RG, 01.11.1881 - I 371/81

Daten
Fall: 
Urteilsformel
Fundstellen: 
RGZ 5, 389
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
01.11.1881
Aktenzeichen: 
I 371/81
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG München
  • OLG München

Inwieweit ist es statthaft, die in der Urteilsformel gegebene Entscheidung aus den Urteilsgründen zu erläutern und zu ergänzen?

Tatbestand

F. erhob Klage gegen den Fiskus auf Rückgabe eines für Holzsteiggelder, die ein gewisser M. schuldete, bestellten Faustpfandes. Es ist rechtskräftig entschieden, daß dieses Faustpfand für alle durch M. geschuldete Holzsteiggelder haftete und aus dem Erlöse zunächst eine ältere Schuld zu tilgen, ein Überschuß von M 5817 aber auf die seit Dezember 1876 bezogenen Hölzer zu verrechnen sei. Der Fiskus erhob Widerklage, indem er behauptete, F. habe sich außerdem für die an M. seit Dezember 1876 erfolgenden Holzlieferungen bis zum Betrage von 3500 Stämmen, d. h. M 27165, verbürgt. F. gestand diese Bürgschaft für die erste im Dezember 1876 zum Preise von M 11970 erfolgte Lieferung zu, bestritt sie aber im übrigen. Bei dieser Sachlage erlies das Landgericht Teilurteil , durch welches es die Hauptklage abwies und auf die Widerklage den F. zur Zahlung von M 6153 verurteilte. In den Gründen ist erörtert, daß der Überschuß des Faustpfanderlöses auf die besagte erste Lieferung zu verrechnen sei, also nach Abzug dieses Überschusses der Betrag von M 6153 übrig bliebe. Im übrigen ließ es den Widerkläger zum Beweise der von ihm behaupteten Verbürgung zu. Der Fiskus legte Berufung ein, weil nach den Gründen des Urteiles ihm der Betrag von M 5817 aberkannt sei. Das O.L.G. erachtete diese Berufung statthaft und verurteilte den Widerbeklagten sofort zu weiteren M 5817. Auf Revision wurde diese Entscheidung aufgehoben aus folgenden Gründen:

Gründe

"Durch Berufung anfechtbar sind, abgesehen von den gesetzlichen Ausnahmen (z.B. §§. 248. 276 C.P.O.), nur Endurteile (§. 472 C.P.O.), d. h. Urteile, die über den Anspruch selbst, welcher den Gegenstand der Klage oder Widerklage bildet, ganz oder teilweise endlich erkennen, ihn zusprechen oder abweisen (§§. 272. 273 a. a. O.). Hiernach kann die in den Gründen des erstrichterlichen Urteiles gegebene Erklärung, daß der Überschuß der Kaution im Betrage von, M 5817 auf den Preis der ersten für die Widerklage in Betracht kommenden Holzlieferung in Abrechnung zu kommen habe, an und für sich als eine die Berufung begründende und der Rechtskraft fähige Entscheidung nicht in Betracht kommen, selbst wenn sie in ihren Konsequenzen zu einer teilweisen Abweisung der Widerklage führen müßte; nur wenn diese Klagabweisung als wirklich erfolgt erachtet werden könnte, würde Berufung zulässig sein.

Es fragt sich daher, ob in dem erstrichterlichen Urteile in der That eine Abweisung der Widerklage für den besagten Betrag gefunden werden kann, obgleich in der Urteilsformel von einer solchen Abweisung nichts gesagt ist.

Der jetzige §. 293 C.P.O. hatte im Entwürfe (§. 283) einen dritten Absatz, welcher lautete:

"Der Eintritt der Rechtskraft ist nicht davon abhängig, daß die der Rechtskraft fähige Entscheidung in die Urteilsformel aufgenommen ist."

Diese Bestimmung wurde in der Justizkommission beanstandet, weil Unklarheiten entstehen würden, wenn nicht die Entscheidung selbst in der Urteilsformel (§. 284 Ziff. 5) vereinigt wäre, wobei man jedoch nicht in Zweifel zog, daß die Urteilsgründe zur Erläuterung des Sinnes der Urteilsformel beigezogen werden könnten und müssten. Infolge dessen wurde besagter Absatz 3 gestrichen.

Bei dieser Sachlage können Zweifel über den Sinn des Gesetzes entstehen; es kann sich fragen, ob es Wille des Gesetzes sei, daß die Entscheidung, inwieweit der erhobene Anspruch zuerkannt oder aberkannt sei , immer ausdrücklich in der Urteilsformel gegeben sein müsse, oder ob es statthaft sei, in Fällen, wo die Urteilsformel nur die Zuerkennung eines Teiles des geltend gemachten Anspruches ausspricht, zur Erläuterung und Ergänzung dieser Entscheidung aus den Gründen zu folgern, daß das Übrige aberkannt sei.

In vorliegender Sache kann diese Frage dahingestellt bleiben, denn wenn man sich auch für die letztere Ansicht entscheiden, also es zulässig erachten wollte, die Entscheidung in bezeichneter Weise aus den Gründen zu ergänzen, könnte dies doch jedenfalls nur unter der Voraussetzung geschehen, daß aus den Entscheidungsgründen klar und unzweifelhaft zu entnehmen wäre, der Richter habe die Absicht gehabt, den in Frage stehenden Anspruch, soweit er ihn nicht zusprach, sofort abzuweisen.

An dieser Voraussetzung fehlt es aber in vorliegendem Falle.

Das erstrichterliche Urteil bezeichnet sich ausdrücklich als ein Teilurteil , es spricht daher die Vermutung dafür, daß alles, was nicht ausdrücklich entschieden ist, späterer Entscheidung habe vorbehalten werden wollen und erscheint diese Vermutung um so mehr gerechtfertigt, als das Gesetz (§. 273 Abs. 2 C.P.O.) es in das Ermessen des Richters stellt, liquide Punkte durch Teilurteil zu erledigen oder deren Entscheidung vorzubehalten. Die Entscheidungsgründe des Urteiles enthalten nun nichts, was geeignet wäre, diese Vermutung zu widerlegen; sie beschränken sich darauf, zu erklären, daß auf Grund des Zugeständnisses des Beklagten, für die erste Holzlieferung zum Preise von M 11970 als Bürge zu haften, er zur Zahlung von M 6153 zu verurteilen sei, weil an besagten M 11970 der Überschuß der Kaution mit M 5817 in Abzug komme, also besagter Restbetrag übrig bleibe. In diesen Gründen giebt sich nichts weiter kund, als die Ansicht, daß zur Zeit und so lange nichts mehr vorliege, als das Geständnis des Beklagten, ein höherer Betrag als M 6153 nicht als liquid erachtet und zugesprochen werden könne; die Absicht, für den Betrag von M 5817 die Widerklage sofort abzuweisen , läßt sich aus denselben nicht sicher entnehmen.

Hierzu kommt aber, daß es mindestens zweifelhaft bleibt, ob der erste Richter, im Falle vollständigen Gelingens des zugelassenen Beweises, überhaupt notwendig dazu gelangt wäre, die Widerklage teilweise abzuweisen.

Die Behauptung des Fiskus, um deren Nachweis es sich handelt, geht dahin daß der Widerbeklagte am 18. Januar 1877 sich für den Preis von 3500 Schnittstämmen, welche M. aus den Staatswaldungen beziehen werde (einschließlich der bereits am 6. Dezember 1876 erkauften), verbürgt habe. Der Fiskus beansprucht diese Bürgschaft für sämtliche Lieferungen, jedoch nur bis zum verhältnismäßigen Preise von 3500 Schnittstämmen, d. h. bis zur Summe von M 27165, die den Gegenstand der Widerklage bildet.

Würde der Beweis, daß eine Bürgschaft in diesem Sinne stattgefunden, gelingen, so würde es gleichgültig erscheinen, ob der Überschuß von M 5817 an der ersten oder an der letzten Holzlieferung in Abzug gebracht würde; denn die Gesamtlieferungen betragen 4091 Schnittstämme zum Preise von M 37 061, somit bliebe bei jeder Unterstellung mehr als derjenige Betrag übrig, für welchen Widerbeklagter als Bürge zu haften hätte. Nach vorstehenden Erörterungen war das angefochtene Urteil als auf Verkennung der bezeichneten prozessualen Rechtsnormen, beruhend, aufzuheben, und in der Sache selbst, da dieselbe im Sinne von §. 528 Abs. 3 C.P.O. zur Endentscheidung reif erscheint, die Berufung als unzulässig zu verwerfen."