BVerwG, 18.04.1996 - 4 C 6.95
Eine Kostengrundentscheidung nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG setzt grundsätzlich eine behördliche Entscheidung über den Widerspruch nach §§ 72, 73 Abs. 3 Satz 1 VwGO voraus.
Auch bei zulässigem und begründetem Widerspruch hat die Ausgangsbehörde die Wahl, den angegriffenen Verwaltungsakt durch einen Rücknahmebescheid statt durch eine Abhilfeentscheidung aufzuheben. Die Ausgangsbehörde darf in diesem Fall den Widerspruchsführer, der im Widerspruchsverfahren "obsiegt" hätte, jedoch nicht ohne tragfähigen Grund um den zu erwartenden Kostenausspruch bringen. Sich nur der Kostenlast zu entziehen, ist kein tragfähiger Grund.
Entscheidungsgründe
I.
Die Kläger sind Eigentümer von Reihenhäusern mit Flachdächern in Bad Homburg (Hessen). Die Reihenhausanlage umfaßt 11 Häuser. Die beklagte Stadt genehmigte 1984 einem der Eigentümer den Bau eines Satteldaches. Hiergegen erhoben die Kläger und andere Eigentümer Widerspruch. Der von der Klägerin zu 2) gleichzeitig beantragte vorläufige Rechtsschutz blieb in der ersten Instanz erfolglos. Das Gericht verneinte ein auf § 15 BauNVO gestütztes subjektives Abwehrrecht. Das Verunstaltungsverbot der landesrechtlichen Bauordnung habe keine nachbarschützende Wirkung.
Die Beklagte legte die erhobenen Widersprüche dem Widerspruchsausschuß der beklagten Stadt vor. In dem Vorlageschreiben heißt es, daß man sich nach eingehender Prüfung der vorgetragenen Argumente nicht in der Lage sehe, dem Widerspruch abzuhelfen. Der Ausschuß verhandelte über die Widersprüche. In der Verhandlung vertrat der Vorsitzende des Ausschusses die Ansicht, daß die erteilte Baugenehmigung objektiv rechtswidrig sei. Wörtlich heißt es in der aufgenommenen Niederschrift:
Die Sach- und Rechtslage wurde eingehend erörtert. Der Vorsitzende wies darauf hin, daß nach der inzwischen ergangenen Rechtsprechung die Baugenehmigung objektivrechtlich als rechtswidrig angesehen werden müßte, und führte hierzu das Urteil des hessischen Verwaltungsgerichtshofes vom 2.11.1984 - IV OE 31/82 -, veröffentlicht in hess. VwRspr. 1985, 50 an. Es sei jedoch eine offene Frage, ob die Nachbarn diese Rechtswidrigkeit auch mit Erfolg geltend machen können. Dies sei nur insoweit möglich, als ihnen die Rechtsprechung subjektivöffentliche Abwehrrechte zubillige. In dieser Frage sei die Rechtsprechung im Fluß. Offen sei zum einen, inwieweit einer möglicherweise vorliegenden Verletzung des objektiv-rechtlichen Gebotes der Rücksichtnahme (§ 15 BauNVO als Ausprägung dieses Gebots) drittschützende Wirkung zukomme und zum anderen, inwieweit der unterstellte Verstoß gegen das Verunstaltungsverbot (§ 14 HBO) als so schwer und unerträglich bewertet wird, daß den Nachbarn unter dem Gesichtspunkt des Art. 14 Grundgesetz ein Abwehrrecht gegeben wird.
Im Anschluß an die Anhörung beschloß der Ausschuß, dem städtischen Bauaufsichtsamt zu empfehlen, "den Bescheid zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zurückzunehmen, sondern zunächst - und zwar schon aus schadensersatzrechtlichen Gründen - die Entscheidung des hessischen VGH in dem anhängigen Eilverfahren abzuwarten. " Dazu kam es nicht. Wenig später nahm das Bauaufsichtsamt die erteilte Baugenehmigung gemäß § 101 Abs. 1 Nr. 1 HBO zurück. Die Ausführung der Baumaßnahme würde gegen das Verunstaltungsgebot des § 14 Abs. 2 S. 1 HBO verstoßen. Es habe sich herausgestellt, daß die Errichtung eines Satteldaches auf dem Flachdachreihenhaus der Bauherrin eine Einzelmaßnahme bleiben werde. Die Mehrheit der Nachbarn sei nicht bereit, sich dieser Maßnahme anzuschließen. Das Beschwerdeverfahren wurde daraufhin für erledigt erklärt.
Zu einer Entscheidung über die den Klägern entstandenen Kosten fand sich die Beklagte nicht bereit. Daraufhin erhoben die Kläger Klage. Darin verwiesen sie auf § 72 VwGO und auf § 80 VwVfG. Sie beantragten,
den ergangenen Rücknahmebescheid dahin gehend zu ergänzen, daß die Beklagte verpflichtet sei, ihnen, den Klägern, die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu erstatten, einschließlich der Kosten der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten des Vorverfahrens.
Die Beklagte trat der Klage entgegen. Sie habe "aus Gründen rein objektiv-rechtlicher Art" den erteilten Bescheid zurückgenommen. Ihr sei im Laufe des Verfahrens bewußt geworden, daß sich eine einzelne Dachaufstockung auf unabsehbare Zeit als verunstaltend darstellen würde. Dies habe sie verhindern wollen.
Das Verwaltungsgericht wies die Klage als unzulässig zurück. Die Kläger hätten es versäumt, für ihr Kostenbegehren ein erforderliches Widerspruchsverfahren durchzuführen. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof wies die Berufung der Kläger als unbegründet zurück. Die Klage sei als Untätigkeitsklage zwar zulässig, aber unbegründet. Eine ergänzende Kostenentscheidung sei nur möglich, wenn der klägerische Widerspruch "erfolgreich" im Sinne des § 80 VwVfG gewesen wäre. Das sei nicht der Fall. Das Widerspruchsverfahren habe sich durch den Aufhebungsbescheid erledigt, bevor über die klägerischen Widersprüche in der Sache entschieden worden sei. In dem Aufhebungsbescheid sei auch nicht gleichzeitig ein Abhilfebescheid zu sehen. Die Rücknahme einer objektiv rechtswidrigen, die Bauherrin begünstigenden Baugenehmigung unterscheide sich von einem auf einen Drittwiderspruch ergangenen Abhilfebescheid in mehrfacher Hinsicht. Auch eine entsprechende Anwendung der §§ 72 ff. VwGO, § 80 VwVfG scheide aus. Es fehle insoweit an einer Regelungslücke.
Die Kläger haben die vom Berufungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Revision eingelegt. Sie haben ihr Vorbringen vertieft und beantragen, unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile die Beklagte zu einer ihnen günstigen Entscheidung über die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu verpflichten.
Die Beklagte ist dem Revisionsbegehren entgegengetreten.
Der Oberbundesanwalt beteiligt sich nicht.
II.
Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Berufungsurteil verletzt kein revisibles Recht.
1. Für die Beurteilung der Rechtslage ist § 80 Abs. 1 Satz 1 des Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (HVwVfG) vom 1. Dezember 1976 (GVBl I 1976 S. 454) maßgebend. Danach hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, dessen Widerspruch erfolgreich war, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die landesrechtliche Regelung ist im Hinblick auf ihre wörtliche Übereinstimmung mit der bundesrechtlichen Fassung des § 80 Abs. 1 Satz 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO). Das Bundesverwaltungsgericht kann demgemäß Auslegung und Anwendung des § 80 Abs. 1 Satz 1 HVwVfG durch das Berufungsgericht prüfen.
Das Berufungsgericht hat das Klagebegehren mit der Erwägung abgelehnt, der klägerische Widerspruch sei im Rechtssinne nicht "erfolgreich" gewesen. Das trifft im Grundsatz zu. Der Erfolg eines eingelegten Widerspruchs ist am tatsächlichen (äußeren) Verfahrensgang der §§ 68 ff. VwGO zu messen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Mai 1981 - BVerwG 6 C 121.80 - BVerwGE 62, 201 [203 f.]; Urteil vom 10. Juni 1981 - BVerwG 8 C 29.80 - BVerwGE 62, 296 [298]; Urteil vom 23. Februar 1982 - BVerwG 7 C 72.79 - Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 10; Urteil vom 14. August 1987 - BVerwG 8 C 129.84 - NVwZ 1988, 249; Urteil vom 25. September 1992 - BVerwG 8 C 16.90 - Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 33; Beschluß vom 1. September 1989 - BVerwG 4 B 17.89 - Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 29 = NVwZ 1990, 59). § 80 VwVfG regelt danach nur den Inhalt einer erforderlichen Kostenentscheidung. Ob eine Kostenentscheidung überhaupt zu ergehen hat, richtet sich dagegen grundsätzlich nach den §§ 72, 73 Abs. 3 Satz 2 VwGO. Danach ergibt sich:
Ein Widerspruch ist erfolgreich, wenn die Ausgangsbehörde abhilft, weil sie den Widerspruch für begründet hält. Das verpflichtet die Ausgangsbehörde, gemäß § 72 VwGO eine Kostengrundentscheidung zu treffen. Daß die Behörde in diesem Falle von der Zulässigkeit des Widerspruchs auszugehen hat, versteht sich von selbst. Übersieht sie dies und hilft sie dem Widerspruch gleichwohl ab, so gilt auch dies als eine für den Widersprechenden erfolgreiche Durchsetzung seines Begehrens. Denn § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG stellt allein auf einen äußeren Erfolg des Widerspruchs ab. Ob der Widerspruch nach objektiver Rechtslage den Erfolg der Stattgabe nicht hätte haben dürfen, ist insoweit kostenrechtlich unerheblich (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Januar 1983 - BVerwG 8 C 80.80 - Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 12; Urteil vom 14. August 1987 - BVerwG 8 C 129.84 - Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 25; Urteil vom 29. April 1988 - BVerwG 9 C 54.87 - Buchholz 402. 25 § 20 AsylVfG Nr. 3). Entsprechendes gilt für die Kostenentscheidung der Widerspruchsbehörde, welche diese gemäß § 73 Abs. 3 Satz 2 VwGO zu treffen hat. Gibt die Widerspruchsbehörde dem ihr vorgelegten Widerspruch - aus welchen Gründen auch immer - statt, so war der eingelegte Widerspruch erfolgreich. Auch in diesem Falle ist gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG eine dem Widersprechenden günstige Kostengrundentscheidung geboten. Unterbleibt eine behördliche Entscheidung über den Widerspruch, so ist auch für eine Kostenentscheidung grundsätzlich kein Raum (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juni 1981 - BVerwG 8 C 29.80 - BVerwGE 62, 296 [298]). Unterläßt die Ausgangs- oder die Widerspruchsbehörde bei Stattgabe des Widerspruchs eine ihr gebotene Kostenentscheidung, kann der widersprechende Bürger im Wege der Verpflichtungsklage eine "isolierte" Kostengrundentscheidung verlangen. Ob der Klageantrag in diesem Falle auf eine Ergänzung des aufhebenden Bescheides zu richten ist oder selbständig erhoben werden muß, kann hier dahinstehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. April 1993 - BVerwG 8 C 16.92 - Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 34 = BayVBl 1994, 285; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 20. Mai 1987 - BVerwG 7 C 83.84 - Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 24 = NJW 1988, 87).
Die dieser Rechtsprechung zugrundeliegende Auslegung wird maßgebend durch die Entstehungsgeschichte des § 80 Abs. 1 VwVfG geprägt. Sowohl der Bundes- als auch der Landesgesetzgeber wollten mit § 80 VwVfG das als defizitär angesehene Kostenrecht des isolierten Vorverfahrens ergänzend regeln. Dieser Mangel wurde für die in §§ 72, 73 Abs. 3 Satz 2 VwGO vorgesehenen Kostenentscheidungen gesehen. Hingegen war es nicht die Absicht des Bundes- und des Landesgesetzgebers, in jeder Hinsicht eine Kostenregelung zu treffen. Das mag zum Teil als unbefriedigend empfunden werden. Einige Bundesländer haben aus diesem Grunde das Kostenrecht des isolierten Vorverfahrens dahin ergänzt, daß im Falle der Erledigung des Widerspruchs über die Kosten nach billigem Ermessen zu entscheiden ist (vgl. § 80 Abs. 1 Satz 5 LVwVfG Baden-Württemberg, Art. 80 Abs. 1 Satz 5 BayVwVfG, § 80 Abs. 1 Satz 6 VwVfG Thüringen). Das Land Hessen hat von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht. Es gibt auch - trotz Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG - keine verfassungsrechtliche Pflicht, in jeder Hinsicht eine Kostenerstattung vorzusehen (vgl. BVerfGE 31, 306 [256];74, 78 [92]). Das Bundesverfassungsgericht hat sogar die - allgemein als unbillig empfundene und deshalb durch § 80 VwVfG geänderte - Rechtslage, nach der bis zum Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetzes die Anwaltskosten des erfolgreichen Widerspruchsführers im isolierten Vorverfahren nicht zu erstatten waren, als noch verfassungsgemäß angesehen (BVerfGE 27, 175 ff.; vgl. auch BVerwG, Beschluß vom 1. September 1989 - BVerwG 4 B 17.89 - Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 29 = NVwZ 1990, 59).
Im Streitfall hat die Beklagte - die nach dem maßgebenden Kommunalrecht sowohl Ausgangsbehörde als auch Widerspruchsbehörde ist - dem Widerspruch weder abgeholfen noch stattgegeben. Damit scheidet eine Anwendung des § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG aus. Allerdings hat die Ausgangsbehörde durch den von ihr erlassenen Rücknahmebescheid im Ergebnis eine Rechtslage hergestellt, welche jedenfalls objektiv den Interessen der widersprechenden Kläger entsprach. Diesen mochte es letztlich gleichgültig sein, ob die Ausgangsbehörde die geltend gemachte Beschwer entweder nach § 72 VwGO durch Abhilfe oder nach §§ 50, 48 VwVfG (oder nach § 101 Abs. 1 Nr. 1 HBO) durch Rücknahme der Baugenehmigung beseitigte.
Die Kläger sehen verständlicherweise nur den "Erfolg" ihrer Bemühungen, daß die von ihnen als rechtswidrig angesehene Baugenehmigung aufgehoben wurde. Indes ist es nicht möglich, den Rücknahmebescheid gleichzeitig kostenrechtlich als Abhilfebescheid anzusehen. Die Ausgangsbehörde hat sich hier unmißverständlich für das Verfahren der Rücknahme entschieden. Das ergeben die tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts. Diese lassen sich auch nicht anderweitig deuten. Wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen, welche bei einem Nachbarwiderspruch im Hinblick auf einen Rücknahme- oder einen Abhilfebescheid bestehen, entspricht es ohnedies korrektem behördlichen Vorgehen, keinen Zweifel daran zu lassen, welche Verfahrensweise gewählt wurde.
2. Das Berufungsgericht hat allerdings nicht näher geprüft, ob der klägerische Nachbarwiderspruch seinerzeit bei objektiver Betrachtung zulässig und begründet gewesen wäre. Auch wenn man eine derartige Rechtslage zugunsten der Kläger annimmt, ergibt sich auf der Grundlage der berufungsgerichtlichen Feststellungen kein den Klägern günstiger Kostenanspruch.
2.1 Eine Ausgangsbehörde kann aus ihrer Sicht gute Gründe haben, sich auch im Falle eines zulässigen und begründeten Widerspruchs dafür zu entscheiden, einen von ihr erlassenen begünstigenden Verwaltungsakt nicht durch Abhilfe, sondern durch Rücknahme aufzuheben und damit in dieser Weise die ursprüngliche Rechtslage herzustellen. § 50 zeigt, daß der Gesetzgeber von dieser Möglichkeit als einer zulässigen Verfahrensweise ausgegangen ist (vgl. auch Knoke, Rechtsfragen der Rücknahme von Verwaltungsakten, 1989 S. 291 ff.). Billigt man der Ausgangsbehörde diese Befugnis zu, in einem Widerspruchsverfahren zwischen Abhilfe und Rücknahme zu wählen, so hat sie hierüber allerdings nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Denn jede Entscheidungsfreiheit, welche das Gesetz einer Behörde eröffnet, ist an sachgerechte Erwägungen gebunden. Das ist eine rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit. Das Gesetz muß dies nicht besonders betonen. Eine verfassungskonforme Handhabung des § 72 VwGO in Verb. mit § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG verlangt, daß die Ausgangsbehörde einen Widerspruchsführer, der eine Verletzung in seinen Rechten geltend macht und im Widerspruchsverfahren "obsiegt" hätte, nicht ohne tragfähigen Grund um den zu erwartenden Kostenausspruch bringt (vgl. auch BVerfGE 74, 78 [94]). Insbesondere wäre eine Verwaltungspraxis, welche zielgerichtet nur zur Vermeidung von Kostenlasten in eine bestimmte Verfahrensweise ausweicht, mit dem Gleichheitssatz und dem Rechtsstaatsgebot nicht zu vereinbaren.
Die Gründe, welche die Behörde bei einem eingelegten Nachbarwiderspruch veranlassen können, sich für einen Rücknahmebescheid zu entscheiden, können vielfältiger Art sein. Im Mittelpunkt hat die Frage zu stehen, welche unterschiedlichen verfahrensmäßigen und materiellen Rechtsfolgen die jeweils gewählte Verfahrensweise für die am Konflikt Beteiligten haben wird. Hält die Behörde den eingelegten Widerspruch mangels Verletzung subjektiver Rechte für unzulässig und stützt sie ihre Rücknahmeentscheidung deshalb auf den Verstoß gegen objektives Recht, so ist diese Verfahrensweise für den widersprechenden Bürger nur günstig. Ein positiver Widerspruchsbescheid hätte nicht ergehen können. Auch das Absehen von einem zurückweisenden Widerspruchsbescheid kann für den widersprechenden Bürger günstig sein, wenn nach dem Kostenrecht des Landes eine zurückweisende Widerspruchsentscheidung mit einer belastenden Gebühr verbunden ist. Ist der Widerspruch hingegen sowohl zulässig als auch begründet, kann die Entscheidungslage anders sein. In diesem Falle erwächst der Behörde daraus der "Vorteil" des § 50 VwVfG. Sie ist von den Beschränkungen des §§ 48, 49 VwVfG insoweit befreit, als sie außerhalb der §§ 72, 73 Abs. 3 Satz 2 VwGO eine Aufhebungsentscheidung erläßt. Insbesondere braucht sie einen etwaigen Vermögensnachteil im Sinne des § 48 Abs. 3 VwVfG trotz der von ihr zu verantwortenden Rechtswidrigkeit des erlassenen Verwaltungsakts nicht auszugleichen. Dennoch kann sie - dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit folgend - durch Rücknahme die gesetzmäßige Rechtslage herstellen. Entscheidet sich die Behörde für eine auf § 48 VwVfG gestützte Entscheidung, dann entzieht sie allerdings dem Bürger, der einen zulässigen und begründeten Widerspruch eingelegt hat, dadurch zugleich einen sonst nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG gegebenen Kostenanspruch. Denn in diesem Falle kommt es - wie erörtert - zu keiner Entscheidung nach §§ 72, 73 Abs. 3 Satz 2 VwGO.
Es wäre jedoch sachwidrig, wenn sich eine Behörde in der Absicht, der sonst bestehenden Kostenlast des § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG zu entgehen, für das Verfahren der Rücknahme entschiede. Sie nähme damit zwar den ihr durch § 50 VwVfG gesetzlich zuerkannten Vorteil in Anspruch, verhinderte aber zugleich eine Kostenentscheidung zugunsten des Bürgers, der einen zulässigen und begründeten Widerspruch erhoben hatte. Einer derartigen Absicht des Ausweichens in ein an sich übliches Verfahren mit dem Ziel, der Kostenlast des § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG zu entgehen, ist der Erfolg zu versagen. Das verlangen die ungeschriebenen Grundsätze fairer Verfahrensgestaltung und die Prinzipien von Treu und Glauben. Es ist nicht Sinn der in der Rechtsprechung betonten Verknüpfung von § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG mit den §§ 72, 73 Abs. 3 Satz 2 VwGO, ein sachwidriges Verhalten zu ermöglichen. Der Behörde ist eine Wahlbefugnis gegeben, um zwischen Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und effektivem Rechtsschutz im Einzelfall einen angemessenen Ausgleich zu finden. Diesen Rahmen muß sie einhalten. Sie verläßt ihn, wenn sie sich nicht mehr an der Verfahrensgestaltung und den damit verbundenen Folgen ausrichtet, sondern in den Vordergrund Fragen der finanziellen Belastung stellt. Wenn die Behörde erkennt, daß der eingelegte Widerspruch zulässig und begründet ist, wird sie mithin besonders zu prüfen haben, ob es sachgerecht ist, von einer Abhilfe oder einem stattgebenden Widerspruch abzusehen und eine Rücknahme auszusprechen. Sie wird dazu Gründe anzugeben haben, um sich dem Verdacht zu entziehen, sie wolle mit ihrer Verfahrensweise der Rücknahme nur eine Kostenentlastung zum Nachteil des widersprechenden Bürgers erreichen.
Die vorstehende Betrachtungsweise steht nicht im Widerspruch zu der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, sondern präzisiert diese. Sie überträgt allgemeine rechtsstaatliche Grundsätze auf die Auslegung und Anwendung der §§ 72, 73 Abs. 3 Satz 2 VwGO in Verb. mit § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG. Das Widerspruchsverfahren ist Teil des vom Gesetzgeber vorgesehenen Rechtsschutzverfahrens gegen Akte öffentlicher Gewalt. Insoweit sind die gesetzlichen Vorschriften über das Vorverfahren dem Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zuzuordnen. Mit dem vorprozessualen Verfahren soll im Sinne effektiven Rechtsschutzes Grundrechtsschutz gewährleistet werden (vgl. BVerfGE 40, 237 [256 f.];60, 253 [291]; vgl. ferner BVerfGE 35, 65 [73];69, 1 [48 f.]). Zwar ist der Gesetzgeber nicht von Verfassungs wegen gehalten, ein dem gerichtlichen Verfahren vorgeschaltetes Vorverfahren vorzusehen. Es steht weitgehend in seinem Belieben, ob er ein derartiges Verfahren vorsieht und wie er es im einzelnen ausgestaltet. Hat er sich jedoch - wie §§ 68 ff. VwGO in Verb. mit § 80 VwVfG ergeben - unter anderem aus Gründen verbesserten Rechtsschutzes zu einer behördlichen Vorprüfung entschieden, dann darf die Verwaltung diese gesetzgeberische Entscheidung, der auch eine grundrechtliche Zielsetzung zugrunde liegt, nicht durch eine sachwidrige Verwaltungsübung in Zweifel ziehen. Sie darf deshalb keine Verfahrensweise an den Tag legen, die der widersprechende Bürger als Versuch ansehen muß, bei einem zulässigen und begründeten Widerspruch ihn um den an sich nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG gegebenen Kostenanspruch zu bringen. Denn die der Behörde eröffnete Wahlbefugnis ist dieser allein um der Sache selbst willen gegeben. Gibt die Behörde das Junktim zwischen den behördlichen Entscheidungen nach §§ 72, 73 Abs. 3 Satz 2 VwGO einerseits und der Kostenfolge des § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG andererseits selbst aus sachwidrigen Gründen auf, dann entsteht zwar kostenrechtlich eine Regelungslücke. Diese besteht jedoch nur äußerlich. Tatsächlich wird die Behörde so gestellt, wie sie stünde, wenn sie sich nicht sachwidrig verhalten hätte.
2.2 Bei dieser rechtlichen Beurteilung kommt es mithin darauf an, ob die beklagte Stadt im Zeitpunkt der Rücknahme der angegriffenen Baugenehmigung die klägerischen Widersprüche als zulässig und begründet ansehen konnte. Denn nur bei einer derartigen Kenntnis oder ggf. bei einer "fahrlässigen" Unkenntnis, könnte man überhaupt annehmen, sie habe von der ihr eröffneten Wahlbefugnis einen sachwidrigen Gebrauch gemacht. Die Feststellungen des Berufungsgerichtes ergeben dies nicht. Sie sind hinreichend, um im Revisionsverfahren zu einer abschließenden Entscheidung zu gelangen.
Nach dem festgestellten Sachverhalt hat der Widerspruchsausschuß der Beklagten ausdrücklich keine Entscheidung getroffen. Dies ist mit Zweifeln an der Begründetheit des Widerspruchs motiviert worden. Man erwartete eine Klärung durch das zuständige oberste Verwaltungsgericht des Landes. Die Ausgangsbehörde hat ihren Rücknahmebescheid nur auf die Verletzung objektiven Rechts gestützt. Das Vorbringen der Widerspruchsführer war auf die Verletzung zweier Rechtsvorschriften gestützt. Beide wurden in der Verhandlung über den Widerspruch erörtert. Es handelte sich um die geltend gemachte Verletzung des Gebotes der Rücksichtnahme (§ 15 BauNVO) und um einen Verstoß gegen das bauordnungsrechtliche Verunstaltungsverbot. Die Beurteilung beider Rechtsfragen konnte im Zeitpunkt der Widerspruchsverhandlung als nicht geklärt gelten. Die Ausgangsbehörde hatte im Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung keinen Anlaß zu der Annahme, daß die Rechtsfragen inzwischen zugunsten der Widerspruchsführer geklärt wären. Ein Fall eines für die Behörde erkennbaren zulässigen und begründeten Widerspruchs lag danach nicht vor. Dann läßt sich ihr - von anderen Voraussetzungen abgesehen - nicht der Vorhalt machen, sie habe sich aus sachwidrigen Gründen dem Erlaß eines Abhilfebescheids entzogen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 159 Sätze 1 und 2 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO.
Beschluß
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 2885 DM festgesetzt (§§ 14 Abs. 1, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG).