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§ 90 BGB - Begriff der Sache (Kommentar)
Sachen im Sinne des Gesetzes sind nur körperliche Gegenstände.
1. Normtext und Bedeutung
Diese Vorschrift definiert den Begriff der „Sache“ für das gesamte Bürgerliche Gesetzbuch. Sie legt fest, dass nur körperliche Gegenstände als Sachen im rechtlichen Sinne gelten. Damit grenzt sie Sachen von anderen Vermögens- oder Rechtspositionen wie Forderungen, Immaterialgüterrechten oder Daten ab.
2. Systematische Stellung
Art. 90 BGB steht am Anfang des dritten Buches des Bürgerlichen Gesetzbuchs, das das Sachenrecht regelt. Er ist die grundlegende Definition für den gesamten sachenrechtlichen Teil des BGB und damit für das Eigentumsrecht, das Besitzrecht, das Pfandrecht und weitere dingliche Rechte.
Seine Bedeutung erstreckt sich jedoch auch auf andere Bereiche des Zivilrechts. So ist die Unterscheidung zwischen Sachen und Nicht-Sachen beispielsweise für das Kaufrecht (§§ 433 ff. BGB), das Mietrecht (§§ 535 ff. BGB) und das Deliktsrecht (§§ 823 ff. BGB) von zentraler Relevanz.
3. Tatbestandliche Voraussetzungen
Art. 90 BGB enthält zwei wesentliche Merkmale für die Qualifikation als Sache:
- Körperlichkeit: Eine Sache muss materiell, also physisch greifbar sein.
- Gegenständlichkeit: Die Sache muss eine eigenständige Existenz aufweisen und von ihrer Umwelt abgrenzbar sein.
Diese Merkmale schließen bestimmte Objekte aus, die zwar wirtschaftlich und rechtlich bedeutsam sein können, aber nicht als Sachen im Sinne des BGB gelten.
4. Abgrenzung zu Nicht-Sachen
4.1. Rechte und Forderungen
Nicht als Sachen im Sinne des BGB gelten Rechte und Forderungen. Hierzu zählen insbesondere:
- Forderungen aus Verträgen (z. B. Kaufpreisforderungen, Darlehensforderungen)
- Urheberrechte und Patente
- Gesellschaftsanteile (z. B. Aktien, GmbH-Anteile)
Zwar können diese Rechte wirtschaftlich verwertbar sein, sie besitzen jedoch keine physische Substanz und fallen damit nicht unter die Definition des Art. 90 BGB.
4.2. Energie und Daten
Auch immaterielle Phänomene wie Energie oder Daten sind keine Sachen im Sinne des BGB.
- Elektrizität, Wärme und Licht: Obwohl sie wirtschaftlich genutzt und gehandelt werden, fehlt ihnen die Körperlichkeit. Dennoch sind sie teilweise durch spezielle gesetzliche Regelungen geschützt (z. B. § 248c StGB für den Entzug elektrischer Energie).
- Daten und digitale Inhalte: Im digitalen Zeitalter gewinnen Daten zunehmend an wirtschaftlicher Bedeutung. Dennoch sind sie nach herrschender Meinung keine Sachen, da sie keine physische Existenz aufweisen. Dies führt zu Herausforderungen im Kaufrecht, die durch das Gesetz über digitale Inhalte und Dienstleistungen (Digitale-Inhalte-Richtlinie) teilweise gelöst wurden.
4.3. Tiere
Tiere nehmen eine Sonderstellung ein. Nach § 90a BGB sind sie zwar keine Sachen, unterliegen aber den für Sachen geltenden Vorschriften, soweit keine abweichenden Regelungen bestehen. Damit bleibt das Sachenrecht in vielen Fällen anwendbar, allerdings unter Berücksichtigung der tierschutzrechtlichen Vorgaben.
5. Relevanz für das Sachenrecht
Art. 90 BGB ist von zentraler Bedeutung für das gesamte Sachenrecht. Da dingliche Rechte nur an Sachen begründet werden können, ist die Definition der Sache entscheidend für die Anwendbarkeit zahlreicher Vorschriften.
- Eigentum (§ 903 BGB): Eigentum kann nur an Sachen bestehen.
- Besitz (§ 854 BGB): Besitz setzt eine körperliche Sache voraus.
- Übereignung (§§ 929 ff. BGB): Eine Übereignung im Sinne des BGB ist nur für körperliche Gegenstände möglich.
Auch im Zwangsvollstreckungsrecht (§§ 808 ff. ZPO) spielt die Abgrenzung eine wichtige Rolle, da bewegliche Sachen nach anderen Vorschriften gepfändet werden als Forderungen und Rechte.
6. Ausblick und Diskussion
Die strikte Definition des Art. 90 BGB stößt in der modernen Rechtspraxis zunehmend auf Herausforderungen. Insbesondere die Behandlung digitaler Güter und virtueller Gegenstände wirft Fragen auf. Während digitale Inhalte rechtlich oft als „Daten“ gelten und damit nicht unter den Sachbegriff fallen, sind sie wirtschaftlich oft mit körperlichen Sachen vergleichbar.
In der Rechtsprechung und der rechtswissenschaftlichen Diskussion wird daher teilweise gefordert, den Sachbegriff zu erweitern oder eine eigenständige Regelung für digitale Güter zu schaffen. Insbesondere das Kaufrecht musste bereits durch neue Vorschriften ergänzt werden, um den Handel mit digitalen Produkten zu regulieren.
7. Digitale Sachen
Eine moderne Bestimmung des Begriffs „Sache“ im digitalen Kontext muss die besonderen Eigenschaften digitaler Güter berücksichtigen. Insbesondere ist die klassische Definition der Sache als körperlicher Gegenstand nicht ohne Weiteres auf digitale Inhalte übertragbar.
Ein möglicher Definitionsansatz könnte lauten:
Eine Sache im digitalen Kontext ist eine digitale Entität, die individuell bestimmbar, wirtschaftlich verwertbar und technisch kontrollierbar ist. Sie kann unabhängig von der physischen Trägerinfrastruktur bestehen und mittels rechtlicher oder technischer Mechanismen einem bestimmten Inhaber zugewiesen oder entzogen werden.
7.1. Merkmale digitaler Sachen
7.1.1. Individuelle Bestimmbarkeit
Digitale Güter müssen eindeutig identifizierbar sein, damit sie einer bestimmten Person oder Organisation zugeordnet werden können. Dies geschieht oft durch technische Mittel wie eindeutige Identifikatoren, kryptographische Signaturen oder Blockchain-Technologien.
- Non-Fungible Tokens (NFTs), die digitale Unikate darstellen
- Software-Lizenzen mit individuellen Lizenzcodes
- Digitale Zertifikate, die einer Person oder Institution zugeordnet sind
7.1.2. Wirtschaftliche Verwertbarkeit
Eine digitale Sache muss handelbar oder übertragbar sein. Sie kann durch Verkauf, Lizenzierung oder sonstige Nutzungsrechte Gegenstand wirtschaftlicher Transaktionen sein.
- Digitale Kunstwerke, die auf Plattformen gehandelt werden
- In-Game-Items, die käuflich erworben oder getauscht werden können
- Lizenzen für Software, die einem bestimmten Nutzer zugewiesen werden
7.1.3. Technische Kontrollierbarkeit
Im Gegensatz zu physischen Sachen wird der „Besitz“ einer digitalen Sache durch technische Zugriffsmöglichkeiten definiert. Während ein körperlicher Gegenstand durch unmittelbare Sachherrschaft kontrolliert wird, erfolgt die Kontrolle digitaler Güter durch Verschlüsselung, Zugriffsrechte oder Smart Contracts.
Beispiele für technische Kontrollmechanismen sind:
- Kryptographische Schlüssel, die für die Nutzung oder Übertragung erforderlich sind
- Digitale Rechtemanagement-Systeme (DRM), die die Nutzung bestimmter Inhalte beschränken
- Blockchain-basierte Smart Contracts, die die Weitergabe und Nutzung regeln
7.1.4. Unabhängigkeit von physischer Infrastruktur
Digitale Güter sind zwar immer auf einer physischen Infrastruktur gespeichert, dürfen jedoch nicht mit dieser gleichgesetzt werden. Während eine Datei auf einem Server oder einem Endgerät existiert, bleibt sie als eigenständiges digitales Objekt bestehen und kann unabhängig von dem konkreten Speichermedium transferiert oder genutzt werden.
Beispielsweise bleibt ein erworbenes eBook eine digitale Sache, unabhängig davon, ob es auf einem E-Reader, einem Computer oder in der Cloud gespeichert ist.
7.2. Abgrenzung zur klassischen Sache im Sinne von Art. 90 BGB
Nach der klassischen Definition des Bürgerlichen Gesetzbuchs sind Sachen nur körperliche Gegenstände. Digitale Inhalte erfüllen dieses Kriterium nicht, da sie immateriell sind. Daraus ergeben sich mehrere Unterschiede zur traditionellen sachenrechtlichen Einordnung:
- Digitale Güter sind nicht exklusiv nutzbar, da sie unbegrenzt vervielfältigt werden können, ohne dass das Original verloren geht.
- Die Übertragung digitaler Inhalte ist oft nicht mit einem Eigentumswechsel verbunden, sondern erfolgt über Lizenzen oder Nutzungsrechte.
- Besitz im Sinne des BGB setzt eine tatsächliche Sachherrschaft voraus, die sich bei digitalen Gütern nicht physisch, sondern nur über technische Kontrolle realisiert.
Diese Unterschiede führen dazu, dass digitale Inhalte derzeit nicht unter das klassische Sachenrecht fallen, sondern gesondert rechtlich behandelt werden müssen.
7.3. Rechtslage und Zukunftsperspektiven
In der aktuellen Rechtslage gelten digitale Inhalte nicht als Sachen im Sinne des BGB. Gleichwohl gibt es Bestrebungen, sie sachenrechtlich greifbarer zu machen. So enthält die EU-Richtlinie über digitale Inhalte und digitale Dienstleistungen Regelungen zur Behandlung digitaler Güter, insbesondere im Verbraucherrecht.
Langfristig könnte sich eine eigene rechtliche Kategorie entwickeln, die zwischen klassischen Sachen und Rechten angesiedelt ist und digitale Objekte mit eigentumsähnlichen Strukturen erfasst.