Art. 131 GG

BVerfG, 07.05.1963 - 2 BvR 481/60

1. Hinsichtlich des Kernbestandes seines Anspruches auf standesgemäßen Unterhalt steht dem Beamten und dem Berufssoldaten ein durch seine Dienstleistung erworbenes Recht zu, das der Staat nicht ohne Kompensation entziehen kann.
2. Die vermögensrechtlichen Ansprüche der Berufssoldaten werden nicht durch Art. 33 Abs. 5 GG, sondern durch Art. 14 GG geschützt. Die völlige Entziehung des vor dem Zusammenbruch rechtswirksam entstandenen Versorgungsanspruches eines Berufssoldaten durch das Gesetz zur Ausführung des Art. 131 GG verstieß gegen Art. 14 GG.

BVerfG, 11.12.1962 - 2 BvL 2/60; 2 BvL 3/60; 2 BvL 21/60; 2 BvL 24/60; 2 BvL 4/61; 2 BvL 17/61

1. Die Bedeutung des dem Bundesgesetzgeber in Art. 131 GG erteilten Gesetzgebungsauftrages für die bundesstaatliche Kompetenzverteilung läßt sich aus diesem Artikel selbst, ohne Rückgriff auf die Art. 70 ff. GG, erschließen.
2. Durch Art. 131 Satz 3 GG wurde die landesrechtliche Kompetenz zur vorläufigen Ordnung der Materie aufrechterhalten, und es wurde die "landesrechtliche Regelung", gleichgültig, ob sie bereits getroffen war oder bis zum Inkrafttreten des G 131 noch getroffen werden würde, als solche bestehen gelassen und nicht zu Bundesrecht erhoben.
3. Spätestens mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes hat Art. 129 Abs. 1 Satz 3 der Weimarer Reichsverfassung jede Geltung verloren.
4. Für die Frage, wie Staatszusammenbrüche im Bereich des Beamtenrechts zu liquidieren sind, gibt es keine "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums".
5. Es verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz, wenn ein Land sich bemüht, soweit wie möglich die Gleichbehandlung aller unter Art. 131 GG fallenden Beamten in seinem Gebiet durchzusetzen, also die günstigere vorläufige Regelung der Rechtsverhältnisse der seiner Gesetzgebungsgewalt unterworfenen Beamten derjenigen der Beamten angleicht, die unter Kapitel I und § 62 G 131 fallen, auch wenn ein Teil der von dem früheren Landesgesetz betroffenen Beamten bereits endgültig eine bessere Versorgung erlangt hat.
6. Wird ein Gesetz, das staatliche Leistungen gewährt, geändert, so kann sich die Änderung der Rechtsgrundlage nur auf die Einzelmaßnahmen auswirken, die nach der Verkündung des Änderungsgesetzes getroffen werden. Es verstößt gegen das Rechtsstaatsprinzip, einem Gesetz Rückwirkung der Art beizulegen, daß auch einer in der Rückwirkungszeit vorgenommenen rechtsbegründenden Einzelmaßnahme nachträglich die Rechtsgrundlage entzogen wird mit der Folge, daß der Betroffene so behandelt werden soll, als sei sie niemals getroffen worden.

BVerfG, 05.03.1958 - 2 BvF 4/56

1. Art. 131 GG ist gegenüber Art. 72 ff., 105, 106, 109 und 120 GG lex specialis und begründet für den Bundesgesetzgeber einer Sonderkompetenz. Die durch Art. 131 GG eingeräumte weite gesetzgeberische Freiheit findet u.a. ihre Schranke in dem aus dem Gleichheitssatz entwickelten Gebot, willkürliche Regelungen zu unterlassen.
2. Die Neuordnung der Verhältnisse der unter Art. 131 GG fallenden Personen ist eine allen öffentlichen Dienstherren obliegende Aufgabe. Die Heranziehung der Dienstherren außer dem Bund zur Zahlung der Ausgleichsbeträge nach § 14 Abs. 2 G 131 ist durch die Ermächtigung des Art. 131 GG gedeckt und widerspricht nicht dem Gleichheitssatz.

BVerfG, 16.10.1957 - 1 BvL 13/56; 1 BvL 46/56

1. Soweit das förmliche Disziplinarverfahren nach § 9 Abs. 1 Satz 1 G 131 "Dienstvergehen" aus der Zeit vor Inkrafttreten des G 131 betrifft, die von Beamten zur Wiederverwendung und ihnen gleichstehenden Berufssoldaten begangen worden sind, handelt es sich um ein nachträgliches individuelles Ausleseverfahren. Die Rechtsstellung eines Betroffenen in diesem Verfahren entspricht sachlich derjenigen eines Beamten, dessen Ernennung nach §§ 12, 13 BBG zurückzunehmen ist.
2. Die Rechte und Chancen aus dem G 131 sind von vornherein mit dem in § 9 Abs. 1 Satz 1 G 131 liegenden Vorbehalt gewährt, daß sie in einem mit besonderen Garantien versehenen gerichtlichen Verfahren im Einzelfalle nachträglich aberkannt werden können.
3. Das Gesetz vom 5. August 1955 (BGBI. I S. 497) ist weder ein "Einzelfall"- noch ein "Einzelperson"-Gesetz.
4. Ergänzende gesetzliche Regelungen, die Irrtümer des Gesetzgebers mit Rückwirkung beseitigen und Lücken schließen wollen, sind unter bestimmten Voraussetzungen mit dem Grundgesetz auch dann vereinbar, wenn sie in Rechtspositionen eingreifen, die durch das ergänzte Gesetz gewährt waren.

BVerfG, 20.02.1957 - 1 BvR 441/53

1. Führt der Gesetzgeber den Verfassungsauftrag zum Erlaß eines bestimmten Gesetzes infolge unrichtiger Auslegung des Grundgesetzes nur teilweise aus und verletzt er durch die Nichtberücksichtigung eines bestimmten Bevölkerungskreises Grundrechte aus Art. 3 GG, so kann auch gegen sein teilweises Unterlassen eine Verfassungsbeschwerde erhoben werden. Eine solche Verfassungsbeschwerde kann nur zu der Feststellung führen, daß der Gesetzgeber durch sein Unterlassen Grundrechte verletzt habe. Eine deshalb ergänzungsbedürftige Teilregelung ist dann nicht verfassungswidrig, wenn das Grundgesetz zeitlich aufeinander folgende Teilregelungen zuläßt und eine dem Art. 3 GG entsprechende Ergänzung des Gesetzes noch möglich ist.
2. § 93 BVerfGG setzt Fristen zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde nur für den Fall, daß die öffentliche Gewalt durch positive Handlungen Grundrechte verletzt hat.
3. Art. 131 GG will denjenigen Personen eine besondere staatliche Fürsorge zuteil werden lassen, die im Dienste des öffentlichen Gemeinwesens gestanden hatten, nicht jedoch denjenigen, die bei privaten Arbeitgebern tätig gewesen waren.

BVerfG, 19.02.1957 - 1 BvR 357/52

1. Das Bundesverfassungsgericht hält an seiner in BVerfGE 3, 58 ff. vertretenen Rechtsauffassung fest, daß alle Beamtenverhältnisse zum Deutschen Reich mit dem 8. Mai 1945 erloschen sind.
2. Die generelle Nichtgewährung neuer Rechtsansprüche an die früheren Angehörigen der Gestapo nach dem Ausführungsgesetz zu Art. 131 GG ist mit dem Grundgesetz vereinbar; sie ist keine Kollektivstrafe.
§ 3 Nr. 4 des Ausführungsgesetzes zu Art. 131 GG wäre nur dann verfassungswidrig, wenn die Beamtenverhältnisse der Gestapo über den 8. Mai 1945 hinaus bestehen geblieben wären.

BVerfG, 17.12.1953 - 1 BvR 335/51

1. Der in Art. 131 GG umschriebene Personenkreis wird nicht dadurch unzulässig erweitert, daß das G 131 an Stelle der Worte "aus anderen ... Gründen ausgeschieden sind", die Worte gebraucht: "aus anderen ... Gründen ihren Arbeitsplatz verloren haben".
2. Die Nachprüfung der Auslegung einfacher Gesetze durch die Gerichte ist dem Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde gegen Urteile im allgemeinen entzogen. Es ist kein Revisionsgericht. Sein Prüfungsrecht setzt erst dann ein, wenn ein Beschwerdeführer behauptet, die Unrichtigkeit der Auslegung einer Norm liege gerade darin, daß ihr ein verfassungswidriger Sinn gegeben werde.
3. Ein verfassungsrechtlicher Grundsatz, daß zur persönlichen Unabhängigkeit eines Richters seine Anstellung auf Lebenszeit erforderlich sei, besteht nicht.

BVerfG, 17.12.1953 - 1 BvL 59/52

1. Es besteht kein Rechtsanspruch des einzelnen Gemeindeangestellten gegen den früheren Dienstherrn auf Unterbringung nach dem G 131.
2. Bei der Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG erstreckt sich die Prüfung des Bundesverfassungsgerichts auf die Vereinbarkeit der Norm mit allen in Betracht kommenden Bestimmungen des Grundgesetzes; das vorlegende Gericht kann die Prüfung nicht auf die Frage der Vereinbarkeit mit einem bestimmten Artikel des Grundgesetzes beschränken.
3. Der Auftrag des Art. 131 GG, die Rechtsverhältnisse des betroffenen Personenkreises durch Bundesgesetz zu regeln, hindert den Bundesgesetzgeber nicht daran, seine Befugnis zur Rechtsetzung im Rahmen des Art. 80 Abs. 1 GG zu übertragen.
4. § 52 G 131 stellt durch die Bezugnahme auf die Abschnitte II und IV des Gesetzes die Rechtsverhältnisse der versorgungsberechtigten Angestellten so weit klar, daß mit den üblichen Mitteln richterlicher Auslegung Einzelfälle entschieden werden können. Daß sich dabei Zweifel ergeben können, berechtigt den Richter nicht dazu, die Auslegung überhaupt abzulehnen.
5. Der Auftrag des Art. 131 GG ging nicht dahin, allen Betroffenen auch dann neue subjektive Rechte zu verleihen, wenn sie nach dem 8. Mai 1945 keine Rechtsansprüche hatten.
6. Gehaltsforderungen für die Zeit zwischen dem 8. Mai 1945 und dem Termin, an dem ein Angestellter zum Zwecke der politischen Überprüfung von seinem Arbeitsplatz entfernt wurde, werden durch § 77 Abs. 1 G 131 nicht berührt.
7. Die von der britischen Militärregierung durchgeführten oder veranlaßten Amtsentfernungen haben das Angestelltenverhältnis nicht nur suspendiert, sondern rechtswirksam beendet.