RG, 13.02.1884 - I 500/83
1. Wie regelt sich die Beweislast in Beziehung auf die Frage, ob der Brand, durch welchen die dem Spediteur zur Aufbewahrung übergebenen Güter mit dem Lagergebäude vernichtet sind, ein den Spediteur von seiner Haftung entbindender Unglücksfall sei?
2. Bezieht sich die kurze Verjährungsfrist des Art. 386 H.G.B. auch auf die dem Spediteur zur Aufbewahrung übergebenen Güter?
Tatbestand
Am 25. Oktober 1876 brannte das Lagergebäude der beklagten Spediteure mit den darin gelagerten Gütern ab. Unter denselben befanden sich eine Anzahl Kisten, welche der Agent der Kläger den Beklagten zur Aufbewahrung eingeliefert hatte. Wegen dieser Kisten mit Inhalt hat der Kaufmann R. Entschädigungsklage erhoben. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil Kläger den Beweis, daß das Feuer durch Verschulden der Beklagten ausgekommen sei, nicht erbracht habe. Das Oberlandesgericht hat dem Kläger einen Eid auferlegt, für den Fall der Ableistung Beklagte verurteilt.
Gründe
"Bei dem Landgerichte ist über die Entstehung des Feuers Beweis aufgenommen. Danach sieht das Landgericht folgenden Sachverhalt als erwiesen an: Der Parterreraum des Lagergebäudes diente zum Lagern von Waren, im Souterrain lagerte Rohspiritus. Am 25. Oktober 1876 wurde durch die Arbeiter der Beklagten in dem Lagerraum Rohspiritus abgefüllt. In dem Fußboden dieses Lagerraums befand sich eine Öffnung; durch diese wurde ein in das Spiritusbehältnis des Souterrains mündender Schlauch eingeleitet, auf diesen ein Holztrichter aufgesetzt; in diesen ließen die Arbeiter den Spiritus aus den zu entleerenden Fässern dadurch ablaufen, daß sie diese Fässer heranschafften und so legten, daß der Spiritus nach geöffnetem Spund in den Trichter hinabfloß.
Die Arbeit ist, wie der Kläger angiebt, mit Vorwissen der Beklagten, teils bei Tageslicht, teils bei Lampenlicht verrichtet. Nach den in dem Thatbestande in Bezug genommenen protokollierten Aussagen der Zeugen ist eine mit Petroleum gefüllte Sturmlaterne zur Beleuchtung angewendet; die brennende Lampe habe auf dem Fußboden gestanden; nach Verlauf etwa einer Stunde habe eine Flamme empor- und auch aus der Lampe herausgeschlagen; die Flamme habe schnell um sich gegriffen, der Güterboden mit allem, was darin war, sei verbrannt.
Es sind Sachverständige vernommen. Auf Grund der von diesen erstatteten Gutachten hat das Landgericht angenommen, Kläger habe den Beweis des Verschuldens der Beklagten am Auskommen des Feuers nicht erbracht; es hat deswegen die Klage abgewiesen.
Dagegen geht das Berufungsurteil davon aus, Beklagte haben auch, abgesehen von der Bestimmung des Art. 380 H.G.B., zu beweisen, daß die von ihnen übernommene Rückgabe der aufbewahrten Güter lediglich infolge eines von ihnen nicht zu vertretenden Zufalls, unmöglich geworden, daß also die Zerstörung ohne ihr Verschulden eingetreten sei. Diesen Beweis haben Beklagte nicht zu erbringen vermocht. Im Gegenteil deuten die in erster Instanz stattgehabten Beweiserhebungen eher auf ein Verschulden der Beklagten an dem eingetretenen Unfälle hin. Denn offenbar sei es eine Hintansetzung der ihnen obliegenden diligentia in costudendo, wenn sie auf ihrem Güterboden in unmittelbarer Nähe leicht brennbarer Waren größere Quantitäten Spiritus bei Licht umfüllen ließen. Es sei auch anzunehmen, daß der Brand nach der von den Zeugen geschilderten Entstehung durch die Entzündung des Spiritus veranlaßt und so rapid verbreitet worden, möge nun die Entzündung durch die Laterne oder auf andere Weise herbeigeführt sein. Für die Entzündung des Spiritus und deren Folgen müssen aber Beklagte einstehen, wenn sie mit dieser leicht entzündlichen Flüssigkeit inmitten der ihnen zur Aufbewahrung übergebenen Güter in so wenig vorsichtiger Weise hantieren ließen.
Die von den Revisionsklägern gegen diese Begründung gerichteten Angriffe können als begründet nicht anerkannt werden, namentlich hat das Oberlandesgericht weder die Beweiskraft falsch beurteilt, noch das Erfordernis des Kausalzusammenhanges unrichtig aufgefaßt.
Der Unterschied in der Beweislast, welcher bei der Frage nach der Schuld oder Unschuld zwischen den aus der Verschuldung entspringenden Deliktsobligationen und den durch einen unverschuldeten Untergang der geschuldeten Spezies zur Tilgung gelangenden Vertragsobligationen besteht, tritt bezüglich der praktischen Konsequenzen allerdings nicht immer mit der anschaulichen Bestimmtheit hervor, wie im vorliegenden Falle. Wenn das Gebäude des Schuldners mit allen in demselben aufbewahrten eigenen und fremden Sachen durch eine Feuersbrunst zerstört wird, so wird dieses Ereignis auch in Vertragsverhältnissen so lange als ein unverschuldetes angesehen werden dürfen, als nicht Momente hervortreten, welche eine Verschuldung des zur Rückgabe der aufbewahrten fremden Sachen Verpflichteten anzeigen. Bleibt unbekannt, wie das Feuer ausgekommen ist, so hat der Schuldner den ihm obliegenden Beweis erbracht, wenn er im allgemeinen nachweist, daß er in Aufbewahrung der Sachen bis zu Ende sorgfältig verfahren ist; es liegt ihm nicht der positive Beweis ob, daß er weder das Feuer angelegt, noch die Entstehung desselben in irgend einer der verschiedenen denkbaren Weisen durch Fahrlässigkeit veranlaßt habe. Anders stellt sich die Sache aber dann, wenn, wie im vorliegenden Falle, feststeht, wie das Feuer ausgekommen, und zugleich Thatsachen vorliegen, welche den zur Aufbewahrung und Rückgabe verpflichteten Schuldner belasten. Nach der thatsächlichen Feststellung des Oberlandesgerichtes ist das Feuer durch Entzündung des Spiritus ausgekommen, und die Beklagten haben mit dem Spiritus unter Beiseitesetzung der ihnen bezüglich der Aufbewahrung der ihnen anvertrauten Sachen obliegenden Sorgfalt hantiert. Diese Feststellung allein mag nicht hinreichen, um eine Haftung der Beklagten zu begründen, wenn dieselben aus einem Delikte in Anspruch genommen worden wären. Hier würde der Kläger nicht bloß eine Verschuldung und einen Schaden, sondern er würde zu beweisen haben, daß der Schaden die Folge jener Verschuldung sei, also etwa, daß sich der Spiritus infolge davon, daß eine angezündete Petroleumlampe in der Nähe gebrannt hat, entzündet habe. Dieser Beweis ist aber nach der landgerichtlichen Feststellung nicht erbracht, und das Oberlandesgericht ist über diese Feststellung nicht hinausgegangen, hat es vielmehr dahingestellt sein lassen, ob die Entzündung des Spiritus durch die von den Arbeitern gebrauchte Laterne oder auf eine andere Weise herbeigeführt sei.
Jene Feststellung genügt aber, um die Folgerung nicht mehr als berechtigt erscheinen zu lassen, daß die den Beklagten anvertrauten Sachen durch einen Zufall untergegangen seien, weil sie durch eine Feuersbrunst zerstört sind. Auch durch die landgerichtliche Feststellung wird die Annahme nicht ausgeschlossen, daß unter Hinzutritt weiterer begünstigender Momente der Spiritus zufolge der von den Arbeitern gebrauchten Laterne entzündet sein kann; bei solchem Sachverhalte hört jeder Grund auf, die Feuersbrunst zu Gunsten der Beklagten als einen Zufall gelten zu lassen, welchen sie nicht zu vertreten haben. Es genügt nun nicht mehr der Beweis, daß die Beklagten etwa im allgemeinen die ihnen obliegende Sorgfalt in der Aufbewahrung der anvertrauten Sachen aufgewendet haben, sie hätten vielmehr den positiven Beweis erbringen müssen, daß die Feuersbrunst in der ihnen, zur Last gelegten leichtsinnigen Hantierung seine Ursache nicht gehabt habe, daß, und welche andere davon unabhängige und von ihnen nicht zu vertretende Thatsachen den Brand hervorgerufen haben. Einen solchen Beweis haben die Beklagten weder nach der Annahme des Oberlandesgerichts, noch nach der Annahme des Landgerichts erbracht. Es ist auch nicht zu ersehen, welche Momente für diesen Beweis aus den Gutachten der in erster Instanz vernommenen Sachverständigen zu entnehmen gewesen wären, sodaß sich auch der Vorwurf als unbegründet herausstellt, der Berufungsrichter habe bei seinen Feststellungen jene Gutachten nicht genügend gewürdigt." ... (Folgt eine Auseinandersetzung, welche sich gegen die Behauptung der Beklagten wendet, Kläger könne Schadensersatz nicht fordern, weil er schuldhafterweise die zur Aufbewahrung übergebenen, demnächst verbrannten Güter nicht gegen Feuerschaden versichert habe.)
"Weiter ist auch die Einrede der Verjährung mit Recht verworfen. Das Oberlandesgericht hat zutreffend und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Reichsoberhandelsgerichts1 angenommen, daß sich die in Art. 386 H.G.B. geordnete kurze Verjährungsfrist lediglich auf diejenigen Ansprüche bezieht, welche gegen den Spediteur, als solchen, aus demselben übertragenen Transporten zustehen. Übernimmt der Spediteur die Aufbewahrung von Gütern gegen Entgelt, so verjährt die Klage nach Maßgabe der Bestimmungen des bürgerlichen Rechts." ...
- 1. vgl. Entsch. des R.O.H.G.'s. Bd. 24 Nr. 80,