RG, 28.11.1881 - Va 443/81

Daten
Fall: 
Erwerbung einer Servitut gegen ein Lehngut
Fundstellen: 
RGZ 6, 271
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
28.11.1881
Aktenzeichen: 
Va 443/81
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Generalkommission Stargard
  • Oberlandeskulturgericht Berlin

1. Genügt zur Erwerbung einer Servitut gegen ein Lehngut durch Ersitzung die Meinung des Ersitzenden, daß ihm ein nicht bloß gegen den Lehnsbesitzer, sondern auch gegen alle Lehnsagnaten geltend zu machendes Recht zustehe, oder muß sich dessen Wille objektiv in Besitzhandlungen kund gethan haben, welche ersichtlich machen, daß die Servitut als ein auch gegen die Agnaten geltend zu machendes Recht in Anspruch genommen werde?
2. Ist nach hinterpommerschem Lehnrechte der Lehnsbesitzer zur dauernden Belastung des Lehns mit Servituten berechtigt?
3. Hat die Unterlassung der Eintragung der agnatischen Rechte gemäß §§. 7 u. 8 des Gesetzes vom 11. Juli 1845 die Folge, daß der betreffende Agnat eine nur gegen den Lehnsbesitzer ersessene Servitut anerkennen muß?

Aus den Gründen

"Der Berufungsrichter hat festgestellt, daß die Kläger und deren Vorbesitzer die von ihnen beanspruchten Fischereigerechtigkeiten auf dem zu dem Lehngute Lanzen gehörigen Anteil des Zemmin-See's seit länger als 30 Jahren, vom Jahre 1850 zurückgerechnet, frei, öffentlich und ungestört in der Meinung ausgeübt haben, daß ihnen ein nicht bloß gegen den zeitigen Besitzer, sondern auch gegen die Lehnsagnaten geltend zu machendes Recht zustehe. Obgleich er nicht in Zweifel zieht, daß die aus dem Grundbuch erhellende Qualität des Gutes Lanzen den Klägern und deren Vorbesitzern bekannt gewesen, sowie daß Beklagter weder zu den Descendenten noch zu den Erben der früheren Lehnsbesitzer gehöre, hat er gleichwohl angenommen, daß Kläger durch die festgestellte Besitzausübung Fischereigerechtigkeiten erworben hätten, welche auch Beklagter anerkennen müsse. Er verwirft die von dem früheren preußischen Obertribunal1 angenommene und auch vom Reichsgericht2 gebilligte Ansicht, daß die Verjährung gegen ein Familienfideikommiß oder Lehn nur insoweit wirksam sein könne, als sie in einer Weise begonnen, wodurch sämtliche Fideikommißinteressenten resp. Lehnsagnaten gebunden würden, und erachtet es nicht für erforderlich, daß der Wille des Ersitzenden sich objektiv in Besitzhandlungen kund thue, aus denen ersichtlich werde, daß ein nicht bloß gegen den gegenwärtigen Besitzer, sondern ein auch über dessen Besitzzeit hinaus gegen alle Agnaten geltend zu machendes Recht in Anspruch genommen werde. Er führt aus. es könne bei freier und öffentlicher Ausübung eines Rechtes seit Menschengedenken nicht füglich bezweifelt werden, daß die Prätendenten ihr Recht nicht von dem zeitigen Vasallen allein ableiten und nicht bloß von ihm, sondern von allen Lehnsagnaten die Gestattung verlangten, zumal die Verjährung thatsächlich, nicht immer als eine selbständige Erwerbsart, sondern häufig nur als Ersatz anderer nicht mehr nachweisbarer Erwerbstitel anzusehen sei. Hätten daher die Berechtigten von Anfang an und die ganze Verjährungszeit hindurch bona fide ein fortdauerndes. gegen jeden dritten Besitzer wirksames dingliches Recht auszuüben gemeint, von dessen legaler Entstehung nur jetzt die Beweismittel verloren gegangen seien, so müßten die Agnaten das durch die vom Besitzer gestattete Ausübung erworbene Recht auch anerkennen, gleichviel ob sie von der Ausübung Kenntnis erlangt hätten. Denn vor Eintritt ihres Lehnfolgerechtes habe ihnen keinerlei Art von Besitz an dem Gut zugestanden, und deshalb komme bei der Beurteilung der äußeren Erscheinung der Besitzhandlungen (§§. 80 flg. A. L. R. I. 7) nur das Verhältnis zwischen demjenigen, der den Besitz des Rechts ergreife, und demjenigen in Betracht, der als Besitzer der Sache in der Lage sei, die Besitzergreifung zu vereiteln, das heißt dem Vasallen, da die Agnaten gar nicht bei der Besitzergreifung mitzuwirken gehabt hätten, selbst wenn sie bei Einräumung des Rechtes zugezogen wären.

Diese Ausführung ist rechtsirrtümlich. Ihr steht zunächst entgegen, daß sie die Vorschrift des §. 516 A. L. R. I. 9:

Auch gegen den, welcher sein Recht zu gebrauchen oder zu verfolgen gehindert wird, kann keine Verjährung anfangen - ganz unberücksichtigt läßt. Zutreffend nimmt der Berufungsrichter an, daß nur der besitzende Vasall in der Lage ist, die Ausübung eines Fischereirechtes an dem Lehngut zu verhindern. Da er befugt ist, für seine und seiner Descendenten Besitzzeit über die Nutzungen des Lehns rechtsverbindlich zu verfügen, so sind die Agnaten nicht berechtigt, der Ausübung einer Servitut, welche der Lehnsbesitzer duldet, entgegenzutreten. Nach §. 295 in Verbindung mit §§. 290 und 291 A. L. R. I. 18 können die Agnaten selbst in dem Falle, wenn der Lehnsbesitzer ihnen nachteilige Verfügungen über das Lehn in das Grundbuch hat eintragen lassen, solche erst alsdann anfechten, wenn die Succession des Lehns an sie gekommen ist. Aus Handlungen, denen die Agnaten nicht widersprechen konnten und die ihnen kein Klagerecht gewährten, konnte daher gegen sie ein Besitz gemäß §. 81 A. L. R. I. 7 überhaupt nicht und gemäß §. 516 A. L. R. I. 9 insbesondere kein Verjährungsbesitz erworben werden.3

Nach §. 512 A. L. R. I. 9 kann auch keine Verjährung gegen denjenigen anfangen, der von seinem Rechte nicht hat unterrichtet sein können. Daraus folgt, daß die vom Berufungsrichter thatsächlich festgestellte bloße Meinung des Ersitzenden, er leite sein Recht nicht von dem zeitigen Vasallen allein ab und verlange dessen Gestattung nicht bloß von ihm, sondern auch von allen künftigen Lehnsnachfolgern, zum Erwerb eines Verjährungsbesitzes gegen diese nicht ausreichend ist, sondern daß es einer solchen objektiven Dokumentierung dieser Willensmeinung bedarf, welche sie den Agnaten, deren Rechte durch die Verjährung verkürzt werden sollen, erkenntlich macht. Denn da in der durch die Verjährung herbeigeführten Rechtsveränderung einerseits ein Verlust und andererseits ein lukrativer Erwerb von Rechten liegt, so stellen die Gesetze auch als selbständige in jedem Falle zugleich erforderliche Voraussetzungen der Verjährung auf, daß der Erwerbende sich in einem unverschuldeten Irrtum (bona fides) befinden, dem Verlierenden dagegen eine Nachlässigkeit in der Wahrnehmung seiner Rechte zur Last fallen muß. An dem letzteren Erfordernis fehlt es. wenn der Agnat, der seine Recht infolge der Verjährung verlieren soll, weder Kunde von einem dieselben bedrohenden Besitzstande haben konnte, noch imstande war, sein Recht im Wege der Klage geltend zu machen. Der Berufungsrichter verletzt daher die §§. 512. 516 I. 9 und den §. 295 A. L. R. I. 18 durch die Annahme, es genüge zum Erwerb eines auch gegen die Agnaten geltend zu machenden Servitutrechtes an einem Lehngut die gegen den Lehnsbesitzer allein geschehene Ausübung, wenn der Ersitzende nur der Meinung sei, daß ihm ein auch gegen die Lehnsnachfolger wirksames Recht zustehe.

Aber auch die darauf bezügliche tatsächliche Feststellung des Berufungsrichters beruht auf rechtsirrtümlichen Voraussetzungen. Sie geht davon aus. daß der §. 288 A. L. R. I. 18 sich überhaupt nicht auf die Verjährung beziehe, weil in dem Geschehenlassen einer Ersitzung keine Verfügung gefunden werden könne, die, wenn sie auch auf stillschweigender Willenserklärung beruhen könne, doch nach §. 58 A. L. R. I. 4 durch eine Handlung ausgedrückt werden müsse, während nach §§. 61 und 62 das bloßes Stillschweigen dazu nicht genüge. Der Berufungsrichter übersieht hierbei, daß unter Handlungen nicht bloß positive (Begehungs-), sondern auch negative (Unterlassungs-) Handlungen zu verstehen sind.4

Daß namentlich im §. 58 A. L. R. I. 4 unter Handlungen auch Unterlassungen verstanden sind, geht gerade aus der folgenden Bestimmung, es solle bloßes Stillschweigen nur unter gewissen Voraussetzungen für eine stillschweigende Willenserklärung erachtet werden, klar hervor. Die Duldung von Verhandlungen, welche Rechtsveränderungen herbeiführen, ist kein bloßes Stillschweigen, sondern eine Unterlassungshandlung, und das Institut der Verjährung findet gerade darin eine Rechtfertigung, daß in dieser Unterlassung eine Anerkennung des Rechtes oder eine Nachlässigkeit zu finden ist. Dem entspricht auch l.28 pr. D. 50, 16:

Alienationis verbum etiam usucapionem continet; vix est enim ut non videatur alienare, qui patitur usucapi.

Daß der Vasall nach §. 288 A. L. R. I. 18 nicht befugt ist, durch vertragsweise Einräumung einer Servitut die Rechte der Agnaten zu beeinträchtigen, zieht der Berufungsrichter selbst nicht in Zweifel. Mit Recht aber folgert das preußische Obertribunal - Entsch. Bd. 53 S. 191 - daraus. daß auch infolge seiner Omissionen, also durch nur gegen ihn gerichtete Besitzhandlungen, kein von den Agnaten anzuerkennendes Recht entstehen dürfe. Demgemäß schließen auch die §§. 581 und 582 A. L. R. I. 9 die Verjährung in betreff der durch rechtsgültige Privatverfügungen dem Verkehr entzogenen Sachen aus. insofern diese Verfügungen den Erwerbenden verpflichten können. Daß aber die aus der Lehnsqualität folgende Dispositionsbeschränkung jeden Dritten insbesondere dann bindet, wenn ihm dieselbe bekannt oder aus dem Grundbuch ersichtlich ist, kann nach den im §. 582 I. 9 angezogenen §§. 15 bis 19 A. L. R. I. 4 nicht zweifelhaft sein. - Vgl. Entsch. des Obertribunals Bd. 62 S. 51. - Diese Bekanntschaft mit der Lehnsqualität schließt den guten Glauben des Ersitzenden, daß ihm der Lehnsbesitzer ein Servitutrecht an dem Lehn einräumen könne, notwendig aus. Guter Glaube könnte nur dann vorhanden sein, wenn sich der Ersitzende auf einen von sämtlichen Agnaten eingeräumten Rechtstitel stützte oder auf einen vor Begründung des Lehnsnexus bereits begonnenen Besitz. Der Berufungsrichter nimmt auch an, daß den Klägern ein solcher Glaube beigewohnt habe. Allein diese Feststellung wird nicht aus bestimmten Thatumständen dieses konkreten Falles. sondern aus allgemeinen rechtlichen Erwägungen hergeleitet, indem ausgeführt wird, es könne mit Rücksicht darauf, daß die Verjährung häufig nicht ein Erwerbstitel, sondern nur ein Ersatz für die verlorenen Beweismittel einer anderen ursprünglichen Erwerbungsart sei, nicht in Zweifel gezogen werden, daß die Erwerber bei der seit Menschengedenken frei und ungestört geschehenen Ausübung in dem guten Glauben gewesen seien, ein gegen jeden Dritten wirksames Recht erworben zu haben. Solche Vermutungen sind in den Gesetzen aber nirgends begründet. Nach §. 179 A. L. R. I. 7 spricht allerdings die Vermutung für die Rechtmäßigkeit und Redlichkeit des Besitzes. Über den Umfang dieses Besitzes besteht aber keinerlei Rechtsvermutung, namentlich nicht dahin, daß der von einem bestimmten Zeitpunkt an bewiesene Besitz schon vor diesem Zeitpunkt vorhanden gewesen und daß der äußerlich nur gegen die Lehnsbesitzer ausgeübte Besitz sich auf einen alle Lehnsagnaten bindenden Titel stütze. Vielmehr erwirbt der Besitzer nach §§. 665 und 666 A. L. R. I. 9 das Recht durch die Vollendung der Verjährung, und das Recht erstreckt sich nicht weiter, als der Besitz gegangen ist. Weiter als der Besitz reichte, erstreckt sich aber auch die Vermutung der Gutgläubigkeit nicht, und wenn daher dieser Besitz sich durch Handlungen ausgedrückt hat, die lediglich gegen den Lehnsbesitzer gerichtet waren, so steht dem Erwerber auch nur die Präsumtion zur Seite, daß er des guten Glaubens sei, der Lehnsbesitzer habe ihm das betreffende Recht eingeräumt. Dadurch kann er aber, wenn ihm die Lehnsqualität bekannt war, ein die Agnaten bindendes Recht erworben zu haben nicht glauben. Will er solchen guten Glauben behaupten, so muß er Thatsachen nachweisen, aus denen derselbe zu folgern ist, also Besitzhandlungen, die gegen alle Agnaten gerichtet waren, oder einen Titel, der alle Agnaten bindet. Durch seine gegenteiligen Ausführungen hat der Berufungsrichter den §. 28 I. 13 A. G. O., die §§. 11. 12. 14. 18. 81 und 179 I. 7 - die §§. 512. 516. 581. 582 und 591 I. 9 und die §§. 288 und 295 A. L. R. I. 18 verletzt.

Er stützt sein Erkenntnis zwar noch durch zwei selbständige Entscheidungsgründe; diese beruhen aber ebenfalls auf rechtsirrtümlichen Grundsätzen. Er folgert nämlich aus dem nach pommerschen Lehnrecht geltenden Grundsatz, daß Agnaten, auch wenn sie nicht Descendenten oder Erben des Lehnsbesitzers sind, die subsidiäre Verhaftung des Lehngutes für Schulden des letzteren anerkennen müssen, eine allgemeine Dispositionsbefugnis des Lehnsbesitzers über das Lehn, namentlich seine Berechtigung, dasselbe mit Servituten zu belasten, welche die Agnaten anerkennen müßten. Wäre diese Ansicht richtig, so würde sie allerdings die Entscheidung des Berufungsrichters rechtfertigen. Es kann ihr aber nicht beigestimmt werden. Weder die Lehnskonstitution vom 8. Dez. 1694 noch das in Pommern geltende Gewohnheitsrecht in Lehnssachen verhalten sich überhaupt über die Berechtigung des Lehnsbesitzers. das Lehngut mit Servituten zu belasten. Die Grundsätze über die subsidiäre Verhaftung der Lehnsgüter für unkonsentierte Schulden des Lehnsbesitzers lassen aber ihrer exzeptionellen Natur wegen überhaupt eine analoge Anwendung nicht zu. Aber selbst eine solche würde doch immer nur zu einer subsidiären Verhaftung des Lehnsgutes führen können, wenn der Servitutberechtigte aus dem Allodialvermögen des Lehnsbesitzers keine Entschädigung zu erhalten vermag. Dies setzt auch die Entscheidung des Reichsgerichtes (Entsch. in Civils. Bd. 2 S. 218), welche von einem hinterpommerschen Lehn handelt, voraus. Der Appellationsrichter hat daher auch die gedachte Lehnskonstitution vom 8. Dez. 1694 verletzt.

Endlich hat der Berufungsrichter die §§. 7 und 8 des Gesetzes vom 11. Juli 1845 verletzt, indem er daraus herleitet, der Beklagte habe sein Recht, das durch die Verjährung gegen die Lehnsbesitzer erworbene Fischereirecht nicht anzuerkennen, dadurch verloren, daß er seine agnatischen Rechte nicht schon zu einer Zeit habe eintragen lassen, als die Verjährung noch nicht vollendet war. Denn die allegierten Bestimmungen sprechen nicht von Rechten, welche durch die Verjährung erworben sind, sondern von solchen, welche der Lehnsbesitzer in Verhandlungen, in welche sich der dritte Erwerber mit ihm eingelassen, ausdrücklich eingeräumt hat. Aber selbst wenn sich das Gesetz auch auf Rechte bezöge, die durch Verjährung gegen den Lehnsbesitzer erworben sind, so setzt es doch jedenfalls den vollendeten Erwerb solcher Rechte voraus. Hier handelt es sich aber gerade um die Frage, ob bis zum Jahre 1850 eine Verjährung vollendet sei, ob also 25 Jahre vor Emanation des Gesetzes von 1845 ein zur Erwerbung der Fischereirechte gegen die Agnaten geeigneter Besitz bestanden habe. In betreff dieser Frage kann das Gesetz von 1845 nicht entscheidend sein, da es keine rückwirkende Kraft hat, also dem früheren Besitz eine rechtserwerbende Wirkung, die er nach den bisherigen Gesetzen nicht hatte, nicht nachträglich verleihen konnte."

  • 1. vgl. Präjudiz Nr. 2704: Entsch. Bd. 36 S. 232; Entsch. Bd. 41 S. 247, Bd. 53 S. 184; Striethorst, Archiv Bd. 33 S. 223, Bd. 34 S. 106
  • 2. Entsch. Bd. 2 S. 218
  • 3. Vgl. Entsch. des Obertribunals Bd. 41 S. 255.
  • 4. Vgl. Windscheid, Pandekten Bd. I. §§. 67 und 72 und Puchta, Kursus der Institutionen Bd. 2 §. 201.