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Art. 45c GG - Petitionsausschuß (Kommentar)

(1) Der Bundestag bestellt einen Petitionsausschuß, dem die Behandlung der nach Artikel 17 an den Bundestag gerichteten Bitten und Beschwerden obliegt.

(2) Die Befugnisse des Ausschusses zur Überprüfung von Beschwerden regelt ein Bundesgesetz.

1. Entstehungsgeschichte und systematische Einordnung

Art. 45c GG wurde durch das 30. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 9. Juni 1975 in das Grundgesetz eingefügt. Die Norm ist im vierten Abschnitt des Grundgesetzes verortet, der die Organisation und Arbeitsweise des Bundestages regelt. Sie steht in engem Zusammenhang mit Art. 17 GG, der das Petitionsrecht als Grundrecht garantiert.

Die verfassungsrechtliche Verankerung des Petitionsausschusses war eine Reaktion auf die zunehmende Bedeutung des Petitionswesens und sollte die Stellung des Ausschusses stärken. Zugleich diente sie der Vereinheitlichung der bis dahin unterschiedlichen Praxis in Bund und Ländern.

2. Absatz 1

2.1. "Der Bundestag bestellt"

Die Formulierung begründet eine verfassungsunmittelbare Pflicht des Bundestages zur Einrichtung des Petitionsausschusses. Im Gegensatz zu anderen Ausschüssen, deren Bildung der Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages unterliegt (vgl. Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG), ist der Petitionsausschuss verfassungsrechtlich zwingend vorgeschrieben. Dies unterstreicht die besondere Bedeutung des Petitionsrechts und seiner institutionellen Absicherung.

Der Begriff "bestellt" impliziert, dass der Bundestag nicht nur über die Einrichtung des Ausschusses entscheidet, sondern auch dessen Mitglieder wählt. Die genauen Modalitäten der Bestellung sind in der Geschäftsordnung des Bundestages geregelt.

2.2. "einen Petitionsausschuß"

Die Verwendung des Singulars verdeutlicht, dass es sich um einen einzigen, zentralen Ausschuss für Petitionsangelegenheiten handelt. Dies schließt jedoch nicht aus, dass der Ausschuss intern Unterausschüsse oder Arbeitsgruppen bildet, um die Vielzahl der Petitionen effizient bearbeiten zu können.

2.3. "dem die Behandlung [...] obliegt"

Diese Formulierung weist dem Petitionsausschuss die primäre Zuständigkeit für die Bearbeitung von Petitionen zu. Der Begriff "Behandlung" umfasst dabei alle Stadien der Petitionsbearbeitung, von der Entgegennahme über die inhaltliche Prüfung bis hin zur abschließenden Beschlussfassung und Benachrichtigung des Petenten.

2.4. "der nach Artikel 17 an den Bundestag gerichteten Bitten und Beschwerden"

Hier wird der direkte Bezug zu Art. 17 GG hergestellt, der das Petitionsrecht als Grundrecht garantiert. Die Begriffe "Bitten und Beschwerden" sind dabei weit auszulegen und umfassen alle Anliegen, die an den Bundestag herangetragen werden, unabhängig von ihrer konkreten Bezeichnung oder Form.

Die Formulierung "an den Bundestag gerichteten" verdeutlicht, dass der Petitionsausschuss nur für Petitionen zuständig ist, die explizit an den Bundestag adressiert sind. Petitionen an andere Verfassungsorgane oder Behörden fallen nicht in seinen Zuständigkeitsbereich.

3. Absatz 2

3.1. "Die Befugnisse des Ausschusses"

Diese Formulierung bezieht sich auf die konkreten Handlungs- und Einwirkungsmöglichkeiten des Petitionsausschusses. Der Plural "Befugnisse" deutet darauf hin, dass dem Ausschuss ein breites Spektrum an Kompetenzen eingeräumt werden soll.

3.2. "zur Überprüfung von Beschwerden"

Diese Wendung konkretisiert den Zweck der Befugnisse. Der Begriff "Überprüfung" impliziert, dass der Ausschuss nicht nur Petitionen entgegennimmt, sondern auch aktiv nachforschen und den Sachverhalt ermitteln kann. Die Beschränkung auf "Beschwerden" ist dabei nicht wörtlich zu nehmen, sondern umfasst im Sinne von Art. 17 GG auch "Bitten".

3.3. "regelt ein Bundesgesetz"

Dieser Regelungsauftrag an den Bundesgesetzgeber stellt sicher, dass die Befugnisse des Petitionsausschusses eine klare gesetzliche Grundlage haben. Die Verwendung des Singulars "ein Bundesgesetz" legt nahe, dass der Verfassungsgeber von einer einheitlichen gesetzlichen Regelung ausgeht.

Der Gesetzgeber hat diesen Auftrag durch das Gesetz über die Befugnisse des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages (Gesetz nach Artikel 45c des Grundgesetzes) vom 19. Juli 1975 umgesetzt.

4. Verfassungsrechtliche Implikationen

  • Stärkung des Petitionsrechts: Durch die verfassungsrechtliche Verankerung des Petitionsausschusses wird das in Art. 17 GG garantierte Petitionsrecht institutionell abgesichert und in seiner Bedeutung hervorgehoben.
  • Kontrollfunktion des Parlaments: Der Petitionsausschuss dient als wichtiges Instrument der parlamentarischen Kontrolle der Exekutive, indem er Beschwerden über Verwaltungshandeln nachgehen kann.
  • Bürgernähe: Die Einrichtung des Petitionsausschusses fördert die Bürgernähe des Parlaments und stärkt die Partizipationsmöglichkeiten der Bürger im politischen Prozess.
    Informationsfunktion: Durch die Bearbeitung von Petitionen erhält das Parlament wichtige Informationen über Probleme und Anliegen der Bürger, die in die Gesetzgebung einfließen können.
  • Gewaltenteilung: Die Befugnisse des Petitionsausschusses müssen so ausgestaltet sein, dass sie das Prinzip der Gewaltenteilung respektieren und nicht in die Kompetenzen der Exekutive oder Judikative eingreifen.

5. Verhältnis zu anderen Verfassungsnormen

Art. 45c GG steht in engem Zusammenhang mit anderen Verfassungsnormen, insbesondere:

  • Art. 17 GG: Dieser garantiert das Petitionsrecht als Grundrecht und bildet die materielle Grundlage für die Arbeit des Petitionsausschusses.
  • Art. 20 Abs. 2 GG: Die Arbeit des Petitionsausschusses ist Ausdruck des Demokratieprinzips und der vom Volk ausgehenden Staatsgewalt.
  • Art. 38 Abs. 1 GG: Die Mitglieder des Petitionsausschusses üben ihr Mandat als Abgeordnete aus und sind dabei nur ihrem Gewissen unterworfen.
  • Art. 40 Abs. 1 GG: Die innere Organisation des Petitionsausschusses unterliegt der Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages.

6. Ausblick und offene Fragen

Trotz der klaren verfassungsrechtlichen Verankerung des Petitionsausschusses bleiben einige Fragen offen:

  • Digitalisierung: Wie kann das Petitionswesen an die Herausforderungen des digitalen Zeitalters angepasst werden, ohne die Zugänglichkeit für alle Bevölkerungsgruppen zu gefährden?
  • Abgrenzung zu anderen Eingabemöglichkeiten: Wie verhält sich das klassische Petitionsrecht zu neueren Formen der Bürgerbeteiligung wie Online-Petitionen oder Bürgerbegehren?
  • Wirksamkeit: Wie kann die Wirksamkeit des Petitionsausschusses weiter gestärkt werden, insbesondere im Hinblick auf die Umsetzung seiner Empfehlungen durch die Exekutive?
  • Öffentlichkeit: Inwieweit sollten die Verhandlungen des Petitionsausschusses öffentlich sein, um einerseits Transparenz zu gewährleisten, andererseits aber auch den Schutz persönlicher Daten sicherzustellen?