RG, 03.04.1884 - IV 541/83

Daten
Fall: 
Mündelgeld ohne vorangegangene Taxe
Fundstellen: 
RGZ 11, 307
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
03.04.1884
Aktenzeichen: 
IV 541/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Tilsit
  • OLG Königsberg

Haftet der Vormund, welcher Mündelgeld ohne vorangegangene Taxe des dafür zur Hypothek eingesetzten Grundstückes ausgeliehen hat.

Aus den Gründen

"Der §. 39 der Vormundschaftsordnung schreibt vor, in welcher Weise der Vormund Mündelgelder, welche zu laufenden oder zu anderen, durch die Vermögensverwaltung begründeten Ausgaben nicht erforderlich seien, zinsbar anzulegen habe. Eine der danach statthaften Kapitalsanlagen ist die auf sichere Hypotheken. Eine Hypothek aber wird für sicher geachtet, wenn sie bei städtischen Grundstücken innerhalb der ersten Hälfte des durch Taxe einer öffentlichen Feuerversicherungsgesellschaft oder durch gerichtliche Taxe zu ermittelnden Wertes des Grundstückes zu stehen kommt. Diese Bestimmung soll der Beklagte A. dadurch verletzt haben, daß er als Vormund des Klägers und der Schwester des letzteren vom Vermögen der genannten Mündel am 28. September 1876 an die Witwe B. gegen Verpfändung des Grundstückes B. Nr. 109 ein Darlehn von 5000 M, welches bei der im Jahre 1882 erfolgten Subhastation des Pfandgrundstückes nur in Höhe von 438,19 M zur Hebung gekommen, in Höhe des Restes ausgefallen ist, gegeben hat, obgleich eine Ermittelung des Wertes des Grundstückes, wie sie in der gedachten Vorschrift für erforderlich erachtet wird, nicht vorlag. Das Berufungsgericht hat angenommen, ein Zuwiderhandeln gegen die gedachte Bestimmung liege nicht schon dann vor, wenn ein Vormund ein Grundstück beleihe, ohne daß ihm eine Taxe desselben vorgelegt werde, sondern erst dann, wenn und soweit die Hypothek bei einem städtischen Grundstücke erst in die zweite Hälfte des Taxwertes, wie solcher nach den für Taxen städtischer Grundstücke geltenden Grundsätzen sich ergebe, zu stehen komme. Demgemäß hat es den vom Beklagten durch Berufung auf zwei Sachverständige angetretenen Beweis darüber, daß der Taxwert des Grundstückes zur Zeit der Verleihung wenigstens 10000 M betragen habe, erhoben, und auf Grund der Aussage des Maurermeisters W. festgestellt, daß der Taxwert des Grundstückes zur fraglichen Zeit 9500 M betragen habe, das Mündelkapital also nur in Höhe von 245 M über die Hälfte des Taxwertes hinausgehe. Auf Grund dieser Feststellung hat es den Beklagten A. zur Zahlung von nur 245 M an den Kläger, auf welchen nach erreichter Großjährigkeit seitens der Schwester desselben die Hypothekenforderung vollständig übergegangen war, verurteilt und den Kläger mit dem Mehranspruch dem A. gegenüber abgewiesen. Der Erfolg der gegen diese Entscheidung vom Kläger eingelegten Revision ist von der Auslegung der im §. 39 a. a. O. enthaltenen Vorschrift abhängig. In dem Ausleihen von Mündelgeld auf ein Grundstück, wenn eine, wie vorgeschrieben, beschaffene Taxe nicht vorliegt, ist ohne Zweifel ein Zuwiderhandeln gegen die gedachte Vorschrift an sich zu finden. Daß ein solches Zuwiderhandeln dem Mündel nicht die Befugnis giebt, die Kapitalanlage überhaupt zurückzuweisen und vom Vormunde Herausgabe des angelegten Geldes zu fordern, ist mit dem Berufungsgerichte gegen die von Dernburg (Vormundschaftsrecht §. 77 a. E.) ausgesprochene Ansicht, nach welcher die Anlage von Mündelgeldern in anderen, als den gesetzlich gestatteten Weiten eine auftraglose Geschäftsführung sein soll, anzunehmen. Dernburg selbst hat diese, von Eccius (Erörterungen S. 21) bekämpfte Ansicht später (Privatrecht Bd. 3 §. 83 N. 18) als zweifelhaft bezeichnet. Dagegen folgt aus der Gesetzwidrigkeit der Anlage die Verpflichtung des Vormundes zum Ersatze des infolge der Anlage, wenn auch ohne ein weiteres hinzutretendes Versehen des Vormundes für den Mündel erwachsenen Schadens. Nun wird zwar dem auf Ersatz des Schadens angesprochenen Vormunde der Rechtsbehelf nicht zu versagen sein, daß der Schade auch bei Beobachtung der in Rede stehenden Vorschrift entstanden sein würde. Ein Grundstück kann eine dergestalt zweifellose Sicherheit für den Mündel bieten, daß die Aufnahme einer Taxe in Wahrheit nur als eine überflüssige Förmlichkeit erscheinen würde. Tritt in einem solchen Falle infolge ungünstiger Konjunkturen dennoch ein Ausfall am Kapitale ein, so wird sich der Vormund von der Verantwortlichkeit dem Mündel gegenüber durch den Nachweis frei machen können, daß die Kapitalanlage, wenn das Grundstück zur Zeit derselben gerichtlich abgeschätzt worden wäre, sich als völlig sicher ergeben haben würde. Solchenfalls müßte angenommen werden, daß es an einem ursächlichen Zusammenhange zwischen der Zuwiderhandlung gegen den §. 39 und dem Schaden des Mündels gebräche. Von dem Gesichtspunkte des ursächlichen Zusammenhanges aus muß daher auch im vorliegenden Falle der Rechtsbehelf des Beklagten geprüft werden. Bei dieser Prüfung aber ergiebt sich, daß die Entscheidungsgründe des Berufungsgerichtes dem in Rede stehenden Erfordernisse für die Ausschließung der Haftpflicht nicht gerecht werden. Statt einer der Vorschrift des §. 39 entsprechenden Taxe, durch deren Einsicht der Vormund vor der Ausleihung des Geldes von der Sicherheit des Grundstückes sich zu überzeugen gehabt hätte, liegt hier eine im Jahre 1883 aufgenommene, auf Taschenbuchnotizen aus dem Jahre 1875 oder 1876 beruhende Aussage eines Sachverständigen vor, laut deren der Taxwert des Grundstückes nach den bei gerichtlichen Taxen üblichen Grundsätzen zur fraglichen Zeit 8583 M betragen haben soll. Diese Wertangabe hat das Berufungsgericht unter Verbesserung der Berechnungsweise des Sachverständigen auf 9500 M erhöht. Damit erachtet es den Nachweis für geführt, daß das Grundstück bei der Ausleihung des Geldes am 28. September 1876 in Höhe von 4750 M pupillarische Sicherheit geboten hat. Demgegenüber kommt jedoch in Betracht, daß, wenn auch das Berufungsgericht nach Maßgabe der auf den sieben bis acht Jahre alten Taschenbuchnotizen beruhenden Aussagen des Sachverständigen den Taxwert des Grundstückes zur gedachten Zeit, wie angegeben, festgestellt hat, und diese Feststellung einer Nachprüfung des Revisionsgerichtes an sich nicht unterliegen würde, in derselben doch das gleichwertige Surrogat einer unter öffentlicher Autorität aufgenommenen Taxe, wie sie der §. 39 vorschreibt, nicht gefunden werden kann. Die Gewähr, welche eine gerichtliche Taxe für Richtigkeit der Wertsermittelung bietet, kann durch die fragliche Feststellung nicht wohl ersetzt werden. Die letztere beweist günstigsten Falls, daß eine gerichtliche Taxe zur entscheidenden Zeit auf 9500 M hätte ausfallen können, aber nicht, daß sie auf den gedachten Betrag ausgefallen wäre. Auch muß erwogen werden, daß die Ausleihung der 5000 M sich nicht in der Weise trennen läßt, daß dieselbe nur zu einem Teile als pflichtwidrig angesehen werden kann. Es liegt nur eine Kapitalanlage vor. Hätte sich der Vormund pflichtmäßig verhalten, so würde sie, wie nicht anders angenommen werden kann, gänzlich unterblieben sein.

Aus diesen Gründen ist das Berufungserkenntnis, soweit es den Kläger mit seinem den Betrag von 245 M nebst Zinsen übersteigenden Ansprüche gegen den Beklagten A. abweist, aufzuheben."