BGH, 09.01.1963 - 4 StR 443/62
Nach § 8 Abs. 2 JGG ist es ausgeschlossen, Jugendarrest (§ 13 Abs. 2 Nr. 3 JGG) neben einer gleichzeitigen Aussetzung der Verhängung einer Jugendstrafe nach § 27 JGG auszusprechen.
Gründe
Das Jugendschöffengericht hat den Angeklagten der Nötigung zur Unzucht schuldig gesprochen, die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe nach § 27 JGG ausgesetzt und gleichzeitig auf Jugendarrest erkannt.
Die Revision des Angeklagten rügt Verletzung der §§ 8 Abs. 2 Satz 2, 27 JGG.
Das Oberlandesgericht in Düsseldorf erachtet die Revision für begründet, sieht sich jedoch an seiner Entscheidung durch das Urteil des Kammergerichts vom 6. Februar 1961 (NJW 1961, 1175 Nr. 18) gehindert. Hier ist ausgesprochen, daß neben der Entscheidung gemäß § 27 JGG die Verhängung von Jugendarrest zulässig sei, da eine solche Koppelung insbesondere weder gegen den Grundsatz der Einspurigkeit noch gegen das Verbot der Doppelbestrafung verstoße.
Das Oberlandesgericht hat die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung der Rechtsfrage vorgelegt, ob § 8 Abs. 2 Satz 2 JGG die gleichzeitige Verhängung von Jugendarrest neben einer Entscheidung nach § 27 JGG ausschließe.
Die Vorlegungsvoraussetzungen im Sinne des § 121 Abs 2 GVG sind gegeben. Der Senat stimmt der Meinung des vorlegenden Gerichts zu.
Das Kammergericht ist der Auffassung, daß nach der Vorschrift des § 8 Abs. 2 Satz 2 JGG nur die gleichzeitige Verhängung mehrerer freiheitsentziehender Maßnahmen verboten sei. Da aber durch die Entscheidung nach § 27 JGG eine Freiheitsentziehung zunächst nicht herbeigeführt werde, bleibe der Freiheitsentzug auch dann "einspurig", wenn gleichzeitig auf Jugendarrest erkannt werde. Daß im Nachverfahren nach § 30 JGG eine Jugendstrafe verhängt werden könne, sei hierbei ohne Bedeutung. Eine gleichzeitige Verhängung im Sinne des § 8 Abs. Satz 2 JGG liege jedenfalls nicht vor.
Ob dieser Auslegung zu folgen ist, hängt vom Sinn und Zweck der genannten Vorschrift ab.
§ 8 JGG läßt grundsätzlich eine Koppelung von Erziehungsmaßregeln in größerem Umfang zu. Der Grund hierfür liegt darin, daß der Richter durch sinnvolle Verbindung verschiedene Maßnahmen die erzieherisch höchstmögliche Wirkung anstreben soll. Er kann auf diese Weise sühnende und erzieherische Maßnahmen miteinander verbinden und dadurch allen im Jugendstrafrecht zu verfolgenden Zielen Genüge tun (Dallinger/Lackner JGG 1955 § 8 N. 2). Da jedoch die Koppelung bestimmter Maßnahmen sinnwidrig oder aus Erziehungsgründen unzweckmäßig ist, hat das Gesetz einige zwingende Ausnahmen angeordnet. Hierzu gehört das Verbot der Verbindung von Jugendstrafe und Jugendarrest. Hiermit hat das Gesetz den Grundsatz der sog. "Einspurigkeit" des Freiheitsentzuges verwirklicht.
Der innere Grund für diese Bestimmung liegt darin, daß Jugendarrest und Jugendstrafe ihrem Sinn und ihrer Zielsetzung nach verschiedenen Aufgaben dienen sollen (Dallinger/ Lackner a.a.O. § 8 N. 10). Sie sind daher auch an das Vorliegen verschiedener Voraussetzungen geknüpft.
Der Jugendarrest ist seinem Wesen nach als ein Ahndungsmittel eigener Art ausgestaltet. Er enthält in sich sowohl Elemente der Strafe als auch der Erziehungsmaßregel. Er ist ein kurzfristiger Freiheitsentzug mit sühnendem und erzieherischem Charakter. Soweit er Elemente der Strafe enthält, soll er Ausgleich für begangenes Unrecht sein und durch seine Einflußnahme auf den Jugendlichen auch der Besserung dienen, ferner vermöge seines harten Vollzugs abschreckend wirken (Dallinger/Lackner a.a.o. § 16 N. 4). Von der Jugendstrafe, die den Täter entsühnen und in die Gesellschaft wieder einordnen soll, unterscheidet er sich dadurch, daß er eine "mehr schreckhaft empfundene harte Zurechtweisung sein soll, die wohl eine ernste Mahnung, in der Regel aber keine volle Sühne für das begangene Unrecht darstellt." Seine Zwecksetzung ist daher von der Jugendstrafe verschieden und vor allem weniger weitreichend. Soweit es sich um das Ziel der Erziehung handelt, soll dieses durch einen kurzen und harten Zugriff, der das Ehrgefühl anspricht und für die Zukunft eine eindringliche Warnung ist, erreicht werden. Im Gegensatz zur Strafe ist er also nicht auf die Durchführung eines umfassenden Erziehungsprozesses zugeschnitten. Er soll durch seine Einmaligkeit und seine Kürze wirken und durch diesen eindringlichen und fühlbaren Ordnungsruf den Jugendlichen davor schützen, auf dem erstmalig eingeschlagenen Weg fortzufahren. Eine längere Freiheitsentziehung würde gerade diese erzieherische Wirkung nicht erreichen können (Dallinger/Lackner a.a.O. § 16 N. 6). Der Erziehungszweck soll hier gerade durch eine länger dauernde, umfassende Einwirkung auf den Täter erreicht werden. Dies gilt für die Jugendstrafe insbesondere dann, wenn die Entscheidung über deren Verhängung gemäß § 27 JGG ausgesetzt wird. Denn die Aussetzung gemäß dieser Vorschrift ist nur zulässig, wenn die Möglichkeit besteht, daß in der Straftat schädliche Neigungen von einem Umfang hervorgetreten sind, daß eine Jugendstrafe erforderlich ist. Die Jugendstrafe, die wegen der Schwere der Schuld ausgesprochen werden muß (§ 17 JGG), scheidet für die Aussetzung gemäß § 27 JGG aus (vgl. Richtlinien zu § 27 JGG Nr. 1). Mithin kommt die gesamte Gelegenheits- und Konfliktskriminalität als Anwendungsgebiet für die Verhängung der Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen nicht in Betracht. Diese kann vielmehr regelmäßig nur bei Tätern mit schweren Anlage- oder Entwicklungsschäden verhängt werden, deren Beseitigung in einem länger dauernden Strafvollzug versucht werden soll. Im Gegensatz hierzu kommt der Jugendarrest vor allem in Betracht für Verfehlungen aus Unachtsamkeit, jugendlichem Kraftgefühl oder Übermut, aus typisch jugendlichen Neigungen und jugendlichem Vorwärtsstreben, jugendlicher Trotzhaltung, jugendlicher Abenteurerlust, mangelnder Selbständigkeit sowie bei Gelegenheits- und Augenblicksverfehlungen, die sich aus einer plötzlich auftretenden Situation ergeben, ohne daß der Täter sonst zu kriminellem Verhalten neigt (vgl. Peters Kommentar zum ReichsJGG 2. Aufl. 1944 § 7 Anm. 1; Schmidhäuser MoKrimBi 30, 257, 272 ff., Dallinger/Lackner a.a.O. § 16 N. 24 bis 32). Die Anwendungsbereiche der beiden Maßnahmen schließen einander somit aus. Darauf beruht das Koppelungsverbot des § 8 Abs. 2 Satz 2 JGG.
Hiernach kann es nicht der Sinn dieser Vorschrift sein, daß sie nur die gleichzeitige Verhängung beider Freiheitsentziehungen verbietet, wie das Kammergericht und Grethlein (NJW 1957, 1462 ff.) meinen. Der Sinn kann vielmehr nur darin liegen, daß auf einen Täter wegen derselben Tat nicht beide Maßnahmen zur Anwendung kommen sollen. Diese Folge würde aber eintreten, wenn der Richter bei der Entscheidung gemäß § 27 JGG neben der Aussetzung Jugendarrest verhängen und sodann auf Grund des § 30 JGG zur Anordnung der Jugendstrafe gelangen würde. Die gegenteilige Ansicht würde ferner zur Folge haben, daß der Jugendarrest vollzogen würde, obwohl seine Voraussetzungen nicht festgestellt sind. Denn die Entscheidung nach § 27 JGG setzt gerade voraus, daß der Richter in der Hauptverhandlung nicht feststellen kann, ob schädliche Neigungen vorliegen oder nicht, also nicht entscheiden kann, ab die Verhängung einer Jugendstrafe oder möglicherweise des Jugendarrestes in Betracht kommt. Eine so einschneidende Maßnahme, wie sie eine Freiheitsentziehung ist, auf die Gefahr hin anzuordnen, daß sich nachträglich herausstellt, ihre im Gesetz geforderten Voraussetzungen seien nicht ,gegeben, ist untragbar.
Allerdings hat der hier vertretene Standpunkt zur Folge, daß der Richter bei seiner Entscheidung nach § 30 JGG, wenn schädliche Neigungen nicht festzustellen sind, auch kein ihm geeignet erscheinendes Erziehungs- oder Zuchtmittel verhängen kann. Die abschließende Entscheidung gemäß § 30 JGG kann nur dahin lauten, eine Jugendstrafe auszusprechen oder die Tilgung des Schuldspruchs anzuordnen. Eine weiter Möglichkeit der Verfahrensbeendigung ist im Gesetz nicht vorgesehen (Dallinger/Lackner a.a.O. § 30 N. 2). Wie die Entstehungsgeschichte ergibt, hatte der Regierungsentwurf in § 13 Abs. 2 dem Richter noch weitere Möglichkeiten an die Hand geben wollen. Dies ist aber bei den Beratungen ausdrücklich abgelehnt worden (BT Drucks. 1. Wahlperiode Nr. 3264 S. 4; 6. Kurzprotokoll des Unterausschusses JGG vom 22.1.1963 S. 4). So kann es eintreten, daß in Fällen, in denen noch eine nachdrückliche erzieherische Einwirkung auf den Jugendlichen erforderlich ist, diese unterbleiben muß. Das entspricht aber offensichtlich dem Willen des Gesetzgebers; denn sonst hätte er dem Richter die Möglichkeit gegeben, nicht nur die Entscheidung über die Jugendstrafe, sondern gleichzeitig die über die Verhängung von Jugendarrest auszusetzen. Eine solche Regelung jedoch würde dem Sinn des Jugendarrests zuwiderlaufen, weil dann die besonders abschreckende "Sofortwirkung" verloren gehen würde, die eine der wichtigsten Aufgaben des Jugendarrestes bildet (Dallinger/Lackner a.a.O. § 16 N. 4 und 36).
Es würde auch dem Zweck des Jugendarrestes nicht entsprechen, wenn dadurch etwa erreicht werden sollte, daß die Jugendlichen nachdrücklich am eigenen Leib zu spüren bekämen, daß es Ernst geworden sei, und hierdurch Energielose und Gleichgültige Hemmungen bekämen, wodurch die Aussichten auf einen erfolgreichen Ablauf der Bewährungszeit - bis zur Entscheidung über die Notwendigkeit einer Jugendstrafe - wesentlich erhöht werden könnte (so insbesondere Grethlein a.a.O.).
Gerade die Aufgabe, die Aussichten für einen erfolgreichen Ablauf einer Bewährungsfrist zu erhöhen, hat der Gesetzgeber dem Jugendarrest im Falle des § 13 JGG - der Jugendarrest nach § 11 Abs. 2 JGG kommt hier nicht in Betracht - nicht zugewiesen. Das ergibt sich daraus, daß der Richter, wenn er auf Jugendstrafe erkannt, aber Strafaussetzung gewährt hat (§ 20 JGG), Jugendarrest nicht anordnen darf, um auf die Führung des Jugendlichen während der Bewährungsfrist wirksam einzuwirken. Denn dieses Verfahren würde ohne jeden Zweifel eine gleichzeitige Verhängung von Jugendstrafe und Jugendarrest sein, die, wie einmütig anerkannt ist, nach dem klaren Wortlaut des § 8 JGG verboten ist.
Grethlein hält diese Regelung nicht für angemessen und tritt insoweit für eine Änderung des Gesetzes ein. Zur Zeit muß aber jedenfalls von dem geltenden Recht ausgegangen werden, das für den Fall der Aussetzung einer verhängten Jugendstrafe den Jugendarrest als Unterstützungsmittel für einen erfolgreichen Ablauf der Bewährungsfrist nicht vorgesehen, also diese Aufgabe dem Jugendarrest nicht zugewiesen hat. Es würde hierzu in Widerspruch stehen, wenn der Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe gemäß § 27 JGG dem Jugendarrest eine solche Aufgabe übertragen würde.
Für die Überwachung und erzieherische Beeinflussung des Jugendlichen während der im Falle des § 27 JGG bestimmten Bewährungszeit hat das Gesetz Bewährungsaufsicht, Bewährungshilfe und Auflagen vorgesehen, die auch nachdrückliche Einschränkungen der Lebensführung des Jugendlichen mit sich bringen können und unter Umständen wirksamer sein können als der Jugendarrest.
Auch der allgemeine Zweck des Jugendarrestes, der Vermeidung von Bestrafungen zu dienen, rechtfertigt eine Anwendung im Falle des § 27 JGG nicht. Alle im Jugendgerichtsgesetz vorgesehenen Mittel, Erziehungsmaßnahmen, Zuchtmittel und Strafen, sollen der künftigen Vermeidung von Strafen dienen. Würde dieser allgemeine Zweck die Anordnung des Jugendarrestes in einem Fall der vorliegenden Art rechtfertigen, so müßte folgerichtig jede Koppelung von Erziehungsmaßnahmen, Zuchtmitteln und Strafen zulässig sein. Tatsächlich sollen zwar alle diese Mittel jenes Ziel anstreben, jedoch jeweils nur auf einem bestimmten Weg und in einem bestimmten Anwendungsgebiet, weil sie nur in diesem Bereich hierfür tauglich erscheinen.
Auch der vom Kammergericht weiter für seine Ansicht angeführte Grund, daß die Freiheitsentziehung während des Jugendarrestes eine günstige Gelegenheit für die Feststellung biete, ab schädliche Neigungen vorliegen oder nicht, wird dieser Maßnahme nicht gerecht. Der Jugendarrest ist für diese Aufgabe ebenfalls nicht bestimmt und auch wenig geeignet. Das Gesetz hat hierfür in § 29 JGG ausdrücklich die Bewährungsaufsicht vorgesehen.
Unter diesen Umständen brauchte nicht erörtert zu werden, ob die Koppelung von Jugendarrest und Jugendstrafe gegen den Grundsatz "ne bis in idem" oder das Verbot einer Doppelbestrafung verstoßen würde, wie Lösch (NJW 1961 S. 1151 ff.) und Voß (NJW 1962 S. 1095 ff.) annehmen (a.A. dagegen Kammergericht und Grethlein a.a.O.).
Der Generalbundesanwalt hat im Ergebnis die gleiche Auffassung vertreten, wie sie im Leitsatz ausgesprochen ist.