RG, 28.10.1881 - III 496/81

Daten
Fall: 
Rechtsmittel gegen die eine proßbehindernde Einrede
Fundstellen: 
RGZ 5, 422
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
28.10.1881
Aktenzeichen: 
III 496/81
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Kassel
  • OLG Kassel

1. Wird das Rechtsmittel gegen die eine proßbehindernde Einrede verwerfende Vorentscheidung gegenstandslos, wenn im Hauptverfahren ein Urteil ergangen und rechtskräftig geworden ist?
2. Welche Bedeutung hat eine die Einrede für begründet erachtende Entscheidung der höheren Instanz für das in der Hauptsache ergangene und rechtskräftig gewordene Urteil?
3. Inwiefern steht den Königl. preuß. Eisenbahnbetriebsämtern die prozessuale Vertretung der Eisenbahnverwaltung zu?
4. Kann im abgesonderten Verfahren über eine prozeßhindernde Einrede noch eine andere Einrede dieser Art geltend gemacht werden?

Tatbestand

Unbestrittenermaßen ist der Kläger, welcher als Hilfsheizer bei der beklagten Eisenbahngesellschaft angestellt war, auf einer von Kassel nach Scherfede fahrenden Maschine in der Weise verunglückt, daß ihm sein linkes Bein abgenommen werden mußte. Gestützt auf diese Thatsache erhob der Kläger gegen die Berg.-Märk. Eisenbahngesellschaft, vertreten durch das Königliche Eisenbahnbetriebsamt zu Kassel, Schadensersatzansprüche, wogegen von beklagter Seite zunächst die Einrede der mangelnden gesetzlichen Vertretung opponiert wurde, da nach den preußischen Organisationsbestimmungen über die Staatseisenbahnverwaltung nicht die Betriebsämter, sondern die Eisenbahndirektionen zur Führung von Prozessen der vorliegenden Art berufen seien; außerdem wurde aber auch der Klaganspruch selbst in seiner Existenz und seiner Größe bestritten.

Das Gericht erster Instanz ordnete von Amts wegen die abgesonderte Verhandlung über die vorgebuchte prozeßhindernde Einrede an und verwarf dieselbe durch Urteil vom 28. Februar 1861. Sofort beschloß es auf den Antrag des Klägers die Weiterverhandlung zur Hauptsache und verurteilte in Anwendung des §. 276 C.P.O. durch ein zweites Erkenntnis von demselben Tage die Beklagte, dem Kläger den durch jenen Unfall ihm entstandenen Schaden zu ersetzen.

Die Beklagte legte gegen das erste Urteil vom 28. Februar 1881 Berufung ein, indem sie die Einrede der mangelnden Vertretung aufrecht erhielt und außerdem geltend machte, daß die beklagte Eisenbahngesellschaft ihren allgemeinen Gerichtsstand in Elberfeld habe und in Haftpflichtsachen nur dort verklagt und von der dort domizilierten Verwaltung - der Direktion - prozessualisch vertreten werden könne.

Das Gericht zweiter Instanz wies die erhobene Berufung zurück, indem es davon ausging, daß, da nur gegen das erste Urteil vom 28. Februar 1881 appelliert worden, inmittels das andere Urteil von demselben Tage, durch welches die Beklagte zum Schadensersatz verurteilt werde, die Rechtskraft beschritten habe. Darnach sei aber die Berufung gegenstandslos geworden, denn von der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer prozeßhindernden Einrede könne selbstverständlich keine Rede mehr sein, wenn über den eingeklagten Anspruch selbst rechtskräftig entschieden, somit der Prozeß bereits beendet sei.

In der Revisionsinstanz hat die Beklagte ausgeführt, dadurch daß gegen das über den Klaganspruch ergangene Urteil von der Beklagten kein Rechtsmittel eingelegt worden, könne der Fortgang des Verfahrens über die streitige prozeßhindernde Einrede nicht gehemmt werden, weil wenn in diesem Verfahren ein der Beklagten günstiges Urteil erreicht werde, das in der Hauptsache ergangene Urteil von selbst hinwegfalle. Der Kläger hat darauf entgegnet, die Beklagte habe damit, daß sie das Urteil über den Anspruch habe rechtskräftig werden lassen, diesem Urteile sich unterworfen und auf ihre Einrede thatsächlich verzichtet, jedenfalls sei aber die Einrede materiell nicht begründet.

Das Revisionsgericht erachtete das angefochtene Erkenntnis als auf einer rechtsirrtümlichen Erwägung beruhend, hielt aber gleichwohl die getroffene Entscheidung aus anderen Gründen aufrecht.

Gründe

"Der Richter voriger Instanz hat die Berufung der Beklagten gegen das ihre Einrede der mangelnden gesetzlichen Vertretung verwerfende Urteil erster Instanz als unstatthaft zurückgewiesen, weil inmittels über den Klaganspruch selbst ein rechtskräftig gewordenes Erkenntnis ergangen und hiermit das bezüglich der gedachten Einrede ergriffene Rechtsmittel der Berufung gegenstandslos geworden sei. In dieser Entscheidung ist eine Verletzung prozessualischer Normen zu erkennen1 Indem §. 248 C.P.O. die abgesonderte Verhandlung über prozeßhindernde Einreden gestattet und ein solche Einreden verwerfendes Urteil in betreff der Rechtsmittel für ein Endurteil erklärt, gleichzeitig aber anordnet, daß auf Antrag auch zur Hauptsache verhandelt werden könne, ist die Möglichkeit gegeben, daß ein und derselbe Rechtsstreit in mehreren Instanzen zugleich anhängig wird, daß in den verschiedenen Instanzen verschiedene anscheinend sich widersprechende Urteile gefällt werden und daß, wie im vorliegenden Falle geschehen, ein kontradiktorisches rechtskräftiges Urteil in der Hauptsache ergeht, während der Streit über die Einrede in der höheren Instanz noch schwebt. Auch die Möglichkeit ist nicht ausgeschlossen, daß in erster Instanz nach Verwerfung einer prozeßhindernden Einrede in Gemäßheit der Bestimmung des §. 276 C.P.O. vorab nur über den Grund des Anspruches erkannt und sodann auf eine Verhandlung über den Betrag ein den Beklagten zu einer bestimmten Summe verurteilendes Erkenntnis ergeht, welches, weil die Feststellung des Betrages dem Beklagten keinen Grund zur Beschwerde giebt, rechtskräftig wird, bevor auf die gegen die beiden Zwischenurteile eingelegten Rechtsmittel eine endgültige Entscheidung hat erfolgen können.

In der That kann aber hier immer nur von einem scheinbaren Widerspruche die Rede sein. Denn eine jede im abgesonderten Verfahren der §§. 248 und 276 C.P.O. ergehende Entscheidung kann, sofern sie nicht durch die Rechtskraft eines vorausgegangenen Zwischenurteiles eine weiterreichende Bedeutung gewinnt, mit ihrer Rechtskraft nicht hinausgehen über das, was in dem abgetrennten Verfahren den Gegenstand der Verhandlung und Entscheidung gebildet hat. Ein solches Urteil liefert nur einen der verschiedenen grundlegenden Bestandteile, aus denen sich im ungetrennten Verfahren das den Prozeß für die Instanz erledigende Erkenntnis zusammensetzt. Es unterliegt selbständig der Anfechtung, aber das dawider eingelegte Rechtsmittel verstellt bloß das Einzelurteil des abgesonderten Verfahrens zur Entscheidung des höheren Richters. Und ob das nach vorausgegangener Vorentscheidung erfolgte Enderkenntnis mit einem Rechtsmittel angefochten wird oder nicht, kann das Verhältnis, in dem es als abgetrenntes Erkenntnis zu der ersteren steht, nicht ändern. Es bleibt immer ein nur den abgetrennten Streitstoff erledigendes Erkenntnis, welches die Vorentscheidung zur notwendigen Voraussetzung hat, und gleichwie es daher erst durch die Rechtskraft der ersteren die Bedeutung eines vollstreckbaren Enderkenntnisses gewinnen kann, andererseits auch mit der Beseitigung derselben die für seinen eigenen Bestand erforderliche Grundlage verliert.

Im übrigen liegt klar zu Tage, daß von der in den §§. 248 und 276 C.P.O. erteilten Ermächtigung, schon vor Eintritt der Rechtskraft der Vorentscheidung das Prozeßverfahren weiter fortzusetzen, immer nur auf die Gefahr hin Gebrauch gemacht werden kann, daß dies Verfahren hinfällig wird durch ein die Vorentscheidung endgültig abänderndes Erkenntnis. Wenn daher in letzter Instanz, sei es auf Grund einer prozeßhindernden Einrede, sei es weil davon ausgegangen wird, daß bei der Vorabentscheidung über den Grund des Anspruches der letztere mit Unrecht für begründet erkannt worden, ein die Klage abweisendes Erkenntnis ergeht, so bedarf es nicht der Aushebung und selbstfolglich auch nicht der Anfechtung des inzwischen in der Sache weiter erfolgten Erkenntnisses, welches vielmehr mit der Hinfälligkeit des vor Eintritt der Rechtskraft der Vorentscheidung eingeleiteten Verfahrens von selbst außer Kraft tritt. Und hierin vermag auch die etwa eingetretene formelle Rechtskraft des ersteren nichts zu ändern, eben weil dessen Rechtskraftsfähigkeit nicht soweit reicht, um die Entscheidung auf gegen Zwischenurteile eingelegte Rechtsmittel ausschließen oder wirkungslos machen zu können.

Der vorliegende Fall, in welchem es sich um eine auf kontradiktorische Verhandlung ergangene Sachentscheidung handelt, giebt keine Veranlassung zum Eingehen auf die Frage, ob sich die Sache anders gestaltet, wenn ein Versäumnisurteil vorliegt, und es mag hier nur bemerkt werden, daß die Konsequenzen, welche man aus dem von der C.P.O. angenommenen System der Kontumazialfolgen glaubt herleiten zu müssen (vgl. Struckmann und Koch, C.P.O. §. 297), als nur aus dem Kontumazialverfahren der C.P.O. entspringende Besondernheiten für das auf kontradiktorische Verhandlung erlassene Urteil bedeutungslos sind.

Mit Unrecht hat daher die Vorinstanz die Berufung gegen das die prozeßhindernde Einrede verwerfende Zwischenurteil aus dem Grunde als gegenstandslos zurückgewiesen, weil das in der Sache erfolgte Erkenntnis über den Grund des Anspruches unangefochten geblieben und mithin rechtskräftig geworden. Nicht nur findet die vom O.L.G. befolgte Ansicht in den vorstehend ausgeführten Gründen ihre Widerlegung, sondern ihr tritt auch weiter noch das Bedenken entgegen, wie es sich sollte rechtfertigen lassen, wenn die C.P.O., welche dem Beklagten gegen Vorentscheidungen, die seine prozeßhindernde Einrede verwerfen oder den wider ihn erhobenen Anspruch dem Grunde nach anerkennen, zur weiteren Fortsetzung seiner Verteidigung nur die Anfechtung dieser Zwischenurteile mit den gegen Endurteile zulässigen Rechtsmitteln offen läßt, ihm doch die Verfolgung dieses Weges so erschwert und verkümmert hätte, als dies der Fall sein würde, wenn er gegen jedes weiter in der Sache ergehende Erkenntnis, auch wenn ihm dasselbe keine Veranlassung zur Beschwerde giebt, ein Rechtsmittel einlegen und behufs Verhinderung der Rechtskraft bis in die höchste Instanz verfolgen müßte, weil er sonst Gefahr laufen würde, daß sein das Zwischenurteil anfechtendes Rechtsmittel in der einen oder anderen Instanz für gegenstandslos erklärt und sogar ein in höchster Instanz erreichtes, die Klage abweisendes Erkenntnis sich als wirkungslos ausweisen könnte, indem es zurücktreten müßte gegen ein inzwischen formell rechtskräftig gewordenes erstinstanzliches Urteil, welches im abgesonderten Verfahren auf eine Verhandlung über den Betrag des Anspruches ergangen ist, seinem Wortlaute nach aber die Verurteilung zu einer bestimmten Summe ausspricht. Außerdem darf nicht einmal vorausgesetzt werden, daß es immer in der Willkür des Beklagten stehe, die formelle Rechtskraft einer solchen Sachentscheidung so lange zu verzögern, bis seine Anfechtung des Zwischenurteiles eine endgültige Entscheidung über die vorgeschützte prozeßhindernde Einrede oder über den von ihm bekämpften Grund des Anspruches zur Folge hat. Denn in dieser Beziehung kommen nicht nur die Vorschriften der C.P.O. in Berücksichtigung, welche die Zulässigkeit der Revision beschränken und es mit sich führen, daß die höchste Instanz für die Anfechtung der die prozeßhindernde Einrede verwerfenden Vorentscheidung offen stehen kann, während sie für die Sache selbst verschlossen ist, vgl. §§. 508 und 509 C.P.O., sondern insbesondere auch, daß die Möglichkeit keineswegs ausgeschlossen ist, daß auf das gegen ein Zwischenurteil verfolgte Rechtsmittel in höchster Instanz zunächst nur ein ersteres aufhebendes Erkenntnis ergeht, die endgültige Entscheidung also noch für längere Zeit in der Schwebe bleibt. Dem Ausgeführten zufolge beruht das angefochtene Erkenntnis des Berufungsgerichtes auf einer rechtsirrtümlichen Erwägung; gleichwohl ist die getroffene Entscheidung aus anderen Gründen aufrechtzuerhalten. Der Kläger hat die Bergisch-Märkische Eisenbahngesellschaft, vertreten durch das Königl. Eisenbahnbetriebsamt zu Kassel, auf Grund des Haftpflichtgesetzes belangt, indem er davon ausging, daß die prozessualische Vertretung der Beklagten wider den klagbar gemachten Anspruch zum Geschäftskreise des genannten Betriebsamtes gehöre. Hiergegen würde seitens der Beklagten laut Tatbestandes der ersten Instanz nur die Einrede der mangelnden gesetzlichen Vertretung und zwar aus dem Grunde erhoben, weil nicht die Betriebsämter, sondern die Eisenbahndirektionen zur Führung derartiger Prozesse berufen seien. Diese Einrede ist schon von dem ersten Richter aus zutreffenden Gründen zurückgewiesen worden. Nach §.16 der Organisationsbestimmungen für die Eisenbahnverwaltung vom 24. November 1879 ist den Betriebsämtern die Erledigung aller Geschäfte der laufenden Verwaltung, insbesondere auch die Vornahme von Rechtshandlungen und speziell die Führung von Prozessen zugewiesen, soweit nämlich diese Geschäfte nicht der Direktion vorbehalten sind. Zu diesen vorbehaltenen Geschäften gehört nach §. 14 3 c die Entscheidung über die Ansprüche aus dem Haftpflichtgesetze, wenn die vergleichsweise zu gewährende Entschädigung den Betrag einer jährlichen Rente von 300 M übersteigt. Da es sich aber gegenwärtig nicht um die Abschließung eines Vergleiches, sondern um die Führung eines Rechtsstreites handelt, so muß die erwähnte Vorschrift des §.16 in Kraft treten und demgemäß das Betriebsamt zur prozessualischen Vertretung der beklagten Eisenbahngesellschaft befugt erscheinen.

Neben der Einrede der mangelnden gesetzlichen Vertretung hat die Beklagte in der vorigen Instanz noch weiter eingewendet, daß sie nicht in Kassel, sondern in ihrem allgemeinen Gerichtsstande, in Elberfeld, hätte belangt und von der dort domizilierten Direktion hätte vertreten werden sollen. Dieser Einwand, welcher bezweckt, die bis dahin nicht erhobene Einrede der Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes in zweiter Instanz neu einzuführen, kann nach Lage der Sache nicht für statthaft erachtet werden. Denn nicht nur steht jenem Einwände der §. 490 C.P.O. entgegen, insofern die Beklagte nicht glaubhaft gemacht hat, daß sie außer Stand gewesen, ihre Einrede schon in der ersten Instanz geltend zu machen, sondern es tritt dieser Einrede noch besonders der Umstand in den Weg, daß es sich in dem gegenwärtigen abgesonderten Verfahren nur und allein um die Einrede, wegen deren die Trennung des Verfahrens angeordnet worden, das ist, um die Einrede der mangelnden gesetzlichen Vertretung handeln kann und daß deshalb jedes Hinausgreifen über diese Einrede als ein unstattthaftes Hinausgreifen über den durch die gedachte Anordnung begrenzten Rahmen des schwebenden Inzidentstreites sich darstellen muß."

  • 1. Urt. des zweiten Civilsenates vom 25. Oktober 1881. Vgl. oben S. 393.