BVerfG, 25.05.1956 - 1 BvR 53/54

Daten
Fall: 
Frauenarbeitszeit
Fundstellen: 
BVerfGE 5, 9; AP Nr. 3 Art. 103 GG; AP Nr. 10 § 554a ZPO; DÖV 1956, 461; FamRZ 1956, 216; MDR 1956, 461; NJW 1956, 985
Gericht: 
Bundesverfassungsgericht
Datum: 
25.05.1956
Aktenzeichen: 
1 BvR 53/54
Entscheidungstyp: 
Beschluss
Instanzen: 
  • LAG Niedersachsen, 17.11.1953 - 4 Sa. 420/53
  • BAG, 24.06.1954 - 2 AZR 34/54

1. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG führt nicht zur Aufhebung des Urteils, wenn der Verfahrensbeteiligte die vorhandenen prozessualen Möglichkeiten, sich das rechtliche Gehör zu verschaffen, nicht ausgeschöpft hat.
2. Arbeitszeitbeschränkungen zugunsten der Frau, wie z. B. §§ 17 Abs. 2 und 19 AZO, sind mit Art. 3 Abs. 2 und 3 GG vereinbar.

Inhaltsverzeichnis 

Beschluß

des Ersten Senats vom 25. Mai 1956
- 1 BvR 53/54 -
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Rechtsanwalts H. gegen 1. das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hannover vom 17. November 1953 - 4 Sa. 420/53 - 2. den Beschluß des Bundesarbeitsgerichts vom 24. Juni 1954 - 2 AZR 34/54 -.
Entscheidungsformel:

Die Verfassungsbeschwerde vom 5. Februar 1954 wird gemäß § 24 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 12. März 1951 (BGBl. I S. 243) als offensichtlich unbegründet verworfen.

Gründe

Die vom Beschwerdeführer gegen die angefochtenen Urteile erhobenen Rügen sind sämtlich offensichtlich unbegründet.

I.

Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG.

1. Er sei vor dem Arbeitsgericht nicht ausreichend zu Worte gekommen.

Selbst wenn man dies als richtig unterstellt und darin eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG erblickt, kann das Urteil des Landesarbeitsgerichts aus diesem Grunde nicht beanstandet werden, weil die Gewährung des rechtlichen Gehörs in der Berufungsinstanz diesen Mangel heilt.

2. Er habe vor dem Landesarbeitsgericht keine Gelegenheit gehabt, zu einem erst kurz vor der Verhandlung eingereichten Schriftsatz der Verfahrensgegner persönlich Stellung zu nehmen.

Wegen des subsidiären Charakters der Verfassungsbeschwerde könnte dies nur gerügt werden, wenn der Beschwerdeführer die nach Lage der Sache gegebenen prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hätte, um sich das rechtliche Gehör zu verschaffen. So hätte er gegen die Entscheidung des Vorsitzenden, die ihm angeblich das Wort abschnitt, die Entscheidung des Gerichts anrufen (§§ 140 ZPO, 46 AGG) und auch eine Erklärungsfrist nach § 272 a ZPO beantragen können. Daß dies geschehen sei, hat der Beschwerdeführer nicht schlüssig dargelegt. Daher kann er die angebliche Beschränkung des rechtlichen Gehörs vor dem Bundesverfassungsgericht nicht geltend machen.

3. Er habe von dem Wortlaut einer von den Verfahrensgegnern zu den Akten überreichten ärztlichen Bescheinigung erst nach Erlaß des Urteils des Landesarbeitsgerichts Kenntnis erhalten.

Daß die Bescheinigung zu den Akten überreicht worden war, war dem Beschwerdeführer bei der mündlichen Verhandlung bekannt. Er hätte beantragen können, ihm im Termin Einsicht in die Bescheinigung zu gewähren; desgleichen hätte er auch insoweit eine Erklärungsfrist beantragen können. Daß dies vergeblich geschehen sei, hat er nicht vorgetragen. Im übrigen hat das Gericht die Bescheinigung offensichtlich nicht als Beweismittel verwertet, sondern nur am Rande erwähnt. Das Urteil beruht also gar nicht darauf.

4. Das Bundesarbeitsgericht habe ohne mündliche Verhandlung entschieden. Dies war zulässig: Der Anspruch auf rechtliches Gehör begründet nicht schon ein Recht auf mündliche Verhandlung; es ist Sache des Gesetzgebers, wie weit er in einem bestimmten Verfahren einen Anspruch auf mündliche Verhandlung geben will. Nach §§ 554 a ZPO, 72 Abs. 3, 74 Abs. 2 Satz 2 und 3 AGG konnte das Bundesarbeitsgericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden, wenn es die Revision des Beschwerdeführers für unzulässig hielt und aus diesem Grunde verwerfen wollte. Nach dem Inhalt der Akten hatte der Beschwerdeführer Gelegenheit, seine Auffassung zur Sach- und Rechtslage dem Bundesarbeitsgericht hinreichend zur Kenntnis zu bringen.

II.

Mit der weiteren Rüge macht der Beschwerdeführer geltend, Art. 3 Abs. 2 und 3 GG seien verletzt:

1. Zu Unrecht meint der Beschwerdeführer, der vom Landesarbeitsgericht herangezogene § 17 Abs. 2 Satz 2 AZO benachteilige "Männer" gegenüber "Frauen" im Sinne von Art. 3 Abs. 2 und 3 GG bei der Gestaltung der Arbeitszeit.

Wie das Bundesverfassungsgericht bereits in dem Urteil vom 18. Dezember 1953 (BVerfGE 3, 225 [241 f.]) ausgeführt hat, beschränkt sich das Differenzierungsverbot des Art. 3 Abs. 2 GG ebenso wie das des Art. 3 Abs. 3 GG auf die in den Vergleichstatbeständen benannten unterschiedlichen Eigenschaften, wie Mann-Frau, Protestant-Katholik usw. Differenzierungen, die auf anderen Unterschiedlichkeiten der Personen oder auf Unterschiedlichkeiten der Lebensumstände beruhen, bleiben von dem Differenzierungsverbot unberührt. Insbesondere ist im Hinblick auf die objektiven biologischen oder funktionalen Unterschiede von Mann und Frau nach der Natur des jeweiligen Lebensverhältnisses auch eine besondere rechtliche Regelung erlaubt oder sogar notwendig. Um eine solche Regelung, die der biologischen Besonderheit der Frau im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses schützend Rechnung trägt, handelt es sich in § 17 Abs. 2 Satz 2 AZO.

2. Dasselbe gilt für § 19 AZO, der vom Bundesarbeitsgericht herangezogen worden ist. Der Beschwerdeführer rügt allerdings weiter, diese Bestimmung sei auf Lehrlinge von Rechtsanwälten nicht anwendbar. Es kann in der Tat zweifelhaft sein, ob das Bundesarbeitsgericht § 19 AZO, der ausdrücklich nur von Arbeiterinnen spricht, zu Recht heranzog. Aber selbst wenn man das verneinen sollte, läge allenfalls ein verfassungsrechtlich unerheblicher Fehler bei der Anwendung materiellen Rechts (error in judicando) vor, der nicht zur Aufhebung des Urteils auf eine Verfassungsbeschwerde hinführen kann (BVerfGE 4, 1 [7]).

3. Fehl geht auch die Rüge, das Bundesarbeitsgericht habe Art. 3 Abs. 1 GG dadurch verletzt, daß es Vertragsverletzungen von Lehrherren nach anderen Gesichtspunkten beurteilt habe als die von Lehrlingen. Der sachliche Unterschied zwischen Vertragsverstößen von Lehrherren und Lehrlingen liegt bei der besonderen Natur des Lehrverhältnisses als eines Erziehungs- und Ausbildungsverhältnisses auf der Hand.