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BVerfG, 28.06.1955 - 2 BvH 1/54

Daten
Fall: 
Gebietsbestand der Länder
Fundstellen: 
BVerfGE 4, 250; NJW 1955, 1313 (Ls.); NJW 1955, 1674 (Ls.)
Gericht: 
Bundesverfassungsgericht
Datum: 
28.06.1955
Aktenzeichen: 
2 BvH 1/54
Entscheidungstyp: 
Urteil

1. Der Fall, daß Rechte eines untergegangenen Landes gegen das aufnehmende Land geltend gemacht werden, ist prozessual entsprechend dem in § 71 Ab. 1 Nr. 2 BVerfGG ausdrücklich genannten Fall einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit zwischen Ländern zu behandeln.
2. Selbstverwaltungskörperschaften, die die Bevölkerung des untergegangenen Landes in ihrer Gesamtheit repräsentieren, können für das untergegangene Land Rechte aus dem Eingliederungsvorgang gegen das aufnehmende Land vor dem Bundesverfassungsgericht geltend machen.
3. Vor Erlaß des Grundgesetzes und der Landesverfassungen konnten die Länder der britischen Zone miteinander Staatsverträge abschließen, für deren Zustandekommen das vom Besatzungsrechtüberlagerte deutsche Verfassungsrecht maßgebend war. Auch für diese Zeit gilt es als Satz gemeindeutschen Verfassungsrechts, daß die Regierung zum Abschluß von Verträgen, die sich auf Gegenstände der Gesetzgebung beziehen, der Zustimmung des Parlaments bedarf. Solche Verträge bedurften ferner der Genehmigung der Besatzungsmacht.
4. Die Länder sind mit dem territorialen Bestand unter den Geltungsbereich des Grundgesetzes getreten, der sich faktisch aus den Maßnahmen der Besatzungsmächte ergab. Die Materie der Änderung des Gebietsbestandes der Länder ist seither in den Art. 29 und 118 GG erschöpfend geregelt.

Inhaltsverzeichnis 

Urteil

des Zweiten Senats vom 28. Juli 1955
– 2 BvH 1/54 –
in dem Verfassungsrechtsstreit betreffend die Durchführung des Ersten Gesetzes zur Ordnung des Schulwesens im Lande Nordrhein-Westfalen vom 8. April 1952 im Gebiet des ehemaligen Landes Lippe; – Antragsteller: 1. der Landesverband Lippe, 2. die Kreise Detmold und Lemgo; Antragsgegner: für das Land Nordrhein-Westfalen die Landesregierung, vertreten durch den Ministerpräsidenten.

Entscheidungsformel:
Die Anträge werden zurückgewiesen.

Gründe:

A.

I.

1.

Das Land Lippe war wie alle anderen deutschen Länder durch das Gesetz über den Neuaufbau des Reiches vom 30. Januar 1934 seiner Hoheitsrechte entkleidet worden. Im Jahre 1945 war es durch Maßnahmen der britischen Besatzungsmacht wieder errichtet worden (vgl. Vorläufige Ordnung der Verwaltung des Lippischen Landes vom 10. Mai 1945; GS 1945 Nr. 1). An seine Spitze hatte der britische Oberbefehlshaber den Landespräsidenten Drake gestellt, der bereits 1918 bis 1933 der lippischen Landesregierung angehört hatte. Ihm wurde im Mai 1946 ein ernannter Landtag zur Seite gestellt. Am 3. Dezember 1946 gab Landespräsident Drake im Landtag bekannt, daß die Militärregierung die von ihm im Benehmen mit dem Landtag vorgeschlagenen beiden weiteren Mitglieder der Landesregierung bestätigt habe.

Aus den Provinzen des ehemaligen Landes Preußen bildete die britische Militärregierung durch die Verordnung Nr. 46 Länder, und zwar wurde dabei die Provinz Westfalen mit den Regierungsbezirken Aachen, Düsseldorf und Köln der Rheinprovinz zum Land Nordrhein-Westfalen zusammengefaßt. Zum ersten Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen bestellte die Militärregierung am 24. Juli 1946 den bisherigen Oberpräsidenten der Provinz Westfalen Dr. Amelunxen. Auch ihm wurde ein ernannter Landtag zur Seite gestellt.

Durch die Verordnung Nr. 57 grenzte die britische Militärregierung mit Wirkung vom 1. Dezember 1946 "die Befugnisse der Regierungen und der gesetzgebenden Körperschaften der Länder in der britischen Besatzungszone" einstweilen ab. Um die Wende der Jahre 1946/47 bestimmte sich der Status der Länder Nordrhein-Westfalen und Lippe gleichermaßen nach dieser Verordnung. Sie waren von der Besatzungsmacht ins Leben gerufene und mit begrenzten Befugnissen ausgestattete "Länder" im Rahmen des fortbestehenden Deutschen Reiches.

Schon im Sommer 1946 hatte die britische Militärregierung ihren Plan bekanntgegeben, den Verwaltungsaufbau in der britischen Zone, der sich zunächst an die ehemaligen deutschen Länder und preußischen Provinzen angelehnt hatte, zu reorganisieren (vgl. Schreiben der Kontrollkommission für Deutschland [britischer Teil] an den Zonenbeirat vom 4. Juli 1946 ZAC/B [46] 36). Da diese Neuordnung höchstens fünf Länder ergeben sollte, konnte Lippe als selbständiges Land nicht weiter bestehen bleiben. Umstritten war, mit welchem Land es vereinigt werden sollte. Die Regierung des Landes Hannover erstrebte die Vereinigung Lippes mit dem aus Hannover, Braunschweig, Oldenburg und Schaumburg-Lippe neu zu bildenden Land Niedersachsen. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen, wie vorher bereits die Provinzialregierung Westfalen, erachtete die Vereinigung mit Nordrhein-Westfalen für die gegebene Lösung. In Lippe selbst waren die Meinungen geteilt. Landtag und Landesregierung betonten in mehreren Kundmachungen, "daß eine verwaltungsmäßige Trennung des Landes Lippe von dem Gebiet Minden-Ravensberg eine jahrhundertealte natürliche Bindung zerstören würde und schwerste wirtschaftliche und bevölkerungspolitische Nachteile und Schädigungen zur Folge haben müßte" (so z.B. der einstimmige Beschluß des Landtages vom 29. Juli 1946).

2.

Da eine Lostrennung des Bezirks Minden-Ravensberg von Nordrhein-Westfalen nicht zu erwarten war, bemühte sich Landespräsident Drake, durch Verhandlungen mit Ministerpräsident Amelunxen die besonderen Belange Lippes für den Fall zu sichern, daß die Militärregierung die Eingliederung Lippes in Nordrhein-Westfalen verfügen sollte.

Im einzelnen nahmen die Verhandlungen folgenden Verlauf:
Als Ergebnis mündlicher Vorverhandlungen übersandte Landespräsident Drake dem Ministerpräsidenten Dr. Amelunxen mit Schreiben vom 4. Dezember 1946 eine Aufstellung der lippischen Wünsche, die er mit der Überschrift versehen hatte: "Für den Fall der Aufnahme des Landes Lippe in das Gebiet des Landes Nordrhein-Westfalen".

In der Kabinettssitzung vom 5. Dezember 1946 akzeptierte die Landesregierung des Landes Nordrhein-Westfalen diese Wünsche als "Richtlinien, nach denen im Falle der Aufnahme des Landes Lippe in das Gebiet des Landes Nordrhein-Westfalen verfahren werden soll". Das von Landespräsident Drake übersandte Dokument wurde von Ministerpräsident Dr. Amelunxen handschriftlich in einigen Punkten geändert. Die Überschrift lautete nunmehr: "Für den Fall der Aufnahme des Landes Lippe in das Gebiet des Landes Nordrhein-Westfalen hat die Landesregierung Nordrhein-Westfalen in ihrer heutigen Sitzung folgende Richtlinien aufgestellt:". Das Dokument wurde von Dr. Amelunxen am 5. Dezember 1946 unterzeichnet und am gleichen Tage an Landespräsident Drake übersandt als Anlage zu einem Brief, in dem es nur heißt: "In der Anlage übersende ich das Ihnen zugesagte Schriftstück."

Am 10. Dezember 1946 bestätigte Landespräsident Drake den Eingang dieses Briefes. Er bezeichnete die Anlage als den "mir freundlichst zurückgesandten Entwurf der Vorschläge für die Übernahme, die die Bestätigung des Kabinetts gefunden haben". In diesem Schreiben berichtete Landespräsident Drake zunächst über Verhandlungen, die er mit einem Vertreter der britischen Kontrollkommission, Mr. Albu, geführt habe. Es heißt darin:

"Durch reichliches Kartenmaterial habe ich die Lage der Dinge veranschaulicht und in meinem Vortrage darauf hingewiesen, daß unter allen Umständen vermieden werden müsse, das Land Lippe aus der alt überkommenen und in neuerer Zeit noch gefestigten Verbindung mit Minden-Ravensberg herauszureißen. Ein Blick auf die Landkarte ergebe, daß bei diesem Verfahren Lippe aus der 75 Voigen Umklammerung mit westfälischem Gebiet gelöst und zu einem scharf nach Westen vorspringenden Zacken des niedersächsischen Gebiets würde, so daß eine blutende Wunde entstände. Eine solche Maßnahme könne – obwohl ich an sich in dieser Frage allgemein die Volksbefragung nicht für zweckmäßig hielte – ohne eine Volksabstimmung nicht durchgeführt werden. Auch in dem Falle, daß der Kontrollrat den Teutoburger Wald als Grenze zwischen Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen für vertretbar hielte, sei eine Volksabstimmung erforderlich, und bis zu dieser Entscheidung bleibe Lippe am besten im Verbände Nordrhein-Westfalen mit eigener Verwaltung, aber unter Auflösung des lippischen Landtags und der vorläufigen Beteiligung der lippischen Bevölkerung an den Landtagswahlen für Nordrhein-Westfalen.
Alle Einzelheiten würden in diesem Falle am zweckmäßigsten mit der Landesregierung in Düsseldorf zu vereinbaren sein."

In einem Schreiben vom 13. Dezember 1946 an die britische Kontrollkommission z. Hd. von Mr. Albu hatte Landespräsident Drake diese Vorschläge auch schriftlich zusammengefaßt.

Unter dem 6. Januar 1947 teilte der Gebietsbeauftragte der britischen Militärregierung für das Land Nordrhein-Westfalen, Mr. Asbury, dem Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen die Entscheidung mit, daß die endgültige Regelung der lippischen Frage zurückgestellt werde, daß aber das Land Lippe als solches beseitigt ("abolished") und als Teil des Landes Nordrhein-Westfalen verwaltet werden solle. Die Verordnung werde alsbald ergehen. Inzwischen möge der Ministerpräsident mit Landespräsident Drake Fühlung nehmen und mit ihm die Art und Weise bestimmen, wie die Verwaltung des Landes Lippe von dem Land Nordrhein-Westfalen übernommen werden solle. Die gemeinsam von Ministerpräsident Amelunxen und Landespräsident Drake ausgearbeiteten Vorschläge für die Zusammenfassung der Verwaltung erwarte er bis zum 17. Januar 1947, da er an diesem Tage in der letzten Sitzung des Landtages des Landes Lippe sprechen wolle. Es heißt dann weiter unter Nr. 6: " In meiner Ansprache werde ich betonen, daß es sich nur um eine ganz provisorische Anordnung handelt, und ich werde das Versprechen abgeben, daß in Lippe und im Regierungsbezirk Minden ein Volksentscheid stattfindet, sobald die Verhältnisse die Erzielung eines gerechten Ergebnisses möglich machen, spätestens aber in 5 Jahren von heute ab gerechnet." Unter Nr. 7 wird endlich hinzugefügt: "Wenn Sie mit Herrn Drake die Mittel und Wege zur Durchführung dieser Verwaltungszusammenfassung überlegen, bitte ich Sie, das Versprechen zu geben, daß während der Zeit dieser vorläufigen Regelung die kulturellen und religiösen Interessen von Lippe gewahrt bleiben, und daß nichts geschieht, was der endgültigen Regelung Abbruch tun könnte." Auf Grund dieses Briefes hatte Ministerpräsident Amelunxen am 8. Januar 1947 eine Besprechung mit Landespräsident Drake. Über das Ergebnis berichtete er dem Gouverneur des Landes Nordrhein-Westfalen mit Schreiben vom 8. Januar 1947. Weder aus der von den Antragstellern überreichten, als Manuskript gedruckten Darstellung der Vorgänge von Landespräsident Drake noch aus den vom Antragsgegner überreichten Fotokopien ergibt sich, in welcher Weise dieses Schreiben des Ministerpräsidenten an den Militärgouverneur der lippischen Landesregierung zur Kenntnis gebracht worden ist.

Am 17. Januar 1947 fertigte Landespräsident Drake auf einem Bogen mit dem Kopf "Der Landespräsident" ein Dokument aus, das die Überschrift trägt:

"Richtlinien
für die Aufnahme des Landes Lippe
in das Gebiet des Landes Nordrhein-Westfalen.
(Vereinbart zwischen Ministerpräsident Dr. Amelunxen und Landespräsident Drake. Bestätigt sowohl von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen wie von der Lippischen Landesregierung.)"

Es folgen die Richtlinien Nr. 116 (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 24. Februar 1954, BVerfGE 3, 269 ff.). Auf einem weiteren Blatt gab Landespräsident Drake den Inhalt des Schreibens des Ministerpräsidenten Amelunxen an Mr. Asbury vom 8. Januar 1947 wieder mit dem Vermerk: "Die obigen Vereinbarungen sind durch folgende Zusätze ergänzt worden:" (vgl. a.a.O. S. 271 A–C). Dieses Dokument versah Landespräsident Drake mit seiner Unterschrift und gab es zu den Akten der Lippischen Regierung.

Den Antragstellern war durch Verfügung vom 13. Mai 1955 aufgegeben worden, einen Auszug aus dem Protokoll der Landesregierung betreffend die "Bestätigung" der "Vereinbarung" einzureichen. Sie haben sich dazu nicht geäußert. Die dem Senat vorliegenden Protokolle über die Sitzungen des lippischen Landtages ergeben, daß die 10. Sitzung am 3. Dezember 1946, also vor Aufstellung der Richtlinien stattgefunden hat. Die 11. Sitzung war die feierliche Schlußsitzung am 21. Januar 1947. Aus den Protokollen ergibt sich nicht, daß die "Richtlinien" und "Zusätze" dem Landtag zur Kenntnis gebracht und von diesem bestätigt worden sind. In ihren Schlußansprachen im lippischen Landtage am 21. Januar 1947 haben weder der Gebietsbeauftragte Mr. Asbury noch Landespräsident Drake auf die "Richtlinien" oder auf vertragliche Vereinbarungen mit dem Lande Nordrhein-Westfalen Bezug genommen.

  1. Mit Wirkung vom 21. Januar 1947 erließ die britische Militärregierung die Verordnung Nr. 77 "Land Lippe". Artikel 1 bestimmte, daß das Land Lippe mit Inkrafttreten der Verordnung seine Selbständigkeit als Land verliere und Teil des Landes Nordrhein-Westfalen werde ("shall cease to exist as a separate Land and shall become part of Land Nord Rhein-Westfalen").

Nordrhein-Westfalen vereinigte die Verwaltungen des bisherigen Regierungsbezirks Minden und des Landes Lippe. Durch Erlaß des Innenministers vorn 2. Juni 1947 wurde für die vereinigten Behörden die Bezeichnung "Der Regierungspräsident Detmold" und für den Regierungsbezirk die Bezeichnung "Regierungsbezirk Detmold" eingeführt. Unter dem 5. November 1948 ergingen das "Gesetz über die Vereinigung des Landes Lippe mit dem Land Nordrhein-Westfalen" und das "Gesetz über den Landesverband Lippe". Beide Gesetze erlangten die Genehmigung des Militärgouverneurs erst am 12. September 1949. Sie wurden im Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen Nr. 40 vom 28. September 1949 verkündet (S. 267, 269) und traten am 12. Oktober 1949 in Kraft.

4.

Da die britische Militärregierung in der Präambel zur Verordnung Nr. 77 eine Umgliederung Lippes – "reorganization" – auf Grund eines "referendum" vorbehalten hatte, das innerhalb von fünf Jahren nach dem Inkrafttreten der Verordnung abgehalten werden sollte, legte die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen dem Landtag am 5. März 1951 den Entwurf eines Gesetzes über eine Volksabstimmung in den Landkreisen Detmold und Lemgo vor (Landtagsdrucksache Nr. 230). In diesem Gesetzentwurf war der 24. Juni 1951 als Tag der Volksabstimmung vorgesehen, die über folgende Frage gehen sollte: "Soll das frühere Land Lippe bei dem Lande Nordrhein-Westfalen verbleiben? – Ja – Nein." Welche Folgerungen aus der Volksabstimmung gezogen werden sollten, war in dem Entwurf nicht bestimmt. Durch Vorlage vom 30. Oktober 1951 (Landtagsdrucksache Nr. 513) änderte die Landesregierung den Entwurf dahin ab, daß die Abstimmung nicht am 24. Juni 1951, sondern am 13. Januar 1952 stattfinden sollte. Unter dem 22. März 1951 hatte der Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen bei dem Landeskommissar der Militärregierung angefragt, ob die Besatzungsbehörde Einwendungen gegen den Gesetzentwurf und die Durchführung der Abstimmung erheben würde. In seinem Antwortschreiben vom 29. Juni 1951 hatte der Landeskommissar auf den Art. 29 GG und seine Suspendierung durch das Schreiben der Militärgouverneure vom 12. Mai 1949 verwiesen. Die Bundesregierung habe zwar darum gebeten, die Suspendierung aufzuheben, auf dieses Ersuchen sei jedoch noch keine Entscheidung erfolgt. "Unter diesen Umständen wäre es wünschenswert, daß die Landesregierung dem Landtag empfehlen würde, den Gesetzentwurf vorläufig aufzuschieben." Am 4. Dezember 1951 hörte der Hauptausschuß des Landtages Vertreter der lippischen Bevölkerung. Nachdem sie erfahren hatten, daß die Landesregierung der Abstimmung nur einen rein informatorischen Charakter beilege, erklärten sie, daß sie auf eine solche Volksabstimmung keinen Wert legten. Dagegen äußerten sie den Wunsch, daß Nordrhein-Westfalen und Lippe Vereinbarungen treffen sollten zur Durchführung der im Jahre 1946 von den beiden Landesregierungen abgesprochenen "Richtlinien". Auf Anregung des Hauptausschusses zog daraufhin die Landesregierung ihren Gesetzentwurf zurück (vgl. die Ausführungen des Innenministers Dr. Flecken in der 35. Sitzung des Landtages vom 11. Dezember 1951, Landtag Nordrhein-Westfalen, 2. Wahlperiode, Bd. II, S. 1302 f.).

In der Folgezeit fanden Verhandlungen zwischen der Landesregierung und Repräsentanten der lippischen Bevölkerung statt, die dazu führten, daß der Ministerpräsident am 14. Januar 1952 vor lippischen Vertretern eine Erklärung abgab über die Richtlinien, von denen sich die Landesregierung bei der Verwaltung des lippischen Landesteils im einzelnen leiten lassen wolle. Diese Erklärung wurde dem Hauptausschuß des Landtages zur Kenntnis gebracht und auf Grund eines Beschlusses des Hauptausschusses in einem Punkte abgeändert, sodann endgültig vom Ministerpräsidenten am 22. Januar 1952 unterzeichnet und dem Landtagspräsidenten wie auch den Repräsentanten der lippischen Bevölkerung bekanntgegeben. In der Einleitung zu dieser Erklärung heißt es unter anderem:

"Die Landesregierung hat rechtlich keine Möglichkeit, durch einen förmlichen Staatsvertrag mit dem Landesverband Lippe oder den Kreisen Detmold und Lemgo Verpflichtungen zu übernehmen, weil ein solcher Staatsvertrag nur zwischen Trägern staatlicher Souveränität geschlossen werden kann. Auch eine Verwaltungsvereinbarung oder ein privatrechtlicher Vertrag wären nicht geeignet, ein Ergebnis zu erzielen, das den berechtigten Wünschen der lippischen Bevölkerung entspricht, denn die Landesregierung kann rechtlich die Gesetzgebung nicht binden. Sie kann und will jedoch ihre Absichten, die sie für den ehemals lippischen Landesteil hegt, bekanntgeben und dadurch der Sache nach den an sie herangetragenen Wünschen nachkommen."
5. Die am 11. Juli 1950 in Kraft getretene Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. Juni 1950 enthält für den Aufbau des Volksschulwesens in Artikel 12 folgende Grundsätze:

"1. Die Volksschulen sind Bekenntnisschulen, Gemeinschaftsschulen oder Weltanschauungsschulen.
2. In Bekenntnisschulen werden Kinder des katholischen oder Kinder des evangelischen Glaubens im Geiste ihres Bekenntnisses erzogen und unterrichtet. In Gemeinschaftsschulen werden Kinder verschiedener Religionsangehörigkeit auf der Grundlage christlicher Bildungs- und Kulturwerte erzogen und unterrichtet.
In Weltanschauungsschulen, zu denen auch die bekenntnisfreien Schulen gehören, werden die Kinder im Geiste der betreffenden Weltanschauung erzogen und unterrichtet.
3. Die Wahl der Schulart steht den Erziehungsberechtigten zu.
Auf Antrag der Erziehungsberechtigten sind, soweit ein geordneter Schulbetrieb gewährleistet ist, in einem durch Gesetz festzulegenden Verfahren Schulen nach Absatz 2 einzurichten. Auch die wenig gegliederte und ungeteilte Schule gilt grundsätzlich als geordneter Schulbetrieb.
4. Die Lehrer müssen die persönlichen und sachlichen Voraussetzungen erfüllen, die sich aus dem Charakter der einzelnen Schulart ergeben."

In den "Übergangs- und Schlußbestimmungen" der Verfassung findet sich in Artikel 89 die sogenannte Lippe-Klausel: "Auf dem Gebiete des Schulwesens gelten in dem ehemaligen Lande Lippe die Rechtsvorschriften vom 1. Januar 1933 bis zur endgültigen Entscheidung über die staatsrechtliche Eingliederung Lippes in das Land Nordrhein-Westfalen." Zur Durchführung des Artikels 12 der Verfassung erging das Erste Gesetz zur Ordnung des Schulwesens im Lande Nordrhein-Westfalen vom 8. April 1952 (GVBl. S. 61). Das Gesetz enthält keine Ausnahmeklausel für den Bereich des ehemaligen Landes Lippe. In der obenerwähnten Erklärung vom 22. Januar 1952 hatte der Ministerpräsident zur Schulfrage ausgeführt:

"Die seinerzeit zwischen dem Lande Nordrhein-Westfalen und dem Lande Lippe vereinbarten Richtlinien vom 17. Januar 1947 enthielten in Ziffer 9 Abs. 2 folgende Bestimmung: ‚Die lippische Gemeinschaftsschule bleibt im Rahmen der allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen erhalten.' Als solche allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen sind seit Verabschiedung der Landesverfassung die Artikel 8 und 12 der Verfassungsurkunde anzusehen. Danach bildet das natürliche Recht der Eltern, die Erziehung und Bildung ihrer Kinder zu bestimmen, die Grundlage des Erziehungs- und Schulwesens.

Die Volksschulen sind Bekenntnis-, Gemeinschafts- oder Weltanschauungsschulen, und die Wahl der Schulart steht den Erziehungsberechtigten zu. Demnach gibt es im Lande Nordrhein-Westfalen keine Regelschule, sondern nur gleichberechtigte Antragsschulen.
Die Übergangsbestimmung in Artikel 89 der Verfassung wird am 21. Januar 1952 gegenstandslos. Die Ordnung des Schulwesens im Landesteil Lippe muß nunmehr den Bestimmungen der Landesverfassung angeglichen werden. Nach Auffassung der Landesregierung kann dies nur im Zuge der Schulgesetzgebung geschehen. Die Landesregierung beabsichtigt, die Ordnung des lippischen Schulwesens durch das Landesschulgesetz im Rahmen der Verfassung des Landes so zu gestalten, daß der gegenwärtige Zustand fortdauert (§ 21 des Schulgesetzentwurfs ‚Stabilitätsparagraph'), es sei denn, daß im Einzelfalle die Mehrheit der Erziehungsberechtigten die Umwandlung der Schule in eine Bekenntnisschule wünscht oder daß die Minderheit eine Schule ihres Bekenntnisses verlangt."

Auf Grund des Schulgesetzes stellten in den Gemeinden Detmold, Lemgo und Bad Salzuflen die erforderliche Anzahl von Erziehungsberechtigten Anträge auf Errichtung einer katholischen Bekenntnisschule zu Ostern 1953. Die Gemeinden weigerten sich jedoch, das Verfahren durchzuführen, mit der Begründung, daß die endgültige staatsrechtliche Stellung des ehemaligen Landes Lippe zum Land Nordrhein-Westfalen noch ungeklärt sei, und daß das nordrhein-westfälische Schulgesetz in Lippe nicht angewendet werden dürfe, soweit die Eigenart des lippischen Schulwesens berührt werde. Sie berichteten darüber im Oktober 1952 dem Regierungspräsidenten in Detmold. Dieser teilte der Stadtverwaltung Lemgo mit Schreiben vom 18. November 1952 mit, daß auf die angeschnittenen Fragen von dort aus keine abschließende Antwort gegeben werden könne. Die aufgeworfenen Zweifelsfragen seien dem Kultusministerium zur Entscheidung unterbreitet worden. Der Standpunkt des Kultusministeriums bzw. der Landesregierung werde zur gegebenen Zeit bekanntgegeben werden.

Im Dezember 1951, März 1952 und Juli 1952 waren drei Verfassungsbeschwerden von lippischen Bürgern beim Bundesverfassungsgericht – Erster Senat – eingereicht worden, die die Verletzung von Grundrechten durch Nichtabhaltung der Volksabstimmung in Lippe und durch Erzwingung der Eidesleistung der lippischen Lehrer auf die Verfassung von Nordrhein-Westfalen rügten. In seinem Schreiben an den Regierungspräsidenten in Detmold vom 5. Dezember 1952 (I B 5 120/5/50) verwies der Ministerpräsident auf diese beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahren und führte aus: "Die Landesregierung ist der Auffassung, daß der Ausgang dieser beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahren abgewartet werden sollte, da ihr Gegenstand eine verbindliche Stellungnahme des höchsten Gerichtshofs der Bundesrepublik zu den hier interessierenden Streitfragen zumindest in den Urteilsgründen erwarten läßt."

Am 30. Juni 1953 stellte die Landesregierung des Landes Nordrhein-Westfalen beim Verfassungsgerichtshof des Landes gemäß Artikel 75 Nr. 3 der Landesverfassung den Antrag, "festzustellen, daß das Erste Gesetz zur Ordnung des Schulwesens im Lande Nordrhein-Westfalen vom 8. April 1952 (GVBl. S. 61) mit Artikel 89 der Landesverfassung vereinbar ist, obwohl es keine Vorschriften enthält, die auf dem Gebiete des Schulwesens im ehemaligen Land Lippe die dort vor dem 1. Januar 1933 geltenden Rechtsvorschriften aufrechterhalten". Durch Urteil vom 23. Januar 1954 erkannte der Landesverfassungsgerichtshof für Recht: "Das erste Gesetz zur Ordnung des Schulwesens im Lande Nordrhein-Westfalen vom 8. April 1952 (GVBl. S. 61) ist mit Artikel 89 der Landesverfassung vereinbar" (Entsch. der Oberverwaltungsgerichte für das Land Nordrhein-Westfalen und die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein, Bd. 8, S. 194 f.).
Während das von der Landesregierung eingeleitete Normenkontrollverfahren beim Verfassungsgerichtshof lief, stellten am 30. Dezember 1953 der Landesverband Lippe, die Kreise Detmold und Lemgo sowie die Städte Detmold, Lemgo und Bad Salzuflen beim Bundesverfassungsgericht den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gegen die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, durch die die Durchführung des Schulgesetzes im Land Lippe vorläufig ausgesetzt werden sollte. Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 24. Februar 1954 (2 BvQ 1/54; BVerfGE 3, 267 ff.) zwar die Parteifähigkeit des Landesverbandes Lippe und der Kreise Detmold und Lemgo und ihre Aktivlegitimation anerkannt, Rechte des untergegangenen Landes Lippe aus dem Eingliederungsvorgang gegen das Land Nordrhein-Westfalen geltend zu machen. Er hat jedoch den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung als unbegründet abgewiesen.

Nach Erlaß der Urteile des Verfassungsgerichtshofes und des Bundesverfassungsgerichts erteilte der Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen dem Regierungspräsidenten in Detmold die Weisung, nunmehr die Gemeinden anzuhalten, das Schulgesetz durchzuführen. In seinem Schreiben vom 23. März 1954 (I – 16.29 Nr. 270/53) heißt es unter anderem:
"Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist gemäß Art. 31 BVerfGG für alle Behörden und Gerichte bindend, soweit dadurch festgestellt wird, daß bundesverfassungsrechtlich der Durchführung des Schulgesetzes keine Hindernisse im Wege stehen.

Soweit es sich landesverfassungsrechtlich um die Vereinbarkeit der Durchführung des Schulgesetzes nach Art. 89 handelt, verweise ich auf die Ihnen bereits bekannte Entscheidung des Landesverfassungsgerichtes vom 23. Januar 1954 (GVBl. S. 70).

Ich möchte unter diesen Umständen annehmen, daß die beteiligten Kreise und Gemeinden die notwendige Einsicht für die Durchführung des Schulgesetzes, soweit Anträge der Erziehungsberechtigten hierzu vorliegen, zeigen werden. Ich bitte Sie, das Erforderliche zu veranlassen. Sollten beteiligte Gebietskörperschaften weiterhin uneinsichtig sein, so wird mit den Mitteln der Kommunalaufsicht vorzugehen sein. Über das Ergebnis bitte ich, der Frau Kultusminister und mir zu berichten."

Durch Verfügung vom 9. April 1954 wies daraufhin der Regierungspräsident die Oberkreisdirektoren in Detmold und Lemgo an, dafür zu sorgen, daß die Anträge der Erziehungsberechtigten auf Errichtung von katholischen Bekenntnisschulen in der im Schulgesetz vom 8. April 1952 und in den Verfahrensvorschriften zum 3. Abschnitt des Schulgesetzes vom 14. August 1952 vorgeschriebenen Art und Weise umgehend bearbeitet und entschieden würden. Da die Gemeinden auch weiterhin der Durchführung des Schulgesetzes Widerstand entgegensetzten, wurde die Errichtung von 7 katholischen Bekenntnisschulen in Lippe zum 1. April 1955 mit den Mitteln der Kommunalaufsicht erzwungen. Zu Ostern 1955 sind katholische Bekenntnisschulen in Detmold, Lemgo, Lage, Bad Salzuflen, Sabbenhausen, Niese-Klüterberg und Hommersum-Falkenhagen eröffnet worden.

II.

Mit Schriftsatz vom 17. Juli 1954 haben die Antragsteller beim Bundesverfassungsgericht einen gegen das Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch die Landesregierung, gerichteten Antrag eingereicht, mit dem sie die Feststellung begehrten:

"1. Es wird festgestellt, daß die Erklärung der Eingliederung des ehemaligen Landes Lippe in das Land Nordrhein-Westfalen am 22. Januar 1952 ohne Durchführung einer Volksabstimmung oder eine an ihre Stelle tretende Willensentscheidung des ehemaligen Landes Lippe und das Festhalten an dieser Erklärung gegen den ungeschriebenen Grundsatz der Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten und gegen weitere vorkonstitutionelle Grundsätze verstoßen, wie sie für die Bundesrepublik in Art. 20 Abs. 2, Art. 25, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 und Art. 38 GG ausdrücklich bestätigt worden sind.
2. Es wird festgestellt, daß die Erklärung der Eingliederung des ehemaligen Landes Lippe in das Land Nordrhein-Westfalen am 22. Januar 1952 ohne Durchführung einer Volksabstimmung oder eine an ihre Stelle tretende Willensentscheidung des ehemaligen Landes Lippe und das Festhalten an dieser Erklärung gegen die rechtsgültigen und rechtsverbindlichen Punktationen vom 17. Januar 1947 (insbesondere Ziffer 1 und Zusatz A und B), gegen den von dem damaligen Regional Commissioner, Mr. Asbury, in seinem Schreiben an den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen vom Januar 1947 und in seiner Erklärung in der Schlußsitzung des lippischen Landtages vom 21. Januar 1947 zum Ausdruck gebrachten Willen, gegen die Präambel der VO Nr. 77 vom 21. Januar 1947 und gegen das Lippegesetz vom 5. November 1948 (Präambel und § 1) verstoßen.
3. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen wird verpflichtet, zur Klärung der Frage der endgültigen Eingliederung des angegliederten Landes Lippe an Nordrhein-Westfalen auf der Grundlage der Punktationen unverzüglich die Willensentscheidung des Landesverbandes Lippe und der Kreise Detmold und Lemgo herbeizuführen.
4. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen wird verpflichtet, die Durchführung des Schulgesetzes vom 8. April 1952 in dem Gebiete des ehemaligen Landes Lippe zu unterlassen;
hilfsweise,
die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen wird verpflichtet, die Durchführung des Schulgesetzes in dem Gebiete des ehemaligen Landes Lippe vor der endgültigen Eingliederung zu unterlassen."

Die Anträge sind mit Schriftsatz vom 21. Juni 1955 geändert und in der mündlichen Verhandlung vom 28. Juni 1955 in folgender Fassung gestellt worden:

"1. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen ist verpflichtet, die Durchführung der Punktationen durch Vereinbarungen mit dem Landesverband Lippe und den Kreisen Detmold und Lemgo im einzelnen festzulegen und die Zustimmung des Landtages von Nordrhein-Westfalen dazu einzuholen;
2. die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen ist verpflichtet, die zum 1. April 1955 auf Grund des Schulgesetzes erzwungene Errichtung von katholischen Bekenntnisschulen im ehemaligen Land Lippe rückgängig zu machen;
3. die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen ist verpflichtet, die Durchführung des Schulgesetzes in dem Gebiete des ehemaligen Landes Lippe zu unterlassen,
hilfsweise,
die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen ist verpflichtet, die Durchführung des Schulgesetzes in dem Gebiete des ehemaligen Landes Lippe vor der endgültigen Eingliederung oder dem vorherigen Abschluß einer entsprechenden Vereinbarung mit dem Landesverband Lippe und den Kreisen Detmold und Lemgo zu unterlassen."

Die Antragsteller sind der Meinung, daß die von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen im Dezember 1946 aufgestellten "Richtlinien" und die von Landespräsident Drake so bezeichneten "Zusätze" einen rechtsverbindlichen Staatsvertrag zwischen Lippe und Nordrhein-Westfalen darstellen, der die Gesetzgebung Nordrhein-Westfalens gegenüber dem ehemals lippischen Landesteil binde. Sie haben daher zusätzlich angeregt, das Gericht möge gemäß § 72 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 67 Satz 3 BVerfGG feststellen,

"daß die zwischen Lippe und Nordrhein-Westfalen vereinbarten Punktationen rechtsverbindlich zustandegekommen und auch heute noch für das Land Nordrhein-Westfalen verbindlich sind".

Die Antragsteller halten die Landesregierung ganz allgemein für verpflichtet, zur Durchführung der von ihnen als "Punktationen" bezeichneten "Richtlinien" und "Zusätze" Vereinbarungen mit dem Landesverband Lippe und den Kreisen Detmold und Lemgo abzuschließen, weil "Zusatz B" bestimme, daß "die einzelnen Punkte der Vereinbarungen festgelegt werden", "sobald die in Aussicht gestellte Verordnung des Kontrollrates erlassen ist", weil Nr. 8 der "Richtlinien" auf besondere Vereinbarungen bezüglich des lippischen Landesvermögens verweise und weil Nr. 5 der "Richtlinien" bestimme, daß vor der Berufung des Regierungspräsidenten "auch Verhandlungen mit den Exponenten des Volkswillens in Lippe geführt" würden.

In der Durchführung des nordrhein-westfälischen Schulgesetzes im ehemaligen Land Lippe erblicken die Antragsteller eine Verletzung der Nr. 9 der "Richtlinien", da die in diesem Gesetz vorgeschriebene Errichtung von Bekenntnisschulen auf Antrag von Erziehungsberechtigten die überkommene christliche Gemeinschaftsschule des ehemaligen Landes Lippe zerschlage; diese Schule aber sei in ihrem Bestände durch Nr. 9 der "Richtlinien" gesichert. Nordrhein-Westfalen sei daher nicht nur verpflichtet, die weitere Durchführung des Schulgesetzes zu unterlassen, sondern auch die erzwungene Errichtung von katholischen Bekenntnisschulen rückgängig zu machen.

Die Antragsteller haben zwar in der mündlichen Verhandlung erklärt, daß sie ihre ursprünglich aufgestellte These von dem besonderen staatsrechtlichen Status des ehemaligen Landes Lippe als "Unterstaatsfragment" des Landes Nordrhein-Westfalen nicht mehr aufrechterhalten; wie sich aus dem Hilfsantrag zu Nr. 3 ergibt, sind sie aber nach wie vor der Meinung, daß das Land Lippe noch nicht endgültig mit dem Land Nordrhein-Westfalen vereinigt ist. Sie berufen sich dafür auf die Präambel zur Militärregierungsverordnung Nr. 77. Nach ihrer Meinung soll jedoch an Stelle der darin erwähnten Volksabstimmung auch eine Willensentscheidung der zuständigen Organe des Landesverbandes Lippe und der Kreise Detmold und Lemgo die endgültige Eingliederung Lippes in Nordrhein-Westfalen herbeiführen können.

Der Antragsgegner hat um Zurückweisung der Anträge als unzulässig, hilfsweise als unbegründet gebeten.

Er hält die Anträge für unzulässig, weil sie nicht innerhalb der durch § 71 Abs. 2 i.V.m. § 64 Abs. 3 BVerfGG vorgeschriebenen Ausschlußfrist von sechs Monaten gestellt worden seien, und weil bezüglich der Durchführung des Schulgesetzes das Bundesverfassungsgericht durch Urteil vom 24. Februar 1954 bereits rechtskräftig entschieden habe, daß die Durchführung des Gesetzes nicht gegen die Punktationen verstoße. Er hält die Anträge für unbegründet, weil die "Richtlinien" keinen rechtsverbindlichen Staatsvertrag darstellten, weil Nordrhein-Westfalen nach diesen Richtlinien nicht verpflichtet sei, Vereinbarungen abzuschließen, und weil der Abschluß von Vereinbarungen mit einem untergegangenen Staatswesen überhaupt eine rechtliche Unmöglichkeit sei. Überdies bleibe die lippische Gemeinschaftsschule, wie es Nr. 9 der "Richtlinien" vorsehe, im Rahmen der allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen erhalten, da die lippische Schule als Gemeinschaftsschule im Sinne des Schulgesetzes anerkannt sei, sie also als solche bestehen bleibe und die daneben mögliche Errichtung von Bekenntnisschulen den Bestand der Gemeinschaftsschule als solcher nicht erschüttere.

B.

I.

Die Antragsteller machen Rechte eines untergegangenen Landes geltend, die in unmittelbarem Zusammenhang mit seinem Untergang stehen. Wie das Gericht bereits in seinem Urteil vom 24. Februar 1954 festgestellt hat (BVerfGE 3, 279), ergibt sich aus dem Sinnzusammenhang der Nr. 3 und 4 des Art. 93 Abs. 1 GG, daß für alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten aus dem bundesstaatlichen Verhältnis, wenigstens subsidiär, der Rechtsweg an das Bundesverfassungsgericht eröffnet werden sollte, soweit es sich nicht um verwaltungsrechtliche Streitigkeiten handelt. Deshalb muß die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts für alle Fälle dieser Art gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG anerkannt werden. Der Fall, daß Rechte eines untergegangenen Landes gegen das aufnehmende Land geltend gemacht werden, ist prozessual entsprechend dem in § 71 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG ausdrücklich genannten Fall einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit zwischen Ländern zu behandeln.
Das Land Lippe hat mit dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 77 der britischen Militärregierung sein Dasein als Land verloren und ist in dem Land Nordrhein-Westfalen aufgegangen. Die Antragsteller, der Landesverband Lippe und die Kreise Detmold und Lemgo, sind aber die Selbstverwaltungskörperschaften, die die Bevölkerung des ehemaligen Landes Lippe in ihrer Gesamtheit repräsentieren. Ihnen muß daher die Befugnis eingeräumt werden, für das untergegangene Land Rechte gegen das Land Nordrhein-Westfalen vor dem Bundesverfassungsgericht geltend zu machen. Das Gericht führt damit einen Grundsatz weiter, der bereits von der Staatsrechtslehre der Weimarer Zeit entwickelt worden war, wenn sie anerkannte, daß nach Art. 18 Abs. 7 WRV auch Teile eines aufgelösten Landes, die in irgendeiner Form die Eigenschaft von juristischen Personen des öffentlichen Rechtes haben, bei einem Streit über die Vermögensauseinandersetzung den Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich als Partei anrufen konnten (vgl. Triepel, Streitigkeiten zwischen Reich und Ländern, 1923, S. 36 Anm. 1; Lammers, Gesetz über den Staatsgerichtshof 1921, S. 71 f.; Giese, die Verfassung des Deutschen Reiches, 8. Aufl. 1931, Art. 18 Anm. 10; Hubrich, Das demokratische Verfassungsrecht des Deutschen Reiches, 1921, S. 51; Altenberg, AöR 40, S. 211). In Fortentwicklung dieser Überlegung ist die Aktivlegitimation solcher Verbände auch in solchen Streitigkeiten anzuerkennen, in denen andere Rechte des untergegangenen Landes aus dem Eingliederungsvorgang geltend gemacht werden sollen.

II.

Das Bundesverfassungsgericht ist also zuständig, über Streitigkeiten der hier vorliegenden Art zu entscheiden, und die Antragsteller sind aktivlegitimiert, Rechte des ehemaligen Landes Lippe, die sich aus dem Eingliederungsvorgang ergeben, geltend zu machen.

1.

§ 72 BVerfGG legt den Inhalt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in den Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG (§ 13 Nr. 8 BVerfGG) fest. Es bedarf hier nicht der Prüfung, ob damit der Gegenstand des Rechtsstreites und der Inhalt der Entscheidung erschöpfend und bindend für alle Fälle des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG bestimmt ist. Im vorliegenden Fall ist § 72 Abs. 1 BVerfGG entsprechend anzuwenden, nach dem das Gericht in seiner Entscheidung erkennen kann auf
1. die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer Maßnahme,
2. die Verpflichtung des Antragsgegners, eine Maßnahme zu unterlassen, rückgängig zu machen, durchzuführen oder zu dulden,
3. die Verpflichtung, eine Leistung zu erbringen.

Die Anträge halten sich in diesem Rahmen, indem begehrt wird die Feststellung,
1. daß der Antragsgegner verpflichtet ist, eine Maßnahme, nämlich den Abschluß von Vereinbarungen, durchzuführen (Antrag Nr. 1);
2. daß der Antragsgegner verpflichtet ist, eine Maßnahme, nämlich die Durchführung des Schulgesetzes im ehemaligen Lande Lippe, zu unterlassen (Antrag Nr. 3);
3. daß der Antragsgegner verpflichtet ist, eine Maßnahme, nämlich die Errichtung von katholischen Bekenntnisschulen, rückgängig zu machen (Antrag Nr. 2).
Für die Verfahren nach § 13 Nr. 8 BVerfGG gilt nach § 71 Abs. 2 die Vorschrift des 5 64 Abs. 3 entsprechend. Der Antrag muß daher binnen sechs Monaten, nachdem die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung dem Antragsteller bekannt geworden ist, gestellt werden.

2.

Bezogen auf den Fall, daß die Durchführung einer Maßnahme Gegenstand des Antrages ist, bedeutet das, daß die Frist spätestens in dem Augenblick zu laufen beginnt, in dem der Antragsgegner sich eindeutig geweigert hat, die Forderung des Antragstellers zu erfüllen. Folgt man dem Vortrag der Antragsteller und unterstellt eine Verpflichtung des Antragsgegners, auf Grund der "Richtlinien" weitere Vereinbarungen abzuschließen, so ist die Frist spätestens mit der Erklärung des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten vom 22. Januar 1952 in Lauf gesetzt worden, in deren Eingang eindeutig der Abschluß von Verträgen abgelehnt worden ist. Demgegenüber können die Antragsteller sich nicht auf die Verhandlungen berufen, die die Landesregierung bis in die jüngste Zeit mit Exponenten des Volkswillens in Lippe und lippischen Verwaltungsstellen geführt hat. Die Landesregierung hat immer wieder erklärt, daß sie sich an die "Richtlinien" gebunden erachte und willens sei, bei ihrer Durchführung mit den lippischen Stellen loyal zusammenzuarbeiten. Aber Verhandlung und Verständigung bedeuten insoweit nur die Vorstufe zu einseitigem Handeln der Landesregierung; sie dokumentieren nicht die Bereitschaft zum Abschluß förmlicher Verträge. Der Antrag Nr. 1 war daher wegen Fristversäumnis als unzulässig zu verwerfen.

3.

Antrag Nr. 2 betrifft dem Wortlaut nach keine Maßnahme des Antragsgegners. Die Errichtung der öffentlichen Volksschulen liegt den Gemeinden ob. Die Errichtung der katholischen Bekenntnisschulen in Lippe auf Grund des nordrhein-westfälischen Schulgesetzes bleibt eine Maßnahme der Gemeinden, auch wenn sie vom Staat mit den Mitteln der Kommunalaufsicht erzwungen wurde. Man wird den Antrag Nr. 2 aber dahin deuten können, daß er die Rückgängigmachung derjenigen Maßnahmen begehrt, die der Antragsgegner getroffen hat, um die Errichtung der katholischen Bekenntnisschulen in Lippe zu erzwingen: es soll festgestellt werden, daß der Antragsgegner verpflichtet ist, die kommunalaufsichtlichen Maßnahmen aufzuheben und die Gemeinden anzuhalten, den gesetzmäßigen Zustand im Sinne der Antragsteller herbeizuführen. In dieser Deutung ist die mit Antrag Nr. 2 begehrte Feststellung nur eine spezielle Folgerung aus der mit Antrag Nr. 3 begehrten allgemeinen Feststellung, daß das Land Nordrhein-Westfalen rechtlich gehindert ist, sein Schulgesetz in Lippe durchzuführen. Antrag Nr. 2 gehört also logisch hinter Antrag Nr. 3, und die Frage der Fristwahrung ist für beide Anträge gleich zu beantworten.

4.

Die Anträge Nr. 2 und 3 betreffen die Zulässigkeit der Durchführung des nordrhein-westfälischen Schulgesetzes in Lippe. Obwohl das Schulgesetz keine Lippe-Klausel enthält und der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen in seiner Erklärung vom 22. Januar 1952 bereits angekündigt hatte, daß die Ordnung des Schulwesens im Land Lippe den Bestimmungen der Landesverfassung angepaßt werde, kann doch die Verkündung des Schulgesetzes am 19. April 1952 die Frist nicht in Lauf gesetzt haben. Es blieb zwischen weiten lippischen Volkskreisen und lippischen Verwaltungsstellen auf der einen Seite und der nordrhein-westfälischen Landesregierung auf der anderen Seite streitig, ob der Geltung des Schulgesetzes im ehemaligen Land Lippe nicht vorkonstitutionelles Zwischenländerrecht (die "Richtlinien") oder Artikel 89 der Landesverfassung entgegenstand. Die Landesregierung mag diese Zweifel rechtlich als nicht begründet angesehen haben; jedenfalls aber muß es ihr als ein Gebot politischer Zweckmäßigkeit erschienen sein, das Schulgesetz nicht eher in Lippe durchzuführen, bis durch verfassungsgerichtliche Entscheidung die Streitfragen geklärt sein würden. Sie hat daher auf den Bericht des Regierungspräsidenten über die Einwendungen der lippischen Gemeinden nicht etwa die Durchführung des Schulgesetzes angeordnet, sondern ausdrücklich weitere Maßnahmen suspendiert. Erst nachdem Verfassungsgerichtshof und Bundesverfassungsgericht die Geltung des Schulgesetzes im ehemaligen Land Lippe bejaht hatten, hat die Landesregierung durch Erlaß des Innenministers vom 23. März 1954 Maßnahmen zur Durchführung des Schulgesetzes im ehemaligen Land Lippe ergriffen. Die am 18. Juli 1954 bei Gericht eingegangenen Anträge Nr. 2 und 3 sind daher fristgemäß gestellt.
5. Zu Unrecht erhebt der Antragsgegner den Einwand der rechtskräftig entschiedenen Sache. Das Urteil des Senats vom 24. Februar 1954 ist im Verfahren betr. Erlaß einer einstweiligen Anordnung ergangen. Dieses Urteil schafft für die Hauptsache keine Rechtskraft.

III.

Die Antragsteller haben zu Nr. 3 einen Hauptantrag und einen Hilfsantrag gestellt. Es ist zunächst das Verhältnis dieser beiden Anträge zueinander zu klären.

1.

Aus dem Hilfsantrag ergibt sich, daß die Antragsteller der Auffassung sind, daß Lippe noch nicht endgültig in Nordrhein-Westfalen eingegliedert ist. Wäre dem wirklich so, dann müßte das Gericht dies auch bei der Entscheidung über den Hauptantrag berücksichtigen. Würde die Vorläufigkeit der Eingliederung Lippes in Nordrhein-Westfalen der Durchführung des nordrhein-westfälischen Schulgesetzes in Lippe entgegenstehen, so wäre Nordrhein-Westfalen zur Zeit gehindert, das Schulgesetz dort durchzuführen, und das Gericht müßte auf die mindestens zeitige Unzulässigkeit erkennen. Aus dem Hilfsantrag ergibt sich jedoch, daß mit dem Hauptantrag die Feststellung begehrt wird, daß Nordrhein-Westfalen schlechthin und für alle Zeit rechtlich gehindert sei, sein Schulgesetz in Lippe durchzuführen, gleichgültig ob Lippe vorläufig oder endgültig eingegliedert ist. Diese Unzulässigkeit könnte sich nur aus dem von den Antragstellern behaupteten Eingliederungsvertrag ergeben.

Die zeitige Unzulässigkeit der Durchführung des Schulgesetzes in Lippe, deren Feststellung mit dem Hilfsantrag begehrt wird, könnte sich ergeben
a) aus dem Faktum der nur vorläufigen Eingliederung;
b) aus einem in seiner Geltung auf diese Zeitdauer begrenzten Eingliederungsvertrag;
c) aus einer besatzungsrechtlichen Auflage;
d) aus Artikel 89 der Landesverfassung.

2.

Der Hilfsantrag stellt neben die "endgültige Eingliederung" als möglichen Zeitpunkt der Durchführbarkeit des nordrhein-westfälischen Schulgesetzes in Lippe den "vorherigen Abschluß einer entsprechenden Vereinbarung mit dem Landesverband Lippe und den Kreisen Detmold und Lemgo".

In den ursprünglichen Anträgen war die "Willensentscheidung des Landesverbandes Lippe und der Kreise Detmold und Lemgo" ersatzweise neben der Volksabstimmung als Voraussetzung für die endgültige Eingliederung gefordert. Im jetzigen Hilfsantrag zu Nr. 3 aber erscheint die "entsprechende Vereinbarung" alternativ neben der "endgültigen Eingliederung" als Voraussetzung für die Durchführung des Schulgesetzes. Dabei ist dem Vorbringen der Antragsteller nicht zu entnehmen, was sie unter einer "entsprechenden" Vereinbarung verstehen. Die Vereinbarung könnte sich hier nicht auf die endgültige Eingliederung beziehen, sondern nur auf die Durchführung des Schulgesetzes. Der Antrag ist insofern prozessual schon aus dem Grunde unzulässig, weil er nicht ergibt, was der Inhalt der Vereinbarung sein soll.

3.

Die Antragsteller lösen sich ferner mit dieser Wendung ihres Hilfsantrages von der mit dem Hauptantrag angefochtenen Maßnahme, nämlich der Durchführung des nordrhein-westfälischen Schulgesetzes in Lippe. In der mit der Alternative des Hilfsantrages angestrebten "Vereinbarung" sehen sie gerade ein Mittel, die Durchführung des nordrhein-westfälischen Schulgesetzes vom 8. April 1952 in Lippe zu verhindern. Sie erstreben für Lippe eine vom übrigen Nordrhein-Westfalen abweichende Gestaltung des Volksschulrechts und halten Nordrhein-Westfalen für verpflichtet, sich über ein Schulgesetz für Lippe mit ihnen vertraglich zu verständigen. Das würde aber nicht nur für den vom Hilfsantrag ins Auge gefaßten Zeitraum der "vorläufigen Eingliederung", sondern schlechthin zutreffen. Ein solches Begehren könnte daher nur mit einem selbständigen Hauptantrag verfolgt werden, würde dann aber nur einen Unterfall der mit Antrag Nr. 1 verfolgten angeblichen Verpflichtung Nordrhein-Westfalens betreffen, durch Vereinbarungen die "Punktationen" durchzuführen. So, wie die Voraussetzung des Abschlusses einer Vereinbarung im Hilfsantrag erscheint, hat sie keine andere Bedeutung als die, die Unzulässigkeit der Durchführung des nordrhein-westfälischen Schulgesetzes in Lippe zu unterstreichen, die bereits mit dem Hauptantrag Nr. 3 geltend gemacht wird. Das Gericht kann sich also bei der Prüfung des Hilfsantrages auf den ersten Fall beschränken.

IV.

1.

Die mit dem Hauptantrag Nr. 3 geltend gemachte rechtliche Unzulässigkeit der Durchführung des nordrhein-westfälischen Schulgesetzes in Lippe soll sich nach Ansicht der Antragsteller aus Nr. 9 der "Richtlinien" und aus "Zusatz A" ergeben. Zu Unrecht aber werten die Antragsteller diese Erklärungen der nordrhein-westfälischen Landesregierung als einen verbindlichen Staatsvertrag.

Der Beurteilung des Hauptantrages Nr. 3 könnte übrigens nur ein Staatsvertrag mit dem Inhalt der "Richtlinien" zugrunde gelegt werden, da die Antragsteller bei diesem Antrag den Zeitraum einer nur "vorläufigen Angliederung" bewußt beiseite lassen und von einer definitiven Regelung ausgehen. Die "Richtlinien" nehmen nämlich weder im Wortlaut noch in der Sache Bezug auf eine nur vorläufige Angliederung Lippes an Nordrhein-Westfalen. Sie sind bereits am 6. Dezember 1946 aufgestellt worden, also zu einem Zeitpunkt, in dem von einer nur provisorischen Maßnahme der Militärregierung noch keine Rede war, und sie sollten, wie sich bereits aus ihrer Überschrift ergibt, schlechthin "für die Aufnahme des Landes Lippe in das Gebiet des Landes Nordrhein-Westfalen" gelten. Der von Landespräsident Drake so genannte "Zusatz A" hingegen ist nichts anderes als eine Wiedergabe der Nr. 2 aus dem Schreiben des Ministerpräsidenten Amelunxen an den Gouverneur des Landes Nordrhein-Westfalen vom 8. Januar 1947. Dieses Schreiben stellte die Antwort des Ministerpräsidenten auf das Schreiben von Mr. Asbury vom 6. Januar 1947 dar. Nr. 7 dieses Schreibens, die in Nr. 2 des Antwortschreibens fast wörtlich aufgegriffen wird, spricht ausdrücklich von der Zeit "dieser vorläufigen Regelung", in der die kulturellen und religiösen Interessen von Lippe gewahrt bleiben sollen. Wenn überhaupt, könnte also "Zusatz A" rechtliche Bedeutung nur für die Dauer einer vorläufigen Angliederung Lippes an Nordrhein-Westfalen haben.

2.

Weder der Inhalt der "Richtlinien" noch der "Zusätze" aber ist in rechtlich bindender Weise zu Zwischen-Länder-Vertrags-Recht erhoben worden.

a) Lippe und Nordrhein-Westfalen hatten allerdings um die Wende des Jahres 1946/47 die Möglichkeit, einen Staatsvertrag über Fragen der Eingliederung abzuschließen. Die Militärregierungsverordnung Nr. 57 hatte mit Wirkung vom 1. Dezember 1946 die Befugnisse der Länder in der britischen Zone geregelt. Wenn Anhang A unter Nr. 1 die "Auswärtigen Angelegenheiten und Erfüllung von Verträgen" aus dem Zuständigkeitsbereich der Länder ausnimmt, so sind damit offensichtlich nur die Beziehungen zu auswärtigen Staaten gemeint, nicht aber die Beziehungen zwischen deutschen Ländern. Landespräsident Drake und Ministerpräsident Amelunxen waren aber nicht befugt, ohne Mitwirkung der Landtage einen Staatsvertrag abzuschließen. Sie haben auch nicht den Willen gehabt, einen Vertrag zu schließen.

b) Landespräsident Drake und Ministerpräsident Amelunxen sind nicht als Beauftragte der Militärregierung in die Verhandlungen eingetreten. Die einzige Verlautbarung der Militärregierung, die sich auf die Führung von Verhandlungen zwischen den Regierungschefs wegen der Übernahme der Verwaltung bezieht, ist das Schreiben des Gebietsbeauftragten an den Ministerpräsidenten vom 6. Januar 1947. Damals waren die "Richtlinien" bereits aufgestellt. Das Schreiben bezog sich weiter nur auf den Zeitraum einer "vorläufigen Regelung". Schließlich lag darin weder eine Anweisung, noch eine Ermächtigung zum Abschluß eines Staatsvertrages, sondern lediglich eine Anregung, sich über die Art und Weise der Übernahme der Verwaltung für die Zeit der vorläufigen Regelung zu verständigen. Die Regierungschefs haben bei ihren Verhandlungen bewußt aus eigener Initiative und als Repräsentanten der beteiligten deutschen Länder gehandelt. Daß diese Länder aus dem Willen der Besatzungsmacht entstanden bzw. wiedererstanden waren, und daß ihre Organe von der Militärregierung eingesetzt waren, ist dafür ohne Bedeutung.

Die Militärregierungsverordnung Nr. 57 hatte die Ausübung deutscher Staatsgewalt durch die Organe der Länder in begrenztem Umfange freigegeben. Lippe und Nordrhein-Westfalen waren zu jenem Zeitpunkt in der gleichen Weise "Länder" des fortbestehenden Deutschen Reiches wie jedes andere damals bestehende Land. Da keine besondere Anweisung der Militärregierung vorlag, konnte ein Staatsvertrag zwischen Lippe und Nordrhein-Westfalen nur nach dem vom Besatzungsrecht überlagerten deutschen Verfassungsrecht Zustandekommen. Die Verfassung beider Länder war damals teils durch ungeschriebene Sätze des gemeindeutschen Verfassungsrechts, teils durch die Vorschriften der Militärregierungsverordnung Nr. 57 bestimmt. Nach dieser Verordnung übte "für das Land" die gesetzgebende Körperschaft "die ausschließliche Gesetzgebung" und die Landesregierung "die vollziehende Gewalt" aus.

Unter "Landesregierung" ist das Kollegium zu verstehen. Nach den vorliegenden Dokumenten hat aber immer nur Landespräsident Drake persönlich gehandelt. Selbst das von ihm gefertigte Dokument vom 17. Januar 1947 trägt nur seine Unterschrift.

Nach der "Vorläufigen Ordnung der Verwaltung des Lippischen Landes", die Landespräsident Drake unter dem 10. Mai 1945 erlassen hatte (GS S. 1), sollten "für die Aufgaben und Befugnisse der Landesregierung ... die reichs- und landesrechtlichen Bestimmungen" gelten. Nach Art. 32 Abs. 2 der lippischen Verfassung von 1920 waren aber Landesverträge von allen Mitgliedern des Landespräsidiums zu unterzeichnen. Landespräsident Drake hatte auch bei Vorstellung der Landesregierung im Landtag am 3. Dezember 1946 erklärt: "Die Landesregierung wird in allen wichtigen Angelegenheiten gemeinsam beraten und beschließen" (vgl. Sitzungsprotokoll). Ein Beschluß der Landesregierung ist von den Antragstellern trotz Auflage nicht nachgewiesen worden.

Zu diesem Mangel auf der lippischen Seite kommt hinzu, daß beide Regierungen bei der Absprache die Landtage nicht beteiligt haben. Der Abschluß von Staatsverträgen gehört zwar zur vollziehenden Gewalt und fiel demnach auch nach der Verordnung Nr. 57 in den Zuständigkeitsbereich der Landesregierung. Aber es ist ein Satz gemeindeutschen Verfassungsrechts, daß die Regierung zum Abschluß von Verträgen, die sich auf Gegenstände der Gesetzgebung beziehen, der Zustimmung des Parlaments bedarf (vgl. Preußische Verfassung 1920 Art. 29 Abs. 1 Satz 2, Lippische Verfassung 1920 Art. 23, Weimarer Reichsverfassung Art. 45 Abs. 3, Nordrhein-Westfälische Verfassung Art. 66 Satz 2, Grundgesetz Art. 59 Abs. 2).

Obwohl Lippe und Nordrhein-Westfalen zu jenem Zeitpunkt keine geschriebenen Verfassungen hatten, beschränkte doch dieser ungeschriebene Verfassungsgrundsatz die Vertretungsbefugnis der Landesregierungen. Der Einwand der Antragsteller, daß es sich nur um ernannte Landtage gehandelt habe, schlägt nicht durch. In jener Phase wiedererstehender deutscher Staatlichkeit unter der obersten Gewalt der Besatzungsmächte wurden die Organe der Länder von der Militärregierung ernannt, die Landesregierungen genau so wie die Landtage. Beide aber handelten als Organe der Länder in dem ihnen von der Besatzungsmacht überlassenen Zuständigkeitsbereich. Wenn die Landtage, und zwar nur die Landtage, zuständig waren, Gesetze zu erlassen, dann bedurfte es auch ihrer Zustimmung zu einem Staatsvertrag, der die Gesetzgebung binden sollte. Die "Richtlinien" bezogen sich aber weitgehend auf Gegenstände der nordrhein-westfälischen Landesgesetzgebung; ihr Inhalt hätte daher nur mit Zustimmung des Landtages zu einer rechtlich bindenden Vereinbarung erhoben werden können.

c) Angesichts der dem Gericht von beiden Parteien vorgelegten eindeutigen Dokumente bedurfte es keiner Vernehmung von Zeugen, um zu der Feststellung zu gelangen, daß im Dezember 1946 weder die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen noch Landespräsident Drake den Willen hatten, einen bindenden Staatsvertrag, abzuschließen.

Für Nordrhein-Westfalen ergibt sich dies schon daraus, daß Ministerpräsident Amelunxen die ihm vom Landespräsidenten Drake übersandten "Wünsche" Lippes entgegengenommen und das Kabinett sie alsdann als einseitige "Aufstellung" von Verfahrens-"Richtlinien" verabschiedet hat.

Auch Landespräsident Drake, der den Empfang der "Richtlinien" als "Entwurf der Vorschläge für die Übernahme" bestätigte, konnte damals nicht der Meinung gewesen sein, das Land Nordrhein-Westfalen vertraglich in rechtsgültiger Weise gebunden zu haben. Er hätte, wenn es in seiner Absicht gelegen hätte, einen bindenden Staatsvertrag abzuschließen, nicht in seinem Schreiben vom 4. Dezember 1946 an Ministerpräsident Amelunxen der Befürchtung Ausdruck geben können, daß sich eine spätere Landesregierung nicht mehr an die "Zugeständnisse" der früheren gebunden erachten könnte. Er hätte auch nicht die zwischen ihm und Ministerpräsident Amelunxen getroffene Absprache als ein bloßes "gentlemen agreement" bezeichnen können. Wesentlich ist weiter, daß Landespräsident Drake, als er bereits im Besitz der von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen aufgestellten "Richtlinien" war, in seinem Schreiben an Mr. Albu vom 13. Dezember 1946 in Nr. 5 für den Fall der endgültigen Vereinigung Lippes mit Nordrhein-Westfalen auf die Notwendigkeit einer Vereinbarung mit der Landesregierung Nordrhein-Westfalen hinwies und einen entsprechenden Vorbehalt in der Verordnung der Militärregierung erbat. Auch in Nr. 6 dieses Schreibens, in dem der Vorschlag der späteren Volksabstimmung unterbreitet wird, wird auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Einzelheiten des Verfahrens mit der Landesregierung Düsseldorf zu vereinbaren und die getroffenen Vereinbarungen von der Militärregierung bestätigen zu lassen. Schließlich findet sich auch noch unter Nr. 7 der ganze allgemeine Hinweis, die Vertretung des Landes Lippe hoffe, daß beim Übergang der Landeshoheit die weitere Gestaltung der Verwaltungsverhältnisse im Wege einer Vereinbarung erfolge. Landespräsident Drake hätte endlich in seiner Schlußansprache vor dem lippischen Landtag am 21. Januar 1947 sicherlich auf eine von ihm erzielte Vereinbarung mit Nordrhein-Westfalen hingewiesen. Statt dessen aber sprach er nur von "Verhandlungen", die er mit Ministerpräsident Amelunxen geführt habe, während die "endgültigen Vereinbarungen ... im Benehmen mit der Militärregierung nächstens folgen" würden.

d) Manche der nach dem 6. Dezember 1946 von beiden Seiten gefallenen Äußerungen deuten darauf hin, daß man daran gedacht hat, genauere Vereinbarungen zu treffen, und daß die "Richtlinien" unter anderem diejenigen Punkte herausstellen sollten, über die man später rechtsverbindliche Vereinbarungen abschließen wollte. Beide Seiten haben später von den "Richtlinien" als "Punktationen" gesprochen. Damit ist die Bedeutung der Richtlinien für die Beziehungen zwischen den beiden Ländern zutreffend gedeutet. Die Bezeichnung "Punktationen" wird in der Regel für politische Absprachen von besonderem Gewicht gebraucht. In diese werden vielfach auch Punkte aufgenommen, über die in Zukunft ein Vertrag abgeschlossen werden soll, ohne daß die Parteien damit eine rechtliche Verpflichtung übernehmen, diesen Vertrag zu schließen (vgl. Oppenheim, International Law, Band l, 7. Aufl. S. 801; Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, Band 2, S. 653, rechts unten).

3.

In seinen Äußerungen über die Notwendigkeit einer Vereinbarung mit Nordrhein-Westfalen wies Landespräsident Drake immer wieder zutreffend darauf hin, daß eine solche der Mitwirkung der Militärregierung bedürfe. Wenn Art. III der Verordnung Nr. 57 dem Wortlaut nach auch nur Landesgesetze der Genehmigung des Gebietsbeauftragten unterstellte, so muß dieses Genehmigungserfordernis doch sinngemäß auch auf echte Landesverträge ausgedehnt werden.

Die "Richtlinien" der Landesregierung Nordrhein-Westfalen sind aber der Militärregierung weder von der einen noch von der anderen Seite förmlich zur Kenntnis gebracht worden. Sie haben keine ausdrückliche Bestätigung durch die Militärregierung gefunden. In der Verordnung Nr. 77 findet sich keine Bezugnahme auf diese Richtlinien. Die Militärregierung hat auch nicht bestimmt, daß die Einhaltung dieser Richtlinien die Voraussetzung für die Eingliederung Lippes in Nordrhein-Westfalen sein sollte. Es fällt insbesondere auf, daß der Gebietsbeauftragte Asbury in seiner Schlußrede vor dem lippischen Landtag am 21. Januar 1947 diese Richtlinien nicht erwähnt hat. Die Richtlinien sind also auch nicht durch eine einseitige Anordnung der Militärregierung zu verbindlichem Recht erhoben worden.

Trotz der Hinweise des Landespräsidenten Drake und seiner Bitte um Vorbehalte hat die Militärregierung in die Verordnung Nr. 77 keine Sicherungen für Lippe eingebaut. Das fällt um so mehr auf, als in der früher ergangenen Verordnung Nr. 70 vom 1. Dezember 1946 dem neugebildeten Lande Niedersachsen ausdrücklich aufgegeben worden war, "die Belange der früheren Länder auf dem Gebiet der Überlieferung, Kultur, Architektur und Geschichte gebührend zu berücksichtigen und ... für die Sicherstellung des gesamten Vermögens der einzelnen Länder Vorsorge zu treffen", weiter "eine vorläufige gesetzliche Regelung der örtlichen Verwaltung der ehemaligen Länder" zu schaffen, die einer besonderen Genehmigung des Gebietsbeauftragten unterworfen wurde.

Art. 1 der Verordnung Nr. 77 vernichtete mit Wirkung vom 21. Januar 1947 die Rechtspersönlichkeit des Landes Lippe. Die Militärregierung ließ nicht einmal für eine Übergangszeit eine Gebietsregierung für Lippe bestehen. Weder die Militärregierungsverordnung noch eine Abmachung zwischen Nordrhein-Westfalen und Lippe traf Vorsorge, an Stelle des untergegangenen Landes Lippe eine lippische Körperschaft als Partner für etwa erforderlich werdende Abkommen zu bestimmen. Der Landesverband Lippe, dem die Antragsteller die Rolle des untergegangenen Landes Lippe zuweisen möchten, ist eine vom Land Nordrhein-Westfalen kraft seiner auf Lippe ausgedehnten Staatshoheitsrechte geschaffene öffentlich-rechtliche Körperschaft des Landes Nordrhein-Westfalen; die Kreise Detmold und Lemgo sind Kreise des Landes Nordrhein-Westfalen. Wenn man vor dem 21. Januar 1947 in Aussicht genommen hatte, gewisse Fragen, die sich aus der Vereinigung Lippes mit Nordrhein-Westfalen ergaben, im Wege der Vereinbarung zu regeln, so entfiel diese Möglichkeit mit der bedingungslosen Beseitigung des Landes Lippe und der bedingungslosen Ausdehnung der Gesetzgebungszuständigkeit des Landes Nordrhein-Westfalen auf das Gebiet des ehemaligen Landes Lippe durch die Verordnung Nr. 77.

4.

Dem Gesetz über die Vereinigung des Landes Lippe mit dem Land Nordrhein-Westfalen vom 5. November 1948 hat der nordrhein-westfälische Landtag eine Präambel vorausgestellt, in der hingewiesen wird auf "Vereinbarungen, die zwischen den Landesregierungen von Nordrhein-Westfalen und von Lippe getroffen worden sind". Offenbar wird dabei zugrunde gelegt, daß durch diese "Vereinbarungen" dem Land Nordrhein-Westfalen Verpflichtungen auferlegt sind, die durch dieses Gesetz eingelöst werden. Diese Vorstellung ist, wie dargelegt, rechtsirrig. Wenn aber die "Richtlinien" keine rechtsverbindliche Vereinbarung zwischen Nordrhein-Westfalen und Lippe waren, dann können sie durch die nur nachrichtlich gemeinte Erwähnung in der Präambel des Lippegesetzes nicht zu bindenden Rechtsnormen geworden sein. Sie sind und bleiben nichts anderes als die Proklamation der Grundsätze, nach denen die Landesregierung Nordrhein-Westfalen Lippe behandeln wollte für den Fall, daß die Militärregierung den Anschluß von Lippe an Nordrhein-Westfalen verfügen sollte. Wenn im übrigen die nordrhein-westfälische Landesregierung mehrfach, insbesondere auch noch in der Erklärung vom 22. Januar 1952, zum Ausdruck gebracht hat, daß sie sich an die "Punktationen" gebunden erachte, so ist damit offenbar eine politische und nicht eine rechtliche Bindung gemeint. In der Tat behalten die Richtlinien auch dann ihre große politische Bedeutung, wenn man ihnen den Charakter eines bindenden Staatsvertrages abspricht, und eine Regierung wird es nicht wagen können, feierliche Versprechungen zu brechen, die sie bei der Aufnahme eines anderen Landes abgegeben hat.

5.

Es ergibt sich, daß Nr. 9 der Richtlinien schon deshalb der Durchführung des nordrhein-westfälischen Schulgesetzes im ehemaligen Land Lippe nicht im Wege steht, weil es sich dabei nicht um eine rechtliche Schranke für den nordrhein-westfälischen Gesetzgeber handelt. Schon aus diesem Grunde also muß der Hauptantrag Nr. 3 als unbegründet abgewiesen werden.

Im Interesse der Befriedung des lippischen Schulstreites hält das Bundesverfassungsgericht es aber für geboten, auch zu untersuchen, ob Antrag Nr. 3 gerechtfertigt wäre, wenn den Richtlinien Vertragscharakter zukäme. Es hat daher geprüft, ob die Durchführung des nordrhein-westfälischen Schulgesetzes in Lippe mit Nr. 9 der Richtlinien vereinbar ist.

Die Bedeutung der Nr. 9 der Richtlinien besteht darin, daß die Institution der lippischen Gemeinschaftsschule als solche garantiert wird. Sie kann nicht dahin ausgelegt werden, daß der Status quo des lippischen Schulrechtes vom 21. Januar 1947 für immer garantiert wird.

a) Es kann dahingestellt bleiben, ob die lippische Volksschule überhaupt eine Gemeinschaftsschule war. Aus der historischen Entwicklung des lippischen Schulwesens heraus ergeben sich erhebliche Zweifel. Nr. 9 der Richtlinien hat jedenfalls die Bedeutung, daß im Sinne des nordrhein-westfälischen Schulrechtes die lippische Schule als Gemeinschaftsschule anerkannt wird.

Diese Gemeinschaftsschule bleibt nach § 23 des Schulgesetzes grundsätzlich unangetastet bestehen. Das Schulgesetz gibt nur Erziehungsberechtigten die Möglichkeit, durch ihren Antrag daneben die Errichtung einer Bekenntnisschule zu erreichen. Die Antragsteller verweisen darauf, daß auch bestehende Schulen umgewandelt werden können. Dazu wird aber der Antrag von Erziehungsberechtigten gefordert, die zwei Drittel oder gar drei Viertel der die Schule besuchenden Kinder vertreten. Es kommt hinzu, daß selbst bei solchen Umwandlungen noch eine Minderheit von 40 Erziehungsberechtigten die Neuerrichtung einer Gemeinschaftsschule erreichen kann. Das nordrhein-westfälische Schulgesetz beseitigt also nicht die Gemeinschaftsschule, sondern gibt ihr grundsätzlich insoweit Raum, als sie dem Willen der Erziehungsberechtigten entspricht. Die Gemeinschaftsschule als solche bleibt auf jeden Fall erhalten.

b) Die Antragsteller haben demgegenüber geltend gemacht, daß die lippische Gemeinschaftsschule ihren eigentümlichen Charakter verlieren würde, wenn sie nicht mehr die einzige Schulart sein würde, sondern wenn daneben auch öffentliche Volksschulen anderer Art bestehen würden. Eine solche Sicherung des Bestandes der Gemeinschaftsschule als einzigen Typs der öffentlichen Volksschule könnte man aber selbst dann nicht aus Nr. 9 der Richtlinien ableiten, wenn sie ohne jeden Vorbehalt lauten würde: "Die lippische Gemeinschaftsschule bleibt erhalten." Denn das Wesen des Schultyps liegt in der inneren Gestaltung des Schulbetriebs, nicht darin, ob dem Schultyp Monopol-, Regel- oder Ausnahmecharakter zukommt. Hinzu kommt aber, daß in Nr. 9 der Richtlinien ausdrücklich der Vorbehalt eingefügt ist: "im Rahmen der allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen". Wenn ein bestimmter Schultyp "im Rahmen der allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen" erhalten bleiben soll, dann kann das nur dahin ausgelegt werden, daß die allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen so gefaßt sein müssen, daß Schulen dieses Typs bestehen bleiben. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, daß daneben kein anderer Schultyp zulässig sein soll.

c) Es kommt hinzu, daß der Gemeinschaftsschule in Lippe schon früher ein Monopolcharakter gar nicht zukam. Verfassungsrechtlich war über das Volksschulwesen nichts bestimmt. § 7 des Volksschulgesetzes vom 11. März 1914 (GS S. 139) verwies ganz allgemein für die Schulverhältnisse der Katholiken auf sondergesetzliche Bestimmungen. Damit war einerseits das Gesetz vom 30. Dezember 1904 (GS S. 95) gemeint, das für die anerkannten katholischen Privatschulen selbständige katholische Schulgemeinden als öffentliche Körperschaften mit eigener Verwaltung und eigenem Besteuerungsrecht schuf, andererseits das Gesetz betreffend die staatliche Stellung der katholischen Schulen in Falkenhagen und Grevenhagen vom 5. Januar 1888 (GS S. 9). Wich schon nach dem Gesetz von 1904 der Status der katholischen "Privatschulen" in Lippe ganz erheblich von dem gemeindeutschen Typ ab, so ging die Entwicklung von der bloß geduldeten kirchlichen Veranstaltung folgerichtig zur öffentlichen katholischen Volksschule weiter. Das Gesetz vom 7. Juni 1938 (GS S. 189), durch das die in Lippe bestehenden sieben katholischen Privatschulen zu öffentlichen Volksschulen erhoben wurden, kann nicht einfach als eine nationalsozialistische Maßnahme abgetan werden. Es war die Konsequenz daraus, daß das Gesetz vom 30. März 1937 (GS S. 13) die besonderen Schulgemeinden abgeschafft und die Schullasten den politischen Gemeinden auferlegt hatte.

Auch wenn man also an das alte lippische Recht für die katholischen Volksschulen anknüpft, aber im Sinne der Richtlinien Nr. 9 Abs. 1 die Entwicklungstendenzen und den Willen der Bevölkerung berücksichtigt und weiter beachtet, daß inzwischen der Bevölkerungsanteil der Katholiken gewachsen ist, kann man nicht sagen, daß die Art und Weise, in der das nordrhein-westfälische Schulgesetz die Errichtung von katholischen Bekenntnisschulen neben den bestehenden Gemeinschaftsschulen ermöglicht, den Charakter der lippischen Gemeinschaftsschule gegenüber früher grundlegend verändert.

d) Im übrigen aber war das lippische Schulrecht auch noch durch das ihm vorgehende Recht der Weimarer Reichsverfassung überlagert. Art. 146 Abs. 2 WRV schrieb vor, daß innerhalb der Gemeinden auf Antrag von Erziehungsberechtigten Volksschulen ihres Bekenntnisses oder ihrer Weltanschauung einzurichten sind, soweit dadurch ein geordneter Schulbetrieb nicht beeinträchtigt wird. Dieser Artikel war allerdings durch Art. 174 WRV suspendiert, und bis zum Erlaß des Reichsschulgesetzes sollte es bei der bestehenden Rechtslage bleiben. Selbst wenn also, was unrichtig ist, das lippische Schulrecht ausschließlich die Gemeinschaftsschule zugelassen hätte, so wäre dieser Zustand doch nur gesichert gewesen, bis das geplante Reichsschulgesetz das Elternrecht gemäß dem dem lippischen Schulrecht vorgehenden Art. 146 Abs. 2 WRV eingeführt hätte. Auch die Schutzvorschrift in Art. 174 Satz 2 WRV, daß das Schulgesetz Gebiete des Reiches, in denen eine nach Bekenntnissen nicht getrennte Schule gesetzlich besteht, besonders berücksichtigen mußte, wurde dahin ausgelegt, daß in diesen Gebieten die Einrichtung von Konfessionsschulen nicht völlig unmöglich gemacht werden dürfe, da sonst der Art. 146 Abs. 2 WRV für diese Gebiete illusorisch wäre (vgl. Giese, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 8. Aufl. 1931, Anm. 2 zu Art. 174; Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 14. Aufl. 1933, Anm. 3 zu Art. 174).

e) Schließlich darf auch Nr. 13 der Richtlinien nicht außer acht gelassen werden. Nr. 13 ist eine Generalklausel, die "bei der Übernahme und in der ferneren Behandlung als Teil des Landes Nordrhein-Westfalen" für Lippe gelten soll. Es wird Bezug genommen auf Grundsätze, die ein Vertreter der britischen Militärregierung für die Behandlung der in Niedersachsen aufgehenden Länder aufgestellt habe. Dem wird aber der Zusatz hinzugefügt: "... vorausgesetzt, daß dadurch nicht Grundsätze der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen beeinträchtigt werden." Hier wird also ein ganz allgemeiner Vorbehalt für das nordrhein-westfälische Verfassungsrecht gemacht. Die Grundsätze für den Aufbau des Volksschulwesens in Nordrhein-Westfalen, die in dem Schulgesetz ihre nähere Ausgestaltung gefunden haben, und deren Durchführung die Antragsteller beanstanden, sind aber in Art. 12 der nordrhein-westfälischen Verfassung niedergelegt. Auch mit dem Hinweis auf die "Grundsätze der Verfassung von Nordrhein-Westfalen", die nach Nr. 13 der Richtlinien in jedem Falle den Vorrang haben, kann also die Behauptung widerlegt werden, daß die Durchführung des nordrhein-westfälischen Schulgesetzes in Lippe den Richtlinien widerspreche.

V.

Mit dem Hilfsantrag zu Nr. 3 begehren die Antragsteller die Feststellung, daß der Antragsgegner verpflichtet ist, die Durchführung des Schulgesetzes in dem Gebiet des ehemaligen Landes Lippe "vor der endgültigen Eingliederung" zu unterlassen. Die Antragsteller gehen davon aus, daß Lippe an Nordrhein-Westfalen nur "vorläufig angegliedert", aber noch nicht endgültig staatsrechtlich in Nordrhein-Westfalen eingegliedert ist. Diese Prämisse ist unrichtig. Lippe ist durch die Verordnung Nr. 77 der britischen Militärregierung "Teil des Landes Nordrhein-Westfalen" geworden, und die Staatshoheitsrechte von Nordrhein-Westfalen erstrecken sich von Anfang an und ohne Einschränkung auf das ehemals lippische Gebiet.

1.

Der maßgebende Akt für die Änderung des territorialen Status des ehemaligen Landes Lippe war allein die Verordnung Nr. 77. Sie beseitigte die Selbständigkeit des Landes Lippe und gliederte es in das Land Nordrhein-Westfalen ein mit der gleichen Formel, mit der auch sonst endgültige Gebietsveränderungen vorgenommen wurden: "shall cease to exist as a separate Land and shall become part of Land Nord Rhein-Westfalen" (vgl. Verordnung Nr. 55 für Niedersachsen, Verordnung Nr. 76 für die Eingliederung des Stadtkreises Wesermünde in das Land Bremen). Aus der Verordnung selbst ergibt sich nicht, daß es sich um eine nur vorläufige Maßnahme handeln sollte.

Die §§ 1 und 2 des nordrhein-westfälischen Gesetzes über die Vereinigung des Landes Lippe mit dem Land Nordrhein-Westfalen vom 5. November 1948 haben keine selbständige Bedeutung, sondern wiederholen nur, was bereits durch die Verordnung Nr. 77 vollzogen war. Im übrigen geht dieses Gesetz von einer endgültigen und vollständigen Vereinigung Lippes mit Nordrhein-Westfalen aus. Die Richtlinien, auf die in der Präambel als auf "Vereinbarungen" zwischen den Landesregierungen von Nordrhein-Westfalen und von Lippe Bezug genommen wird, sprechen nicht von einer nur vorläufigen Aufnahme Lippes in Nordrhein-Westfalen (vgl. insbesondere die Richtlinien Nr. 1, 2, 6, 8 und 13).

Weder die Militärregierungsverordnung Nr. 77 noch das nordrhein-westfälische Lippe-Gesetz haben dem ehemaligen Land Lippe einen Sonderstatus im Rahmen des Landes Nordrhein-Westfalen verliehen. Lippe wurde sofort mit einem bestehenden nordrhein-westfälischen Regierungsbezirk vereinigt. Seine Kreise wurden als nordrhein-westfälische Kreise übernommen. Der Landesverband Lippe wurde gemäß Nr. 6 der Richtlinien von Nordrhein-Westfalen kraft dessen Staatsgewalt als neue öffentlichrechtliche Körperschaft mit begrenztem Aufgabenbereich errichtet und seiner Staatsaufsicht unterstellt.

2.

In der Präambel zur Verordnung Nr. 77 heißt es, daß sie ergehe "unbeschadet einer Neugliederung, die hiernach in Verfolg eines innerhalb von 5 Jahren nach dem Inkrafttreten dieser Verordnung abzuhaltenden Volksentscheides angeordnet werden kann".

a) Es kann dahingestellt bleiben, ob aus einer Präambel mehr als eine Auslegungsregel für das geltende und eine Richtschnur für das künftige Recht entnommen werden kann. Selbst wenn der Vorbehalt als besonderer Artikel in die Verordnung, etwa zwischen Artikel IV und Artikel V, eingefügt wäre, so würde er die von den Antragstellern gezogene rechtliche Folgerung nicht zulassen. Der Artikel würde lauten: "Es kann in Verfolg einer innerhalb von 5 Jahren nach dem Inkrafttreten dieser Verordnung abzuhaltenden Volksabstimmung eine Neugliederung angeordnet werden." Die Auslegung dieses Artikels im Rahmen der Verordnung ergibt, daß Lippe zunächst integrierender Bestandteil des Landes Nordrhein-Westfalen werden sollte, und daß die Militärregierung sich nur vorbehielt, innerhalb von 5 Jahren eine Volksabstimmung zu veranstalten und unter Würdigung dieser Volksabstimmung, aber nach ihrem völlig freien Ermessen, endgültig über das Schicksal Lippes zu entscheiden, also unter Umständen Lippe aus dem Verbände mit Nordrhein-Westfalen wieder herauszunehmen und einem anderen Lande zuzuweisen. Es handelt sich um eine Proklamation der Militärregierung über eine für die Zukunft in Aussicht genommene politische Maßnahme. Eine solche Ankündigung einer Besatzungsmacht kann nicht Rechtsansprüche erzeugen.

b) Im Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung Nr. 77 gab es keine den Ländern übergeordneten deutschen Staatsorgane. Die Besatzungsmächte übten die oberste Gewalt in Deutschland aus. Die britische Militärregierung konnte sich die Abhaltung einer Volksabstimmung und eine nach ihrem Ermessen vorzunehmende Neugliederung in dem Lippe und Minden-Ravensberg umfassenden Raum vorbehalten, weil sie sowohl Lippe, wie Nordrhein-Westfalen, wie Niedersachsen übergeordnet war. Daß die Volksabstimmung nicht auf Lippe beschränkt werden sollte, ergibt sich aus den beiden einzigen offiziellen Erklärungen eines Vertreters der Militärregierung, nämlich aus dem Brief des Gebietsbeauftragten Asbury an Ministerpräsident Amelunxen vom 6. Januar 1947 und aus seiner Schlußansprache im lippischen Landtag am 21. Januar 1947. Beide Male sprach er von der Volksabstimmung, die in Lippe und Minden-Ravensberg veranstaltet werden solle; er hob damit die von Landespräsident Drake, dem Vater des Gedankens der Volksabstimmung, immer wieder betonte Zusammengehörigkeit von Lippe und Minden-Ravensberg ausdrücklich hervor. Diese in der Präambel bekanntgegebene Absicht konnte die Militärregierung aber nur so lange verwirklichen, als sie die volle Ausübung der obersten Gewalt in Deutschland in der Hand behielt.

In dem Augenblick, in dem die Militärgouverneure das Grundgesetz genehmigten und das Besatzungsstatut verkündeten, gaben sie ihre aus der militärischen Niederwerfung Deutschlands und der Besetzung abgeleitete Befugnis auf, über den Gebietsbestand der deutschen Länder zu verfügen. Selbst wenn also eine Absicht der Militärregierung, Lippe nur vorläufig mit dem Lande Nordrhein-Westfalen zu verbinden, Ausdruck in der Verordnung selbst gefunden hätte, so wäre ein solches Provisorium mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes in ein Definitivum verwandelt worden. Die Länder sind mit dem territorialen Bestand unter den Geltungsbereich des Grundgesetzes getreten, der sich faktisch aus den Maßnahmen der Besatzungsmächte ergab. Der territoriale Status Lippes ist daher seit dem 23. Mai 1949 genau so "vorläufig" oder "endgültig" wie der eines jeden anderen Gebietsteiles, der bei der Neubildung der Länder nach dem 8. Mai 1945 ohne Volksabstimmung seine Landeszugehörigkeit geändert hat (Art. 29 Abs. 2 GG).

Die Materie der Änderung des Gebietsbestandes der Länder ist seither in den Artikeln 29 und 118 GG erschöpfend geregelt. Artikel 29 verdankt seine Entstehung gerade der Einsicht, daß der Gebietsbestand der Länder durch mehr oder weniger willkürliche Maßnahmen der Besatzungsmächte geschaffen worden war. Indem die Besatzungsmächte diesen Artikel einerseits sanktionierten, ihn andererseits aber zunächst suspendierten, erkannten sie an, daß die Materie der Veränderung des Gebietsbestandes der Länder nunmehr in die Hand des Bundes gegeben war und nicht mehr zur Zuständigkeit der Besatzungsmächte gehörte. Wenn also die britische Besatzungsmacht sich in der Präambel der Verordnung Nr. 77 vorbehalten hatte, die von ihr herbeigeführte Veränderung im territorialen Status des ehemaligen Landes Lippe einer Überprüfung zu unterziehen, so war ihr mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes die Möglichkeit dazu genommen. Selbst wenn die Erwähnung einer Volksabstimmung in der Präambel zur Verordnung Nr. 77 ursprünglich eine rechtliche Bedeutung gehabt hätte, so wäre diese doch mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes entfallen. 1952 war die Militärregierung nicht mehr in der Lage, eine Volksabstimmung in Lippe und Minden-Ravensberg anzuordnen und Lippe umzugliedern, da die besatzungsrechtliche Lage sich gegenüber der des Jahres 1947 geändert hatte.

Die Militärregierung hat auch nicht dem Land Nordrhein-Westfalen oder der Bundesrepublik eine Verpflichtung zur Veranstaltung einer Volksabstimmung in Lippe und Minden-Ravensberg und zur Überprüfung des territorialen Status dieses Gebietes auferlegt.

Es kann auch nicht eine rechtliche Verpflichtung von der Militärregierung auf Nordrhein-Westfalen übergegangen sein, da keine rechtliche Verpflichtung der Militärregierung bestanden hat; eine aus dem Faktum der Besetzung abgeleitete Machtbefugnis sich nicht in eine rechtliche Verpflichtung im Rahmen einer bundesstaatlichen Verfassung verwandeln kann; das Versprechen der Militärregierung nur in ganz vager Form erfolgt war, und selbst für die in Aussicht genommene Volksabstimmung nicht einmal die Fragestellung, der Bezirk und die Abstimmungsberechtigung geregelt waren; Nordrhein-Westfalen als gleichberechtigter Partner auf keinen Fall eine Entscheidungsbefugnis erhalten konnte, die begrifflich nur eine übergeordnete Instanz ausüben kann.

Als die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen im Jahre 1951 beim Landtag einen Gesetzentwurf einbrachte, der die Veranstaltung einer Volksabstimmung in Lippe vorsah, hat denn auch die Militärregierung ausdrücklich auf Art. 29 GG verwiesen und damit die Ausschließlichkeit dieses Weges anerkannt.

Im Grundgesetz ist auch kein Vorbehalt mit Bezug auf Lippe gemacht, wie es für den Südwestraum in Art. 118 GG geschehen ist. Nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes war weder Nordrhein-Westfalen in der Lage, eine territoriale Änderung in seinem Bestände von sich aus vorzunehmen, noch konnte die Bundesrepublik außerhalb des Art. 29 GG insoweit eingreifen.

3.

Würde man die aus den Begleitumständen zu schließende Absicht der Militärregierung, für Lippe nur eine provisorische Regelung zu treffen, als rechtlich relevant anerkennen, so wäre zwar nicht die Ausübung der nordrhein-westfälischen Staatsgewalt in Lippe für diese Dauer beschränkt gewesen – die Verordnung Nr. 77 enthält insoweit keinen Vorbehalt –, wohl aber würde es dann die "Zeit der vorläufigen Regelung der Verwaltungsverhältnisse" geben, von der in dem Schreiben des Ministerpräsidenten Amelunxen an den Gouverneur des Landes Nordrhein-Westfalen vom 8. Januar 1947 in Nr. 2 die Rede ist. Das ist jener Satz, dessen Inhalt Landespräsident Drake in das von ihm gefertigte Dokument vom 17. Januar 1947 als Zusatz A Absätze 2 und 3 übernommen hat. Nach diesem Schreiben hat Ministerpräsident Amelunxen "Herrn Drake das Versprechen gegeben, daß während der Zeit der vorläufigen Regelung der Verwaltungsverhältnisse die kulturellen und religiösen Interessen von Lippe gewahrt bleiben, und daß nichts geschieht, was der endgültigen Regelung Abbruch tun könnte ... Die Besonderheiten im Schulwesen werden beachtet."

Die sogenannten "Zusätze" des Drakeschen Dokuments vom 17. Januar 1947, die die nordrhein-westfälische Landesregierung nicht einmal formell der lippischen Landesregierung übermittelt hat, sind so wenig Inhalt eines verbindlichen Staatsvertrages zwischen Lippe und Nordrhein-Westfalen geworden wie die "Richtlinien". Insoweit gilt das oben zu IV Ausgeführte. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hat aber auch nicht gegen die Zusätze verstoßen, da die Erklärung ihre Bedeutung in dem Augenblick verlor, in dem die vorläufige Regelung zu einer endgültigen wurde, also mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes, das nordrhein-westfälische Schulgesetz zudem die Besonderheiten im lippischen Schulwesen beachtet, indem grundsätzlich die lippische Gemeinschaftsschule erhalten bleibt und nur daneben die Möglichkeit eröffnet wird, Bekenntnisschulen zu errichten.

4.

Wenn die Zugehörigkeit Lippes zu Nordrhein-Westfalen nur auf dem Wege über Art. 29 GG durch Bundesgesetz geändert werden kann, also weder Nordrhein-Westfalen noch "Lippe" in der Lage ist, das lippische Gebiet von Nordrhein-Westfalen zu trennen, so kann es keinen Rechtsanspruch "Lippes" gegen Nordrhein-Westfalen auf eine Sonderbehandlung in dem Sinne geben, daß der Landesverband und die Kreise einseitig Bedingungen der "endgültigen Eingliederung" festlegen könnten, wie es die Antragsteller wollen. Weder eine Anordnung der Militärregierung, noch eine Abmachung zwischen Lippe und Nordrhein-Westfalen, noch ein bloß einseitiges Versprechen der Militärregierung oder der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen gibt einen Anhaltspunkt für eine solche Befugnis der Verbände. Den Verbänden ist ein Plazet für die Einführung nordrhein-westfälischer Gesetze in Lippe nicht eingeräumt worden, weder für die Gesetze im allgemeinen noch speziell für das Schulgesetz. Die Durchführung des Schulgesetzes in Lippe kann also nicht von dem im Wege der Vereinbarung einzuholenden Einverständnis der Verbände abhängen. Eine so ungewöhnliche Befugnis läßt sich weder aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen noch aus einem der Dokumente im Zusammenhang der Vereinigung Lippes mit Nordrhein-Westfalen ableiten.

5.

Der Durchführung des nordrhein-westfälischen Schulgesetzes in Lippe steht endlich auch der Artikel 89 der Landesverfassung nicht entgegen. Diese Verfassungsvorschrift läßt die auf dem Gebiete des Schulwesens in dem ehemaligen Land Lippe am 1. Januar 1933 bestehenden Rechtsvorschriften weitergelten "bis zur endgültigen Entscheidung über die staatsrechtliche Eingliederung Lippes in das Land Nordrhein-Westfalen". Diese Klausel war in der Regierungsvorlage nicht enthalten, sondern ist im Verlauf der Verfassungsberatungen vom Landtag eingeführt worden. Sie beruht auf einer unrichtigen Auffassung der Abgeordneten des Landtags über den Status des ehemaligen Landes Lippe im Verband des Landes Nordrhein-Westfalen. Dies ist bereits in dem Urteil des Verfassungsgerichtshofes von Nordrhein-Westfalen vom 23. Januar 1954 zutreffend ausgeführt worden. Artikel 89 der Landesverfassung hat nicht konstitutiv das staatsrechtliche Verhältnis Lippes zu Nordrhein-Westfalen geordnet, sondern er wollte nur für eine Übergangszeit den Bestand des lippischen Schulrechts sichern. Entgegen der Artikel 89 zugrunde liegenden Auffassung war damals Lippe bereits endgültig in Nordrhein-Westfalen eingegliedert und konnte nur noch auf dem Wege über Art. 29 GG wieder aus dem Verband des Landes Nordrhein-Westfalen ausgegliedert werden. Die rechtliche Bedeutung des Artikels 89 der Landesverfassung hat der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen mit Bindung auch für das Bundesverfassungsgericht dahin festgestellt, daß für eine Übergangszeit von fünf Jahren auf dem Gebiete des Schulwesens im ehemaligen Land Lippe die lippischen Rechtsvorschriften nach dem Stande vom 1. Januar 1933 weitergalten und erst dann das Schulrecht von Nordrhein-Westfalen eingeführt werden durfte. Als das nordrhein-westfälische Schulgesetz vom 8. April 1952 in Kraft trat, war diese Frist abgelaufen.

VI.

Zusammenfassend ist danach festzustellen:

  1. Das ehemalige Land Lippe ist durch die Militärregierungsverordnung Nr. 77 beseitigt worden. Sein Gebiet ist zum Bestandteil des Landes Nordrhein-Westfalen geworden. Die Hoheitsrechte des Landes Nordrhein-Westfalen erstrecken sich mit voller Wirkung auch auf das ehemals lippische Gebiet. Lippe genießt im Rahmen des Landes Nordrhein-Westfalen keinen staatsrechtlichen Sonderstatus. Seine Zugehörigkeit zu Nordrhein-Westfalen kann nur durch ein Bundesgesetz nach Art. 29 GG geändert werden.
  2. Die am 5. Dezember 1946 von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen aufgestellten "Richtlinien" für den Fall der Aufnahme des Landes Lippe in das Gebiet des Landes Nordrhein-Westfalen sind kein rechtsverbindlicher Staatsvertrag. Sie behalten jedoch im politischen Raum ihre große Bedeutung als feierliches Versprechen, das die Regierung des aufnehmenden Landes gegenüber dem aufgenommenen Land über seine künftige Behandlung abgegeben hat, eine Bindung, die von der nordrhein-westfälischen Landesregierung mehrfach anerkannt worden ist. Über die Einhaltung solcher politischer Richtlinien kann jedoch das Bundesverfassungsgericht nicht judizieren.
  3. Würden die "Richtlinien" und "Zusätze" verbindliches Recht setzen, so wären Rechte Lippes nicht verletzt, weil die Durchführung des nordrhein-westfälischen Schulgesetzes in Lippe nicht diesen "Richtlinien" und ihren "Zusätzen" widerspricht.
  4. Der Landesverband Lippe und die Kreise Detmold und Lemgo haben keinen Anspruch darauf, daß das Land Nordrhein-Westfalen mit ihnen Vereinbarungen über die Eingliederung Lippes in Nordrhein-Westfalen, über die Durchführung der "Richtlinien" und der "Zusätze" oder über die Modalitäten der Durchführung des nordrhein-westfälischen Schulgesetzes in Lippe abschließt.
    Die Anträge waren daher, soweit sie nicht unzulässig sind, als unbegründet abzuweisen.