RG, 08.10.1918 - VII 181/18

Daten
Fall: 
Abtretungen der Versicherungsansprüche
Fundstellen: 
RGZ 94, 26
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
08.10.1918
Aktenzeichen: 
VII 181/18
Entscheidungstyp: 
Urteil

Gilt die Bestimmung der Versicherungsbedingungen, daß Abtretungen der Versicherungsansprüche zur Rechtswirksamkeit gegenüber der Versicherungsgesellschaft der Anzeige des Verfügungsberechtigten an sie bedürfen, auch für Versicherungsscheine, die auf den Inhaber ausgestellt sind?

Tatbestand

Die Witwe L. versicherte ihr Leben bei der Beklagten. Die Versicherungssumme ist an einem bestimmten Tage an die Versicherte, falls sie früher stirbt, an den Inhaber des Versicherungsscheins zu zahlen. Die Versicherte ist früher verstorben. Der Kläger forderte mit der Behauptung, daß die Witwe L. ihm den Versicherungsschein ausgehändigt und die Rechte aus diesem abgetreten habe, die Versicherungssumme. Die Beklagte bestritt, daß der Kläger ihr gegenüber forderungsberechtigt sei, weil nach den Versicherungsbedingungen zur Rechtswirksamkeit von Abtretungen der Ansprüche aus der Versicherung Anzeige erforderlich, diese ihr aber nicht gemacht worden sei.

Das Berufungsgericht wies aus diesem Grunde die Klage ab. Auf die Revision des Klägers wurde das Urteil aufgehoben.

Aus den Gründen

..."Der Mangel der Berechtigung des Klägers wird hergeleitet aus den in den §§ 15, 16 der Versicherungsbedingungen enthaltenen Bestimmungen. § 15 mit der Überschrift "Verpfändung und Abtretung" lautet in seinem hier in Betracht kommenden Abs. 1:

erpfändungen und Abtretungen der Ansprüche aus der Versicherung sind der V. gegenüber nur dann rechtswirksam, wenn ihrem Vorstande eine schriftliche Anzeige des bisherigen Verfügungsberechtigten zugegangen ist.

§ 16 trägt die Überschrift "Inhaberklausel" und bestimmt:

Die V. ist befugt, den Inhaber des Versicherungsscheins als berechtigt zur Verfügung über alle Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag, insbesondere zur Empfangnahme der von der V. zu leistenden Zahlungen anzusehen, kann aber den Nachweis der Verfügungs- oder Empfangsberechtigung verlangen. ...

Nach diesen Bestimmungen in Verbindung mit den im Versicherungsschein enthaltenen Worten:

die V. zahlt die Versicherungssumme am 1. Mai 1942 oder, wenn der Versicherte früher stirbt, sofort nach dessen Tode an den Inhaber des Versicherungsscheins -- sei -- so führt das Berufungsgericht aus -- die Rechtslage zu beurteilen. Es handle sich bei dem mit der vorstehenden Klausel versehenen Versicherungsscheine nicht um ein echtes, sondern um ein sogen. hinkendes Inhaber- oder Ausweispapier. Verpfändung und Abtretung seien deshalb nach den hierfür bei Forderungen geltenden Grundsätzen zu beurteilen. Der Kläger habe danach ein Recht auf die Versicherungssumme nur durch Abtretung, wie sie aus dem Schreiben der Versicherungsnehmerin vom 27. Oktober 1914 zu entnehmen sei, erwerben können. Die Rechtswirksamkeit der Abtretung von Ansprüchen aus der Versicherung sei aber nach § 15 der Beklagten gegenüber abhängig von der schriftlichen Anzeige der bisherigen Verfügungsberechtigten an ihren Vorstand. Auch bei Versicherungsscheinen mit der Inhaberklausel sei die Beklagte befugt, den Nachweis der Verfügungs- oder Empfangsberechtigung zu verlangen. Daraus ergebe sich, daß § 16, obschon er keine Bezugnahme auf § 15 enthalte, doch nach logischer Auslegung zu ergänzen sei. Er sei dahin aufzufassen, daß die Beklagte auch bei Inhaberpolicen den ihr nachgewiesenen Erwerb des Anspruchs als ihr gegenüber wirksam nicht anzuerkennen brauche, wenn beim Erwerbe durch Abtretung an sie keine Anzeige gemäß § 15 erfolgt sei. Eine solche Anzeige habe nicht stattgefunden und deshalb sei der Kläger nicht als forderungsberechtigt anzusehen.

Den von der Revision gegen diese Entscheidung gerichteten Angriffen war der Erfolg nicht zu versagen. Sie fechten in erster Reihe die den Versicherungsbedingungen gegebene Auslegung als §§ 133, 157, 808 BGB. verletzend an." (folgen prozessuale Angriffe. Darauf wird fortgefahren:) "Die vorinstanzliche Auslegung der Versicherungsbedingungen ist für das Revisionsgericht aus dem Gesichtspunkte der tatsächlichen Feststellung des Vertragswillens der Parteien nicht bindend. Soweit durch die allgemeinen Versicherungsbedingungen einer Versicherungsgesellschaft alle hierunter fallenden Vertragsverhältnisse mit ihr übereinstimmend geregelt werden, ist für die Feststellung des für den Einzelfall zu ermittelnden Vertragswillens kein Raum. Das Revisionsgericht hat deshalb selbständig den Sinn der allgemeinen Versicherungsbedingungen zu ermitteln (vgl. RGZ. Bd. 81 S. 117). Bei dieser Ermittelung ist den Ausführungen des angefochtenen Urteils über das Verhältnis der §§ 15 und 16 der Bedingungen zueinander nicht beizutreten und deshalb die hieraus zuungunsten des Klägers gezogene Folgerung nicht aufrecht zu erhalten.

Zutreffend ist es, daß neben dem im Versicherungsscheine selbst über den Zahlungsempfänger Bestimmten für die Frage der Forderungsberechtigung des Klägers gegenüber der Beklagten deren Versicherungsbedingungen mit in Betracht kommen. Zutreffend ist es weiter, daß es sich bei dem Versicherungsscheine nicht um ein Inhaberpapier im engeren Sinne, sondern um ein Ausweispapier handelt und daß deshalb hier für den Kläger als Erwerbsakt die Abtretung des Forderungsrechts in Betracht kommt. Zuzugeben aber ist der Revision, daß Wortlaut und Inhalt der beiden auszulegenden Bestimmungen keinen ausreichenden Anhalt für die Annahme des Berufungsgerichts bieten, auch bei Versicherungsscheinen mit der Inhaberklausel müsse die Abtretung der Beklagten, um ihr gegenüber wirksam zu sein, vom bisherigen Gläubiger angezeigt werden.

Die Bestimmungen in den §§ 15 und 16 dienen der Regelung der rechtlichen Verhältnisse Dritter zu der Gesellschaft. Das ist ihnen gemeinsam. Diese rechtlichen Beziehungen aber selbst sind, wie schon äußerlich die Überschriften zeigen, in jeder der Bestimmungen besonderer Art. § 15 handelt von den nicht auf den Inhaber lautenden Versicherungsscheinen und verlangt für die Abtretung der Ansprüche aus ihnen zur Rechtswirksamkeit gegenüber der Gesellschaft Anzeige. Damit wird eine dem § 403 BOB. entsprechende Bestimmung getroffen, welche die Gesellschaft bei Leistungen an den ihr benannten Zessionar vor weiteren Ansprüchen schützt. § 16 gibt für Versicherungsscheine mit der Inhaberklausel die gesetzlichen Vorschriften des § 808 BGB. wieder. Einer Schutzbestimmung, wie sie § 15 enthält, bedurfte es hier nicht. Denn die Gesellschaft kann ohne weiteres den Inhaber als berechtigt ansehen und an ihn mit befreiender Wirkung zahlen. Daraus allein, daß sie das nicht braucht, sondern den Nachweis der Verfügungs- oder Empfangsberechtigung verlangen kann, rechtfertigt sich nicht die Annahme, daß dieser Nachweis ein dem § 15 entsprechender sein, also eine Abtretung der Gesellschaft angezeigt sein muß. Bei der Auffassung des Berufungsgerichts wird die Verkehrserleichterung, welche die Inhaberklausel schaffen soll, wieder beseitigt, die rechtliche Stellung des Inhabers ohne einen hierzu zwingenden Grund erschwert. Dafür, daß die Gesellschaft, wenn von ihr der Nachweis der Berechtigung des Inhabers für erforderlich erachtet wird, mehr als einen nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen ausreichenden Erwerb nachgewiesen verlangen kann, bieten die auszulegenden Bedingungen keinen Anhalt. Die beiden Bestimmungen gehen, ohne im inneren Zusammenhange zu stehen, nebeneinander her. Sie behandeln, wie erwähnt, rechtliche Beziehungen Dritter verschiedener Art, es fehlt an einem Grunde, an die Abtretung als Erwerbsakt in beiden Fällen die gleiche Anforderung zu stellen, und es ist deshalb für eine ergänzende Auslegung des § 16 kein Raum.

Auch wenn aber die Auslegung des Berufungsgerichts nur als eine fernliegende, aber immerhin als mögliche zuzulassen und zuzugeben ist, daß die Beklagte die Bestimmungen in den §§ 15, 16 so, wie sie das Berufungsgericht auslegt, gemeint hat, kann das zu keinem dem Kläger ungünstigen Ergebnis führen. Es liegt dann, da der § 16 keinen Hinweis auf § 15 enthält und deshalb aus ihm mindestens für den nicht Rechtsverständigen, nicht zu entnehmen ist, daß auch bei der besonders behandelten Inhaberpolice ebenfalls Anzeige von der Abtretung gemäß § 15 zu erstatten ist, eine Unklarheit der Bestimmungen vor. Unklarheiten in den von ihr entworfenen Versicherungsbedingungen gehen aber nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts zu Lasten der Gesellschaft. Deshalb kann die Beklagte auch aus diesem Grunde nicht für berechtigt erachtet werden, die Forderungsberechtigung des Klägers unter Berufung auf § 15 der Bedingungen in Abrede zu stellen." ...