BVerfG, 24.02.1971 - 1 BvR 435/68
1. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ist eine das Verhältnis des Bereiches Kunst zum Staat regelnde wertentscheidende Grundsatznorm. Sie gewährt zugleich ein individuelles Freiheitsrecht.
2. Die Kunstfreiheitsgarantie betrifft nicht nur die künstlerische Betätigung, sondern auch die Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks.
3. Auf das Recht der Kunstfreiheit kann sich auch ein Buchverleger berufen.
4. Für die Kunstfreiheit gelten weder die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG noch die des Art. 2 Abs. 1 Halbsatz 2 GG.
5. Ein Konflikt zwischen der Kunstfreiheitsgarantie und dem verfassungsrechtlich geschützten Persönlichkeitsbereich ist nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung zu lösen; hierbei ist insbesondere die in GG Art. 1 Abs. 1 garantierte Würde des Menschen zu beachten.
- Beschluß
- Gründe
- Abweichende Meinung des Richters Dr. Stein zu dem Beschluß des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Februar 1971 - 1 BvR 435/68 -
- Abweichende Meinung der Richterin Rupp-v. Brünneck zu dem Beschluß des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Februar 1971 - 1 BvR 435/68 -
Beschluß
des Ersten Senats vom 24. Februar 1971
-- 1 BvR 435/68 --
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Nymphenburger Verlagshandlung, Gesellschaft mit beschränkter Haftung ... gegen 1. das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20. März 1968 - I ZR 44/66 -; 2. das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg vom 10. März 1966 - 3 U 372/1965 -.
Entscheidungsformel:
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
A.
I.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen das von dem Adoptivsohn und Alleinerben des verstorbenen Schauspielers und Intendanten Gustaf Gründgens gegen die Beschwerdeführerin erwirkte Verbot, das Buch "Mephisto Roman einer Karriere" von Klaus Mann zu vervielfältigen, zu vertreiben und zu veröffentlichen.
Der Autor, der im Jahre 1933 aus Deutschland ausgewandert ist, hat den Roman 1936 im Querido-Verlag, Amsterdam, veröffentlicht. Nach seinem Tode im Jahre 1949 ist der Roman 1956 im Aufbauverlag in Ost-Berlin erschienen.
Der Roman schildert den Aufstieg des hochbegabten Schauspielers Hendrik Höfgen, der seine politische Überzeugung verleugnet und alle menschlichen und ethischen Bindungen abstreift, um im Pakt mit den Machthabern des nationalsozialistischen Deutschlands eine künstlerische Karriere zu machen. Der Roman stellt die psychischen, geistigen und soziologischen Voraussetzungen dar, die diesen Aufstieg möglich machten.
Der Romanfigur des Hendrik Höfgen hat der Schauspieler Gustaf Gründgens als Vorbild gedient. Gründgens war in den zwanziger Jahren, als er noch an den Hamburger Kammerspielen tätig war, mit Klaus Mann befreundet und mit dessen Schwester Erika Mann verheiratet, von der er nach kurzer Zeit wieder geschieden wurde. Zahlreiche Einzelheiten der Romanfigur des Hendrik Höfgen - seine äußere Erscheinung, die Theaterstücke, an denen er mitwirkte, und ihre zeitliche Reihenfolge, der Aufstieg zum Preußischen Staatsrat und zum Generalintendanten der Preußischen Staatstheater - entsprechen dem äußeren Erscheinungsbild und dem Lebenslauf von Gründgens. Auch an Personen aus der damaligen Umgebung von Gründgens lehnt sich der Roman an.
Klaus Mann schrieb über die Romanfigur des Hendrik Höfgen und ihr Verhältnis zu Gustaf Gründgens in seinem 1942 in New York erschienenen Buch "The Turning Point" u. a. (S. 281 f.):
"I visualize my ex-brother-in-law as the traitor par excellence, the macabre embodiment of corruption and cynicism. So intense was the fascination of his shameful glory that I decided to portray Mephisto-Gründgens in a satirical novel. I thought it pertinent, indeed, necessary to expose and analyze the abject type of the treacherous intellectual who prostitutes his talent for the sake of some tawdry fame and transitory wealth. Gustaf was just one among others-in reality as well as in the composition of my narrative. He served me as a focus around which I could make gyrate the pathetic and nauseous crowd of petty climbers and crooks."
In der neubearbeiteten, 1948 erschienenen deutschen Ausgabe "Der Wendepunkt" heißt es hierzu (S. 334 f.):
"Warum schrieb ich meinen Roman 'Mephisto'? Das dritte Buch, das ich im Exil - 1936 - veröffentlichte, handelt von einer unsympathischen Figur. Der Schauspieler, den ich hier präsentiere, hat zwar Talent, sonst aber nicht viel, was für ihn spräche. Besonders fehlt es ihm an den sittlichen Eigenschaften, die man meist unter dem Begriff 'Charakter' zusammenfaßt. Statt des 'Charakters' gibt es bei diesem Hendrik Höfgen nur Ehrgeiz, Eitelkeit, Ruhmsucht, Wirkungstrieb. Er ist kein Mensch, nur ein Komödiant. War es der Mühe wert, über eine solche Figur einen Roman zu schreiben? Ja; denn der Komödiant wird zum Exponenten, zum Symbol eines durchaus komödiantischen, zutiefst unwahren, unwirklichen Regimes. Der Mime triumphiert im Staat der Lügner und Versteller. 'Mephisto' ist der Roman einer Karriere im Dritten Reich. 'Vielleicht wollte er (der Autor) dem Schauerstück blutiger Dilettanten das Porträt des echten Komödianten gegenüberstellen', wie Herman Kesten in einer gescheiten Rezension meines Buches ('Das Neue Tagebuch', 1937) mit Recht vermutete. Er fährt fort: 'Ihm gelingt mehr, er zeichnet den Typus des Mitläufers, einen aus der Million von kleinsten Mitschuldigen, die nicht die großen Verbrechen begehen, aber vom Brot der Mörder essen, nicht Schuldige sind, aber schuldig werden; nicht töten, aber zum Totschlag schweigen, über ihre Verdienste hinaus verdienen wollen und die Füße der Mächtigen lecken, auch wenn diese Füße im Blute der Unschuldigen waten. Diese Million von kleinen Mitschuldigen haben )Blut geleckt(. Darin bilden diese die Stütze der Machthaber!' Genau dieser Typus war es, den ich zeichnen wollte. Ich hätte meine Intention selber nicht besser zu formulieren vermocht. 'Mephisto' ist kein 'Schlüsselroman', wie man ihn wohl genannt hat. Der ruchlos brillante, zynisch rücksichtslose Karrieremacher, der im Mittelpunkt meiner Satire steht, mag gewisse Züge von einem gewissen Schauspieler haben, den es wirklich gegeben hat und, wie man mir versichert, wirklich immer noch gibt. Ist der Staatsrat und Intendant Hendrik Höfgen, dessen Roman ich schrieb, ein Porträt des Staatsrates und Intendanten Gustaf Gründgens, mit dem ich als junger Mensch bekannt war? Doch nicht ganz. Höfgen unterscheidet sich in mancher Hinsicht von meinem früheren Schwager. Aber angenommen sogar, daß die Romanfigur dem Original ähnlicher wäre, als sie es tatsächlich ist, Gründgens könnte darum immer noch nicht als der 'Held' des Buches bezeichnet werden. Es geht in diesem zeitkritischen Versuch überhaupt nicht um den Einzelfall, sondern um den Typ. Als Exempel hätte mir genauso gut ein anderer dienen können. Meine Wahl fiel auf Gründgens - nicht, weil ich ihn für besonders schlimm gehalten hätte [er war vielleicht sogar eher besser als manch anderer Würdenträger des Dritten Reiches], sondern einfach, weil ich ihn zufällig besonders genau kannte. Gerade in Anbetracht unserer früheren Vertrautheit erschien mir seine Wandlung, sein Abfall so phantastisch, kurios, unglaubhaft, fabelhaft genug, um einen Roman darüber zu schreiben ..."
II.
1.
Im August 1963 kündigte die Beschwerdeführerin die Veröffentlichung des "Mephisto"-Romans an. Hiergegen erhob nach dem Tode des am 7. Oktober 1963 verstorbenen Gustaf Gründgens sein Adoptivsohn und Alleinerbe Klage. Er machte geltend:
Jeder auch nur oberflächlich mit dem deutschen Theaterleben der zwanziger und dreißiger Jahre vertraute Leser müsse Höfgen mit dem Schauspieler Gründgens in Verbindung bringen. Da in dem Roman zusammen mit erkennbar wahren Tatsachen zahlreiche erfundene herabsetzende Schilderungen verknüpft seien, entstehe ein verfälschtes, grob ehrverletzendes Persönlichkeitsbild von Gründgens. Der Roman sei kein Kunstwerk, sondern ein Schlüsselroman, in dem sich Klaus Mann an Gründgens räche, weil er die Ehre seiner Schwester Erika durch die Heirat mit Gründgens verletzt geglaubt habe.
Der Kläger beantragte, der Beklagten unter Strafandrohung zu untersagen, den Roman "Mephisto" zu vervielfältigen, zu vertreiben und zu veröffentlichen.
Entsprechend dem Antrag der Beklagten wies das Landgericht in Hamburg die Klage ab. Daraufhin veröffentlichte die Beschwerdeführerin den Roman im September 1965 mit dem Vermerk "Alle Personen dieses Buches stellen Typen dar, nicht Porträts. K.M." Aufgrund einer von dem Kläger bei dem Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg am 23. November 1965 erwirkten einstweiligen Verfügung wurde dem Buch ferner folgender Vorspruch beigegeben:
"AN DEN LESER
Der Verfasser Klaus Mann ist 1933 freiwillig aus Gesinnung emigriert und hat 1936 diesen Roman in Amsterdam geschrieben. Aus seiner damaligen Sicht und seinem Haß gegen die Hitlerdiktatur hat er ein zeitkritisches Bild der Theatergeschichte in Romanform geschaffen. Wenn auch Anlehnungen an Personen der damaligen Zeit nicht zu verkennen sind, so hat er den Romanfiguren doch erst durch seine dichterische Phantasie Gestalt gegeben. Dies gilt insbesondere für die Hauptfigur. Handlungen und Gesinnungen, die dieser Person im Roman zugeschrieben werden, entsprechen jedenfalls weitgehend der Phantasie des Verfassers. Er hat daher seinem Werk die Erklärung beigefügt: 'Alle Personen dieses Buches stellen Typen dar, nicht Porträts.'
Der Verleger"
2.
Auf die Berufung des Klägers gab das Oberlandesgericht der Klage sowohl aus dem eigenen Recht des Klägers als auch aus dem fortbestehenden Persönlichkeitsrecht des verstorbenen Gustaf Gründgens mit im wesentlichen folgender Begründung statt:
Der Roman verletze Gründgens in seiner Ehre, seinem Ansehen, seiner sozialen Geltung und verunglimpfe gröblich sein Andenken. Obwohl der Roman weder eine Biographie von Gründgens noch eine historische Studie des deutschen Theaterlebens der zwanziger und dreißiger Jahre sei und sein wolle, müsse das theaterkundige Publikum wegen der ihm bekannten und zutreffenden Schilderung des Erscheinungsbildes und des äußeren Lebensablaufes von Gründgens in der Person des Höfgen annehmen, daß die übrigen ihm nicht bekannten persönlichen Begebenheiten, Handlungen und Motive des Höfgen auf Gründgens zuträfen. Der Leser könne bei einer solchen Schilderung nicht zwischen Wahrheit und Dichtung unterscheiden, zumal das dem Lebensbild von Gründgens Hinzugedichtete möglich und sogar glaubwürdig sei. Es fehle an einer ausreichenden, für den Leser erkennbaren Verfremdung.
Hieran ändere auch die Erklärung des Autors nichts, daß alle Personen Typen, nicht Porträts darstellten, weil der Inhalt des Romans dieser Erklärung widerspreche. Aus der Erklärung müsse der Leser erst recht entnehmen, daß Klaus Mann in Gründgens den charakterlosen Typ des Höfgen erblicke. Der Vorspruch des Verlags werde lediglich als dessen Meinung aufgefaßt, zumal bei der Darstellung des intimen Lebens eines Schauspielers die Sensationslust des Publikums eine Rolle spiele.
Die Beschwerdeführerin könne sich nicht auf Art. 5 Abs. 3 GG berufen. Mit dem Landgericht könne zwar davon ausgegangen werden, daß der Roman ein Kunstwerk sei und daher den Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG genieße. Da der Leser in Höfgen Gründgens wiederkenne, stelle die Schilderung des gemeinen Charakters des Höfgen eine Beleidigung, Verächtlichmachung und Verunglimpfung von Gründgens dar. Das Buch sei - so gesehen - eine Schmähschrift in Romanform, was sich insbesondere aus der Schilderung der masochistischen Beziehungen des Höfgen zu der Negertänzerin Tebab ergebe. Das in Art. 5 Abs. 3 GG geschützte Recht sei anderen Grundrechten nicht übergeordnet. Bei einer Kollision mit dem Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 1 und Art. 2 GG habe eine Güter- und Interessenabwägung zu erfolgen, die hier zugunsten des Klägers ausschlagen müsse. Eine Interessenabwägung entfalle aber, soweit der Roman die durch Art. 1 GG geschützte Intimsphäre von Gründgens antaste, da auch ein Kunstwerk die Menschenwürde nicht verletzen dürfe. Das gelte auch für die verbalen Beleidigungen und Verleumdungen, die Gründgens durch die Person des Höfgen zugefügt worden seien. Auch eine Person der Zeitgeschichte brauche solche Ehrverletzungen nicht hinzunehmen, wenn sie wie Gründgens keinen Anlaß zur negativen Kritik gegeben habe.
Ferner sei zu berücksichtigen, daß die Erinnerung des Publikums an Gründgens noch lebendig sei und die Allgemeinheit ein Interesse daran habe, daß sein Lebens- und Charakterbild nicht verzerrt und völlig entstellt der Nachwelt überliefert werde. Demgegenüber hätten die Interessen der Beklagten zurückzutreten. Denn die Allgemeinheit sei nicht daran interessiert, ein falsches Bild über die Theaterverhältnisse nach 1933 aus der Sicht eines Emigranten zu erhalten. Es sei Klaus Mann zuzumuten gewesen, den Roman nach 1945 umzugestalten, damit der Leser Gründgens in Höfgen nicht mehr erkenne. Durch die Neuherausgabe des Romans in der unveränderten Fassung im jetzigen Zeitpunkt würde die Ehrverletzung und Verunglimpfung von Gründgens auch insoweit zumindest fortgesetzt, als sie durch frühere Ausgaben des Romans bereits eingetreten sei.
3.
Die Revision der Beschwerdeführerin blieb erfolglos. Der Bundesgerichtshof bejahte die Klagebefugnis aus den fortbestehenden Rechten des Verstorbenen und ließ dahinstehen, ob der Kläger auch aus eigenem Recht aktiv legitimiert sei.
Der Schutz der Persönlichkeit auf der Grundlage der durch die Wertentscheidungen in Art. 1 und Art. 2 GG ausgefüllten Generalklausel des § 823 Abs. 1 BGB sei zwar nach dem Tode dadurch eingeschränkt, daß alle diejenigen Ausstrahlungen endeten, welche die Existenz einer aktiv handelnden Person voraussetzten; bei der Abwägung widerstreitender Belange könne nicht mehr der Schutz der persönlichen Empfindung des Angegriffenen als solcher ins Gewicht fallen, so daß z.B. bei Darstellungen aus dem Intimbereich die Frage einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts für Verstorbene nach einem anderen Wertmaßstab als für Lebende zu beurteilen sei. Jedoch bestünden Unterlassungsansprüche gegen grobe Entstellungen des Lebensbildes zum Schutz des Achtungsanspruchs des Verstorbenen im sozialen Raum auch nach dessen Tode fort; sie könnten vom Kläger als Adoptivsohn und Alleinerben des Verstorbenen wahrgenommen werden. Allerdings sei diese Befugnis zeitlich begrenzt, da das Rechtsschutzbedürfnis in dem Maß schwinde, in dem die Erinnerung an den Verstorbenen verblasse und im Laufe der Zeit auch das Interesse an der Nichtverfälschung des Lebensbildes abnehme.
Auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen, daß der Roman für einen nicht unbedeutenden Leserkreis ein negativ verzerrtes, verunglimpfendes Charakter- und Lebensbild von Gründgens vermittle, billigt der Bundesgerichtshof im Ergebnis auch die rechtlichen Folgerungen des Oberlandesgerichts und führt hierzu aus:
Das Recht, Verhalten und Lebensbild einer Person kritisch zu beurteilen, finde nach Art. 5 Abs. 2 GG seine Schranke in dem Recht der persönlichen Ehre und rechtfertige jedenfalls nicht, das Lebensbild einer Persönlichkeit durch erfundene, die Gesinnung negativ kennzeichnende Verhaltensweisen zu entstellen. Namentlich das erdichtete Verhalten gegenüber der schwarzen Tänzerin, zu der Höfgen langdauernde Beziehungen unterhalten habe und die er, als sie seiner Karriere gefährlich zu werden drohe, in niederträchtiger Weise von der Gestapo habe verhaften und abschieben lassen, vermittle dem Leser den Eindruck, daß Gründgens zu niederträchtigen Handlungen fähig gewesen sei.
Auch die Freiheit der Kunst decke solche schwerwiegenden Entstellungen nicht. Zwar sei mit den Vorinstanzen davon auszugehen, daß der beanstandete Roman als Ergebnis künstlerischen Schaffens ein Kunstwerk sei. Entstellungen von so schwerwiegender Art wie im vorliegenden Fall seien aber durch die in Art. 5 Abs. 3 GG verbürgte Freiheit der Kunst nicht gedeckt. Allerdings dürfe der Künstler an reale Geschehnisse und persönliche Umwelterfahrungen anknüpfen und in der Verarbeitung dieser Anregungen bei ausreichender Verfremdung einen weiten Schaffensspielraum beanspruchen. Auch könne bei einem Konflikt mit der Persönlichkeitssphäre die Güterabwägung dazu führen, dem Künstler zu gestatten, bei romanhafter Darstellung des Lebens einer Person der Zeitgeschichte den Dargestellten auch durch erfundene Begebenheiten ergänzend zu charakterisieren und bei Verstorbenen in gewissen Grenzen auch Vorgänge aus dem Intimbereich zu schildern. Jedoch erfahre das Recht zur freien künstlerischen Betätigung eine immanente Begrenzung durch das verfassungsrechtlich garantierte Persönlichkeitsrecht. Diese Grenze sei überschritten, wenn das Lebensbild einer bestimmten Person, die derart deutlich wie im vorliegenden Fall als Vorbild gedient habe, durch frei erfundene Zutaten grundlegend negativ entstellt werde, ohne daß dies als satirische oder sonstige Übertreibung erkennbar sei. Nehme der Künstler derartige Veränderungen der Wirklichkeit vor, dann könne und müsse von ihm erwartet werden, daß er die Anknüpfung an das Vorbild unerkennbar mache. Das sei im Streitfall nicht geschehen.
Das Vorwort der Beklagten und die kurze Versicherung des Autors schlössen nicht aus, daß Gründgens nach wie vor vom Leser mit Höfgen identifiziert werde.
B.
I.
Mit der Verfassungsbeschwerde gegen die Urteile des Bundesgerichtshofs und des Hanseatischen Oberlandesgerichts rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung von Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 und 3, Art. 14, Art. 103 Abs. 1 GG sowie der verfassungsrechtlichen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Rechtssicherheit. Zur Begründung macht sie geltend: Die angegriffenen Entscheidungen verletzten die Kunstfreiheit. Das Wesen jeden Kunstwerkes schließe es aus, Romanfiguren etwa wegen "Ähnlichkeiten" mit Menschen und Geschehnissen der realen Welt in Verbindung zu bringen und auf ihre Übereinstimmung mit der Wirklichkeit zu prüfen. Ein Roman gestalte Raum und Zeit und die darin handelnden Personen als von der Realität abgelöste, eigenständige Erzeugnisse dichterischer Phantasie. Zwar sei das Hineinnehmen der Wahrnehmungen des Künstlers aus seiner Umwelt in seine Phantasie notwendige Vorarbeit jedes künstlerischen Schaffensprozesses. So habe Klaus Mann als Emigrant und nach seiner politischen Einstellung nicht darauf verzichten können, den Gesinnungswandel von Gründgens, der für ihn in dessen steilem Aufstieg zu den höchsten Staatsämtern und seinem Auftreten mit den damaligen Machthabern in der Öffentlichkeit besonders zum Ausdruck gekommen sei, zum Anlaß für einen Roman zu nehmen und diesen "Stoff" zu einer sarkastisch-satirischen Dichtung zu gestalten. Diese "Welt" des Dichters Klaus Mann könne jedoch nicht mit der realen Welt durch einen unmittelbaren Vergleich nach "Erkennbarkeiten" und "Entlehnungen" in Verbindung gebracht werden, auch wenn sie Zeitverhältnisse behandele und kritisiere, weil die Rückspiegelung eines solchen Romans auf die Realität von einer ganz anderen Ebene aus erfolge. Anders sei z.B. ein "Schlüsselloch-Roman" zu beurteilen, bei dem nicht der künstlerische Ausdruck, sondern unter dem Deckmantel eines Pseudonyms die Schmähung im Mittelpunkt stehe. Jedoch verbiete die Anerkennung des "Mephisto"- Romans als Kunstwerk ebenso wie das Urteil anerkannter Kritiker und Schriftsteller des In- und Auslandes seine Herabsetzung zu einem derartigen Roman. Begrifflich und damit rechtlich sei es danach ausgeschlossen, den als Kunstwerk qualifizierten Roman aufzuspalten in ein Gebilde dichterischer Phantasie einerseits und eine Abbildung oder Dokumentation der Wirklichkeit andererseits.
Deshalb seien für die Beurteilung der Wirkungen des Romans auf die Persönlichkeitssphäre von Gründgens "Erkennbarkeit" oder "Übereinstimmung mit der Realität" als Maßstäbe sachwidrig. Der Rechtsschutz für die Persönlichkeit könne nur für den Menschen in der Wirklichkeit und in bezug auf die Wirklichkeit bestehen, nicht in bezug auf eine Phantasiewelt dichterischer Schöpfung. Insofern handele es sich um eigenständige, miteinander nicht vergleichbare Welten. Diese Eigenständigkeit der künstlerischen Aussage werde durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleistet.
Die Annahme, daß das Recht aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG eine "immanente Begrenzung" erfahre, berücksichtige nicht, daß das Grundrecht schrankenlos gewährleistet sei. Auf seiten von Gründgens könne nach seinem Tod nur von einem sehr eingeschränkten Persönlichkeitsrecht gesprochen werden. Ferner sei nicht ausreichend das besondere Interesse der Allgemeinheit an einer Veröffentlichung des Romans als des ersten literarischen Werkes der Emigranten- und Exilliteratur gewürdigt worden.
Der Roman hätte auch nicht nach den heutigen Verhältnissen, sondern nur nach Vorstellungen zur Zeit seiner Entstehung gewürdigt werden dürfen, da es zum Wesen des Kunstwerks gehöre, daß es nur aus sich und seiner Zeit heraus verstanden werden könne. Vor allem seien die politischen Umstände von Bedeutung, die der Entstehung des Romans zur Zeit der Herrschaft des Nationalsozialismus ihr besonderes Gepräge gegeben hätten.
Unzureichend gewürdigt seien die gutachtlichen Äußerungen der Kritiker, die durchweg auf den Symbolgehalt und die Ferne des Romans zum "Porträt" hingewiesen hätten. Ebenfalls sei nicht hinreichend berücksichtigt, daß der Theaterkundige zwischen Kunst und Wirklichkeit zu unterscheiden wisse sowie darüber unterrichtet sei, daß der Roman nicht zu den Biographien über Gründgens zähle.
Ferner verbiete der Urheberrechtsschutz, den Roman zu ändern. Auch stehe dem Verbot des Romans das Informationsrecht des Publikums aus Art. 5 Abs. 1 GG entgegen. Die Veröffentlichung des Romans solle nicht allein der privaten Auseinandersetzung, sondern vor allem der öffentlichen Meinungsbildung dienen. Außerdem greife das Verbot unter Verletzung von Art. 14 GG in das verlegerische Veröffentlichungs- und Vertriebsrecht der Beschwerdeführerin ein.
Art. 103 Abs. 1 GG sei verletzt, weil das Oberlandesgericht nicht aufgeklärt habe, ob zwischen Gründgens und dem Kläger einem echten Kindschaftsverhältnis entsprechende Bindungen bestanden hätten, obwohl dieses von der Beschwerdeführerin bestritten worden sei. Der Bundesgerichtshof habe sich nicht mit der wiederholt erklärten Bereitschaft der Beschwerdeführerin auseinandergesetzt, sich auch für die Zukunft an den Vorspruch nach Maßgabe der einstweiligen Verfügung zu halten. Seine Ausführungen zum Vorwort verletzten zugleich den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Sie bedeuteten praktisch, daß die Beschwerdeführerin jeweils das Prozeßrisiko und das Risiko fortgesetzter Bestrafungsanträge im Vollstreckungsverfahren eingehen müsse, wenn sie die Veröffentlichung des Romans mit einem neuen Vorwort versuchen wolle, da nicht geklärt sei, welcher Text als Vorwort ausreiche. Zudem sei die Verlagerung des Schwergewichts des Konflikts in das Vollstreckungsverfahren mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit nicht vereinbar.
II.
Gemäß § 94 BVerfGG haben sich der Bundesminister der Justiz und der Kläger des Ausgangsverfahrens zu der Verfassungsbeschwerde geäußert.
1.
Der Bundesminister der Justiz hat unter Verzicht auf eine abschließende Stellungnahme ausgeführt:
Die Beschwerdeführerin sei durch das gerichtliche Verbot in ihren Grundrechten aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG betroffen, da verbreitungshemmende Maßnahmen gegen den Verleger zugleich die Wirkungsmöglichkeiten der wesensmäßig auf Kommunikation angewiesenen Kunstschöpfung schmälerten.
Durch Art. 1, Art. 2 Abs. 1 GG werde dem verstorbenen Gustaf Gründgens in einem gegenständlich beschränkten Umfang ein postmortaler Persönlichkeitsschutz hinsichtlich solcher Nachwirkungen und Ausstrahlungen gewährt, die wie die Ehre und das Ansehen in der Erinnerung der Nachwelt einen von dem Lebensbild des Verstorbenen nicht zu trennenden Wert darstellten. Ob dieses Schutzgut durch den Roman betroffen werde, sei weitgehend eine Frage der künstlerischen Bewertung des Buches.
Jedenfalls verbiete die künstlerische Unterordnung des dargestellten Geschehens unter eine allgemeingültige ideelle Aussage, von dem Werk eine getreue Übereinstimmung der Romanschilderung oder ihrer wesentlichen Züge mit der historischen Wirklichkeit zu fordern und es so auf einen bestimmten, vom Künstlerwillen losgelösten Inhalt festzulegen. Auch trete das vorhandene historische Vorbild der Romanhandlung im Bewußtsein der Leserschaft durch die künstlerische Sublimierung des Stoffes zurück. Diese mit der Qualifizierung als Kunstwerk bereits gegebene Verfremdung des historischen Substrats suche das vorangestellte Vorwort noch zu verstärken. Bei dieser Sachlage sei zumindest das Verlangen, daß die künstlerische Sublimierung des behandelten Stoffes jedem Leser einsichtig sein müsse, mit der Kunstfreiheitsgarantie nicht vereinbar.
Ein etwaiger Wertkonflikt zwischen Kunstfreiheit und Persönlichkeitsschutz könne nicht durch den Hinweis auf die Schrankenlosigkeit der Kunstfreiheit gelöst werden, da auch dieses Grundrecht im Blick auf die Gemeinschaftsbezogenheit des Individuums durch die Rechte anderer und die Schutzbedürftigkeit von Gemeinschaftsgütern beschränkt sei. Andererseits genieße auch das Recht der persönlichen Ehre keinen Vorrang vor der Kunstfreiheit, die letztlich in der Achtung vor der Würde des Menschen wurzele. Die Schutzbereiche der kollidierenden Grundrechtspositionen seien deshalb durch Güterabwägung nach Maßgabe aller Umstände des Einzelfalles so gegeneinander abzugrenzen, daß eine jede sich zu optimaler Wirkungskraft entfalten könne. Dabei seien grundsätzlich die gegenwärtigen Verhältnisse zugrunde zu legen; jedoch seien auch die äußeren Verhältnisse und Zeitumstände, unter denen der Roman entstanden sei, retrospektiv in die Beurteilung einzubeziehen, da der Leser die Entstehungsgeschichte und die durch sie bedingte Relativierung des Blickwinkels des Autors berücksichtigen werde. Auch könne der Umstand, daß der Autor etwaige herabsetzende Äußerungen über die Persönlichkeit von Gründgens nicht in einer persönlichen, sondern in einer öffentlichen Auseinandersetzung zwischen den damaligen politischen Machthabern und den Verfechtern einer unabhängigen Kunst gemacht habe, beim Leser zu einer differenzierten Beurteilung führen. Ferner bestehe ein erhebliches Interesse, der Öffentlichkeit solches Anschauungsmaterial über die damaligen innerdeutschen Verhältnisse zugänglich zu machen.
Schließlich müsse geprüft werden, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ein uneingeschränktes Verbreitungsverbot rechtfertige und ob nicht bereits das Vorwort ausreichend klarstelle, daß der negativ gezeichnete Typ der Romanfigur kein getreues Abbild der Wirklichkeit sei.
2.
Der Kläger des Ausgangsverfahrens hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.
Der Roman mißbrauche die Kunstfreiheit; seine Veröffentlichung würde das Persönlichkeitsrecht von Gründgens in seinem Wesensgehalt treffen. Auch nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG sei der Zugriffswille des Künstlers durch die allgemein gültigen Rechtsschranken beschränkt. Eine Güterabwägung scheide aus, weil der Bestimmungsgrund für Klaus Mann nach seinem eigenen Bekenntnis in erster Linie nicht ein Anliegen der Kunst, sondern Haßgefühle gewesen seien. Der Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG sei ferner wegen des Interesses der Öffentlichkeit an wahrheitsgemäßer Unterrichtung über Gründgens als einer bedeutenden Persönlichkeit der Zeitgeschichte zu versagen.
C.
I.
Die in bezug auf das Verfahren vor dem Oberlandesgericht und dem Bundesgerichtshof erhobenen Rügen einer Verletzung des Anspruchs der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) sind nicht gerechtfertigt.
Das Oberlandesgericht ist dem Vorbringen, mit dem die Beschwerdeführerin die Aktivlegitimation des Klägers bestritten und das Bestehen eines echten Eltern-Kind-Verhältnisses zwischen dem Kläger und seinem Adoptivvater angezweifelt hat, nur deshalb nicht nachgegangen, weil es diesen Vortrag nicht für entscheidungserheblich angesehen hat. Insoweit kommt eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG nicht in Betracht; dieses Prozeßgrundrecht gewährt keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen und materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen (BVerfGE 21, 191 [194]).
Ebensowenig ist das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin dadurch verletzt, daß der Bundesgerichtshof die Gestaltung des Vorworts, dem er für die Möglichkeit einer Veröffentlichung des Romans Bedeutung beigelegt hat, nicht selbst mit den Prozeßbeteiligten des Ausgangsverfahrens erörtert und die Sache auch nicht zum Zweck einer solchen Erörterung an das Berufungsgericht zurückverwiesen hat. Der Bundesgerichtshof hat die Gründe für sein Verfahren eingehend dargelegt; sie liegen in Erwägungen des einfachen (Prozeß-) Rechts, die vom Bundesverfassungsgericht nicht nachzuprüfen sind.
II.
Soweit die angegriffenen Entscheidungen den mit der Klage geltend gemachten Unterlassungsanspruch nach Maßgabe der höchstrichterlichen Rechtsprechung in analoger Anwendung negatorischer Zivilrechtsnormen für begründet erklärt haben, handelt es sich um Anwendung einfachen Rechts, die vom Bundesverfassungsgericht - da Willkür offensichtlich ausscheidet - nicht nachgeprüft werden kann (BVerfGE 18, 85 [92 f., 96 f.]). Dasselbe gilt für die Frage, ob der Kläger als Angehöriger des verstorbenen Gustaf Gründgens zivilrechtliche Unterlassungsansprüche aus eigenem Recht oder aus fortbestehenden Rechten des Verstorbenen geltend machen kann.
Jedoch hat das Bundesverfassungsgericht zu prüfen, ob die angefochtenen Entscheidungen der Gerichte bei der Anwendung bürgerlich-rechtlicher Normen auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Grundrechte beruhen, deren Verletzung die Beschwerdeführerin gerügt hat, oder ob das Auslegungsergebnis selbst die geltend gemachten Grundrechte verletzt (BVerfGE 7, 198 [205 f.]; 21, 209 [216]). Soweit es um diese verfassungsrechtlichen Ausstrahlungswirkungen geht, handelt es sich in erster Linie um die Tragweite der von der Beschwerdeführerin in Anspruch genommenen verfassungsverbürgten Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG), sodann um das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG), insbesondere um das Verhältnis dieser Grundrechte zu dem geschützten Persönlichkeitsbereich, den die Urteile dem verstorbenen Gustaf Gründgens nach Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG eingeräumt haben.
III.
Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG erklärt die Kunst neben der Wissenschaft, Forschung und Lehre für frei. Mit dieser Freiheitsverbürgung enthält Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nach Wortlaut und Sinn zunächst eine objektive, das Verhältnis des Bereiches Kunst zum Staat regelnde wertentscheidende Grundsatznorm. Zugleich gewährleistet die Bestimmung jedem, der in diesem Bereich tätig ist, ein individuelles Freiheitsrecht.
1.
Der Lebensbereich "Kunst" ist durch die vom Wesen der Kunst geprägten, ihr allein eigenen Strukturmerkmale zu bestimmen. Von ihnen hat die Auslegung des Kunstbegriffs der Verfassung auszugehen. Das Wesentliche der künstlerischen Betätigung ist die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Alle künstlerische Tätigkeit ist ein Ineinander von bewußten und unbewußten Vorgängen, die rational nicht aufzulösen sind. Beim künstlerischen Schaffen wirken Intuition, Phantasie und Kunstverstand zusammen; es ist primär nicht Mitteilung, sondern Ausdruck und zwar unmittelbarster Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers.
Die Kunstfreiheitsgarantie betrifft in gleicher Weise den "Werkbereich" und den "Wirkbereich" des künstlerischen Schaffens. Beide Bereiche bilden eine unlösbare Einheit. Nicht nur die künstlerische Betätigung (Werkbereich), sondern darüber hinaus auch die Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks sind sachnotwendig für die Begegnung mit dem Werk als eines ebenfalls kunstspezifischen Vorganges; dieser "Wirkbereich", in dem der Öffentlichkeit Zugang zu dem Kunstwerk verschafft wird, ist der Boden, auf dem die Freiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 GG vor allem erwachsen ist. Allein schon der Rückblick auf das nationalsozialistische Regime und seine Kunstpolitik zeigt, daß die Gewährleistung der individuellen Rechte des Künstlers nicht ausreicht, die Freiheit der Kunst zu sichern. Ohne eine Erstreckung des personalen Geltungsbereichs der Kunstfreiheitsgarantie auf den Wirkbereich des Kunstwerks würde das Grundrecht weitgehend leerlaufen.
2.
Wie weit die Verfassungsgarantie der Kunstfreiheit reicht und was sie im einzelnen bedeutet, läßt sich ohne tieferes Eingehen auf die sehr verschiedenen Äußerungsformen künstlerischer Betätigung in einer für alle Kunstgattungen gleichermaßen gültigen Weise nicht erschöpfend darstellen. Für die Zwecke dieser Entscheidung bedarf es jedoch einer so weit ausgreifenden Erörterung nicht, da die Instanzgerichte - in Übereinstimmung mit den Prozeßbeteiligten und soweit ersichtlich mit dem Urteil aller kompetenten Sachverständigen - dem hier zu beurteilenden Roman die Eigenschaft eines Kunstwerks mit Recht zuerkannt haben. Es genügt deshalb, auf die spezifischen Gesichtspunkte einzugehen, die bei der Beurteilung eines Werkes der erzählenden (epischen) Kunst in Betracht kommen können, das an Vorgänge der historischen Wirklichkeit anknüpft und bei dem deshalb die Gefahr eines Konfliktes mit schutzwürdigen Rechten und Interessen der in dem Werk dargestellten Personen gegeben ist.
Auch wenn der Künstler Vorgänge des realen Lebens schildert, wird diese Wirklichkeit im Kunstwerk "verdichtet". Die Realität wird aus den Zusammenhängen und Gesetzmäßigkeiten der empirisch-geschichtlichen Wirklichkeit gelöst und in neue Beziehungen gebracht, für die nicht die "Realitätsthematik", sondern das künstlerische Gebot der anschaulichen Gestaltung im Vordergrund steht. Die Wahrheit des einzelnen Vorganges kann und muß unter Umständen der künstlerischen Einheit geopfert werden.
Sinn und Aufgabe des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ist es vor allem, die auf der Eigengesetzlichkeit der Kunst beruhenden, von ästhetischen Rücksichten bestimmten Prozesse, Verhaltensweisen und Entscheidungen von jeglicher Ingerenz öffentlicher Gewalt freizuhalten. Die Art und Weise, in der der Künstler der Wirklichkeit begegnet und die Vorgänge gestaltet, die er in dieser Begegnung erfährt, darf ihm nicht vorgeschrieben werden, wenn der künstlerische Schaffensprozeß sich frei soll entwickeln können. Über die "Richtigkeit" seiner Haltung gegenüber der Wirklichkeit kann nur der Künstler selbst entscheiden. Insoweit bedeutet die Kunstfreiheitsgarantie das Verbot, auf Methoden, Inhalte und Tendenzen der künstlerischen Tätigkeit einzuwirken, insbesondere den künstlerischen Gestaltungsraum einzuengen, oder allgemein verbindliche Regeln für diesen Schaffensprozeß vorzuschreiben. Für das erzählende Kunstwerk ergibt sich daraus im besonderen, daß die Verfassungsgarantie die freie Themenwahl und die freie Themengestaltung umfaßt, indem sie dem Staat verbietet, diesen Bereich spezifischen künstlerischen Ermessens durch verbindliche Regeln oder Wertungen zu beschränken. Das gilt auch und gerade dort, wo der Künstler sich mit aktuellem Geschehen auseinandersetzt; der Bereich der "engagierten" Kunst ist von der Freiheitsgarantie nicht ausgenommen.
3.
Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG garantiert die Freiheit der Betätigung im Kunstbereich umfassend. Soweit es daher zur Herstellung der Beziehungen zwischen Künstler und Publikum der publizistischen Medien bedarf, sind auch die Personen durch die Kunstfreiheitsgarantie geschützt, die hier eine solche vermittelnde Tätigkeit ausüben. Da ein Werk der erzählenden Kunst ohne die Vervielfältigung, Verbreitung und Veröffentlichung durch den Verleger keine Wirkung in der Öffentlichkeit entfalten könnte, der Verleger daher eine unentbehrliche Mittlerfunktion zwischen Künstler und Publikum ausübt, erstreckt sich die Freiheitsgarantie auch auf seine Tätigkeit. Die Beschwerdeführerin als Verleger des Romans kann sich deshalb auf das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG berufen (vgl. auch BVerfGE 10, 118 [121]; 12, 205 [260] zur Pressefreiheit).
4.
Die Kunst ist in ihrer Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vorbehaltlos gewährleistet. Versuche, die Kunstfreiheitsgarantie durch wertende Einengung des Kunstbegriffes, durch erweiternde Auslegung oder Analogie aufgrund der Schrankenregelung anderer Verfassungsbestimmungen einzuschränken, müssen angesichts der klaren Vorschrift des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG erfolglos bleiben.
Unanwendbar ist insbesondere, wie auch der Bundesgerichtshof mit Recht annimmt, Art. 5 Abs. 2 GG, der die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG beschränkt. Die systematische Trennung der Gewährleistungsbereiche in Art. 5 GG weist den Abs. 3 dieser Bestimmung gegenüber Abs. 1 als lex specialis aus und verbietet es deshalb, die Schranken des Abs. 2 auch auf die in Abs. 3 genannten Bereiche anzuwenden. Ebensowenig wäre es angängig, aus dem Zusammenhang eines Werkes der erzählenden Kunst einzelne Teile herauszulösen und sie als Meinungsäußerungen im Sinne des Art. 5 Abs. 1 GG anzusehen, auf die dann die Schranken des Abs. 2 Anwendung fänden. Auch die Entstehungsgeschichte des Art. 5 Abs. 3 GG bietet keinen Anhalt für die Annahme, daß der Verfassunggeber die Kunstfreiheit als Unterfall der Meinungsäußerungsfreiheit habe betrachten wollen.
Die Äußerung des Abgeordneten v. Mangoldt in der Sitzung des Grundsatzausschusses des Parlamentarischen Rats vom 5. Oktober 1948, daß die Gewährleistung der Kunst- und Wissenschaftsfreiheit in unmittelbarer Verbindung mit der Freiheit der Meinungsäußerung stehe (JbÖffR, N. F., Bd. 1, S. 89 ff.), sollte die Stellung des damals noch selbständigen Artikels unmittelbar hinter den Garantien der Meinungsfreiheit erklären. Sie ging also gerade von der Selbständigkeit der Regelungsbereiche aus. Von Bedeutung ist auch die Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 16. Dezember 1948 (PRDrucks. 370), in der das Zensurverbot ausdrücklich für das Theater mit der Begründung gefordert wurde, daß durch den im Entwurf enthaltenen Art. 7 (dem jetzigen Art. 5 Abs. 3 GG) die Freiheit des Theaters noch nicht garantiert werde, da nicht jede Theateraufführung Kunst zu sein brauche. Zu berücksichtigen ist ferner, daß für den Verfassunggeber auf Grund der Erfahrungen aus der Zeit des NS-Regimes, das Kunst und Künstler in die völlige Abhängigkeit politisch-ideologischer Zielsetzungen versetzt oder zum Verstummen gebracht hatte, begründeter Anlaß bestand, die Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit des Sachbereichs Kunst besonders zu garantieren.
Abzulehnen ist auch die Meinung, daß die Freiheit der Kunst gemäß Art. 2 Abs. 1 Halbsatz 2 GG durch die Rechte anderer, durch die verfassungsmäßige Ordnung und durch das Sittengesetz beschränkt sei. Diese Ansicht ist unvereinbar mit dem vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung anerkannten Verhältnis der Subsidiarität des Art. 2 Abs. 1 GG zur Spezialität der Einzelfreiheitsrechte (vgl. u. a. BVerfGE 6, 32 [36 ff.]; 9, 63 [73]; 9, 73 [77]; 9, 338 [343]; 10, 55 [58]; 10, 185 [199]; 11, 234 [238]; 21, 227 [234]; 23, 50 [55 f.]), das eine Erstreckung des Gemeinschaftsvorbehalts des Art. 2 Abs. 1 Halbsatz 2 auf die durch besondere Grundrechte geschützten Lebensbereiche nicht zuläßt. Aus den gleichen Erwägungen verbietet sich, Art. 2 Abs. 1 GG als Auslegungsregel zur Interpretation des Sinngehalts von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG heranzuziehen. Diese Schrankenregelung ist auch nicht auf den "Wirkbereich" der Kunst anzuwenden.
5.
Andererseits ist das Freiheitsrecht nicht schrankenlos gewährt. Die Freiheitsverbürgung in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geht wie alle Grundrechte vom Menschenbild des Grundgesetzes aus, d. h. vom Menschen als eigenverantwortlicher Persönlichkeit, die sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft frei entfaltet (BVerfGE 4, 7 [15 f.]; 7, 198 [205]; 24, 119 [144]; 27, 1 [7]). Jedoch kommt der Vorbehaltlosigkeit des Grundrechts die Bedeutung zu, daß die Grenzen der Kunstfreiheitsgarantie nur von der Verfassung selbst zu bestimmen sind. Da die Kunstfreiheit keinen Vorbehalt für den einfachen Gesetzgeber enthält, darf sie weder durch die allgemeine Rechtsordnung noch durch eine unbestimmte Klausel relativiert werden, welche ohne verfassungsrechtlichen Ansatzpunkt und ohne ausreichende rechtsstaatliche Sicherung auf eine Gefährdung der für den Bestand der staatlichen Gemeinschaft notwendigen Güter abhebt. Vielmehr ist ein im Rahmen der Kunstfreiheitsgarantie zu berücksichtigender Konflikt nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit dieses grundlegenden Wertsystems durch Verfassungsauslegung zu lösen. Als Teil des grundrechtlichen Wertsystems ist die Kunstfreiheit insbesondere der in Art. 1 GG garantierten Würde des Menschen zugeordnet, die als oberster Wert das ganze grundrechtliche Wertsystem beherrscht (BVerfGE 6, 32 [41]; 27, 1 [6]). Dennoch kann die Kunstfreiheitsgarantie mit dem ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Persönlichkeitsbereich in Konflikt geraten, weil ein Kunstwerk auch auf der sozialen Ebene Wirkungen entfalten kann.
Daß im Zugriff des Künstlers auf Persönlichkeits- und Lebensdaten von Menschen seiner Umwelt der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Dargestellten betroffen sein kann, ist darin begründet, daß ein solches Kunstwerk nicht nur als ästhetische Realität wirkt, sondern daneben ein Dasein in den Realien hat, die zwar in der Darstellung künstlerisch überhöht werden, damit aber ihre sozialbezogenen Wirkungen nicht verlieren. Diese Wirkungen auf der sozialen Ebene entfalten sich "neben" dem eigenständigen Bereich der Kunst; gleichwohl müssen sie auch im Blick auf den Gewährleistungsbereich des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewürdigt werden, da die "reale" und die "ästhetische" Welt im Kunstwerk eine Einheit bilden.
6.
Die Gerichte haben in diesem Zusammenhang mit Recht zur Beurteilung der Schutzwirkungen aus dem Persönlichkeitsbereich des verstorbenen Schauspielers Gründgens Art. 1 Abs. 1 GG wertend herangezogen. Es würde mit dem verfassungsverbürgten Gebot der Unverletzlichkeit der Menschen würde, das allen Grundrechten zugrunde liegt, unvereinbar sein, wenn der Mensch, dem Würde kraft seines Personseins zukommt, in diesem allgemeinen Achtungsanspruch auch nach seinem Tode herabgewürdigt oder erniedrigt werden dürfte. Dementsprechend endet die in Art. 1 Abs. 1 GG aller staatlichen Gewalt auferlegte Verpflichtung, dem Einzelnen Schutz gegen Angriffe auf seine Menschenwürde zu gewähren, nicht mit dem Tode.
Der Bundesgerichtshof und das Oberlandesgericht erkennen darüber hinaus auch nach Art. 2 Abs. 1 GG Ausstrahlungswirkungen für den zivilrechtlichen Schutzbereich um die Person des verstorbenen Schauspielers Gründgens an, wenn auch in einem durch sein Ableben bedingten eingeschränkten Umfang. Die Fortwirkung eines Persönlichkeitsrechts nach dem Tode ist jedoch zu verneinen, weil Träger dieses Grundrechts nur die lebende Person ist; mit ihrem Tode erlischt der Schutz aus diesem Grundrecht. Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG setzt die Existenz einer wenigstens potentiell oder zukünftig handlungsfähigen Person als unabdingbar voraus. Daran vermag die Erwägung des Bundesgerichtshofs nichts zu ändern, daß die Rechtslage nach dem Tode für die freie Entfaltung der Person zu ihren Lebzeiten nicht ohne Belang sei. Die Versagung eines Persönlichkeitsschutzes nach dem Tode stellt keinen Eingriff dar, der die in Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Handlungs- und Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt.
7.
Die Lösung der Spannungslage zwischen Persönlichkeitsschutz und dem Recht auf Kunstfreiheit kann deshalb nicht allein auf die Wirkungen eines Kunstwerks im außerkünstlerischen Sozialbereich abheben, sondern muß auch kunstspezifischen Gesichtspunkten Rechnung tragen. Das Menschenbild, das Art. 1 Abs. 1 GG zugrunde liegt, wird durch die Freiheitsgarantie in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ebenso mitgeprägt wie diese umgekehrt von der Wertvorstellung des Art. 1 Abs. 1 GG beeinflußt ist. Der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Einzelnen ist ebensowenig der Kunstfreiheit übergeordnet wie sich die Kunst ohne weiteres über den allgemeinen Achtungsanspruch des Menschen hinwegsetzen darf.
Die Entscheidung darüber, ob durch die Anlehnung der künstlerischen Darstellung an Persönlichkeitsdaten der realen Wirklichkeit ein der Veröffentlichung des Kunstwerks entgegenstehender schwerer Eingriff in den schutzwürdigen Persönlichkeitsbereich des Dargestellten zu befürchten ist, kann nur unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles getroffen werden. Dabei ist zu beachten, ob und inwieweit das "Abbild" gegenüber dem "Urbild" durch die künstlerische Gestaltung des Stoffs und seine Ein- und Unterordnung in den Gesamtorganismus des Kunstwerks so verselbständigt erscheint, daß das Individuelle, Persönlich-Intime zugunsten des Allgemeinen, Zeichenhaften der "Figur" objektiviert ist. Wenn eine solche, das Kunstspezifische berücksichtigende Betrachtung jedoch ergibt, daß der Künstler ein "Porträt" des "Urbildes" gezeichnet hat oder gar zeichnen wollte, kommt es auf das Ausmaß der künstlerischen Verfremdung oder den Umfang und die Bedeutung der "Verfälschung" für den Ruf des Betroffenen oder für sein Andenken an.
IV.
Das Bundesverfassungsgericht hat danach zu entscheiden, ob die Gerichte bei der von ihnen vorgenommenen Abwägung zwischen dem durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Persönlichkeitsbereich des verstorbenen Gustaf Gründgens und seines Adoptivsohnes und der durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleisteten Kunstfreiheit den dargelegten Grundsätzen Rechnung getragen haben. Bei der Entscheidung dieser Frage ergab sich im Senat Stimmengleichheit. Infolgedessen konnte gemäß § 15 Abs. 2 Satz 4 BVerfGG nicht festgestellt werden, daß die angefochtenen Urteile gegen das Grundgesetz verstoßen.
1.
Die Heranziehung des Art. 2 Abs. 1 GG durch die Gerichte ist, wie oben dargelegt, zu Unrecht erfolgt. Dies ist jedoch unschädlich, weil die in erster Linie gegebene Begründung aus Art. 1 Abs. 1 GG die Entscheidung trägt.
2.
Das Oberlandesgericht als letzte Tatsacheninstanz hat festgestellt, bei Gründgens handle es sich um eine Person der Zeitgeschichte und die Erinnerung des Publikums an ihn sei noch lebendig. Aufgrund dieser Feststellungen sind das Oberlandesgericht und der Bundesgerichtshof davon ausgegangen, daß der Schutz des Achtungsanspruchs des verstorbenen Gründgens im sozialen Raum noch fortdauere. Hierbei hat der Bundesgerichtshof zutreffend berücksichtigt, daß das Schutzbedürfnis - und entsprechend die Schutzverpflichtung - in dem Maße schwindet, in dem die Erinnerung an den Verstorbenen verblaßt und im Laufe der Zeit auch das Interesse an der Nichtverfälschung des Lebensbildes abnimmt. Diese Anwendung des Art. 1 Abs. 1 GG ist nicht zu beanstanden. Andererseits gehen die Gerichte davon aus, daß es sich bei dem Roman des verstorbenen Klaus Mann um ein Kunstwerk im Sinne des Art. 5 Abs. 3 GG handelt und daß sich auch die Beschwerdeführerin auf dieses Grundrecht berufen kann. Hiernach haben die Gerichte die verfassungsrechtlich erhebliche Spannungslage zwischen den durch die Art. 1 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Bereichen erkannt. Sie haben deren Lösung in einer Abwägung der widerstreitenden Interessen gesucht.
3.
Das Bundesverfassungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß gerichtliche Entscheidungen auf eine Verfassungsbeschwerde hin nur in engen Grenzen nachgeprüft werden können (BVerfGE 22, 93 [97]), daß insbesondere die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes, die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall allein Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen sind (BVerfGE 18, 85 [92]). Diese Grundsätze gelten auch bei der Nachprüfung der hier in Rede stehenden Abwägung zwischen den nach Art. 1 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 3 Satz 1.GG geschützten Bereichen zweier Parteien eines Zivilrechtsverhältnisses. Diese Abwägung ist zunächst den zuständigen Gerichten im Rahmen der Anwendung und Auslegung bürgerlich-rechtlicher Vorschriften aufgetragen. Die Aufgabe des Zivilrichters besteht in derartigen Fällen darin, aufgrund einer wertenden Abwägung der Umstände des Einzelfalles - unter Beachtung des allgemeinen Willkürverbots (Art. 3 Abs. 1 GG) - die Schranken des Grundrechtsbereichs der einen Partei gegenüber demjenigen der anderen Partei zu konkretisieren. Das Grundrecht der jeweils unterlegenen Partei ist nicht schon dann verletzt, wenn bei dieser dem Richter aufgetragenen Abwägung widerstreitender Belange die von ihm vorgenommene Wertung fragwürdig sein mag, weil sie den Interessen der einen oder der anderen Seite zu viel oder zu wenig Gewicht beigelegt hat (vgl. BVerfGE 18, 85 [93]; 22, 93 [99 f.]). Das Bundesverfassungsgericht ist nicht befugt, seine eigene Wertung des Einzelfalles nach Art eines Rechtsmittelgerichts an die Stelle derjenigen des zuständigen Richters zu setzen. Es kann vielmehr in derartigen Fällen eine Verletzung des Grundrechts der unterlegenen Partei nur feststellen, wenn der zuständige Richter entweder nicht erkannt hat, daß es sich um eine Abwägung widerstreitender Grundrechtsbereiche handelt, oder wenn seine Entscheidung auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des einen oder anderen der Grundrechte, insbesondere vom Umfang ihrer Schutzbereiche, beruht.
Die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidungen nach diesen Maßstäben ergibt: Das Oberlandesgericht und der Bundesgerichtshof haben erkannt, daß eine Spannungslage zwischen den durch Art. 1 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Bereichen besteht und daß diese durch eine Abwägung gelöst werden muß (vgl. oben C.III.7). Würdigt man die angefochtenen Entscheidungen in ihrem Gesamtzusammenhang, so ist nicht festzustellen, daß sie auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung und vom Umfang der Schutzbereiche der beiden Grundrechte beruhen. Insbesondere lassen die Entscheidungen keine fehlerhafte Auffassung vom Wesen des bei der Abwägung unterlegenen Grundrechts, auf das sich die Beschwerdeführerin beruft, erkennen. Die Gerichte haben nicht allein auf die Wirkungen des Romans im außerkünstlerischen Sozialbereich abgehoben, sondern auch kunstspezifischen Gesichtspunkten Rechnung getragen. Sie haben eingehend und sorgfältig dargelegt, daß die Romanfigur des Hendrik Höfgen in so zahlreichen Einzelheiten dem äußeren Erscheinungsbild und dem Lebenslauf von Gründgens derart deutlich entspreche, daß ein nicht unbedeutender Leserkreis unschwer in Höfgen Gründgens wiedererkenne. Ob dies richtig ist, hat das Bundesverfassungsgericht nicht zu entscheiden; jedenfalls liegt darin die maßgebliche Wertung der Tatsachen durch die Gerichte, daß das "Abbild" Höfgen gegenüber dem "Urbild" Gründgens durch die künstlerische Gestaltung des Stoffes und seine Ein- und Unterordnung in den Gesamtorganismus des Romans nicht so verselbständigt und in der Darstellung künstlerisch transzendiert sei, daß das Individuelle, Persönlich-Intime zugunsten des Allgemeinen, Zeichenhaften der "Figur" genügend objektiviert erscheine. Die Gerichte haben auch eingehend erörtert, daß der Autor ein grundlegend negatives Persönlichkeits- und Charakterbild des Höfgen und damit des verstorbenen Gründgens gezeichnet habe, das in zahlreichen Einzelheiten unwahr, durch erfundene, die Gesinnung negativ kennzeichnende Verhaltensweisen - namentlich das erdichtete Verhalten gegenüber der schwarzen Tänzerin - angereichert sei und verbale Beleidigungen und Verleumdungen enthalte, die Gründgens durch die Person des Höfgen zugefügt worden seien. Das Oberlandesgericht hat - vom Bundesgerichtshof unbeanstandet - den Roman als "Schmähschrift in Romanform" bezeichnet. Es gibt keine hinreichenden Gründe, dieser von den Gerichten vorgenommenen Wertung entgegenzutreten, daß der Autor ein negativ-verfälschendes Porträt des "Urbildes" Gründgens gezeichnet habe.
Das von den Gerichten gefundene Ergebnis, daß bei dieser Sach- und Rechtslage der Schutz aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gegenüber dem geltend gemachten Unterlassungsanspruch versage, kann schließlich auch nicht mit der Erwägung in Frage gestellt werden, der Erlaß des Veröffentlichungsverbots stehe außer Verhältnis zu der zu erwartenden Beeinträchtigung des Achtungsanspruchs des verstorbenen Gustaf Gründgens. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar wiederholt betont, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verfassungsrechtlichen Rang hat (vgl. BVerfGE 19, 342 [348 f.]) und deshalb bei allen Eingriffen der öffentlichen Gewalt in den Freiheitsbereich des Bürgers beachtet werden muß. Um einen derartigen Eingriff handelt es sich hier jedoch nicht. Die Gerichte hatten lediglich einen von dem einen gegen den anderen Bürger geltend gemachten zivilrechtlichen Anspruch zu beurteilen, d. h. ein zivilrechtliches Rechtsverhältnis im Einzelfall zu konkretisieren. Zur Beurteilung von Grund und Höhe eines zivilrechtlichen Anspruchs, etwa eines Schadensersatzanspruchs, können diejenigen Erfordernisse, die von Verfassungs wegen im Verhältnis des Bürgers zum Staat bei Eingriffen in die Freiheitssphäre des Einzelnen zu beachten sind, auch nicht entsprechend herangezogen werden. Aufgabe des bürgerlichen Rechts ist es in erster Linie, Interessenkonflikte zwischen rechtlich gleichgeordneten Rechtssubjekten möglichst sachgerecht zu lösen. Demgemäß kann das Bundesverfassungsgericht das durch die angefochtenen Urteile ausgesprochene Veröffentlichungsverbot nur daraufhin nachprüfen, ob Art. 3 Abs. 1 GG beachtet ist. Das ist zu bejahen. Die Gerichte haben erwogen, ob die Veröffentlichung des Romans mit einem "klarstellenden Vorwort" (eingeschränktes Veröffentlichungsverbot) zugelassen werden könne; sie haben sich mit den Gründen, die nach ihrer Ansicht für oder gegen ein absolutes oder ein eingeschränktes Veröffentlichungsverbot sprechen, auseinandergesetzt und sich schließlich für das Veröffentlichungsverbot entschieden. Die diesem Verbot zugrundeliegenden Erwägungen sind nicht sachfremd und daher nicht willkürlich.
V.
Eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 GG entfällt schon deshalb, weil diese Bestimmung mangels Vorliegens einer Meinungsäußerung nicht anzuwenden ist. Künstlerische Aussagen bedeuten, auch wenn sie Meinungsäußerungen enthalten, gegenüber diesen Äußerungen ein aliud. Insoweit ist Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gegenüber Art. 5 Abs. 1 GG eine lex specialis (vgl. oben C.III.4). Ebensowenig ist für eine besondere Prüfung am Maßstab des Art. 14 Abs. 1 und 3 GG Raum (vgl. BVerfGE 13, 290 [296]).
Dr. Müller, Dr. Stein, Ritterspach, Rupp-v. Brünneck, Dr. Böhmer, Dr. Brox
Abweichende Meinung des Richters Dr. Stein zu dem Beschluß des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Februar 1971 - 1 BvR 435/68 -
Im vorstehenden Beschluß ist in C.IV nur die Auffassung der drei Richter dargelegt, die die dort vor 1) gestellte Frage bejaht haben. Als einer der drei anderen Richter, die diese Frage verneint haben, begründe ich meine abweichende Ansicht wie folgt:
I.
Das Bundesverfassungsgericht hat im vorliegenden Verfahren die beanstandeten gerichtlichen Entscheidungen u. a. darauf selbständig nachzuprüfen, ob die Zivilgerichte im Rahmen der gebotenen Abwägung die besonderen Gesetzmäßigkeiten ausreichend gewürdigt haben, die dem Roman von Klaus Mann als einem Kunstwerk eigen sind und die nach der Wertentscheidung in Art. 5 Abs. 3 GG auch gegenüber den Schutzinteressen aus dem Persönlichkeitsbereich von Gustaf Gründgens berücksichtigt werden müssen. Denn Inhalt und Reichweite der Verfassungsgarantie in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG und ihre Beziehung zu den anderen Wertentscheidungen des Grundgesetzes sind unmittelbar berührt, wenn eine zivilgerichtliche Entscheidung die grundrechtliche Ausstrahlungswirkung auf das Zivilrecht nicht richtig bestimmt und die verfassungsrechtliche Wertentscheidung dadurch verkennt. Hierdurch wird nämlich unmittelbar das Grundrecht verletzt, auf dessen Beachtung durch die rechtsprechende Gewalt der Einzelne gemäß Art. 1 Abs. 3 GG einen verfassungsrechtlichen Anspruch hat. Ob und inwieweit im Rahmen der Privatrechtsordnung das Spannungsverhältnis widerstreitender Interessen wegen dieser verfassungsrechtlichen "Ausstrahlungswirkungen" im Wertsystem der Verfassung selbst angelegt und aus ihm heraus zu lösen ist, kann dabei nicht abstrakt, von den Umständen des zu schlichtenden Falls abgesehen, sondern nur unter würdigender Heranziehung des konkreten Interessenkonflikts ermittelt werden. Auch das Bundesverfassungsgericht muß deshalb die Vereinbarkeit der angegriffenen Entscheidungen mit der verfassungsrechtlichen Kunstfreiheitsgarantie auf der Grundlage der konkreten Umstände des vorliegenden Sachverhalts überprüfen. Weder entscheidet damit das Bundesverfassungsgericht über die Interessen auf der einfachrechtlichen Ebene, noch nimmt es dabei die ihm nicht zukommende Stellung eines Rechtsmittelgerichts ein. Vielmehr ermittelt es allein den Schutzbereich der Grundrechte in ihrer Auswirkung auf die Privatrechtsordnung für den zu entscheidenden Fall und erfüllt somit lediglich seine ihm von Verfassungs wegen übertragene Aufgabe, über die Beachtung und Anerkennung der Verfassungsnormen durch die rechtsprechende Gewalt zu wachen. Würde in Fällen wie dem vorliegenden entsprechend der Ansicht der drei Richter die Prüfungszuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts auf eine eng begrenzte Kontrolle beschränkt sein, nämlich darauf, ob die Gerichte den Einfluß der Grundrechte überhaupt erkannt, ihn berücksichtigt und das allgemeine Willkürverbot nicht verletzt haben (vgl. oben C IV 3 des Beschlusses des BVerfG vom 24. 2. 1971 - 1 BvR 435/68 -, S. 196 f.), dann würde das Bundesverfassungsgericht seiner Aufgabe, Hüter der Grundrechte auf allen Rechtsgebieten zu sein, nicht gerecht werden. Deshalb hat dieses Gericht bei der Beurteilung von Umfang und Reichweite der verfassungsrechtlichen Ausstrahlungswirkungen auf Interessenkonflikte sich in ständiger Rechtsprechung nicht auf eine abstrakte Aussage beschränkt, sondern sich für befugt erachtet, Würdigungen von Zivil- und Strafgerichten durch eigene Wertungen zu ersetzen, wenn diese Gerichte die Ausstrahlungswirkungen von Grundrechten verkannt haben (vgl. BVerfGE 7, 198 [207]; 12, 113 [126 ff.]; 18, 85 [93 ff.]; 21, 209 [216]; 24, 278 [281 ff.]; 25, 28 [35]; 25, 309 [312]; 27, 71 [79 ff.]; 27, 104 [109 f.]; 28, 55 [63 f.]).
II.
1.
Die gebotene Abwägung zwischen den Interessen aus dem Persönlichkeitsbereich von Gustaf Gründgens und der Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit des künstlerischen Bereichs hat in allen Beziehungen den verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen zu entsprechen, die auf diesen Konflikt Einfluß nehmen. Wo bei der vorzunehmenden Güterabwägung dieses von der Verfassung aufgegebene spezifische Verhältnis im Sinne der Darlegungen unter C.III.2 verfehlt ist, ist die Kunstfreiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verletzt. Gerade auf eine solche grundlegende Verkennung dieses von der Verfassung geforderten Verhältnisses zur Kunst und nicht nur auf Feststellungen und Wertungen, welche die verfassungsrechtliche Ebene unberührt lassen, ist die Würdigung der durch die beabsichtigte Romanveröffentlichung berührten Interessen durch Oberlandesgericht und Bundesgerichtshof zurückzuführen. Diese verfassungsrechtlich zu beanstandende Grundeinstellung - nicht eine der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogene einfachrechtliche Wertung - liegt insbesondere auch dem von den Gerichten angestellten Vergleich der Romanfigur Hendrik Höfgen mit Gustaf Gründgens, der Verneinung einer ausreichenden "Verfremdung" des Hendrik Höfgen sowie der Charakterisierung des Romans als einer "Schmähschrift in Romanform" zugrunde.
Beide Gerichte haben nicht genügend beachtet, daß ein Kunstwerk, als das der "Mephisto"-Roman von ihnen ausdrücklich anerkannt worden ist, Realität nicht nur im außerkünstlerischen Wirkbereich, sondern vorwiegend auf der ästhetischen Ebene besitzt. Die Gerichte haben einseitig auf das Spannungsfeld im sozialen Wirkbereich abgehoben und dabei die ästhetische Realität des Romans, die in diesen Wirkbereich übergreift und ihn verändert, unbeachtet gelassen. Diese einseitige Betrachtung hat die Güterabwägung in ihrer Struktur beeinflußt und die Gerichte zu einseitigen Ergebnissen geführt: allein aus der Blickrichtung eines Leserpublikums, das den Inhalt des Romans für die Wirklichkeit nimmt, also dem Roman gegenüber eine nichtkunstspezifische Haltung einnimmt, haben sie Erscheinung und Verhalten der Romanfigur Hendrik Höfgen mit dem Persönlichkeitsbild von Gustaf Gründgens so verglichen, als gehöre Hendrik Höfgen der realen Wirklichkeit an. Ausschließlich auf dieser Vergleichsebene haben die Gerichte den Konflikt zwischen den Schutzinteressen aus dem Persönlichkeitsbereich von Gustaf Gründgens und den durch die Beschwerdeführerin wahrgenommenen Interessen der Kunst zu lösen gesucht. Allein deshalb, weil die Bezüge der Romanhandlung zur Wirklichkeit nach ihrer Ansicht deutlich erkennbar seien, haben die Gerichte eine hinreichende künstlerische Überhöhung oder Transzendierung des Romanstoffs verneint. Nur wegen der Abweichungen zwischen der Romanfigur Hendrik Höfgen und dem Persönlichkeitsbild von Gustaf Gründgens, die sich für eine allein auf die historische Wirklichkeit gerichtete Betrachtung auf dieser Vergleichsebene ergeben, haben sie den Roman als "Schmähschrift in Romanform" bezeichnet und eine Beeinträchtigung der Persönlichkeit von Gustaf Gründgens festgestellt sowie ein unbeschränktes Veröffentlichungsverbot für gerechtfertigt gehalten. Auf derselben, einseitig an der Welt der Realität orientierten Wertung beruht das Zugeständnis des Bundesgerichtshofs, der Kunst zu gestatten, im gewissen Umfang zur "ergänzenden Charakterisierung" durch erfundene Begebenheiten das Persönlichkeitsbild desjenigen zu ergänzen, an den eine Romanfigur angelehnt ist.
Diese Betrachtungsweise mag für eine Dokumentation oder eine Biographie angemessen sein, die eine wahrheitsgetreue, wissenschaftlich nachprüfbare Darstellung der äußeren und inneren Entwicklung des Lebensganges eines Menschen ist, wenn auch in Fragen der historischen Erklärung und Deutung die Allgemeingültigkeit umstritten sein mag. Das künstlerische Anliegen eines Romans hat nicht eine wirklichkeitsgetreue, an der Wahrheit orientierte Schilderung historischer Begebenheiten zum Ziel, sondern wesenhafte, anschauliche Gestaltung aufgrund der Einbildungskraft des Schriftstellers. Die Beurteilung des Romans allein nach den Wirkungen, die er außerhalb seines ästhetischen Seins entfaltet, vernachlässigt das spezifische Verhältnis der Kunst zur realen Wirklichkeit und schränkt damit das der Beschwerdeführerin in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG garantierte Freiheitsrecht in unzulässiger Weise ein.
2.
Ein Kunstwerk wie der Roman von Klaus Mann strebt eine gegenüber der realen Wirklichkeit verselbständigte "wirklichere Wirklichkeit" an, in der die reale Wirklichkeit auf der ästhetischen Ebene in einem neuen Verhältnis zum Individuum bewußter erfahren wird. Zeit und Raum sind im Roman etwas anderes als im wirklichen Leben. Ein "Abphotographieren" der Wirklichkeit ist nicht sein künstlerisches Anliegen. Auch bei der hier geschehenen Anknüpfung an reale geschichtliche Gegebenheiten hat eine Überhöhung oder Transzendierung dieser Begebenheiten oder Zustände in die eigene, von der künstlerischen Phantasie geschaffene "ästhetische Realität" des Kunstwerks stattgefunden. Die künstlerische Darstellung kann deshalb nicht am Maßstab der Welt der Realität, sondern nur an einem kunstspezifischen, ästhetischen Maßstab gemessen werden. Bezogen auf das künstlerische Anliegen können die aus der Wirklichkeit entnommenen und gestalteten Daten auch dann "wirklichkeitstreu" sein, wenn sie, bezogen allein auf die reale Welt, die "Wirklichkeit verfälschen". In der ästhetischen Realität ist Faktisches und Fiktives ungesondert gemischt; sie sind nicht ein lästiges Nebeneinander, sondern eine unauflösliche Verbindung; alles ist freies "künstlerisches Spiel".
In dieser Beurteilung des Verhältnisses eines Kunstwerks zur Realität stimmen die folgenden Zitate überein, die von Autoren künstlerisch verschiedener Richtungen stammen und gerade dadurch ihr besonderes Gewicht und ihre Klangfarbe erhalten:
"Auch einige die sich dem sinn des verfassers genähert haben meinten es helfe zum tieferen verständnis wenn sie im Jahr der Seele bestimmte personen und örter ausfindig machten. möge man doch (wie ohne widerrede bei darstellenden werken) auch bei einer dichtung vermeiden sich unweise das das menschliche oder landschaftliche urbild zu kehren: es hat durch die kunst solche umformung erfahren daß es dem schöpfer selber unbedeutend wurde und ein wissen darum für jeden anderen eher verwirrt als löst" (Stefan George, Werke - Ausgabe in 2 Bänden, hrsg. von R. Boehringer, Band 1, 1958, S. 119);
"Die Wirklichkeit, die ein Dichter seinen Zwecken dienstbar macht, mag seine tägliche Welt, mag als Person sein Nächstes und Liebstes sein; er mag dem durch die Wirklichkeit gegebenen Detail noch so untertan sich zeigen, mag ihr letztes Merkmal begierig und folgsam für sein Werk verwenden: dennoch wird für ihn - und sollte für alle Welt! - ein abgründiger Unterschied zwischen der Wirklichkeit und seinem Gebilde bestehen bleiben: der Wesensunterschied nämlich, welcher die Welt der Realität von derjenigen der Kunst auf immer scheidet." (Thomas Mann, Bilse und ich, 1906, in: Gesammelte Werke, Band X, S. 16).
"Gerade die Vortäuschung des Wirklichen ist der echten Kunst von Grund aus fremd. Alle Theorie des Scheines und der Illusion, die diesen Weg einschlägt, verkennt einen wichtigen Wesenszug im künstlerischen Erscheinenlassen: ... daß es nicht Wirklichkeit vortäuscht, daß vielmehr das Erscheinende auch als Erscheinendes verstanden und nicht als Glied in den realen Lauf des Lebens eingefügt wird, sondern gerade aus ihm herausgehoben und gleichsam gegen das Gewicht des Wirklichen abgeschirmt dasteht." (Nicolai Hartmann, Ästhetik, 2. Aufl., 1966, S. 36).
"Denn alles, was die Kunstwerke an Form und Materialien, an Geist und Stoff in sich enthalten, ist aus der Realität in die Kunstwerke emigriert und in ihnen seiner Realität entäußert ... Selbst Kunstwerke, die als Abbilder der Realität auftreten, sind es nur peripher: sie werden zur zweiten Realität, indem sie auf die erste reagieren; ..." (Adorno, Ästhetische Theorie, 1970, S. 158, 425).
Für die "Richtigkeit" oder "Wirklichkeitstreue" der Romanfigur Hendrik Höfgen in der ästhetischen Realität des "Mephisto"-Romans ist ein Vergleich zwischen Hendrik Höfgen und Gustaf Gründgens nach dem Grad von Übereinstimmung in den "Persönlichkeitsdaten" grundsätzlich irrelevant. Nun kann ihre Erscheinung und Wirkung auf der werkbezogenen Ebene allerdings nicht verhindern, daß die künstlerische Aussage von demjenigen, dem sich ihr ästhetisches Dasein nicht erschließt, nur in den Wirkungen der im Kunstwerk verwendeten Realien auf der Blickebene einer von ästhetischen Elementen freien Wertung ebenso wahrgenommen wird. Diese Art der Würdigung kann auch die eindeutige künstlerische Qualität eines Werkes der epischen Kunst nicht verhindern, weil die betroffenen Wirkungsebenen und Wertbezugssysteme insoweit grundsätzlich voneinander unabhängig sind und die Wahrnehmung der ästhetischen Realität eines Kunstwerks, in der die im Kunstwerk verwendeten Realien sublimiert sind, ein nicht erzwingbarer, höchst individueller Akt ist. Dieser Umstand allein rechtfertigt jedoch die den angefochtenen Entscheidungen zugrundeliegende einseitige Betrachtungsweise nicht.
Das folgt bereits daraus, daß die Kunst eine ihrer wichtigsten Aufgaben nicht erfüllen könnte, wenn ihr die Verwendung von Daten aus dem Persönlichkeitsbereich in allen Fällen untersagt werden würde, in denen befürchtet werden muß, daß ein Teil der Öffentlichkeit die kunstspezifische Wirkung des Kunstwerks nicht zur Kenntnis nimmt, es vielmehr einseitig an außerkünstlerischen Maßstäben mißt und auf diesem Wege zu einer negativen Einstellung der Person gegenüber gelangt, über die sie aus dem Dargestellten etwas zu erfahren meint. Einer freien Kunst muß grundsätzlich gestattet sein, an Persönlichkeitsdaten aus der Wirklichkeit anzuknüpfen und ihnen durch Zeichenwerte verallgemeinernde Bedeutung zu geben. Das gilt vor allem in den Fällen, in denen sich die künstlerische Darstellung wie die vorliegende an eine Person der Zeitgeschichte anlehnt. Persönlichkeiten, die im öffentlichen Leben stehen oder in Kunst und Wissenschaft ein allgemeines Interesse wachrufen, begegnen künstlerischen Interessen vor allem durch ihre besonders enge Verknüpfung mit den Geschehnissen von allgemeiner Bedeutung und den Zeitströmungen, durch die sich Realität in ihrer Person besonders intensiv verdichtet und symbolhaften Sinnbezug gewinnt. Diese zeichenhafte Bedeutung der Persönlichkeit, die der Künstler mit seinen Ausdrucksmitteln anschaulich darzustellen sucht, ist gegenüber dem Bild der individuellen Person verselbständigt. Daß dieser Umstand im Kunstwerk bei einem von der ästhetischen Wirkung absehenden Vergleich des Dargestellten mit der Welt der realen Tatsachen durch eine "Verzerrung" des Bildes der individuellen Persönlichkeit zum Ausdruck kommt, beruht somit nicht auf einer Mißachtung der Persönlichkeit, sondern ist im Wesen und in der Aufgabe der Kunst begründet, die das Wesentliche, das aus dem Wirklichen herausgehobene Typische darstellt (vgl. W. Dilthey, Gesammelte Schriften, Band VI, S. 185 ff.). Dieses Prinzip bringt es zugleich mit sich, daß die Bezüge des Kunstwerks zu einer Person der Zeitgeschichte häufig sichtbar bleiben. Gerade die besonders intensive sachliche Verknüpfung einer solchen Persönlichkeit mit dem die Allgemeinheit angehenden Geschehen sowie die sich hieraus ergebende Prägung des Persönlichkeitsbildes machen es im allgemeinen unmöglich, dieses Persönlichkeitsbild im künstlerischen "Abbild" aus seinen Bezügen zur realen Welt zu lösen, wenn der Künstler im Sinne künstlerischer Realität wirklichkeitstreu gestalten will.
Derartige Spannungen zwischen dem in seiner Würde von jedem zu respektierenden Individuum und dem künstlerischen Anliegen gehören zum festen Bestandteil der Literatur; und wo sie in künstlerischen Romanen und Dramen hervorgetreten sind, beruhen Wirkung und Wert der Dichtung auf ihrem Rang als Kunstwerk, nicht auf der Einkleidung biographischer Erlebnisse. Ungeachtet ihrer Zuordnung zu der sogenannten Schlüsseldichtung sind sie in ihrem künstlerischen Rang unbestritten, wie u. a. die Werke von: Goethe, Die Leiden des jungen Werthers; G. Keller, Der Grüne Heinrich; Th. Fontane, Frau Jenny Treibel; L. Quidde, Caligula; Thomas Mann, Buddenbrooks, Doktor Faustus; F. Wedekind, Erdgeist; H. Hesse, Der Steppenwolf; G. Flaubert, Madame Bovary; Leo Tolstoi, Anna Karenina; Simone de Beauvoir, Les Mandarins. Diese wenigen Beispiele zeigen, daß seit jeher Personen der Wirklichkeit in künstlerischer "Verfremdung", jedoch zunächst für den mit den Verhältnissen Vertrauten erkennbar, zur Darstellung menschlicher Schwächen und Abgründe, insbesondere zur Auseinandersetzung mit dem Dämonischen im Menschen auch in der Weltliteratur benutzt worden sind. In diesem Zusammenhang ist es von Bedeutung, daß schon beim Abdruck des Romans in der "Pariser Tageszeitung" in Paris im Jahre 1936 Klaus Mann sich in einem an die Redaktion dieser Zeitung gerichteten Brief gegen die Bemerkung der Voranzeige der Redaktion verwahrt hat, daß der "Mephisto" ein die Person von Gustaf Gründgens betreffender Schlüsselroman sei. U. a. schrieb er damals: "Ich bin genötigt, feierlich zu erklären: Mir lag nicht daran, die Geschichte eines bestimmten Menschen zu erzählen, als ich 'Mephisto. Roman einer Karriere' schrieb. Mir lag daran: einen Typus darzustellen, und mit ihm die verschiedenen Milieus (mein Roman spielt keineswegs nur im 'braunen'), die soziologischen und geistigen Voraussetzungen, die seinen Aufstieg erst möglich machten". Diese Auffassung bestätigen auch die Germanisten und Schriftsteller Hans Mayer = Tübingen, Hermann Kesten = New York, Franz Theodor Csokor = Wien, Albrecht Goes = Stuttgart, Max Brod = Tel Aviv, u. a. in ihren im Verfahren vorgelegten gutachtlichen Äußerungen; ferner Thomas Mann in seinem Brief an seinen Sohn Klaus vom 3. Dezember 1936, abgedruckt in "Die Neunzehn", Texte und Informationen, 1970, S. 3 f.
Ein Ausschluß der Kunst von diesem Erfahrensbereich würde sie in ihrem Kern treffen, solange sie ihre Aufgabe auch und gerade in der Bewußtmachung zeitgenössischer Konflikte auf moralischem, gesellschaftlichem und politischem Gebiet sieht. Eine in dieser Weise beschränkte Kunst wäre nicht frei im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Die Kunstfreiheitsgarantie läßt dem Grundsatz nach weder die Einschränkung des künstlerischen Themenkreises noch die Ausklammerung von Ausdrucksmitteln und -methoden aus dem künstlerischen Verarbeitungsprozeß zu. Auch kann dem Künstler, insbesondere vom Staat, nicht aufgegeben werden, die verwendeten Daten aus dem Persönlichkeitsbereich wenigstens im Rahmen des ästhetisch Zumutbaren so zu verfremden, daß eine Identifizierung der als Vorbild etwa für eine Romanfigur benutzten Persönlichkeit vermieden wird; über das ästhetisch Zumutbare lassen sich verbindliche Regeln weder aufstellen noch dürfen sie in einem freiheitlichen Staat von staatlichen Instanzen aufgestellt werden. Zudem steht einer solchen Forderung entgegen, daß der Einfluß des Künstlers auf den schöpferischen Gestaltungsprozeß und seine Wirkungen in der Öffentlichkeit beschränkt ist. Die Auffassung, daß dem Künstler bei der Darstellung des menschlichen Lebens zahlreiche Möglichkeiten zur Verfügung ständen und er deshalb den Stoff so "verfremden" könne, daß Persönlichkeiten der realen Wirklichkeit nicht mit dem Kunstwerk in Verbindung gebracht werden könnten, trifft schon aus diesem Grund, zumindest in dieser Allgemeinheit, nicht zu.
Ebenso ist die Eigengesetzlichkeit künstlerischer Prozesse in der von dem Bundesgerichtshof nicht beanstandeten Forderung des Oberlandesgerichts verkannt, Klaus Mann habe nach Kriegsende den "Mephisto"-Roman unter Berücksichtigung der neuen Erkenntnisse über Gründgens umgestalten müssen. Abgesehen davon, daß der Roman nur unter dem Eindruck einer ganz bestimmten, individuell erfahrenen Situation geschrieben werden konnte und nicht unabhängig von Raum und Zeit seiner Entstehung beliebig wiederholbar ist, und die Gerichte den Kunstwert des Romans nicht in Zweifel ziehen, ist die gerichtliche Zumutung nach "Umgestaltung" des Mephisto-Romans ein verfassungswidriger Eingriff in die künstlerische Gestaltungsfreiheit. Ein "umgestalteter" Roman könnte nur ein aliud gegenüber dem "Mephisto"-Roman sein.
Obschon somit das Spannungsgefälle zwischen außerkünstlerischer und kunstspezifischer Wirkungs- und Betrachtungsweise in der Sache angelegt und unaufhebbar ist, hat das Grundgesetz in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG die Eigengesetzlichkeit einer freien Kunst anerkannt und vorbehaltslos gewährleistet. Das verbietet im vorliegenden Fall, mit dem Bundesgerichtshof und dem Oberlandesgericht die Frage nach der Rechtfertigung des Veröffentlichungsverbots einseitig nach den Wirkungen des Romans auf ein Leserpublikum zu beantworten, das das Dargestellte ohne Blick für seine kunstspezifische Bedeutung wie eine Dokumentation auf Übereinstimmungen mit der Wirklichkeit untersucht. Abgesehen davon begegnet es auch methodischen Bedenken, die Würdigung eines Romans an eine bestimmte Leserschicht oder einen bestimmten Lesertypus zu knüpfen. Ein solches Vorgehen würde u. a. voraussetzen, daß die ästhetische Realität des Romans nicht außerhalb der geistig-seelischen Vorgänge im einzelnen Leser existierte und identisch wäre mit dem geistig-seelischen Vorgang im einzelnen Leser oder Hörer. Ein Kunstwerk kann man zwar nur durch einzelne Erlebnisse kennenlernen, aber es ist mit ihnen nicht identisch und existiert auch außerhalb der Erlebnisse. Daher kann es nur als eine Struktur von Bedeutungseinheiten und Qualitäten verstanden werden, die in den Erlebnissen seiner vielen Leser nur zum Teil realisiert werden. Deshalb kann auch für die rechtliche Beurteilung in Fällen wie dem vorliegenden nicht auf einen fiktiven Lesertypus abgehoben, sondern es muß der kunstspezifische Gehalt des Kunstwerks ermittelt und gegenüber seinen außerkünstlerischen "Sozialwirkungen" abgewogen werden.
Zwar bürdet die Kunstfreiheitsgarantie dem Betroffenen nicht schlechthin sämtliche Nachteile auf, die sich für seine Person daraus ergeben, daß Kunst oft verkannt wird und sich nur dem Einzelnen unter spezifischen Umständen erschließt. Sie verpflichtet aber dazu, bei einem Interessenausgleich zwischen Individuum und künstlerischem Anliegen den Eigenwert der Kunst mit zu berücksichtigen. Das kann nur dadurch erfolgen, daß auch von der ästhetischen Wirkungsebene aus die Lösung der künstlerischen Darstellung von der historischen Wirklichkeit und ihre Verselbständigung als ästhetische Realität mitgewürdigt wird. Zur Vermeidung der negativen außerkünstlerischen Wirkungen des Romans für die Persönlichkeit von Gustaf Gründgens darf in die ästhetische Realität durch ein Veröffentlichungsverbot jedenfalls dann nicht eingegriffen werden, wenn bei Würdigung des Romans als Kunstwerk die rein stoffliche Beziehung zu Gründgens in der Verbindung von Faktischem und Poetischem deutlich in den Hintergrund tritt, mag diese Anlehnung an die Wirklichkeit auch noch erkennbar bleiben.
3.
Danach ist im vorliegenden Fall verfassungsrechtlich eine andere Bewertung der Spannungslage von Kunstfreiheit und Persönlichkeitsschutz geboten. Bei Würdigung des Romans als Kunstwerk erscheint Hendrik Höfgen in erster Linie als Romanfigur auf die künstlerische Darstellung bezogen und als Typ gegenüber dem Persönlichkeitsbild von Gustaf Gründgens verselbständigt.
Daß Höfgen ein Typus und kein Porträt ist, ergibt sich schon aus dem Typisierenden in der Zeichnung der Romanfigur, in der Zwischentöne fast ganz fehlen und die im Zusammenhang von Zeit und Milieu der Romanhandlung deutlich zeichenhafte Züge hat. Die Figur des Höfgen ist in ihrer Konzeption so durchsichtig und während der gesamten Romanhandlung so wenig inneren Veränderungen ausgesetzt, daß der Gedanke daran, daß hier Realität dargestellt wird, gegenüber dem Bewußtsein von der typisierenden, zeichenhaften Bedeutung des Höfgen zurücktritt. Auf diese Weise gewinnen auch die inneren Konflikte, die Höfgen zu bestehen hat, symbolhafte Bedeutung. So gehören bei ungezwungener Betrachtung z.B. die "Schwarzen Messen", die Höfgen mit seiner "Prinzessin Tebab" zelebriert, deutlich einer mystisch-orgiastischen Fabelwelt an, angesichts derer die Feststellung des Oberlandesgerichts, der Leser könne Wahres nicht von Erdichtetem unterscheiden, ebenso unverständlich erscheint wie im Blick auf die fast lyrischen Passagen vor allem zu Beginn des VII., VIII, IX. und zu Ende des X. Kapitels. Auch die Personen, die Höfgen umgeben, sind - ausgenommen vielleicht Barbara Bruckner (Erika Mann) - Typen, keine Charaktere oder Porträts. Der Roman ist durch und durch geprägt von dem aus politischen Gründen emigrierten Schriftsteller Mann, seinem Schicksal, dem Geist der Opposition und der Entlarvung des verruchten Regimes; die anschauliche, schöpferische Gestaltung dieser Erlebnisse macht gerade seinen künstlerischen Gehalt aus. Andererseits treffen die Feststellungen der Gerichte zu, daß Gründgens sehr deutlich der Romanfigur Höfgen zum Vorbild gedient hat. Hierauf kommt es jedoch nach den oben gemachten Ausführungen nicht an. Maßgebend ist vielmehr, ob das Bild der Romanfigur Höfgen in der Welt des Romans eine eigene Funktion hat, durch die es gegenüber dem Persönlichkeitsbild von Gründgens verselbständigt wird, oder ob die Figur des Höfgen individuelle Persönlichkeitsdaten über die Person Gründgens mitteilen will. Der Bezug der Romanfigur Höfgen zur individuellen Persönlichkeit Gustaf Gründgens wird durch die künstlerische Konzeption und symbolhafte Gestaltung so stark überlagert, daß die individuelle Persönlichkeit Gründgens gegenüber dem "Phänomen des geistigen Mitläufers", das auch zu anderen Personen in Bezug gebracht werden könnte, in den Hintergrund tritt. Das kommt auch in den im Verfahren vorgelegten Kritiken zum Ausdruck.
Auch müssen in diesem Zusammenhang die zeit- und kulturgeschichtlichen Akzente berücksichtigt werden, die der 1936 erschienene Roman in besonders starkem Maß besitzt und die auch dem durch das Vorwort des Verlags zudem ausdrücklich hierauf aufmerksam gemachten Leser heute aufgrund der zeitlichen Distanz zu den Ereignissen nach 1933 bewußt werden müssen: das Bild einer korrumpierten Gesellschaft, eines komödiantischen, unwahren Regimes, einer Heimsuchung des deutschen Geistes in Gestalt des geistigen Mitläufertums. Der Mephisto-Roman ist ein Werk der Exilliteratur, deren Thematik, Struktur und Sprache nur unter dem Zwang des politischen, sozialen und psychologischen Ausnahmezustandes der Emigration richtig gewürdigt werden kann. Er ist künstlerischer Ausdruck des tiefen Schmerzes "des Ausgestoßenen, der die Nachrichten der Heimat nur noch vernimmt wie den Widerhall von Wahnsinn und Entsetzen. Er wartet auf das unbekannte Ereignis, das ihn zurückruft; ..." (Heinrich Mann, Geist und Tat, Essay über Zola [1915], S. 234, erschienen im Verlag Gustav Kiepenheuer, Weimar 1946).
Auch durch diese Umstände, die in den angefochtenen Entscheidungen nur eine nebengeordnete, wenn nicht sogar eine untergeordnete Rolle spielen, wird die Darstellung im Roman und mit ihr die Romanfiguren von der Realität abgelöst und verselbständigt; sie lassen den künstlerischen Ausdruck der den Autor unterdrückenden politischen Gewalt und seines Widerstandes gegen den Nationalsozialismus erkennen.
Die Beurteilung des Romans durch Oberlandesgericht und Bundesgerichtshof, die der Bewertung des im Roman Dargestellten nach Übereinstimmungen und Abweichungen mit der realen Wirklichkeit den Vorrang gibt, kann auch den Motiven nicht gerecht werden, die dem Roman zugrundeliegen. Auf dieser einseitigen, die Bedeutung des Buches als Kunstwerk vernachlässigenden Betrachtungsweise beruht die von dem Bundesgerichtshof nicht beanstandete Charakterisierung des Romans durch das Oberlandesgericht als eine Gustaf Gründgens diffamierende "Schmähschrift in Romanform" ebenso wie das Unternehmen des Oberlandesgerichts, den Roman als zeitkritische Darstellung des deutschen Theaterlebens in den zwanziger und dreißiger Jahren auf seine historische Genauigkeit zu untersuchen. Dabei bleibt auch hier unbeachtet, daß das Kunstwerk kein historisches Dokument ist und sein will. Das künstlerische Anliegen des Mephisto-Romans ist, in anschaulicher Gestaltung das Phänomen des geistigen Mitläufertums im NS-Staat darzustellen. Es bestimmt die Gesamtkonzeption des Romans und das Bild des Hendrik Höfgen. Auf diesen allgemeineren Hintergrund, nicht auf eine Person oder ein historisches Ereignis angelegte Darstellung deutet bereits der Untertitel des Buches "Roman einer Karriere" und das ihm beigegebene Motto aus Goethes "Wilhelm Meister" hin: "Alle Fehler des Menschen verzeih' ich dem Schauspieler, keine Fehler des Schauspielers verzeih' ich dem Menschen." Auf ihn haben auch der Autor selbst u. a. in seinem Buch "Der Wendepunkt" sowie die Kritik zu dem "Mephisto"-Roman hingewiesen.
4.
Darüber hinaus haben Bundesgerichtshof und Oberlandesgericht bei der gebotenen Abwägung die nachteiligen Wirkungen des Romans auf den Schutzbereich der Persönlichkeit von Gustaf Gründgens auch noch in anderer Beziehung überbetont.
Unter C.III.6 des Beschlusses des BVerfG vom 24. 2. 1971 - BvR 435/68 -, S. 194, ist bereits hervorgehoben worden, daß bei der Abwägung dem vorbehaltlosen Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG als kollidierender Wertaspekt nur der dem Verstorbenen aus Art. 1 Abs. 1 GG zukommende Schutz, dagegen nicht auch Art. 2 Abs. 1 GG gegenüberzustellen ist, dem die Zivilgerichte zu Unrecht Ausstrahlungswirkungen auf den vorliegenden Fall zuerkannt haben.
Art. 1 Abs. 1 GG garantiert den allgemeinen Eigenwert, der dem Menschen kraft seines Personseins zukommt (BVerfGE 30, 1 [2, Leitsatz 6]). Das Gebot der Unverletzlichkeit der Menschenwürde verbürgt Schutz vor solchen Eingriffen in die Persönlichkeitssphäre, durch die zugleich der Mensch als solcher in seinem Eigenwert, seiner Eigenständigkeit verletzt ist. Im Verhältnis zu Art. 2 Abs. 1 GG, der die freie Entfaltung der Einzelpersönlichkeit sichert, ist Art. 1 Abs. 1 GG daher weniger auf die Individualität als auf die Personalität bezogen. Dieser Unterschied ist für die vorliegend gebotene Abwägung von Bedeutung. Eine Beeinträchtigung dieses Schutzbereiches setzt danach zumindest die Befürchtung voraus, daß die Veröffentlichung des Romans zu einem in dieser Weise besonders qualifizierten Eingriff in die Persönlichkeitssphäre von Gustaf Gründgens führen wird. Demgegenüber haben die Zivilgerichte das Veröffentlichungsverbot unter dem allgemeinen Gesichtspunkt eines auf das Individuum bezogenen Ehrenschutzes für gerechtfertigt erklärt. Sie sind nicht von dem spezifisch auf die Personalität bezogenen Wertaspekt des Art. 1 Abs. 1 GG ausgegangen. Schon deshalb ist nicht auszuschließen, daß die nach Art. 1 Abs. 1 GG vorgenommene Würdigung durch die irrige Annahme eines, wenn auch eingeschränkten Weiterwirkens des Persönlichkeitsrechtes gemäß Art. 2 Abs. 1 GG nach dem Tode wesentlich beeinflußt ist und einer Auslegung Raum gegeben hat, die die Bedeutung der Person nach Art. 1 Abs. 1 und der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG deshalb verkannt hat.
In diesem Zusammenhang ist außerdem zu berücksichtigen, daß mit verblassender Erinnerung an den Verstorbenen die Gefahr einer nachteiligen Einwirkung auf die geschützte Persönlichkeitssphäre geringer wird. Diese Gesichtspunkte haben zwar auch die angefochtenen Entscheidungen hervorgehoben; jedoch ist unbeachtet geblieben, daß das allgemeine Interesse an Personen, die nicht der allgemeinen Zeitgeschichte angehören, sondern wie Gustaf Gründgens in einem engeren Bereich des öffentlichen Lebens ihrer Zeit hervorgetreten sind, nach ihrem Tod rascher schwindet und damit die Gefahr einer persönlichkeitsverletzenden Identifizierung von Gustaf Gründgens mit der Romanfigur Hendrik Höfgen geringer ist.
Gründgens gehört heute, acht Jahre nach seinem Tod, weitgehend bereits der Theatergeschichte an; seine Fehde mit Klaus Mann ist dem allgemeinen Bewußtsein entschwunden und in die Geschichte zurückgetreten. Für die wirklich an der Person Gründgens interessierten Kreise, die Kenner der Theatergeschichte der jüngsten Zeit ist das Persönlichkeitsbild von Gründgens so fixiert, daß es durch die Veröffentlichung dieses Romans im Jahre 1971 nicht mehr ernstlich erschüttert werden kann. Für sie wird das Bild Gründgens' durch seine weithin bekannten Leistungen als Schauspieler und Regisseur und durch seriöse historische Veröffentlichungen, nicht aber durch die Romanfigur des Hendrik Höfgen bestimmt (vgl. die in dem von R. Badenhausen und P. Gründgens-Gorski herausgegebenen Buch "Gustaf Gründgens - Briefe Aufsätze Reden - [1967] auf der Seite 453 ff. zitierte Literatur über Gustaf Gründgens). Ferner kennt diese Schicht des Publikums im Zweifel auch längst den Mephisto-Roman aus der Vorveröffentlichung im Jahre 1956.
Im übrigen lenken das besondere zeit- und kulturgeschichtliche Gepräge sowie das Vorwort der Beschwerdeführerin auch den nicht am ästhetischen, sondern nur am sachlichen Aussagewert des Romans interessierten Leser auf die Entstehungsgeschichte des Romans und die besondere Situation hin, in der sich der Emigrant Klaus Mann damals befand. Sie erklären seine Reaktion auf das Verhalten von Gustaf Gründgens gegenüber den nationalsozialistischen Machthabern und veranlassen hierdurch auch die den ästhetischen Aspekt vernachlässigenden Leser zu einer differenzierten Haltung in der Beurteilung der Objektivität der Details. Auch kann der Roman nach seiner Anlage und mit Rücksicht auf die Veröffentlichungen in den Jahren 1936 und 1956 heute nur noch auf das Interesse eines begrenzten, vor allem der Bildungsschicht angehörenden Leserkreises rechnen, der weitgehend den Erfahrungsbereichen der Kunst nicht ungeschult gegenübersteht und weiß, daß ein Werk, das sich selbst als Roman bezeichnet, keinen Anspruch auf Wirklichkeitstreue im Sinne einer Dokumentation oder einer Biographie erhebt. Die Befürchtung, daß der Roman nicht als künstlerische Aussage, sondern nur wörtlich genommen wird, ist dadurch weiter gemindert. Dieser produktiven und phantasievollen Mitwirkung des Lesers, der ein Kunstwerk in seiner Einheit und in seinen immanenten Zusammenhängen sich vergegenwärtigt, messen die Gerichte in den angefochtenen Entscheidungen überhaupt keine Bedeutung bei. Andererseits muß ein berechtigtes Interesse des literaturkundigen und -interessierten Publikums anerkannt werden, den Mephisto-Roman als ein bedeutendes Werk eines Hauptvertreters der Exilliteratur, noch dazu eines Angehörigen der Familie Mann, kennenzulernen, zumal diese Literatur, von gewissen Ansätzen abgesehen, noch immer der wissenschaftlichen Bearbeitung harrt.
Bei Abwägung der kollidierenden Interessen im Sinne der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen kann deshalb die Schmälerung der Personwürde des Verstorbenen nicht so gewichtig sein, daß sie ein Verbreitungsverbot rechtfertigen könnte.
5.
Auch werden durch das Vorwort mögliche nachteilige Wirkungen für die Personwürde von Gustaf Gründgens so weitgehend verringert, daß demgegenüber der Erlaß des Verbreitungsverbots den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Dieses festzustellen ist dem Bundesverfassungsgericht entgegen den drei die angefochtenen Entscheidungen billigenden Richtern nicht verwehrt, da spezifisches Verfassungsrecht betroffen ist. Bundesgerichtshof und Oberlandesgericht verkennen die Ausstrahlungswirkungen des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, wenn sie zur Wahrung der schützenswerten Interessen aus dem Persönlichkeitsbereich von Gustaf Gründgens nur ein Vorwort für geeignet halten, in dem von einer mit dem Theaterleben der zwanziger und dreißiger Jahre vertrauten Person eine umfassende objektive Richtigstellung des Charakterbildes von Gustaf Gründgens und seiner antifaschistischen Gesinnung sowie seiner Hilfsbereitschaft gegenüber Juden und politisch Verfolgten nach 1933 gegeben werde, in dem ferner auch die Beziehungen von Gustaf Gründgens zu Klaus Mann in den zwanziger Jahren dargestellt und die besondere Situation des Dichters in der Emigration geschildert würden. Den Anforderungen, die das Oberlandesgericht und der Bundesgerichtshof hier stellen, liegt ersichtlich die Auffassung zugrunde, das Vorwort müsse die Leserschaft über die "unrichtige" Darstellung der Person Gründgens in Einzelheiten aufklären. Damit setzen die Gerichte den Roman auch in dieser Beziehung einer Dokumentation oder Biographie über die Person Gustaf Gründgens gleich.
In dem dem Roman aufgrund der einstweiligen Verfügung beigegebenen Vorspruch wird der Leser auf den zeitgeschichtlichen Hintergrund des Romans und seine Entstehungsgeschichte, auf das künstlerische Anliegen des Autors und auf das spezifische Verhältnis der Romanfigur, insbesondere der Gestalt des Höfgen, zur Realität deutlich hingewiesen. Dieses Vorwort ist geeignet, auf die objektivierende Wirkung, die von der künstlerischen Darstellung im Roman ausgeht, aufmerksam zu machen und sie zu unterstreichen. Es gibt in knapper, aber eindrucksvoller Formulierung dem Anliegen des Autors deutlicheren Ausdruck als ein umfassendes, die geschichtliche Wirklichkeit darstellendes Vorwort im Sinne der Ausführungen des Oberlandesgerichts. Die Veröffentlichung des Romans von einer umfassenden Aufklärung auch derjenigen Leserschicht abhängig zu machen, die trotz eines solchen Vorspruchs nicht bereit oder fähig ist, die vorhandene kunstspezifische Eigenständigkeit des Romans anzuerkennen, würde die Verfassungsgarantie des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG in unzulässiger Weise einschränken.
6.
Aus diesen Gründen ist eine schwere Beeinträchtigung des Persönlichkeitsbereiches des verstorbenen Gustaf Gründgens nicht festzustellen. Infolgedessen liegt auch kein eindeutiger Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG vor. Nur ein solcher Verstoß würde angesichts der vorbehaltlos gewährten Kunstfreiheit die Feststellung einer Verletzung der Menschenwürde rechtfertigen und zur Versagung der Berufung auf das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG führen.
Danach verletzen die angegriffenen Urteile des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg vom 10. März 1966 und des Bundesgerichtshofs vom 20. März 1968 das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Artikel 5 Abs. 3 Satz 1 GG.
Dr. Stein
Abweichende Meinung der Richterin Rupp-v. Brünneck zu dem Beschluß des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Februar 1971 - 1 BvR 435/68 -
Der abweichenden Meinung des Richters Dr. Stein schließe ich mich an und möchte nur kurz folgendes hervorheben und ergänzen:
1.
Die Zurückweisung der Verfassungsbeschwerde beruht auf einer restriktiven Auslegung der Prüfungszuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts, die einen Bruch mit der bisherigen Rechtsprechung bedeutet und zu sehr bedenklichen Konsequenzen führen kann.
Es ist nach allgemeiner Auffassung ein besonderes Verdienst dieser Rechtsprechung, daß sie beginnend mit dem "Lüth-Urteil" (BVerfGE 7, 198 [205 ff., 214 ff., 218 f.]) die Wirkungskraft der Grundrechte auf allen Rechtsgebieten durchgesetzt hat, mit der Forderung, daß auch bei jeder Auslegung und Anwendung derjenigen Rechtsvorschriften, die die Beziehungen der Staatsbürger untereinander regeln, den mit den Grundrechten gesetzten objektiven Wertmaßstäben Rechnung getragen werden muß. Die sich daraus ergebende, sehr weit reichende Prüfungszuständigkeit hat das Bundesverfassungsgericht dahin eingegrenzt, daß es sich nur die Prüfung der Beachtung oder Verletzung "spezifischen Verfassungsrechts" vorbehalten will, während die Gestaltung des Verfahrens, die Auslegung des einfachen Rechts, die Feststellung des Tatbestandes und seine Subsumtion unter das einfache Recht den dafür allgemein zuständigen Gerichten überlassen bleiben soll. Wie der Zusammenhang der viel zitierten Ausführungen dazu in der maßgebenden Entscheidung BVerfGE 18, 85 (92) eindeutig zeigt, wendet sich das Bundesverfassungsgericht damit gegen eine "unbeschränkte rechtliche Nachprüfung von gerichtlichen Entscheidungen um deswillen ..., weil eine unrichtige Entscheidung möglicherweise Grundrechte des unterlegenen Teils berührt". Das heißt, ein Urteil in einem zivilrechtlichen Eigentumsstreit soll z.B. nicht auf falsche Beweiserhebung oder unrichtige Auslegung einzelner Tatbestandsmerkmale der angewandten Norm des bürgerlichen Rechts hin überprüft werden, obwohl man sagen könnte, daß auch eine auf solchen Fehlern beruhende falsche Entscheidung im Ergebnis in das Grundrecht der unterlegenen Partei aus Art. 14 GG eingreift (vgl. auch BVerfGE 22, 93 [97 ff.]). Dagegen betrifft die Frage, ob die Einwirkung der Grundrechte auf das anzuwendende Recht allgemein und im Einzelfall richtig beurteilt worden ist, selbstverständlich spezifisches Verfassungsrecht. Eine Gerichtsentscheidung muß also nicht nur dann aufgehoben werden, wenn sie ein Grundrecht übersehen hat oder von einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts ausgegangen ist, sondern auch dann, wenn das Gericht bei Zugrundelegung der grundsätzlich richtigen Anschauung im konkreten Fall niemals zu dem gefundenen Ergebnis hätte gelangen können.
Weiter darf nicht außer acht gelassen werden, daß die erwähnten Prüfungsgrundsätze in erster Linie den Sinn haben, eine angemessene Funktionsteilung im Verhältnis des Bundesverfassungsgerichts zu den anderen Gerichten herzustellen und das Bundesverfassungsgericht vor einer untragbaren Belastung zu bewahren; jedoch hat bereits die genannte grundlegende Entscheidung betont, daß aus der oft schwierigen Abgrenzung der Prüfungszuständigkeit kein Dogma gemacht werden darf:
"Freilich sind die Grenzen der Eingriffsmöglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts nicht immer allgemein klar abzustecken; dem richterlichen Ermessen muß ein gewisser Spielraum bleiben, der die Berücksichtigung der besonderen Lage des Einzelfalls ermöglicht" (BVerfGE 18, 85 [93]).
Für die Ausnutzung dieses Spielraums muß es unter anderem darauf ankommen, wieweit das betreffende Grundrecht wesentliche Voraussetzungen der freiheitlichen Existenz und Betätigung des Einzelnen schützt, die das Essentiale des Menschenbildes der Verfassung und ihrer darauf ausgerichteten Staatsordnung ausmachen (vgl. BVerfGE 7, 198 [208]; 10, 118 [121]; 10, 302 [322]; 20, 162 [174 f.]; 27, 71 [81 f.]). Hierzu gehört auch die Möglichkeit, die menschliche Persönlichkeit im künstlerischen Schaffen frei zum Ausdruck zu bringen.
Demgegenüber würde die der Senatsentscheidung zugrundeliegende Abstinenz letzten Endes darauf hinauslaufen, daß eine allein gegen die Art der Rechtsanwendung im Einzelfall gerichtete Verfassungsbeschwerde stets aussichtslos wäre, wenn das einschlägige Grundrecht nur beim Namen genannt und die hierzu in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Grundsätze in die Entscheidung aufgenommen sind, gleichgültig, zu welchem Ergebnis das Gericht im Einzelfall kommt - die in der Senatsentscheidung konzedierte Prüfung auf Willkür hat keine Bedeutung, weil auf sachfremden Erwägungen beruhende Gerichtsentscheidungen so gut wie nie vorkommen -. Hierin läge eine evidente Verkürzung des bisherigen Grundrechtsschutzes: Bei solchen Prüfungsmaßstäben hätten weder das Lüth-Urteil selbst (BVerfGE 7, 198 [207 ff., bes. 212 ff.]) noch die Entscheidungen im Schmid-Spiegel-Fall, im Falle des Tonjägerverbandes oder zur Freiheit der Information aus DDR-Zeitungen (vgl. BVerfGE 12, 113 [126 ff.]; 24, 278 [281 ff.]; 27, 104 [109 f.]) ergehen können, um nur einige markante Beispiele für die zahlreichen Entscheidungen zu nennen, in denen das Gericht unter Prüfung der konkreten Umstände des Einzelfalles einen Grundrechtsverstoß bejaht hat (vgl. etwa auch BVerfGE 16, 194 [198 ff.]; 17, 108 [119 f.]; 20, 45 [49 ff.] zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit).
2.
Die angefochtenen Urteile haben die Einwirkung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 3 GG auf den hier zu entscheidenden Interessenkonflikt nicht genügend berücksichtigt, besonders indem sie, wie der Richter Dr. Stein näher dargelegt hat, ein Kunstwerk in der Form eines Romans mit der Elle der Realität gemessen haben, wie wenn es sich um eine gewöhnliche kritische Äußerung über einen namentlich bezeichneten Dritten in Gesprächen, Briefen, Zeitungsartikeln oder einer Lebensbeschreibung handeln würde. Hierfür war offenbar wesentlich, daß die Gerichte, obwohl sie nicht verkannt haben, daß Art. 5 Abs. 3 GG ein spezielles, nicht durch einen Gesetzesvorbehalt oder anderweitig beschränktes Grundrecht gewährt, sich dennoch in Wirklichkeit an den in Art. 5 Abs. 2 GG gesetzten Schranken orientiert haben, die nur für die Freiheit der Meinungsäußerung und den sonstigen Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG, nicht aber für das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 GG gelten (vgl. die vorstehende Senatsentscheidung unter C.III.4). Dies ergibt sich für die Entscheidung des Bundesgerichtshofs sowohl aus dem Aufbau des Gedankengangs wie aus der Einzelwürdigung. Die Urteilsgründe gehen bei der verfassungsrechtlichen Prüfung nicht unmittelbar von Art. 5 Abs. 3 GG aus, sondern stellen zunächst fest, daß sich die Romanfigur durch einzelne, negative Charakterzüge und Verhaltensweisen von Gründgens' wirklichem Lebensbild unterscheide und daß es sich hierbei um schwerwiegende Entstellungen handele, welche die in Art. 5 Abs. 2 GG gesetzten Schranken (Recht der persönlichen Ehre) überschritten. Erst hieran schließt sich die Erwägung, ob dieser Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 GG sich mit der Freiheit der Kunst nach Art. 5 Abs. 3 GG rechtfertigen lasse.
Diese falsche Ausgangsposition erklärt es auch, daß nicht ein Gesamturteil über das Buch den Ausschlag für sein Verbot gegeben hat, sondern die Prüfung bestimmter herausgegriffener, namentlich aus dem Zusammenhang der künstlerischen Komposition gelöster Einzelpunkte auf ihren Wahrheitsgehalt. Dies führt zu dem seltsamen und widersprüchlichen Ergebnis, daß dem Autor einerseits der Vorwurf gemacht wird, er habe zu wenig "verfremdet" - d. h. er habe seinen Romanhelden Gründgens zu ähnlich, also zu wirklichkeitsgetreu nachgebildet -, andererseits wird ihm vorgeworfen, er habe zu stark "verfremdet" - nämlich seinen Helden mit erdichteten negativen Verhaltensweisen und Charakterzügen ausgestattet, die dem Lebensbild von Gründgens nicht entsprächen. Eine solche Bewertungsmethode tut nach meiner Auffassung dem Wesen eines Kunstwerks in der Form eines Romans Gewalt an und ist nicht vereinbar mit dem aus der vorbehaltlosen Gewährung der Kunstfreiheit in Art. 5 Abs. 3 GG in erster Linie zu entnehmenden Gebot, daß dem Künstler für die Auswahl des zu bearbeitenden Stoffes und für dessen künstlerische Gestaltung keine Vorschriften gemacht werden dürfen. Soll es denn bei einem in Anlehnung an eine Person der Zeitgeschichte geschriebenen zeitgeschichtlichen Roman darauf ankommen, ob der Autor, der einen inneren Zusammenhang zwischen den sexuellen Neigungen und der politischen Labilität seines Romanhelden sieht, ihn durch eine andere sexuelle Abartigkeit charakterisiert, als sie dem Vorbild allgemein zugeschrieben wurde, und ob sich hieraus für die Gestaltung der Romanhandlung weitere Abweichungen von der historischen Wirklichkeit ergeben?
Die genannte Prüfungsmethode kann auch die ohnehin bei der rechtlichen Beurteilung von Kunstwerken naheliegende Gefahr verstärken, daß die rechtliche Entscheidung mit davon bestimmt wird, wieweit der Beurteiler die künstlerische Transzendierung der aus der Wirklichkeit entnommenen Tatsachen und Erfahrungen als gelungen ansieht, mit anderen Worten, daß die subjektive, ästhetische Bewertung der Qualität des Kunstwerks maßgebend mitspricht. Ich halte "Mephisto" nicht für einen guten Roman - jedenfalls steht er nicht auf dem Niveau anderer Werke von Klaus Mann -; aber hiervon darf die Anwendung des Grundrechtsschutzes auf den Roman, der nach einhelliger Ansicht als ein Kunstwerk im Sinne des Art. 5 Abs. 3 GG anzusehen ist, nicht abhängen.
3.
Eine unmittelbar von Art. 5 Abs. 3 GG ausgehende Prüfung muß der vorbehaltlosen, uneingeschränkten Gewährung des Grundrechts durch die Verfassung ihr volles Gewicht lassen. Sie bedeutet im Vergleich zu den anderen Vorschriften des Art. 5 GG, daß der Verfassunggeber hier bewußt von einer Konfliktsregelung nach Art des Art. 5 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 GG abgesehen hat, sei es, daß er im Hinblick auf das Wesen der in einer anderen Ebene wirkenden Kunst die Möglichkeit eines Konflikts mit den in Art. 5 Abs. 2 GG geschützten Interessen grundsätzlich ausgeschlossen hat oder daß er in dubio der Freiheit der Kunst den Vorrang einräumen wollte. Hieraus ergibt sich zugleich, daß die Verfassung auch in diesem Punkt grundsätzlich von der Mündigkeit der Bürger ausgeht, nämlich von ihrer Fähigkeit, ein Kunstwerk als ein aliud zu einer gewöhnlichen Meinungsäußerung zu betrachten, d. h. einen Roman als eine Schöpfung der Phantasie zu verstehen, die als solche niemand zu beleidigen vermag. Wenn dennoch aus den in der Senatsentscheidung unter C.III.5 dargelegten Gründen unter bestimmten Voraussetzungen eine Begrenzung des Grundrechts wegen des Schutzes der Menschenwürde in Art. 1 GG in Betracht kommt, so muß der Freiheit der Kunst gleichwohl mehr Raum verbleiben als bei Anwendung der Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG: Der im Interesse des Persönlichkeitsschutzes erfolgende Eingriff darf nur eine sehr eng zu begrenzende Ausnahme darstellen.
Aus diesem Grunde sehe ich bei einem Werk der vorliegenden Art - einem in Anlehnung an Persönlichkeiten der Zeitgeschichte geschriebenen zeitgeschichtlichen Roman - das entscheidende Kriterium für die Versagung oder Gewährung des Grundrechtsschutzes darin, ob der Roman bei einer Gesamtbetrachtung ganz überwiegend das Ziel verfolgt, bestimmte Personen zu beleidigen oder zu verleumden, ob die Kunstform des Romans zu diesem Zweck mißbraucht wird oder ob das Werk nach den erkennbaren Motiven des Autors und nach objektiver Würdigung des Inhalts und der Darstellung einem anderen Anliegen dient. Bei einer solchen Bewertung kann die Antwort nur zugunsten des Romans "Mephisto" ausfallen. Wenn auch die persönliche Abneigung des Autors gegen den ehemaligen Schwager und dessen politisches Verhalten nicht ohne Einfluß auf die Auswahl des Stoffes und seine Darstellung gewesen sein mögen, so steht doch im Vordergrund durchaus die Absicht, die innere Korrumpierung einer intellektuellen Oberschicht durch ein ebenso brutales wie ungeistiges Regime darzustellen, zu erklären und zugleich eine letzte verzweifelte Warnung an die noch ansprechbaren Kreise im damaligen Deutschland und an das Ausland zu richten. In diesem Zusammenhang erscheinen auch die von den angefochtenen Urteilen als so gravierend angesehenen einzelnen "Entstellungen", z.B. die Auslieferung der Negertänzerin an die Gestapo, in einem anderen Licht: Der Autor will zeigen, daß derjenige, der sich auf den Pakt mit einem solchen Regime einläßt, in ausweglose Zwangslagen geraten kann, die ihn am Ende zum Verrat auch starker menschlicher Bindungen treiben; er hat damit typisierend eine von vielen Zeitgenossen des nationalsozialistischen Regimes schmerzlich erfahrene Einsicht vorweggenommen - auch wenn das spätere Verhalten des Vorbildes der Romanfigur hiermit nicht getroffen sein mag. Das Gesamtanliegen des Romans ist auch für den heutigen Leser noch ersichtlich, besonders wenn man das Vorwort des Verlages einschließlich der Versicherung des Autors hinzunimmt, das mir übrigens gerade wegen seiner Kürze und Prägnanz weit wirkungsvoller für die gebotene Distanzierung erscheint als die von den angefochtenen Urteilen verlangte ausführliche Darstellung des Lebensbildes von Gründgens und der Entstehungsvoraussetzungen des Buches, die der normale Romanleser im Zweifel "überspringen" würde.
4.
Hilfsweise ist noch folgendes zu bedenken: Auch wenn man entgegen der von Richter Dr. Stein und mir vertretenen Ansicht der Prüfung die in den angefochtenen Urteilen angewandten Kriterien zugrunde legt, so müßte doch die Ausnahmesituation des Autors bei der Entstehung und ersten Veröffentlichung des Romans voll berücksichtigt werden. Es ist bekannt, daß Klaus Mann besonders schwer unter dem Emigrantenschicksal gelitten hat und daß er zugleich zu den sicher nicht zahlreichen Emigranten gehörte, die in bewundernswerter Weise ungeachtet aller Schwierigkeiten und Anfeindungen ihre Kräfte in den Dienst des geistigen Kampfes gegen das nationalsozialistische Unrechtsregime gestellt haben. Im Schmid-Spiegel-Fall (BVerfGE 12, 113 [129]) hat das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen, daß in einer Pressefehde auch eine starke Polemik gerechtfertigt ist, wenn sie der Art des gegnerischen Angriffs entspricht und einem berechtigten Interesse an der Einwirkung auf die öffentliche Meinungsbildung dient. Ich verweise hierzu auch auf die außerordentlich großzügige Rechtsprechung des Supreme Court, der in bezug auf Personen und Gegenstände des Zeitgeschehens das allgemeine Interesse an der freien öffentlichen Diskussion grundsätzlich immer höher bewertet als die möglicherweise durch eine falsche Information oder polemische Darstellung betroffenen persönlichen Interessen, solange nicht "actual malice" vorliegt. Im Falle des "Mephisto"-Romans handelt es sich um weit mehr als um einen Meinungskampf im üblichen Rahmen, nämlich um den Widerstand gegen ein unmenschliches, rechts- und verfassungswidriges Herrschaftssystem - ein Handeln, das jetzt im Grundgesetz ausdrücklich sanktioniert und durch ein grundrechtsgleiches Recht geschützt wird (vgl. Art. 20 Abs. 4 und Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG). Wenn ein Schriftsteller unter den damaligen Umständen die ihm allein zur Verfügung stehenden geistigen Waffen im Dienste der guten Sache einsetzte, wenn er hierbei seinen Gedanken und Gefühlen nicht in einer politischen Streitschrift, sondern in der - vermutlich wirkungsvolleren - Form eines satirischen Romans Ausdruck gab und die Romanhandlung an eine weithin bekannte Person der Zeitgeschichte anlehnte, die wegen ihrer hervorgehobenen Stellung als kultureller Repräsentant des bekämpften Regimes angesehen wurde, so rechtfertigte die gegebene Notstandssituation sein Vorgehen auch dann, wenn er sich bei der Wahl der Mittel im einzelnen vergriffen haben sollte.
Diese Abwägung behält auch ihre Wirkung für die erneute Veröffentlichung des Romans in der Gegenwart. Mit dem zunehmenden zeitlichen Abstand von dem zeitgeschichtlichen Anlaß und den politischen Veränderungen könnte zwar der Schutz der betroffenen Persönlichkeit ein verhältnismäßig stärkeres Gewicht erhalten, jedoch wird dies wieder aufgewogen durch das Schwinden des Schutzbedürfnisses, da heute schon ein großer Teil der potentiellen Leser des Romans mit dem Namen und der Person von Gustaf Gründgens keine Vorstellungen mehr verbindet. Insgesamt lassen die fortdauernde, nicht nur historische Bedeutung der Vorgänge der nationalsozialistischen Zeit und der über den konkreten Anlaß hinausreichende Teil der künstlerischen Aussage von Klaus Mann die privaten und allgemeinen Interessen an der Veröffentlichung des Romans auch heute noch schutzwürdiger erscheinen als die Abwehr einer möglichen, vergleichsweise geringen Beeinträchtigung des Andenkens an Gustaf Gründgens.
Rupp-v. Brünneck