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Eingangsformel des Grundgesetzes (Kommentar)
¹Der Parlamentarische Rat hat am 23. Mai 1949 in Bonn am Rhein in öffentlicher Sitzung festgestellt, daß das am 8. Mai des Jahres 1949 vom Parlamentarischen Rat beschlossene Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der Woche vom 16. bis 22. Mai 1949 durch die Volksvertretungen von mehr als Zweidritteln der beteiligten deutschen Länder angenommen worden ist. ²Auf Grund dieser Feststellung hat der Parlamentarische Rat, vertreten durch seine Präsidenten, das Grundgesetz ausgefertigt und verkündet. ³Das Grundgesetz wird hiermit gemäß Artikel 145 Abs. 3 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht:
1. Allgemeines
Die Eingangsformel des Grundgesetzes nimmt im Gefüge der verfassungsrechtlichen Normtexte eine besondere Stellung ein. Sie gehört formal nicht zum eigentlichen Normbestand des Grundgesetzes, bildet jedoch einen integralen Bestandteil der verfassungsgeschichtlichen und rechtsstaatlichen Selbstvergewisserung des neu entstehenden bundesdeutschen Gemeinwesens im Jahre 1949. Ihre Funktion ist primär dokumentarisch und konstitutiv-bekundend, zugleich weist sie eine hohe rechtshistorische und staatsrechtliche Bedeutung auf, indem sie die Legitimitätsgrundlagen der verfassungsrechtlichen Ordnung offenlegt.
Die Formel verweist zunächst auf den Abschluss des verfassungsgebenden Prozesses im Parlamentarischen Rat und stellt in präziser Form dar, dass der Normtext des Grundgesetzes nicht lediglich von einem Gremium erarbeitet, sondern von den Volksvertretungen der beteiligten deutschen Länder angenommen worden ist. Dies markiert einen entscheidenden Punkt: Die bundesstaatliche Legitimation der Verfassung wurde aus der föderalen Struktur bezogen, die ihren historischen Ursprung in der Dezentralität und Vielfalt der Länder besitzt. Der Prozess der Annahme durch die Länderparlamente ist daher nicht nur ein formaler Akt, sondern Ausdruck eines legitimatorischen Moments, das im Kontext der deutschen Nachkriegssituation besondere Bedeutung erlangte.
Der Hinweis, dass die Annahme durch mehr als zwei Drittel der beteiligten Länder erfolgte, verdeutlicht, dass das Grundgesetz keine einstimmige Zustimmung aller damaligen deutschen Länder fand. Dies verweist auf die verfassungsrechtliche Grundentscheidung, wonach trotz der nur teilweisen Zustimmung die Entstehung einer funktionsfähigen föderalen Ordnung ermöglicht werden sollte. Die Beteiligung der Länder war gleichwohl ausreichend, um dem Verfassungswerk eine solide demokratische wie föderative Grundlage zu verleihen. Dass Bayern das Grundgesetz in seinem Landtag ablehnte, jedoch zugleich erklärte, sich an der Bundesrepublik beteiligen zu wollen, ist ein historisches Detail, das zeigt, wie die Eingangsformel eine politische Kompromisslage rechtlich abbildet, ohne sie explizit zu benennen.
Die Formulierung hebt ausdrücklich hervor, dass der Parlamentarische Rat die Feststellung in öffentlicher Sitzung traf. Diese Erwähnung ist nicht zufällig, sondern unterstreicht das demokratische Transparenzgebot, das nach den Erfahrungen der nationalsozialistischen Diktatur von hoher symbolischer wie politischer Bedeutung war. Die Öffentlichkeit der Sitzung war Ausdruck einer rechtsstaatlichen politischen Kultur, die sich dem offenen und kontrollierten Verfahren verpflichtet sah. Sie reflektiert den konstitutiven Willen, den verfassungsgebenden Prozess der Kontrolle durch die Öffentlichkeit zu unterstellen und damit politische Legitimität durch Transparenz zu sichern.
Die Feststellung als solche ist keine normative Entscheidung, sondern ein rechtsförmiger Akt der Protokollierung und Bekundung. Erst auf deren Grundlage konnte der Parlamentarische Rat das Grundgesetz ausfertigen und verkünden. Die Eingangsformel begründet damit in funktionaler Hinsicht die Verbindung zwischen dem Erarbeitungsprozess und der rechtlichen Existenz des Grundgesetzes. Die Ausfertigung durch die Präsidenten des Parlamentarischen Rates dokumentiert die verfassungsgebende Autorität des Gremiums und grenzt den Akt der Verfassungssetzung deutlich von der späteren Gesetzgebung ab, die dem Verfahren des Art. 82 GG folgt.
Besondere Aufmerksamkeit verdient der abschließende Satz, der Bezug auf Art. 145 Abs. 3 GG nimmt. Die Bezugnahme zeigt, dass bereits im Normtext des Grundgesetzes selbst dessen Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt vorgesehen und rechtlich vorgezeichnet war. Die Eingangsformel fungiert somit als Umsetzungsvorschrift des Grundgesetzes und schlägt eine Brücke zwischen dem verfassungsgebenden Akt und dem Inkrafttreten des Verfassungstextes. Sie bestätigt zugleich, dass das Grundgesetz formal erst durch die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt Rechtskraft erlangte.
Rechtssystematisch markiert die Eingangsformel den Übergang vom verfassungsgebenden Prozess zum geltenden Verfassungsrecht. Sie besitzt keine unmittelbare normative Bindungswirkung, hat jedoch eine wesentliche interpretative Funktion, indem sie Hinweise auf Herkunft, Legitimation und Strukturprinzipien der Verfassungsordnung bietet. Insbesondere für die Auslegung der demokratischen und föderativen Grundlagen des Grundgesetzes dient sie als rechtsgeschichtlicher Bezugspunkt.
In der verfassungsrechtlichen Dogmatik ist zudem anerkannt, dass die Eingangsformel einen Beitrag zur Identitätsbestimmung des Grundgesetzes leistet. Sie verweist explizit auf die zeitgeschichtliche Lage, den Ort und die Akteure der Verfassungsgebung, wodurch die Entstehung des Grundgesetzes nicht als abstrakter juristischer Akt erscheint, sondern als konkrete politische Handlung in einer außergewöhnlichen historischen Situation. Diese Verankerung im geschichtlichen Kontext hat Kultur- und Verfassungshistoriker stets beschäftigt und führt zu einer doppelten Bedeutungsebene: zum einen als Dokument der Entstehung, zum anderen als Ausdruck der Selbstvergewisserung des Verfassungsgesetzgebers über die Legitimität der neuen Staatsordnung.
Dass die Eingangsformel, anders als die Präambel, keine politischen Zielsetzungen oder Wertentscheidungen trifft, sondern rein deskriptiv bleibt, ist ein zusätzlicher Hinweis auf ihre Funktion als verfahrensbezogene Urkunde. Sie dient nicht der programmatischen Ausrichtung des Gemeinwesens, sondern der rechtsförmlichen Begründung des Geltungsanspruchs des Grundgesetzes. Zugleich verweist sie auf das historisch-praktische Zusammenspiel von Länderparlamenten, Parlamentarischem Rat und Bundesgesetzblatt als konstitutiven Elementen der Staatswerdung der Bundesrepublik.
2. Historischer Kontext
Die Eingangsformel erwähnt nicht, dass das Grundgesetz auch von der Genehmigung der Militärgouverneure abhing. Am 12. Mai 1949 genehmigten die Militärgouverneure Lucius D. Clay (USA), Sir Brian H. Robertson (GB) und Pierre Koenig (Frankreich) das Grundgesetz im IG-Farbenhaus.1
- Die Außenministerkonferenz der Westmächte beschloss im April 1949 die endgültige Fassung des Besatzungsstatuts.
- Am 23. Mai wurde das Grundgesetz verkündet.
- Am 14. August fand die erste Bundestagswahl statt.
- Das Statut wurde schließlich am 21. September 1949 in Kraft gesetzt – einen Tag nachdem sich die neue Bundesregierung unter Konrad Adenauer gebildet hatte.2
- 1. Vgl. Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte: Die Alliierten und das Grundgesetz, abgerufen am 1.12.2025.
- 2. Vgl. bpb: Vor 70 Jahren: Besatzungsstatut für die Bundesrepublik, Redaktion, vom 18.09.2019, abgrufen am 1.12.2025.