OLG München, 21.11.2016 - 5 VAs 48/16

Daten
Fall: 
Herr T.
Gericht: 
Oberlandesgericht München
Datum: 
21.11.2016
Aktenzeichen: 
5 VAs 48/16
Entscheidungstyp: 
Beschluss

I. Der Antrag des Verurteilten vom 1. Oktober 2016 auf gerichtliche Entscheidung gegen die Verfügung der Staatsanwaltschaft München I vom 25. Juli 2016 in der Gestalt des Bescheids des Generalstaatsanwalts in München vom 23. September 2016 wird kostenpflichtig als unbegründet verworfen.

II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

III. Der Geschäftswert wird auf 3.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Mit seit 13. Juli 2016 rechtskräftigem Urteil vom 9. September 2015 verhängte das Amtsgericht Altötting wegen Diebstahls in 2 Fällen gegen den Antragsteller eine Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten. Der Antragsteller hat seine Berufung im Termin zur Berufungsverhandlung vorn 13. Juli 2016 zurückgenommen. Diese Strafe hat der Verurteilte bisher nicht angetreten; er ist flüchtig.

Mit Schreiben seines vormaligen Verfahrensbevollmächtigten vom 23. Juli 2016 hat der Antragsteller gegenüber der Vollstreckungsbehörde beantragt, die Strafvollstreckung hinsichtlich dieser Strafe gemäß § 35 BtMG zurückzustellen, was die Vollstreckungsbehörde mit Verfügung vom 25. Juli 2016 abgelehnt hat. Die dem Urteil vom 9. September 2015 zugrunde liegenden Taten seien nicht, jedenfalls nicht überwiegend, auf seine Betäubungsmittelabhängigkeit zurückzuführen. Aus dem erstinstanzlichen Urteil und dem Gutachten des Sachverständigen würden sich derartige Umstände nicht ergeben. Die anderweitige Einlassung des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung sei rein taktischer Natur gewesen.

Hiergegen hat sich der Antragsteller mit Beschwerdeschriftsatz seines vormaligen Verfahrensbevollmächtigten vom 2. August 2016 gewandt und ausgeführt, die Angaben in der Berufungsverhandlung hätten der Wahrheit entsprochen. Die Vollstreckungsbehörde hat der Beschwerde mit Verfügung vom 12./13. September 2016 nicht abgeholfen. Mit Bescheid vom 23. September 2016 hat der Generalstaatsanwalt in München die Beschwerde zurückgewiesen; auf die Begründung des Bescheids wird verwiesen. Der Bescheid ist dem Verfahrensbevollmächtigten am 30. September 2016 zugestellt worden.

Der Antragsteller hat durch eigenes Schreiben vom 1. Oktober 2016, beim Oberlandesgericht am 12. Oktober 2016 eingegangen, Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 23 if. EGGVG gestellt und ausgeführt, er habe ein neues drogenfreies Leben begonnen und wolle eine Substitutionsbehandlung beginnen.

Der Generalstaatsanwalt hat unter Vorlage derAkten mit Schreiben vom 9. November 2016 beantragt, den Antrag auf gerichtliche Entscheidung kostenpflichtig als unbegründet zu verwerfen, den Geschäftswert auf 3.000,-- EUR festzusetzen und die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen. Er hat sich hierbei auf die Begründung seines Bescheids vom 23. September 2016 bezogen.

II.

1.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist gemäß § 23 Abs. 1 EGGVG i. V. m. § 35 Abs. I BtMG statthaft. Die Antragsfrist ( 26 Abs. 1, 24 Abs. 2 EGGVG) ist gewahrt, das nach § 24 Abs. 2 EGGVG I. V. m. § 21 StVollstrO vorgeschriebene Vorverfahren wurde durchgeführt.

2.

Der somit zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung erweist sich jedoch als unbegründet.

a) Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung durch den Senat ist die Ablehnungsverfügung der Vollstreckungsbehörde vom 25. Juli 2016 in der Gestalt des Beschwerdebescheids des Generalstaatsanwalts in München vom 23. September 2016.

b) Nach § 35 Abs. 1 BtMG steht die Zurückstellung der Strafvollstreckung für den Fall des Vorliegens der in dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen im Ermessen der Vollstreckungsbehörde. Der Senat kann deshalb den angefochtenen Bescheid nach § 28 Abs. 3 EGGVG nur dahin prüfen, ob die Vollstreckungsbehörde bei ihrer Entscheidung von einem zutreffenden, vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie ihrer Entscheidung den richtigen Begriff des Versagungsgrundes zugrunde gelegt und ob sie dabei die Grenzen des ihr zustehenden Ermessens eingehalten hat (Körner/PatzaklVolkmer, BtMG, 7. Aufl., § 35 Rdn. 397 m. w. N.). Dabei kann der Senat nicht prüfen, ob diese Entscheidung die rechtlich einzig mögliche oder dem Gesetzeszweck am ehesten entsprechende ist. Das Oberlandesgericht kann sein Ermessen nicht an die Stelle des Ermessens der Vollstreckungsbehörde oder des Generalstaatsanwalts setzen. Es überprüft lediglich, ob ein Missbrauch des Ermessens oder Willkür vorliegt (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 28 EGGVG Rdn. 10). Es ist dabei zu beachten, dass die Vollstreckungsbehörde Gründe für ihre Ermessensentscheidung nachschieben kann (Meyer-Goßner/Schmitt aaO).

c) Die Vollstreckungsbehörde und die Generalstaatsanwaltschaft gehen zu Recht davon aus, dass die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 BtMG nicht vorliegen.

Nach § 35 Abs. 1 Satz 1 BtMG kommt eine Zurückstellung der Strafvollstreckung nur dann in Betracht, wenn sich aus den Urteilsgründen ergibt oder sonst feststeht, dass der Verurteilte die Tat aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat, er glaubhaft zusagt, sich wegen seiner Abhängigkeit einer seiner Rehabilitation dienenden Behandlung zu unterziehen, deren Beginn gewährleistet ist, und er darüber hinaus behandlungsbedürftig ist.

Die Anwendung dieser Grundsätze ergibt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Satz 1 BtMG nicht bejaht werden können, denn es steht vorliegend keinesfalls fest, dass die Taten, die dem Urteil vom 9. September 2015 zugrunde liegen, auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen worden sind.

aa) Nach dem Wortlaut von § 35 Abs. 1 Satz 1 BtMG kommt eine Zurückstellung der Strafvollstreckung nur dann in Betracht, wenn sich aus den Urteilsgründen ergibt oder sonst feststeht, dass der Verurteilte die Taten aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat. Der Gesetzgeber wollte nur solchen Verurteilten die Möglichkeit der Zurückstellung nach § 35 BtMG einräumen, die Straftaten begangen haben, die in engem Zusammenhang mit ihrer BtM-Abhängigkeit bzw. mit der BtM-Beschaffung stehen oder die unter Entzugserscheinungen oder unter der Angst von Entzugserscheinungen ausgeführt worden sind (vgl. Körner/PatzakNolkmer aaO § 35 Rdn. 95). Zwar Ist für die Zurückstellung der Vollstreckung einer Gesamtfreiheitsstrafe nicht erforderlich, dass der Verurteilte alle Taten, die einer Gesamtstrafe zugrunde liegen, aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen haben muss, jedoch muss dies für den ihrer Bedeutung nach überwiegenden Teil der Straftaten zutreffen (OLG München, Beschluss vom 2.5.2012, Gz. 4 VAs 4/12).

bb) Hier fehlt es jedenfalls am sicheren Nachweis der Kausalität. Eine solche im Sinne der Vorschrift des § 35 Abs. 1 BtMG besteht nur bei Taten, die der Beschaffung von Drogen zur Befriedigung der Sucht dienen sollen oder die der Täter ohne die Betäubungsmittelabhängigkeit nicht begangen hätte. Das setzt einen unmittelbaren Kausalzusammenhang voraus, für dessen Annahme eine starke Vermutung nicht genügt, sondern Gewissheit bestehen muss (KG vom 31 .8.2007, 1 VAs 44/07, zitiert nach juris dort Rdn. 10). Auch der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts schließt sich dieser Auffassung an, da andernfalls der Anwendungsbereich von § 35 BtMG nur schwerlich zu bestimmen wäre. Bei einer je nach Schwere der Erkrankung unter Umständen die ganze Persönlichkeit erfassenden Betäubungsmittelsucht wäre letztlich jede Straftat im Sinne der conditio-sine-qua-non-Formel auf die Sucht zurückzuführen. Ein dementsprechendes Verständnis von § 35 BtMG lässt sich indes mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht vereinbaren.

Ein das Ermessen der Vollstreckungsbehörde bindender sicherer Nachweis, dass die Taten "aufgrund Betäubungsmittelabhängigkeit" begangen worden seien, lässt sich weder dem fraglichen Urteil noch sonstigen, aus den Akten ersichtlichen Umständen (vgl. Körner/PatzakNolkmer aaO § 35 Rdn. 95ff.) mit hinreichender Sicherheit entnehmen, wie die angefochtenen Bescheide zutreffend ausführen.

Das Urteil selbst (UA S. 7) enthält die Feststellung, dass der Angeklagte die gestohlenen Gegenstände veräußern wollte, um ein Bahnticket zu erwerben, dass er zum Tatzeitpunkt keine Betäubungsmittel zu sich genommen hatte und dass nach den Ausführungen des Sachverständigen keine Hangtaten vorliegen. Dies spricht somit deutlich gegen eine entsprechende Kausalität. Aus den Akten ergeben sich ebenfalls keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass es sich um Beschaffungskriminalität handelte, Im Gegenteil hat der Antragsteller in der Hauptverhandlung angegeben, dass er die Gegenstände entwendet habe, um ein Bahnticket nach Bielefeld zahlen zu können und dass er zu diesem Zeitpunkt clean gewesen sei (BI. 160R d. A.). Auch gegenüber dem Sachverständigen hat er noch im Juni 2015 angegeben, er habe keine Suchtprobleme mehr und die Parfums habe er keinesfalls gestohlen, um Drogen erwerben zu können (Sachverständigengutachten vom 11.06.2015, S. 17 und 18). Soweit der Antragsteller erstmals in der Berufungshauptverhandlung abweichende Angaben gemacht hat (Bl. 241 d. A.), kann deren Wahrheitsgehalt im Nachhinein nicht mehr überprüft werden; es fehlen hierzu jegliche tatsachenbasierende Feststellungen. Es bestehen durchaus Anhaltspunkte dafür, dass diese Angaben nur taktischer Natur waren. Es liegen somit keine sicheren Anhaltspunkte für eine entsprechende Kausalität vor. Ermessensfehier der Vollstreckungsbehörden vermag die Beschwerde somit nicht aufzuzeigen.

Zweifel an der Kausalität gehen auch hier zu Lasten des Antragstellers. Es ist nicht Sinn des Verfahrens nach § 23 if. EGGVG, die Hauptverhandlung des gegen den Angeklagten geführten Strafverfahrens zu wiederholen. Ist aus der heutigen Sicht des Antragstellers die Beweisaufnahme vor dem Strafgericht unzureichend, unvollständig oder aus sonstigen Gründen mangelbehaftet gewesen, war es Aufgabe des Erkenntnisverfahrens, Abhilfe zu schaffen.

Wenn der Antragsteller dies allerdings versäumt hat, ist dies im vorliegenden Verfahren nicht mehr nachzuholen und geht zu seinen Lasten.

3.

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen ( 29 Abs. 2 EGGVG), da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat (§ 29 Abs. 2 Satz 1 Ziff. I EGGVG) noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 29 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 2 EGGVG). Der vorliegende Einzelfall gibt keine Veranlassung, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder des formellen Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen (vgl. BGHSt. 24, 15/21 f.). Durch die Entscheidung des Senats entstehen auch keine schwer erträglichen Unterschiede in der Rechtsprechung als Ganzes (BGH aaO).

4.

Die Kostenfolge ergibt sich aus den § 1 Abs. 2 Nr. 19 und § 22 GNotKG, die Festsetzung des Geschäftswerts folgt aus § 36 Abs. 3 GNotKG.

Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht ...
Richterin am Oberlandesgericht ...
Richter am Oberlandesgericht ...