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BVerfG, 19.02.1957 - 1 BvR 357/52

Daten
Fall: 
Gestapo
Fundstellen: 
BVerfGE 6, 132; DÖV 1957, 530; DVBl 1957, 313; JZ 1957, 250; NJW 1957, 579; ZBR 1957, 99
Gericht: 
Bundesverfassungsgericht
Datum: 
19.02.1957
Aktenzeichen: 
1 BvR 357/52
Entscheidungstyp: 
Beschluss

1. Das Bundesverfassungsgericht hält an seiner in BVerfGE 3, 58 ff. vertretenen Rechtsauffassung fest, daß alle Beamtenverhältnisse zum Deutschen Reich mit dem 8. Mai 1945 erloschen sind.
2. Die generelle Nichtgewährung neuer Rechtsansprüche an die früheren Angehörigen der Gestapo nach dem Ausführungsgesetz zu Art. 131 GG ist mit dem Grundgesetz vereinbar; sie ist keine Kollektivstrafe.
§ 3 Nr. 4 des Ausführungsgesetzes zu Art. 131 GG wäre nur dann verfassungswidrig, wenn die Beamtenverhältnisse der Gestapo über den 8. Mai 1945 hinaus bestehen geblieben wären.

Inhaltsverzeichnis 

Beschluss

des Ersten Senats vom 19. Februar 1957
- 1 BvR 357/52 -
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des früheren Kriminalassistenten Gallus H. gegen § 3 Ziff. 4 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen vom 11. Mai 1951 (BGBl. I S. 307)

Gründe

A.

Der am 16. Januar 1913 geborene Beschwerdeführer trat am 15. Februar 1934 freiwillig in die "Politische Bereitschaft Württemberg", spätere Waffen-SS, in Ellwangen/Jagst ein. Nach Beendigung seines Dienstes bei der Waffen-SS wurde er am 1. Dezember 1938 bei der Geheimen Staatspolizei- Staatspolizeileitstelle Stuttgart - angestellt, im Mai 1939 in das Beamtenverhältnis übernommen und nach dreijähriger Ausbildungszeit am 1. September 1942 zum Kriminalassistenten ernannt. Am 1. September 1944 wurde er zur Außenstelle Sigmaringen der Geheimen Staatspolizei Stuttgart versetzt, wo er bis Kriegsende Dienst tat.

Im Entnazifizierungsverfahren wurde der Beschwerdeführer als Mitläufer eingestuft. Da er zunächst nicht wieder im Staatsdienst beschäftigt wurde, betätigte er sich in dem landwirtschaftlichen Betrieb seines Schwiegervaters. Am 1. Mai 1953 wurde er unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf zum Verwalter der Poststelle I in Rangendingen (Hohenzollern) bestellt. Sein gegenwärtiges Bruttogehalt beträgt einschließlich des Kindergeldes 306,09 DM monatlich.

Am 25. April 1952 hat der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen vom 11. Mai 1951 (BGBl. I S. 307; im folgenden: G 131) erhoben. Er fühlt sich durch § 3 Nr. 4 G 131 in seinem Grundrecht aus Art. 3 GG verletzt. Der Ausschluß aller Angehörigen der früheren Geheimen Staatspolizei (Gestapo) von den Rechten nach Kapitel I G 131 sei eine verfassungswidrige Kollektivstrafe. Er persönlich habe weder 1933 noch 1938 wissen können, was 1945 Wirklichkeit geworden sei. Da er nur eine untergeordnete Tätigkeit bei der Gestapo ausgeübt und eine ordnungsmäßige Laufbahnausbildung als Beamter genossen habe, könne er weder den "Polizeipotentaten" des "Dritten Reiches" noch jenen "zahlreichen nicht vorgebildeten Elementen" gleichgestellt werden, die nach 1945 in den Staatsdienst aufgenommen worden seien.

Der Beschwerdeführer beantragt unter Verzicht auf mündliche Verhandlung, § 3 Nr. 4 G 131 für verfassungswidrig zu erklären.

Das Bundesverfassungsgericht hat der Bundesregierung, dem Bundestag und dem Bundesrat Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Nur der Bundesminister des Innern hat für die Bundesregierung Stellung genommen. Er verneint einen Verstoß gegen Art. 3 GG. Die Geheime Staatspolizei habe sich nach Umfang und Art ihrer Aufgaben und namentlich im Hinblick auf die zu ihrer Erfüllung angewendeten Mittel wesentlich von den sonstigen deutschen Polizeieinrichtungen und von den in anderen Staaten bestehenden Staatssicherheitsbehörden unterschieden. Ihre Sachaufgaben seien bis zum Zusammenbruch fortschreitend von dem Auftrag überwuchert worden, die Machtstellung des Diktators und seiner politischen Partei zu stützen und sie unter Mißachtung der Gesetze und unter vielfachen Verletzungen allgemeiner innerstaatlicher und internationaler Rechtsgrundsätze aufrechtzuerhalten. Die abweichende Behandlung der früheren Gestapoangehörigen sei daher nach Art. 3 GG gerechtfertigt.

B.

Die am 25. April 1952 unmittelbar gegen das G 131 erhobene Verfassungsbeschwerde ist nach § 93 Abs. 2 BVerfGG rechtzeitig eingelegt (BVerfGE 1, 415 ff. [417]; 3, 58 ff. [75]). Sie ist auch zulässig, da der Beschwerdeführer hinreichend deutlich die Möglichkeit einer Verletzung seines Grundrechts aus Art. 3 GG vorgetragen hat. Zwar hätte er nach dem G 131 auch ohne die Sonderregelung für die Gestapo keinen Anspruch auf Übergangsgehalt gehabt, da er am 8. Mai 1945 noch nicht zehn Jahre lang Beamter gewesen war. Nach § 5 Abs. 2 i. V. m. § 11 G 131 hätte er jedoch als Beamter zur Wiederverwendung an der Unterbringung teilgenommen. Dies wird ihm - im Unterschied zu den sonstigen früheren Beamten auf Lebenszeit - durch die angefochtene Bestimmung versagt. Er ist also durch § 3 Nr. 4 G 131 unmittelbar betroffen.

C.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht begründet.

I.

Der Beschwerdeführer rügt, er sei unter Verletzung des Art. 3 GG in seiner Rechtsstellung gegenüber den sonstigen vom G 131 erfaßten früheren Beamten benachteiligt. Er will mithin die allgemeine Regelung, insbesondere den Ausschluß der früheren über das G 131 hinausgehenden Ansprüche (§ 77 G 131) nicht angreifen, sondern sich mit der Rechtsstellung begnügen, die er ohne die besondere Behandlung der Gestapo nach dem G 131 haben würde.

1. Trotz dieser Beschränkung der Verfassungsbeschwerde muß die Frage nach dem Fortbestand der Beamtenverhältnisse aus der Zeit des nationalsozialistischen Regimes auch im vorliegenden Falle aufgeworfen werden. Folgt man nämlich der im Schrifttum und in der Rechtsprechung überwiegend vertretenen Auffassung, diese Beamtenverhältnisse hätten den Zusammenbruch vom 8. Mai 1945 überdauert, weil es sich formell um Rechtsverhältnisse gegenüber dem nicht untergegangenen Deutschen Reich als Dienstherrn gehandelt habe, so müßte eine durch Art. 131 GG zugelassene Neuregelung alle Beamtenrechtsverhältnisse schon als solche und ohne Unterscheidung nach dem fachlichen Aufgabenbereich der einzelnen Beamtengruppen grundsätzlich gleichmäßig berücksichtigen. Wäre insbesondere jedes Beamtenverhältnis - ohne Rücksicht auf seine konkrete rechtliche Gestaltung innerhalb eines bestimmten Verfassungssystems - seinem Wesen nach ein auf fachliche Betätigung im Dienste und zum Wohle des Staates gerichtetes Rechtsverhältnis, dann wäre es sachfremd und willkürlich, bei der generellen Umgestaltung der subjektiven Rechte aus den formell fortbestehenden Rechtsverhältnissen nach der früheren Tätigkeit der einzelnen Beamtengruppen zu unterscheiden. Es könnte vielmehr höchstens im Einzelfalle geprüft werden, ob etwa ein Beamter sich habe "gleichschalten" oder zu "Unrechtsmaßnahmen" verleiten lassen und damit "durch sein eigenes Verhalten unter dem Nationalsozialismus seinen Beamtenstatus verwirkt" habe (so der Bundesgerichtshof in seinem Beschluß vom 20. Mai 1954 (BGHZ 13, 265 [301]), allenfalls ob er - nach Köttgen (AÖR NF 40, S. 361) - in einem dem "dominierenden Parteiamt lediglich akzidentiellen Beamtenverhältnis" gestanden und so mit dem Parteiamt auch das staatliche Amt verloren habe.

Wären also alle nach früherem Recht formell ordnungsmäßig begründeten beamtenrechtlichen Rechtsverhältnisse zum Deutschen Reich über den 8. Mai 1945 hinaus bestehen geblieben, dann wäre der völlige Entzug aller Beamtenrechte gegenüber einer einzelnen Gruppe - und zwar ein Entzug allein wegen des materiellen Aufgabengebiets, dessen sachgemäße Bearbeitung der Staat als Dienstherr jener Gruppe übertragen hatte- willkürlich und als Verstoß gegen Art. 3 GG anzusehen. Stellt man lediglich darauf ab, daß alle Beamtenverhältnisse- auch unter dem nationalsozialistischen Regime - formell ordnungsmäßig zum deutschen Staat - unabhängig von seiner Staatsform - begründet worden waren und daß das Beamtentum - wie der Bundesgerichtshof a.a.O. S. 296 betont - allgemein und in jeder Staatsform nur "verwaltende und rechtsprechende, nicht aber im eigentlichen Sinne politische Funktionen hat, also Funktionen, die der Staat als solcher immer übt und die weitgehend unabhängig sind von seiner wechselnden Erscheinungsform und den in diesem Wechsel sich ausdrückenden politischen Kräften", dann kann der Staat sich nicht deshalb seiner Treu- und Fürsorgepflicht gegenüber einer einzelnen Beamtengruppe entziehen, weil er selbst als Dienstherr ihr besondere Aufgaben zur Bearbeitung "im Interesse" des Staates übertragen hatte, Aufgaben, zu deren Bearbeitung er nach geltendem Beamtenrecht grundsätzlich auch andere Beamte auf Grund ihres Beamtenverhältnisses im Wege der Versetzung hätte verpflichten können. Von dieser Auffassung aus wäre es möglicherweise zulässig, einzelne Beamte der betreffenden Gruppe, die sich unter Verstoß gegen ihre Beamtenpflichten im Rahmen ihres Aufgabengebietes zu Unrechtsmaßnahmen hergegeben haben, ganz oder teilweise von weiteren Rechten auszuschließen. Der generelle Ausschluß einer ganzen Gruppe von allen Beamtenrechten ohne Berücksichtigung des individuellen Verhaltens wäre jedoch mit Art. 3 GG unvereinbar.

Dagegen ist - wie weiter unten (unter II) dargelegt wird die Regelung des § 3 Nr. 4 G 131 mit Art. 3 GG i.V.m. Art. 131 GG vereinbar, wenn sämtliche früheren Beamtenverhältnisse mit dem 8. Mai 1945 erloschen waren, wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 17. Dezember 1953 (BVerfGE 3, 58 ff.) ausgesprochen hat.

2. Gegen diese Entscheidung sind zahlreiche Bedenken erhoben worden. Soweit es sich dabei um vorwiegend politisch betonte Angriffe oder gar Verdächtigungen gegenüber dem Gericht handelt, kommt eine Auseinandersetzung mit ihnen selbstverständlich nicht in Betracht. Bei der weitreichenden Bedeutung des Problems besteht jedoch Anlaß, auf die rechtlichen Einwendungen im einzelnen einzugehen.

a) Ein Teil der Kritik wird dem Bundesverfassungsgericht vor, es habe das Wesen des Beamtentums und seine Stellung im Staat - auch im nationalsozialistischen Staat - nicht richtig gesehen.

aa) Nur der Staat als juristische Person sei Dienstherr des Beamten; ihm gegenüber sei immer nur der Staat als solcher, "unabhängig von seiner Staatsform", nicht dagegen "der Staat in irgendeiner bestimmten organisatorischen Verfassung" gebunden (BGHZ 13, 265 [296]). Das Bundesverfassungsgericht habe dagegen das Beamtenverhältnis des Nationalsozialismus "rein personal" aufgefaßt, es habe lediglich die Bindung an den Führer, nicht aber die Bindung an das Reich gesehen, deshalb Partei und Staat unzulässigerweise identifiziert, Parteimitgliedschaft und Beamtenverhältnis im wesentlichen gleichgesetzt und damit die politische Wirklichkeit und die staatsrechtlichen Verhältnisse gleichermaßen verkannt (vgl. Herbert Krüger, Zeitschrift für Beamtenrecht, 1954 S. 34; Giese und Kühn, Neue Deutsche Beamtenzeitung, 1954 S. 1 und 28). Es sei ausgeschlossen, daß als Dienstherr an die Stelle des Staates etwa "der Führer" getreten sei (Helfritz, Zeitschrift für Beamtenrecht, 1954 S. 98 f.). Der moderne Staat ... mit seinen "versachlichten und verfachlichten Funktionen" sei "eine institutionelle, in hohem Grade eigenständige Gegebenheit"; er sei "das vollständige Gegenteil eines ... rein personalistischen Verbandes", nämlich "durch und durch Idee, Institution, Organisation, Amt und Norm"; bei ihm gebe es "keine Personen, sondern nur Repräsentanten, Organe und Amtsträger" (Herbert Krüger a.a.O.). Allerdings hätten sich nach 1933 vielfach Tendenzen gezeigt, "die auf eine personalistische Zersetzung öffentlicher Institutionen im allgemeinen und eine Zerstörung des traditionellen Staatsbegriffs im besonderen hinausliefen. Die damalige Kritik an dem Zentralbegriff der ,Staatsperson' und die sich hiermit verbindende Abwertung des Institutionellen schlechthin" habe "jedoch auf Gesetzgebung und Staatspraxis, wie gerade das Deutsche Beamtengesetz beweist, keinen maßgeblichen Einfluß gewonnen. Das ,Reich' und damit ein institutionalisierter Dienstherr blieben erhalten" (Köttgen AÖR NF 40, S. 354).

bb) Aus dem Wesen des Berufsbeamtentums ergebe sich, daß beim Fortbestehen des Staates die Voraussetzungen für eine wesentliche Umgestaltung der Beamtenverhältnisse überhaupt nicht gegeben sein könnten. "Die Rechtseinrichtung des unparteiischen Berufsbeamtentums gehört ... wie die unabhängige Rechtspflege zu den selbstverständlichen Elementen eines Rechtsstaates"; der Rechtsstaat sei daher "unter den heutigen Lebensverhältnissen ohne Berufsbeamtentum wohl gar nicht vollziehbar". Der Sinn des Berufsbeamtentums hänge "nicht mit einem bestimmten Staatsformprinzip zusammen, sondern mit dem modernen Staatsdenken schlechthin" (Naumann und Giese in Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 13 S. 89, 92, 108, 155). Das Berufsbeamtentum beruhe auf einem "vorkonstitutionellen, überpositiven Recht" (Helfritz a.a.O. S. 99), es sei "im wesentlichen naturrechtlich notwendig, d. h. die Voraussetzung modernen sozialen Lebens" (Jerusalem NJW 1954 S. 981). Auch der Bundesgerichtshof bezeichnet es als "rechtlichen Kern des Beamtenrechtsverhältnisses", daß das Beamtentum verwaltende und rechtsprechende, nicht aber im eigentlichen Sinne politische Funktionen habe, also Funktionen, die der Staat als solcher immer übe und die weitgehend unabhängig seien von seiner wechselnden Erscheinungsform und den in diesem Wechsel sich ausdrückenden politischen Kräften (a.a.O. S. 296).

cc) Auch im nationalsozialistischen Staat habe das Berufsbeamtentum keinen besonderen Rechtscharakter gehabt. Es habe wie unter den vorausgegangenen politischen Systemen auch damals nur sachlich-fachliche Berufsarbeit im Interesse des Ganzen geleistet. Gerade die "von der Sache und vom Fache her bestimmte Fixierung" der Aufgaben unterscheide das Beamtentum von den "politischen Führungskräften" im Staate; die Beamten seien auch im "Dritten Reich" in erster Linie Träger derjenigen Aufgaben gewesen, "die gewissermaßen als ewige Verwaltungsaufgaben in jedem Gemeinwesen erfüllt werden" müßten, wenn auch der NS-Staat es ihnen "immer schwerer gemacht habe, die Verwaltung sachgerecht zu führen" (Reinhardt, Recht der Arbeit, 1954 S. 43 f., der im einzelnen auf die inhaltlich unveränderte Tätigkeit in zahlreichen Zweigen der Verwaltung während und nach der Zeit des "Dritten Reiches" hinweist; ähnlich Ernst Kern, DVBl. 1954 S. 277; vgl. auch Fischbach, Neue Deutsche Beamtenzeitung, 1954, S. 23).

dd) Köttgen (AÖR NF 40, S. 350 ff.) räumt ein, daß das politische Konzept des nationalsozialistischen Regimes "zentral gegen diese Sachlichkeit und ihre Repräsentanten gerichtet" gewesen und der Staat "zum politischen Machtinstrument denaturiert" worden sei; er gibt auch zu, daß der verfassungsrechtlich fundierte Begriff des Beamten weder in der Vergangenheit noch gegenwärtig ein "reiner Formalbegriff" sei. Er meint aber, als Statusverhältnis werde das Beamtenverhältnis in seinem Fortbestand nicht ohne weiteres durch eine "substantielle Variation" in Frage gestellt. Identität und Kontinuität eines Status seien nicht notwendig von der Konstanz seines Inhalts abhängig. Es bestehe aber eine Vermutung für die "Statuskonstanz", sie könne nur durch "spezifische Argumente" widerlegt werden, die im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu vermissen seien. Zwar dürften die politischen Zäsuren von 1933 und 1945 nicht verharmlost werden; jedoch habe sich schon wegen der totalitären Zielsetzung des nationalsozialistischen Regimes die politische Zäsur 1933 nicht auf die Bereiche organisierter Staatlichkeit beschränkt, sondern alle Bereiche des öffentlichen Lebens ergriffen. Lediglich im Rahmen dieser allgemeinen Politisierung sei auch das Beamtentum betroffen worden. Dabei sei zwar die Verwaltung dem instrumentalen Zugriff des Regimes vorzugsweise ausgesetzt gewesen und habe ihm günstigere Politisierungschancen geboten, andererseits aber sei mit der allgemeinen, nicht auf das Beamtentum beschränkten Politisierung gerade eine "politische Domestikation des Beamtentums" verbunden gewesen. Auch nach durchgeführter Politisierung habe daher das Beamtentum niemals zu den politischen Führungsschichten des Regimes gehört, sondern an der politischen Peripherie gestanden. Die Beamten in ihrer überwiegenden Mehrzahl könnten daher auch nicht als Angehörige der mit dem Zusammenbruch ausgeschalteten politischen Führungsschicht angesehen werden.

b) Einen weiteren grundsätzlichen Angriff erhebt die Kritik mit der Behauptung, die Methode der Rechtsfindung, die das Bundesverfassungsgericht bei diesem Urteil befolgt habe, sei verfehlt. Das Gericht habe seinen Rechtsspruch nicht auf eine Rechtsnorm, sondern auf ein geschichtliches Werturteil gestützt, dem überdies inhaltlich nicht beigetreten werden könne. Da das Gericht sich mit Art. 131 GG und seiner bundesgesetzlichen Ausführung nur sekundär befaßt und vornehmlich die Frage untersucht habe, welche Rechtsfolgen sich für die Beamtenverhältnisse aus dem Faktum des Zusammenbruchs und der Intervention der Besatzungsmächte ergeben hätten, habe es mangels positivrechtlicher Anknüpfungsmöglichkeiten sein Urteil "mit allen Risiken retrospektiver juristischer Würdigung revolutionärer oder zumindest quasirevolutionärer Vorgänge belastet" (Köttgen a.a.O. S. 350 f.).Gerade wenn der Gegenstand eines Urteils an die Grenze der Justiziabilität heranreiche, sei es Aufgabe eines Gerichts, ein äußerstes Maß von Anlehnung an Rechtsgrundsätze zu suchen, die im gegebenen Fall zur Verfügung ständen; erst wenn solche Rechtssätze und Rechtsgrundsätze als unzureichend befunden würden, sei der "Rückzug auf eine überrichterliche Funktion" zulässig. Das Bundesverfassungsgericht habe jedoch diesen Schritt ohne zwingende Notwendigkeit vollzogen (Ernst Kern a.a.O. S. 215 f.). Bei dem Versuch, den "weißen Fleck", der sich in der wissenschaftlichen Beurteilung des Beamtentums während des nationalsozialistischen Regimes zeige, auszufüllen, habe das Gericht die rechtswissenschaftliche Erörterung "mit einer sozialwissenschaftlichen oder soziologischen oder historischen Betrachtung verwechselt oder ... vermengt" (Naumann a.a.O. S. 109).

In noch grundsätzlicherer Formulierung bemängelt die Kritik, daß das Bundesverfassungsgericht nicht die "konservierende Natur des Rechts und der Rechtsprechung" beachtet und daher eine der "schönsten Aufgaben des Rechts" mißachtet habe, "trotz aller Veränderungen und Verschiedenheiten Zusammenhänge in der Zeit und im Raum herzustellen und zu erhalten" (Herbert Krüger a.a.O. S. 34). Nicht nur das vom Gesetzgeber geschaffene objektive Recht, sondern auch die auf dieser Grundlage entstandenen Rechtsverhältnisse, sowie das System der allgemeinen Rechtsbegriffe, die in der Wirklichkeit ohne weiteres in jedem der sich folgenden Regimes als gültig anerkannt würden, schüfen ein Kontinuum, das auch als Rechtsprinzip anzuerkennen sei (Jerusalem NJW 54, S. 981). Diskontinuität könne es für den Juristen nur geben, wenn sie durch eine politische Entscheidung geschaffen worden sei; sie sei aber nicht mit den Mitteln juristischer Logik deduzierbar (Forsthoff in Veröff. der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 13 S. 161).

Das Gericht habe im übrigen diese von ihm aus der geschichtlichen Wertung gefolgerte Diskontinuität auf das Beamtentum beschränkt und so "das die deutsche Gegenwart tragisch überschattende Kontinuitätsproblem ... sektoral aufgespalten." Denn dem Urteil sei jedenfalls nicht zu entnehmen, daß außer den Beamtenverhältnissen auch alle sonstigen "nationalsozialistisch infiltrierten" Rechtsverhältnisse erloschen seien (Köttgen a.a.O. S. 362). Manche Kritiker halten freilich eine solche sektorale Aufspaltung der Kontinuität innerhalb der Beamtenschaft selbst für möglich; so will Köttgen (a.a.O. S. 361) nur die Beamtenverhältnisse als erloschen betrachten, die sich nach der nationalsozialistischen Dogmatik als "gegenüber dem dominierenden Parteiamt lediglich akzidentielle Beamtenverhältnisse" entwickelt hätten, während Schack (Neue Deutsche Beamtenzeitung 1954 S. 63) die Diskontinuität auf die Beamtenverhältnisse aller obersten Organe und auf solche nachgeordneten Organe beschränken will, deren Funktionen - wie etwa diejenigen von Sondergerichten - unmittelbar und wesentlich durch den bisherigen Verfassungszustand bedingt gewesen seien.

c) Schließlich- und hier liegt der Schwerpunkt der Kritik ist von vielen Seiten nachdrücklich behauptet worden, das Bundesverfassungsgericht habe die Verhältnisse während des nationalsozialistischen Regimes, soweit sie das Berufsbeamtentum betreffen, in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht unzutreffend gewürdigt. Namentlich habe es dabei Unrechtsnormen des nationalsozialistischen Regimes durch die Annahme einer "soziologischen Rechtsgeltung" als wirksames Recht zugrunde gelegt.

aa) Der Abbau der verfassungsrechtlichen Schutzbestimmungen habe sich nicht nur auf das Beamtentum, sondern auch auf alle sonstigen Rechtsverhältnisse erstreckt. Der Fortfall des Schutzes der "wohlerworbenen Rechte" sei also nur die unausbleibliche Konsequenz eines generellen Verzichts auf verfassungskräftige Entscheidungen überhaupt gewesen (Köttgen a.a.O. S. 354 f.). Er könne keine entscheidende Bedeutung haben, da es z. B. auch in der Monarchie zwar ein Berufsbeamtentum, aber keinen besonderen Verfassungsschutz der Beamtenrechte gegeben habe (Forsthoff DVBl. 1954 S. 71). Übrigens seien auch unter dem Nationalsozialismus die Beamtenrechte tatsächlich gewahrt worden. Nach dem "revolutionären" Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, das sich übrigens auf die von den nationalsozialistischen Prinzipien her unbedingt erforderlichen Maßnahmen beschränkt und den betroffenen Beamten Pensionen gewährt habe, sei in die Rechte der Beamten nicht mehr eingegriffen worden. Die nationalsozialistische Beamtengesetzgebung selbst habe den Beamten wirksamen rechtsstaatlichen Schutz gewährt; das nun bestehende Treueverhältnis zwischen Staat und Beamten habe die formale Stütze des Art. 129 WV entbehren können. Der Entwurf zum Deutschen Beamtengesetz vom Jahre 1937 sei von einem kleinen Kreise von Ministerialreferenten ausgearbeitet worden, wie ja überhaupt damals die Gesetzgebung im wesentlichen in den Händen der von Hitler und der NSDAP unbeeinflußten Ministerialbürokratie gelegen habe. Diese Ministerialbeamten hätten unbehindert und unbeeinflußt den überkommenen Berufsbeamtenbegriff zugrunde gelegt und die seit dem Reichsbeamtengesetz von 1907 gewonnenen wissenschaftlichen und praktischen Einsichten berücksichtigt. Von den politischen Instanzen seien lediglich einige nationalsozialistische "Zierate" hinzugefügt worden (Fischbach a.a.O. S. 24; Pabst DÖV 1954 S. 551). Das Gesetz sei "seinerzeit allgemein dahin gewertet worden, daß es den Zustand der durch die Gleichschaltung hervorgerufenen weitgehenden Unsicherheit beenden und den Beamten wieder einen gesicherten Rechtsstand verleihen" sollte (Forsthoff a.a.O. S. 70). Es habe auch "weitgehende Sicherungen der Beamten hinsichtlich ihrer beamtenrechtlichen Stellung und ihrer vermögensrechtlichen Ansprüche" sowie gegen die Amtsentfernung geschaffen. Diese Schutzvorschriften hätten keineswegs auf dem Papier gestanden, sondern effektiven Schutz geboten, der auch politisch mißliebigen Beamten nicht versagt geblieben sei. Auswirkungen des berüchtigten Reichstagsbeschlusses vom 26. April 1942 seien "den breiten Schichten der Beamten ... jedenfalls ... nicht spürbar geworden" (Forsthoff a.a.O. S. 70 f.). Es sei "zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft bis weit in den zweiten Weltkrieg hinein viel rechtsstaatlicher" zugegangen, "als in dem kommunistisch- demokratischen kalten Bürgerkrieg nach 1945" (Koellreutter, Neue Deutsche Beamtenzeitung 1954 S. 43).

bb) Das Bundesverfassungsgericht habe den Beamteneid rechtlich unzutreffend gewürdigt. Der Diensteid habe keinen rechtlichen Einfluß auf das Beamtenverhältnis; er sei nicht konstitutives Element des Beamtenverhältnisses; was der Ernannte materiell tun und lassen solle, gehe lediglich aus den Rechtsvorschriften hervor, die seinen Status bestimmten (Ernst Kern a.a.O. S. 275 f.). Der Beamte sei berechtigt gewesen, die Pflicht zum Gehorsam und zur Treue gegenüber Hitler in erster Linie als Pflicht gegenüber dem Reich zu sehen (Jerusalem a.a.O. S. 982), wie ja auch im "Dritten Reich" die Eidesformel auf "Führer und Reich" gelautet habe (Fischbach a.a.O. S. 24).

cc) Bei der Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse habe das Bundesverfassungsgericht sich lediglich an die "Schauseite" des nationalsozialistischen Staates gehalten; die Wirklichkeit habe ganz anders ausgesehen. Seit 1945 wisse man, daß Wortfassade und Wirklichkeit weit voneinander abgewichen seien. Die Abweichungen im Negativen (Greueltaten an Juden, KZ-Insassen, Kriegsgefangenen usw.) seien alsbald nach dem Zusammenbruch bekannt geworden; von den Abweichungen im Positiven habe man weniger erfahren, da die Presse bis 1945 unfrei gewesen sei und die von der offiziellen Meinung abweichenden Auffassungen keine Publizität hätten gewinnen können. Gerade aus den Nürnberger Prozessen sei hervorgegangen, daß weder Richter noch Beamte "nur Werkzeuge, Exekutivorgane des Führerwillens" gewesen seien. Eine Wirklichkeitsanalyse des nationalsozialistischen Staates ergebe, "daß Staat und Partei keine Einheit" gewesen seien; gerade aus dieser Tatsache sei für jeden einzelnen ein gewisses Maß von Freiheit hervorgegangen (Forsthoff a.a.O. S. 70).

Das Bundesverfassungsgericht habe zwar die historisch-politische und die soziologische Wirklichkeit darstellen wollen, in Wahrheit aber nur eine Analyse der Rechtsnormen und ihrer literarischen Kommentierung gegeben (Herbert Krüger a.a.O. S. 35) und sich ausschließlich auf Dokumentationen gestützt (Forsthoff a.a.O. S. 70). Die "stark unterstrichene Überbetonung und Übersteigerung des Treupflichtverhältnisses (sei) ohne die realen Hintergründe gesehen, vor welchen sich damals eine stark den Propagandazwecken des Führerkultes dienende Geräuschfassade" entfaltet habe. Die Wirklichkeit des modernen rationalen Verwaltungsstaates hätten auch die nationalsozialistischen Machthaber bald zu respektieren gelernt (Ernst Kern a.a.O. S. 276). Trotz allgemeiner Politisierung, die sich naturgemäß auch auf das Beamtentum erstreckt habe, sei dieses im nationalsozialistischen Staat eine instrumentale Randerscheinung geblieben, und zwar bis in die Spitzen seiner Ministerialbürokratie hinein, die durch die Parteikanzlei auf bloße Gesetzgebungstechnik zurückgedrängt und an der Gestaltung der Ziele der Staatsführung weder ideologisch noch praktisch unmittelbar beteiligt gewesen sei (Köttgen a.a.O. S. 362).

Auch Kritiker, die mit dem Bundesverfassungsgericht annehmen, daß der nationalsozialistische Staat eine tiefgreifende Umgestaltung der Beamtenverhältnisse bewirkt habe, glauben doch, im Urteil sei die "auch unter der nationalsozialistischen Herrschaft fortwirkende und den überwiegenden Teil der Beamtenschaft beherrschende, bis zum Zusammenbruch nicht völlig gebrochene, wenn gleich zugegebenermaßen fortschreitend zurückgedrängte Tradition des staatsverpflichteten Berufsbeamtentums" zu wenig beachtet worden (Bachof DÖV 1954 S. 35). "Gerade bei soziologischer Betrachtungsweise könne man argumentieren, daß jene Tradition sich der vollen Verwirklichung des nationalsozialistischen Wunschbildes ... wirksam entgegengestellt habe" (Bachof a.a.O.). Zwar sei "die Gleichschaltung und die Überordnung der Partei über den Staat" Verfassungsrecht gewesen, "Verfassungswirklichkeit dagegen der ständige Kampf der Parteistellen um die Durchsetzung des Dogmas, Die Partei befiehlt dem Staat' sowie die Kampfstellung der ,Bewegung' gegen die überkommenen Ordnungsmächte (Offizierskorps, Kirche usw.)" (Lewald NJW 54, S. 1276). Kein Beamter, selbst wenn er gleichzeitig Amtswalter der NSDAP war, habe Befehlen der Partei nachkommen und Auskünfte dorthin geben dürfen (Wacke in Veröff. der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Heft 13 S. 178 f.). In der Auseinandersetzung zwischen Staat und Partei habe das Berufsbeamtentum, das allein auf seiten des Staates gestanden habe, sich bemüht, gewissermaßen "eine Immediatstellung zum ,Führer' in Anspruch zu nehmen, um dadurch die Unterwerfung des Beamtentums durch die ,Partei' abzuwehren und die Eigenständigkeit des Beamtentums im Rahmen seines traditionellen staatsgebundenen Dienstethos zu sichern" (Weber in Veröff. der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Heft 13 S. 172).Daher sei es "in neue Organisationsbereiche ausgewichen", "die gegen den Einfluß der ,Partei' stärker immunisiert zu sein schienen, wie den Vierjahresplan, die Ressorts von Todt und Speer und wo immer man hoffte, einen Patron zu finden, der für die Bewahrung überlieferten Beamtentums eine günstige Lage bot"; dieser Kampf sei "1945 noch nicht ausgetragen" gewesen (Werner Weber a.a.O.).

Die Schulung der Beamten, ihre Pflicht zum Hitlergruß und zum Hissen der Hakenkreuzflagge seien für ihre wirkliche Stellung insofern belanglos gewesen, als dadurch die Sachlichkeit ihrer Arbeit nicht beeinträchtigt worden sei. Obwohl das Bundesverfassungsgericht rechtserhebliche Tatsachen nicht habe beiseite schieben wollen, habe es die rechtserhebliche Tatsache der Beamtenstellung nicht beachtet, sondern sich zur Kennzeichnung des nationalsozialistischen Staates auf die Formeln des Nationalsozialismus berufen, in denen er selbst seinen Staat zu sehen wünschte. Nur am Rande und oft nur im geheimen habe die Partei ihre besonderen Absichten durchführen können; das Bundesverfassungsgericht aber habe sich die Wunschbilder der Partei in seinem Urteil zu eigen gemacht (Jerusalem a.a.O. S. 982 f). Gegen die Bewertung der nationalsozialistischen Rechtsliteratur durch das Bundesverfassungsgericht wenden einzelne Kritiker ein, daß es sich hierbei "um mühselig zusammengesuchte und aus dem Zusammenhang gerissene einzelne Sätze der damaligen Rechtsliteratur" gehandelt habe (Fischbach a.a.O. S. 25). Bachof dagegen betont ausdrücklich, "daß manche Äußerungen eine beschämende Willfährigkeit gegenüber der Despotie" hätten erkennen lassen (a.a.O. S. 35]; er meint allerdings auch, bei der Beurteilung der Beamtenrechtskommentare der damaligen Zeit dürfe man nicht übersehen, daß auch ausgesprochene Verteidiger eines integren Beamtentums sich durch die gegen die Institution gerichteten Angriffe veranlaßt gesehen hätten, "sich der mehr oder minder wirkungsvollen Beweisführung zu bedienen, die Institution des Berufsbeamtentums als solche sei mit der nationalsozialistischen Ideologie durchaus verträglich." Eine der verderblichsten Wirkungen des Regimes sei ja gerade der Zwang zur öffentlichen Lüge gewesen (Bachof a.a.O. S. 35). Andere glauben, das Bundesverfassungsgericht habe wohl selbst diese Zitate nicht ohne einen Zweifel an ihrem Wirklichkeitswert wiedergegeben (Ernst Kern a.a.O. S. 276), zumal bekannt sei, daß "gerade Spezialisten dann krauses Zeug von sich zu geben pflegen, wenn sie sich außerhalb ihres Fachs bewegen" (Herbert Krüger a.a.O. S. 35).

Die vom Bundesverfassungsgericht zur Darstellung der Lage der Beamtenschaft eingehend geschilderte höchstrichterliche Disziplinarrechtsprechung unter dem nationalsozialistischen Regime wird von der Kritik gering gewertet. Der Bundesgerichtshof führt lediglich in einem Klammerzusatz aus, daß die im Urteil angeführten nationalsozialistischen Äußerungen sich "z. T. auch in der Praxis einiger Disziplinargerichte" gespiegelt hätten (BGHZ 13, 265 (299]). Nur Bachof (a.a.O. S. 35) setzt sich mit dieser Judikatur auseinander; er meint, daß hier die "äußerste Grenze" des Rechtsstaates doch wohl überschritten gewesen sei, es sich also um Unrecht gehandelt habe.

dd) Die Anerkennung einer soziologischen Geltungskraft des Rechts durch das Bundesverfassungsgericht wird durchweg abgelehnt. Man könne sich allerdings fragen, ob die nationalsozialistischen Eingriffe in das Beamtenrecht überhaupt "Recht" gewesen seien. Dann gebe es aber nur zwei mögliche Antworten: Entweder handelte es sich um Rechtsvorschriften, dann galten sie als solche und nicht nur "soziologisch", oder es handelte sich um Vorschriften, die nicht Recht waren, dann aber konnten sie das Beamtenrecht nicht wirksam verändern (Forsthoff a.a.O. S. 71). Man könne aber nicht "Mißbrauch und Unrecht einer Verwaltungsübung, die den gegebenen rechtlichen Grundlagen weitgehend widersprochen habe, als rechtsbildend, ja als echtes Recht anerkennen; damit schaffe man ein gefährliches Präjudiz für die Wertung anderer Rechtsbeugungen und Rechtsvergewaltigungen, wie sie sich noch heute vor unseren Augen in dem durch den eisernen Vorhang von uns getrennten deutschen Raum vollziehen" (Kühn a.a.O. S. 29). Mit solcher Begründung könne man auch die Beseitigung des Beamtentums in der sowjetischen Zone durch eine formlose Verfügung sanktionieren. Die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts könne jenen "sehr gelegen kommen, die 1945 zur Durchsetzung ihrer klassenkämpferischen Zielsetzungen, um den Staat zum Werkzeug der Parteidiktatur zu machen, das Beamtentum beseitigen" (Kühn a.a.O. S. 29). Das Bundesverfassungsgericht habe hier geradezu, statt unbeirrbar nach dem Recht zu suchen, selbst "die Position des konsequenten Antipoden" eingenommen (Ernst Kern a.a.O. S. 218).

d) Alle Kritiker, die sich die vorstehend dargelegten Argumente ganz oder teilweise zu eigen machen, kommen zu dem Ergebnis, daß die Beamtenverhältnisse über den 8. Mai 1945 hinaus fortbestanden hätten. Sie sehen sich in dieser Auffassung durch einen Rückschluß aus der Gesetzes- und Rechtslage seit der Kapitulation bestätigt. Das Deutsche Beamtengesetz habe nach Säuberung von den nationalsozialistischen Zutaten fortgegolten. Die Institution des Berufsbeamtentums sei nicht beseitigt, die staatsrechtliche Organisation nicht zerstört, vielmehr der staatliche Verwaltungsapparat durch die Besatzungsmächte summarisch in Pflicht genommen worden (Köttgen a.a.O. S. 361; Ernst Kern a.a.O. S. 214 f.; Naumann a.a.O. S. 114 f.; Laun, Jahrbuch für internationales Recht, 1954 S. 161). Die Kontinuität der Verwaltung aber sei nicht zu trennen von der Kontinuität der Rechtsverhältnisse (Reinhardt a.a.O. S. 44).

Umgekehrt ergäben sich, wenn man die Rechtsauffassung, des Bundesverfassungsgerichts zugrunde lege, praktische Schwierigkeiten und rechtliche Zweifelsfragen von großer Tragweite, zu denen das Bundesverfassungsgericht nicht Stellung genommen habe. So müßten bei Annahme eines Erlöschens der Beamtenverhältnisse zahlreiche Staatsakte, insbesondere auch Gerichtsurteile aus jener Zeit, als nichtig angesehen werden (Fischbach a.a.O. S. 23 f.; Giese a.a.O. S. 63; Laun a.a.O.). Wenn die Zerstörung der wohlerworbenen Rechte während der nationalsozialistischen Herrschaft in Verbindung mit anderen Momenten zum Erlöschen der Beamtenverhältnisse geführt habe, dann "sollte man meinen, müßte es doch eine Art Ehrenaufgabe für das Bundesverfassungsgericht sein, diesem zerstörten Grundsatz wieder zum Siege zu verhelfen" (Fischbach a.a.O. S. 25; vgl. auch Ernst Kern a.a.O. S. 217). Gerade das aber sei nicht geschehen, sondern die Geltung der wohlerworbenen Rechte auch für die Zukunft verneint worden. Auch Bachof (a.a.O. S. 36) stellt zur Erwägung, ob nicht der Staat im Hinblick auf die Unrechtmäßigkeit jener Umgestaltung der Beamtenverhältnisse zur Wiederherstellung des früheren rechtmäßigen Zustands mindestens den Beamten gegenüber verpflichtet wäre, deren Beamtenverhältnis vor der Umgestaltung begründet worden ist.

Manche Kritiker glauben in der grundsätzlichen Auffassung des Bundesverfassungsgerichts geradezu unauflösbare logische Widersprüche feststellen zu können. So wird gesagt, man könne nicht trotz der Annahme, die Beamtenverhältnisse seien erloschen, die spätere Suspension eines Beamten durch die Besatzungsmächte als erneute echte Entlassung behandeln (Fischbach a.a.O. S. 39 Anm. 3). Andererseits ergebe sich aus der These des Bundesverfassungsgerichts "mit logischer Konsequenz, daß die Beamtenrechtsverhältnisse im Reich durch Rechtsmißbrauch und Gewaltherrschaft spätestens am 26. April 1942 hätten vernichtet sein müssen, da eine weitere Steigerung der Denaturierung des Beamtenrechtsverhältnisses in der Folgezeit zwischen dem April 1942 und der Kapitulation am 8. Mai 1945 nicht mehr eingetreten" sei. Diese Erkenntnis stehe aber in einem jähen Widerspruch zu der Schlußfolgerung, die das Bundesverfassungsgericht zu ziehen sich entschließe, indem es behaupte, daß diese Vernichtung der Beamtenrechtsverhältnisse erst mit dem 8. Mai 1945 eingetreten sei. Aus der Hinwendung der Gesamtentwicklung zur Demokratie und Rechtsstaatlichkeit müsse man vielmehr folgern, daß die Beamtenrechtsverhältnisse nach diesem Zeitpunkt in ihrer alten rechtlichen Integrität fortbestanden hätten (Ernst Kern a.a.O. S. 216 f.; im Ergebnis ebenso Lewald NJW 1954 S. 1276). Man lese das Urteil vergeblich durch, um einen juristischen Gedankengang zu finden, der die logische Lücke zwischen dem Ergebnis der konstruktiven Bemühungen des Bundesverfassungsgerichts und seinen Schlußfolgerungen schließe ... Wenn schon das Bundesverfassungsgericht annehme, daß trotz des Terrors die Beamtenrechtsverhältnisse bis zum 8. Mai 1945, 24.00 Uhr fortbestanden haben, dann wird aus der Hinwendung der Gesamtentwicklung zur Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gefolgert werden müssen, daß die Beamtenrechtsverhältnisse nach diesem Zeitpunkt in ihrer alten rechtlichen Integrität fortbestanden haben ... Da Unrecht nicht "mit einer Zeitzündung" nach einer größeren Anzahl von Jahren zur Wirkung kommen könne, ... werde "es mit dieser Konstruktion unmöglich, das Ziel der juristischen Bemühungen des Bundesverfassungsgerichts zu erreichen, nämlich zu begründen, daß die Beamtenverhältnisse mit dem 8. Mai 1945 erloschen" seien (Ernst Kern a.a.O. S. 216, 217; im Ergebnis ebenso Lewald NJW 1954 S. 1276).

3. Gegenüber dieser Kritik hält das Bundesverfassungsgericht nach erneuter Prüfung an der im Urteil vom 17. Dezember 1953 vertretenen Rechtsauffassung fest. Dabei ist es zweckmäßig, die zuletzt erwähnten Einwände, in denen logische Widersprüche im Urteil gerügt werden, vorweg zu behandeln, da sie auf einem offensichtlichen Mißverstehen der Urteilsausführungen beruhen.

Nicht die parteipolitisch "neutralen" vornationalsozialistischen Beamtenverhältnisse haben bis zum 8. Mai 1945 bestanden und sind zu diesem Zeitpunkt erloschen, sondern die durch die nationalsozialistische Gesetzgebung umgestalteten Beamtenverhältnisse nationalsozialistischer Prägung. Die ursprünglich in parteipolitischer Neutralität allein zum Staate bestehenden Beamtenverhältnisse waren in der Tat zu einem weit vor dem 8. Mai 1945 liegenden Zeitpunkt beseitigt, d. h. zu Beamtenverhältnissen nationalsozialistischer Prägung umgestaltet worden. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat insoweit von einer ausdrücklichen zeitlichen Fixierung absehen können, weil sie für die Entscheidung ohne Bedeutung war. Diese nationalsozialistisch geprägten Beamtenverhältnisse konnten bis zum Zusammenbruch des nationalsozialistischen Systems weiterbestehen. Die Kritik zu diesem Punkte ist offenbar von der Vorstellung beherrscht, ein Beamtenverhältnis nationalsozialistischer Prägung, das sich von dem überkommenen parteipolitisch neutralen, nur dem Staate verpflichteten Berufsbeamtenverhältnis seinem Wesen und seiner Rechtsnatur nach unterscheidet, sei geradezu undenkbar- eine Frage, auf die sogleich in anderem Zusammenhang eingegangen werden soll.

Der Einwand, das Urteil habe bei Annahme des Erlöschens sämtlicher Beamtenverhältnisse nicht eine erneute Entlassung durch die Besatzungsbehörden unterstellen dürfen, übersieht, daß es sich hier nach den Ausführungen des Urteils um die Entlassung aus einem neuen Dienstverhältnis auf der formellen Grundlage der Proklamation Nr. 1 des Obersten Befehlshabers der Alliierten Streitkräfte gehandelt hat (BVerfGE 3, 122 f., [132 f.]).

a) Die Ausführungen der Kritik, daß auch unter dem nationalsozialistischen Regime der Staat als juristische Person Dienstherr der Beamten, mithin allein aus dem Beamtenverhältnis verpflichtet gewesen sei, treffen zu, sind aber gegenüber dem Urteil ohne Belang. Das Urteil hat die formal-rechtliche Bindung des Beamten zum Staate nirgends in Frage gestellt. Es hat aber dargelegt, daß alsbald nach der nationalsozialistischen Machtübernahme der Prozeß einer inhaltlichen Umgestaltung der früher neutralen Beamtenverhältnisse begonnen hat, daß die Beamtenverhältnisse aus der nationalsozialistischen Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung heraus einen besonderen Gehalt empfangen haben, daß eben die nationalsozialistischen beamtengesetzlichen Bestimmungen" das Treueverhältnis zum Reich" nur über Hitler und über die Abhängigkeit vom Willen der NSDAP begründet haben (BVerfGE 3, 102), daß also gerade die auf Druck der NSDAP in das Beamtengesetz eingefügten "Zutaten" oder "Zierate" es gewesen sind, die dem formal weiterbestehenden Rechtsverhältnis den veränderten sachlichen Gehalt gegeben, "das formal zum Staate bestehende öffentlich- rechtliche Dienstverhältnis" zum nationalsozialistischen Beamtenverhältnis gemacht haben (BVerfGE 3, 103). Es trifft daher nicht zu, daß das Bundesverfassungsgericht nur die Bindung an den Führer und nicht die Bindung an den Staat gesehen oder gar die Parteimitgliedschaft mit der Beamtenschaft gleichgesetzt habe; vielmehr hat das Gericht gerade aus der für das nationalsozialistische System besonders typischen Verschränkung der beamtenrechtlichen Stellung mit der Bindung an Hitler und die NSDAP notwendige Folgerungen für den sachlichen Gehalt und demzufolge für den rechtlichen Bestand der gegenüber dem Staate bestehenden beamtenrechtlichen Rechtsverhältnisse gezogen.

Die Verpflichtung der Beamten auf Hitler und die NSDAP hat also weder Hitler zum "personalen Dienstherrn" gemacht noch das rechtliche Band zwischen Beamten und Staat beseitigt. Sie hat aber dem zwischen Beamten und Staat bestehenden Rechtsverhältnis einen besonderen Inhalt gegeben, der eine aus der Natur dieses Rechtsverhältnisses folgende Beschränkung seiner Dauer für einen bestimmten verfassungsrechtlichen Zustand bewirken mußte.

Auch die Einwendungen, die vom Wesen des Berufsbeamtentums her die Möglichkeit einer rechtserheblichen Umgestaltung des Beamtenverhältnisses überhaupt leugnen, sind unzutreffend. Es ist ein begriffsjuristischer Irrweg, von einem gewissermaßen über- oder vorstaatlichen Begriff des Berufsbeamtentums auszugehen und von dieser Grundlage aus die rechtliche Unmöglichkeit einer inhaltlichen Umgestaltung oder die Unmöglichkeit grundsätzlich verschiedenartiger rechtlicher Gehalte von Beamtenverhältnissen eines konkreten Staates zu folgern. Es gibt keinen "naturrechtlichen" Begriff des Beamtentums, der für die Gestaltung des öffentlichen Dienstes eines jeden Staates oder auch nur des modernen Verfassungsstaates maßgebend wäre. Vielmehr beruht es auf der verfassungspolitischen Entscheidung eines jeden Staates, in welcher Weise er das Rechtsverhältnis seiner Staatsdiener gestaltet. Wählt der Staat die Form eines in der Regel lebenslänglichen öffentlich- rechtlichen Dienstverhältnisses mit gegenseitiger Treu- und Fürsorgepflicht und schafft er somit eine Institution, die als Berufsbeamtentum bezeichnet zu werden pflegt, so sind mit dieser Formalentscheidung Inhalt und Reichweite des Beamtenrechtsverhältnisses noch nicht eindeutig bestimmt. Der Staat hat die Möglichkeit, die gegenseitige Treu- und Fürsorgepflicht ausdrücklich oder den gesamten Umständen nach so zu gestalten, daß sie nur auf der Grundlage einer bestimmten Staatsverfassung gelten können. Es mag dahinstehen, ob man eine solche Form des öffentlich- rechtlichen Dienstverhältnisses noch als Berufsbeamtenverhältnis im herkömmlichen Sinne bezeichnen soll. Jedenfalls läßt sich nicht bezweifeln, daß sie rechtlich möglich und nicht etwa nach überpositiven Rechtsgrundsätzen als rechtsunwirksam zu bezeichnen ist. Je nachhaltiger die Verfassungspolitik eines Staates von einer eindeutigen, klar abgegrenzten politischen Grundanschauung her bestimmt ist, je mehr also eine "parteipolitische" Auffassung innerhalb des Staates ausschließlich maßgeblich ist und jede abweichende politische Meinung als illegal behandelt wird, um so mehr spricht die Vermutung dafür, daß die Maßgeblichkeit dieser parteipolitischen Grundanschauung zugleich die unerläßliche Grundlage für Inhalt und Dauer jenes gegenseitigen Treueverhältnisses sein soll. Gewiß braucht die Identität des Staates durch den Wechsel der Staatsform nicht berührt zu werden; der Staat kann auch eine revolutionäre Verfassungsänderung überdauern; aber das schließt nicht aus, daß die mit einer bestimmten Staatsform besonders eng verbundenen Rechtsverhältnisse jedenfalls dann nicht ohne weiteres, insbesondere nicht ohne eindeutige Bestimmung der neuen Verfassung, fortbestehen können, wenn der identische Staat nach Beseitigung der alten Staatsform sich eine ihr in allen politischen Grundentscheidungen geradezu entgegengesetzte Verfassung gibt.

Dem kann nicht entgegengehalten werden, daß die Tätigkeit der Staatsdiener - unabhängig von der Staatsform - ausschließlich von der Sache und vom Fach her bestimmt, der Inhalt ihrer Tätigkeit also im Kern oder in seinem Wesen unveränderlich, daher auch nicht an eine bestimmte Staatsform gebunden sei, sondern notwendig nur dem Staate als solchem, nicht aber dem Staate in einer bestimmten Verfassung zugute komme. Zwar ist es richtig, daß das Beamtentum verwaltende und rechtsprechende, nicht aber im eigentlichen Sinne politische Funktionen hat. Das besagt aber nichts über den Inhalt sowie über Art und Weise der Durchführung der verwaltenden und rechtsprechenden Tätigkeit. Die - von der Sachaufgabe her gesehen - "unpolitische" Funktion kann vielmehr, je nach der dienstrechtlichen Gestaltung des Beamtenverhältnisses, einen mehr und minder starken politischen Gehalt haben. Der Ansatzpunkt für diese "politische Infiltrierung" liegt in dem Ermessen, das jedem Beamten - selbst dem Richter - in geringerem oder höherem Ausmaß bei der Erledigung seiner Dienstaufgaben eingeräumt werden muß. Hier kann der Staat den Sachauftrag des Beamten politisch fixieren, indem er ihm vorschreibt, daß er bei Ausübung dieses Ermessens einen ganz bestimmten politischen Standort einzunehmen habe. Gerade weil diese Möglichkeit besteht, bemüht sich der freiheitlich-demokratische Staat, die Tätigkeit der Beamten gegenüber parteipolitischen Einflüssen weitgehend zu neutralisieren (vgl. Forsthoff, Der totale Staat, II. Aufl. 1934 S. 40), Verfassungsfeinde nicht nur von der funktionell politischen, sondern gerade auch von der Beamtentätigkeit fernzuhalten und Vorsorge gegen die Möglichkeiten politischen Mißbrauchs in Verwaltung und Rechtsprechung zu treffen. Alle derartigen Bemühungen wären überflüssig und sinnlos, wenn jede Beamtentätigkeit von der Sache und vom Fach her so eindeutig bestimmt wäre daß sie ihrem Wesen nach einer Politisierung unzugänglich wäre.

Für die nationalsozialistische Staats- und Beamtenpolitik ist nun gerade charakteristisch, daß von den Beamten verlangt wurde, sie müßten sich bei ihrer Verwaltungstätigkeit von ausgesprochen politischen, und das hieß hier parteipolitischen, nämlich allein von nationalsozialistischen Gesichtspunkten leiten lassen. Deshalb mußte sich ihre "sachliche" Tätigkeit wesentlich von einer parteipolitisch neutralen Erledigung der Geschäfte Unterscheiden. Selbstverständlich gibt es rein technische Aufgaben, die einer solchen Politisierung ihrem Inhalte nach kaum zugänglich sind. Ihr Bereich geht jedoch nicht annähernd soweit, wie manche Kritiker annehmen, und gerade für das nationalsozialistische System ist die Tendenz bezeichnend, ihn immer weiter einzuengen. Es ist z. B. auch vom Standpunkt des heutigen Staates aus nicht richtig, daß die Tätigkeit des Lehrers, "der seinen Schülern Rechnen, Schreiben und Lesen beibringt", ausschließlich und eindeutig vom Fach her fixiert sei (so Reinhardt a.a.O.). Damit würde die bedeutsame Erziehungsaufgabe des Lehrers übersehen, deren Inhalt auch von den Zwecken her bestimmt wird, die der Staat in seiner jeweiligen Verfassung sich für die Erziehung seiner Jugend setzt. Gerade der so stark von einer bestimmten politischen Weltanschauung her geprägte Staat des Nationalsozialismus hat daher folgerichtig die Erziehungsaufgabe des Lehrers in spezifisch nationalsozialistischem Geiste in den Vordergrund gerückt. Die Praxis dieses Systems hat gezeigt, wie völlig gerade hier die Sachaufgabe des Lehrers von dem Auftrag, die Schüler "staatspolitisch", d. h. hier parteipolitisch nationalsozialistisch, zu erziehen, überdeckt wurde, und es ist dabei besonders bezeichnend, daß diese Politisierung des Erziehungswesens keineswegs auf bestimmte, ihr besonders zugängliche Arbeitsgebiete beschränkt blieb.

Schon vor der Zeit der sogenannten Machtübernahme haben die Nationalsozialisten da, wo es ihnen möglich war, versucht, die Schulen zur Erziehung, im nationalsozialistischen Sinne zu mißbrauchen. Ein besonders markantes Beispiel hierfür sind die sogenannten Schulgebete, die der nationalsozialistische thüringische Minister für Volksbildung, Dr. Frick, am 16. April 1930 im Amtsblatt des Thüringischen Ministeriums für Volksbildung (S. 39 f.) den Lehrern und Schülern für den Beginn und das Ende ihrer Wochenarbeit "empfohlen" hatte mit der Auflage an Schulräte und Leiter der höheren und Mittelschulen, ihm zu berichten, falls etwa die Durchführung seiner "Empfehlung" auf Schwierigkeiten stoßen sollte. Bekanntlich hat der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich mit Urteil vom 11. Juli 1930 (Lammers-Simons, Band 4 S. 104 ff.) diese Empfehlung für verfassungswidrig erklärt und hierzu u. a. folgendes bemerkt:

"Sicher ist ...,daß es weiten und gerade streng religiös denkenden Kreisen als ein Mißbrauch des christlichen Gebetes erscheint, wenn es dazu verwendet werden soll, bestimmte innerpolitische Anschauungen und gewisse Gruppen des Volkes zu brandmarken. Auch die Empfindungen derer, denen dies von ihrer religiösen Auffassung aus als eine Entheiligung des Gebetes erscheint, müssen durch das Vorgehen des Thüringischen Ministeriums für Volksbildung verletzt werden und sind dadurch, wie die Aufnahme der Gebete beweist, in weitestem Umfange tief verletzt worden."

Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung stand das Schulwesen - ungehemmt durch die Schranken der Weimarer Verfassung - unter dem Leitgedanken einer Politisierung des gesamten Unterrichts mit besonderer Berücksichtigung der nationalsozialistischen Rasselehre. Maßgebende Grundlage war Hitlers Forderung:

"Die gesamte Bildungs- und Erziehungsarbeit des völkischen Staates muß ihre Krönung darin finden, daß sie den Rassesinn und das Rassegefühl trieb- und verstandesmäßig in Herz und Gehirn der ihr anvertrauten Jugend hineinbrennt."
(Amtsblatt des Reichs- und Preußischen Ministeriums der Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung und der Unterrichtsverwaltungen der Länder - im folgenden: MinBlatt - 1935 S. 40).

Demgemäß wurde gesetzlich festgelegt, daß die Schulpflicht "der Erziehung und Unterweisung der deutschen Jugend im Geiste des Nationalsozialismus" diene, daß Grund- und Hauptschule die Aufgabe haben, "den Jugendlichen auf dem Baugrund von Blut, Boden, Volksgemeinschaft und Religiosität zum charaktervollen deutschen Menschen zu erziehen" (Reichsschulpflichtgesetz vom 6. Juli 1938 - RGBI. I S. 799 -; Badisches Gesetz über die Grund- und Hauptschulen vom 29. Januar 1934 -GVBl. S. 29 -).

Zur Durchführung einer solchen Erziehung, die einem angeblich ausschließlich von der Sache und vom Fach her orientierten Unterricht aufs schärfste widersprechen mußte, bestimmte der im Einvernehmen mit dem rassepolitischen Amt der NSDAP herausgegebene - Erlaß des Reichs- und Preußischen Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 15. Januar 1935 über Vererbungslehre und Rassekunde im Unterricht (Min.Blatt S. 43), wie die nationalsozialistische Rasselehre für alle Unterrichtsfächer fruchtbar zu machen, also nicht nur als Spezialfach behandelt, sondern auch in Erdkunde, Geschichte, im Deutsch- Unterricht, endlich aber auch besonders im "Kunstunterricht", im "Singen" und im "Zeichenunterricht" berücksichtigt werden könne und müsse (hinsichtlich des Zeichenunterrichts vgl. insbesondere auch den Erlaß des bremischen Senators für das Bildungswesen vom 31. März 1936- MinBlatt S. 407 -). Es sollte "die nationalsozialistische Weltanschauung ... nicht Gegenstand oder Anwendungsgebiet des Unterrichts, sondern sein Fundament" sein (Erlaß des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 29. Januar 1938 über "Erziehung und Unterricht an der höheren Schule" - MinBlatt S. 47 ff. (51) -).

Dieser nationalsozialistischen "Ausrichtung" des Unterrichts diente im einzelnen eine Reihe von Maßnahmen, wie etwa die Errichtung der "Reichsprüfstelle für Klassenlesestoffe und Lehrmittel der höheren Schulen" (Erlaß des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 17. August 1938 MinBlatt S. 393 -), die "alle Klassenlesestoffe, Quellen und Nachrichtenhefte" für den Unterricht an höheren Schulen, "alle Lehrmittel für Deutsch, Geschichte (einschließlich Vorgeschichte), Erdkunde, Erblehre und Rassenkunde", sowie "alle Lehrmittel der übrigen Fachgebiete, soweit sie der nationalpolitischen Auswertung und Vertiefung des Unterrichts dienen" könnten, zu prüfen hatte. Ohne ihre Vorprüfung durften Lesestoffe und Lehrmittel nicht benutzt werden. (Vgl. auch den Erlaß des Badischen Ministers des Kultus, des Unterrichts und der Justiz vom 25. August 1934 - B 37366 - und des Reichs- und Preußischen Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 8. Februar 1936 - MinBlatt S. 93 - über das Verbot von Lehrbüchern der Geschichte; ferner die Erlasse des Badischen Ministers für Kultus und Unterricht vom 24. Juli 1937 - B 30340 an das Erzbischöfliche Ordinariat in Freiburg oder vom 29. November 1937 - B 45544 - an den Evangelischen Oberkirchenrat und das Erzbischöfliche Ordinariat über den Unterricht in der biblischen Geschichte, insbesondere wegen der Behandlung des Alten Testaments im Religionsunterricht, mit dem Hinweis darauf, daß "ein derartiger alttestamentarischer Unterricht im Widerspruch mit der auf Volkstum und Rasse gegründeten völkischen Weltanschauung" stehe.)

Es bedarf kaum der Betonung, daß selbstverständlich auch die nationalsozialistische Ausbildung und Betätigung der Lehrer mit Nachdruck verlangt und gefördert wurde. (Vgl. etwa Erlaß des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 10. Juni 1936 über den "Pflichtenkreis der Lehrer (Lehrerinnen) und Erzieher (Erzieherinnen) im nationalsozialistischen Staat" MinBlatt S. 344 -; Studienordnung für das Lehramt an Volksschulen vom 26. Oktober 1938 - MinBlatt S. 492-; Ordnung der 2. Prüfung für das Lehramt an Volksschulen vom 29. Januar 1940 - MinBlatt S. 126 -; Ordnung der 1. Prüfung für das Lehramt an Volksschulen, für die Teilnehmer an Schulhelfer-Abschlußlehrgängen vom 17. April 1942 - MinBlatt S. 155 -; Erlaß über die Auswahl und Einberufung der Anwärter für den Schulaufsichtsdienst vom 26. Februar 1936 - MinBlatt S. 138 -; Richtlinien für die Erteilung von Unterrichtserlaubnisscheinen und Privatschul-Konzessionen vom 15. Oktober 1936 - Min.Blatt S. 466 -.)

Sofern Verstöße von Lehrern gegen die nationalsozialistischen Unterrichtsgrundsätze bekannt wurden, hatte dies disziplinarische Maßnahmen zur Folge. (Vgl. etwa Erlaß des Badischen Ministers für Kultus und Unterricht vom 29. Dezember 1939 B 44118 - gegen Professor P. an einer Schule in O., der den Geschichtsunterricht nicht so gestaltet habe, "daß ein unbedingtes Vertrauen zur Führung" entstehen müsse, oder Erlaß des Badischen Ministers für Kultus und Unterricht vom 2. Juni 1936 -E 6321 -, mit dem einem Vikar die Befugnis zur Erteilung von Religionsunterricht entzogen wurde, weil er betont hatte, daß das Sterilisationsgesetz "für das deutsche Volk ein Unsegen" sei.) Ähnliche Maßnahmen gegen einzelne Lehrer ergeben sich aus den Akten der Unterrichtsverwaltungen der deutschen Länder in zahlreichen Fällen.

Vor allem aber wurden - wie eine große Anzahl meist nicht veröffentlichter Erlasse der Unterrichtsverwaltungen ergibt - die Schulleiter und Lehrer im Zusammenhang mit antisemitischen Maßnahmen veranlaßt, unter Mißachtung sachlicher Grundsätze der Erziehung und des Unterrichts jüdische Schüler, solange sie noch nicht allgemein von den Schulen verwiesen worden waren, unter Mißachtung des Gerechtigkeitsprinzips von Schulpreisen, von Schulgeldermäßigungen, von Erziehungsbeihilfen, von "schulischen Veranstaltungen", von Schulspeisungen auszuschließen, sie ohne gesetzliche Grundlage von den Schulen zu verweisen oder von ihnen ein höheres Schulgeld zu verlangen. Gerade diese, aus den Akten der Unterrichtsverwaltungen zu gewinnenden Einblicke in die tägliche Schulpraxis ergeben ein erschütterndes Bild über das Ausmaß, in dem Schulleiter und Lehrer veranlaßt wurden, Pflichten zu verletzen, die sich "aus einem nur von der Sache und vom Fach her orientierten Amtsverhältnis" mit Selbstverständlichkeit ergeben hätten.

Von der Tatsache, daß unter dem nationalsozialistischen Regime der Schulunterricht besonders stark im nationalsozialistischen Sinne politisiert worden war, geht schon - worauf das Oberverwaltungsgericht Münster (VerwRspr. 5. Band Nr. 34 S. 189 f.) mit Recht hinweist- das Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 aus (KRABl.- Ergänzungsblatt Nr. 1 S. 13 unter llI A Nr. 7), das eine demokratische Neuordnung gerade im Erziehungswesen vorsieht. Dementsprechend hat bereits der Kontrollrat mit der Direktive Nr. 54 vom 25. Juli 1947 Richtlinien zur Demokratisierung des deutschen Erziehungswesens erlassen (besonders Ziffer 5 und 6 a.a.O.). Es bedarf keiner näheren Ausführung, daß die völlige Abkehr von nationalsozialistischen Erziehungs- und Unterrichtsmethoden auch ein besonderes Anliegen des deutschen Volkes selbst war und dementsprechend im neuen demokratischen Staat diese "staatliche Sachaufgabe" gegenüber derjenigen des nationalsozialistischen Staates grundlegend umgestaltet werden mußte und umgestaltet worden ist.

Die Behauptung vollends, die Lehr- und Forschungstätigkeit der Universitätslehrer (Theologen, Juristen, Mediziner, Naturwissenschaftler, Philologen und Philosophen) sei "ausschließlich vom Fach her fixiert", also einer Politisierung grundsätzlich unzugänglich, ist für jeden, der die hochschulpolitische Entwicklung während der nationalsozialistischen Zeit nur einigermaßen kennt, so absurd, daß sie keiner Widerlegung im einzelnen bedarf.

Forderungen wie die, daß Hochschule und Hochschullehrer " restlos vom nationalsozialistischen Geist durchdrungen" sein müßten, daß die deutsche Wissenschaft "die letzten Überbleibsel ausmerzen" müsse, "die an die fremde Überwucherung erinnern" (H. Huber, Der Aufbau des deutschen Hochschulwesens, 1939 S. 23, 24), sprechen eine beredte Sprache, besonders wenn man sich vergegenwärtigt, wie die Verwirklichung solcher Ziele in der Praxis aussah. Schon 1939 waren "rund 45 % aller beamteten Stellen innerhalb der Hochschulen seit 1933 neu besetzt" (H. Huber a.a.O. S. 17). Das war u. a. dadurch erreicht worden, daß man in "rückhaltloser Durchsetzung nationalsozialistischer Persönlichkeitsauslese'' (H. Huber a.a.O. S. 19) eine große Anzahl bedeutender Gelehrter ihrer Lehrstühle beraubt und durch Kräfte ersetzt hatte, deren einwandfreie nationalsozialistische Gesinnung wichtiger war als ihre wissenschaftliche Befähigung. Die nunmehr vom Minister bestellten nationalsozialistischen Rektoren übten als "Führer der Hochschule" im Verein mit den Dozentenbunds- und Studentenführern praktisch unbeschränkten Einfluß im Sinne einer Erneuerung der Hochschule im nationalsozialistischen Geist. Politisch "unzuverlässige" Hochschullehrer wurden überwacht, ihre Publikationen zensuriert und behindert. Die Habilitation auch wissenschaftlich qualifizierter Nachwuchskräfte wurde unterbunden, wenn sie politisch nicht genehm waren. Die Vertretung von Lehrmeinungen, die mit der nationalsozialistischen Parteiauffassung (und das hieß praktisch häufig auch nur mit den augenblicklichen politischen Ansichten der jeweils einflußreichsten Strömung der Partei) unverträglich waren, war nicht mehr möglich; sie wurden gegebenenfalls mit Gewalt - etwa durch organisierten Widerstand des nationalsozialistischen Studentenbundes, aber auch bisweilen durch Schließung ganzer Fakultäten - verhindert. Dies alles vollzog sich im Zeichen der ideologischen Forderung, "die artbewußte Wissenschaft" müsse "im Dienst der völkischen Gemeinschaft stehen"; sie müsse "sich von Bindungen lösen, die der Erfüllung ihrer völkischen Aufgaben entgegenstehen, also von jenen internationalen Verflechtungen, die den Wert und die Bedeutung des Volkstums leugnen, um damit ihre volksfremden Ziele verfolgen zu können" (H. Huber a.a.O. S. 24). Dies alles wäre unverständlich, wenn man die aus dem Beamtenverhältnis des Hochschullehrers sich ergebenden Pflichten als "ausschließlich vom Fach her bestimmt" ansähe. Im ganzen ist für dieses Gebiet der zusammenfassenden Würdigung durch Karl Jaspers, auf deren Wiedergabe sich das Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 17. Dezember 1953 - BVerfGE 3, 58, 142 - beschränkt hat, nichts hinzuzufügen.

In anderem Zusammenhang (unten S. 185 ff.) wird sich ergeben, daß auch die Tätigkeit der übrigen in diesem Zusammenhang von Reinhardt genannten Beamtengruppen (Ärzte in Krankenanstalten und Gesundheitsämtern, Beamte der Versorgungsbetriebe, Finanzbeamte, Verkehrspolizisten, Richter und Rechtspfleger) durchaus nicht "ausschließlich vom Fach her eindeutig bestimmbar" ist.

Entscheidend bleibt die bereits oben angestellte Überlegung, daß nahezu jeder Staatsdiener bei seiner Tätigkeit einen der Politisierung zugänglichen "Ermessensspielraum" hat und daß der Umfang der nicht rein technischen und daher "politisierungsfähigen" Arbeitsgebiete um so größer wird, je mehr der Staat einerseits politisch wertbetonte Aufgaben in den Bereich seiner Tätigkeit zieht, und je mehr er andererseits für das Ermessen allgemein eine parteipolitische Auffassung als maßgeblich erklärt. Wenn die Generalklauseln im nationalsozialistischen Staat "nicht einfach auf die persönliche Einsicht und auf die anständige Gesinnung des handelnden Beamten" verwiesen, wenn sie "die Entscheidung nicht der subjektiven Gewissenhaftigkeit des zuständigen Beamten anheim" stellten, sondern nur zur freien Entscheidung "gemäß den politischen Grundwerten der nationalsozialistischen Rechts- und Staatsordnung" ermächtigten (Ernst Rudolf Huber in DJZ 34 S. 958), so ergibt sich schon daraus, wie beschränkt in einem solchen Staat das Gebiet war, auf dem der Beamte sich in "reiner Sachlichkeit" betätigen konnte.

Bei einer solchen Ausdehnung politischer Einwirkungsmöglichkeiten nach Umfang und Intensität wird verständlich, weshalb das nationalsozialistische Beamtengesetz die Bindung an den Staat mit einer Verpflichtung auf eine bestimmte parteipolitische Auffassung und auf die Person eines Führers verknüpft hat. Sieht man nämlich - mit Herbert Krüger in "Reich, Volksordnung, Lebensraum", I. Band 1941 S. 366 ff. - im Amt einen "aus der völkischen Gesamtaufgabe abgezweigten regulierten Teilkomplex von Aufgaben, der mit einem entsprechenden Teil an öffentlichen Machtmitteln ausgestattet ist" (a.a.O. S. 369) und geht man davon aus, "daß auch die in der öffentlichen Verwaltung tätigen Menschen nicht bloß eine Hierarchie von Amtsträgern, ein ,Apparat' sind, sondern als Gemeinschaft von Führer und Gefolgschaft zu bilden sind" und daß sich "Gemeinschaft wirksam nicht an und für sich, sondern nur durch Einspannung einer Gruppe von Menschen unter einem Führer in den Dienst an einer Sachaufgabe bilden" läßt (a.a.O. S. 375 f.), dann erkennt man - auch soweit staatliche Verwaltung "Sacherledigung" bleibt -, welche weitgehenden Politisierungsmöglichkeiten auch im Rahmen einer sachlichen Erledigung der Geschäfte bestehen und weshalb es vom Standpunkt des nationalsozialistischen Gesetzgebers aus folgerichtig und notwendig war, die Beamtenverhältnisse dementsprechend gesetzlich zu regeln und tatsächlich zu gestalten,

Demgegenüber ist es unerheblich, ob einige Sparten verwaltender Tätigkeit auch dem Nationalsozialismus praktisch keine großen Politisierungsmöglichkeiten geboten haben; denn die Beamtenschaft eines Staates unter einer bestimmten Verfassung kann grundsätzlich nur als Einheit behandelt und nach dem Schwerpunkt ihrer staatlichen Aufgaben beurteilt werden; eine "sektorale Aufspaltung" scheidet hier aus.

Die Einsicht in die weitgehenden Politisierungschancen, die sich der politischen Führung hier bieten, zeigt auch, daß die Behauptung, das deutsche Beamtentum habe unter den verschiedensten, einander entgegengesetzten Staatsformen seine Berufspflicht erfüllt, nichts Entscheidendes aussagt. Es kommt eben auf den jeweiligen Inhalt der Berufspflicht und der ihr entsprechenden Tätigkeit an. Die Behauptung aber, die gesetzliche "Berufspflicht" der Beamten sei auch im nationalsozialistischen Staat dahin gegangen, politisch neutrale, d. h. alle Staatsangehörigen in gleicher Weise berücksichtigende Berufsarbeit zu leisten, ist falsch.

Der von der NSDAP beherrschte Staat hat - entsprechend der die allen gemeinsame Menschenwürde mißachtenden nationalsozialistischen Lehre - Zwecke verfolgt und Aufgaben in den staatlichen Bereich übernommen, die eine sachliche Gleichbehandlung der Staatsbürger auf allen Gebieten der staatlichen Verwaltung unmöglich machten. Solche Zwecke und Aufgaben sind in einem Rechtsstaat und für ein rechtsstaatliches Berufsbeamtentum schlechthin ausgeschlossen (vgl. hierzu jetzt Herbert Krüger in öffentliche Verwaltung 1956 S. 555). Das "Dritte Reich" war ein sogenannter Weltanschauungsstaat, der - wie Herbert Krüger in seinem Gutachten "Die Rechtswirkung der strukturellen und geistigen Umgestaltung des deutschen Staates nach 1945 auf das Reichskonkordat", 1956 mit Recht bemerkt - im Prinzip "nur solche Personen als Angehörige, vor allem aber als Organe (duldete), die sich zu dem staatlich festgelegten geistigen Inhalt" bekannten, und der "die Reinerhaltung, Festigung und Verbreitung dieses Gehalts als eine seiner vornehmsten Aufgaben" betrachtete. Angesichts solcher grundlegenden Wesensverschiedenheiten staatlicher Zwecke und staatlicher Aufgaben wäre es eine Verkennung, ja Mißachtung der Stellung des Beamtentums im freiheitlich-demokratischen Staate, wollte man annehmen, daß Aufgabengebiete und Pflichten der Beamten bei der Durchführung ihrer heutigen Aufgaben sich nicht grundsätzlich von denjenigen der Beamten des nationalsozialistischen Staates unterschieden, ja überhaupt nicht unterscheiden könnten. Das hat mit der Frage nichts zu tun, ob jeder Beamte im nationalsozialistischen Regime seine gesetzliche Pflicht zur Tätigkeit im nationalsozialistischen Sinne wirklich erfüllt oder ob er sich mit mehr oder weniger Erfolg darum bemüht hat, entgegen dieser Pflicht seine Arbeit tatsächlich in politisch neutralem Sinne durchzuführen und in seiner gesamten Tätigkeit stets alle Staatsbürger ohne Rücksicht auf Rasse, Religion und politische Überzeugung gleich sachlich zu behandeln. Denn Rechtsansprüche kann der Beamte nicht aus seinem tatsächlichen Verhalten, sondern immer nur aus seinem gesetzlichen Rechtsverhältnis herleiten.

Gegenüber dieser unmittelbar ersichtlichen grundsätzlichen Politisierung der Beamtentätigkeit im nationalsozialistischen System bedeutet auch die allgemeine Erwägung nichts, das Beamtentum habe - im Großen gesehen - an der politischen Peripherie gestanden und keine politischen Führungsaufgaben gehabt. Maßgebend ist allein, daß die verwaltende und rechtsprechende Tätigkeit des einzelnen Beamten im nationalsozialistischen Staat durch die gesetzliche Gestaltung seines Beamtenrechtsverhältnisses und der ihm entsprechenden Dienstpflicht eindeutig parteipolitisch fixiert worden ist und dadurch ihren besonderen rechtlichen Charakter erhalten hat.

b) Erst die Erkenntnis, daß der Institution des Berufsbeamtentums und dem einzelnen Beamtenrechtsverhältnis je nach der positiven gesetzlichen Regelung ein verschiedener rechtlicher Gehalt gegeben werden kann, eröffnet die Möglichkeit zur Beantwortung der Rechtsfrage, ob eine solche Institution und die ihr entsprechenden einzelnen Rechtsverhältnisse einen Wechsel der Staatsform überdauern können. Der Prüfung dieser Rechtsfrage kann ein Gericht sich nicht dadurch entziehen, daß es von einem gewissermaßen übergesetzlichen Begriff des Beamtentums und des Beamtenrechtsverhältnisses ausgeht, den es abstrakt dahin bestimmt, daß das Beamtentum verwaltende und rechtsprechende, nicht aber im eigentlichen Sinne politische Funktionen für den Staat ausübe, um dann die scheinbar selbstverständliche Folgerung zu ziehen, daß, wie diese Funktionen, so auch die Beamtenverhältnisse ihrer Träger unwandelbar seien, gleichgültig, ob der Staat auf einem freiheitlich- demokratischen Mehrparteiensystem beruht oder eine nationalsozialistische oder kommunistische Einparteien-Verfassung hat. Ebenso wäre es verfehlt, die Institution eines politisch neutralen Berufsbeamtentums im Sinne der Weimarer Verfassung als Maßstab zugrunde zu legen und die hiervon abweichende Rechtsgestaltung unter dem nationalsozialistischen Regime schlechthin als rechtsunwirksame Unrechtsmaßnahme unbeachtet zu lassen. Diesen Fehler begeht gerade die Kritik, die dem Bundesverfassungsgericht vorwirft, sein Rechtsspruch sei nicht einer Norm, sondern einer "Folgerung der Geschichte", nämlich der Geschichte des Berufsbeamtentums im nationalsozialistischen Staat entnommen worden. In Wahrheit ist das Bundesverfassungsgericht von der positivrechtlichen Gestaltung der Beamtenverhältnisse im "Dritten Reich", insbesondere durch das Deutsche Beamtengesetz von 1937, ausgegangen. Aus dem Zusammenhang der Bestimmungen über den Beamteneid und der weiteren Einzelregelungen über das Rechtsverhältnis zum Staat (BVerfGE 3, 98 bis 103) hat das Gericht die Schaffung einer gegenüber der bisherigen grundsätzlich andersartigen Institution des Beamtentums und die rechtliche Umwandlung der entsprechenden Rechtsverhältnisse in spezifisch nationalsozialistische Rechtsverhältnisse gefolgert. Rechtslehre, Disziplinarrechtsprechung und Verwaltungspraxis unter dem nationalsozialistischen Regime hat es nur zur Bestätigung dafür herangezogen, daß es die gesetzlichen Bestimmungen richtig, d. h. so ausgelegt hat, wie sie bei dem damaligen verfassungsrechtlichen Zustand ohne Widerspruch von der Rechtslehre vertreten und in der Praxis angewandt worden sind (BVerfGE 3, 103 bis 113). Die Umwandlung der bisherigen politisch neutralen Berufsbeamtenverhältnisse in nationalsozialistische Beamtenverhältnisse wird also nicht aus geschichtlichen Vorgängen, sondern aus gesetzlichen Regelungen gefolgert, deren wahrer, durch Auslegung erkannter Charakter durch geschichtliche Ereignisse nur bestätigt wird.

Gerade diese von den nationalsozialistischen Gesetzen ausgehende Auslegungsmethode, die diese Gesetze in ihrer Wirkung so ernst nimmt, wie sie gemeint waren und vor allem in nahezu zehnjähriger Praxis angewandt worden sind, offenbart auch den wesentlichen rechtlichen Unterschied zwischen dem nationalsozialistischen Beamtenrechtsverhältnis und dem Berufssoldatenverhältnis unter dem nationalsozialistischen Regime, bei dem die positivgesetzliche Umgestaltung erst zu einer Zeit erfolgte, als sie nach den Zeitumständen nicht mehr effektiv werden konnte (BVerfGE 3, 310 und 313).

Deshalb ist es auch nicht richtig, daß die Beamten nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ihre Beamtenrechte im Grunde wegen des nationalsozialistischen Terrors verloren hätten, wie er sich am deutlichsten in der Reichstagsrede Hitlers vom April 1942 gezeigt hat. Aus dem Urteil ergibt sich vielmehr klar, daß die Reichstagsrede Hitlers und der Reichstagsbeschluß nur zur Bestätigung einerseits für die völlige Zerstörung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Beamtenrechtsverhältnisse, andererseits für den vom Gericht aus der nationalsozialistischen Beamtengesetzgebung gefolgerten politischen Gehalt der Beamtenrechtsverhältnisse angeführt worden sind.

Ebensowenig trifft es zu, daß das Gericht statt der rechtswissenschaftlichen sich einer sozialwissenschaftlichen oder historischen Methode bedient habe, um einen "weißen Fleck" auszufüllen, der sich in der wissenschaftlichen Beurteilung des Beamtentums während des nationalsozialistischen Regimes zeige. Ein solcher "weißer Fleck" ist nicht vorhanden; für die im wesentlichen übereinstimmenden rechtswissenschaftlichen Meinungen über das Beamtentum unter dem nationalsozialistischen Regime bringt das Urteil in umfangreichen Zitaten eindringliche Belege. Das Gericht konnte sie nicht ohne weiteres als "Lügen" oder "Unsinn" oder "krauses Zeug" abtun - schon deshalb nicht, weil sie zu einem wesentlichen Teil von Verfassern stammen, die auch jetzt das Beamtenrecht wissenschaftlich behandeln, und weil kein Grund ersichtlich ist, ihren damaligen Ausführungen weniger wissenschaftlichen Ernst zuzuerkennen als den heutigen. Die gesetzlichen Vorschriften jener Zeit, die Ergebnisse der Auslegung in Theorie und Praxis stehen für eine objektive Prüfung auch jetzt noch zur Verfügung. Es besteht also kein Anlaß, hinsichtlich der Beamtengesetzgebung, Beamtenrechtsprechung und Beamtenrechtswissenschaft jener Zeit von einem "weißen Fleck" zu sprechen, der einer rechtlichen Wertung unzugänglich wäre.

Der Große Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat beanstandet, daß "eine so ungeheuer weittragende Rechtsfolge wie das Erlöschen aller Beamtenverhältnisse auf die unsichere Grundlage eines geschichtlichen Werturteils, einer historischen Rückschau gestützt" werde (BGHZ 13, 265 [299]). Dabei wird aber an den gesetzlichen Bestimmungen von typisch nationalsozialistischem Gehalt vorbeigegangen und daher auch übersehen, daß das Bundesverfassungsgericht gerade diese Bestimmungen, vornehmlich des Deutschen Beamtengesetzes, ausgelegt und ihnen für den Rechtscharakter der nationalsozialistischen Beamtenverhältnisse wesentliche Bedeutung in Übereinstimmung mit der damaligen Rechtswissenschaft und Rechtsprechung beigemessen hat. Wer freilich die Auslegung von "Gesetzen, Verordnungen und Anordnungen" sowie die Heranziehung rechtswissenschaftlicher Äußerungen und der ständigen Rechtsprechung der höchsten Disziplinargerichte zur Bestätigung dieser Gesetzesauslegung beiseite schiebt, indem er die Auslegung als "geschichtliches Werturteil" und die Auslegungsmittel als "Praxis einiger Disziplinargerichte" bezeichnet, verbaut sich die Möglichkeit, die gesetzlichen Vorschriften des nationalsozialistischen Regimes auch nachträglich so zu sehen, wie sie damals gewollt waren und gegolten haben. Es geht aber nicht an, das beamtenrechtliche Statusverhältnis unter dem nationalsozialistischen Regime so zu werten, wie es nach der geläuterten Rechtsauffassung des freiheitlich demokratischen Staates gewertet werden müßte; für die Beurteilung der Frage, ob die Beamtenverhältnisse derart umgestaltet worden sind, daß sie dieses Regime überleben konnten, kommt es darauf an, welchen rechtlichen Gehalt diese Rechtsverhältnisse nach den damals bestehenden Vorschriften hatten.

Eine andere Auffassung ließe sich nur dann vertreten, wenn die nationalsozialistischen Rechtsvorschriften, die dem Beamtenrechtsverhältnis einen ausgesprochen politischen, dem Nationalsozialismus und Hitler verpflichteten Charakter gaben, als Unrechtsmaßnahmen schlechthin unbeachtlich wären. Das kann aber, wie im Urteil dargelegt, nicht angenommen werden. Nicht der Umstand, daß das nationalsozialistische Regime Beamte im Einzelfall zu Unrechtsmaßnahmen veranlaßt haben mag, ist insofern beachtlich und vom Bundesverfassungsgericht gewertet worden. Entscheidend bleibt allein, daß der Beamte gesetzlich zur Treue gegenüber einer bestimmten parteipolitischen Auffassung und zu ihrer Berücksichtigung in seinem gesamten dienstlichen und außerdienstlichen Verhalten verpflichtet war. Diesen Zwang mag man moralisch verwerfen; er ist aber nicht an sich schon Unrecht, wie er ja auch in nicht diktatorischen Staaten zu Zeiten gegolten hat, in denen die Stellung der Staatsdiener von ihrer Zugehörigkeit zur jeweils regierenden Partei schlechthin oder entscheidend abhängig war. Selbstverständlich konnte aus dem nationalsozialistischen Beamtenverhältnis nicht eine Rechtspflicht zur Beteiligung an nationalsozialistischen Unrechtsmaßnahmen hergeleitet werden; daraus darf man jedoch nicht folgern, daß schlechthin jede formalgesetzliche parteipolitische Bindung - auch im rechtlich zulässigen Rahmen - bei der Beurteilung des Rechtscharakters von Beamtenverhältnissen unberücksichtigt gelassen werden dürfte.

Es ist richtig, daß das Beamtenverhältnis als Statusverhältnis in seinem Inhalt bis zu einem gewissen Grad variabel ist und daß deshalb seine Existenz nicht durch jede inhaltliche Änderung berührt zu werden braucht. Andererseits ist aber die Institution des Berufsbeamtentums da, wo sie überhaupt besteht, notwendig eine tragende Einrichtung des Staates, deren Charakter maßgeblich von der verfassungsrechtlichen Ordnung geprägt wird. Dabei ergeben sich für die grundsätzliche verfassungsrechtliche Gestaltung der Institution die einander entgegengesetzten Möglichkeiten der Versachlichung auf der einen, der Politisierung auf der anderen Seite. Je mehr der Staat von der zweiten Möglichkeit Gebrauch macht, und je mehr seine Verfassung selbst von einer einzigen parteipolitischen Auffassung her geprägt und zugleich mit einer sogenannten Einheitspartei verzahnt ist, um so mehr muß der Bestand dieser parteipolitischen Grundlage und Verzahnung auch für die Existenz der Institution selbst und der einzelnen aus ihr fließenden Statusverhältnisse maßgeblich sein. Die Vermutung für das Fortbestehen solcher Statusverhältnisse auch bei grundsätzlicher Änderung der Verfassungslage kann also um so weniger gelten, je stärker einerseits ihr politischer Gehalt im allgemeinen und ihre parteipolitische Verzahnung im besonderen ist, und je grundsätzlicher und umfassender andererseits eine politische Umwälzung die Verfassung selbst sowie die ihr entsprechende Institution und ihre Statusverhältnisse ändert.

Diesen rechtlichen Folgerungen für das Statusverhältnis der Beamten kann man nicht dadurch entgehen, daß man einen überpositiven oder aller Rechtsauslegung notwendig immanenten Grundsatz der Kontinuität postuliert. Aber selbst wenn man von diesem Postulat ausgeht, kann jedenfalls aus ihm keine Vermutung für das Weiterbestehen von Rechtseinrichtungen mit spezifisch verfassungsrechtlichem Gehalt abgeleitet werden, wenn die neue Verfassung - wie das Grundgesetz - von einer grundlegend anderen Auffassung des Rechts und der die Verfassung tragenden politischen Werte und Prinzipien ausgeht. In Konsequenz dieser Prinzipien lehnt das Grundgesetz jede parteipolitische Orientierung des Berufsbeamtentums ab und erklärt die unter der früheren Verfassung allein maßgebliche parteipolitische Auffassung für schlechthin illegal (BVerfGE 2, 1 [70]). Daher wäre eine Auslegung, die sich über all das mit Hilfe eines verfassungsrechtlich nicht begründbaren, nur von bestimmten verfassungspolitischen oder soziologischen Anschauungen aus zu rechtfertigenden Grundsatzes der Kontinuität hinwegsetzen möchte, mit dem Geist der Verfassung nicht vereinbar.

Es braucht kaum betont zu werden, daß diese Ablehnung des Kontinuitätsgedankens hinsichtlich der beamtenrechtlichen Rechtsverhältnisse keine Rückschlüsse auf die Kontinuität anderer, insbesondere verfassungsrechtlich indifferenter Rechtsverhältnisse zuläßt.

c) Die umfangreichste und heftigste Kritik hat sich gegen die Ausführungen gerichtet, in denen das Bundesverfassungsgericht die Verhältnisse während des nationalsozialistischen Regimes, soweit sie das Berufsbeamtentum betreffen, in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht würdigt. Hier erscheint eine eingehendere Auseinandersetzung vonnöten.

aa) Im Urteil vom 17. Dezember 1953 ist dargelegt, daß Hitler und die NSDAP sich mit der Beseitigung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Beamten eine formalrechtliche Grundlage für die Zerstörung des bisherigen, parteipolitisch neutralen und die Einrichtung eines andersartigen, nationalsozialistischen Beamtentums schaffen wollten. Denn auf diesem Wege konnten sie unter scheinbarer Wahrung der Legalität die im nationalsozialistischen Sinne unzuverlässigen Beamten entfernen und die im Dienste verbliebenen dazu veranlassen, im Rahmen eines neuen, nationalsozialistisch umgestalteten Beamtenrechtsverhältnisses tätig zu werden. Das Bundesverfassungsgericht hat also aus der Beseitigung des verfassungsrechtlichen Schutzes nicht die Aufhebung der Institution des Berufsbeamtentums gefolgert, sondern jene Maßnahme gerade als unerläßliche Voraussetzung für die Schaffung einer neuen, grundsätzlich andersartigen Institution und für eine dementsprechende nachhaltige Umgestaltung der bisherigen Beamtenrechtsverhältnisse betrachtet. Den Sinn dieses Vorgangs verkennt freilich, wer den - von der nationalsozialistischen Theorie besonders betonten - Wesensunterschied zwischen der beamtengesetzlichen Regelung vor und unter dem Nationalsozialismus nicht sieht. und sich auf die Behauptung beschränkt, auch unter dem nationalsozialistischen Regime seien die subjektiven Beamtenrechte wirksam geschützt worden. Denn entscheidend ist in diesem Zusammenhang doch, ob unter dem nationalsozialistischen Regime auch solche Beamte einen wirksamen Rechtsschutz für ihre beamtenrechtliche Stellung genossen haben, die eine Pflicht zum jederzeitigen Eintreten für den Nationalsozialismus nicht nur innerlich, im geheimen, ablehnten, sondern die ein solches Eintreten fordernden Vorschriften als bloße "Zierate" betrachtet haben und sich demzufolge ausdrücklich und erkennbar zu parteipolitisch neutraler Beamtentätigkeit für das Deutsche Reich, d. h. gegenüber allen Schichten des deutschen Volkes, einschließlich der jüdischen und der den Nationalsozialismus offen ablehnenden Staatsbürger bekannten, die also Befugnis und Dienstpflicht zu parteipolitisch neutraler Beamtentätigkeit aus dem Deutschen Beamtengesetz für sich in Anspruch nehmen wollten. Man würde weite Kreise des Beamtentums unter dem nationalsozialistischen Regime un gerecht beurteilen, wenn man nicht annehmen wollte, daß sie sich wirklich darum bemüht hätten, in parteipolitisch neutralem und rechtsstaatlichem Sinne gegenüber allen Staatsbürgern ohne Rücksicht auf Rasse, Religion und politische Überzeugung zu handeln. Aber gerade daraus, daß kein Beamter einen solchen Anspruch oder eine solche Pflichtauffassung öffentlich vertreten oder gar aus seinem Beamtenrechtsverhältnis nach dem DBG als Dienstpflicht herleiten konnte, ohne dadurch seine beamtenrechtliche Stellung zu gefährden, ergibt sich am deutlichsten, was es mit dem Schutz der subjektiven Beamtenrechte im "Dritten Reich" und der Annahme, die entsprechenden beamtengesetzlichen Bestimmungen seien bloße "Zierate" gewesen, auf sich hat. Wer meint, die Folgen der Reichstagsrede Hitlers und des Reichstagsbeschlusses vom April 1942 seien "den breiten Schichten der Beamten ... jedenfalls ... nicht spürbar geworden", kann nur an solche Gruppen gedacht haben, die ihre Pflichten in innerer Übereinstimmung mit der nationalsozialistischen Anschauung auszuführen in der Lage waren; alle diejenigen, die dem Nationalsozialismus feindlich oder wenigstens ablehnend gegenüberstanden, bekamen die Auswirkungen jener Rede doch nur dann nicht zu spüren, wenn und soweit sie sich - entgegen ihrer inneren Einstellung - nach außen hin als nationalsozialistische Beamte benahmen. Wie die Lage nach der Reichstagsrede Hitlers sich tatsächlich entwickelte, beleuchtet ein im Nürnberger Juristenurteil (Das Nürnberger Juristenurteil, vollständige Ausgabe, herausgegeben vom Zentraljustizamt für die Britische Zone, S. 73/74) erwähnter Brief des Angeklagten Landgerichtsdirektors Oeschey, eines überzeugten Nationalsozialisten, der die Wirkungen der Rede im Justizbereich gegenüber seinem Bruder folgendermaßen beschreibt:

"Seit der bekannten Führerrede haben die Dinge eine beängstigende Entwicklung angenommen. Ich war nie ein Anhänger jener sterilen Lehre von der Unabhängigkeit des Richters, die dem Richter im Rahmen der Gesetze die Stellung eines nur seinem Gewissen unterworfenen, im übrigen aber ,neutralen' d. h. politisch ungebundenen Staatsdieners zuerkannte ... Es ist aber ein Unding, nun dem Richter im Einzelfall, der seiner Entscheidung unterliegt Weisungen zu erteilen, wie er zu entscheiden hat. Ein derartiges System macht den Richter ja überflüssig. Dazu ist es nun bereits gekommen. Freilich geschah es nicht in offener weise; doch auch die verbrämtesten Formen vermochten nicht darüber hinwegzutäuschen, daß eine Weisung gegeben werden wollte, damit ist natürlich das Richtertum aufgehoben und das Prozeßverfahren zu einer Farce gemacht. Ich will mich nicht darüber verbreiten, wen die Schuld an einer solchen Entwicklung trifft."

Versuche, wenigstens für die ersten Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft eine gewisse "Rechtsstaatlichkeit" in Anspruch zu nehmen (so Koellreutter a.a.O.]), kennzeichnen sich hinlänglich dadurch, daß sie es überhaupt unternehmen, ein totalitäres Gewaltregime, das naturgemäß im ganzen und in seinem inneren Wesen gesehen werden muß, mit dem herkömmlichen Begriff des Rechtsstaats in Verbindung zu bringen. Nationalsozialistische Autoren haben dies denn auch vermieden und einen eigenen Begriff des "nationalsozialistischen Rechtsstaats" geprägt (C. Schmitt in JW 1934 S. 713 ff.; Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 1935 S. 189 ff.; Nationalsozialistisches Handbuch für Recht und Gesetzgebung, 1935 S. 3 ff.), damit freilich jede Auseinandersetzung über die Rechtsstaatlichkeit des nationalsozialistischen Regimes sinnlos gemacht (siehe auch Merkl in "Demokratie und Rechtsstaat", Festgabe für Z. Giacometti, 1953 S. 185 ff.).

bb) Dem nationalsozialistischen Beamteneid ist in der nationalsozialistischen Rechtslehre - vgl. auch Höhn, Der politische Eid, DJT 1936 S. 348 - eine besondere Bedeutung auch in rechtlicher Hinsicht beigemessen worden. Freilich kann der Eid nicht losgelöst von dem sachlichen Gehalt des Dienstverhältnisses selbst beurteilt werden, wie es im Urteil vom 26. Februar 1954 (BVerfGE 3, 288 ff. [310]) eingehend dargelegt worden ist. Das Bundesverfassungsgericht hat daher auch die Bedeutung des Eides gerade wegen seiner inhaltlichen Übereinstimmung mit den neuen gesetzlichen Pflichten gewürdigt und aus diesem Zusammenhang den besonderen Gehalt des nationalsozialistischen Beamtenverhältnisses gefolgert. Dabei hat es selbstverständlich nirgends aus dem Eid oder dem gesetzlichen Inhalt des Rechtsverhältnisses eine rechtswirksame Vorschrift zu Unrechts- oder Terrormaßnahmen hergeleitet. Nur in dem Rahmen, in dem ein dem Nationalsozialismus verpflichtetes Rechtsverhältnis wirksam begründet werden konnte und begründet worden ist (vgl. hierzu unten S. 198), hat das Bundesverfassungsgericht die Beamtenverhältnisse unter dem nationalsozialistischen Regime würdigen und ihre wesensmäßige Verschiedenheit gegenüber dem politisch neutralen Beamtenverhältnis einer rechtsstaatlichen Demokratie berücksichtigen können und müssen.

cc) Der Vorwurf, das Bundesverfassungsgericht habe sich bei der Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse fälschlich nur an die Schauseite des nationalsozialistischen Staates gehalten und von der den Propagandazwecken des Führerkultes dienenden Geräuschfassade täuschen lassen, mißdeutet den Gedankengang des Urteils und verkennt das Gewicht der Veränderungen, die während der Herrschaft des Nationalsozialismus im Bereich des Berufsbeamtentums vor sich gegangen sind.

(1) Das Bundesverfassungsgericht ist von der gesetzlichen Regelung der Beamtenverhältnisse im "Dritten Reich" ausgegangen, hat sie im Sinne der damaligen verfassungsmäßigen Grundlage ausgelegt und hat zur Rechtfertigung dieser Auslegung die Verwaltungspraxis, Literatur und Rechtsprechung der damaligen Zeit herangezogen. Das ist der einzig legitime Ausgangspunkt, wenn die Frage beurteilt werden soll, welchen Inhalt das Beamtenverhältnis damals rechtlich hatte und ob dieser Inhalt so geartet war, daß er beim Wegfall des Staatssystems des Nationalsozialismus aus Rechtsgründen das Erlöschen des Beamtenverhältnisses bewirken mußte. Es kommt deshalb in diesem Zusammenhang überhaupt nicht darauf an, ob es gegenüber der "Wortfassade" des "Dritten Reiches" neben den weit überwiegenden Abweichungen im Negativen- den Unrechts-, Greuel- und Terrormaßnahmen - auch Abweichungen im Positiven insofern gegeben hat, als Richter und Beamte tatsächlich nicht durchweg "nur Werkzeuge und Exekutivorgane des Führerwillens" gewesen seien (Forsthoff a.a.O.). Ebensowenig ist es hier von Bedeutung, ob man aus einer Wirklichkeitsanalyse des nationalsozialistischen Staates folgern kann, "daß Staat und Partei keine Einheit waren und daß auf dieser Tatsache das Maß der Freiheit beruhe . . ., dessen der Einzelne jeweils genoß" (so Forsthoff a.a.O. S. 54), übrigens in klarem Widerspruch zu seinen Ausführungen "Der totale Staat", 2. Aufl. 1934 S. 10 und 36, wonach "Staat und nationalsozialistische Bewegung ... eine unauflösliche, in dem Vorgehen des Führers gegen die aufrührerischen SA- Führer besonders augenfällig in die Erscheinung getretene Einheit gebildet haben" und "die Einheit von Staat und Partei ... praktisch bereits verwirklicht (war), ehe sie durch das Gesetz vom 1. Dezember 1933 in aller Form ausgesprochen wurde". Das Bundesverfassungsgericht hat weder ausgeführt, daß das nationalsozialistische Beamtenverhältnis ein zu Terror- oder Unrechtsmaßnahmen verpflichtendes Rechtsverhältnis gewesen sei noch daß Staat und Partei rechtlich und tatsächlich eine Einheit gewesen seien. Im Gegenteil: gerade im Zusammenhang mit den Ereignissen vom 30. Juni 1934, aus denen damals die unlösliche Einheit zwischen Staat und Partei gefolgert wurde, die "in sich die legitimen politischen Ordnungsgrundlagen" vereinigt hätten (so Forsthoff a.a.O.), hat das Gericht den Staat lediglich als Machtapparat "im Dienste der NSDAP" (a.a.O. S. 86) bezeichnet. Eben diese Herrschaft der Partei über den Staat hat es bewirkt, daß durch besonderes Gesetz der Beamte verpflichtet werden konnte, "Vollstrecker des Willens des von der NSDAP getragenen Staates zu sein" (§ 1 DBG), "dem Führer ... Treue bis zum Tode zu halten" (§ 3 Abs. 1 Satz 2 DBG) und sich "in seinem gesamten Verhalten von der Tatsache leiten zu lassen, daß die NSDAP in unlöslicher Verbundenheit mit dem Volke die Trägerin des deutschen Staatsgedankens ist" (§ 3 Abs. 2 DBG).

Eine solche Bindung an das Reich nur auf dem Wege über Hitler und die Abhängigkeit vom Willen der NSDAP mußte notwendig die Dauer dieser gegenseitigen Bindung und der aus ihr hervorgehenden Rechte und Pflichten von der Fortdauer dieses verfassungsrechtlichen Zustandes abhängig machen (BVerfGE 3, 114). Denn in dem Augenblick, in dem ein "von der NSDAP getragener Staat" nicht mehr vorhanden und die "unlösliche Verbundenheit des Volkes mit der NSDAP" radikal gelöst worden war, entfiel die entscheidende gesetzliche Grundlage für das nationalsozialistische Beamtenverhältnis. Das Bundesverfassungsgericht hat also nicht eine geschichtliche, sondern eine rechtliche Folgerung aus dem Inhalt eines Rechtsverhältnisses gezogen.

(2) Voraussetzung für diese Folgerung ist es freilich, daß die gesetzliche Bindung an Hitler und die NSDAP ernst gemeint und effektiv war. Wenn das mit der Erwägung bestritten wird, daß nicht alle Beamten gleichgeschaltet worden seien, daß der unablässige Kampf zwischen Beamtentum und Partei auch 1945 noch nicht beendet gewesen sei und daß die Beamten sich in erster Linie dem Staat gegenüber verpflichtet gefühlt und ihre Arbeit unpolitisch und sachlich ausgeführt hätten, so wird übersehen, daß es allein darauf ankommt, ob die für die Beamten dem Nationalsozialismus gegenüber unbestreitbar bestehende formelle gesetzliche Bindung auch durch Vollzug wirksam war, ob sie also im Konfliktsfalle wirklich durchgesetzt, dem einzelnen Beamten gegenüber zur Geltung gebracht worden ist. Zur Prüfung dieser "Effektivität" der rechtlichen Regelung hat das Bundesverfassungsgericht gerade den rechtlich gebotenen Weg beschritten, nämlich untersucht, wie die gesetzliche Bindung an den Nationalsozialismus in Rechtswissenschaft und Rechtslehre beurteilt und in Rechtsprechung und Verwaltungspraxis gehandhabt worden ist.

(a) Die Rechtslehre hat nach den Darlegungen des Urteils die sogenannten "Zierate" des Deutschen Beamtengesetzes einhellig ernst genommen. Der an sich verständliche Wunsch einzelner Autoren, von ihren früheren, jetzt auch von ihnen selbst mißbilligten Äußerungen abzurücken, darf nicht dazu führen, diese Äußerungen auch in ihrem damaligen Aussagewert zu verkleinern. Daß die im Urteil angeführten Zitate die damals so gut wie einhellig vertretene rechtswissenschaftliche Meinung richtig wiedergegeben haben, ist für jeden, der die Zeit von 1933 bis 1945 in Deutschland selbst miterlebt hat, evident und jedenfalls für das Bundesverfassungsgericht gerichtsbekannt. Selbst dann, wenn einzelne Vertreter der Wissenschaft - worauf Bachof hinweist- nicht aus innerem Einverständnis mit dem nationalsozialistischen Regime, sondern um der Erhaltung des Beamtentums willen bewußt nicht ihre wahre Meinung zu den hier in Betracht kommenden Fragen ausgesprochen haben sollten, so würde das doch gerade beweisen, daß sie die Aufrechterhaltung eines politisch neutralen Beamtentums eben für schlechthin ausgeschlossen hielten, und also glaubten, man könne das Beamtentum überhaupt nur noch retten, wenn man in voller Übereinstimmung mit dem Wortlaut des Deutschen Beamtengesetzes die Beamten auf Grund ihres gesetzlichen Rechtsverhältnisses für verpflichtet erklärte, sich nach außen in jeder Hinsicht wie Nationalsozialisten zu betätigen (BVerfGE 3, 108).

(b) Noch bedeutungsvoller ist die ständige Rechtsprechung der höchsten Disziplinargerichte. Sie konnte selbstverständlich im Urteil des Bundesverfassungsgerichts nur in Beispielen angeführt werden; aber schon diese Auswahl aus der Fülle der aus gleicher Grundhaltung erwachsenen Entscheidungen zeigt mit aller Deutlichkeit, wie wirksam die gesetzlichen Bestimmungen waren, welche die Beamten parteipolitisch gebunden haben. Die Effektivität solcher Vorschriften zeigt sich naturgemäß gerade dann, wenn der einzelne Beamte erkennbar solcher Bindung zuwidergehandelt, d. h. im Konfliktsfalle sich nicht wie ein Nationalsozialist verhalten oder betätigt hat und deshalb disziplinarisch verfolgt worden ist. Um die Folgerungen des Bundesverfassungsgerichts zu widerlegen, wäre eine umfassende Würdigung der Disziplinarrechtsprechung notwendig, wie sie die Kritik nicht unternommen hat; keinesfalls darf diese einheitliche umfassende Rechtsprechung zur "Praxis einiger Disziplinargerichte" (BGHZ 13, 265, [299]) verharmlost werden.

(c) Am deutlichsten wird die Effektivität der gesetzlichen Bindung an Hitler und die NSDAP aus der Verwaltungspraxis im weitesten Sinne.

Die Verwaltungspraxis gegenüber den Beamten hat das gleich zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft mit der rigorosen Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums deutlich werden lassen: Diejenigen Beamten, deren dem Nationalsozialismus feindliche Gesinnung feststand und daher nicht mehr zu verheimlichen war, mußten aus dem Staatsdienst ausscheiden - auch wenn sie ihren Dienst sachlich und ordnungsgemäß zum Wohle des gesamten Volkes durchgeführt hatten -, und zwar zu einem großen Teil ohne jeden Versorgungsanspruch, teilweise auch mit gekürzten Bezügen. Schon kurz danach wurde bestimmt, daß vor jeder Anstellung und Beförderung unter Einschaltung der NSDAP zu prüfen sei, ob der Bewerber Gewähr dafür biete, daß er jederzeit für den nationalsozialistischen Staat rückhaltlos eintreten werde. Es besteht kein Zweifel, daß hier nicht ein Eintreten für den Staat als solchen, sondern nur für den Staat in seiner nationalsozialistischen Verfassung und somit für die Dauer seiner "unlöslichen Verbundenheit" mit der NSDAP gemeint war. Natürlich konnte bei einer solchen Prüfung die wahre innere Haltung der Bewerber nicht mit voller Sicherheit beurteilt werden. Deshalb sind auch zahlreiche nicht eigentlich "nationalsozialistische" Bewerber in den Beamtendienst aufgenommen worden in ihm verblieben und sogar befördert worden, zumal nicht selten auch die eine Einstellung oder Beförderung vorschlagenden Dienststellen selbst sich einer gewissen Tarnung bedienten, um geeignete Beamte entgegen den gesetzlichen Bestimmungen - also vom damaligen Gesetzesstandpunkt aus unter Verletzung ihrer Dienstpflichten! - in den Staatsdienst zu bringen oder in ihm zu halten. Aber gerade die Notwendigkeit solcher Tarnung offenbart die Effektivität der gesetzlichen Bindung. Es ist bekannt, daß es schließlich unter dem nationalsozialistischen Regime kaum noch möglich war, mit einiger Sicherheit festzustellen, welche Beamten sich auch innerlich zum jederzeitigen Eintreten für Hitler und die NSDAP verpflichtet fühlten und welche Beamten innerlich nur dem Staat und seinen legitimen Aufgaben verbunden und im Konfliktsfalle bereit waren, der gegen solche legitimen Aufgaben gerichteten Beamtenpflicht nationalsozialistischer Prägung entgegenzuhandeln. Auch heute ist eine solche Feststellung nicht mehr möglich, zumal - begreiflicherweise - nach Beseitigung des nationalsozialistischen Regimes ein früherer Beamter kaum einräumen wird, er habe seine gesetzliche Pflicht zum jederzeitigen Eintreten für den Nationalsozialismus ernst genommen. Wenn der Bundesgerichtshof in seinem mehrfach erwähnten Beschluß ausführt (BGHZ 13, 265 [299]), daß "der überwiegende Teil der deutschen Beamten sich nach wie vor trotz des schimpflichen, rechtswidrigen Drucks ... in erster Linie dem Staate und seinen legitimen Aufgaben verpflichtet fühlte", so ist das keine richterliche Feststellung einer Tatsache, sondern politische Hypothese. Einer Feststellung in dieser Richtung bedarf es aber in diesem Zusammenhange auch nicht. Denn entscheidend ist allein: Die Effektivität der gesetzlichen Regelung war jedenfalls derart, daß kein Beamter im "Dritten Reich" ohne Gefährdung seiner Stellung die Auffassung bekunden oder gar ungetarnt dementsprechend handeln - konnte, er sei zum jederzeitigen Eintreten für den Nationalsozialismus dann nicht verpflichtet, wenn er dadurch im geringsten mit den legitimen Staatsaufgaben in Konflikt gerate. Wie klar dieser Pflichtenkonflikt und die daraus sich ergebende Gefährdung der Stellung, ja des Lebens des Beamten, schon 1934 gesehen wurde, zeigt der in den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte 1957 S. 102 ff. wiedergegebene Bericht eines bayerischen Richters über einen geplanten, aber schließlich doch unterlassenen öffentlichen Protest der Richterschaft eines hohen bayerischen Gerichts gegen das Gesetz vom 2. Juli 1934 - RGBl. I S. 529 -, durch das die Morde vom 30. Juni, 1. und 2. Juli 1934 für "rechtens" erklärt wurden.

(d) Die Beamtenschaft selbst hat in einem immerhin beachtlichen Umfang die Pflicht zu jederzeitigem Eintreten für den Nationalsozialismus als gesetzliche Pflicht aus ihrem Beamtenrechtsverhältnis auch von sich aus ernst genommen und bejaht.

(aa) Das gilt zunächst für die Tätigkeit der Richter an den Disziplinargerichten, besonders an den höchsten Disziplinargerichten. Nach der damaligen ständigen Rechtsprechung des Reichsdienststrafhofs, wie das Bundesverfassungsgericht sie in BVerfGE 3, 107-112 in Beispielen dargelegt hat, liegt "ein Dienstvergehen immer dann vor, wenn ein Beamter sich entsprechend seiner etwaigen nichtnationalsozialistischen Einstellung auch nur im geringsten betätigt, ja schon dann, wenn er diese seine Gesinnung irgendeinem Dritten bekanntgibt" (Urteil vom 3. Mai 1939 E, 3, 1 [3]). Eine solche ständige Rechtsprechung des höchsten Disziplinargerichts zeigt deutlich, wie stark diese Richter die aus ihrem Dienstverhältnis folgende Bindung an den nationalsozialistischen Staat empfunden und welche Pflichten sie aus diesem beamtenrechtlichen Rechtsverhältnis abgeleitet haben. Denn grundsätzlich wird man doch wohl annehmen müssen, daß sie ihre eigenen Beamtenpflichten ebenso aufgefaßt haben, wie sie sie bei der richterlichen Auslegung des nationalsozialistischen Beamtenrechts anderen Beamten gegenüber praktisch zur Geltung gebracht haben. Kein Richter, der angenommen hätte, seine eigene Rechtspflicht aus seinem Beamtenrechtsverhältnis und die aller anderen Beamten gehe nur so weit, wie sie mit den legitimen "immerwährenden" Staatsaufgaben vereinbar sei, hätte sich an einer derartigen Disziplinarrechtsprechung beteiligen können. Wenn also gerade die höchsten Richter, deren Rechtsstellung nach Ansicht der oben S. 143 angeführten Autoren durch das Beamtengesetz von 1937 doch so gesichert war, lange vor der Reichstagsrede Hitlers ihre eigenen Beamtenpflichten in so völliger Übereinstimmung gerade mit den Bestimmungen des Deutschen Beamtengesetzes ausgelegt haben, die nach Meinung dieser Autoren nur "nationalsozialistische Verbrämungen" waren, dann spricht das nachhaltig für die Effektivität jener gesetzlichen Regelung und gegen die Annahme der Kritik, daß es sich hier lediglich um "Wunschbilder Hitlers und der NSDAP" gehandelt habe.

(bb) Was "richterliche Beamte" (§ 71 DBG) während des "Dritten Reiches" bei Ausübung ihrer rechtsprechenden Funktion - "einer Funktion, die der Staat als solcher immer übt und die weitgehend unabhängig ist von seinen wechselnden Erscheinungsformen" - der Sache nach als legitime Staatsaufgaben angesehen haben, denen sie sich verpflichtet fühlten, spiegelt sich auch sonst in einer Fülle von Entscheidungen wider, die nie erlassen worden wären, wenn die Richter die Pflicht aus ihrem beamtenrechtlichen Rechtsverhältnis dahin aufgefaßt hätten, daß sie nur dem Staate und Volke als solchen - losgelöst von seiner nationalsozialistischen Verfassung- verpflichtet seien und daß die sogenannten nationalsozialistischen "Zierate" an diesem Inhalt ihres Rechtsverhältnisses nichts geändert hätten. Einem Richter, der sich nicht wenigstens formell dem Nationalsozialismus verpflichtet fühlte, wäre es nicht möglich gewesen, die Kanzelverlesung und Fürbitte eines Pfarrers der Bekennenden Kirche "für die Brüder und Schwestern, die im Gefängnis sind" und die anschließende Verlesung:

"Rechtsanwalt B. Glogau, seit 1. Januar 1937 im Konzentrationslager;
Fürsorgerin L. Berlin, seit 2. Februar 1937 in Schutzhaft, obwohl das gerichtliche Verfahren eingestellt worden ist"

als Verstoß gegen § 130 a StGB zu werten; tatsächlich ist das aber in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geschehen, und zwar mit der Begründung, daß

"das Tun des Angeklagten geeignet war, das Bewußtsein der Rechtssicherheit bei den Hörern und anderen Personen, die davon erfuhren, zu erschüttern. . .. Daher konnte die Verlesung der Liste die Zuhörer und andere zu der Meinung bringen, der Staat handele nicht nach Recht und Gesetz, sondern nach Willkür, weil Art und Weise des Aufbaus der Liste besonders dazu angetan war tiefen Eindruck einer ungerechten Verfolgung der Namensträger zu hinterlassen" (so RG in JW 1938 S. 2955 ff. [2958]).

Die hier zum Ausdruck kommende Auffassung, auch die Einlieferung in das Konzentrationslager und die Festhaltung in Schutzhaft sei keine ungerechte Verfolgung, sondern hier gehe es nach "Recht und Gesetz" zu, läßt sich schlechterdings nur von Richtern vertreten, die sich dem Nationalsozialismus verpflichtet fühlten, ihre Richterpflichten also gerade im Sinne der nationalsozialistischen "Zierate" des Deutschen Beamtengesetzes aufgefaßt haben.

Urteile, aus deren Begründung die gleiche Auffassung von den richterlichen Pflichten spricht, ließen sich leicht in großer Zahl anführen. Es mag genügen, auf Entscheidungen hinzuweisen wie die des Reichsgerichts in RGSt. 76, 317 (Judenvermögen), RGSt. 76, 151 (PolenstrafrechtsVO), RGSt. 75, 251 f. (Heimtückegesetz]; des Oberverwaltungsgerichts Hamburg in JW 1937, 3336 (Polizei und nationalsozialistischer Staat]; des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts in RVBl. 1935, 118, 119 (allgemeine Gesetzesauslegung). Überall tritt zutage, daß die Richter es für ihre Pflicht hielten, die jeweils anzuwendenden Bestimmungen ganz im Sinne der allgemeinen Zielsetzungen des Nationalsozialismus- und das hieß: über das vom Wortlaut zwingend Geforderte hinaus - auszulegen und anzuwenden.

(cc) Dieses Bild der Rechtsprechung im "Dritten Reich" ist nicht nachträglich aus vereinzelten Urteilen konstruiert. Dafür ergibt sich ein eindringlicher Beweis aus zahlreichen nach 1945 erlassenen Urteilen, die sich mit den Auswirkungen nationalsozialistischer Verfolgungsmaßnahmen befassen. Der Bundesgerichtshof hat zahlreiche Urteile aus der nationalsozialistischen Zeit aufgehoben, weil er sie als "Unrechtsrechtsprechung" ansehen mußte; es handelt sich dabei auch um Urteile hoher Gerichte, wie des Volksgerichtshofs (vgl. etwa BGHZ 17, 327 [333]) auch Urteil vom 28. Juni 1956 - 3 StR 366/55 -) und des Reichskriegsgerichts (etwa BGHSt. 3, 110 [116, 117]). Zur allgemeinen Kennzeichnung der damaligen Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof in BGHSt. 3, 127 folgendes ausgeführt:

"Die Rechtsprechung mancher Gerichte zur Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft war jedoch, vor allem wenn die Beurteilung von Sachverhalten in Betracht kam, die eine der Staatsführung mißliebige Gesinnung und Haltung verrieten, durch eine auch dem Laien erkennbare ungewöhnliche Härte ihrer Sprüche gekennzeichnet und ließ oft das für den wahren Rechtsspruch Bezeichnende vermissen, nämlich die ruhige, sachliche und erschöpfende Abwägung aller Strafzwecke, die auch der Beurteilung durch Laien zugänglich war. Das Bewußtsein, daß rechtliche Möglichkeiten und selbst gerichtliche Verfahren zum Zwecke der Einschüchterung und Knebelung jeder von der Staatsführung abgelehnten Gesinnung mißbraucht werden konnten, war trotz der Verblendung weiter Kreise des Volkes, wie allgemeinkundig ist, während der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft durchaus lebendig. Urteile, die offensichtlich nicht mehr der Rechtsverwirklichung, sondern bewußt oder unbewußt dem politischen Terror dienten, hatten das Rechtsbewußtsein des Volkes nicht etwa abgestumpft, sondern eher geschärft."

Sicherlich konnten sich die nationalsozialistischen Richter mit keiner wie immer gearteten Begründung auf eine Amtspflicht zu solcher Terror-Rechtsprechung berufen. Bezeichnend ist aber, bis zu welchem Grade auch bei nachträglicher sachlicher Beurteilung durch rechtsstaatliche Gerichte den Richtern des "Dritten Reiches" wenigstens die subjektive Überzeugung zugebilligt wird, sie hätten bei ihrer nationalsozialistischen Rechtsanwendung noch echte staatliche Rechtsprechungsfunktionen wahrgenommen. (Vgl. dazu etwa die Ausführungen des Bundesgerichtshofs über die Rechtsprechung des Reichsgerichts zur Kriegssonderstrafrechtsverordnung (BGHSt. 4, 68; BGHZ 17, 335) sowie über die Rechtsprechung der Sondergerichte und Standgerichte (BGHZ 8, 169 und Urteil vom 16. Juni 1956 -1 St. R 50/56 -]). Wäre die beamtengesetzliche Verpflichtung der Richter im "Dritten Reich" gegenüber dem Nationalsozialismus und daher speziell ihre Pflicht zu nationalsozialistischer Rechtsauslegung in Wahrheit nur ein auch damals schon unverbindlicher "Zierat" und nicht effektiv gewesen, dann wäre die Annahme, ein Richter, also eine juristisch vorgebildete Person, habe sich zu entsprechender Rechtsauslegung und Verfahrensweise auch nur subjektiv für befugt halten können, schlechterdings ausgeschlossen.

(dd) Noch mehr als die Richter haben naturgemäß die Verwaltungsbeamten, insbesondere die an einflußreicher Stelle stehenden Ministerialbeamten, die in viel unmittelbarerer Weise zur Durchführung der Pläne und Maßnahmen der nationalsozialistischen Staatsführung berufen waren, gerade die nationalsozialistischen Bestandteile, die "Zierate" des Deutschen Beamtengesetzes ernst genommen. In den Ausführungen von Pabst (DÖV 1954 S. 550 ff.), denen eigene Erfahrungen aus der Tätigkeit im Reichsministerium des Innern zugrunde liegen, finden sich dafür eindrucksvolle Beispiele. Seine Mitteilungen über das Zustandekommen des Wehrleistungsgesetzes und verschiedener Verordnungen des Ministerrats für die Reichsverteidigung zeigen, wie eng die Beamten der Ministerien sich nicht nur den legitimen Staatsaufgaben, sondern gerade auch solchen Aufgaben der Gesetzgebungstätigkeit verpflichtet fühlten, die sich harmonisch in eine ausgesprochen nationalsozialistische Gesetzgebungspolitik einfügen ließen. Es ist sehr bezeichnend, daß alle Beispiele, die Pabst anführt, Unrechtsmaßnahmen in sich schlossen: die Kriegssachschädenverordnung, insofern sie die Juden von jeder Entschädigung von Kriegsschäden ausschloß, die VO zur Änderung des Wehrleistungsgesetzes, insofern sie gerade die Bestimmungen einführte (§§ 3 a, 3 b), deren in die Augen springende Rechtsstaatswidrigkeit dazu geführt hat, daß sie der Bayerische Verfassungsgerichtshof alsbald nach Kriegsende für nichtig erklärte (BayVGH NF 1, 81 ff. [91/92]). Diese Beamten waren also so sehr von der Auffassung durchdrungen, ihr Beamtenverhältnis verpflichte sie zum Handeln im Sinne der nationalsozialistischen Staatsauffassung, daß sie auch die in der Konsequenz dieser Staatsauffassung liegenden Unrechtsmaßnahmen im Rahmen ihrer dienstlichen Aufgaben ohne weiteres d. h. ohne besondere Weisung oder Einflußnahme Hitlers - verwirklichen zu müssen glaubten. Nirgends ist erkennbar, daß sie sich ihren Vorgesetzten gegenüber zu dem Hinweis verpflichtet gefühlt hätten, ihre Beamtenpflicht umfasse nicht die Mitwirkung an offensichtlich rechtswidrigen Maßnahmen der Staatsführung.

(e) Für die Beurteilung der Effektivität der gesetzlichen Bindung aller Beamten an den Nationalsozialismus ist sehr wesentlich, daß der von der NSDAP beherrschte, mit ihr weltanschaulich einsgewordene Staat unmittelbar durch seine Gesetzgebung Willkürmaßnahmen aus rassischen, religiösen und politischen Gründen zum Gegenstand staatlicher Tätigkeit gemacht hat. Auf Grund solcher Gesetze wurden der Staatsverwaltung in nahezu allen ihren Bereichen besondere Aufgaben übertragen oder entzogen mit der Folge, daß eine ausschließlich von der Sache und vom Fach her bestimmte Verwaltungstätigkeit zum Wohle des ganzen Volkes praktisch weithin unmöglich gemacht wurde und auch die ihrem äußeren Anschein nach rein technischen Ausführungshandlungen von ihrem Zweck her einen Inhalt erhielten, der mit der üblichen verwaltenden und rechtsprechenden Funktion eines Staates nur noch den äußeren Schein gemein hatte. Zur Darlegung der notwendigen Auswirkungen solcher Willkürmaßnahmen auf das Gesamtgefüge der staatlichen Verwaltung genügt es, auf eine Reihe von weniger bekannten, aber gerade deshalb für die nationalsozialistische Durchdringung der Alltagspraxis des Rechtslebens bezeichnenden Beispielen aus der Polengesetzgebung und aus der Judengesetzgebung zu verweisen, auch als diese noch keinen unmittelbaren Zusammenhang mit dem offenbaren Verbrechen der sogenannten "Endlösung der Judenfrage" hatte:

Im Bereich der Justiz durften die Richter bereits seit dem Jahre 1935 keine Juden zu Armenanwälten, Pflichtverteidigern, Konkurs- oder Zwangsverwaltern bestellen, auch wenn ihre Auswahl von der Sache her geboten gewesen wäre (vgl. DJ 1935 S. 1858).

Den Gerichten wurde die Entscheidung über Rechtsansprüche, "die mit den gegen das Judentum gerichteten Vorgängen vom 8. November 1938 und den nächstfolgenden Tagen" zusammenhingen, entzogen (VO vom 18. März 1939 - RGBI. I S. 614 -), wie das auch vorher schon im Anschluß an die Morde vom 30. Juni 1934 durch das Gesetz über den Ausgleich bürgerlich-rechtlicher Ansprüche vom 13. Dezember 1934 (RGBI. I S. 1235) geschehen war. Unter Verletzung des Legalitätsprinzips hatten die Staatsanwaltschaften im gesamten Deutschen Reich die Verfolgung der mit jenen Ausschreitungen zusammenhängenden Straftaten weitgehend unterlassen, nachdem man sich auf einer Besprechung des Reichsjustizministers mit den Generalstaatsanwälten am 1. Februar 1939 in diesem Sinne geeinigt hatte (vgl. den wörtlicher. Bericht über die Besprechung im Nürnberger Juristenurteil a.a.O. S. 201/202).

Die Verordnung über die Strafrechtspflege gegen Polen und Juden in den eingegliederten Ostgebieten vom 4. Dezember 1941 (RGBI. I S. 759) sah - abgesehen von offenbaren Unrechtsbestimmungen über Straftatbestände, Strafhöhe und Strafverfahren - für die Gerichte die Möglichkeit vor, von Strafen abzusehen und "statt dessen die Überweisung an die Geheime Staatspolizei" auszusprechen.

Noch vor Erlaß dieser sogenannten Polenstrafrechtsverordnung Wurden nach einem Bericht des Generalstaatsanwalts in Hamm an den Reichsjustizminister vom 29. 1. 1941 - 3130 a GSTA 1.06/216 Doc. NG-685, Trials of the War Criminals before the Nuernberg Military Tribunal -, im westfälischen Bereich "grundsätzlich Fälle, die sich mit dem Bruch eines Arbeitsvertrages durch einen Polen befaßten, zur weiteren Bearbeitung an die Gestapo" übergeben; denn der Reichstreuhänder der Arbeit im Wirtschaftsgebiet Westfalen- Niederrhein habe mitgeteilt, daß "in Übereinstimmung mit einem Abkommen zwischen dem Reichsarbeitsminister und dem Reichsführer der SS und Chef der deutschen Polizei Arbeitsvertragsbrüche durch Polen von der Gestapo mit Schutzhaft und Konzentrationslager zu bestrafen" seien, "um eine abschreckende Wirkung zu erzielen."

Nach der Verordnung vom 31. Oktober 1941 zur Durchführung der Verordnung über die Beschäftigung von Juden (RGBI. I S. 681) wird den Juden im Arbeitsverhältnis ein Vergütungsanspruch nur für tatsächlich geleistete Arbeit gegeben, während ihnen - abgesehen von sonstigen Entrechtungen - alle üblichen Vergütungsansprüche für den Krankheitsfall, auf Urlaubs- und Feiertagsgeld, auf Familien- und Kinderzulage, auf Wochenhilfe bei der Niederkunft genommen werden. Den Juden wird ferner nach der Verordnung nicht nur jeder Kündigungsschutz versagt, sondern der Arbeitgeber zu jederzeitiger Kündigung zum Schluß des folgenden Werktages berechtigt. Über Streitigkeiten aus derartigen Arbeitsverhältnissen der Juden hat "eine mit einem Richter besetzte Spruchstelle, die vom Reichsminister der Justiz am Sitz eines Arbeits- (Gewerbe-)Gerichts errichtet wird" zu entscheiden.

Nach dem von Keitel am 7. Dezember 1941 gegengezeichneten "Nacht- und Nebel- Erlaß" (vgl. hierzu das Nürnberger Juristenurteil S. 90 ff.) war bei Straftaten nicht deutscher Zivilisten, die sich gegen das Reich oder die Besatzungsmacht richteten und deren Sicherheit oder Schlagkraft gefährdeten, grundsätzlich auf Todesstrafe zu erkennen. Solche Straftaten sollten in den besetzten Gebieten nur dann abgeurteilt werden, wenn der Erlaß der Todesstrafe wahrscheinlich war und die Vollstreckung schnellstens durchgeführt werden konnte. Andernfalls sollten die Beschuldigten insgeheim nach Deutschland übergeführt Und dort abgeurteilt werden. Für diese von Sondergerichten durchgeführten Verfahren brachte der von Staatssekretär Schlegelberger unterzeichnete Ausführungserlaß vom 6. Februar 1942 und ein weiterer Geheimerlaß des Reichsjustizministers vom 6. März 1943 Bestimmungen über wesentliche Beschränkungen der Angeklagten in ihrer Verteidigung - Wahl des Verteidigers, Vernehmung ausländischer Zeugen, Verbot jeder Auskunft an Angehörige (vgl. das Nürnberger Juristenurteil S. 92 f., 96) -: ferner genaue Anweisungen an Strafregister und Standesämter über ein von der üblichen gesetzlichen Regelung abweichendes Verfahren; schließlich verbot der Geheimerlaß die Beförderung von Briefen der betreffenden Gefangenen, die Benachrichtigung der Angehörigen über ihre Hinrichtung, die öffentliche Bekanntmachung der Vollstreckung der Todesurteile, die Kennzeichnung der Gräber der Hingerichteten und die Aushändigung ihres Nachlasses an ihre Erben (Nürnberger Juristenurteil S. 104/105).

Eine Statistische Übersicht von Nacht- und Nebel-Sachen nach dem Stande vom 1. November 1943, ergibt folgendes Bild:

1. Von den Wehrmachtsbehörden sind abgegeben an den Oberstaatsanwalt in Kiel 12 Fälle mit 442 Beschuldigten; an den Oberstaatsanwalt in Essen 474 Fälle mit 2 613 Beschuldigten; an den Oberstaatsanwalt in Köln 1 169 Fälle mit 2185 Beschuldigten.

2. Anklagen erhoben vom: Oberstaatsanwalt Kiel: 9 Verfahren mit 175 Beschuldigten; Essen: 254 Verfahren mit 860 Beschuldigten; Köln: 173 Verfahren mit 257 Beschuldigten; Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof (Lautz): 111 Fälle mit 494 Beschuldigten.

3. Urteile liegen vor vom Sondergericht in Kiel: 8 gegen 168 Beschuldigte; in Essen: 221 Fälle mit 475 Beschuldigten; in Köln: 128 Fälle mit 183 Beschuldigten; beim Volksgerichtshof: 84 Fälle mit 304 Beschuldigten. (Nürnberger JuristenUrteil S. 110).

Im Herbst 1944 wurden auf Befehl Hitlers alle Nacht- und Nebelverfahren den Gerichten entzogen und die weitere Bearbeitung der Gestapo übertragen, der auch die Gefangenen seitens der Justizverwaltung ausgeliefert wurden.

Zu dem vorgelegten Beweismaterial hat das Nürnberger Militärgericht folgendes bemerkt:

"Das Beweismaterial zeigt, daß viele Nacht- und Nebel-Gefangene, die nach Deutschland verschleppt wurden, keiner schweren Verbrechen beschuldigt waren und verhältnismäßig leichte Urteile erhielten oder freigesprochen wurden. Das zeigt, daß sie keine Bedrohung der Besatzungsstreitkräfte darstellten und daß sie in den Augen der deutschen Richter, die gegen sie verhandelten, nicht gefährlich waren. Aber sie wurden verborgen gehalten, und es wurde ihnen nicht erlaubt, sich irgendwie mit ihren Freunden und Verwandten in Verbindung zu setzen. Das ist eine unmenschliche Behandlung. Sie wurde nicht nur den Gefangenen selbst, sondern auch deren Freunden und Verwandten zuteil, die in ständiger Sorge über ihren Aufenthalt und ihr Schicksal waren." (Nürnberger Juristenurteil S. 115).

Im Bereich der Finanzverwaltung waren in weitem Umfang Sonderbelastungen der Juden vorgesehen. Sie erhielten nicht die sonst auf Antrag zu gewährenden Steuerermäßigungen für Kinder oder für den Fall außergewöhnlicher Belastung (vgl. etwa Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes vom 1. Februar 1938 - RGBI. I S. 99 § 32 Abs. 3; Zweite Verordnung zur Durchführung des Einkommensteuergesetzes vom 6. Februar 1938 - RGBI. I S. 143 - § 27 Abs. 3; Zweite VO zur Durchführung des Steuerabzugs vom Arbeitslohn vom 6. Februar 1938 - RGBI. I S. 149 - § 8 Abs. 3 Satz 2; Erstes Gesetz zur Änderung des Bürgersteuergesetzes vom 31. Oktober 1938 -RGBI. I S. 1543 - § 1 Nr. 5; Lohnsteuerdurchführungsbestimmungen 1939 vom 10. März 1939 - RGBI. I S. 449 - Art. II § 7 Abs. 8). Die Gemeindebehörde hatte zu diesem Zweck bei der Ausstellung der Lohnsteuerkarten - von einigen Ausnahmen abgesehen - für alle Juden ohne Rücksicht auf den Familienstand die Steuergruppe I zu bescheinigen (Durchführungsbestimmungen zum Einkommensteuergesetz vom 17. März 1939 - RGBI. I S. 503 - § 21 Abs. 3).

Von Polen und Juden wurde eine besondere Sozialausgleichsabgabe erhoben (vgl. Erlaß des Reichsfinanzministers vom 20. September 1941 -S. 2921/220 III; Ministerialblatt des Reichs- und Preußischen Ministeriums des Innern 1941 S. 1788 -). Für die "polnischen Steuerpflichtigen" sah der Erlaß des Reichsfinanzministers umfangreiche Regelungen und Vorbehalte vor für "eindeutschungsfähige Polen", für "ehemalige polnische oder Danziger Staatsangehörige nichtdeutscher Abstammung", die in völkischer Mischehe mit einem deutschen Volksangehörigen lebten, "in der sich der deutsche Teil durchgesetzt habe", und für "ehemals polnische Staatsangehörige polnischer Volkszugehörigkeit", die im rheinisch- westfälischen Industriegebiet seßhaft waren und deren Frauen oder Kinder "deutsche Volkszugehörige" waren.

Nach der Dreizehnten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 1. Juli 1943 (RGBI. I S. 372), die unter teilweiser Aufhebung der sogenannten Polen- und JudenstrafrechtsVO die Ahndung strafbarer Handlungen von Juden der Polizei übertrug, war bestimmt, daß nach dem Tode eines Juden sein Vermögen dem Reich verfalle, daß jedoch die Verwaltungsbehörden "nichtjüdischen Erbberechtigten und Unterhaltsberechtigten, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inlande haben, einen Ausgleich gewähren" könnten.

Nach der Verordnung über die Behandlung der Kriegsschäden von Juden vom 20. Juli 1941 (RGBI. I S. 437) erhielten Juden keine Entschädigung; jedoch blieben die Rechte nichtjüdischer Personen unberührt. Die für die Schadensfeststellung zuständigen Verwaltungsbehörden (Feststellungsbehörden) konnten die Beseitigung eines Sachschadens in Natur auf Kosten des Reiches vorbehaltlich der Kostenerstattung durch den Juden anordnen. Ansprüche der befriedigten Gläubiger gegen den Juden gingen in Höhe der gewährten Ausgleichsbeträge auf das Reich über. Wegen des Erstattungsanspruchs des Reiches gegen den geschädigten Juden selbst war die Ersatzpflicht durch die Feststellungsbehörden auszusprechen.

Für den Bereich der allgemeinen inneren Verwaltung, der Arbeits- und Sozial-, der Wirtschafts-, Ernährungs- und Verkehrsverwaltung in Staat und Gemeinden im weitesten Sinne mögen in diesem Zusammenhang etwa folgende Bestimmungen erwähnt werden:

Nach dem Runderlaß des Reichsministers des Innern vom 17.10. 1938 - VW Il 1/38- 8200; RuPrMBliV 1938 S. 1722 - durften Jugendämter bei der Bestellung von Einzelpersonen zu Vormündern, Pflegern, Helfern oder Beiständen in näher bezeichnetem Rahmen Juden nicht "in Vorschlag bringen".

Nach der VO über öffentliche Fürsorge für Juden vom 19. November 1938 (RGBl. I S. 1649) waren hilfsbedürftige Juden Grundsätzlich auf die Hilfe der jüdischen freien Wohlfahrtspflege zu verweisen und nicht durch die öffentliche Fürsorge zu betreuen. Jede Kleinrentnerhilfe blieb ihnen nach Art. II der Verordnung versagt. Ein Ausführungserlaß des Reichsarbeitsministers und des Reichsministers des Innern vom 25. Mai 1939 zu dieser Verordnung bestimmte, unter welchen Voraussetzungen bei der Durchführung der Verordnung Hilfsbedürftigen, die nicht Juden waren und mit Juden in Familien oder Hausgemeinschaft lebten, Leistungen der gehobenen Fürsorge oder der Kleinrentnerhilfe zu gewähren seien. Ein weiterer Erlaß der beiden Reichsminister vom 21. Dezember 1942 (RuPrMBliV 1942 S. 2377) ordnete schließlich an, daß Juden künftighin ausnahmslos von der Unterstützung durch die Fürsorgeverbände ausgeschlossen und an die Reichsvereinigung der Juden zu verweisen seien, da diese "nunmehr finanziell so gefestigt" sei, "daß sie die Unterstützung aller hilfsbedürftigen Juden ... übernehmen" könne.

Nach der Verordnung zur Durchführung der Verordnung über die Beschäftigung von Juden vom 31. Oktober 1941 (RGBI. I S. 681) hatten die Behörden der Arbeitsverwaltung gemäß §§ 11 und 1 2 Juden ausschließlich in Zwangsarbeit und grundsätzlich nur in Gruppenbeschäftigung zu vermitteln, durften sie nicht als "Lehrlinge oder Anlernlinge" vermitteln, durften ihnen keine Kurzarbeiterunterstützung gewähren und als Arbeitslosenhilfe nur "das zum Lebensunterhalt unerläßlich Notwendige" gewähren. Die Gewerbeaufsichtsbeamten hatten gemäß §§ 15 und 16 zu beachten, daß für erwachsene jüdische Beschäftigte die Verordnung über den Arbeitsschutz vom 12. Dezember 1939 (RGBI. I S. 2403) keine Anwendung findet, und besondere Bestimmungen über den Beschäftigungsschutz von Juden - abweichend von den geltenden Vorschriften über den Arbeitsschutz - zu erlassen.

Bei der Zuweisung von Lebensmittelkarten hatten die hierfür zuständigen Behörden besondere Regelungen für die Juden zu beachten:

Nach einem Erlaß des Reichswirtschaftsministers (mitgeteilt im Jüdischen Nachrichtenblatt, Berlin, vom 6. Februar 1940) erhielten Juden nicht die Reichskleiderkarte; auch wurden an sie grundsätzlich keine Bezugscheine für Spinnstoffwaren, Schuhe und Sohlenmaterial ausgegeben. Nach einem Erlaß des Reichsministers der Ernährung und Landwirtschaft vom 12. Juni 1942 (Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger 1942 Nr. 143) erhielten Juden keine Reichseierkarte und nach dem Erlaß vom 11. Juni 1942 (Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger 1942 Nr. 135) eine Kontrollkarte für Tabakwaren "nur dann, wenn ihnen eine Kleiderkarte zugebilligt - war; da ihnen aber eine Kleiderkarte grundsätzlich nicht bewilligt werden durfte, erhielten sie auch keine Tabakwaren. Schließlich schränkte der Erlaß des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft vom 18. 9. 1942 (II B I-3530, veröffentlicht: Internationaler Militärgerichtshof, Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher Doc. 1347-PS, Band XXVII, Seite 181 ff.) die "Lebensmittelversorgung der Juden" sehr stark ein. Sie erhielten von der 42. Zuteilungsperiode (19. Oktober 1942) ab nicht mehr Fleisch, Fleischwaren, Eier, Weizenerzeugnisse, Vollmilch und entrahmte Frischmilch. Von allen Sonderzuteilungen waren sie ausgeschlossen. Insbesondere waren die Bestimmungen für Kranke, gebrechliche Personen, werdende und stillende Mütter und Wöchnerinnen nicht auf Juden anzuwenden. Jüdischen Kindern wurden die sonst den Kindern zustehenden erhöhten Rationen versagt. Alle Einschränkungen des Erlasses galten auch für jüdische Kranke in Krankenanstalten. Die an Juden auszugebenden Lebensmittelkarten waren durchgehend mit dem sich ständig wiederholenden Überdruck "Jude" zu versehen.

Den Ernährungsämtern wurde im Erlaß empfohlen, für die jüdische Bevölkerung besondere Einkaufszeiten zu bestimmen.
Lebensmittelgeschenksendungen aus dem Ausland waren den Juden voll auf die Rationen anzurechnen. Wenn es sich um Erzeugnisse handelte, die zwar bezugsbeschränkt waren, aber nicht regelmäßig zugeteilt wurden (z. B. Bohnenkaffee, Kakao Tee usw.), war über die ganze Sendung zugunsten von Großverbrauchern, wie z. B. Lazaretten, zu verfügen.

Die Zollstellen waren angewiesen worden, ohne Rücksicht auf die Menge der eingehenden Waren den zuständigen Ernährungsämtern wöchentlich die Geschenksendungen zu melden, bei denen bekannt war oder vermutet wurde, daß der Empfänger Jude sei. Die Anrechnung konnte auch dann noch erfolgen, wenn die Meldung der Zollstelle so spät bei dem Ernährungsamt einging, daß die in der Geschenksendung enthaltenen Lebensmittel bereits verzehrt worden waren.

Soweit die Staatspolizeileitstellen Kenntnis von Lebensmittelsendungen an Juden aus dem Auslande erhielten, wurden die Pakete sichergestellt und den Ernährungsämtern überlassen.

Nach der "2. Veröffentlichung über die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel" (Jüdisches Nachrichtenblatt, Berlin, vom 24. April 1942) war Juden die Benutzung der Verkehrsmittel nur in besonderen Fällen mit Erlaubnis der Ortspolizeibehörde gestattet. Sie mußten zu diesem Zweck besondere Bescheinigungen der Arbeitsämter, bezw. der Schulaufsichtsbehörden erwirken und die polizeiliche Genehmigung beim Lösen der Fahrkarten vorzeigen. Ziffer 23 der Durchführungsrichtlinien zur KennzeichnungsVO - veröffentlicht im Jüdischen Nachrichtenblatt vom 10. Oktober 1941 -, wonach Warteräume, Wirtschaften und sonstige Einrichtungen von Verkehrsbetrieben insoweit in Anspruch genommen werden konnten, als die Erlaubnis zur Benutzung des entsprechenden Verkehrsmittels erteilt war, wurde im Juli 1942 aufgehoben (Jüdisches Nachrichtenblatt vom 10. Juli 1942).

Nach dem Runderlaß des Reichsministers des Innern über "Juden in Bädern und Kurorten" vom 16. Juni 1939 (RuPrMBliV 1939 S. 1291 ff.) durften Juden Heilbäder und heilklimatische Kurorte nur benutzen, wenn entsprechende ärztliche Atteste " jüdischer Behandler" von den zuständigen Gesundheitsämtern ärztlich bestätigt waren und die Möglichkeit bestand, sie getrennt von den übrigen Kurgästen unterzubringen. Sie waren außerdem von den "Gemeinschaftseinrichtungen, die nicht unmittelbar Heilzwecken dienten", ausgeschlossen. Zu diesem Zweck hatte die "Meldebehörde" alsbald die Kurverwaltung über die Anwesenheit eines Juden zu unterrichten, damit ihm eine Kurkarte in besonderer Farbe ausgestellt werden konnte.

Nach dem Erlaß des Reichsverkehrsministers vom 13. Juli 1942 (RVKBl. B 1942 S. 119) hatte die Verkehrspolizei bei der Gewährung von gelben Armbinden mit drei schwarzen Punkten (sogenannte Blindenabzeichen) an Juden und bei ihrer Kontrolle "schärfste Prüfung" durchzuführen."

Diese Beispiele geben nur einen kleinen Ausschnitt aus den Willkürbestimmungen gegen Juden und fremde Volksgruppen; der große Kreis von Willkürmaßnahmen, denen viele Angehörige des Volkes wegen ihrer religiösen oder politischen Haltung ausgesetzt waren, ist unberücksichtigt geblieben. Es genügt hier, an einigen wenigen konkreten Beispielen darzulegen, daß der Verwaltungsapparat im nationalsozialistischen Staat nicht etwa nur in den im engeren Sinn politischen, sondern auch in den "technischen" oder "ausschließlich von der Sache oder vom Fach her" bestimmten Aufgabenbereichen in den Dienst typisch nationalsozialistischer Staatsaufgaben hineingedrängt wurde, in Verwaltungsaufgaben also, die in keinem rechtsstaatlich orientierten Gemeinwesen als öffentliche Aufgaben gewertet werden können. Dabei mögen die unmittelbaren Ausführungshandlungen der einzelnen Amtspersonen als einzelne "technische" Arbeitsvorgänge innerhalb eines solchen im ganzen verwerflichen Verfahrens für sich betrachtet durchaus sachlich und ordnungsgemäß, jedenfalls ohne unmittelbaren Unrechtscharakter vorgenommen worden sein.

Wenn also der Richter
bei der sachlichen Auswahl von Armenanwälten die von der Sache her gebotene Berücksichtigung einer bestimmten Personengruppe, nämlich der jüdischen Anwälte unterläßt, im Wege enger Zusammenarbeit mit der Polizei den sogenannten fremdvölkischen Angeklagten der Gestapo überweist, statt gegen ihn das Strafverfahren durchzuführen, bei der Spruchstelle über Ansprüche von Juden aus ihren besonderen Arbeitsverhältnissen entscheidet, in einem Geheimverfahren mit besonderen Beweisvorschriften über die nach dem Nacht- und Nebel-Erlaß verschleppten Personen urteilt,

wenn der Staatsanwalt
nahezu jede Strafverfolgung der Untaten bei den Judenpogromen vom Jahre 1938 innerhalb des gesamten Deutschen Reiches unterläßt, in Westfalen-Niederrhein die Verfolgung des Arbeitsvertragsbruchs unterläßt, da die Gestapo die betreffenden Ausländer verfolgt,

wenn die Justizbehörde
anstelle der Mitteilung an das Strafregister die Verurteilung von Nacht- und Nebel- Gefangenen in besonderen Geheimlisten zusammenfaßt, die Briefe der Nacht- und Nebel- Gefangenen nicht absendet, sondern in Verwahrung nimmt, den Angehörigen der Nacht- und Nebel-Gefangenen jede Auskunft verweigert, eine Benachrichtigung der Angehörigen vom Tode der Angeklagten unterläßt, die Leichname der Angeklagten der Gestapo übergibt, den Nachlaß der Angeklagten "bis auf weiteres" in Verwahrung nimmt,

wenn der Standesbeamte
in das Sterbebuch die Eintragung mit dem besonderen Geheimvermerk über die Nacht- und Nebel-Gefangenen macht,

wenn der Finanzbeamte
eine besondere Steuerberechnung für Juden und Polen vornimmt, eine entsprechende Steuer oder eine Sozialausgleichsabgabe von Juden und Polen erhebt, besondere Steuern für die sogenannten eingedeutschten Polen - nach Klärung ihrer Eindeutschung - veranlaßt, den nichtjüdischen Erbberechtigten von dem Reich verfallenen Nachlaß des Juden auf Antrag einen besonderen Ausgleich gewährt,

wenn die Gemeindebehörde
in Abweichung von aller sonstigen Regelung für verheiratete Juden mit Familie die Steuergruppe I in der Lohnsteuerkarte vermerkt,

wenn die Feststellungsbehörde
den Ersatzanspruch des Reichs gegen den Juden, der durch den Schaden gerade in der Hauptsache betroffen worden ist, feststellt,

wenn das Jugendamt
bei seinem von der Sache her bestimmten pflichtgemäßen Ermessen jeden Vorschlag eines Juden zum Vormund usw. unterläßt,

wenn die Fürsorgebehörde
bei der öffentlichen Fürsorge der Juden Sonderbestimmungen anwendet und schließlich fürsorgebedürftige Juden der "finanziell gefestigten" Reichsvereinigung der Juden überläßt, jede Gewährung von Kleinrentnerhilfe an Juden unterläßt,

wenn die Arbeitsbehörde
Juden zu bestimmter zwangsweiser Gruppenarbeit vermittelt, eine Gewährung von Kurzarbeiterunterstützung an Juden unterläßt, die Arbeitsvermittlung von Juden als "Lehrlinge und Anlernlinge" unterläßt,

wenn der Gewerbeaufsichtsbeamte
für den Arbeitsschutz von Juden Sonderbestimmungen erlässt.

wenn die Behörden der Wirtschafts- oder Ernährungsverwaltung
besondere Lebensmittel-, Tabak- und Kleiderkarten an Juden ausfertigen und überweisen bezw. ihnen keine Spinnstoffbezugscheine zuteilen,

wenn Arbeits- oder Schulaufsichtsbehörden
Bescheinigung für die Benutzung von Verkehrsmitteln durch Juden ausstellen,

wenn Verkehrsbeamte
auf Grund solcher Bescheinigungen Fahrkarten an Juden aushändigen,

wenn Gesundheitsbehörden oder Ärzte
Atteste "jüdischer Behandler" zum Zwecke ihrer ungleichen Behandlung in Kurorten bestätigen, oder in Krankenhäusern kranke Juden bei gekürzter Lebensmittelration behandeln,

wenn Verkehrspolizisten
die Blindenabzeichen der Juden besonders streng prüfen,

wenn die Ernährungsämter
für die jüdische Bevölkerung besondere Einkaufszeiten festlegen,

wenn die Zollbeamten
den Ernährungsämtern etwaige Geschenksendungen an Juden mitteilen, damit diese Sendungen auf deren gekürzte Lebensmittelrationen angerechnet werden,

so mag das alles, für sich betrachtet, im Rahmen "normaler" Staatstätigkeit, ordnungsmäßiger Erledigung der Geschäfte gelegen haben; ja, der einzelne Beamte mag sogar im Einzelfalle nach Kräften um Milderung drückender Unrechtsbestimmungen bemüht gewesen sein, der Richter des Sondergerichts mag in vielen Fällen milder geurteilt, ja freigesprochen haben. Alles das ändert nichts an folgender Überlegung:

Hätten die mit dem Vollzug solcher Bestimmungen betrauten Beamten die beamtengesetzlichen Bestimmungen über ihre Verpflichtung gegenüber dem Nationalsozialismus wirklich nur als bloße nationalsozialistische "Zierate" in einem sonst rechtsstaatlichen Beamtengesetz angesehen, also angenommen, daß sie auch im "Dritten Reich" kraft des Beamtengesetzes und somit durch den nationalsozialistischen Gesetzgeber selbst zur Treue ausschließlich gegenüber Volk und Staat als solchen verpflichtet gewesen seien, dann hätten sie sich gesetzlich für verhindert halten müssen, im Rahmen eines rechtsstaatlichen Beamtenverhältnisses an solchen Maßnahmen mitzuwirken, dann hätten sie ihrem Dienstherrn, also dem Staate gegenüber, vor jeder entsprechenden Amtshandlung darauf hinweisen müssen, daß hier ein unlösbarer Widerspruch in der Gesetzgebung vorhanden sei, sie insbesondere durch Erlasse und Verordnungen dazu veranlaßt werden sollten - auch soweit es sich nicht um unmittelbare Unrechtshandlungen handelte -, fortgesetzt gegen ihre gesetzliche Beamtenpflicht zu verstoßen.

Es wäre natürlich unbillig, ein solches Verlangen ernsthaft an die Beamten stellen zu wollen, aber doch nur deshalb, weil sie ihre beamtengesetzliche Pflicht - soweit sie nicht unmittelbar zu Unrechtshandlungen genötigt wurden - damals gar nicht anders auslegen konnten, als sie es durch Mitwirkung in der für nationalsozialistische Zwecke pervertierten Verwaltung getan haben. Die gesamte Gesetzgebung im nationalsozialistischen Staat zeigt eben - wenn sie so ernst genommen wird, wie sie gedacht war und im ganzen auch durchgeführt wurde -, daß die Aussonderung eines Bereichs "rein sachlicher Verwaltungstätigkeit" aus dem Gesamtbereich der nationalsozialistischen Staatszwecke nicht nur methodisch unrichtig, sondern schlechthin unmöglich ist, da in der Praxis eine Trennung zwischen "rein sachlichen" Tätigkeiten, die in jedem Staat notwendig sind, und solchen, die außerhalb offensichtlicher Unrechtsmaßnahmen - nur im nationalsozialistischen Staat vorkamen, für den einzelnen Beamten gar nicht durchführbar war. In einem Staat, der ganz bewußt den Raum des liberalen Rechtsstaats verläßt und sich Aufgaben setzt, die mit den Verwaltungsmitteln und nach den Prinzipien dieses Rechtsstaates nicht erfüllt werden können, wird die Gesamtinstitution des Berufsbeamtentums, die eine Einheit darstellt und nicht aufgespalten werden kann, notwendig von den mit einer rechtsstaatlichen Verwaltung unvereinbaren Gesamtzwecken her mitbestimmt; die einzelnen aus einer solchen Institution abgeleiteten Rechtsverhältnisse können nicht nach dem mehr oder weniger zufälligen Tätigkeitsgebiet des einzelnen Beamten, der grundsätzlich im gesamten Reich und weithin auch von einer Verwaltung zur anderen versetzbar war, sie müssen vielmehr auf der gesetzlichen Grundlage ihrer Zugehörigkeit zu einer solchen nationalsozialistisch geprägten Institution beurteilt werden. Denn die gesamte Verwaltung ist in ihrem Kern durch eine politische Pervertierung mitbetroffen, wenn sie nur dort wirklich "sachlich und fachlich" bleiben kann, wo - und solange wie - die herrschende parteipolitische Auffassung der Sache nach zufällig nicht berührt wird, während sie überall dort parteipolitischen Belangen dienen muß, wo der Staat die Ziele der herrschenden Partei zu seinen staatlichen Aufgaben gemacht hat und ihre Beachtung schlechthin, d. h. ohne Rücksicht auf rechtsstaatliche Bedenken von seinen Beamten verlangt.

Gegenüber diesen Darlegungen, die die Annahme der Effektivität der nationalsozialistischen Prägung des Berufsbeamtenverhältnisses im "Dritten Reich" auf objektiv vorliegendes und nachprüfbares Material, nämlich auf die positiven Bestimmungen, ihre Auslegung in Theorie und Rechtsprechung, auf die Praxis der Verwaltung gegenüber den Beamten und auf die Amtsführung der Beamten selbst im Rahmen einer im ganzen rechtsstaatsfremden Verwaltung stützen, bleiben Betrachtungen am Rande des Problems, die, ohne sich auf mehr als auf allgemeine "Erscheinungen" oder "Eindrücke" aus der damaligen Zeit berufen zu können, darauf hinweisen, daß zwischen der "Beamtenschaft" einerseits und "den Funktionären der NSDAP" andererseits ein zäher Kampf bestanden habe, daß "die Beamten" sich "weitgehend" bemüht hätten, sich unmittelbaren Einwirkungen von Parteifunktionären auf ihre Tätigkeit zu entziehen, und daß "weite Kreise der Beamtenschaft" sich in ihrer Stellung im nationalsozialistischen Regime höchst unglücklich gefühlt hätten. Wenn die Kritik zu Gunsten der Beamtenschaft ausführt, daß viele Beamte "in neue Organisationsbereiche - Vierjahresplan, Todt, Speer - ausgewichen" seien (vgl. oben S. 146), so wird eben dadurch bewiesen, wie weit die Politisierung der "klassischen" Verwaltungen schon fortgeschritten war; denn diese Beamten waren offenbar zu der resignierenden Einsicht gelangt, daß eine Amtsführung aus reiner Staatsgesinnung heraus im Bereiche der "alten" Verwaltungen schlechterdings nicht mehr möglich war. Das Wunschbild Hitlers, alle Beamten sollten überzeugte Nationalsozialisten sein, ist in der Tat Wunschbild geblieben. Das Maß der Anhänglichkeit an nationalsozialistische Ideen mag innerhalb der verschiedenen Verwaltungszweige und auch - je nach den äußeren Erfolgen des Systems in den einzelnen Zeitabschnitten der nationalsozialistischen Herrschaft sehr verschieden gewesen sein. Die Absicht aber, die Institution des Beamtentums gesetzlich und effektiv an den Staat in seiner Verschränkung mit dem Nationalsozialismus zu binden, hat Hitler durchgesetzt. Danach aber muß sich das Schicksal der Institution nach dem Zusammenbruch des Systems bemessen.

(3) Die Ausführungen über die Effektivität der gesetzlichen Regelung, die den Beamtenverhältnissen unter dem nationalsozialistischen Regime ihr besonderes Gepräge gegeben haben, setzen natürlich voraus, daß die gesetzlichen Bestimmungen, einschließlich der nationalsozialistischen "Zierate", überhaupt rechtswirksam gelten konnten. Das Bundesverfassungsgericht hat das bejaht. Es hat nicht übersehen, daß im "Dritten Reich" die Grundlage der Regierungsgesetzgebung, das sogenannte Ermächtigungsgesetz, von der damaligen Rechtslage aus beurteilt, hinsichtlich seiner verfassungsrechtlichen Wirksamkeit schwersten Bedenken unterliegt. Es hat auch nicht übersehen, daß unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft Gesetze mit einem solchen Maße von Ungerechtigkeit und Gemeinschädlichkeit erlassen worden sind, daß ihnen jede Geltung als Recht abgesprochen werden muß (vgl. Radbruch, Rechtsphilosophie, 4. Aufl. S. 336). Trotzdem können nicht alle Gesetze, die von der nationalsozialistischen Regierung erlassen worden sind, ohne Prüfung ihres Inhalts und der Frage, ob sie von den Betroffenen noch als geltendes Recht angesehen werden, als rechtsunwirksam behandelt werden. Eine solche Annahme würde übersehen, daß auch eine ungerechte und von geläuterter Auffassung aus abzulehnend. Gesetzgebung durch das auch ihr innewohnende Ordnungselement Geltung gewinnen kann; sie schafft wenigstens Rechtssicherheit und ist deshalb, wenn sie sich innerhalb gewisser äußerster Grenzen hält, einem völligen Rechtschaos innerhalb der Rechtsunterworfenen gegenüber das geringere Übel. In diesem Sinne hat das Bundesverfassungsgericht angenommen, daß die nationalsozialistische Gesetzgebung, soweit sie nicht offenbares Unrecht gesetzt hat und daher jeder Wirkung entbehrt, zwar nicht als ihrem Ursprung nach legitime Rechtsordnung, wohl aber kraft "soziologischer Geltungskraft" zu beachten ist und nicht etwa als nur tatsächliche Behinderung der Geltung des wirklichen Rechts beiseite geschoben und nachträglich ungeschehen gemacht werden kann.

Auch die Beamtengesetzgebung des nationalsozialistischen Staats enthält offenbare Unrechtsvorschriften und Rechtszerstörungen, deren Unrecht der Bundesgesetzgeber im Wege der Wiedergutmachung zu beseitigen sucht. Die gesetzliche Verpflichtung der Beamten gegenüber dem Nationalsozialismus und Hitler und ihre Verschränkung mit der Bindung an den Staat in dem Sinne, daß gerade diese Bindung entscheidend sein und daher das so gestaltete Statusverhältnis seinem inneren Gehalte nach nur für die Dauer des Verfassungszustandes der "unlöslichen Verbundenheit zwischen Volk und Partei" gelten sollte, hat jedoch die äußerste Geltungsgrenze gegenüber dem schlechthin nicht mehr zu beachtenden Unrecht nicht überschritten. Freilich ist eine Bindung an ein solches System und in solchem Ausmaß vom Standpunkt geläuterter Rechtsauffassung aus verwerflich. Doch ist nicht zu übersehen, daß einerseits das Bekenntnis zu einer Partei als Voraussetzung und Grundlage für die Aufnahme in den Staatsdienst nicht schlechthin unbeachtliches Unrecht ist und daß andererseits eine solche Bindung sich niemals rechtswirksam auf Unrechtsmaßnahmen erstrecken könnte, die etwa von einer solchen Partei verlangt würden. Das Bundesverfassungsgericht hat also keineswegs Unrechtsmaßnahmen des nationalsozialistischen Regimes als rechtswirksam angesehen. Es kann auch keine Rede davon sein, daß das Urteil ein "gefährliches Präjudiz" geschaffen habe für die "Wertung anderer Rechtsbeziehungen ... in dem durch den eisernen Vorhang getrennten deutschen Raum." Allerdings mag dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ein gewichtiges Präjudiz entnommen werden können, aber eben nur dahin, daß der trotz Wechsels der Staatsform identische Staat nicht schon deshalb auch für alle Zukunft einem Staatsfunktionär gegenüber verpflichtet ist, weil dieser unter der früheren Verfassung für denselben Staat rechtsprechende oder verwaltende Tätigkeit ausgeübt hat; vielmehr kommt es entscheidend darauf an, ob das konkrete Rechtsverhältnis, auf Grund dessen jener tätig war, sich in den Rahmen der neuen Verfassung einfügen läßt. Das aber ist für das nationalsozialistische Beamtenrechtsverhältnis, auf Grund dessen rechtsprechende und verwaltende Funktionen ausgeübt wurden, innerhalb der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht der Fall.

d) Aus der Fortgeltung des Deutschen Beamtengesetzes ohne "nationalsozialistische Zierate" kann nicht auf ein Fortbestehen der nationalsozialistischen Beamtenverhältnisse geschlossen werden. Das ist im Urteil (BVerfGE 3, 119/120) eingehend dargelegt; weitere Ausführungen hierzu erübrigen sich. Ebensowenig läßt die Garantie der Institution des Berufsbeamtentums im Grundgesetz einen Rückschluß in diesem Sinne zu. Nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Staates war die Frage, ob man in Zukunft an der Institution eines grundsätzlich lebenslänglichen Beamtentums festhalten solle, zunächst offen. Jedenfalls haben weder die Besatzungsmächte noch das Grundgesetz an einem parteipolitisch verpflichteten Beamtentum festhalten wollen. Im Gegenteil: die westlichen Besatzungsmächte verlangten die völlige politische Neutralisierung des öffentlichen Dienstes, und das Grundgesetz hat mit der Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums jede Bindung der Beamtenschaft an die Auffassung einer einzelnen Partei, insbesondere aber an die Auffassung autoritärer oder totalitärer Parteien, schlechthin ausgeschlossen. Die vom Grundgesetz gewährleistete Institution des Berufsbeamtentums steht also zu dem Beamtentum des nationalsozialistischen Staates in einem so grundsätzlichen Wesensunterschied, daß von einer Kontinuität der Institutionen keine Rede sein kann und aus diesem Gesichtspunkt jedenfalls für die Kontinuität der einzelnen Beamtenverhältnisse nichts hergeleitet werden kann.

Es ist auch nicht richtig, daß der gesamte staatliche Verwaltungsapparat durch die Besatzungsmächte "summarisch in Pflicht genommen" worden sei. Im überregionalen Bereich hatte der Zusammenbruch ohnehin jede Verwaltung beseitigt; ihre Fortführung verbot sich nach Lage der Verhältnisse von selbst. Darüber hinaus wurde zahlreichen Behörden, die sachlich und personell möglicherweise unverändert hätten weiterarbeiten können - insbesondere den Gerichten - zunächst jede Tätigkeit verboten (vgl. hierzu Mil.Reg. Gesetz Nr. 2 über deutsche Gerichte; wegen der praktischen Auswirkungen: BGHZ 12, 357 [362], BGHSt. 1, 84 f. [89]). Im übrigen verpflichtete die Proklamation Nr. 1 alle Beamten, "bis auf weiteres auf ihren Posten zu verbleiben und alle Befehle und Anordnungen der Militärregierung oder der alliierten Behörden ... zu befolgen und auszuführen." Hierdurch sollte die erforderliche Legitimation zur weiteren Tätigkeit dort, wo sie überhaupt in Betracht kommen konnte, erteilt werden. Aber von einer allgemeinen oder gar endgültigen "Inpflichtnahme" konnte naturgemäß keine Rede sein. Aus der vorsichtigen Formulierung der Proklamation konnte kein Beamter ernstlich folgern, daß er auf Grund seines bisherigen Beamtenverhältnisses weiterhin auf Lebenszeit tätig sein werde, obgleich die unlösliche Verbundenheit des Staates mit der NSDAP nunmehr zweifelsfrei beseitigt worden war.

Es ist gelegentlich bemerkt worden (Laun im Jahrbuch für Internationales Recht 1954 S. 161), es sei eine Fiktion, anzunehmen, daß dieselben Beamten vom gleichen Tage ab nunmehr im Namen und im Auftrag der alliierten Regierungen in einem neuen Dienstverhältnis des gleichen Inhalts wie das bisherige tätig sein sollten, und zwar eine Fiktion, deren sich die Beteiligten bis zur Verkündung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts nie bewußt gewesen seien. Dieser Einwand geht an den Tatsachen vorbei. Kein Beamter, der zur Zeit des Zusammenbruchs in einer deutschen Behörde arbeitete, konnte, wenn er nicht gewaltsam die Augen vor der Wirklichkeit verschloß, im Ernst annehmen, seine Stellung und die Stellung aller sonstigen Beamten, auch derjenigen, die der NSDAP angehört hätten, sei in rechtlicher Hinsicht unverändert und auf Grund des bisherigen Beamtenverhältnisses für die Zukunft gesichert. Er hätte dann darüber hinwegsehen müssen, daß in allen Behörden auf bloßen formlosen Befehl der Besatzungsbehörden Beamte auf höhere oder niederere Posten gesetzt, aus dem Dienst gewiesen, wieder in den Dienst aufgenommen, in automatischen Arrest genommen und wieder in den Dienst eingesetzt wurden und daß sie den Weisungen auch eines Vorgesetzten, der als "Außenseiter" in die Verwaltung gelangt war, folgen mußten. Die Auffassung, daß auch nur die Mehrheit der damaligen Beamten, die unmittelbar nach der Kapitulation solche personellen Veränderungen in größtem Ausmaß aus nächster Nähe beobachten konnten und zumeist selbst von ihnen betroffen waren, wirklich an die unveränderte Fortdauer aller oder auch nur ihrer eigenen Beamtenrechtsverhältnisse geglaubt haben sollten, ist völlig unrealistisch. Die Auffassung vom Weiterbestehen der Beamtenverhältnisse hat sich vielmehr nur sehr allmählich mit fortschreitender Konsolidierung der allgemeinen Lage und dem damit sich ergebenden Vergessen der tatsächlichen Verhältnisse durchgesetzt, und zwar zunächst auf Grund eines von Wunschbildern beherrschten Denkens und ohne jede ernsthafte Untersuchung der hier vorliegenden Rechtsprobleme. Das Bundesverfassungsgericht konnte seine Aufgabe nicht darin sehen, die dieser Auffassung folgenden gerichtlichen Entscheidungen ohne eigene Prüfung lediglich zu bestätigen.

Der Einwand der Kritik, bei Unterstellung der Richtigkeit des Urteils des Bundesverfassungsgerichts müßten alle Staatsakte nach 1945 nichtig gewesen sein, bedarf keiner besonderen Widerlegung (vgl. dazu BVerfGE 4, 74 ff.).

Dagegen ist rechtlich beachtlich die gegenüber dem Urteil erhobene Frage, ob es nicht geboten gewesen wäre, die vor der nationalsozialistischen Umgestaltung wirksam begründeten Beamtenverhältnisse in gewissem Umfang wiederherzustellen (Bachof). Diese Frage ist jedenfalls demjenigen Teil der Beamtenschaft gegenüber zu verneinen, der der Umgestaltung seines Beamtenverhältnisses im nationalsozialistischen Sinne zugestimmt hat. Aber auch der Teil der früheren Beamten, der diese Umgestaltung innerlich abgelehnt hat und nur zur Erhaltung der eigenen Existenzgrundlage weiterhin im Dienst verblieben ist, kann aus dem späteren Erlöschen der umgestalteten Rechtsverhältnisse keine besonderen "Wiedereinsetzungsansprüche" herleiten. Selbstverständlich war es Aufgabe des freiheitlich- demokratischen Staates, denjenigen früheren Beamten, die wegen ihrer politischen Überzeugung nicht im Beamtendienst des nationalsozialistischen Staates verblieben, Wiedergutmachung zu gewähren. Denjenigen aber, die sich trotz ihrer entgegenstehenden Überzeugung zum Beamtendienst im nationalsozialistischen Staat bereitfanden und dadurch ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage für die Dauer des "Dritten Reiches" sicherten, häufig sogar an den Aufstiegsmöglichkeiten teilnahmen, müssen die Folgen ihrer eigenen Entscheidung grundsätzlich selber tragen. Wenn ihnen - die am 8. Mai 1945 durchweg länger als zehn Jahre im Staatsdienst gewesen sein müssen - unter der neuen Verfassung ein Übergangsgeld gewährt und die Aussicht auf Wiederverwendung gegeben wird, so sind sie damit durchaus angemessen berücksichtigt worden. Weitergehende Ansprüche können auch für diese Beamtengruppe weder rechtlich noch moralisch anerkannt werden; insbesondere kann ihnen gegenüber von einer Grundrechtsverletzung keine Rede sein.

Abgesehen davon wäre es verfehlt, das Erlöschen der Beamtenverhältnisse als Bestrafung oder Diskriminierung der Beamten anzusehen. Das Bedenken des Bundesgerichtshofs (BGHZ 13, 265 [301]) gegen "die Annahme einer Rechtsverwirkung aus dem Gedanken der Kollektivschuld" heraus beruht auf der irrigen Vorstellung, daß nur Unrechtsmaßnahmen der nationalsozialistischen Führung eine Entartung der Institution des Beamtentums bewirkt haben könnten. Bereits die gesetzlichen Bestimmungen des Deutschen Beamtengesetzes hatten die entscheidende Umgestaltung der Beamtenverhältnisse und demzufolge auch der Institution des Beamtentums herbeigeführt, so daß eine Kontinuität mit dem politisch neutralen Beamtenverhältnis in der freiheitlich-demokratischen Grundordnung schon aus diesem Grunde ausgeschlossen war. Etwaige weitere nationalsozialistische Terror- und Unrechtsmaßnahmen gegen Beamte mögen zwar konsequente politische Folgen jener gesetzlichen Umgestaltung gewesen sein, konnten jedoch ihrerseits an jener Umgestaltung nichts ändern.

II.

Da die am 8. Mai 1945 bestehenden Beamtenverhältnisse zum Deutschen Reich mit diesem Tage erloschen sind, kommt es für die Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde nicht darauf an, ob der Gesetzgeber fortbestehende Beamtenverhältnisse nur gleichmäßig umgestalten darf, sondern allein darauf, ob die früheren Beamten der Geheimen Staatspolizei nach Art. 131 GG in Verbindung mit Art. 3 GG verlangen können, wegen ihrer Beamteneigenschaft im "Dritten Reich" im Rahmen des verfassungsrechtlichen Fürsorgeauftrags deshalb in positivem Sinne berücksichtigt zu werden, weil grundsätzlich auch alle sonstigen früheren Beamtengruppen durch das G 131 eine Berücksichtigung auf beamtenrechtlicher Grundlage gefunden haben.

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits im Urteil vom 17. Dezember 1953 (BVerfGE 3, 135) - und zwar gerade im Hinblick auf § 3 Ziff. 4 G 131 - beiläufig bemerkt, die Art des früheren Dienstes könne, wenn sie rechtsstaatlichen Grundsätzen in besonderem Maße widersprochen habe, eine Berücksichtigung der betreffenden Beamtengruppen überhaupt ausschließen. Für die Gestapo trifft dies zu; eine nähere Prüfung ergibt, daß ihre Aufgaben in der Tat in ihrem wesentlichen Kern mit den schlimmsten Willkür- und Unrechtsmaßnahmen des nationalsozialistischen Staates besonders eng verbunden waren. Der Ausschluß der in diesem Aufgabenbereich tätig gewesenen Beamten von jeder Berücksichtigung durch das G 131 ist deshalb gerechtfertigt, insbesondere mit Art. 3 GG vereinbar. Daß das formale Beamtenverhältnis der Gestapobeamten sich von demjenigen aller sonstigen Beamten des "Dritten Reiches" grundsätzlich nicht unterschieden hat (vgl. § 2 des Deutschen Polizeibeamtengesetzes vom 24. Juni 1937- RGBI. I S. 653), kann nach dem Erlöschen aller Beamtenverhältnisse für die Beachtung des Gleichheitssatzes bei der Neuregelung nicht von ausschlaggebender Bedeutung sein.

1. Der formelle Aufbau der Geheimen Staatspolizei begann in Preußen mit dem Preußischen Gesetz über die Errichtung eines Geheimen Staatspolizeiamts vom 26. April 1933 (GS 122). Nach dem Preußischen Gesetz über die Geheime Staatspolizei vom 30. November 1933 (GS 413) bildet die Gestapo einen selbständigen Zweig der Inneren Verwaltung; ihr Chef ist der Ministerpräsident; zu ihrem Aufgabengebiet "gehören die von den Behörden der allgemeinen und der inneren Verwaltung wahrzunehmenden Geschäfte der politischen Polizei." Die Landes-, Kreis- und Ortspolizeibehörden haben in Angelegenheiten der Geheimen Staatspolizei den Weisungen des Geheimen Staatspolizeiamtes Folge zu leisten. Nach der Durchführungsverordnung vom 8. März 1934 (GS 143) werden die Aufgaben der Geheimen Staatspolizei für das gesamte Staatsgebiet von dem Geheimen Staatspolizeiamt in Berlin, für die Landespolizeibezirke von den Staatspolizeileitstellen wahrgenommen; diese sind grundsätzlich den Regierungspräsidenten unterstellt. Die leitenden Beamten der Staatspolizeileitstellen werden vom Ministerpräsidenten bestimmt. Die Beamten der Gestapo sind gemäß § 3 DVO Beamte der allgemeinen und inneren Verwaltung.

Nach dem Preußischen Gesetz über die Geheime Staatspolizei vom 10. Februar 1936 (GS 21), das die beiden vorgenannten Gesetze aufhebt, ist es Aufgabe der Gestapo,

"alle Staatsgefährlichen Bestrebungen im gesamten Staatsgebiet zu erforschen und zu bekämpfen, das Ergebnis der Erhebungen zu sammeln und auszuwerten, die Staatsregierung zu unterrichten und die übrigen Behörden über für sie wichtige Feststellungen auf dem laufenden zu halten und mit Anregungen zu versehen. Welche Geschäfte im einzelnen auf die Geheime Staatspolizei übergehen, bestimmt der Chef der Geheimen Staatspolizei im Einvernehmen mit dem Minister des Innern."

§1 Abs. 2 bestimmt, daß "die Zuständigkeit der Organe der ordentlichen Rechtspflege unberührt" bleibt; jedoch unterliegen nach § 7 "Verfügungen in Angelegenheiten der Geheimen Staatspolizei ... nicht der Nachprüfung durch die Verwaltungsgebiete." Nach § 4 obliegen die Aufgaben der Geheimen Staatspolizei an der Grenze "besonderen Grenzkommissariaten." Die Ernennung und Entlassung der Beamten der Geheimen Staatspolizei erfolgt im Rahmen der allgemeinen reichsgesetzlichen Bestimmungen über die Ernennung und Entlassung von Landesbeamten durch den Chef der Geheimen Staatspolizei im Einvernehmen mit dem Minister des Innern.

In der Durchführungsverordnung zu diesem Gesetz vom 10. Februar 1936 (GS 22) bestimmt § 1, daß die Geheime Staatspolizei polizeilich Ermittlungen in Hoch-, Landesverrats- und Sprengstoffsachen "sowie bei sonstigen strafbaren Angriffen auf Partei und Staat führen" kann. Nach § 2 Abs. 4 a.a.O. verwaltet sie die staatlichen Konzentrationslager. Nach § 7 haben die Ober- und Regierungspräsidenten den Weisungen des Geheimen Staatspolizeiamtes in Angelegenheiten der Geheimen Staatspolizei Folge zu leisten.

Durch den "Erlaß über die Einsetzung eines Chefs der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern" vom 17. Juni 1936 (RGBI. I S. 487) bestellte Hitler "zur einheitlichen Zusammenfassung der polizeilichen Aufgaben im Reich" einen "Chef der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern", "dem zugleich die Leitung und Bearbeitung aller Polizeiangelegenheiten im Geschäftsbereich des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern übertragen" wurden. Zum Chef der Deutschen Polizei wurde Himmler ernannt, der an den Sitzungen des Reichskabinetts teilnehmen sollte, soweit sein Geschäftsbereich berührt wurde.

Seit der durch diesen Erlaß erfolgten einheitlichen Zusammenfassung der polizeilichen Aufgaben im ganzen Reich wurde das in § 1 des Preußischen Gesetzes über die Geheime Staatspolizei vom 10. Februar 1936 umrissene Aufgabengebiet als für die Geheime Staatspolizei im ganzen Reich geltend angesehen (vgl. Best, Die deutsche Polizei, 1940 S. 137). Durch seinen Erlaß vom 26. Juni 1936 - O/S Nr. 1/36 - (MinBlatt des Reichs- und Preußischen Ministeriums des Innern 1936 S. 947) vereinigte Himmler Kriminalpolizei und Geheime Staatspolizei zur Sicherheitspolizei. Nach seinem Erlaß vom 28. August 1936 - S-V 1.34/36 - (MinBlatt des Reichs- und Preußischen Ministeriums des Innern 1936 Spalte 1344) und vom 22. April 1937 - SV 1 Nr. 173 II/37 - (MinBlatt des Reichs- und Preußischen Ministeriums des Innern 1937 Spalte 661) war vom 1. Oktober 1936 ab die Bezeichnung Geheime Staatspolizei "die einheitliche Bezeichnung der politischen Polizeien aller deutschen Länder."

Nachdem Himmler den Chef des SD der NSDAP, Heydrich zugleich zum Chef der Sicherheitspolizei ernannt hatte, waren praktisch die staatlichen Behörden der Geheimen Staatspolizei mit den Parteieinrichtungen des SD vereinigt (vgl. Erlaß Himmlers vom 27. September 1939 - SV 1 Nr. 719/39 - 151 - über die Errichtung des Reichssicherheitshauptamts, veröffentlicht: Internationaler Militärgerichtshof, Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher, Band XXXVIII S. 102 ff.).

Im Amt IV (Geheime Staatspolizei) des Reichssicherheitshauptamts bestanden schließlich nach dem Stande vom 1. Oktober 1943 folgende Arbeitsgebiete:

Gruppe A: Gegner, Sabotage und Schutzdienst (mit den Referaten: Kommunismus, Marxismus; Sabotagebekämpfung; Nationale Opposition; Schutzdienst).
Gruppe B: Kirchen, Sekten, Juden (mit den Referaten: Politischer Katholizismus; Politischer Protestantismus, Sekten; Freimaurerei, Judenangelegenheiten).
Gruppe C: Personenkartei, Schutzhaft, Presse, Partei.
Gruppe D: Einflußgebiete (mit den Referaten: Ausländische Arbeiter; Protektoratsangelegenheiten; Gouvernementsangelegenheiten; Besetzte Gebiete im Norden und Westen; Besetzte Gebiete im Osten).
Gruppe E: Spionageabwehr.
Gruppe F: Grenz- und Ausländerpolizei.

2. Schon aus der formalen gesetzlichen Abgrenzung ihres Aufgabengebietes ergibt sich, daß die Gestapo diejenige Behörde war, die vor allen anderen staatlichen Einrichtungen die Unrechts- und Willkürmaßnahmen durchzuführen hatte, die der von der NSDAP beherrschte Staat nach der nationalsozialistischen Ideologie sich als staatliche Aufgabe setzte, nämlich die Bekämpfung aller Gegner des Nationalsozialismus mit rechtswidrigen Mitteln, insbesondere ungesetzlicher Freiheitsbeschränkung oder Freiheitsberaubung, schließlich die Ausrottung des Judentums und die weitgehende Vernichtung anderer fremder Volksgruppen und politisch mißliebiger Personen. Demgegenüber kann nicht geltend gemacht werden, daß die Aufgabe einer politischen Polizei zu allen Zeiten und auch in anderen Staaten als legitime Staatsaufgabe angesehen worden sei. Selbstverständlich kann es keinem Staat verwehrt werden, sich mit Hilfe einer politischen Polizei gegen wirkliche Staatsfeinde zu schützen. Deshalb kann auch nicht etwa das gesamte Arbeitsgebiet der Gestapo als staatsfremd behandelt und ihr jeder staatliche Charakter oder ihren Bediensteten die Eigenschaft als staatliche Beamte im "Dritten Reich" abgesprochen werden. Denn in gewissen Grenzen hat zweifellos auch die Gestapo echte staatspolizeiliche Aufgaben ausgeführt, wie sie jeder Staat unter jeder Verfassung erfüllen muß. Diese Feststellung darf aber nicht dazu veranlassen, die staatspolizeilichen Aufgaben als notwendige staatliche Funktion für alle Staaten ohne weiteres, insbesondere ohne Rücksicht auf ihren konkreten Inhalt, gleichzusetzen. Die "Sachaufgaben" der Gestapo zeigen, daß sie gerade zu dem Zweck geschaffen worden war, in weitem Umfang über den Bereich legitimer Staatsaufgaben hinaus staatlichem Unrecht zu dienen. Dafür ist besonders charakteristisch die generelle Exemtion ihrer Verfügungen von der gerichtlichen Nachprüfung. Schon die Aufgaben der allgemeinen Polizei konnten infolge der nationalsozialistischen Denaturierung des Polizeibegriffs nur noch mit starken Einschränkungen als legitime Polizeiaufgaben angesehen werden. Wenn damals in zusammenfassenden Darstellungen des Polizeirechts ausgeführt werden konnte, die Polizeibehörden als die Vollstrecker des Staatswillens seien durch die Beseitigung der Grundrechte "von den Fesseln, die ihnen der Liberalismus angelegt hatte", befreit worden, der Begriff der Polizei empfange seine "inhaltliche Bestimmtheit nicht mehr oder nicht mehr nur durch die Norm, sondern durch die völkische Grundordnung", im Polizeibegriff des nationalsozialistischen Staates sei "ein wohlfahrtspolizeilicher Einschlag enthalten", in dessen Zusammenhang "... auch das Vorgehen gegen Nichtarier" gehöre (Nebinger, Reichspolizeirecht, 1939 S. 11 und 15), so zeigt sich, daß auch bei der nicht- politischen Polizei die Grenzen legitimer polizeilicher Staatsaufgaben nicht mehr allgemein eingehalten worden sind. Für die politische Polizei kommt hinzu, daß "im Dritten Reich ... Staatsfeind ... jeder (ist), der dem Volk, dem Staat und der Partei,) ihren weltanschaulichen Grundlagen und ihren politischen Maßnahmen bewußt entgegenwirkt", und daß etwa zur Verhängung der politischen Schutz haft gegen staatsfeindliche Elemente "keineswegs . . .,ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad' der Staatsgefährdung" festgestellt werden mußte (Nebinger a.a.O. S. 16 f., 61 ff.). So ergibt sich das Bild eines Polizeibereichs, in dem "im Staatsinteresse", d. h. in Wahrheit zum Schutze des nationalsozialistischen Systems, jedes Mittel "recht", nämlich von der Staatsführung erlaubt und sogar geboten war. Eine Tätigkeit, die so stark durch Unrecht und Willkür gekennzeichnet ist, entfernt sich weit von der politischen Polizei eines Rechtsstaats; zwischen zwei ihrem Inhalt nach so verschiedenen Aufgabengebieten kann keine "Kontinuität" angenommen werden.

3. Dieses Ergebnis wird bestätigt, wenn man das quantitative Ausmaß dieser staatlichen Unrechtstätigkeit ins Auge faßt, wie es im Übermaß durch die zahlreichen Gerichtsverfahren erwiesen wird, die nach Beseitigung des nationalsozialistischen Systems gegen Personen durchgeführt worden sind, die an der Judenverfolgung und an sonstiger Unrechtstätigkeit der Gestapo mitgewirkt haben. Aus ihrer Fülle seien nur einige wenige richterliche Feststellungen und Beurteilungen hervorgehoben:

a) In dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 29. Januar 1952 -BGHSt. 2, 234 - heißt es:

"In der Zeit vom 1. Dezember 1941 bis zum 12. Februar 1945 wurden 2 462 jüdische Personen aus Württemberg in elf Eisenbahntransporten nach dem Osten verschleppt. Das Ziel dieser Transporte war Riga, Izbica, Theresienstadt und Auschwitz. Der größte Teil der Verschleppten ist umgekommen. Das war auch das -nach außen hin allerdings getarnte - Ziel dieser ,Aktionen'. Bei ihrer Durchführung wirkten die Angeklagten K., O., A. und M. mit. Von ihnen war K. Leiter des Referats für kirchliche Angelegenheiten bei der Gestapo in St., ihm unterstand auch das Judenreferat. O. und A. waren Sachbearbeiter im Judenreferat, M. war Sachbearbeiter im Referat für kirchliche Angelegenheiten. Sie verfuhren in der im Urteil im einzelnen angegebenen Weise, indem sie die Listen der Opfer aufstellten, Eisenbahnwagen bestellten, das Gepäck der Opfer überprüften oder die Transporte bis zum Zielbahnhof als Transportführer oder Reisebegleiter begleiteten."

b) Nach dem Urteil des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 15. November 1950 (Entscheidungen in Strafsachen, Neue Folge, 1. Band Nr. 41) wurde in den Jahren 1941 bis 1944

"wie aus dem übrigen Reichsgebiet auch aus den fränkischen Kreisen die Masse der dort ansässigen jüdischen Bürger zwangsweise teils in die besetzten Ostgebiete, teils nach Theresienstadt - im damaligen Protektorat Böhmen und Mähren - ,umgesiedelt'; gleichzeitig wurde den Evakuierten das Vermögen zugunsten des Reiches entzogen.

Im einzelnen wurden auf diese Weise in folgenden sieben ,Aktionen' aus Ober-, Mittel- und Unterfranken abgeschoben:
1. am 29.11.1941 1 000 Personen nach Riga,
2. am 24.03.1942 1 000 Personen nach Lublin (Trawiniki),
3. am 25.04.1942 955 Personen nach Lublin (Izbica),
4. am 10.09.1942 1 000 Personen nach Theresienstadt,
5. am 23.09.1942 680 Personen nach Theresienstadt,
6. am 17.06.1943 36 Personen nach Theresienstadt, 73 Personen nach Auschwitz,
7. am 17 01.1944 10 Personen nach Theresienstadt.

Von diesen insgesamt 4 754 Juden ist der weitaus größte Teil in den Lagern und Ghettos der Aufnahmegebiete ums Leben gekommen, teils infolge der unerträglichen Daseinsbedingungen, teils im Zuge ausgesprochener Vernichtungsaktionen.

Die gesamten Evakuierungsmaßnahmen waren auf Veranlassung der obersten Reichsführung vom Reichssicherheitshauptamt in Berlin (RSHA) angeordnet worden ... Mit der Durchführung der Umsiedlungsaktionen hatte das RSHA die ihm unterstehenden örtlichen Dienststellen der Gestapo betraut. Als zuständige Evakuierungsstelle für die drei Frankenkreise war die Staatspolizeistelle Nürnberg- Fürth (Stapostelle) bestimmt."

Dr. M., der vom September 1934 bis Dezember 1942 Polizeipräsident in N. gewesen war, als Leiter der Stapostelle bei den Aktionen I mit V.

Dr. G., W. und Ma. als beamtete Angehörige dieser Stelle, K. als Beamter (Leiter des Einwohneramts) am Polizeiamt F., je bei einzelnen Aktionen.

c) Nach dem Urteil des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 15. November 1950 (Entscheidungen in Strafsachen, Neue Folge, 1. Band Nr. 42) wurden in den Jahren 1941 bis Mitte Juni 1943

"aus Würzburg und ganz Unterfranken die Masse der dort ansässigen Juden zwangsweise teils in die besetzten Ostgebiete, teils nach Theresienstadt im damaligen ,Protektorat Böhmen und Mähren' umgesiedelt; gleichzeitig wurde den verschleppten Personen das Vermögen zugunsten des Reiches entzogen. Diese ,Umsiedlung' der unterfränkischen Juden erfolgte in 6 ,Aktionen':

1. am 27.11.1941 wurden 202 Personen nach Riga,
2. am 24.03.1942 208 Personen nach Trawniki,
3. am 25.04.1942 805 Personen nach Izbica,
4. am 10.09 1942 177 Personen nach Theresienstadt,
5. am 23.09.1942 562 Personen nach Theresienstadt,
6. am 17.06.1943 7 Personen nach Theresienstadt, und 57 Personen nach Auschwitz,

somit insgesamt 2 063 Personen nach dem Osten zwangsweise verschleppt. Hierunter befanden sich auch hilfsbedürftige, kranke und gebrechliche Personen. Von den insgesamt 2 063 Personen sind nur etwa 50 Personen aus ganz Unterfranken zurückgekehrt. Die übrigen sind entweder infolge der unerträglichen Lebensbedingungen an ihrem neuen Aufenthaltsort umgekommen oder durch unmittelbare Gewaltanwendung, insbesondere durch Erschießen oder Vergasen getötet worden, wobei jedoch bestimmte Einzelheiten des Todes dieser Personen nicht mehr festgestellt werden konnten ... Mit einer am 31.10.1941 getroffenen, Anordnung der Evakuierung der Juden' übertrug das RSHA die Durchführung der Evakuierung den ihm unterstellten Gestapostellen. Als zuständige Evakuierungsstelle für die drei fränkischen Kreise war die Gestapostelle Nürnberg-Fürth bestimmt worden. Für die Durchführung der Evakuierung der in Unterfranken ansässigen Juden bediente sich diese der Mitwirkung der ihr unterstellten Gestapo Außenstelle Würzburg."

Die Anklage legte den 19 Beschuldigten zur Last, am Vollzug der Evakuierung der Juden mitgewirkt zu haben.
Die in diesem Urteil erörterte Evakuierung wird auch im Nürnberger Juristenurteil behandelt; dort wird auf einen Bericht der Geheimen Staatspolizei, Hauptstelle Nürnberg-Fürth, Bezirksstelle Würzburg, verwiesen, der mit folgenden Worten schließt (a.a.O. S. 127):

"mit diesem letzten Transport haben alle Juden, die weisungsgemäß zu evakuieren waren, Mainfranken verlassen' ... Die von den Juden zurückgelassenen Möbel, Kleider und Wäschestücke wurden dem Finanzamt Mainfranken übergeben und von diesem zu Geld gemacht."

d) Nach den Feststellungen des Nürnberger Juristenurteils (a.a.O. S. 132) wird in einem Erlaß des Reichsjustizministeriums vom 1. April 1943 an die Generalstaatsanwälte mitgeteilt, daß das Reichssicherheitshauptamt durch Erlaß vom 11. März 1943 folgendes angeordnet habe:

"a) Juden, die gemäß Ziffer VI der Richtlinien aus einer Vollzugsanstalt entlassen werden, sind durch die für die Vollzugsanstalt örtlich zuständige Staatspolizei(leit-)stelle auf Lebenszeit gemäß den ergangenen Schutzhaftbestimmungen dem Konzentrationslager Auschwitz bzw. Lublin zu überführen. Das gleiche gilt für Juden, die zukünftig nach Verbüßung einer Freiheitsstrafe aus einer Vollzugsanstalt zur Entlassung kommen.

b) Polen, die gemäß Ziffer VI der Richtlinien aus einer Vollzugsanstalt entlassen werden, sind durch die für die Vollzugsanstalt örtlich zuständige Staatspolizei(leit-)stelle auf Kriegsdauer gemäß den ergangenen Schutzhaftbestimmungen einem Konzentrationslager zuzuführen.

Das gleiche gilt für Polen, die zukünftig nach Verbüßung einer Freiheitsstrafe von mehr als 6 Monaten aus einer Vollzugsanstalt zur Entlassung kommen."

e) Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14. Oktober 1952 (BGHSt. 3, 272) gehörten die beiden Angeklagten

"während des Krieges der Gestapoleitstelle in M. an, der Angeklagte Sch. als Dienststellenleiter, der Angeklagte Dr. L. als Abteilungsleiter. Sie führten in einer Reihe von Fällen einen Geheimerlaß des Reichssicherheitshauptamts (RSHA) vom 5. November 1942 durch, der u. a. gegen Ostarbeiter die ,Kurzbehandlung' und die ,Sonderbehandlung' vorsah. Die ,Kurzbehandlung' bestand in der Durchführung der Prügelstrafe anstelle einer kurzfristigen Haft bei Arbeitsverweigerung und Disziplinwidrigkeiten. Mit dem Namen ,Sonderbehandlung' wurde die Hinrichtung von Ostarbeitern durch den Strang bezeichnet, die als Strafe für angeblich von ihnen begangene strafbare Handlungen durch die Gestapo angeordnet und durchgeführt wurde, ohne daß jedoch der Kreis dieser strafbaren Handlungen anders als mit den Worten umschrieben worden war, daß es sich um besonders schwere Fälle handeln solle und ohne daß der Hinrichtung ein gerichtliches Verfahren vorausging, das den Beschuldigten die Sicherung einer ausreichenden Verteidigung, des rechtlichen Gehörs und des Spruchs eines befehlsunabhängigen Gerichts geboten hätte."

f) Nach den Feststellungen des Nürnberger Juristenurteils (a.a.O. S. 112) wurden auf Anordnung Hitlers im Herbst 1944 die "Nacht- und Nebel-Verfahren" bei den Gerichten abgebrochen und der ganze Komplex der Gestapo übertragen, der auch die Gefangenen ausgeliefert wurden.

g) Nach den Feststellungen des Nürnberger Juristenurteils (a.a.O. S. 70) wurde der Angeklagte L., der wegen Eierhamsterns zu 2 1/2 Jahren Gefängnis verurteilt worden war, auf Weisung des Staatssekretärs Schlegelberger im Oktober 1941 "der Geheimen Staatspolizei zur Exekution überstellt", da Hitler - weil der Angeklagte Jude war - trotz des anders lautenden Gerichtsurteils die Todesstrafe verlangte.

h) Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts Frankfurt in einem Urteil vom 31. Juli 1947- 1 U 53/47- (NJW 1947/48 S. 24) wurde der Kläger, der anläßlich des Eindringens der amerikanischen Truppen in Metz am 2. September 1944 die weitere Kriegsführung für aussichtslos erklärt hatte, auf Anzeige hin von der Gestapo "wegen Wehrkraftzersetzung, Verstoßes gegen das Heimtückegesetz und wegen des Verdachts, ausländische Sender gehört zu haben, verhaftet und zunächst auf der Hauptwache in W., später im Gefängnis in L., zuletzt im Zuchthaus in D. gefangen gehalten, bis er am 1. Mai 1945 von amerikanischen Truppen befreit wurde."

i) Das Oberlandesgericht Celle stellt im Urteil vom 5. Dezember 1947 - 2 U 287/47 - (MDR 48 S. 174) fest, daß gegen eine bei der Gestapo denunzierte und von ihr festgenommene Frau "ein richterlicher Haftbefehl erlassen" worden sei zu dem Zweck, "die Klägerin der Gewalt der Gestapo zu entziehen", was der dem Gericht bekannten Handhabung in zahlreichen Fällen entsprochen habe.

k) In BGHZ 17, 327 (332/33) führt der Bundesgerichtshof aus:

"Unter diesem Blickpunkt kann auch eine wahre Anzeige eines Beleidigten nicht gebilligt werden, wenn sie den Angezeigten dem Mechanismus eines Staates ausliefert, dessen Führung jede ihr abträgliche Äußerung und Gesinnung unter Mißachtung der Würde des Menschen gewaltsam unterdrückt. Wird der Angezeigte Willkürmaßnahmen der Gestapo ausgeliefert und hat er eine unverhältnismäßig hohe, dem Unrechtsgehalt der Tat nicht entsprechende Strafe zu erwarten, so dient das dem Staatsbürger zustehende Recht zur Anzeige einer strafbaren Handlung nicht mehr der Rechtsverwirklichung, sondern wird mißbraucht, um Unrecht herbeizuführen."

I) Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28. Juni 1956 (3 StR 366/55) enthält auf Seite 10 ff. folgende Darlegungen:

"Dr. M., ein katholischer Weltpriester, in der Una-Sancta-Bewegung tätig, schenkte der Angeklagten, die Anteilnahme an seinen Bestrebungen vortäuschte, während sie in Wirklichkeit für die Gestapo bespitzelte, unumschränktes Vertrauen. Er rechnete mit dem Zusammenbruch des Hitlerstaates und plante die Übermittlung einer Denkschrift an den schwedischen Erzbischof Eidem zur Weiterleitung an englische Bischöfe und unter Umständen über diese auch an die englische Regierung. Darin trat er für christliche, demokratische, soziale und rechtsstaatliche Grundsätze beim künftigen Aufbau des deutschen Staates und für die Ausschaltung der Nationalsozialisten von politischer Betätigung nach dem Zusammenbruch ein. Die Angeklagte erbot sich zum Scheine, dem Erzbischof Eidem ein solches Schriftstück anläßlich der nächsten Reise nach Schweden zu überbringen. Nachdem sie es erhalten hatte, benachrichtigte sie die Gestapo, welche Dr. M. am 28. Juni 1943 festnahm und das Schriftstück bei ihr ,fand'. M., der den Sachverhalt sofort zugab, kam in Gestapohaft. Er wurde am 4. Oktober 1943 vom Volksgerichtshof wegen Feindbegünstigung (ehemaliger § 91 b StGB) zum Tode verurteilt und im April 1944 nach entwürdigender Behandlung in der Haft hingerichtet.

Es mag ideelle Feindbegünstigung sein, wenn während eines Krieges, der nicht die besonderen Merkmale des von Hitler angezettelten Expansionskrieges trägt, eine hervorragende Persönlichkeit mit der eigenen Kriegsführung abträglichen Kundgebungen öffentlich hervorträte. Es ist Feindbegünstigung, wenn nicht bloße Meinungsäußerung, sondern Verleitung zur Fahnenflucht oder unmittelbare Zermürbung der pflichtgemäßen Dienstwilligkeit Wehrpflichtiger im Kriege stattfindet. Als Feindbegünstigung ist es ferner vom Reichsgericht im Jahre 1917 angesehen worden, wenn unter den damals bestehenden Umständen die Volksüberzeugung von der Gerechtigkeit der eigenen Sache planmäßig beeinträchtigt wurde (GA 64, 551). Derartige Einwirkungen scheiden hier ebenfalls aus.

Völlig anders ist das Verhalten Dr. M.s unter den für ihn maßgebenden Umständen zu bewerten. Er beschränkte sich auf eine politische, nicht zur Kenntnis Deutscher bestimmte Meinungsäußerung von lauterer Wahrheit unter äußeren Umständen, die zum geistigen und sittlichen Widerstand herausforderten und berechtigten. Hitler hatte, wie geschichtlich feststeht, einen unheilvollen, seiner Vorherrschaft dienenden Angriffskrieg entfesselt und Deutschlands geachtete Stellung zerstört. In seinem Machtbereich hatte er bereits lange vorher und erst recht nach dem Kriegsbeginn die Menschenrechte planmäßig mißachtet, schwerste Verbrechen begangen und andere zu solchen Verbrechen verleitet. Hiergegen wann immer in angemessener Weise durch das Wort aufzutreten und die Rückkehr zu Ehre, Anstand und Recht im Staatsleben zu fordern, kann auch im Kriege niemandem verwehrt werden. So weit ist Dr. M. jedoch nicht einmal gegangen. Er hat seine gerechte Forderung für den Fall des von ihm als gewiß vorausgesehenen Zusammenbruchs erhoben und im wahren Interesse Deutschlands hochgestellten ausländischen Gleichgesinnten übermitteln wollen. Eine derartige lautere Meinungskundgabe ist mangels Tatbestandsmäßigkeit keine Feindbegünstigung.

Das angefochtene Urteil zeigt jedoch außerdem, daß Dr. M. die Denkschrift schwerlich verfaßt, jedenfalls aber nicht aus der Hand gegeben hätte, wenn ihm nicht die Gestapo durch Vortäuschen der Übermittlungsmöglichkeit nach Schweden mit Hilfe der Angeklagten eine Falle gestellt hätte. Ohne eine solche Übermittlung war M.s Plan in dieser Form und zu dieser Zeit undurchführbar. M. ist also in das nach Ansicht des Volksgerichtshofs strafbare Verhalten, das er bis dahin nur erwogen hatte und das ihm allerdings auch am Herzen lag, regelrecht hineingelockt worden. Es bietet sich das Bild einer Verfolgungsbehörde, die den ,Verdächtigen' zur ,Tat' anreizt, um ihn dann zu überführen... . Nach der bindenden Feststellung des Schwurgerichts hätte dieses ,Geständnis' vom Standpunkt der Gestapo aus zur Erwirkung eines richterlichen Haftbefehls gegen Dr. M. ausgereicht, wenn auch in derselben Sache noch weitere Ermittlungen gegen ihn geführt wurden. Er ist jedoch entgegen § 128 StPO noch mindestens drei Monate ohne richterlichen Haftbefehl in Gestapohaft gehalten worden, und zwar unter Hungern und Frieren. Aus beiden Gründen beurteilte das Schwurgericht diese Haft zutreffend als vorsätzliche schwere Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 2 StGB)."

Aus diesen hier nur beispielsweise angeführten Gerichtsurteilen geht mit aller Deutlichkeit hervor, wie sehr das gesamte Verfahren der Gestapo Unrechts- und Willkürcharakter trägt. Das Gericht hat davon abgesehen, die einschlägigen Beispiele aus dem Verhalten der Gestapo gegenüber sonstigen dem Nationalsozialismus feindlichen kirchlichen und politischen Kreisen heranzuziehen, wie sie in zahlreichen Gerichtsurteilen und Erlebnisberichten der Öffentlichkeit bekannt geworden sind.

Unerheblich ist es dabei, ob in den Strafverfahren gegen Gestapobeamte die Angeklagten verurteilt worden sind oder ob in subjektiver Hinsicht Zweifel erhoben werden konnten (vgl. gegen das Bayerische Oberste Landesgericht: BGHSt. 2, 234). Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang allein der objektive Unrechtscharakter des Aufgabengebietes selbst, das der Gestapo übertragen worden war.

4. Der Bundesgesetzgeber hat den Regelungsauftrag des Art. 131 GG im Zusammenhang der ganzen rechtsstaatlichen Verfassungsordnung zutreffend dahin ausgelegt, daß die Bediensteten der Gestapo - gleichgültig an welcher Stelle und in welcher Funktion sie standen - bei der Zuwendung von Leistungen einer besonderen staatlichen Fürsorge auf beamtenrechtlicher Grundlage nicht zu berücksichtigen waren. Denn der Auftrag konnte nicht dahin gehen, auch solche Beamtengruppen in diese Fürsorge einzubeziehen, deren generelle Berücksichtigung dem Geist der Verfassungsordnung, von der Art. 131 GG selbst ein Teil ist, widersprochen hätte. Da einerseits die Beamtenverhältnisse und die aus ihnen etwa hervorgehenden Rechtsansprüche für die Zukunft mit dem 8. Mai 1945 erloschen waren, andererseits der von Art. 13i GG erfaßte Personenkreis tatsächlich öffentlichen Dienst geleistet hatte und seine Tätigkeit in erheblichem Umfange dem Staate als solchem zugute gekommen war, konnte der Verfassungsauftrag nur dahin verstanden werden, daß die neue Fürsorgeregelung in Anlehnung an Grundsätze des öffentlichen Dienstes, hier also an beamtenrechtliche Grundsätze, getroffen werden sollte (BVerfGE 3, 134). Dabei war jedoch für die neue generelle Regelung ohne entscheidende Bedeutung, ob die von ihr erfaßten Beamten früher aus einem formell gleichen beamtenrechtlichen Rechtsverhältnis gleichartige Rechtsansprüche gehabt hatten. Der Gesetzgeber war vor allem gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an die neue verfassungsmäßige Ordnung gebunden, die es ihm selbstverständlich verbot, staatliche Sonderleistungen generell auch solchen früheren Angehörigen des öffentlichen Dienstes neu zu gewähren, deren Tätigkeit im ganzen gesehen vor allem der Aufrechterhaltung des Unrechts und Willkürsystems des Nationalsozialismus gedient hat. Für solche "Staatsdiener" des nationalsozialistischen Regimes konnte gerade auch unter Berücksichtigung des Art. 3 GG weder eine generelle staatliche Versorgung, die über den Rahmen allgemeiner Fürsorge hinausging noch gar die Eröffnung genereller Chancen für eine Wiederverwendung im Dienst des freiheitlich- demokratischen Staates in Betracht kommen. Insbesondere verlangte es die durch Art. 33 Abs. 5 GG gebotene Rücksicht auf die Integrität der staatlichen Verwaltung im erneuerten Rechtsstaat, daß der Beamtenschaft jede generelle beamtenrechtliche Verbindung oder Beziehung zu derartigen früheren Beamtengruppen ferngehalten wurde.

Im Rahmen dieser verfassungsrechtlich gebotenen Regelung mußte es auch ohne Bedeutung bleiben, ob alle Beamten einer solchen Sondergruppe, hier also der Gestapo, sich des Unrechtscharakters ihrer Organisation bewußt gewesen sind und in welchem Umfang der einzelne etwa selbst zu offensichtlich erkennbarem Unrecht mit herangezogen worden war. Auch solche Gestapobeamte, die diesen Unrechtscharakter ihrer Organisation, der für alle nicht nationalsozialistisch verblendeten Deutschen klar erkennbar war, subjektiv nicht erkannt haben oder gar der Auffassung gewesen sein sollten, durch staatliches Gesetz und höhere Weisung sei ihr gesamtes Tätigkeitsgebiet zu einer echten legitimen Staatsaufgabe geworden, lassen so sehr die für einen Beamten des freiheitlich- demokratischen Rechtsstaates unerläßlich Staats- und Rechtsauffassung vermissen, daß sie generell in keine wie immer geartete beamtenrechtliche Bindung an diesen Staat oder in ein Versorgungsverhältnis zu ihm gebracht werden dürfen. Wenn in Kreisen dieser Beamten die Auffassung vertreten wird, "die Aufgaben der Gestapo im ,Dritten Reich' (hätten) sich in nichts von den Aufgaben der politischen Polizeien anderer Länder" unterschieden, die Gestapo habe bei den Judenevakuierungen lediglich "für die Ausrüstung der Juden auf den Transporten mit Kleidung und Lebensmitteln gesorgt, es habe sich hierbei auch nicht um eine Aufgabe der Gestapo in ihrer Gesamtheit, sondern der Beamten der Judenreferate bei den Staatspolizeistellen gehandelt", oder "bei dem sogenannten Kugelbefehl, auf Grund dessen flüchtige Kriegsgefangene Offiziere und Unteroffiziere nach Wiederergreifung dem Chef der Sicherheitspolizei und des SD zu überlassen waren", sei der (Gestapo "lediglich die Aufgabe zugefallen, diese Gefangenen nach Mauthausen zu überführen, wo sie - aber nicht von der Gestapo! - erschossen wurden" (so Sendel in Verbaost. 1955 Nr. 8 S. 135 ff), so fällt es schwer, dergleichen als nur naiven Versuch der Verharmlosung beispielloser Untaten aufzufassen; jedenfalls zeigt es mit besonderer Eindringlichkeit, welche Gefahren entstünden, wenn Auffassungen dieser Art, die den Unterschied der Gestapoaufgaben von einer rechtsstaatlichen politischen Polizei subjektiv nicht zu erkennen vermögen, in das Beamtentum des demokratischen Staates eindrängen. Die gleiche Mentalität tritt in der "Denkschrift des Bundes Deutscher Poli zeibeamten e. V. über Die Geheime Staatspolizei, Ihre geschichtliche Entwicklung und Organisation, Ihre Beamten und deren Rechtsstellung im Gesetz zu Art. 131 GG und im Regierungsentwurf des Bundesbeamtengesetzes" zutage, in der sich über die Aufgaben der Gestapo nachstehende Angaben finden:

"Wenn der Geheimen Staatspolizei im nationalsozialistischen Führerstaat im Laufe der Jahre Aufgaben zugewiesen wurden, die früher im Deutschen Reich nicht zum Arbeitsgebiet der politischen Polizei gehört haben, so lag dies an der fortschreitenden ,weltanschaulichen' Ausrichtung der Staatsverwaltung und an der stärkeren Durchsetzung und Intensivierung des nationalsozialistischen Parteiprogramms. ...

Die Evakuierung der Juden war in Erlassen des Chefs der Deutschen Polizei im einzelnen geregelt. Nach dem Erlaß vom 24.10.1941 trafen die örtlichen Gestapostellen mit den jüdischen Gemeinden die Vorbereitungen der Evakuierung... .
Im April 1942 gab Hitler - wie man heute weiß - dem Begriff der ,Endlösung der Judenfrage' eine neue Bedeutung. Die nun befohlene physische Vernichtung der Juden in bestimmten Vernichtungslagern vollzog sich jedoch unter strengster Geheimhaltung. ...

Da die Verbringung in derselben Weise vorgenommen wurde, wie die Evakuierungen, wurde so bewußt und absichtlich die Annahme aufrechterhalten, daß es sich nach wie vor um nichts anderes als eine Aussiedlung der Juden handle."

Hier wird also die Auffassung vertreten, die Gesamtevakuierung einer bestimmten Gruppe von deutschen Staatsangehörigen, die nach bestimmten sogenannten Rassemerkmalen abgegrenzt war, über die Reichsgrenze hinaus ins Ungewisse - und zwar ohne Rücksicht auf Alter, Arbeitsfähigkeit oder Gesundheit habe als vollkommen legitime Staatsaufgabe angesehen werden können, sofern nur der Zweck der physischen Vernichtung nicht offensichtlich erkennbar war, vielmehr nach außen hin der Anschein einer bloßen "Aussiedlung" aufrechterhalten wurde. Frühere Beamtengruppen, bei denen eine solche Rechtsauffassung über Beamtenpflichten und legitime Staatsaufgaben vertreten wird, würden, wenn man sie generell in irgendeine beamtenrechtliche Beziehung zum freiheitlich- demokratischen Staat bringen wollte, eine Gefahr für dessen verfassungsmäßige Ordnung bedeuten. Das gilt naturgemäß erst recht für diejenigen Beamten, die darüber hinaus in Kenntnis des Unrechtsgehalts, wenn auch vielleicht mit Widerstreben oder lediglich zur Sicherung ihrer Berufsstellung, in einer derartigen Organisation mitgewirkt haben.

Mit diesem verfassungsrechtlich gebotenen generellen Ausschluß der Gestapo von der Regelung nach dem G 131 ist nicht schon entschieden, daß auch nicht einzelne frühere Gestapobeamte nach Prüfung ihres persönlichen Verhaltens, insbesondere nach individueller Bewährung oder innerer Umkehr, in einem individuellen Verfahren und ohne Rechtsanspruch, also gleichberechtigt mit allen sonstigen Staatsbürgern, auf Antrag wieder in den Staatsdienst aufgenommen werden könnten - wie ja gerade auch der Beschwerdeführer nach einer gewissen Wartezeit wieder zum Beamten ernannt worden ist. Art. 131 GG konnte naturgemäß nur eine generelle Sonderregelung für frühere Angehörige des öffentlichen Dienstes treffen.

Es kann keine Rede davon sein, daß dieser Ausschluß der Gestapo von der Regelung des G 131 einer Kollektivstrafe gleich komme. Die Nichtgewährung neuer Rechtsansprüche ist keine Strafe. Deshalb geht auch der Hinweis darauf fehl, daß das Urteil des Internationalen Militärgerichtshofs bestimmte Gruppen von Gestapoangehörigen von der generellen Feststellung, daß die Gestapo eine verbrecherische Organisation gewesen sei, ausgenommen habe. Dort hat es sich in der Tat um ein Verfahren strafrechtlicher Art gehandelt, das zu der sehr schwerwiegenden, das Gebiet des Moralischen berührenden Feststellung führte, die Gestapo sei eine verbrecherische Organisation. Es war natürlich, daß von diesem persönlichen Schuldvorwurf diejenigen ausgenommen wurden, die nach der Art ihrer Tätigkeit nur eine losere Beziehung zu den Sachaufgaben der Gestapo hatten. Das ist etwas ganz anderes als die Entscheidung der Frage, ob den Angehörigen der Gestapo neue beamtenrechtliche Rechtsansprüche gegen den Staat verliehen oder ob sie generell in irgendeine beamtenrechtliche Beziehung zum Staat gebracht oder von ihm irgendwie versorgt werden sollten. Hier kann dem einzelnen, der an den Unrechtsmaßnahmen der Gestapo nicht beteiligt gewesen ist, nur auf dem im vorigen Absatz bezeichneten Wege geholfen werden.

5. Es könnte sich also lediglich die Frage erheben, ob dem Gesetzgeber etwa deshalb ein Verstoß gegen Art. 3 GG zur Last fiele, weil er möglicherweise auch andere Beamtengruppen trotz des Unrechtscharakters ihres Arbeitsgebietes berücksichtigt und dadurch gegenüber der Gestapo bevorzugt habe. Es ist hier dem Gesetzgeber zuzugestehen, daß die Abgrenzung für ihn schwierig war, da - wie die Ausführungen zu C I. gezeigt haben - nationalsozialistische Unrechts- und Willkürmaßnahmen weit über den Bereich der politischen Polizei hinaus die Integrität des Beamtentums beeinflußt hatten. Wenn der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, daß unter den früheren staatlichen Behörden nur bei der Gestapo die Aufgaben von deutlichem Unrechtscharakter den Schwerpunkt gebildet haben, so kann ihm der Vorwurf willkürlicher Abgrenzung bei einer notwendig generellen Regelung nicht gemacht werden. Da es sich im übrigen für den Gesetzgeber nicht darum handelte, Regelungen für fortbestehende Beamtenverhältnisse zu treffen, sondern nach dem Erlöschen der früheren Beamtenverhältnisse neue Rechte zu gewähren, so konnte die Tatsache allein, daß auch die Gestapobeamten Beamte gewesen waren, ihre Gleichstellung mit allen sonstigen früheren Beamten nicht erforderlich machen.