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BVerfG, 18.02.1970 - 2 BvR 531/68

Daten
Fall: 
Zitiergebot
Fundstellen: 
BVerfGE 28, 36; NJW 1970, 1268; MDR 1970, 825; DVBl 1970, 456; DÖV 1970, 417
Gericht: 
Bundesverfassungsgericht
Datum: 
18.02.1970
Aktenzeichen: 
2 BvR 531/68
Entscheidungstyp: 
Beschluss

1. Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG gilt nur für die Gesetze, die darauf abzielen, ein Grundrecht über die in ihm selbst angelegten Grenzen hinaus einzuschränken.
2. Die Bundesrepublik Deutschland ist eine Demokratie, deren Verfassung von ihren Bürgern eine Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Ordnung erwartet und einen Mißbrauch der Grundrechte zum Kampf gegen diese Ordnung nicht hinnimmt.
3. Aus einer an den Grundsätzen der Verfassung orientierten Auslegung des § 10 Abs. 6 SoldatenG folgt, daß Offiziere und Unteroffiziere ihre Dienstpflicht verletzen, wenn sie bei politischen Diskussionen innerhalb des Dienstes die freiheitlich-demokratische Ordnung in Frage stellen.

Inhaltsverzeichnis 

Beschluß

des Zweiten Senats vom 18. Februar 1970
- 2 BvR 531/68 -
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Gerhard N..., Stabsunteroffizier - Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Heinrich Hannover und Dr. Rudolf Monnerjahn, Bremen, Unser Lieben Frauen Kirchhof 24/25 - gegen den Beschluß des Truppendienstgerichts C vom 16. August 1968 - C3 - ASL 392/68 -.

Entscheidungsformel:
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

A.

I.

1.

Der Beschwerdeführer trat am 1. Oktober 1964 in die Bundeswehr ein und verpflichtete sich als Soldat auf Zeit. Am 5. Juli 1968 war er Stabsunteroffizier bei der Fernmeldeausbildungskompanie 428 in der Lent-Kaserne in Rotenburg/Hannover. An diesem Tag betrat er vormittags während der Dienstzeit aus dienstlichem Anlaß das Geschäftszimmer seiner Kompanie. Es entwickelte sich eine politische Diskussion über die Studentendemonstrationen, die Möglichkeiten der Information durch Presse, Rundfunk und Fernsehen sowie über die Gesundheits- und Bildungspolitik. Außer dem Beschwerdeführer waren ein Funker, zwei Gefreite, ein Unteroffizier und zwei Oberfeldwebel anwesend.

2.

Für das Verhalten der Soldaten bei einer solchen Diskussion sind folgende Vorschriften des Gesetzes über die Rechtsstellung der Soldaten - Soldatengesetz - vom 19. März 1956 (BGBl. I S. 114; im folgenden: SG) von Bedeutung:

§ 6 Staatsbürgerliche Rechte des Soldaten
Der Soldat hat die gleichen staatsbürgerlichen Rechte wie jeder andere Staatsbürger. Seine Rechte werden im Rahmen der Erfordernisse des militärischen Dienstes durch seine gesetzlich begründeten Pflichten beschränkt.

§ 7 Grundpflicht des Soldaten
Der Soldat hat die Pflicht, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.

§ 8 Eintreten für die demokratische Grundordnung
Der Soldat muß die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes anerkennen und durch sein gesamtes Verhalten für ihre Erhaltung eintreten.

§ 10 Pflichten des Vorgesetzten
(1) Der Vorgesetzte soll in seiner Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben. (2) bis (5) ... (6) Offiziere und Unteroffiziere haben innerhalb und außerhalb des Dienstes bei ihren Äußerungen die Zurückhaltung zu wahren, die erforderlich ist, um das Vertrauen als Vorgesetzte zu erhalten.

§ 12 Kameradschaft
Der Zusammenhalt der Bundeswehr beruht wesentlich auf Kameradschaft. Sie verpflichtet alle Soldaten, die Würde, die Ehre und die Rechte des Kameraden zu achten und ihm in Not und Gefahr beizustehen. Das schließt gegenseitige Anerkennung, Rücksicht und Achtung fremder Anschauungen ein.

§ 15 Politische Betätigung
(1) Im Dienst darf sich der Soldat nicht zugunsten oder zuungunsten einer bestimmten politischen Richtung betätigen. Das Recht des Soldaten, im Gespräch mit Kameraden seine eigene Meinung zu äußern, bleibt unberührt. (2) ... (3) ... (4) Ein Soldat darf als Vorgesetzter seine Untergebenen nicht für oder gegen eine politische Meinung beeinflussen.

§ 17 Verhalten im und außer Dienst
(1) Der Soldat hat Disziplin zu wahren und die dienstliche Stellung des Vorgesetzten in seiner Person auch außerhalb des Dienstes zu achten. (2) Sein Verhalten muß dem Ansehen der Bundeswehr sowie der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die sein Dienst als Soldat erfordert. (3) ... (4) ...

3.

Der Bataillonskommandeur sah sich veranlaßt, gegen das Verhalten des Beschwerdeführers bei der Diskussion am 5. Juli 1968 disziplinar einzuschreiten. Er warf dem Beschwerdeführer vor, daß dieser bei der Diskussion versucht habe, Unteroffiziere und Mannschaften seiner Kompanie durch einseitige politische Äußerungen zu beeinflussen. Insbesondere habe er geäußert, in der Bundesrepublik Deutschland und in der Bundeswehr werde die freie Meinungsäußerung durch Repressalien eingeschränkt. Gegen Brief- und Telefonüberwachung gebe es keine Rechtsmittel. Insgesamt herrsche in der Bundesrepublik keine soziale Gerechtigkeit. Der Beschwerdeführer habe schon früher mehrfach erklärt, er werde rechtmäßigen Befehlen im Rahmen eines Einsatzes der Bundeswehr im Innern nicht Folge leisten. Aus diesem Anlaß sei er zur Zurückhaltung bei politischen Äußerungen aufgefordert worden. Der Bataillonskommandeur beantragte deshalb am 11. Juli 1968 bei dem Truppendienstgericht C, eine Arreststrafe von fünf Tagen für rechtmäßig zu erklären (§ 28 Abs. 1 der Wehrdisziplinarordnung vom 15. März 1957 - BGBl. I S. 189 - WDO).

Durch Beschluß vom 22. Juli 1968 lehnte der Vorsitzende des Truppendienstgerichts den Antrag ab. Ein Verstoß gegen § 15 Abs. 4 SG sei nicht gegeben; der Beschwerdeführer habe bei der Diskussion nicht versucht, sein "dienstliches Übergewicht" zur Geltung zu bringen. Rangunterschiede hätten bei dem Gespräch, das von "gleich zu gleich" geführt worden sei, keine Rolle gespielt.

Gegen diesen Beschluß rief der Kommandeur gemäß § 28 Abs. 4 WDO die Entscheidung des Truppendienstgerichts an. Am 16. August 1968 fand vor diesem ein mündlicher Anhörungstermin statt. Der Beschwerdeführer stellte in Abrede, daß er für die außerparlamentarische Opposition Partei ergriffen habe. Die bei der Diskussion anwesenden Soldaten wurden als Zeugen gehört. Am Schluß der Verhandlung wurde folgender Beschluß verkündet:

Stabsunteroffizier N ... wird mit drei Tagen Arrest bestraft. Diese Strafe wird mit einer Frist von 5 Monaten zur Bewährung ausgesetzt. Die Strafformel lautet: Stabsunteroffizier N ... hat am 5. Juli 1968 in Rotenburg/Hann., Lent-Kaserne, während des Dienstes bei seinen Äußerungen gegenüber Untergebenen nicht die erforderliche Zurückhaltung gewahrt. In einem Gespräch ergriff er erkennbar für einen Teil der Untergebenen Partei für die sogenannte "Außerparlamentarische Opposition". Dabei äußerte er u. a., "in der Bundesrepublik könne man nicht frei seine Meinung äußern; Demonstrationen würden durch die Polizei niedergeknüppelt".

In den schriftlichen Gründen des Beschlusses wird ausgeführt, der Beschwerdeführer habe bei dem Gespräch am 5. Juli 1968 Partei für die Ziele und das Verhalten der sogenannten außerparlamentarischen Opposition ergriffen. Das sei zwar nicht ausdrücklich geschehen, habe sich aber aus seinem Gesamtverhalten ergeben. Der Beschwerdeführer habe auch in der Verhandlung vor dem Truppendienstgericht aus seiner dahingehenden politischen Überzeugung kein Hehl gemacht. Unter anderem habe der Beschwerdeführer die in der Strafformel aufgeführten Bemerkungen geäußert.

Das Truppendienstgericht habe nicht die Überzeugung gewonnen, daß sich der Beschwerdeführer bei der Diskussion für eine politische Richtung betätigt (§ 15 Abs. 1 SG) oder als Vorgesetzter seine Untergebenen für eine politische Meinung zu beeinflussen gesucht habe (§ 15 Abs. 4 SG). Die Zeugen hätten übereinstimmend bekundet, daß sich der Beschwerdeführer erst im Laufe der Diskussion "heißgeredet" habe. Es könne deshalb nicht festgestellt werden, daß der Beschwerdeführer den Willen gehabt habe, sich verbotswidrig im Sinne von § 15 Abs. 1 oder Abs. 4 SG zu betätigen.

Der Beschwerdeführer habe jedoch gegen seine Pflicht aus § 10 Abs. 6 SG verstoßen. Diese Vorschrift verpflichte Offiziere und Unteroffiziere insbesondere dazu, im Gespräch mit Untergebenen über politische Fragen Zurückhaltung zu wahren. Damit die Autorität des Vorgesetzten voll gewahrt bleibe, dürften sie nicht gegenüber Untergebenen Partei für eine bestimmte politische Meinung ergreifen, wie es der Beschwerdeführer vorsätzlich getan habe. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit sei insoweit durch Art. 17 a GG wirksam eingeschränkt.

Der Beschwerdeführer müsse deshalb wegen eines Dienstvergehens bestraft werden. Unter Berücksichtigung der Schwere der Tat sei eine Arreststrafe verwirkt. Die gesetzliche Mindeststrafe von drei Tagen reiche aus. Die Strafe könne auf fünf Monate zur Bewährung ausgesetzt werden. Wegen seiner politischen Ansicht, an der er festhalte, sei der Beschwerdeführer nicht zu bestrafen. Es könne erwartet werden, daß der Beschwerdeführer künftig im Gespräch mit Untergebenen die gebotene Zurückhaltung wahre.

Am 27. September 1968 wurde der Beschwerdeführer fristlos aus der Bundeswehr entlassen.

II.

Mit seiner am 16. September 1968 eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen den am 16. August 1968 verkündeten, am 31. August 1968 in vollständiger Form zugestellten Beschluß des Truppendienstgerichts C. Er rügt eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2, 5, 17 a, 103 Abs. 1 GG und führt aus:

Der Rahmen der Meinungsfreiheit des Soldaten sei durch § 15 SG geregelt. Die allgemeine Meinungsfreiheit sei durch § 15 Abs. 1 Satz 1 SG dahin eingeschränkt, daß der Soldat im Dienst keine politische Aktivität entfalten dürfe. Die Einschränkung in § 15 Abs. 4 SG solle verhindern, daß der Soldat als Vorgesetzter seine Autorität zur politischen Beeinflussung Untergebener mißbraucht. Diese Regelung sei abschließend. Mit § 10 Abs. 6 SG könnten deshalb weitere Einschränkungen der politischen Meinungsfreiheit nicht gerechtfertigt werden.

Nachdem das Truppendienstgericht erkannt habe, daß der Beschwerdeführer gegen seine Pflichten aus § 15 Abs. 1 Satz 1 SG und § 15 Abs. 4 SG nicht verstoßen habe, hätte es prüfen müssen, ob sein Verhalten nicht durch § 15 Abs. 1 Satz 2 SG gerechtfertigt gewesen sei. Statt dessen habe es § 10 Abs. 6 SG als einen Auffangtatbestand angesehen, der verbiete, daß Vorgesetzte "gegenüber Untergebenen Partei für eine bestimmte politische Meinung ergreifen". Bei dieser Auslegung gelange man zu dem absurden Ergebnis, daß zwischen Vorgesetzten und Untergebenen keine Kameradschaft bestehe. Außerdem müsse dann für das Gespräch zwischen Vorgesetzten und Untergebenen auch das Thema "Verteidigung des Staates" "tabuiert" werden, da es einen hochpolitischen Inhalt habe. Freilich habe das Truppendienstgericht diesen Fall sicher nicht gemeint und gegen eine oberflächlich regierungstreue Politisierung der Bundeswehr nichts einzuwenden. Im Bewußtsein der herrschenden Klasse sei die Erkenntnis abgesunken, daß die eigenen Ziele ebenfalls politisch sein könnten.

Bei richtiger Interpretation beschränke sich § 10 Abs. 6 SG auf die Forderung formaler Zurückhaltung. Das Truppendienstgericht habe den Beschwerdeführer aber vor allem deshalb bestraft, weil der Inhalt seiner Äußerungen die nach Auffassung des Gerichts gebotene Zurückhaltung habe vermissen lassen.

Die dem Beschwerdeführer angelasteten Äußerungen seien isoliert betrachtet Banalitäten und im Kern wahr. Zu einer politischen Äußerung würden sie erst durch ihren Zusammenhang. Ein Bekenntnis zur außerparlamentarischen Opposition könnten sie schon deshalb nicht sein, weil diese unorganisiert sei und kein Programm habe.

Als Verletzung des rechtlichen Gehörs werde gerügt, daß dem Bevollmächtigten des Beschwerdeführers Akteneinsicht trotz ausdrücklichen Antrages verweigert worden sei. Eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG erblicke der Beschwerdeführer auch darin, daß er vom Truppendienstgericht wegen eines Verhaltens bestraft worden sei, das nicht Gegenstand des Anrufungsantrages gemäß § 28 Abs. 4 WDO gewesen sei.

III.

Der Bundesminister der Verteidigung, der sich für die Bundesregierung geäußert hat, hält die Verfassungsbeschwerde für zulässig, aber unbegründet. Er führt aus:

1.

Seit der Verfassungsnovelle vom März 1956 gehörten die Streitkräfte "zu den verfassungsrechtlich sanktionierten Institutionen, derem Statusrecht ausdrücklich der Vorrang des allgemeinen Gesetzes zukomme". Nach § 6 SG habe der Soldat die gleichen staatsbürgerlichen Rechte wie jeder andere Staatsbürger. Dazu gehöre das Recht der freien Meinungsäußerung. Dieses Grundrecht finde jedoch seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Das seien auch die zur Regelung besonderer Dienstverhältnisse erlassenen Normen. Das Soldatengesetz genüge den qualifikatorischen Ansprüchen des Art. 5 Abs. 2 GG. Die im Soldatengesetz gesetzten Schranken bewirkten keine unbillige oder unsachliche Knebelung der Meinungsäußerungsfreiheit. Sie dienten vielmehr dazu, den Zusammenhalt und das Ansehen der Institution Bundeswehr zu fördern und zu erhalten.

Der Soldat müsse sein Recht auf freie Meinungsäußerung hinter die durch sein Treueverhältnis zum Staat begründeten besonderen Pflichten in dem aus Gründen militärischer Disziplin gebotenen Umfang zurücktreten lassen.

2.

Art. 17 a GG enthalte hinsichtlich des Grundrechts der freien Meinungsäußerung nur eine Bestätigung der sich aus Art. 5 GG ergebenden statusrechtlichen Schranken. Die Erwähnung des Grundrechts der freien Meinungsäußerung in Art. 17 a Abs. 1 GG habe einerseits nur deklatorische Bedeutung, eröffne andererseits dem Gesetzgeber die Möglichkeit, das Grundrecht der freien Meinungsäußerung - nicht dagegen das Grundrecht der Informationsfreiheit - über den Schrankenvorbehalt des Art. 5 Abs. 2 GG hinaus einzuschränken. Darin finde die - letztlich atypische - Aufführung dieses im Gegensatz zu den übrigen in Art. 17 a Abs. 1 GG aufgeführten Grundrechten ohnehin den Schranken allgemeiner Gesetze unterworfenen Grundrechts ihre Erklärung. Von dieser über Art. 5 Abs. 2 GG hinausgehenden Ermächtigung habe der Gesetzgeber jedoch bei Erlaß des Soldatengesetzes keinen Gebrauch gemacht. Das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG müsse nur bei Einschränkungen nach Art. 17 a Abs. 1 GG beachtet werden.

3.

Der Bundesminister der Verteidigung ist der Ansicht, der Beschwerdeführer habe auch seine Dienstpflicht aus § 15 Abs. 1 SG und aus § 17 Abs. 2 SG verletzt. Als Unteroffizier der Bundeswehr sei der Beschwerdeführer nach § 10 Abs. 6 SG darüber hinaus verpflichtet, hinsichtlich seiner Äußerungen die Zurückhaltung zu wahren, die erforderlich sei, um das Vertrauen als Vorgesetzter zu erhalten. Diese Zurückhaltung habe der Beschwerdeführer jedoch als polemischer Verfechter einer bestimmten politischen Meinung vermissen lassen. Wegen ihrer Einseitigkeit habe er sich zudem dem Verdacht ausgesetzt, daß er sich auch im Dienst nicht von den besonders für einen Vorgesetzten verbindlichen Grundsätzen der Gerechtigkeit, Unparteilichkeit und Sachlichkeit leiten lasse.

Das Truppendienstgericht habe zwar zu Recht die Anwendbarkeit des § 15 Abs. 4 SG verneint. Es sei aber insoweit einem Subsumtionsirrtum erlegen, als es in dem Verhalten des Beschwerdeführers neben § 10 Abs. 6 SG nicht auch Pflichtverletzungen nach § 15 Abs. 1 und § 17 Abs. 2 SG festgestellt habe. Hinzu komme die in sich widersprüchliche Begründung des Beschlusses, die darin liege, daß das Truppendienstgericht bei gleichem Sachverhalt einerseits eine unzulässige Betätigung im Sinne des § 15 Abs. 1 SG verneint, andererseits aber das Eintreten für eine bestimmte politische Meinung als ausdrückliche Begründung einer Pflichtverletzung nach § 10 Abs. 6 SG herangezogen habe. Die hieraus vom Beschwerdeführer gezogenen Schlußfolgerungen seien jedoch unzutreffend. § 15 SG regele die rechtlichen Schranken der politischen Meinungsäußerung des Soldaten nicht abschließend. Insbesondere habe § 15 Abs. 4 SG gegenüber § 10 Abs. 6 SG nicht den Charakter einer lex specialis. § 15 Abs. 4 SG wolle den besonderen Unrechtsgehalt erfassen, daß ein Soldat sein dienstliches Übergewicht als Vorgesetzter in die Waagschale werfe, um bestimmte politische Auffassungen als ihm genehm durchzusetzen oder als nicht genehm zu unterdrücken. Es handele sich um einen Mißbrauch der ihm anvertrauten Dienstgewalt. Der besondere Unrechtsgehalt der Dienstpflichtverletzung nach § 10 Abs. 6 SG bestehe dagegen in der Herbeiführung einer den militärischen Dienstablauf beeinträchtigenden Tatfolge, nämlich der Erschütterung der dienstlichen Vertrauenswürdigkeit eines Offiziers oder Unteroffiziers in den Augen seiner Untergebenen, seiner Vorgesetzten oder der Öffentlichkeit.

Der gerügte Beschluß beruhe somit weder auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung und Reichweite des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 GG, noch lasse er bei der Rechtsanwendung oder im Verfahren Willkür erkennen.

Eine Verletzung des Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG sei ebenfalls nicht ersichtlich.

B.

Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.

Die auf § 10 Abs. 6 SG gestützte disziplinare Bestrafung verletzt nicht die Grundrechte des Beschwerdeführers.

I.

§ 10 Abs. 6 SG ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

1.

§ 10 Abs. 6 SG genügt den Anforderungen, die Art. 103 Abs. 2 GG an die gesetzliche Bestimmtheit von Disziplinarstraftatbeständen stellt (BVerfGE 26, 186 [203 f.]). Die Vorschrift ist zwar weit gefaßt. Die durch sie begründete Pflicht ergibt sich aber aus der den militärischen Vorgesetzten gestellten Führungsaufgabe, auf deren besondere Anforderungen sie in ihrer Laufbahn vorbereitet werden.

2.

Durch § 10 Abs. 6 SG ist das Grundrecht der Meinungsfreiheit nicht eingeschränkt worden. Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG greift deshalb für § 10 Abs. 6 SG nicht ein.

a) Das Zitiergebot von Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG wendet sich an den nachkonstitutionellen Gesetzgeber, der neue Grundrechtseinschränkungen vornimmt (BVerfGE 2, 121 [122 f.]; 5, 13 [16]; 15, 288 [293]). Es soll ihn veranlassen, solche Eingriffe im Gesetzeswortlaut auszuweisen. Als Formvorschrift bedarf die Norm enger Auslegung, wenn sie nicht zu einer leeren Förmlichkeit erstarren und den die verfassungsmäßige Ordnung konkretisierenden Gesetzgeber in seiner Arbeit unnötig behindern soll. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb entschieden, daß sich Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG weder auf die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) bezieht, die von vornherein nur unter dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet ist (BVerfGE 10, 89 [99]), noch für Regelungen gilt, die das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) konkretisieren (BVerfGE 13, 97 [122]). Die Vorschrift des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG gilt also nur für Gesetze, die darauf abzielen, ein Grundrecht über die in ihm selbst angelegten Grenzen (vgl. BVerfGE 7, 377 [404]) hinaus einzuschränken.

Es kann hier dahingestellt bleiben, ob Art. 17 a Abs. 1 GG über Art. 5 Abs. 2 GG hinausgehend materiell zu solchen Eingriffen in das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG ermächtigt. Jedenfalls zielt § 10 Abs. 6 SG nicht darauf ab, das Grundrecht der Meinungsfreiheit in dieser Weise einzuschränken. Das ergibt sich aus folgendem:

b) Der in Art. 87 a Abs. 1 Satz 1 GG erteilte Verfassungsauftrag umfaßt auch das Gebot, das innere Gefüge der aufzustellenden Streitkräfte so zu gestalten, daß sie ihren militärischen Aufgaben gewachsen sind. Eine Armee kann nicht ohne Disziplin bestehen. § 10 Abs. 6 SG gehört zum Kreis derjenigen Vorschriften des Soldatengesetzes, welche den sich aus dem Wesen einer Armee ergebenden Grundsatz der Disziplin konkretisieren. Er regelt eine besondere Pflicht der Vorgesetzten. Vorgesetzte brauchen das Vertrauen der Soldaten, die sie führen. Die Vorgesetzten sollen ihren Soldaten auch durch Besonnenheit, Offenheit und sachliches Urteil ein Vorbild sein. Ein intolerantes Auftreten ist damit unvereinbar. § 10 Abs. 6 SG verpflichtet die Vorgesetzten deshalb zu allgemeiner Zurückhaltung bei Meinungsäußerungen.

Der Sinn der Vorschrift ist es nicht, bestimmte Meinungen wegen ihres Inhalts zu verbieten. Sie ist notwendig zum Schutz der Autorität der Vorgesetzten im militärischen Bereich (vgl. BVerfGE 7, 198 [209 f.]). Den Vorgesetzten bleibt es unbenommen, ihre Meinung frei zu äußern. Sie müssen ihre Meinung aber besonnen, tolerant und sachlich vertreten.

II.

1.

a) Die Anwendung von § 10 Abs. 6 SG auf den vom Truppendienstgericht festgestellten Sachverhalt kann vom Bundesverfassungsgericht nicht allgemein auf Rechtsfehler nachgeprüft werden. Das Bundesverfassungsgericht hat nur zu prüfen, ob das Truppendienstgericht die Vorschrift im Licht der Bedeutung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 GG interpretiert hat (BVerfGE 7, 198 [208 f.]; 12, 113 [124 f.]; 21, 271 [281]).

Das Truppendienstgericht geht bei Anwendung von § 10 Abs. 6 SG davon aus, daß der Beschwerdeführer mit seinen Äußerungen nicht gegen § 15 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 SG verstoßen hat, weil ihm der Wille fehlte, sich im Dienst für eine bestimmte politische Richtung zu betätigen oder Untergebene politisch zu beeinflussen. Damit hält es der freien politischen Meinungsäußerung des Soldaten (§ 15 Abs. 1 Satz 2 SG) ein weites Feld offen und trägt der für die freiheitliche Ordnung schlechthin konstituierenden Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit (BVerfGE 20, 56 [97]) hinreichend Rechnung. Das Truppendienstgericht begrenzt dann dieses Feld freier politischer Meinungsäußerung zutreffend durch Anwendung von § 10 Abs. 6 SG, der Vorgesetzte zu allgemeiner Zurückhaltung bei Meinungsäußerungen verpflichtet und deshalb auch für politische Äußerungen von Vorgesetzten gilt. § 10 Abs. 6 SG wird nicht - wie der Beschwerdeführer annimmt - durch § 15 Abs. 4 SG verdrängt: § 15 Abs. 4 SG soll die Soldaten gegen unzulässige politische Beeinflussung durch Vorgesetzte schützen; § 10 Abs. 6 SG will verhindern, daß Vorgesetzte ihre Autorität selbst untergraben.

b) Es ist Sache des Truppendienstgerichts zu entscheiden, welche Anforderungen § 10 Abs. 6 SG im Einzelfall an den Vorgesetzten stellt. Dabei muß es sich von der Wertordnung des Grundgesetzes leiten lassen und die Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit gegen die Notwendigkeit eines disziplinierten Verhaltens der Vorgesetzten abwägen. Bei politischen Meinungsäußerungen müssen hierbei vor allem die verfassungspolitischen Grundentscheidungen des Grundgesetzes herangezogen werden, die das Ergebnis der Güterabwägung auf der Ebene des Verfassungsrechts vorzeichnen. Die Bundesrepublik Deutschland ist eine Demokratie, die von ihren Bürgern eine Verteidigung der freiheitlichen Ordnung erwartet und einen Mißbrauch der Grundrechte zum Kampf gegen diese Ordnung nicht hinnimmt (Art. 9 Abs. 2, 20 Abs. 4, 18, 21 Abs. 2, 98 Abs. 2 und 5 GG). Dieses Prinzip der streitbaren Demokratie gilt auch für die innere Ordnung der Bundeswehr. Es ist deshalb eine Grundpflicht der Soldaten, durch ihr gesamtes Verhalten für die Erhaltung der freiheitlichen Ordnung einzutreten (§ 8 SG). Vorgesetzte müssen ihren Soldaten auch darin ein Vorbild sein. Gerade dieses Vorbild legitimiert ihre Autorität. Daher ist es unabdingbar, daß Offiziere und Unteroffiziere, die sich an politischen Diskussionen zulässigerweise beteiligen, keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, daß sie auf dem Boden der freiheitlichen Ordnung stehen und bereit sind, für sie jederzeit einzutreten. Ein auf das Prinzip der streitbaren Demokratie gegründetes Gemeinwesen kann es nicht dulden, daß seine freiheitliche Ordnung bei politischen Diskussionen innerhalb der Truppe und während des Dienstes von militärischen Vorgesetzten in Frage gestellt, geschweige denn bekämpft wird. Aus einer an diesen Grundsätzen orientierten Auslegung von § 10 Abs. 6 SG folgt zwar nicht - wie das Truppendienstgericht meint -, daß Vorgesetzte niemals gegenüber Untergebenen "Partei für eine bestimmte politische Meinung ergreifen" dürfen, wohl aber, daß Offiziere und Unteroffiziere ihre Pflicht zur Zurückhaltung jedenfalls dann verletzen, wenn sie bei politischen Diskussionen während des Dienstes die freiheitliche Ordnung in Frage stellen.

2.

Die angefochtene Entscheidung läßt erkennen, daß sich das Truppendienstgericht bei Anwendung des § 10 Abs. 6 SG letztlich von diesen Wertvorstellungen hat leiten lassen, die damit die Entscheidung verfassungsrechtlich tragen. Es ist festgestellt worden, daß der Beschwerdeführer bei der politischen Diskussion am 5. Juli 1968 für Ziele und Verhalten der sogenannten außerparlamentarischen Opposition Partei ergriffen und geäußert hat, in der Bundesrepublik könne man nicht frei seine Meinung äußern; Demonstrationen würden durch die Polizei niedergeknüppelt.

Es steht nicht in Frage, daß in der Bundeswehr das aktuelle politische Geschehen offen diskutiert werden kann, wenn dadurch der Dienst nicht gestört wird. Vorgesetzte dürfen sich an solchen Diskussionen beteiligen. Der Beschwerdeführer hat aber durch seine undifferenzierte Billigung von Zielen und Methoden der sogenannten außerparlamentarischen Opposition seinerseits die rechtsstaatliche Ordnung in Frage gestellt. Seine Äußerung, Demonstrationen würden durch die Polizei niedergeknüppelt, sucht den Eindruck zu erwecken, die Polizei gehe systematisch und rechtswidrig gegen friedliche Bürger vor. Hiervon kann aber keine Rede sein. Mit der provozierenden Behauptung, in der Bundesrepublik könne man seine Meinung nicht frei äußern, diffamiert der Beschwerdeführer die freiheitlich-demokratische Ordnung.

Das Truppendienstgericht hat im Ergebnis zu Recht angenommen, daß solche Äußerungen eines militärischen Vorgesetzten nicht durch das in Art. 5 Abs. 1 GG verbürgte Grundrecht gedeckt sind, sondern als Dienstvergehen - zumindest nach § 10 Abs. 6 SG - geahndet werden können.

Die erkannte Strafe trägt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung.

III.

Art. 103 Abs. 1 GG ist nicht verletzt. Ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 16. August 1968 hatte der Beschwerdeführer das letzte Wort. Akteneinsicht hat er nicht begehrt. Das Truppendienstgericht hat der Bestrafung des Beschwerdeführers keinen anderen Sachverhalt zugrunde gelegt als den, dessentwegen der Kommandeur es angerufen hatte.

IV.

Die Verfassungsbeschwerde war daher zurückzuweisen.

Diese Entscheidung ist mit 6 gegen 2 Stimmen ergangen.

Seuffert Leibholz Geller v. Schlabrendorff Rupp Geiger Kutscher Rinck