1.
"Es steht fest, daß die Abschrift der Klageschrift, welche Kläger dem Beklagten zustellen ließ, wenn auch eine Ladung des Beklagten, doch keine Angabe des von dem Vorsitzenden auf den 27. Oktober 1883 bestimmten Verhandlungstermines enthielt. Eine derartige Zustellung ist keine Erhebung der Klage im Sinne der Civilprozeßordnung. Nach §. 230 erfolgt die Klagerhebung durch Zustellung eines Schriftsatzes, welcher die daselbst Abs. 2 Nr. 1 - 3 bezeichneten notwendigen Bestandteile, insbesondere nach Nr. 3 die Ladung des Beklagten vor das Prozeßgericht zur mündlichen Verhandlung des Rechtsstreites enthält. Es unterliegt keinen: Zweifel, daß hierunter die Ladung zu einem bestimmten, gemäß §. 193 bei dem Prozeßgerichte festgesetzten, dem Beklagten gemäß §. 191 durch Aufnahme in die Klageschrift bekannt zu machenden Termine zu verstehen ist. Die von dem Revisionskläger unter Berufung auf die Ausführung von Reuling in der Juristischen Wochenschrift 1883 S. 57 flg. vertretene Ansicht, daß auch die Zustellung einer Klage ohne Terminsbestimmung genüge, um die Sache rechtshängig zu machen, kann nicht als richtig anerkannt werden. Es liegt schon im Wesen einer Ladung, daß außer der ladenden und geladenen Person auch der Ort, wohin, und die Zeit, auf welche geladen wird, bekannt gegeben werden. Auch die Civilprozeßordnung in ihren Bestimmungen über Ladungen, Termine und Fristen, §§. 191 flg. , kennt nur "die Ladung zu einem Termine". Zur Rechtfertigung der Behauptung, daß dieselbe eine generelle Ladung ohne Terminsbestimmung zulasse, genügt weder die Hinweisung auf den französischen Prozeß, dessen Rollensystem geflissentlich nicht angenommen worden ist (vgl. Motive zum Entwürfe der §§. 184. 186 C. P. O. ), noch die Hervorhebung des Unterschiedes zwischen der Fassung des §. 230 deutsch. C. P. O. "Ladung zur mündlichen Verhandlung des Rechtsstreites" und des §. 184 hannov. C. P. O. "Aufforderung an dem festgesetzten Gerichtstage zu erscheinen". Hieraus ist keineswegs zu schließen, daß die deutsche Civilprozeßordnung das Erfordernis der Terminsbestimmung bei der Ladung aufgegeben hat. Während der zu Hannover ausgearbeitete Entwurf einer deutschen Civilprozeßordnung §. 231 und der Entwurf einer Civilprozeßordnung für den Norddeutschen Bund §. 403 in Verbindung mit §. 209 das Erfordernis der Terminsbestimmung bei der Ladung ausdrücklich hervorhoben, ist solches in dem im preußischen Justizministerium bearbeiteten Entwürfe einer deutschen Civilprozeßordnung von 1871 §. 209, aus welchem diese Bestimmung unverändert in die späteren Entwürfe und als §. 230 in die Civilprozeßordnung übergegangen ist, zwar nicht ausdrücklich geschehen, hierdurch aber nicht etwa eine von den früheren Entwürfen sachlich verschiedene Vorschrift beabsichtigt, sondern nur eine neue Fassung derselben Vorschrift gewählt worden. "Das letzte notwendige Requisit einer jeden Klageschrift", bemerken die Motive zu dem angeführten §. 209 S. 304, "ist die Ladung des Beklagten vor das Prozeßgericht zur mündlichen Verhandlung des Rechtsstreites; die Bedeutung dieser Ladung ergiebt sich aus anderen Vorschriften des Entwurfes, §§. 117 flg." Der hierdurch in Bezug genommene §. 117 entspricht wörtlich dem §. 191 der Civilprozeßordnung, und die Motive zu ersterem S. 298 erläutern die Ladung zu einem Termine als "die an die zu ladende Person gerichtete Aufforderung, in dem Termine zu erscheinen". Die Zustellung einer Klageschrift, welche keine Mitteilung über den angesetzten Verhandlungstermin, also keine Ladung zu einem Termine enthält, ist hiernach keine Erhebung der Klage.
2.
Wenn nach einer derartigen Zustellung in dem angesetzten Termine der Kläger den Klaganspruch mündlich unter Stellung des entsprechenden Antrages erhebt, so vermag dies mündliche Vorbringen an sich im landgerichtlichen Verfahren den Mangel ordnungsmäßiger Klagerhebung nicht zu heilen, wenngleich der Beklagte im Termine erschienen ist und durch das mündliche Vorbringen des Klägers Kenntnis von der beabsichtigten Rechtsverfolgung erlangt hat. Nur im amtsgerichtlichen Verfahren ist die Erhebung der Klage durch mündlichen Vortrag derselben ohne vorgängige Ladung und Terminsbestimmung gestattet (§§. 461. 471). Im landgerichtlichen Verfahren dagegen kann zwar in einem bereits anhängigen Rechtsstreite die Erweiterung der Klage und die Erhebung einer Widerklage ohne Ladung mit Terminsbestimmung stattfinden §§. 240. 251. 253), nicht aber die Erhebung der Klage, durch welche die Rechtshängigkeit der Streitsache begründet wird, indem unter Erhebung der Klage im §. 235 nur eine dem §. 230 entsprechende Klagerhebung zu verstehen ist. Ob auf die mündlich vorgetragene Klage verhandelt und entschieden werden kann, hängt von dem Verhalten des erschienenen Beklagten ab. Tritt derselbe in die Verhandlung über die Klage ein, ohne die mangelhafte Klagezustellung zu rügen, so ist der Mangel derselben nach §. 267 gehoben; eine Abweisung der Klage von Amts wegen wegen Mangels einer Prozeßvoraussetzung ist in diesem Falle unzulässig, wie auch die Motive zu den §§. 238. 239 des Entwurfes der C. P. O. bei Rechtfertigung der Nichtaufnahme des Einwandes der nicht ordnungsmäßigen Ladung unter die prozeßhindernden Einreden unterstellen. Wenn dagegen der erschienene Beklagte die Abweisung der Klage wegen des Mangels ordnungsmäßiger Klage fordert, so kann das Prozeßgericht nicht umhin, diesem Antrage zu entsprechen. Ebenso verhält es sich, wenn der im Verhandlungstermine nicht erschienene Beklagte nach ergangenem Versäumnisurteile und eingelegtem Einspruche in dem zur Verhandlung über den Einspruch und über die Hauptsache bestimmten Termine erscheint und die Abweisung der Klage mangels ordnungsmäßiger Ladung beantragt, da der Rechtsstreit durch den Einspruch nach §. 307 in die Lage zurückversetzt wird, in welcher er sich vor Eintritt der Versäumnis befand. Es war daher auch im gegenwärtigen Rechtsstreite, nachdem der Beklagte Einspruch eingelegt und beantragt hatte, durch Urteil zu erkennen, daß die Prozeßvoraussetzungen nicht vorhanden seien, die Klage abzuweisen, wenn nicht der Mangel ordnungsmäßiger Ladung des Beklagten durch Verzicht desselben auf dessen Geltendmachung oder durch Nachholung der ordnungsmäßigen Klagzustellung vonseiten des Klägers gehoben war.
3.
Ein Verzicht des Beklagten auf den aus der mangelhaften Zustellung der Klage zu entnehmenden Einwand ist nicht anzunehmen. Dadurch, daß er bei Einlegung des Einspruches gemäß §. 305 Nr. 3 die Ladung des Klägers zur mündlichen Verhandlung über die Hauptsache beantragte, begab er sich nicht des Rechtes, die Mangelhaftigkeit der Klagerhebung in dem bestimmten Termine zu rügen, wie von dem Berufungsgerichte mit zutreffenden Gründen ausgeführt worden ist. Darin, daß er in diesem Termine nach erfolgter Rüge jenes Mangels auf die Anordnung des Prozeßgerichtes, zur Hauptsache zu verhandeln, sich zur Sache selbst eingelassen hat, kann ebensowenig ein Verzicht auf die bereits erhobene Rüge gefunden werden. Zwar stand es dem Beklagten frei, ungeachtet der Anordnung des Gerichtes, zur Hauptsache nicht zu verhandeln und ein deshalb gegen ihn ergehendes abermaliges Versäumnisurteil nach §. 474 Abs. 2 C. P. O. mit der Berufung aus dem Grunde anzufechten, weil das Gericht die Verhandlung über die Hauptsache mit Unrecht angeordnet habe. Aber daraus, daß Beklagter diesen Weg nicht einschlug, sondern der Anordnung des Gerichtes, zur Hauptsache zu verhandeln, Folge leistete, kann doch eine Zurücknahme des vorher erhobenen Einwandes nicht ordnungsmäßiger Ladung nicht entnommen werden, wie auch in dem Falle, daß das Prozeßgericht ohne vorgängige Erledigung einer erhobenen prozeßhindernden Einrede auf Grund des §. 248 Abs. 2 a. a. O. die Verhandlung zur Hauptsache anordnet, in dem gemäß dieser Anordnung stattfindenden Verhandeln des Beklagten zur Hauptsache ein Verzicht auf die vorgeschützte prozeßhindernde Einrede nicht zu finden ist, gleichviel ob er bei der Einlassung zur Hauptsache bezüglich dieser Einrede einen Vorbehalt gemacht hat oder nicht. Endlich ist ein Verzicht des Beklagten auf den Einwand nicht ordnungsmäßiger Ladung auch nicht darin zu erblicken, daß er in der Berufungsinstanz den Antrag nicht gestellt hat, die Klage aus diesem Grunde wie angebracht abzuweisen; denn da die Klage in erster Instanz rein abgewiesen worden und von dem Beklagten als Berufungsbeklagtem beantragt war, die Berufung als unbegründet zurückzuweisen, so war in diesem weiter gehenden Antrage auch der eventuelle Antrag mit enthalten, die Klage, wenn die reine Abweisung derselben nicht bestätigt werde, wenigstens angebrachtermaßen abzuweisen. ...
4.
Eine Nachholung der Klagerhebung vonseiten des Klägers durch eine der Civilprozeßordnung entsprechende Zustellung der Klageschrift hat nicht stattgefunden. Es könnte die Frage aufgeworfen werden, ob etwa in der Zustellung des Versäumnisurteiles oder der Berufungsschrift an den Beklagten hinsichtlich der Rechtshändigkeit ein Ersatz für die Klagerhebung zu finden sei. Was die Zustellung des Versäumnisurteiles betrifft, so ist allerdings hierin eine Benachrichtigung des Beklagten von der dem Urteile zum Grunde liegenden und eine Voraussetzung desselben bildenden Klage enthalten und das Erfordernis der Ladung des Beklagten durch das schon vorliegende Urteil und die nunmehr nach §. 805 Nr. 3 dem Beklagten obliegende Ladungspflicht erledigt; aber wenn man auch hieraus den Schluß ziehen wollte, daß die Anhängigkeit des Rechtsstreites, wenn, nicht schon früher gemäß §. 235 jedenfalls mit der Zustellung des Versäumnisurteiles eingetreten sei, so wird doch diese Wirkung der letzteren durch Einlegung des Einspruches nach §. 307 wieder beseitigt. Was aber die Zustellung der Berufungsschrift betrifft, so kann dieselbe selbst dann, wenn der Kläger wegen Abweisung der Klage Berufung einlegt und der Inhalt der Berufungsschrift den für die Klageschrift in §. 230 aufgestellten Erfordernissen entspricht, als Ersatz für die Zustellung der Klageschrift um deswillen nicht gelten, weil nach den Grundsätzen der Civilprozeßordnung (vgl. §§. 38. 491 a. a. O.) die Erhebung der Klage in der zweiten Instanz unzulässig ist.
5.
War demnach der Antrag des Beklagten, die Klage wegen Mangels einer Prozeßvoraussetzung wie angebracht abzuweisen, begründet, so konnte Kläger die Abweisung der Klage auch nicht durch seinen Antrag auf Vertagung abwenden. ... Der §. 300 der Civilprozeßordnung anerkennt ein Recht des Klägers, Vertagung der mündlichen Verhandlung wegen nicht ordnungsmäßiger Ladung der Gegenpartei zu verlangen, nur für den Fall, daß letztere nicht erschienen ist. Es erscheint nicht gerechtfertigt, dieses Recht auf den Fall auszudehnen, daß die Gegenpartei erschienen ist und wegen nicht ordnungsmäßiger Ladung die Abweisung der Klage beantragt. Einer entsprechenden Anwendung der für ersteren Fall gegebenen Bestimmung auf den letzteren Fall steht die wesentliche Verschiedenheit beider Fälle entgegen, indem es sich im ersteren Falle nicht um Ausschließung oder Einschränkung eines Rechtes des Beklagten, sondern lediglich um die Verpflichtung des Prozeßgerichtes handelt, unter den gesetzlichen Voraussetzungen dem Vertagungsantrage des Klägers zu entsprechen, wogegen in dem zweiten Falle bei Anerkennung eines Rechtes des Klägers auf Vertagung, also Fortsetzung des Verfahrens, das Recht des Beklagten, die Abweisung der Klage zu verlangen, für den Fall, daß Kläger die Vertagung beantragt, ausgeschlossen sein würde."