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CMS Hasche Sigle Blog
Tarifwerk GVP/DGB: Allgemeine Einsatzregelungen
Der MTV BAP/DGB enthält einige allgemeine Einsatzregelungen (dort: §§ 8.1 und 8.2). Danach unterliegt der Zeitarbeitnehmer* dem Direktionsrecht des Kundenbetriebs, soweit diesem Aufgaben im Kundenbetrieb übertragen sind. Das allgemeine Direktionsrecht des Arbeitgebers bleibt hiervon unberührt. Der Mitarbeiter ist verpflichtet, auf Anordnung des Arbeitgebers an wechselnden Einsatzorten tätig zu werden. Beschränkende Regelungen bedürfen der ausdrücklichen, vertraglichen Vereinbarung, z. B. wenn das in Betracht kommende Einsatzgebiet begrenzt werden soll. Diese Bestimmungen finden sich nunmehr (wortgleich) in §§ 7.1 und 7.2 Abs. 1 MTV GVP/DGB wieder. Im MTV iGZ/DGB fehlen derartige Klauseln.
Eine Umstellung ist damit für die bisherigen iGZ-Anwender in der Regel allerdings nicht verbunden, da die obigen Klauseln allgemein das Wesen der Tätigkeit eines Zeitarbeitnehmers bzw. der Arbeitnehmerüberlassung charakterisieren. Vergleichbare Bestimmungen werden in der Praxis im Arbeitsvertrag mit dem Mitarbeiter vereinbart und können aufgrund der tariflichen Regelungen grundsätzlich zukünftig entfallen. Sollten die Klauseln im Arbeitsvertrag verbleiben, ist dies möglich. In diesem Fall sollten diese aber inhaltlich mit den tariflichen Bestimmungen synchronisiert werden.
Wesentlich ist, dass in § 7.2 Abs. 2 MTV BAP/DGB ergänzend vorgesehen ist, dass der Zeitarbeitnehmer einen Anspruch auf eine Einsatzmeldung mit den wesentlichen Inhalten seines Einsatzes im Kundenbetrieb hat. Diese Bestimmung wurde in das Tarifwerk GVP/DGB überführt (dort: § 8.1 Abs. 2). Im MTV iGZ/DGB ist ein derartiger Anspruch nicht vorgesehen, jedoch dürfte auch in diesem Zusammenhang der „Umstellungsaufwand“ für bisherige iGZ-Anwender gering sein, da diese den Zeitarbeitnehmern in der Vergangenheit schon aus praktischen Gründen eine entsprechende Einsatzmitteilung haben zukommen lassen müssen, um diesen über den nächsten Kundeneinsatz in Kenntnis zu setzen – schlicht um sicherzustellen, dass der Mitarbeiter weiß, wann er sich wo bei welchem Kunden zur Aufnahme der Tätigkeit einzufinden hat. Zudem verpflichtet § 11 Abs. 2 S. 4 AÜG das Zeitarbeitsunternehmen dazu, den externen Mitarbeiter vor jeder Überlassung darüber zu informieren, dass dieser als „Leiharbeitnehmer“ tätig wird (in Textform), und ergänzend die Firma und die Anschrift des Kunden mitzuteilen, bei dem dieser eingesetzt wird.
Letztlich werden in dieser Information dem Zeitarbeitnehmer in der Praxis regelmäßig die weiteren wesentlichen Einsatzdetails übermittelt, so dass sich für iGZ-Anwender durch die Anpassung der tariflichen Vorschriften kaum (relevante) Änderungen in den Prozessen ergeben dürften.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.
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Update: Data Act-Durchführungsgesetz
Am 29. Oktober 2025 hat das Bundeskabinett den Entwurf des Data Act-Durchführungsgesetzes (DA-DG) verabschiedet. Der Kabinettsentwurf zeichnet klar ab, wie der seit dem 12. September 2025 geltende Data Act in Deutschland durchgesetzt werden soll – insbesondere, welche Behörden- und Sanktionsstrukturen künftig gelten sollen.
Wie das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDS) betont, erfolgt die Umsetzung des Data Act eins zu eins, also ohne zusätzliche nationale Anforderungen. Damit verzichtet Deutschland hier auf das sog. „Gold-Plating“ und setzt stattdessen auf eine schlanke, praxisnahe Regulierung. Im Vordergrund steht die Beratung der Unternehmen, nicht ein Übermaß an Kontrolle oder „Overenforcement“.
Im Folgenden fassen wir zusammen, welche zentralen Änderungen der Kabinettsentwurf gegenüber dem Referentenentwurf vom Februar 2025 vorsieht – insbesondere bei Zuständigkeiten, Aufsichtsstrukturen und Sanktionen – und was dies für Unternehmen in der Praxis bedeutet.
BNetzA bleibt Vollzugsbehörde – Zusammenarbeit mit der BfDI präzisiertAuch nach dem Kabinettsentwurf bleibt die Bundesnetzagentur (BNetzA) zentrale Aufsichtsbehörde für die Anwendung und Durchsetzung des Data Act. Sie wird Ansprechpartnerin für Beschwerden, Aufsichtsverfahren und Fragen der praktischen Umsetzung. Die Bundesregierung hält damit an ihrem Konzept fest, die Überwachung des europäischen Datenrechts in einer Behörde zu bündeln; die Bundesnetzagentur ist bereits für den Digital Services Act und den Data Governance Act zuständig und soll künftig auch den AI Act beaufsichtigen.
Beim Umgang mit personenbezogenen Daten im Rahmen des Data Act soll ausschließlich die Bundesdatenschutzbeauftragte (BfDI) zuständig sein und dabei eng mit der BNetzA zusammenarbeiten. Beide Behörden müssen sich gegenseitig beteiligen, wenn ihre Aufgaben Berührungspunkte mit dem Data Act haben. Stellt die BNetzA fest, dass personenbezogene Daten betroffen sind, entscheidet die BfDI über die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung nach der DSGVO. Diese Einschätzung ist für die BNetzA verbindlich und kann nur gemeinsam mit deren endgültiger Entscheidung angefochten werden. Damit sollen widersprüchliche Entscheidungen vermieden und Rechtssicherheit geschaffen werden. Die Landesdatenschutzbehörden sind nicht zuständig. Auch Bußgelder bei Datenschutzverstößen im Zusammenhang mit dem Data Act darf nur die BfDI verhängen. Der Gesetzgeber begründet die Konzentration der Zuständigkeit auf Bundesebene ausdrücklich mit Effizienzgesichtspunkten: Die Bündelung von Verwaltungsaufgaben bei einer zentralen Behörde reduziere den personellen und finanziellen Aufwand erheblich und beschleunige die Bearbeitung komplexer Sachverhalte. Zudem ermögliche eine einheitliche Aufsicht eine kohärente Auslegung des europäischen Datenrechts und vermeide Kompetenzkonflikte zwischen Bund und Ländern.
Reduzierte Ausstattung – schlankere, aber fokussierte AufsichtEine wesentliche Änderung betrifft den Ressourceneinsatz. Die BNetzA erhält für den Vollzug des Data Act deutlich weniger Personal als zunächst vorgesehen. Anstelle der ursprünglich geplanten 59,7 Vollzeitstellen werden nun rund 19 Planstellen geschaffen. Die BfDI erhält ihrerseits 17,1 Vollzeitstellen, um die datenschutzrechtlichen Aspekte des Data Act wahrnehmen zu können.
Beide Behörden sollen ihre Kapazitäten „bedarfsorientiert“ nachsteuern können, falls sich im Vollzug ein höherer Personalbedarf ergibt. Damit setzt der Kabinettsentwurf auf eine kompaktere, aber spezialisierte Aufsichtsstruktur.
Eingeschränkte Ermittlungsbefugnisse – Streichung von Durchsuchungen und BeschlagnahmenDie im Referentenentwurf noch vorgesehenen Ermittlungsinstrumente, insbesondere die Befugnisse zu Durchsuchungen und Beschlagnahmen, wurden gestrichen. Die BNetzA behält weiterhin weitgehende Auskunfts- und Prüfungsrechte sowie die Möglichkeit, Unterlagen anzufordern und Zeugen zu befragen. Auf besonders eingriffsintensive Maßnahmen wird jedoch verzichtet. Dies entspricht dem Ziel, ein verhältnismäßiges Durchsetzungsregime zu etablieren, das einerseits wirksam, andererseits aber auch verhältnismäßig ausgestaltet ist.
Zwangs- und Bußgelder im Data Act-Durchführungsgesetz neu gefasstDer Kabinettsentwurf überarbeitet auch den Sanktionsrahmen. Das Höchstmaß für Zwangsgelder zur Durchsetzung von Anordnungen der BNetzA wird von bislang zehn Millionen Euro auf EUR 500.000 abgesenkt. Die Bußgeldstruktur bleibt im Grundsatz erhalten, ist jedoch präzisiert: geringfügige Verstöße können mit bis zu EUR 50.000 geahndet werden, mittlere Verstöße mit bis zu EUR 100.000 und schwere Verstöße mit bis zu EUR 500.000. Die Zahl der bußgeldbewehrten Tatbestände wurde reduziert, sodass nicht jeder Verstoß gegen den Data Act automatisch eine Ordnungswidrigkeit darstellt. Für sogenannte „Gatekeeper“ im Sinne des Digital Markets Act gelten weiterhin erhöhte Sanktionen – nunmehr bis zu fünf Millionen Euro oder zwei Prozent des weltweiten Jahresumsatzes, je nachdem, welcher Betrag höher ist. Auch der insofern vorgesehene Prozentsatz von vier Prozent wurde damit halbiert.
DA-DG-Kabinettsentwurf: Zentrale BNetzA-Aufsicht, kein Gold-Plating – schlanke Data-Act-Umsetzung mit mehr Rechtsklarheit für UnternehmenMit dem Kabinettsentwurf des DA-DG liegt nun der konsolidierte Rahmen für den Vollzug des Data Act in Deutschland vor. Die Bundesregierung verfolgt damit eine klare Linie: eine zentrale, effiziente und praxisnahe Aufsicht bei der BNetzA, eine präzise Abgrenzung datenschutzrechtlicher Zuständigkeiten sowie ein verhältnismäßiges, aber wirksames Sanktionsregime.
Positiv hervorzuheben ist, dass der Kabinettsentwurf den Fokus ausdrücklich auf Kooperation und Beratung legt und damit bewusst auf übermäßige Regulierung („Overenforcement“) verzichtet. Zugleich setzt der Entwurf ein klares Signal für weniger Bürokratie und verzichtet auf „Gold-Plating“ – also darauf, EU-Vorgaben ohne zusätzliche nationale Anforderungen umzusetzen, um Mehrbelastungen und Abweichungen vom europäischen Standard zu vermeiden. Die Umsetzung des Data Act erfolgt schlank, praxisorientiert und innovationsfreundlich – im Sinne einer modernen, wettbewerbsfähigen Datenwirtschaft.
Für Unternehmen bedeutet dies mehr Rechtsklarheit,insbesondere hinsichtlich der Ansprechpartner, der Verfahren und der möglichen Sanktionen. Gleichwohl bleibt abzuwarten, wie sich die Aufsichtspraxis der BNetzA und des BfDI entwickelt, sobald die Regelungen ab September 2025 in der Praxis greifen. Die Erfahrung mit dem Data Governance Act und dem Digital Services Act legt nahe, dass die BNetzA ihre Rolle als zentrale Datenaufsicht zügig etablieren wird.
Unternehmen sollten bereits jetzt prüfen, ob ihre Datenverarbeitungs- und Herausgabeverfahren, Vertragsstrukturen und internen Compliance-Prozesse mit den Anforderungen des Data Act und den künftig durch die BNetzA überwachten Pflichten im Einklang stehen.
Mit unserer CMS Blog-Serie „#CMSdatalaw“ geben wir Ihnen einen Überblick über das Datenrecht wie z.B. den Data Act und den Data Governance Act. Den in unsere Blog-Serie einführenden Beitrag finden Sie hier. Besuchen Sie zum Datenrecht zudem gern unsere CMS Insight-Seite „Data Law“.
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KI-generierter Softwarecode in der Due Diligence
Bei M&A-Transaktionen, die den Erwerb von Softwarelösung zum Gegenstand haben, stellen sich zunehmend urheberrechtlich verankerte Fragen. Es wird im Rahmen der Due Diligence grundsätzlich geprüft, ob die Zielgesellschaft bzw. verkaufende Gesellschaft Rechtsinhaberin der entwickelten Softwarelösung ist und ob ausgeschlossen werden kann, dass die Softwarelösung Rechte Dritter verletzt.
Einerseits ergeben sich urheberrechtlich verankerte Fragen aus dem Umstand, dass in der heutigen Zeit häufig generative Künstliche Intelligenz (nachfolgend „KI“) in der Entwicklung oder Optimierung von Softwarelösungen eingesetzt wird. KI-Systeme können dabei nicht nur Codezeilen generieren, sondern auch in bestehenden Softwarelösungen zum Fortentwickeln oder zur Optimierung des Codes eingesetzt werden.
Herausforderungen folgen andererseits daraus, dass solchen KI-Systeme zumeist Methoden und Verfahren zugrunde liegen, deren Leistungsfähigkeit aus dem Training mit großen Datenmengen oft unbekannten Ursprungs stammt. Sind bei dem Training wiederum urheberrechtliche Verstöße begangen worden, so können sich diese Verstöße in dem entwickelten Softwarecode fortsetzen und somit Nutzungsbeschränkungen und Haftungsrisiken für die erwerbende Gesellschaft darstellen.
Ist KI-generierter Code schutzfähig?Insbesondere stellt sich die Frage danach, ob der durch Entwickler* der Zielgesellschaft KI-generierte Softwarecode urheberrechtlich geschützt ist. Ist dies der Fall, so stellt sich die Frage, wer Inhaber der geistigen Eigentumsrechte am Softwarecode ist, insbesondere also, ob die geistigen Eigentumsrechte daran der Zielgesellschaft zustehen. Nur in solchen Fällen kann der Softwarecode im Rahmen eines Kaufvertrages (Asset Deal) übertragen werden. Auch für den Wert der Zielgesellschaft im Anteilskaufvertrag (Share Deal) spielt es eine Rolle, ob diese Inhaberin der Rechte am Softwarecode ist.
Im Übrigen stellt sich die Frage, welche Risiken die Nutzung und der Vertrieb KI-generierten Softwarecodes noch birgt, darunter insbesondere, ob der KI-generierte Softwarecode bestehende Urheberrechte Dritter verletzt.
Generierung von Softwarecode mithilfe von KI wirft Fragen nach Urheberschaft und Verantwortlichkeiten aufKI-Systeme sind heute in der Lage, eigenständig Softwarecode zu erstellen, zu überarbeiten und zu optimieren. Grundlage hierfür sind große Sprachmodelle (Large Language Models (LLM)).
Diese KI-Systeme werden mit großen Datenmengen, darunter Textblöcke, eine sehr große Menge an Quellcode (Source Code) und Softwaredokumentation verschiedener Programmiersprachen, trainiert. Grundlage solcher Systeme sind häufig neuronale Netze, die während des Trainings Muster in den als Trainingsdaten bereitgestellten Softwarecodezeilen erkennen. Dabei werden die einzelnen Textblöcke oder Codezeilen in sogenannte Token aufgespalten, Kategorisierungen gebildet und anderen Token zugeordnet. Im KI-System erfolgt dann beispielsweise die Prompteingabe eines menschlichen Programmierers, um ein gesamtes Problem umfassend automatisiert programmieren zu lassen. Alternativ gibt es KI-Systeme, die automatisiert eine Überprüfung menschlich geschriebenen Softwarecodes vornehmen und Verbesserungsvorschläge generieren. Ebenso können KI-Systeme bestehenden Softwarecode analysieren, Fehler identifizieren, alternative Lösungsansätze vorschlagen und Performanceverbesserungen anregen.
Damit übernehmen KI-Systeme zunehmend Tätigkeiten, die bislang menschlicher Kreativität und Expertise im Softwareentwicklungsprozess vorbehalten waren, was rechtliche Fragen zur Urheberschaft und Verantwortlichkeit aufwirft. Der durch das KI-System generierte Output besteht daher oft aus unmittelbar maschinenlesbare Quell-Codezeilen. Es entsteht zwar scheinbar neuer Code, der aber auf zuvor gelernten Mustern und Zusammenhängen beruht. Bei der Optimierung von Softwarecode analysiert die KI den bestehenden Programmtext und schlägt effizientere oder fehlerfreie Varianten vor, oft unter Nutzung bekannter Programmierparadigmen und Best Practices.
Schutzfähigkeit von KI-generiertem CodeNach § 69a Abs. 3 UrhG werden Computerprogramme geschützt,
wenn sie individuelle Werke in dem Sinne darstellen, daß sie das Ergebnis der eigenen geistigen Schöpfung ihres Urhebers sind.
Es kommt also auch für die Frage der Schutzfähigkeit von durch KI-Systeme generierten Softwarecode auf die Schöpfungshöhe an. Dabei gilt nach §§ 69a IV, 7 UrhG das Schöpferprinzip auch für Computerprogramme. Es ist anerkannt, dass nur ein Mensch zu einer eigenen geistigen Schöpfung in der Lage ist und deshalb nur ein Mensch Urheber sein kann. Vollständig durch ein KI-System generierter Softwarecode ist demnach gemeinfrei (sog. Public Domain).
Ein urheberrechtlicher Schutz an Softwarecode, der unter Beteiligung von KI-Systemen entwickelt wurde, ist grundsätzlich nur dann denkbar, wenn ein Mensch ein KI-System als untergeordnetes Werkzeug für eigenes kreatives Schaffen nutzt und dabei der menschliche Beitrag eine nachweisliche Schöpfungshöhe erreicht. Dabei stellt sich die Frage, ab wann ein menschlicher Beitrag bei gemischten „Mensch-Maschine-Erfindungen“ (Bomhard/Gajeck, RDi 2021, 472, 477) ausreicht, um eine eigene geistige Leistung darzustellen. Zumeist dürfte ausreichen, wenn der menschliche Beitrag nicht durch die Tätigkeit des KI-Systems derart überlagert wird, dass für eine eigene geistige Leistung kein Raum mehr ist (Vgl. Bomhard/Gajeck, RDi 2021, 472, 477; Dornis GRUR 2021, 784, 787 ff.). Für einen urheberrechtlich relevanten Beitrag dürften komplexe Prompts und die umfangreiche Nachbearbeitung notwendig sein, um überhaupt eine persönliche geistige Schöpfung des Programmierers mit urheberrechtlichem Schutz zu erhalten. Dann entsteht an den menschlich entwickelten Codezeilen ein Urheberrecht nach §§ 2, 69a UrhG. Die Codeteile, die das KI-System generiert hat, bleiben hingegen gemeinfrei. Der Grundsatz der Gemeinfreiheit beinhaltet die allumfassende Nutzungsmöglichkeit für jedermann. Es handelt sich also nicht um Open-Source-Software, sondern um nicht-lizensierungsfähige, rechtsfrei bestehende und für jedermann nutzbare Software.
Um der Darlegungs- und Beweislast für die Schutzfähigkeit (insbesondere der Schöpfungshöhe) nachzukommen, müssten sowohl das Training als auch die Prompts penibel und umfassend dokumentiert werden. Nur so kann die bloße Assistenzarbeit des KI-Systems nachgewiesen werden.
Davor schützt auch nicht die umfassende Rechteeinräumung in den AGB oder Nutzungsbedingungen der KI-Anbieter an den Ausgaben, die das eingesetzte KI-System erzeugt. Ein Urheberrecht entsteht nur bei Vorliegen der gesetzlich zwingenden Voraussetzungen (Werk bzw. Computerprogramm oder Datenbank, persönlich geistige Schöpfung). Der Anbieter des KI-Systems kann einem Nutzer keine Rechte einräumen, übertragen oder lizensieren, die ihm selbst nicht zustehen oder rechtlich gar nicht bestehen.
Wie kann der Softwarecode sonst geschützt sein?Selbst wenn kein urheberrechtlicher Schutz gegeben ist, so kann sich die Werthaltigkeit der Softwarelösung jedoch daraus ergeben, dass die Umsetzung der Funktionalitäten im Quellcode nicht marktbekannt ist. Entsprechend dem Schutz von Know-How kann auch für nicht öffentlich bekannten Softwarecode Geheimnisschutz nach dem Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) bestehen.
Ein Schutz von Softwarecode als Geschäftsgeheimnis setzt voraus, dass iSd § 2 Nr. 1 GeschGehG eine Information vorliegt, die von kommerziellem Wert und in der genauen Anordnung nicht allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich ist. Sofern der Softwarecode werthaltig ist und zusätzlich geheim gehalten wird, kann Geheimnisschutz für die vollständige Softwarelösung bestehen.
Der Schutz setzt allerdings voraus, dass ein Vertrieb der Softwarelösung nicht unter Herausgabe des Quellcodes, sondern nur im rein maschinenlesbaren Objektcode erfolgt. In der Regel erfolgt der Vertrieb, jedenfalls von nur in geringem Grad individualisierter Standardsoftware von Software im Objektcode, da nur dieser für die Ausführung der Software durch den Kunden benötigt wird.
Besteht Geheimnisschutz, so stehen der Zielgesellschaft / verkaufenden Gesellschaft zumindest nach dem Geheimnisschutzgesetz Ausschließlichkeitsrechte bezüglich des Zugriffes von Dritten nach § 4 in Verbindung mit §§ 6 ff. GeschGehG am Quellcode zu.
Im Rahmen der Due Diligence ist also zu prüfen, ob ein lückenloser Schutz des Quellcodes aufgrund angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen besteht und in der Vergangenheit bestanden hat.
Risiken bei der Nutzung KI-generierten CodesNun ergeben sich aus der Funktionsweise von KI-Systemen neben den etlichen Chancen auch rechtliche Problemfelder.
KI-Systeme werden häufig mit großen Datenmengen von Datenanbietern trainiert, die ihre Daten wiederum durch sogenanntes Webscraping (Abgreifen und Speichern ungefilterter Informationen von unzähligen Webseiten) aus dem Internet gewonnen haben. Das Webscrapen ist zum Zwecke des Text- und Data Minings nach § 44b Abs. 1 UrhG zwar grundsätzlich erlaubt. Zum Text- und Data Mining zählt die automatisierte Analyse von einzelnen oder mehreren digitalen oder digitalisierten Werken, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen zu gewinnen. Ob das Training von KI-Systemen in der Gesamtheit der Schranke unterfällt, ist bislang nicht höchstrichterlich entschieden und ist in der juristischen Wissenschaft umstritten (Überblick über den Streitstand: Bomhard, in: BeckOK UrhR, 42. Ed. 15.2.2024, UrhG § 44b Rn. 11a-11b m.w.N.). Zumindest für die Erstellung des Trainingsdatensatzes zum KI-Training hat das LG Hamburg (Urteil v. 27. September 2024 – 310 O 227/23) die grundsätzliche Anwendbarkeit von § 44b Abs. 1 UrhG bejaht.
Für eine Anwendbarkeit auf den weiteren Trainingsvorgang spricht, dass der europäische Gesetzgeber durch Art. 53 Abs. 1 lit. c) des AI Acts (Verordnung zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für KI, VO EU 2024/1689) die Verpflichtung an KI-Modellanbieter richtet, die technische Möglichkeit der Erkennung eines maschinenlesbaren Opt-Outs nach § 44b III UrhG umzusetzen. Das setzt voraus, dass eine Anwendbarkeit von § 44b UrhG auf KI-Systeme besteht. Gleichzeitig umfasst der AI Act in Art. 53 Abs. 1 lit. a) und lit. d) die Verpflichtung zur technischen Dokumentation des Trainingsprozesses und eine zu veröffentlichende Zusammenfassung über die Daten, die für das Training genutzt wurden.
Allerdings umfasst die Nutzung der Daten für das KI-Training nicht die Nutzung der Daten für den Output des KI-Systems. Selbst wenn nach § 44b Abs. 1 UrhG ein Trainieren des KI-Systems erlaubt ist, ist eine darüberhinausgehende Nutzung (z.B. als Teil des vom KI-System generierten Outputs) nicht vom Nutzungsrecht erfasst.
Gerade weil KI-Systeme oft nicht näher darlegen, wie sie zu dem Output gekommen sind (sog. Reasoning), ist jedoch für den Nutzer nicht ersichtlich, ob es sich nicht doch um eine exakte Reproduktion von Teilen der Trainingsdatensätze handelt. Es kann nach derzeitigem Kenntnisstand beim Einsatz von KI-Systemen von Fremdanbietern nicht vollständig ausgeschlossen werden, dass sich die durch Webscraping erlangten Daten auch im Output des KI-Systems wiederfinden. Sofern allerdings nicht bereits der Prompt des Entwicklers einen urheberrechtlichen Verstoß enthält, ist das Risiko bei der Funktionsweise heutiger generativer KI-Systeme jedenfalls gering – zumindest soweit keine Manipulation des KI-Systems durch den Entwickler vorliegt (Käde, 2021, Kreative Maschinen und Urheberrecht, S. 74 f.).
Enthält die durch die Zielgesellschaft oder verkaufende Gesellschaft entwickelte Softwarelösung eine exakte Reproduktion von Teilen der Trainingsdaten, die einem Webscraping entstammt, liegt (selbst bei Einhaltung der Regelung des § 44 b UrhG) für diese Codezeilen kein Nutzungsrecht vor. Wird die Softwarelösung nun durch die Zielgesellschaft oder erwerbende Gesellschaft als eigene vertrieben, stellt dies eine Urheberrechtsverletzung dar.
Für die Regelung des § 44b Abs. 1 UrhG sieht § 44b Abs. 3 UrhG im Übrigen eine Opt-Out-Möglichkeit für den Urheber der Ausgangsdaten vor. Die Möglichkeit setzt das Einfügen eines ausdrücklichen und maschinenlesbaren Nutzungsvorbehalts auf der Webseite voraus und beschränkt die Erlaubnis des Text- und Data Minings. Auch hier ist höchstrichterlich noch ungeklärt, welchen Anforderungen die Vorbehaltserklärung für die Maschinenlesbarkeit entsprechen muss. Nach Auffassung des LG Hamburg (Urteil v. 27. September 2024 – 310 O 227/23). zeichnet sich ein weites Verständnis ab, dass eine Erkennbarkeit eines in natürlicher Sprache verfassten Nutzungsvorbehalts ausreichen lässt und keine darüberhinausgehende technische Umsetzung erfordert.
Für den Entwickler der Zielgesellschaft bzw. der verkaufenden Gesellschaft ist zum einen nicht ersichtlich, ob der Anbieter des KI-Systems die Regelungen des § 44b UrhG eingehalten hat und zudem kann der Nutzer nicht verifizieren, dass es sich nicht um eine exakte Reproduktion von Trainingsdaten handelt.
Im Rahmen der Due Dilligence sollte daher geprüft werden, ob der Anbieter des KI-Systems Angaben dazu veröffentlicht, wie er die Trainingsdaten erlangt hat und wie er sicherstellt, dass es zu keiner Reproduktion der Trainingsdaten im Output kommt.
Freistellungen von Urheberrechtsverstößen durch Anbieter der KI-SystemeEinige Anbieter von KI-Systemen haben erkannt, dass die Möglichkeit von Urheberrechtsverletzungen gegeben und für Nutzer von KI-Systemen von steigender Bedeutung ist. Teilweise sehen die Anbieter daher in den Nutzungsbedingungen Freistellungsklauseln für etwaige Urheberrechtsverstöße durch das KI-System vor; der Anbieter des KI-Systems übernimmt beispielsweise die Kosten der Rechtsverteidigung gegen Urheberrechtsklagen durch Dritte. Allerdings sehen diese Freistellungen in vielen Fällen zahlreiche Ausnahmen vor, sodass sich Unternehmen hier keinesfalls auf eine vollständige Übernahme der Schäden und Aufwände verlassen sollten. Beispielsweise schließt bereits geringstes Mitverschulden des Nutzers bei der Nutzung des KI-Systems die Freistellung oft aus. Zudem wird die Freistellung oft nur gewerblichen Nutzern angeboten und betragsmäßig auf die innerhalb der Vertragslaufzeit für die Nutzung des KI-Systems gezahlten Gebühren begrenzt, wobei urheberrechtliche Verstöße diesen Betrag um ein Vielfaches übersteigen können.
Fokus im Rahmen der Due DiligenceVon KI-Systemen generierter Softwarecode ist grundsätzlich gemeinfrei und nur gegen die Nutzung durch Dritte geschützt, sofern der Softwarecode angemessen Geheimhaltungsmechanismen unterliegt. Tritt jedoch eine hinreichende Beteiligung der Entwickler bei der Entwicklung oder in der Nachbearbeitung des Softwarecodes hinzu und ist das KI-System nur als Werkzeug des Entwicklers tätig, dann ist urheberrechtlicher Schutz möglich.
Es verbleibt ein zwar geringes, jedoch ernstzunehmendes Risiko, dass der Softwarecode, der vom KI-System im Output herausgegeben wird, exakte Reproduktionen von Trainingsdaten enthält. Handelt es sich bei den Trainingsdaten in solchen Fällen um Daten, die einem Webscraping entstammen, so liegt in der Nutzung des Softwarecodes ein Urheberrechtsverstoß – erst recht, wenn die Voraussetzungen der Text- und Data Mining Regelungen in § 44b UrhG nicht eingehalten wurden.
Zwar verweisen Anbieter von KI-Systemen auf Freistellungsklauseln, welche das ökonomische Risiko des fortlaufenden Urheberrechtsverstoßes zu einem gewissen Umfang eindämmen können. Allerdings sollten sich Unternehmen auf diese Klauseln wegen umfassender Ausschlüsse und Beschränkungen nicht verlassen.
In der Due Diligence ist daher der Fokus darauf zu legen, welche KI-Systeme die Zielgesellschaft bzw. die verkaufende Gesellschaft im Rahmen der Softwareentwicklung genutzt hat. Bestenfalls wurde auf KI-Systeme zurückgegriffen, deren Trainingsdaten durch den Hersteller besonders zertifiziert und lizenziert sind. Einige Anbieter generativer KI-Systeme werben damit, dass sie das KI-System ausschließlich mit lizensierten Daten trainiert haben. Ein dahingehendes Angebot besteht am Markt also.
Zudem ist zu prüfen, in welchem Umfang KI bei der Entwicklung eingesetzt wurde und ob der Softwareentwicklungsprozess insofern hinreichend dokumentiert wurde. Sind große Teile der Softwarelösung mit KI entwickelt worden, so kann die Wertigkeit der Softwarelösung in Frage stehen. Insbesondere sind in solchen Fällen die Geheimhaltungsmechanismen der Zielgesellschaft bzw. der verkaufenden Gesellschaft zu überprüfen. Nur wenn durch ausreichenden Schutz vor Kenntnisnahme durch Dritte ein angemessenes Geheimnisschutzniveau gewährleistet ist, besteht überhaupt Geheimnisschutz für die Codezeilen. Daher sind nicht nur Geheimhaltungsvereinbarungen der Zielgesellschaft / der verkaufenden Gesellschaft zu sichten, sondern es sollte auch das Vertriebssystem und die konkrete Bereitstellung der Software an Kunden im Detail überprüft werden.
Insbesondere bietet sich für solche Fälle an, als Teil der Due Diligence einen Softwarecode-Scan durchzuführen, um jedenfalls die exakte Reproduktion von online frei zugänglicher Open-Source Software zu erkennen. Rahmen der Compliance-Prüfung mit Open-Source-Softwarelizenzen ist dieses Vorgehen in der Regel ohnehin geboten.
In unserem CMS-Blog halten wir Sie in unserer Blog-Serie „Künstliche Intelligenz“ fortlaufend mit aktuellen Beiträgen zu diesen Themen auf dem Laufenden. Sie können diese Blog-Serie über den RSS-Feed abonnieren und werden von uns über neue Beiträge benachrichtigt. Im Rahmen dieser Blog-Serie sind bereits Beiträge erschienen zu Themen wie: Mithilfe Künstlicher Intelligenz plötzlich Urheber?; OLG Köln: KI-Training mit Nutzerdaten ist zulässig; Of Dice and Cheese – Zum Urheberrechtsschutz von KI-Erzeugnissen aus Sicht des U.S. Copyright Offices; Künstliche Intelligenz und der Journalismus der Zukunft; Endspurt für die Regulierung von KI; Verbotene Praktiken und Hochrisiko-KI-Systeme; Hochrisiko-KI-Systeme als regulatorischer Schwerpunkt; Pflichten entlang der Wertschöpfungskette und für Anbieter von Basismodellen; Transparenzpflichten, Rechte für Betroffene, AI Office und Sanktionen sowie Robo Advisor. Weitere Informationen finden Sie zudem auf unserer Insight-Seite: Implikationen für Künstliche Intelligenz und Recht | CMS Deutschland.
Haben Sie Anregungen zu weiteren Themen rund um KI, die in unserer Blog-Serie „Künstliche Intelligenz“ nicht fehlen sollten? Schreiben Sie uns gerne über blog@cms-hs.com.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.
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KI-Förderung in Deutschland: Fördermöglichkeiten und rechtliche Anforderungen im Fokus
Die Bundesregierung investiert derzeit mehr Geld als je zuvor in Künstliche Intelligenz (KI). Ziel ist es, die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu stärken und KI-Innovationen schneller in die praktische Anwendung zu bringen. Für Unternehmen ergeben sich daraus zahlreiche Chancen – gleichzeitig steigen jedoch auch die rechtlichen Anforderungen, um Fördermittel rechtssicher nutzen zu können.
Während Deutschland und die EU traditionell stark auf öffentliche Förderprogramme setzen, dominieren in den USA private Investitionen das KI-Finanzierungsumfeld. Die EU und Deutschland verfolgen im Gegensatz dazu einen stärker staatlich gesteuerten Ansatz: Förderprogramme, Forschungsvorhaben und Infrastrukturinvestitionen sollen die technologische Basis und Wettbewerbsfähigkeit im KI-Bereich sichern.
Während in Deutschland und der EU traditionell der Staat als Förderer eine zentrale Rolle spielt, wird der KI-Boom in den USA maßgeblich durch enorme private Investitionen großer Tech-Konzerne getragen (allein 2024 flossen in den USA über USD 100 Mrd. an privaten KI-Investitionen, ein Vielfaches im Vergleich zu Europa). Diese Unterschiede prägen die Förderlandschaften: In Deutschland und der EU dominieren gezielte öffentliche Programme, in den USA vor allem unternehmerische Initiativen.
Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die wichtigsten öffentlichen Fördermaßnahmen für KI in Europa und Deutschland und weist auf rechtliche Aspekte hin, die Unternehmen im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Förderungen beachten müssen.
EU-Förderprogramme für KIAuf europäischer Ebene stellt die EU erhebliche Mittel bereit, um Forschung und Anwendung von Künstlicher Intelligenz zu fördern.
Das zentrale EU-Programm zur Förderung von Forschung und Innovation ist Horizon Europe, welches in der Periode 2021-2027 über ein Gesamtbudget von rund EUR 95,5 Mrd. verfügt. Horizon Europe zielt darauf ab, Europas Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, globale Herausforderungen zu bewältigen und den technischen Fortschritt zu fördern. KI ist dort als Querschnittsthema in mehreren Clustern – etwa Digital, Industry and Space – verankert. Gefördert werden sowohl Verbundprojekte zwischen Wissenschaft und Wirtschaft als auch Start-ups und KMU über den European Innovation Council, der marktschaffende Innovationen gezielt unterstützt.
Ergänzend fokussiert das Digital Europe Programme (DIGITAL) auf den breitenwirksamen Aufbau digitaler Kapazitäten in der EU. Mit einem Budget von rund EUR 7,5 bis EUR 8 Mrd. im Zeitraum 2021–2027 ist es das erste EU-Programm, das vollständig auf die breite Anwendung digitaler Technologien ausgerichtet ist.
Konkrete Schwerpunkte sind der Aufbau von Daten- und Cloud-Infrastrukturen, Test- und Experimentiereinrichtungen für KI (z.B. für KI-Anwendungen im Gesundheitswesen) sowie ein Netzwerk Europäischer Digitaler Innovationszentren (EDIH). Letztere bieten Unternehmen Zugang zu Testumgebungen, Datenplattformen und Expertenwissen, um KI-Lösungen risikolos auszuprobieren. So hat die EU-Kommission im DIGITAL-Arbeitsprogramm 2025–2027 zuletzt EUR 1,3 Mrd. für Projekte reserviert, die etwa die Verfügbarkeit generativer KI in Schlüsselbranchen verbessern und KMU über regionale Innovationshubs bei der KI-Einführung unterstützen.
Für Unternehmen eröffnen diese EU-Programme vielfältige Möglichkeiten: Horizon Europe ermöglicht es, gemeinsam mit starken Partnern Forschungsprojekte zu KI-Technologien zu realisieren, während Digital Europe bei der Implementierung und Skalierung von KI-Lösungen hilft – sei es durch finanzielle Unterstützung für Pilotprojekte oder den erleichterten Zugang zu Infrastruktur und Know-how auf europäischer Ebene.
Bundesweite KI-FörderprogrammeAuch auf Bundesebene wurde eine umfassende KI-Förderstrategie etabliert. Bereits 2020 hat die Bundesregierung die KI-Strategie beschlossen, mit welcher bis 2025 Förderprogramme, Initiativen und Kooperationen im KI-Bereich aufgelegt wurden. In den Haushaltsjahren 2022 und 2023 hatte die Bundesregierung insgesamt EUR 1,54 Mrd. in KI investiert, wovon EUR 730 Mio. auf die Forschungsförderung, EUR 209 Mio. auf die Förderung von Startups und kleinen bzw. mittelständischen Unternehmen und EUR 128 Mio. in Infrastrukturmaßnahmen flossen.
Ein zentrales Vorhaben in diesem Rahmen ist die Initiative Mission KI des (damaligen) Bundesministeriums für Digitales und Verkehr, die mit rund EUR 33 Mio. in den Jahren 2023 bis 2025 gefördert wird.
Mission KI verfolgt drei Schwerpunkte:
- Vernetzung von Datenräumen über Sektor- und Ländergrenzen hinweg, um die Datenbasis für KI-Innovationen zu stärken,
- Entwicklung vertrauenswürdiger KI, etwa durch einen freiwilligen Qualitätsstandard und den Aufbau von Innovations- und Qualitätszentren in Berlin und Kaiserslautern,
- Transfer und Skalierung, insbesondere durch Programme wie das AI Founder Fellowship-Programm, das Promovierende beim Schritt von der Forschung in die Gründung begleitet.
Auch der Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung aus dem Jahr 2025 bekräftigt den Anspruch, Deutschland zur „KI- und Gründer-Nation“ zu machen. Vorgesehen sind massive Investitionen in Cloud- und KI-Infrastruktur sowie Maßnahmen zur Entbürokratisierung der Förderpraxis. Die Bundesregierung will die Förderregeln und -verfahren modernisieren, eine Expertenkommission „Wettbewerb und Künstliche Intelligenz“ beim Bundeswirtschaftsministerium einsetzen und das Beihilferecht vereinfachen, um Innovations- und Industrieprojekte schneller umzusetzen.
Hervorzuheben sind zudem die nationalen, an Hochschulen angesiedelten KI-Kompetenzzentren, welche vom Bundesministerium für Bildung und Forschung seit 2022 dauerhaft bis zu EUR 50 Mio. pro Jahr gefördert werden. Ergänzend existieren spezifische Förderrichtlinien des BMBF, etwa zur „Anwendung von KI in der Wirkstoffforschung“ oder zur Initiative „KI für das Gemeinwohl“, die seit 2023 Projekte mit gesellschaftlichem Mehrwert in Bereichen wie Gesundheit, Umwelt und sozialer Innovation unterstützen.
Schwerpunkt: MittelstandsförderungÜber die Initiative „Mittelstand-Digital“ bietet das Bundeswirtschaftsministerium KMUs kostenlose Beratungen, Workshops und die Begleitung durch speziell geschulte KI-Trainer an. Daneben werden gezielte Wettbewerbe gefördert, etwa der „KI-Innovationswettbewerb – Generative KI für den Mittelstand“, bei dem bis zu EUR 20 Mio. für konkrete Umsetzungsprojekte bereitgestellt wurden. Förderbekanntmachungen sehen zudem vor, dass KMUs typischerweise mit einer Förderquote von bis zu 50 % der zuwendungsfähigen Kosten rechnen können. Einen anderen Ansatz verfolgt die Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND), die mit „Challenges“ und „Funken“ Förderungen in mehreren Phasen vergibt. Hervorzuheben ist auch das KI-Reallabor Osnabrück, das ab 2025 als Testumgebung für mittelständische Betriebe dient. Bund und Land Niedersachsen investieren hier zusammen rund EUR 8,3 Mio.
Auch die Bundesländer haben eigene KI-Strategien und Förderinitiativen entwickelt, um regionale Stärken zu unterstützen und den Transfer vor Ort zu fördernDie Landesprogramme ergänzen die Bundesförderung, indem sie den Aufbau von KI-Hubs, Forschungskooperationen und Unternehmensnetzwerken in den Regionen vorantreiben.
Hessen hat etwa mit „hessian.AI“ einen Zusammenschluss von 13 Universitäten geschaffen, der nach einer Aufbaufinanzierung von EUR 38 Mio. seit 2025 dauerhaft mit jährlich rund EUR 12 Mio. gefördert wird.
In Baden-Württemberg entsteht mit dem Innovationspark Künstliche Intelligenz Heilbronn ein groß angelegtes Ökosystem, für das das Land zunächst EUR 50 Mio. bereitgestellt hat. Weitere Projekte, etwa in Bayern oder Nordrhein-Westfalen, ergänzen die Förderlandschaft, indem sie regionale Stärken bündeln und den Transfer vor Ort fördern.
Rechtliche Rahmenbedingungen für EU- und nationale FörderprogrammeMit der Vielzahl an Förderprogrammen gehen rechtliche Anforderungen einher, die Unternehmen von Beginn an berücksichtigen sollten. Fördermaßnahmen können staatliche Beihilfen im Sinne der Art. 107, 108 AEUV darstellen. Auf nationaler Ebene regelt das Zuwendungsrecht die Vergabe staatlicher Fördermittel für KI-Projekte.
Besondere Aspekte von KI-Förderungen ergeben sich vor allem aus dem Innovationscharakter dieser Technologie. KI-Projekte werden häufig als Forschungs- und Entwicklungs-Vorhaben gefördert, was sowohl EU-rechtlich als auch national bestimmte Vorteile bietet. So werden öffentliche KI-Förderungen oft in Form von Projektförderungen an zeitlich und inhaltlich definierte Vorhaben vergeben, häufig im Verbund von Unternehmen und Forschungseinrichtungen.
Zudem achten Fördergeber vermehrt darauf, dass bei KI-Projekten bestimmte Auflagen zum verantwortungsvollen Einsatz der Technologie eingehalten werden. Das kann etwa Anforderungen an den Datenschutz, an die Transparenz von Algorithmen oder an ethische Leitlinien für KI umfassen.
Die staatliche KI-Förderung bietet Unternehmen die Möglichkeit, Forschung, Entwicklung und digitale Transformation gezielt voranzutreibenOb neue Geschäftsmodelle, datengetriebene Produkte oder der Einsatz generativer KI – Fördermittel können entscheidend dazu beitragen, innovative Ideen in marktfähige Lösungen zu überführen. Voraussetzung ist ein überzeugendes Konzept und eine strategische Planung, die technologische, wirtschaftliche und organisatorische Aspekte gleichermaßen berücksichtigt.
Wer Förderangebote frühzeitig prüft und strukturiert nutzt, kann nicht nur finanzielle Unterstützung sichern, sondern auch von Netzwerken, Beratungsleistungen und Know-how-Transfer profitieren. So wird staatliche Förderung zu einem wichtigen Hebel, um Innovationen in Deutschland nachhaltig zu stärken – wissenschaftlich, wirtschaftlich und gesellschaftlich.
Wir freuen uns, dass Sie unsere Blogserie „Fördermittel und Subventionen“ begleiten. Weitere Beiträge folgen!
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Betriebsratswahl 2026: Social Media im Wahlkampf
Flyer und Aushänge waren gestern – der Wahlkampf zur Betriebsratswahl 2026 findet zunehmend digital statt. WhatsApp-Gruppen, LinkedIn-Posts und Instagram-Stories ersetzen das Schwarze Brett. Doch wer online wirbt, bewegt sich rechtlich schnell auf dünnem Eis.
Ein Fall vor dem LAG Köln zeigt: Unzulässige Wahlwerbung über dienstliche Kanäle kann zur Anfechtung der Wahl führen. Besonders für Arbeitgeber* ist Vorsicht geboten – denn sie tragen nicht nur die Verantwortung für faire Rahmenbedingungen, sondern im Ernstfall auch die Kosten einer erfolgreichen Wahlanfechtung. Was erlaubt ist, wo die Grenzen verlaufen und worauf Unternehmen jetzt achten sollten, lesen Sie in diesem Beitrag.
1. Wahlwerbung ist erlaubt – aber nicht grenzenlosIm Grundsatz ist Wahlwerbung zulässig und durch die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG sowie für Koalitionen durch Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich geschützt. Auch pointierte Aussagen und Kritik an Mitbewerbern sind grundsätzlich erlaubt.
Aber Vorsicht: Die Grenze ist dort erreicht, wo Aussagen ehrverletzend, diffamierend oder hetzerisch sind. In solchen Fällen kann das Verhalten als unzulässige Wahlbeeinflussung im Sinne des § 20 Abs. 2 BetrVG gewertet werden – mit potenziellen strafrechtlichen Folgen (§ 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG) und der Möglichkeit, die Wahl anzufechten.
Das gilt selbstverständlich auch online – etwa bei der Verbreitung von Memes, überhitzten Kommentaren oder unsachlicher Polemik in sozialen Netzwerken.
2. LAG Köln: WhatsApp-Wahlwerbung führte zur WahlanfechtungEin aufsehenerregender Fall vor dem LAG Köln zeigt, wie der Missbrauch dienstlicher Ressourcen und Funktionen im digitalen Wahlkampf zur Unwirksamkeit der Wahl führen kann (Beschluss v. 6. Oktober 2023 – 9 TaBV 14/23)
Ein Wahlvorstandsvorsitzender, zugleich Betriebsratsvorsitzender und Disponent, nutzte seine Stellung, um über WhatsApp-Broadcast-Nachrichten zur Wahl seiner Liste aufzurufen und konkurrierende Listen zu kritisieren. Grundlage dafür waren dienstlich erhaltene Kontaktdaten zahlreicher Beschäftigter.
Das ArbG Köln erklärte die Wahl bereits in erster Instanz für unwirksam (11 BV 101/22) – das LAG Köln bestätigte diese Entscheidung.
Kernproblem: Der Kandidat hatte privilegierte Ressourcen (Kontaktdaten, Kommunikationskanal mit Betriebsratsbezug) genutzt und damit gegen den Grundsatz der Chancengleichheit verstoßen. Andere Kandidaten hatten keine vergleichbare Möglichkeit zur Wahlwerbung.
3. Chancengleichheit gilt auch digitalDer Grundsatz der Chancengleichheit ist zwar nicht explizit im BetrVG geregelt, gilt aber als wesentlicher allgemeiner Wahlgrundsatz (§ 19 Abs. 1 BetrVG). Danach müssen alle Kandidierenden unter vergleichbaren Bedingungen werben können.
Verstöße im digitalen Bereich gegen diesen Grundsatz können beispielsweise vorliegen, wenn:
- ein Kandidat Zugriff auf die Social-Media-Kanäle des Betriebsrats oder Unternehmens nutzt, um ausschließlich für sich zu werben,
- ein Mitarbeiter mit Admin-Zugängen zu Firmenkanälen eigene Wahlkampfinhalte repostet,
- bestimmte Kandidaten bevorzugt über Firmenkanäle präsentiert werden oder
- der Arbeitgeber einzelnen Kandidaten Werbeplattformen zur Verfügung stellt, während andere ausgeschlossen werden.
Arbeitgebern ist im Wahlkampf nicht jede Äußerung untersagt. Nach der Rechtsprechung des BAG (Beschluss v. 25. Oktober 2017 – 7 ABR 10/16) dürfen sie sich grundsätzlich kritisch zum bestehenden Betriebsrat äußern oder Sympathien bekunden – sofern keine Vorteile gewährt oder Nachteile angedroht werden (§ 20 Abs. 2 BetrVG).
Ein komplettes Neutralitätsgebot würde in der Praxis zu erheblichen Unsicherheiten führen. Dennoch dürfen keine Maßnahmen ergriffen werden, die einzelne Kandidaten oder Listen organisatorisch, technisch oder finanziell unterstützen – sei es durch Geldmittel, Dienstleister oder interne Kommunikationsstrukturen.
Fazit: Digitale Wahlwerbung mit AugenmaßDie Betriebsratswahlen 2026 werden digitaler denn je. Social Media bietet neue Möglichkeiten für Sichtbarkeit und Dialog, aber auch neue rechtliche Stolperfallen. Alle Beteiligten sollten die Spielregeln kennen und befolgen. Arbeitgeber haben während der Betriebsratswahl eine besondere Verantwortung. Zwar dürfen sie sich grundsätzlich auch kritisch zur bisherigen Zusammenarbeit mit dem bisherigen Betriebsrat äußern, doch sind organisierte Einflussnahmen oder einseitige Unterstützungsmaßnahmen – auch auf Social Media – verboten. Um rechtssicher zu handeln, sollten Arbeitgeber es vermeiden, die Nutzung von besonderen Unternehmensressourcen z.B. durch bestimmte, begrenzte, Kanäle für Wahlkampfzwecke einzelner Kandidaten zu ermöglichen.
Denn: Demokratische Wahlen leben vom fairen Wettbewerb. Wer digitale Kommunikation klug und rechtssicher einsetzt, kann zur Legitimität des Betriebsrats beitragen – und das Vertrauen in betriebliche Mitbestimmung stärken.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.
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Betriebsratswahlen in Matrixstrukturen – Ein Update
Matrixstrukturen sind in der modernen Arbeitswelt weit verbreitet. In Matrixorganisationen arbeiten Mitarbeiter und Führungskräfte* verschiedener Betriebe und/oder Konzernunternehmen funktions- bzw. projektbezogen über die klassischen Betriebs- bzw. Unternehmensgrenzen hinweg zusammen.
Matrixorganisationen werfen zahlreiche Rechtsfragen auf, nicht zuletzt aus arbeitsrechtlicher Sicht. Viele Fragen ranken sich dabei um die sog. Matrix-Führungskräfte, also Führungskräfte, die Mitarbeiter eines anderen Betriebes oder Unternehmens führen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat hierzu eine wichtige Entscheidung getroffen (Beschluss v. 22. Mai 2025 – 7 ABR 28/24) und inzwischen auch die Gründe veröffentlicht. Sie betrifft das aktive Wahlrecht von Matrix-Führungskräften. Die Entscheidung ist mit Blick auf die im Frühjahr 2026 turnusmäßig anstehenden Betriebsratswahlen von großer Bedeutung, ist sie doch unter anderem für die Aufstellung der Wählerlisten relevant, für die vielerorts die Vorbereitungen bereits angelaufen sind. Sie reicht aber weit über die Betriebsratswahlen hinaus.
Wahlrecht von Matrix-Führungskräften bei Betriebsratswahlen: Uneinheitliche Rechtsprechung der LandesarbeitsgerichteWahlberechtigt bei einer Betriebsratswahl sind alle Arbeitnehmer eines Betriebs, die das 16. Lebensjahr vollendet haben (§ 7 S. 1 BetrVG) und keine leitenden Angestellten sind (§ 5 Abs. 3 BetrVG), zudem Leiharbeitnehmer, wenn sie länger als drei Monate in dem Betrieb eingesetzt werden (§ 7 S. 2 BetrVG). Voraussetzung ist somit unter anderem die betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung des jeweiligen Arbeitnehmers zu dem Betrieb, in dem die Wahl stattfindet.
Die Zuordnung von Matrix-Führungskräften, die (auch) Mitarbeiter eines anderen Betriebes oder mehrerer anderer Betriebe führen, erfolgte bislang zumeist nur zu einem Betrieb, nämlich dem Betrieb, dem sie arbeitsvertraglich zugeordnet sind oder in dem der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt (oft „Stammbetrieb“ genannt). Mehrere Landesarbeitsgerichte hatten sich nach den letzten Betriebsratswahlen mit der Frage zu befassen, ob das Wahlrecht von Matrix-Führungskräften hierauf beschränkt ist oder ob sie nicht vielmehr in mehreren Betrieben wahlberechtigt sein können und, wenn ja, in welchen.
Die Gerichte haben diese Frage bislang uneinheitlich beantwortet: Während das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg die Ansicht vertrat, dass Matrix-Führungskräfte zwar in mehrere Betriebe eingegliedert sein könnten, ein aktives Wahlrecht nach § 7 S. 1 BetrVG allerdings nur im „Stammbetrieb“ bestehe (Beschluss v. 13. Juni 2024 – 3 TaBV 1/24), nahmen das Landesarbeitsgericht Hessen (Beschluss v. 22. Januar 2024 – 16 TaBV 98/23) und das Landesarbeitsgericht München (Beschluss v. 22. Mai 2024 – 11 TaBV 86/23) an, dass die betreffenden Führungskräfte in allen Betrieben wahlberechtigt seien, in denen sie eingegliedert sind. Ausreichend hierfür sei, dass die Matrix-Führungskraft durch ihre Führungsaufgaben den arbeitstechnischen Zweck des Betriebs mitverwirkliche.
BAG: Mehrfach-Wahlberechtigung möglichDie aufgrund der divergierenden Entscheidungen bestehende Rechtsunsicherheit hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun beseitigt: Mit Beschluss vom 22. Mai 2025 hat sich der Siebte Senat im Ergebnis der Auffassung des LAG Hessen sowie des LAG München angeschlossen. Nach Auffassung des BAG
knüpft die Wahlberechtigung an die Zugehörigkeit des Arbeitnehmers zum Betrieb an, welche durch die Eingliederung in die Betriebsorganisation begründet wird. Der Umstand, dass ein Arbeitnehmer bereits in einem Betrieb eingegliedert und damit in diesem wahlberechtigt ist, steht seiner Wahlberechtigung in einem weiteren Betrieb nicht entgegen. Es ist möglich, in mehreren Betrieben wahlberechtigt zu sein.
Mit dieser Entscheidung zur Anerkennung der Möglichkeit eines Mehrfach-Wahlrechts hat das BAG nun Rechtsklarheit geschaffen:
Fest steht nunmehr, dass Matrix-Führungskräfte in allen Betrieben des Arbeitgebers, in deren Organisation sie tatsächlich eingegliedert sind, in die Wählerliste aufzunehmen sind und den Betriebsrat mitwählen dürfen. Zur Begründung führt das BAG aus, dass das Betriebsverfassungsgesetz eine Mehrfachwahlberechtigung nicht ausdrücklich ausschließe. Es sei nicht gerechtfertigt, betriebszugehörigen Matrix-Führungskräften das Wahlrecht allein deshalb abzusprechen, weil sie auch einem anderen Betrieb angehörten. Sofern der Betriebsrat im Rahmen der Mitbestimmung Einfluss auf die Rechtsstellung eines Arbeitnehmers nehmen könne (wie bei einem Matrix-Vorgesetzten im Fall seiner Eingliederung), bestehe ein Repräsentations- und Legitimationsbedürfnis mit der Folge, dass dieser auch wahlberechtigt sein müsse. Dass mitbestimmte Angelegenheiten ggf. auch oder exklusiv in einem anderen Betrieb, dem die Matrix-Führungskraft angehöre, anfielen, stehe der mehrfachen Wahlberechtigung nicht entgegen.
Auf die Eingliederung der Führungskraft in den Betrieb kommt es anErwartungsgemäß hat das BAG in seiner Entscheidung auch zu den Voraussetzungen einer Eingliederung von Matrix-Führungskräften Stellung genommen und ausgeführt, dass auf denselben Maßstab abzustellen sei, den es zu § 99 BetrVG, also insbesondere zu Einstellungen entwickeltet hat (z.B. Beschluss v. 26. Mai 2021 – 7 ABR 17/20). Entscheidend ist demnach, ob der Arbeitgeber mit Hilfe der Matrix-Führungskraft den arbeitstechnischen Zweck des Betriebs verfolgt. Nach Auffassung des BAG können insoweit
die fachlichen Weisungsbefugnisse der Führungskraft Berücksichtigung finden. Das setzt aber voraus, dass sich aus ihrer Wahrnehmung eine Einbindung bei der Erfüllung der im Betrieb von den dortigen Arbeitnehmern zu erledigenden operativen Aufgaben oder in die dortigen Arbeitsprozesse ergibt. Für die die Zugehörigkeit zu einem Betrieb vermittelnde Eingliederung ist jedenfalls nicht entscheidend, wo die Tätigkeit räumlich-örtlich ausgeübt wird. Weder ist zwingend erforderlich, dass die Führungskraft ihre Tätigkeit innerhalb von Betriebsräumen verrichtet, noch muss sie in einem bestimmten zeitlichen Mindestumfang „vor Ort“ sein, noch muss sie einer Bindung an Weisungen einer gleichfalls im Betrieb tätigen – ihr gegenüber vorgesetzten – Person unterliegen.
Darüber hinaus weist das BAG darauf hin, dass eine Eingliederung einer Führungskraft typischerweise vorliege, wenn sie zur Durchführung der ihr obliegenden Aufgaben mit den im Betrieb tätigen Arbeitnehmern regelmäßig zusammenarbeiten muss und damit ihre fachlichen Weisungsbefugnisse auch tatsächlich wahrnimmt. Nicht ausreichend für eine Eingliederung sei hingegen eine vereinzelte Vor- oder Zuarbeit für den arbeitstechnischen Zweck eines Betriebs.
Je nach der konkreten Ausgestaltung der Matrixorganisation kann die Prüfung überaus aufwändig sein. Arbeitgeber sollten daher in der Regel bereits jetzt Matrix-Führungskräfte in den jeweiligen Betrieben identifizieren und mit der Prüfung der fraglichen Eingliederung beginnen, um Anfragen des Wahlvorstandes nach den für die Wählerliste benötigten Informationen angemessen begegnen zu können. Da im Falle eines Verstoßes das Risiko eines zeit- und kostenintensiven Wahlanfechtungsverfahrens droht, ist dabei besondere Sorgfalt geboten.
Ergänzend hat das BAG ausgeführt, dass der Betriebsbegriff
nicht ausschließlich räumlich (Betriebsgrundstück), sondern (vorrangig) funktional (Betriebszweck) zu verstehen ist, sodass weder individualarbeitsvertragliche Vereinbarungen zu einem Arbeitsort noch überhaupt der Ort der Tätigkeit für sich gesehen ausschlaggebend ist.
Das gilt ausdrücklich auch für Arbeitnehmer, die in standortübergreifenden Teams einen einheitlichen arbeitstechnischen Zweck verwirklichen. Ebenso gelte dies für die Zugehörigkeit von Arbeitnehmern zu aufgrund eines Tarifvertrags oder einer Betriebsvereinbarung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG gebildeten betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheiten, welche nach § 3 Abs. 5 S. 1 BetrVG als Betrieb gelten. Nicht auf den Ort der Tätigkeit, sondern die Eingliederung kommt es entscheidend an.
Betriebsratswahlen in Matrixstrukturen: Was gilt in unternehmensübergreifenden Matrixorganisationen?Die Entscheidung des BAG vom 22. Mai 2025 bezieht sich auf unternehmensinterne Matrixstrukturen. Offen ist, was für Matrix-Führungskräfte gilt, die in einem anderen Konzernunternehmen, gar – im Rahmen internationaler Matrixstrukturen – bei einer ausländischen Gesellschaft angestellt sind, wenn es also um unternehmensübergreifende Matrixorganisationen und die Zugehörigkeit von Matrixmanagern zu einem – wie es das BAG formuliert – vertragsarbeitgeberfremden Betrieb geht. Sind diese Führungskräfte ebenfalls wahlberechtigt und in der Wählerliste aufzuführen?
Die Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte zu unternehmensübergreifenden Matrixstrukturen – BAG-Rechtsprechung gibt es noch nicht – betrifft nicht das Wahlrecht (§ 7 BetrVG), sondern das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei personellen Einzelmaßnahmen (§ 99 BetrVG) und ist – wie könnte es anders sein – uneinheitlich. Zuletzt hat das LAG Bremen für einen Matrixvorgesetzten, der bei einer ausländischen Gesellschaft angestellt ist und dort seinen Dienstsitz hat, ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 99 BetrVG bejaht (Beschluss v. 2. Mai 2024 – 2 TaBV 2/23). Das BAG hat diese Entscheidung vor Kurzem allerdings aufgehoben (Beschluss v. 23. September 2025 – 1 ABR 25/24) – mit welcher Begründung ist noch nicht bekannt.
Richtigerweise sind Matrixvorgesetzte, die bei anderen Konzerngesellschaften beschäftigt sind, nicht wahlberechtigt. Das gilt erst recht für Führungskräfte, die bei einer ausländischen Gesellschaft angestellt sind und dort ihren Dienstsitz haben.
Denn sie sind nicht Arbeitnehmer des Betriebsinhabers, so dass die Voraussetzungen nach § 7 S. 1 BetrVG nicht vorliegen. Auch eine Arbeitnehmerüberlassung liegt typischerweise nicht vor, so dass das Wahlrecht im Regelfall auch nicht aus § 7 S. 2 BetrVG folgt. Die Voraussetzungen für eine sog. analoge Anwendung sind nach zutreffender Auffassung nicht gegeben. Bei Matrix-Führungskräften in ausländischen Konzerngesellschaften spricht zudem das sog. Territorialitätsprinzip gegen die Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes auf Matrixvorgesetzte im Ausland. Gesichert ist dies aber leider (noch) nicht.
Was gilt sonst noch für Matrix-Führungskräfte aus betriebsverfassungsrechtlicher Sicht? Es bleiben offene Fragen zu Wahlrecht, Zusammensetzung und Zuständigkeit der Gremien, Mitbestimmung und BetriebsvereinbarungenVor dem Hintergrund der Entscheidung vom 22. Mai 2025 spricht viel dafür, dass das BAG die aufgestellten Grundsätze auch für andere betriebsverfassungsrechtliche Fragen heranzieht, die sich rund um die potentielle Betriebszugehörigkeit von Matrix-Führungskräften ranken. Spiegelbildlich dürfte etwa nun auch von einer Wählbarkeit von Matrix-Führungskräften auszugehen sein (§ 8 BetrVG), sofern diese im jeweiligen Betrieb eingegliedert sind. Zudem dürften diese auch im Rahmen von Schwellenwerten „mitzuzählen″ sein, von denen etwa die Größe des Betriebsrats (§ 9 BetrVG) und die Anzahl der Freistellungen (§ 38 BetrVG) abhängt, zudem das Stimmengewicht im Gesamt- und Konzernbetriebsrat (§§ 47 Abs. 7, 55 Abs. 3 BetrVG).
Wichtig ist dies nicht zuletzt für die ordnungsgemäße Erstellung des Wahlausschreibens im Vorfeld der Betriebsratswahl. Dieses muss schließlich die korrekte Zahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder enthalten. Andernfalls kann die Wahl angefochten werden.
Spannend bleibt darüber hinaus, wie in der Praxis mit Folgefragen umzugehen ist: Welcher Betriebsrat ist zuständig, wenn Matrix-Führungskräfte betroffen sind? Sind es die lokalen Betriebsräte oder ist es der Gesamt- oder Konzernbetriebsrat? Richtigerweise wird man hier differenzieren müssen.
Zudem wirft eine mehrfache Betriebszugehörigkeit – wie das BAG in der Entscheidung vom 22. Mai 2025 zutreffend anerkennt – weitere Fragen auf, insbesondere solche zur Abgrenzung im Bereich der materiellen Mitbestimmung: Welche Betriebsvereinbarungen sind auf Matrix-Führungskräfte anwendbar? Was ist, wenn Betriebsvereinbarungen inhaltlich miteinander kollidieren? Das BAG beschränkt sich insoweit auf den Hinweis, dass diese Fragen im Einzelfall durch die Bestimmung des Geltungsbereichs der jeweiligen Betriebsvereinbarung zu lösen seien. Auf die Formulierung des Geltungsbereichs von Betriebsvereinbarungen wird daher künftig (noch) mehr Wert zu legen sein.
Die Frage nach dem Geltungsbereich und weitere Fragen sind oftmals alles andere als trivial. In der Praxis werden häufig pragmatische Lösungen gefunden. Wenn dies aber nicht gelingt, ist mannigfaltiger Streit vorprogrammiert.
Arbeitgeber sollten agieren, nicht reagierenUnternehmen mit Matrix-Strukturen sind nicht nur mit Blick auf die anstehenden Betriebsratswahlen gut beraten, ihre Betriebsstrukturen sowie Weisungs- und Berichtslinien sorgfältig zu analysieren und, soweit sinnvoll und möglich, nachzujustieren. Schließlich ist es nach der Entscheidung des BAG nicht mehr ausreichend, Matrix-Führungskräfte nur noch ihrem Stammbetrieb zuzuordnen und sie nur dort auf die Wählerliste zu setzen. Vielmehr ist nun im Einzelfall zu prüfen, in welchen Betrieben eine Eingliederung vorliegt. Dies ist nicht nur für die bevorstehenden Betriebsratswahlen von Bedeutung. Arbeitgeber müssen sich auch allen weiteren drängenden Fragen stellen, die durch die BAG-Entscheidung zum Wahlrecht von Matrix-Führungskräften befeuert werden.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.
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Entgelttransparenz im Spannungsfeld zum Datenschutz
Ziel der europäischen Entgelttransparenzrichtlinie (RL (EU) 2023/970 – EntgTranspRL) ist es, die Durchsetzung der Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern zu stärken. Deutschland ist verpflichtet, die Richtlinie bis spätestens zum 7. Juni 2026 durch ein nationales Gesetz umzusetzen. Angesichts der weitreichenden neuen Vorgaben erzeugt die Richtlinie jedoch bereits heute Handlungsdruck für Unternehmen.
Richtlinienvorgaben müssen datenschutzkonform umgesetzt werdenDie EntgTranspRL enthält verschiedene Maßnahmen zur Stärkung der Entgeltgleichheit. Unternehmen werden insbesondere verpflichtet, die Entgelte ihrer Mitarbeiter* zu erfassen, zu vergleichen und zu bewerten, um festzustellen, ob und in welchem Umfang geschlechtsspezifische Entgeltunterschiede bestehen. Zudem müssen sie entgeltbezogene Auskünfte erteilen und Berichte veröffentlichen.
Bei den Entgelten ihrer Mitarbeiter handelt es sich zugleich um personenbezogene Daten. Diese müssen nach den Regeln der DSGVO geschützt werden. Dies bedeutet, dass sämtliche Maßnahmen unbedingt datenschutzkonform durchzuführen sind. Auf diese Anforderungen sollten sich deutsche Unternehmen vorbereiten.
Vorgaben mit DatenschutzrelevanzFolgende Transparenzmaßnahmen der EntgTranspRL bergen datenschutzrechtliche Herausforderungen:
- Entgelttransparenzbericht: Arbeitgeber mit 100 oder mehr Arbeitnehmern müssen ausführlich über das vorhandene geschlechtsspezifische Entgeltgefälle berichten (Art. 9 EntgTranspRL). Anzugeben sind unter anderem das allgemeine geschlechtsspezifische Entgeltgefälle sowie das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle in einzelnen Arbeitnehmergruppen (bestehend aus Arbeitnehmern, die eine gleiche oder gleichwertige Arbeit ausüben). Die Darstellung hat jeweils aufgegliedert nach den einzelnen Vergütungsbestandteilen zu erfolgen. Die Angaben sind den Arbeitnehmern und der Arbeitnehmervertretung sowie auf Anfrage auch der Aufsichtsbehörde und der Gleichbehandlungsstelle zur Verfügung zu stellen.
- Gemeinsame Entgeltbewertung: Liegen die folgenden drei Voraussetzungen vor, werden berichterstattungspflichtige Arbeitgeber verpflichtet, eine Entgeltbewertung mit der Arbeitnehmervertretung durchzuführen (Art. 10 EntgTranspRL): (1) Der Entgelttransparenzbericht zeigt ein Gefälle der durchschnittlichen Entgelthöhe von mehr als 5% innerhalb einer Vergleichsgruppe, (2) der Arbeitgeber kann das Gefälle nicht mittels objektiver geschlechtsneutraler Faktoren rechtfertigen und (3) das Gefälle wird nicht innerhalb von sechs Monaten nach der Berichterstattung korrigiert. In diesem Fall sind in Zusammenarbeit mit der Arbeitnehmervertretung die Ursachen für das Gefälle zu analysieren und konkrete Korrekturmaßnahmen zu erarbeiten. Die Entgeltbewertung ist der Belegschaft und der zuständigen Aufsichtsbehörde zur Verfügung zu stellen.
- Auskunftsrecht: Arbeitgeber werden verpflichtet, Arbeitnehmern auf Anfrage eine Entgeltauskunft zu erteilen. Diese Auskunft umfasst die Höhe des Entgelts des Auskunftssuchenden sowie die – nach dem Geschlecht aufgeschlüsselten – durchschnittlichen Entgelthöhen der Arbeitnehmer mit gleicher oder gleichwertiger Arbeit (Art. 7 EntgTranspRL). Die EntgTranspRL erweitert den Anwendungsbereich des Auskunftsanspruchs gegenüber der bisherigen Rechtslage, da sie – anders als § 12 Abs. 1 EntgTranspG – keine Beschränkung auf Betriebe mit mehr als 200 Beschäftigten vorsieht.
Praxishinweis: Gerade in größeren Unternehmen ist zeitnahes Handeln gefragt. Die EntgTranspRL verpflichtet Arbeitgeber mit 150 oder mehr Arbeitnehmern, den ersten Entgelttransparenzbericht bis zum 7. Juni 2027 vorzulegen. Bezugspunkt dieses Berichts ist jedoch das Jahr 2026. Nicht zuletzt zur Vermeidung einer gemeinsamen Entgeltbewertung mit der Arbeitnehmervertretung sollten bis dahin etwaige kritische Entgeltunterschiede ermittelt und beseitigt worden sein.
Allgemeine datenschutzrechtliche AnforderungenDie Umsetzung der Transparenzpflichten der EntgTranspRL erfordert zwangsläufig die Verarbeitung von Entgeltdaten durch den Arbeitgeber. Wann immer die Entgeltdaten einzelnen Arbeitnehmern zugeordnet werden können, handelt es sich um eine datenschutzrechtlich relevante Verarbeitung von personenbezogenen Daten. Insoweit betont Art. 12 Abs. 1 EntgTranspRL ausdrücklich, dass jede Verarbeitung und Veröffentlichung personenbezogener Daten den Vorgaben der DSGVO entsprechen muss.
Personenbezogene Entgeltdaten liegen jedoch nicht nur dann vor, wenn das Entgelt bzw. ein Entgeltbestandteil unmittelbar einem namentlich benannten Arbeitnehmer zugeordnet ist. Es ist vielmehr ausreichend, wenn eine Zuordnung der Entgeltdaten zu einzelnen Arbeitnehmern durch eine Gesamtschau der verfügbaren Informationen erfolgen kann. Inwieweit eine solche mittelbare Identifizierbarkeit möglich ist, hängt vor allem von der Größe der Vergleichsgruppe sowie von der Anzahl der Vergütungsbestandteile und deren Verteilung unter den Arbeitnehmern ab. Hinsichtlich der neuen Berichtspflicht ist ein besonderes Augenmerk auf die Angaben zu den einzelnen Vergleichsgruppen zu legen. Angesichts der beschränkten Gruppengröße besteht hier ein erhöhtes Risiko einer Identifizierbarkeit.
Praxishinweis: Unabhängig von der rechtlichen Einordnung erwarten Arbeitnehmer und Betriebsrat häufig eine besondere Sorgfalt des Arbeitgebers beim Umgang mit Entgeltdaten. Denn Informationen über das Entgelt werden in Deutschland sowohl in der öffentlichen als auch in der betrieblichen Wahrnehmung weiterhin überwiegend als vertraulich eingestuft („Über Geld spricht man nicht.“).
Wie jede Verarbeitung personenbezogener Daten erfordert die Verarbeitung personenbezogener Entgeltdaten zunächst eine Ermächtigungsgrundlage. Hinsichtlich der Erfüllung der Pflichten aus der EntgTranspRL (bzw. des deutschen Umsetzungsgesetzes) ist vornehmlich eine Verarbeitung aufgrund einer rechtlichen Verpflichtung gemäß Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. c) DSGVO einschlägig. Danach ist eine Verarbeitung personenbezogener Daten zulässig, sofern sie zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich ist.
Praxishinweis: Nur, weil die EntgTranspRL zur Verarbeitung und Offenlegung von Entgeltdaten verpflichtet, kann dies unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten nicht in jeder beliebigen Form erfolgen. Angesichts der Erforderlichkeitsgrenze muss im Einzelfall geprüft werden, ob der Zweck der Transparenzmaßnahme nicht auch durch eine eingeschränkte Mitteilung – ohne die Nennung personenbezogener Entgeltdaten – erreicht werden kann.
Bei der praktischen Umsetzung der Transparenzmaßnahmen sind darüber hinaus vor allem die folgenden datenschutzrechtlichen Grundsätze sowie technischen und organisatorischen Maßnahmen (TOMs) zu berücksichtigen bzw. einzurichten:
- Zweckbindung: Bei der Umsetzung der Vorgaben dürfen die verarbeiteten Daten nicht für andere Zwecke als die Anwendung des Entgeltgleichheitsgrundsatzes verwendet werden (siehe auch Art. 12 Abs. 2 EntgTranspRL).
- Datenminimierung: Die Verarbeitung personenbezogener Daten muss in Anbetracht des Zwecks angemessen und erheblich sein sowie auf das notwendige Maß beschränkt werden.
- Zugriffskonzept: Es ist klar zu definieren, welche Personen Zugriff auf welche (Entgelt-)Daten für welche Zwecke haben.
- Datenmanagement: Durch ein sachgerechtes Datenablagekonzept ist sicherzustellen, dass Entgeltdaten ausschließlich an den hierfür vorgesehenen (digitalen) Speicherorten gespeichert und von dort abgerufen werden.
- Dokumentation: Sämtliche Konzepte und Maßnahmen sind insbesondere zu Nachweiszwecken sorgfältig zu dokumentieren.
Um Entgelte richtlinienkonform zu vergleichen und zu bewerten, müssen Arbeitgeber umfassende Datensätze nutzen, die die einzelnen Vergütungsbestandteile aller Mitarbeiter enthalten. Diese Datensätze sind angesichts der Fülle der Informationen datenschutzrechtlich ausgesprochen sensibel. Um insbesondere diese Datensätze vor Zweckentfremdung und Diebstahl zu schützen, müssen Arbeitgeber effektive TOMs implementieren.
Praxishinweis: Wird ein solcher Datensatz unkontrolliert als Excel-Dokument in großen E‑Mail-Verteilern zirkuliert, ist es kaum überraschend, wenn er kopiert und gestohlen wird. Dann drohen nicht nur datenschutzrechtliche Sanktionen, sondern ein erheblicher Imageschaden.
Es ist unbedingt erforderlich, den Zugriff auf den Datensatz nach dem Need-to-Know-Prinzip einzuschränken – am besten durch technische Zugriffssperren einer Software. Geeignete Softwarelösungen zeichnen sich dadurch aus, dass derartige Sicherungsvorkehrungen bereits als Standardkonfiguration eingerichtet sind (privacy by default). Arbeitgeber können beispielsweise CMS Pay Gap Compliance einsetzen. Dieses auf die Vorgaben der EntgTranspRL zugeschnittene Tool ermöglicht unter anderem eine Implementierung von individuellen Accounts auf der Basis definierter Berechtigungskonzepte. Jeder Zugriff auf den Datensatz wird mittels Protokolldateien dokumentiert und festgehalten. Nichtsdestotrotz sollte der Kreis der Zugriffsberechtigten klein gehalten werden. Zudem sind die Berechtigten über die Vertraulichkeit der Datenverarbeitung zu belehren.
Sonderregel für die Offenlegung von Entgeltdaten?In welcher Form der Datenschutz bei der Offenlegung von Entgeltdaten im Rahmen von Auskünften oder der Veröffentlichung des Entgelttransparenzberichts zu wahren ist, hängt von der Ausgestaltung des deutschen Umsetzungsgesetzes ab. Die konkreten Arbeitgeberpflichten stehen somit hierzu noch nicht fest.
Die EntgTranspRL räumt den Mitgliedstaaten für die besonders eingriffsintensive Offenlegung von Entgeltdaten einen Gestaltungsspielraum zum Schutz personenbezogener Daten ein. Dies betrifft namentlich die Offenlegung von Entgeltinformationen bei der Erfüllung eines Auskunftsanspruchs gegenüber dem Auskunftssteller sowie die Offenlegung von Daten im Rahmen des Entgelttransparenzberichts und der gemeinsamen Entgeltbewertung. Nach Art. 12 Abs. 3 EntgTranspRL können die Mitgliedstaaten beschließen, dass in Fällen, in denen die Offenlegung von Informationen zur unmittelbaren oder mittelbaren Offenlegung des Entgelts eines bestimmbaren Arbeitnehmers führen würde, nur die Arbeitnehmervertreter, die Aufsichtsbehörde oder die Gleichbehandlungsstelle Zugang zu den betreffenden Informationen erhalten. Die Arbeitnehmervertreter oder die Gleichbehandlungsstelle sollen dann Arbeitnehmer über mögliche Ansprüche nach der Richtlinie beraten, ohne dass die tatsächlichen Entgelthöhen einzelner Arbeitnehmer offengelegt werden.
Im Sinne des Datenschutzes sowie zur Förderung des Betriebsfriedens wäre eine solche Einschränkung durch den deutschen Gesetzgeber zu begrüßen. Jedenfalls die derzeitige Gestaltung des EntgTranspG spricht dafür, dass der Gesetzgeber den Schutz der Entgeltdaten identifizierbarer Arbeitnehmer ernst nimmt und von der Einschränkung zu deren Schutz Gebrauch machen wird. So sieht insbesondere § 12 Abs. 3 Satz 2 EntgTranspG aktuell vor, dass bei der Erfüllung des Auskunftsanspruchs kein Vergleichsentgelt der anderen Arbeitnehmer anzugeben ist, wenn der Vergleichsgruppe weniger als sechs Beschäftigte angehören.
Datenschutz und ArbeitnehmervertretungBereits nach derzeitiger Rechtslage darf der Betriebsausschuss des Betriebsrats nach § 80 Abs. 2 Satz 2 Hs. 2 BetrVG unter bestimmten Voraussetzungen in die Liste der Bruttolöhne und -gehälter Einblick nehmen. Die Aushändigung von Kopien oder die eigene Herstellung von Kopien oder Abschriften ist von der „Einblicknahme“ nicht umfasst. Die EntgTranspRL räumt den Arbeitnehmervertretern nun neue Informations- und Beratungsrechte ein. So sind Arbeitgeber unter anderem verpflichtet, die Arbeitnehmervertretung vor Fertigstellung des Entgelttransparenzberichts anzuhören (Art. 9 Abs. 6 EntgTranspRL). Aus deutscher Perspektive wird es sich hierbei primär um Rechte des (gesamten) Betriebsrats handeln. Die Vorgaben des Datenschutzes sind jedoch auch bei der Bereitstellung von (personenbezogenen) Entgeltdaten gegenüber Betriebsräten zu beachten. Es ist insbesondere sicherzustellen, dass Betriebsräten nur die Informationen in der Form zur Verfügung gestellt werden, die zur Aufgabenerfüllung zwingend notwendig sind. Gegenüber den Betriebsräten ist zudem auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit der Entgeltdaten explizit hinzuweisen, da die gesetzliche Geheimhaltungspflicht der Betriebsratsmitglieder aus § 79 BetrVG grundsätzlich erst durch den expliziten Hinweis des Arbeitgebers ausgelöst wird.
Datenschutz: zentraler Baustein für gesetzeskonforme EntgelttransparenzDie EntgTranspRL schafft weitgehende neue Informations- und Berichtspflichten, um diskriminierende Entgeltunterschiede zwischen Männern und Frauen aufzudecken und zu beseitigen. Ein bedachter und gesetzeskonformer Umgang mit personenbezogenen Daten ist ein zentraler Baustein bei der Umsetzung dieser Anforderungen. Es ist sicherzustellen, dass sowohl die technische als auch die organisatorische Umsetzung im Einklang mit der DSGVO steht. So lassen sich rechtliche Risiken minimieren und das Vertrauen aller Beteiligten bei der Umsetzung der neuen Transparenzvorgaben stärken.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.
Der Beitrag Entgelttransparenz im Spannungsfeld zum Datenschutz erschien zuerst auf CMS Blog.
Insolvenzantragspflichten auch für Strohgeschäftsführer
Das Einsetzen sog. „Strohmann“-Geschäftsführer ist in der Unternehmenswelt keine Seltenheit. Formal im Handelsregister eingetragen, faktisch nur Statist – eine scheinbar elegante Möglichkeit, Verantwortung auszulagern und Haftung zu begrenzen. Dass diesem Versuch einer Haftungsbegrenzung besonders im Falle der Insolvenz des Unternehmens Grenzen gesetzt sind, hat eine aktuelle Entscheidung des OLG Frankfurt a. M. (Beschluss v. 16. Januar 2025 – 7 W 20/24) verdeutlicht. Relevant war insbesondere die Frage, ob das unterlassene Stellen eines Insolvenzantrags durch den „Strohmann“ eine Kardinalspflichtverletzung darstellt, die zum Ausschluss der Leistungspflicht einer D&O-Versicherung führt.
Hintergrund: D&O-Versicherungen und ihre BedeutungD&O-Versicherungen (Directors and Officers Liability Insurance, auch Managerhaftpflichtversicherung) sind weit verbreitet und schützen Geschäftsleiter sowie andere leitende Organe eines Unternehmens vor den finanziellen Folgen aus Pflichtverletzungen oder unternehmerischer Fehlentscheidungen. Sie reduzieren die persönliche Haftung und fördern dadurch die Entscheidungsfreiheit und Eigenverantwortung der Führungskräfte. Gleichzeitig enthalten D&O-Versicherungen in der Regel Ausschlussklauseln, die den Versicherungsschutz bei grober Fahrlässigkeit, vorsätzlichen Pflichtverletzungen oder Kardinalspflichtverletzungen einschränken oder komplett ausschließen. In diesen Fällen haften Geschäftsführer bzw. Führungskräfte mit ihrem Privatvermögen. Gerade in der Insolvenz eines Unternehmens steht häufig die Frage im Raum, ob eine solche leistungsausschließende Pflichtverletzung vorliegt – was oft erhebliche finanzielle, teilweise existenzbedrohende Konsequenzen für die Geschäftsleitung nach sich ziehen kann.
Der Fall: „Strohmann“-Geschäftsführer und die HaftungIm Zentrum der Entscheidung stand ein Verfahren, in dem der Insolvenzverwalter einer Unternehmer-Gesellschaft (die „UG“) Prozesskostenhilfe für die Durchsetzung von Haftungsansprüchen gegen die D&O-Versicherung des „Strohmann“-Geschäftsführers der UG beantragte. Dieser war formal im Handelsregister eingetragen, fungierte aber de facto lediglich als „Platzhalter“ ohne eigene unternehmerische Entscheidungsbefugnis. Zentral war die Frage, ob der „Strohmann“-Geschäftsführer – obwohl er die Geschäfte faktisch nicht führte – durch das Unterlassen der rechtzeitigen Insolvenzanmeldung eine wissentliche Pflichtverletzung im Sinne der Nr. 5 Abs. 1 ULLA (Unified Liability Insurance Conditions for Directors and Officers) beging, was einen Ausschlussgrund der Versicherungsleistung zur Folge hätte. Der „Strohmann“-Geschäftsführer hatte sich kein ausreichendes Bild über die geschäftliche Situation des Unternehmens verschafft, so dass er trotz Eintritt der Insolvenzreife keinen Insolvenzantrag stellte. Der faktische Geschäftsführer führte die Geschäfte indessen weiter. In dieser Fortführung des Geschäftsbetriebs trotz Insolvenzreife sah die Versicherung einen Verstoß gegen das Zahlungsverbot nach § 64 S. 1 GmbHG aF und berief sich auf Leistungsfreiheit.
Das Zahlungsverbot des § 15b Abs. 1 InsO im Rahmen einer D&O-Versicherung§ 15b Abs. 1 InsO (ehemals § 64 GmbHG a.F.) verbietet Geschäftsführern nach dem Eintritt der Insolvenzreife Zahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen und begründet bei Verstoß eine verschuldensunabhängige Haftung in voller Höhe. Da Geschäftsführer oft nicht über ausreichendes Privatvermögen verfügen, blicken Insolvenzverwalter häufig begehrlich auf eine D&O-Versicherung, die – sofern leistungspflichtig – erhebliche Mittel beisteuern kann. Versicherer versuchen daher, die Leistungspflicht etwa bei wissentlichen Pflichtverstößen gegen das Zahlungsverbot nach § 15b Abs. 1 InsO durch entsprechende Klauseln auszuschließen. Insbesondere bei der Verletzung von sog. Kardinalpflichten – also besonders zentralen Pflichten des Geschäftsführers – ist von einer wissentlichen Pflichtverletzung auszugehen. In diesem Fall trägt der Geschäftsführer die sekundäre Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er die Pflichtverletzung nicht vorsätzlich begangen hat.
Die Versicherung berief sich darauf, dass der „Strohmann“-Geschäftsführer mit der Fortführung des Betriebs und Zahlungen nach Insolvenzreife gegen das gesetzliche Zahlungsverbot verstoßen und damit eine vom Versicherungsschutz ausgeschlossene, wissentliche Verletzung einer Kardinalpflicht begangen habe, selbst wenn er selbst die maßgeblichen Entscheidungen nicht getroffen hatte.
Der Beschluss: Rechtzeitige Insolvenzanmeldung als KardinalpflichtZu Recht, wie das OLG Frankfurt a. M. nun klarstellte. Das Gericht betonte, dass die Insolvenzantragspflicht nach Eintritt der Insolvenzreife eine Kardinalpflicht des Geschäftsführers darstelle, deren Verletzung eine wissentliche Pflichtverletzung im Sinne der Nr. 5 Abs. 1 ULLA begründe. Diese Einordnung ist vor dem Hintergrund der besonderen Bedeutung des insolvenzrechtlichen Zahlungsverbots (§ 15b Abs. 1 InsO) für den Gläubigerschutz nicht überraschend. Bemerkenswert ist jedoch die Feststellung des Gerichts, jede verbotswidrige Zahlung nach Eintritt der Insolvenzreife löse den sogenannten Beweis des ersten Anscheins einer wissentlichen Pflichtverletzung aus. Anders als von manchen Instanzgerichten vertreten, sei es danach nicht erforderlich, dass der Versicherer substantiiert darlege, dass der Geschäftsführer tatsächlich wissentlich gehandelt habe. Vielmehr unterstellt das Gericht dem „Strohmann“-Geschäftsführer, der trotz Insolvenzreife Zahlungen vornahm bzw. deren Vornahme zuließ, grundsätzlich Kenntnis von der Insolvenzreife der Gesellschaft. Kurzum: Bei einem „Strohmann“-Geschäftsführer, der bei Insolvenzreife zahlt oder die Fortführung des Geschäftsbetriebs zulässt, wird im Regelfall unterstellt, dass er das Zahlungsverbot nach § 15b Abs. 1 InsO verletzt. Sofern er nicht im Unternehmen operativ tätig sei (also als „Strohmann“ agiere), treffe ihn wenigstens eine Überwachungs- und Organisationspflicht. Dieser könne er nur durch eine Niederlegung seines Amtes entgehen.
Folgen für die Praxis: Risiken und HandlungsempfehlungenDie vom OLG Frankfurt a. M. vorgesehene Umkehr der Beweislast zulasten des Geschäftsführers führt zu einer deutlich verschärften Haftungslage und kann den Umfang des D&O-Versicherungsschutzes erheblich einschränken. Dies stellt ein erhebliches finanzielles Risiko für Geschäftsleitungsorgane dar. Somit bleibt es für Gesellschaft und insbesondere Geschäftsführer besonders wichtig, frühzeitig rechtlichen Rat einzuholen und ihre Handlungsschritte sorgfältig zu dokumentieren, um persönliche Haftungsrisiken zu minimieren und den Versicherungsschutz bestmöglich zu wahren.
Dieser Beitrag wurde mit Unterstützung von Johannes Rüth verfasst.
*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.
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Die Digitalisierung im Gesellschaftsrecht geht in die nächste Runde
Die EU treibt die Digitalisierung im Gesellschaftsrecht weiter voran. Nach Inkrafttreten der ersten Digitalisierungsrichtlinie (Richtlinie (EU) 2019/1151) im Juli 2019 mit entsprechender Umsetzung in Deutschland durch das DiRUG (Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie) zum 1. August 2022, wodurch erstmals Online-Gründungen von Kapitalgesellschaften ermöglicht wurden, trat zum 30. Januar 2025 die zweite Digitalisierungsrichtlinie (Richtlinie (EU) 2025/25) in Kraft. Hiernach sollen die Mitgliedstaaten im Wesentlichen spätestens bis zum 31. Juli 2027 die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen und veröffentlichen, um dieser Richtlinie nachzukommen. Ihre Anwendung soll ab dem 31. Juli 2028 erfolgen.
Nach dem Motto „Europe fit for the digital age“ ist Ziel der Richtlinie, durch die Nutzung digitaler Werkzeuge und Verfahren im EU-Gesellschaftsrecht, die Geschäftsaktivitäten grenzüberschreitend tätiger Unternehmen durch Bürokratieabbau zu erleichtern und den EU-weiten transparenten Zugang zu zuverlässigen Unternehmensinformationen weiter zu verbessern und zu harmonisieren.
Um dieses Ziel zu erreichen, enthält die Digitalisierungsrichtlinie II die nachfolgenden Kernelemente:
- Verlässliche Unternehmensinformationen und europaweite Unternehmensregister – Erweiterung der Registerinhalte zu Personengesellschaften und Konzernen sowie Verknüpfung verschiedener Register durch einheitlichen Zugriff auf die Verbundsysteme BRIS, BORIS und IRI;
- Abbau von Formalitäten und Einführung des sog. „once-only“-Principle – Reduzierung von Legislations- und Übersetzungserfordernissen durch Anwendung des Grundsatzes der einmaligen Erfassung von Unternehmensinformationen in nationalen bzw. EU-weiten Unternehmensregistern;
- Einführung einer digitalen EU-Vollmacht – Ermächtigung zur Vertretung von Unternehmen in anderen Mitgliedsstaaten mittels mehrsprachiger Standardvorlagen; und
- Einführung einer EU-Gesellschaftsbescheinigung (EU Company Certificate – EUCC) – Zurverfügungstellung wesentlicher Unternehmensinformationen auf einen Blick.
Die Auswirkungen der geplanten Maßnahmen sind nicht zu unterschätzen. Die Regelungen werden rund 16 Millionen Kapitalgesellschaften und 2 Millionen Personengesellschaften in der EU betreffen. Die Verwaltungskosten, die durch die Umsetzung der neuen Richtlinie eingespart werden sollen, werden auf etwa EUR 437 Millionen jährlich geschätzt.
Erreicht werden soll das im Detail durch die nachfolgenden Maßnahmen.
Verlässliche und transparente Unternehmensinformationen nun auch für Personengesellschaften und KonzerneAls ein großes Ziel verfolgt die Digitalisierungsrichtlinie II die Erhöhung der Transparenz in Bezug auf Unternehmensdaten. Für einen funktionierenden Binnenmarkt ist es unerlässlich, dass zentrale Informationen über die am Markt agierenden Unternehmen öffentlich, idealerweise EU-weit, abrufbar sind und der Vertragspartner sich auf diese Informationen verlassen kann.
Nachholbedarf besteht an dieser Stelle im Hinblick auf die Publizität von zentralen Informationen über Personengesellschaften und Konzerne. Bisher war gerade die Registerpublizität für Personengesellschaften nur eine freiwillige Option für die EU-Mitgliedstaaten auf nicht harmonisierter Basis. Durch die Digitalisierungsrichtlinie II sollen insbesondere Informationen zu Firma, Rechtsform, Geschäftsadresse, Einlagen der Gesellschafter, Vertretungsbefugnis und persönlicher Haftung der Gesellschafter von Personengesellschaften standardisiert erfasst werden. Hinsichtlich Konzernen sollen Schlüsselinformationen wie Name, Rechtsform, Eintragungsstaat sowie ggf. Sitz, Register und Registernummer über das BRIS hinterlegt werden.
Der damit verbundene Aufwand für in Deutschland ansässige Personengesellschaften dürfte allerdings gering sein. Nach Anhang IIB der Digitalisierungsrichtlinie II sind in Deutschland die oHG und die KG von der Richtlinie betroffen. Für beide Gesellschaftsformen bestehen national bereits jetzt zahlreiche Meldepflichten zum Handelsregister. Auch für Konzerne sollte sich der Aufwand in Grenzen halten, da sich die offenzulegenden Informationen aus den bereits beim Handels- und Unternehmensregister einzureichenden Unterlagen ergeben sollten.
Allerdings besteht auch im Hinblick auf die Qualität und Prüfung der eingereichten Informationen und Dokumente zum Teil Nachholbedarf. Denn nicht alle Handelsregister der Mitgliedstaaten enthalten in dem Umfang und der rechtlichen Wirkung ausreichend harmonisierte Unternehmensinformationen, weshalb bislang auch nicht immer alle Dokumente aus anderen europäischen Handelsregistern gleichermaßen akzeptiert wurden. Durch die Digitalisierungsrichtlinie II sollen – unter Beachtung der mitgliedsstaatlichen Rechtstraditionen – gewisse „Mindeststandards“ festgesetzt werden. Hierunter fallen die administrative oder gerichtliche Kontrolle, die Rechtmäßigkeitsprüfung der Gründungsdokumentation und die Kontrolle der Gesellschaftsinformationen vor Eintragung in das Unternehmensregister. Neu ist dabei auch die Verpflichtung, die hinterlegten Informationen zu den einzelnen Gesellschaften und Konzernen rechtzeitig (innerhalb von maximal 15 Arbeitstagen) zu aktualisieren.
Insgesamt sind die Maßnahmen positiv zu bewerten, da hierdurch die Verfügbarkeit, Aktualität und Zuverlässigkeit der Gesellschaftsinformationen europaweit verbessert und harmonisiert werden.
Verbindung von BRIS, BORIS und IRISämtliche Unternehmensinformationen mit nur wenigen Klicks abrufbar? Auch dieses Ziel nimmt die EU mit der Digitalisierungsrichtlinie II in Angriff. So sollen die bereits bestehenden Registersysteme auf Unionsebene miteinander verbunden werden. Konkret geht es dabei um das System zur Verknüpfung von Unternehmensregistern (EU Business Registers Interconnection System – BRIS), das Register der wirtschaftlichen Eigentümer (EU Beneficial Ownership Registers Interconnection System – BORIS) und das Insolvenzregister (EU Insolvency Registers Interconnection System- IRI).
Die Verbindung der drei Systeme ermöglicht es Nutzern, gleichzeitig auf Informationen aus allen drei Registern zuzugreifen. Die Zuordnung von Informationen zu einer Gesellschaft soll dabei über die bereits eingeführte europäische Kennung „EUID“ erfolgen. In Verbindung mit der Ausweitung der zu hinterlegenden Unternehmensinformationen stellen diese Änderungen einen großen Schritt in Richtung eines einheitlichen „EU-Registers“ dar.
Abbau bürokratischer Hürden und „once-only“-Principle – Erleichterungen bei Gründungen in anderen MitgliedstaatenNeben der Erhöhung der Transparenz in Bezug auf Unternehmensdaten ist der Abbau von Bürokratie das zweite große Ziel, das mit der Digitalisierungsrichtlinie II verfolgt wird.
Bisher sind bei der Anmeldung einer Tochtergesellschaft oder Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat sämtliche Dokumente der anmeldenden Gesellschaft, meist inklusive Legalisation (z.B. Apostille) und Übersetzung, erneut einzureichen. Damit soll nun, zumindest teilweise, Schluss sein. Nach der Digitalisierungsrichtlinie II sollen die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass beglaubigte Auszüge vernetzter Register grundsätzlich ohne weitere Legalisation oder (beglaubigte) Übersetzung in anderen Mitgliedstaaten verwendet werden können, sofern bestimmte Mindestanforderungen erfüllt sind. Denn zukünftig darf das Register im Zielstaat keine Angaben oder Dokumente vom Unternehmen fordern, die es selbst über das Register des Heimatstaates, in dem das Unternehmen eingetragen ist, oder über das BRIS elektronisch abrufen kann.
Mit dem „once-only“-Principle sieht die Digitalisierungsrichtlinie II vor, dass Unternehmen zukünftig dieselben Informationen nicht mehr als einmal vorlegen müssen. Das bedeutet erhebliche administrative Erleichterungen gerade für Unternehmen, die in einem anderen EU-Mitgliedstaat eine Tochtergesellschaft oder eine Zweigniederlassung errichten möchten.
Der Abbau der bürokratischen Hürden und das „once-only“-Principle würden damit nicht nur den Zeitaufwand, sondern auch die Kosten grenzüberschreitend tätiger Unternehmen erheblich reduzieren.
Digitale EU-Vollmacht soll Vertretung von Unternehmen erleichternZur Vereinfachung grenzüberschreitender Geschäftstätigkeiten soll zudem eine digitale EU-Vollmacht eingeführt werden, mit der eine Person zur Vertretung eines Unternehmens in einem anderen EU-Mitgliedstaat für bestimmte grenzüberschreitende Verfahren wie die Gesellschaftsgründung, Satzungsänderung, Eintragung von Zweigniederlassungen oder von Umwandlungen ermächtigt werden kann. Die EU-Kommission wird hierfür eine Mustervollmacht mit erforderlichen Mindestangaben (wie Angaben zur Person sowie Art und Umfang der Vertretungsmacht) auf dem EU-Justizportal veröffentlichen, die in allen offiziellen EU-Amtssprachen verfügbar sein wird.
Erteilung, Umfang und Widerruf der Vollmacht richten sich nach den nationalen Vorschriften. Um ein EU-weites Mindestniveau sicherzustellen, müssen die nationalen Regelungen mindestens die Überprüfung der Identität, der Rechts- und Geschäftsfähigkeit und der Vertretungsbefugnis des Vollmachtgebers vorsehen. Die Vollmacht kann im Handels- oder Unternehmensregister des zu vertretenden Unternehmens hinterlegt werden. Dies ist jedoch nicht zwingend.
Alles Wesentliche auf einen Blick – das EU Company CertificateMit dem Ziel vor Augen, Formalitäten abzubauen, sieht die Digitalisierungsrichtlinie II neben den oben genannten Maßnahmen auch die Implementierung einer harmonisierten EU-Gesellschaftsbescheinigung (EU Company Certificate – EUCC) vor. War bislang der Nachweis über die Existenz der Gesellschaft oder ihre Vertretungsregelung allein über einen nationalen Registerauszug des jeweiligen Mitgliedstaates oder über spezielle, teils kostspielige Bescheinigungen (z.B. ein certificate of good standing) möglich, so soll die neue Gesellschaftsbescheinigung auch in diesem Bereich zur Vereinheitlichung des Nachweises von Unternehmensinformationen im EU-Binnenmarkt beitragen.
Die EU-Gesellschaftsbescheinigung ähnelt dem aktuellen Ausdruck des deutschen Handelsregisters und soll alle wesentlichen Informationen über die Kapital- oder Personengesellschaft wie Existenz, Rechtsform, Sitz, Vertretung enthalten und teilweise kostenlos in allen EU-Amtssprachen sowie in Papierform und elektronisch (auch über das BRIS) verfügbar sein.
Die Ausstellung und Beglaubigung der EU-Gesellschaftsbescheinigung ist bei den Handels- und Unternehmensregistern der Mitgliedstaaten angesiedelt. Die EU-Kommission stellt ein Bescheinigungsmuster in allen Amtssprachen bereit, um die einheitliche Ausgestaltung zu gewährleisten. Von den Handels- und Unternehmensregistern wird allerdings nicht verlangt, die Bescheinigung auch in allen Amtssprachen auszustellen. Es kann davon ausgegangen werden, dass eine Ausstellung grundsätzlich nur in den jeweiligen nationalen Amtssprachen, teilweise zusätzlich in Englisch, erfolgen wird.
Die Einsatzmöglichkeiten der EU-Gesellschaftsbescheinigung sind vielfältig. Der große Vorteil: Sie muss von allen EU-Mitgliedstaaten als ausreichender Nachweis für die in ihr enthaltenen Unternehmensdaten anerkannt werden. Eine Zurückweisung ist nur im Einzelfall, etwa bei sachlichen Fehlern, zulässig. Für die Nachweiswirkung kommt es dabei auf den Ausstellungszeitpunkt an. Es kann davon ausgegangen werden, dass die nationale Umsetzung eine fortdauernde Nachweiswirkung, wie etwa für eine Dauer von 15 Tagen in Anlehnung an § 15 Abs. 2 S. 2 HGB, vorsehen wird.
Die EU-Gesellschaftsbescheinigung soll unter anderem im Rahmen von Verwaltungsverfahren gegenüber Behörden oder bei Gerichtsverfahren in anderen Mitgliedstaaten oder auch gegenüber EU-Einrichtungen und Registern eingesetzt werden.
Digitalisierungsrichtlinie II als wichtiger Schritt in die richtige RichtungDie Digitalisierungsrichtlinie II zeigt deutlich, dass die digitale Transformation weiter voranschreitet. Die vorgenannten Maßnahmen sind ein entscheidender Beitrag für die weitere Digitalisierung im Gesellschaftsrecht. Auch sollen bürokratische Hürden und (Transaktions-)Kosten deutlich reduziert sowie Transparenz und Vertrauen hinsichtlich Unternehmensinformationen erheblich gestärkt werden.
Neben ihren unmittelbaren Auswirkungen im Gesellschaftsrecht setzt die Digitalisierungsrichtlinie II auch wesentliche Impulse für IT‑Architekturen der öffentlichen Hand: Gefragt sind skalierbare, sichere und rechtskonforme Infrastrukturen, die Registerdaten effizient verarbeiten und über standardisierte Schnittstellen verlässlich bereitstellen. Vor diesem Hintergrund rücken cloudbasierte Registeransätze in den Fokus. Sie adressieren insbesondere klare Zuständigkeiten, durchgängige Verschlüsselung sowie eine eindeutige Rollenverteilung zwischen Cloudanbieter, Registerstelle und Softwarepartner.
Auch wenn die Mitgliedstaaten für die Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie II noch einige Zeit haben, kann bereits heute festgehalten werden, dass die eingeschlagene Richtung der EU stimmt und ein weiterer Meilenstein in eine digitale Zukunft des Gesellschaftsrechts erfolgt ist.
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Die Digitalisierung im Gesellschaftsrecht geht in die nächste Runde
Die EU treibt die Digitalisierung im Gesellschaftsrecht weiter voran. Nach Inkrafttreten der ersten Digitalisierungsrichtlinie (Richtlinie (EU) 2019/1151) im Juli 2019 mit entsprechender Umsetzung in Deutschland durch das DiRUG (Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie) zum 1. August 2022, wodurch erstmals Online-Gründungen von Kapitalgesellschaften ermöglicht wurden, trat zum 30. Januar 2025 die zweite Digitalisierungsrichtlinie (Richtlinie (EU) 2025/25) in Kraft. Hiernach sollen die Mitgliedstaaten im Wesentlichen spätestens bis zum 31. Juli 2027 die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen und veröffentlichen, um dieser Richtlinie nachzukommen. Ihre Anwendung soll ab dem 31. Juli 2028 erfolgen.
Nach dem Motto „Europe fit for the digital age“ ist Ziel der Richtlinie, durch die Nutzung digitaler Werkzeuge und Verfahren im EU-Gesellschaftsrecht, die Geschäftsaktivitäten grenzüberschreitend tätiger Unternehmen durch Bürokratieabbau zu erleichtern und den EU-weiten transparenten Zugang zu zuverlässigen Unternehmensinformationen weiter zu verbessern und zu harmonisieren.
Um dieses Ziel zu erreichen, enthält die Digitalisierungsrichtlinie II die nachfolgenden Kernelemente:
- Verlässliche Unternehmensinformationen und europaweite Unternehmensregister – Erweiterung der Registerinhalte zu Personengesellschaften und Konzernen sowie Verknüpfung verschiedener Register durch einheitlichen Zugriff auf die Verbundsysteme BRIS, BORIS und IRI;
- Abbau von Formalitäten und Einführung des sog. „once-only“-Principle – Reduzierung von Legislations- und Übersetzungserfordernissen durch Anwendung des Grundsatzes der einmaligen Erfassung von Unternehmensinformationen in nationalen bzw. EU-weiten Unternehmensregistern;
- Einführung einer digitalen EU-Vollmacht – Ermächtigung zur Vertretung von Unternehmen in anderen Mitgliedsstaaten mittels mehrsprachiger Standardvorlagen; und
- Einführung einer EU-Gesellschaftsbescheinigung (EU Company Certificate – EUCC) – Zurverfügungstellung wesentlicher Unternehmensinformationen auf einen Blick.
Die Auswirkungen der geplanten Maßnahmen sind nicht zu unterschätzen. Die Regelungen werden rund 16 Millionen Kapitalgesellschaften und 2 Millionen Personengesellschaften in der EU betreffen. Die Verwaltungskosten, die durch die Umsetzung der neuen Richtlinie eingespart werden sollen, werden auf etwa EUR 437 Millionen jährlich geschätzt.
Erreicht werden soll das im Detail durch die nachfolgenden Maßnahmen.
Verlässliche und transparente Unternehmensinformationen nun auch für Personengesellschaften und KonzerneAls ein großes Ziel verfolgt die Digitalisierungsrichtlinie II die Erhöhung der Transparenz in Bezug auf Unternehmensdaten. Für einen funktionierenden Binnenmarkt ist es unerlässlich, dass zentrale Informationen über die am Markt agierenden Unternehmen öffentlich, idealerweise EU-weit, abrufbar sind und der Vertragspartner sich auf diese Informationen verlassen kann.
Nachholbedarf besteht an dieser Stelle im Hinblick auf die Publizität von zentralen Informationen über Personengesellschaften und Konzerne. Bisher war gerade die Registerpublizität für Personengesellschaften nur eine freiwillige Option für die EU-Mitgliedstaaten auf nicht harmonisierter Basis. Durch die Digitalisierungsrichtlinie II sollen insbesondere Informationen zu Firma, Rechtsform, Geschäftsadresse, Einlagen der Gesellschafter, Vertretungsbefugnis und persönlicher Haftung der Gesellschafter von Personengesellschaften standardisiert erfasst werden. Hinsichtlich Konzernen sollen Schlüsselinformationen wie Name, Rechtsform, Eintragungsstaat sowie ggf. Sitz, Register und Registernummer über das BRIS hinterlegt werden.
Der damit verbundene Aufwand für in Deutschland ansässige Personengesellschaften dürfte allerdings gering sein. Nach Anhang IIB der Digitalisierungsrichtlinie II sind in Deutschland die oHG und die KG von der Richtlinie betroffen. Für beide Gesellschaftsformen bestehen national bereits jetzt zahlreiche Meldepflichten zum Handelsregister. Auch für Konzerne sollte sich der Aufwand in Grenzen halten, da sich die offenzulegenden Informationen aus den bereits beim Handels- und Unternehmensregister einzureichenden Unterlagen ergeben sollten.
Allerdings besteht auch im Hinblick auf die Qualität und Prüfung der eingereichten Informationen und Dokumente zum Teil Nachholbedarf. Denn nicht alle Handelsregister der Mitgliedstaaten enthalten in dem Umfang und der rechtlichen Wirkung ausreichend harmonisierte Unternehmensinformationen, weshalb bislang auch nicht immer alle Dokumente aus anderen europäischen Handelsregistern gleichermaßen akzeptiert wurden. Durch die Digitalisierungsrichtlinie II sollen – unter Beachtung der mitgliedsstaatlichen Rechtstraditionen – gewisse „Mindeststandards“ festgesetzt werden. Hierunter fallen die administrative oder gerichtliche Kontrolle, die Rechtmäßigkeitsprüfung der Gründungsdokumentation und die Kontrolle der Gesellschaftsinformationen vor Eintragung in das Unternehmensregister. Neu ist dabei auch die Verpflichtung, die hinterlegten Informationen zu den einzelnen Gesellschaften und Konzernen rechtzeitig (innerhalb von maximal 15 Arbeitstagen) zu aktualisieren.
Insgesamt sind die Maßnahmen positiv zu bewerten, da hierdurch die Verfügbarkeit, Aktualität und Zuverlässigkeit der Gesellschaftsinformationen europaweit verbessert und harmonisiert werden.
Verbindung von BRIS, BORIS und IRISämtliche Unternehmensinformationen mit nur wenigen Klicks abrufbar? Auch dieses Ziel nimmt die EU mit der Digitalisierungsrichtlinie II in Angriff. So sollen die bereits bestehenden Registersysteme auf Unionsebene miteinander verbunden werden. Konkret geht es dabei um das System zur Verknüpfung von Unternehmensregistern (EU Business Registers Interconnection System – BRIS), das Register der wirtschaftlichen Eigentümer (EU Beneficial Ownership Registers Interconnection System – BORIS) und das Insolvenzregister (EU Insolvency Registers Interconnection System- IRI).
Die Verbindung der drei Systeme ermöglicht es Nutzern, gleichzeitig auf Informationen aus allen drei Registern zuzugreifen. Die Zuordnung von Informationen zu einer Gesellschaft soll dabei über die bereits eingeführte europäische Kennung „EUID“ erfolgen. In Verbindung mit der Ausweitung der zu hinterlegenden Unternehmensinformationen stellen diese Änderungen einen großen Schritt in Richtung eines einheitlichen „EU-Registers“ dar.
Abbau bürokratischer Hürden und „once-only“-Principle – Erleichterungen bei Gründungen in anderen MitgliedstaatenNeben der Erhöhung der Transparenz in Bezug auf Unternehmensdaten ist der Abbau von Bürokratie das zweite große Ziel, das mit der Digitalisierungsrichtlinie II verfolgt wird.
Bisher sind bei der Anmeldung einer Tochtergesellschaft oder Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat sämtliche Dokumente der anmeldenden Gesellschaft, meist inklusive Legalisation (z.B. Apostille) und Übersetzung, erneut einzureichen. Damit soll nun, zumindest teilweise, Schluss sein. Nach der Digitalisierungsrichtlinie II sollen die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass beglaubigte Auszüge vernetzter Register grundsätzlich ohne weitere Legalisation oder (beglaubigte) Übersetzung in anderen Mitgliedstaaten verwendet werden können, sofern bestimmte Mindestanforderungen erfüllt sind. Denn zukünftig darf das Register im Zielstaat keine Angaben oder Dokumente vom Unternehmen fordern, die es selbst über das Register des Heimatstaates, in dem das Unternehmen eingetragen ist, oder über das BRIS elektronisch abrufen kann.
Mit dem „once-only“-Principle sieht die Digitalisierungsrichtlinie II vor, dass Unternehmen zukünftig dieselben Informationen nicht mehr als einmal vorlegen müssen. Das bedeutet erhebliche administrative Erleichterungen gerade für Unternehmen, die in einem anderen EU-Mitgliedstaat eine Tochtergesellschaft oder eine Zweigniederlassung errichten möchten.
Der Abbau der bürokratischen Hürden und das „once-only“-Principle würden damit nicht nur den Zeitaufwand, sondern auch die Kosten grenzüberschreitend tätiger Unternehmen erheblich reduzieren.
Digitale EU-Vollmacht soll Vertretung von Unternehmen erleichternZur Vereinfachung grenzüberschreitender Geschäftstätigkeiten soll zudem eine digitale EU-Vollmacht eingeführt werden, mit der eine Person zur Vertretung eines Unternehmens in einem anderen EU-Mitgliedstaat für bestimmte grenzüberschreitende Verfahren wie die Gesellschaftsgründung, Satzungsänderung, Eintragung von Zweigniederlassungen oder von Umwandlungen ermächtigt werden kann. Die EU-Kommission wird hierfür eine Mustervollmacht mit erforderlichen Mindestangaben (wie Angaben zur Person sowie Art und Umfang der Vertretungsmacht) auf dem EU-Justizportal veröffentlichen, die in allen offiziellen EU-Amtssprachen verfügbar sein wird.
Erteilung, Umfang und Widerruf der Vollmacht richten sich nach den nationalen Vorschriften. Um ein EU-weites Mindestniveau sicherzustellen, müssen die nationalen Regelungen mindestens die Überprüfung der Identität, der Rechts- und Geschäftsfähigkeit und der Vertretungsbefugnis des Vollmachtgebers vorsehen. Die Vollmacht kann im Handels- oder Unternehmensregister des zu vertretenden Unternehmens hinterlegt werden. Dies ist jedoch nicht zwingend.
Alles Wesentliche auf einen Blick – das EU Company CertificateMit dem Ziel vor Augen, Formalitäten abzubauen, sieht die Digitalisierungsrichtlinie II neben den oben genannten Maßnahmen auch die Implementierung einer harmonisierten EU-Gesellschaftsbescheinigung (EU Company Certificate – EUCC) vor. War bislang der Nachweis über die Existenz der Gesellschaft oder ihre Vertretungsregelung allein über einen nationalen Registerauszug des jeweiligen Mitgliedstaates oder über spezielle, teils kostspielige Bescheinigungen (z.B. ein certificate of good standing) möglich, so soll die neue Gesellschaftsbescheinigung auch in diesem Bereich zur Vereinheitlichung des Nachweises von Unternehmensinformationen im EU-Binnenmarkt beitragen.
Die EU-Gesellschaftsbescheinigung ähnelt dem aktuellen Ausdruck des deutschen Handelsregisters und soll alle wesentlichen Informationen über die Kapital- oder Personengesellschaft wie Existenz, Rechtsform, Sitz, Vertretung enthalten und teilweise kostenlos in allen EU-Amtssprachen sowie in Papierform und elektronisch (auch über das BRIS) verfügbar sein.
Die Ausstellung und Beglaubigung der EU-Gesellschaftsbescheinigung ist bei den Handels- und Unternehmensregistern der Mitgliedstaaten angesiedelt. Die EU-Kommission stellt ein Bescheinigungsmuster in allen Amtssprachen bereit, um die einheitliche Ausgestaltung zu gewährleisten. Von den Handels- und Unternehmensregistern wird allerdings nicht verlangt, die Bescheinigung auch in allen Amtssprachen auszustellen. Es kann davon ausgegangen werden, dass eine Ausstellung grundsätzlich nur in den jeweiligen nationalen Amtssprachen, teilweise zusätzlich in Englisch, erfolgen wird.
Die Einsatzmöglichkeiten der EU-Gesellschaftsbescheinigung sind vielfältig. Der große Vorteil: Sie muss von allen EU-Mitgliedstaaten als ausreichender Nachweis für die in ihr enthaltenen Unternehmensdaten anerkannt werden. Eine Zurückweisung ist nur im Einzelfall, etwa bei sachlichen Fehlern, zulässig. Für die Nachweiswirkung kommt es dabei auf den Ausstellungszeitpunkt an. Es kann davon ausgegangen werden, dass die nationale Umsetzung eine fortdauernde Nachweiswirkung, wie etwa für eine Dauer von 15 Tagen in Anlehnung an § 15 Abs. 2 S. 2 HGB, vorsehen wird.
Die EU-Gesellschaftsbescheinigung soll unter anderem im Rahmen von Verwaltungsverfahren gegenüber Behörden oder bei Gerichtsverfahren in anderen Mitgliedstaaten oder auch gegenüber EU-Einrichtungen und Registern eingesetzt werden.
Digitalisierungsrichtlinie II als wichtiger Schritt in die richtige RichtungDie Digitalisierungsrichtlinie II zeigt deutlich, dass die digitale Transformation weiter voranschreitet. Die vorgenannten Maßnahmen sind ein entscheidender Beitrag für die weitere Digitalisierung im Gesellschaftsrecht. Auch sollen bürokratische Hürden und (Transaktions-)Kosten deutlich reduziert sowie Transparenz und Vertrauen hinsichtlich Unternehmensinformationen erheblich gestärkt werden.
Neben ihren unmittelbaren Auswirkungen im Gesellschaftsrecht setzt die Digitalisierungsrichtlinie II auch wesentliche Impulse für IT‑Architekturen der öffentlichen Hand: Gefragt sind skalierbare, sichere und rechtskonforme Infrastrukturen, die Registerdaten effizient verarbeiten und über standardisierte Schnittstellen verlässlich bereitstellen. Vor diesem Hintergrund rücken cloudbasierte Registeransätze in den Fokus. Sie adressieren insbesondere klare Zuständigkeiten, durchgängige Verschlüsselung sowie eine eindeutige Rollenverteilung zwischen Cloudanbieter, Registerstelle und Softwarepartner.
Auch wenn die Mitgliedstaaten für die Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie II noch einige Zeit haben, kann bereits heute festgehalten werden, dass die eingeschlagene Richtung der EU stimmt und ein weiterer Meilenstein in eine digitale Zukunft des Gesellschaftsrechts erfolgt ist.
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Gewährleistung und Garantien: Was Händler ab 2026 beachten müssen
Der EU-Gesetzgeber verpflichtet B2C-Händler* ab dem 27. September 2026, ihre Kunden beim Verkauf von Waren noch besser über das gesetzliche Gewährleistungsrecht (legal guarantee) sowie über etwaige gewerbliche Haltbarkeitsgarantien (commercial guarantee) von Herstellern zu informieren. Hierbei müssen Händler zukünftig auf EU-weit vorgegebene einheitliche Muster, die sog. harmonisierte Mitteilung über das gesetzliche Gewährleistungsrecht (harmonisierte Mitteilung) und harmonisierte Kennzeichnung der gewerblichen Haltbarkeitsgarantie (harmonisierte Kennzeichnung), zurückgreifen.
Informationspflichten gehen auf EmpCo zurückDie neuen Informationspflichten sind Teil der der sog. „Empowering Consumers Directive“ (kurz: EmpCo; offiziell: Richtlinie (EU) 2024/825 zur Änderung der Richtlinien 2005/29/EG und 2011/83/EU hinsichtlich der Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel durch besseren Schutz gegen unlautere Praktiken und durch bessere Informationen).
Diese enthält nicht nur Ergänzungen der UWG-Richtlinie im Hinblick auf Umweltaussagen (sog. „Green Claims“), sondern sieht auch Änderungen hinsichtlich der in der Verbraucherrechte-Richtlinie (2011/83) geregelten vorvertraglichen Informationspflichten vor. Verbraucher sollen dadurch in die Lage versetzt werden, informierte Kaufentscheidungen zu treffen und so zu einem nachhaltigeren Konsumverhalten beizutragen.
Layout für harmonisierte Mitteilung und Kennzeichnung festgelegtMit Durchführungsverordnung vom 25. September 2025 hat die EU-Kommission die Gestaltung und den Inhalt der harmonisierten Mitteilung und Kennzeichnung nun verbindlich festgelegt und liegt damit im selbst gesetzten Zeitplan.
Regierungsentwurf zur Umsetzung der EmpCo vorgelegtDie EmpCo muss von den Mitgliedsstaaten bis spätestens zum 27. September 2026 in nationales Recht umgesetzt werden. Die Bundesregierung hat hierzu am 3. September 2025 den „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Verbrauchervertrags- und des Versicherungsvertragsrechts sowie zur Änderung des Behandlungsvertragsrechts“ vorgelegt, mit dem unter anderem der die Verbraucherrechte-Richtlinie ändernde Teil der EmpCo (richtliniengetreu) in deutsches Recht umgesetzt werden soll.
Die neuen Informationspflichten sollen danach in die Kataloge der vorvertraglichen Informationspflichten für Verbraucherverträge nach Art. 246 und Art. 246a § 1 EGBGB aufgenommen werden.
Kurzüberblick: Die neuen Pflichtinformationen1. Gesetzliche Gewährleistung
Der Regierungsentwurf sieht vor, dass Händler ihre Kunden vor Vertragsschluss in klarer und verständlicher Weise über das Bestehen eines gesetzlichen Gewährleistungsrechts für Waren inklusive seiner wichtigsten Elemente informieren müssen. Zu den wichtigsten Elementen gehört unter anderem die Mindestdauer des gesetzlichen Gewährleistungsrechts von zwei Jahren sowie ein allgemeiner Hinweis, dass diese Mindestdauer nach dem nationalen Recht eines Mitgliedstaats der EU (wie etwa in den Niederlanden) auch länger sein kann. Diese Informationen müssen in hervorgehobener Weise und unter Verwendung der folgenden EU-weit harmonisierten Mitteilung bereitgestellt werden:
2. Haltbarkeitsgarantie
Sofern ein Hersteller eine gewerbliche Haltbarkeitsgarantie für die gesamte Ware ohne zusätzliche Kosten und mit einer Dauer von mehr als zwei Jahren verspricht und diese Informationen dem Händler (z.B. durch entsprechende Angaben auf der Verpackung der Ware) zur Verfügung stellt, muss dieser dem Verbraucher über die Garantie informieren. Im Gegensatz zur bisherigen Rechtsprechung des EuGH kann der Händler nicht mehr selbst entscheiden, ob er mit der Garantie wirbt und er dann entsprechend informieren muss oder nicht.
Die Garantieinformationen müssen in hervorgehobener Weise und unter Verwendung der folgenden EU-weit harmonisierten Kennzeichnung bereitgestellt werden:
Bei Fernabsatzverträgen, die über eine Online-Benutzeroberfläche geschlossen werden, kann die Kennzeichnung auch in einem geschachtelten Format angezeigt werden:
Daneben muss der Händler auch hier mittels der harmonisierten Mitteilung auf das Bestehen des gesetzlichen Gewährleistungsrechts hinweisen, um zu verhindern, dass Verbraucher die gewerbliche Haltbarkeitsgarantie und das gesetzliche Gewährleistungsrecht verwechseln.
Welche Waren sind betroffen?Betroffen sind zunächst alle „Waren“ im Sinne der Verbraucherrechte-RL, d.h. bewegliche körperliche Gegenstände einschließlich Waren mit digitalen Elementen (wie z.B. Smartphones). Für digitale Inhalte und digitale Dienstleistungen (digitale Produkte) besteht weiterhin lediglich die Pflicht, auf das Bestehen eines gesetzlichen Gewährleistungsrechts oder das Bestehen und die Bedingungen von Kundendienstleistungen und gewerblichen Garantien hinzuweisen.
Von der Informationspflicht ausgenommen sind (nach deutschem Recht) Verträge, die Geschäfte des täglichen Lebens zum Gegenstand haben und bei Vertragsschluss sofort erfüllt werden. Im Umkehrschluss dürften daher bei Geschäften des täglichen Lebens, die nicht sofort erfüllt werden (Verträge über Ratenlieferungen oder mit Ratenzahlung sowie Online-Käufe) die gesteigerte Informationspflicht bestehen.
Wo und wie muss der Hinweis platziert werden?1. Offline (stationärer Handel)
Die harmonisierte Mitteilung über das gesetzliche Gewährleistungsrecht muss im stationären Handel gut sichtbar im Verkaufsraum, z.B. als auffälliges Plakat an einer Wand im Geschäft bzw. neben dem Kassenschalter ausgestellt werden.
Die harmonisierte Kennzeichnung von gewerblichen Haltbarkeitsgarantien muss produktnah, z.B. direkt auf der Ware oder der Verpackung oder an dem Regal, in dem die Ware platziert wird, angebracht werden.
2. Online (Shop, Marktplatz, App)
Im Onlinehandel muss die harmonisierte Mitteilung als allgemeine Erinnerung auf der Website des Unternehmers, der die Ware verkauft, zur Verfügung gestellt werden. Die harmonisierte Kennzeichnung sollte im Onlineshop direkt neben dem Bild der Ware zu sehen sein.
Risiken bei NichtbeachtungDie technische/gestalterische Umsetzung sollte bis spätestens Sommer 2026 abgeschlossen sein, um eine vollständige Compliance zum Stichtag des 27. September 2026 sicherzustellen. Händler sollten daher prüfen, inwieweit die von ihnen vertriebenen Produkte mit einer Herstellergarantie versehen sind und welche Informationen die Hersteller hierzu bereitstellen (z.B. auf der Verpackung, der Gebrauchsanleitung, etc.).
Bei Nichtbeachtung der neuen Informationspflichten (z.B. fehlenden, unzureichenden oder nicht gut sichtbaren Angaben) drohen kostspielige und ressourcenbindende Abmahnungen durch Verbraucherschutzverbände oder Wettbewerber. Bei Verstößen, die sich in mehreren Mitgliedsstaaten auswirken, kommen zudem empfindliche Bußgelder in Betracht (Art. 246e § 1 Abs. 1 i.V.m. Abs 2 Nr. 4, § 2 EGBGB).
Auch bei etwaigen Garantien, die nicht für die gesamte Ware und/oder nicht für eine Dauer von mehr als zwei Jahren gelten sollen, besteht eine erhöhte Gefahr der Irreführung. Die EmpCo stellt insofern klar, dass andere Arten gewerblicher Garantien und Kundendienste zwar weiterhin erlaubt sind, Verbraucher hinsichtlich der gewerblichen Haltbarkeitsgarantie mit vorgeschriebener harmonisierter Kennzeichnung aber nicht verwirren dürfen. Vor diesem Hintergrund sollten daher auch solche Garantien und Kundendienste geprüft werden, die nicht unmittelbar von den Informationspflichten der EmpCo (bzw. des Umsetzungsgesetzes) betroffen sind.
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* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.
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Rechtsbehelfe bei der Betriebsratswahl – Teil 2: Anfechtung der Betriebsratswahl
Betriebsratswahlen sind in der Praxis komplex – und nicht selten mit Fehlern verbunden. Was sollte ein Arbeitgeber* tun, wenn Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit der Betriebsratswahl bestehen? Sowohl für die Belegschaft, den Betriebsrat als auch den Arbeitgeber ist die Frage der ordnungsgemäßen Betriebsratswahl von Bedeutung. Denn nur ein Betriebsrat, der ordnungsgemäß gewählt wurde, genießt die notwendige demokratische Legitimation und das Vertrauen der Belegschaft.
Dementsprechend können schon kleine Fehler bei der Wahl Misstrauen hervorrufen: Etwa, wenn der Raum der Stimmauszählung für eine Stunde nicht öffentlich zugänglich war oder wenn bei der Sitzverteilung das Geschlecht in der Minderheit nicht berücksichtigt wurde. Daher gilt es insbesondere auch für den Arbeitgeber die Rechtmäßigkeit der Betriebsratswahl sorgfältig zu prüfen und ggf. erforderliche Maßnahmen zu ergreifen.
Wir haben zu den wesentlichen Fragen zur Anfechtung der Betriebsratswahl nachfolgend eine Checkliste zusammengestellt:
Checkliste: Was ist bei der Anfechtung einer Betriebsratswahl zu beachten?1. Was ist die Anfechtung einer Betriebsratswahl?
Die Wahlanfechtung ist in § 19 BetrVG geregelt. Sie ist das zentrale Rechtsmittel, um Verstöße bei der Vorbereitung oder Durchführung der Wahl überprüfen zu lassen.
Die Anfechtbarkeit liegt vor, wenn eine Zuwiderhandlung gegen eine wesentliche Vorschrift über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren vorliegt, eine Berichtigung des Wahlfehlers nicht erfolgt ist und durch den Verstoß das Wahlergebnis geändert oder beeinflusst werden konnte. Wichtig ist die Abgrenzung zur Nichtigkeit der Wahl: Eine Nichtigkeit liegt hingegen bei groben und offensichtlichen Verstößen gegen wesentliche Grundsätze des gesetzlichen Wahlrechts vor. Die Fehler müssen so gravierend sein, dass nicht einmal der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl vorliegt. Weitere Informationen zur Nichtigkeit der Wahl können unserem Blogbeitrag Rechtsbehelfe bei der Betriebsratswahl – Teil 1: Einstweiliges Verfügungsverfahren entnommen werden.
2. Wer darf eine Betriebsratswahl anfechten?
Eine Betriebsratswahl kann durch mindestens drei wahlberechtigte Arbeitnehmer, eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft, sowie den Arbeitgeber selbst angefochten werden. An einem Anfechtungsverfahren vor dem Arbeitsgericht ist der Arbeitgeber neben dem Betriebsrat stets zu beteiligen, selbst wenn er die Wahl nicht angefochten hat.
3. Welche Fristen sind einzuhalten und welches Gericht ist zuständig?
Die Wahlanfechtung muss innerhalb von zwei Wochen nach ordnungsgemäßer Bekanntgabe des Wahlergebnisses beim zuständigen Arbeitsgericht eingereicht werden. Nach Verstreichen dieser Ausschlussfrist ist eine Anfechtung der Betriebsratswahl nicht mehr möglich, auch wenn tatsächlich gravierende Fehler vorlagen.
Zuständig für das Wahlanfechtungsverfahren ist das örtlich zuständige Arbeitsgericht. Das Verfahren ist auf die Prüfung des Wahlergebnisses beschränkt und klärt die Frage, ob die Wahl bestehen bleibt, korrigiert werden kann oder insgesamt ungültig ist.
4. Wie lautet der korrekte Antrag?
Es stellt sich sodann die weitere Frage, welcher Antrag beim Arbeitsgericht im Rahmen der Wahlanfechtung gestellt werden muss.
Einerseits kann die Korrektur des Wahlergebnisses beantragt werden, was in der Praxis eher selten beantragt wird. Ein solcher Antrag käme beispielsweise bei Rechen- oder Zählfehlern mit Blick auf die Stimmauszählung in Betracht.
In der Praxis wird regelmäßig beantragt, dass die Betriebsratswahl für ungültig erklärt wird. Richtet sich der Antrag hierauf und ist eine Berichtigung der geltend gemachten Fehler nicht mehr möglich, hat das Gericht im Rahmen des begründeten Anfechtungsantrags das gesamte Wahlergebnis bzw. die Wahl des oder der betroffenen Betriebsratsmitglieder für ungültig zu erklären.
5. Kann das Anfechtungsrecht eingeschränkt sein?
Ja, das ist möglich. Gemäß § 19 Abs. 3 BetrVG ist eine Anfechtung durch die Wahlberechtigten ausgeschlossen, soweit diese darauf gestützt wird, dass die Wählerliste unrichtig ist, wenn nicht zuvor aus demselben Grund gegen die Richtigkeit der Wählerliste ordnungsgemäß Einspruch eingelegt wurde. Die Anfechtung des Arbeitgebers ist im Falle einer unrichtigen Wählerliste ausgeschlossen, wenn deren Unrichtigkeit auf von ihm fehlerhaft zur Verfügung gestellten Daten beruht.
6. Wie läuft das gerichtliche Wahlanfechtungsverfahren ab?
Im gerichtlichen Wahlanfechtungsverfahren finden in der Regel ein Güte- und ein Kammertermin statt. Insbesondere im Gütetermin versuchen die Beteiligten einen Vergleich zu schließen. Etwaige Vergleichsmöglichkeiten sind jedoch in der Praxis eingeschränkt. Entweder akzeptiert der Betriebsrat, dass die Betriebsratswahl fehlerbehaftet ist und tritt geschlossen zurück oder der Antragsteller akzeptiert, dass die Betriebsratswahl ordnungsgemäß erfolgte und nimmt den Anfechtungsantrag zurück. Gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts können die jeweils unterliegenden Beteiligten Beschwerde zum zuständigen Landesarbeitsgericht einlegen.
7. Welche Entscheidung trifft das Gericht über die Wahlanfechtung?
Für den Fall, dass das Gericht rechtskräftig entscheidet, dass die Betriebsratswahl ungültig ist, verliert der Betriebsrat mit Wirkung für die Zukunft sein Amt. Die gerichtliche Entscheidung entfaltet allerdings keine Wirkung für die Vergangenheit, d.h. alle von dem Betriebsrat vorgenommenen Maßnahmen und Beschlüsse bleiben in Kraft. Abhängig vom Antrag kann die stattgebende Entscheidung das Wahlergebnis korrigieren oder es ganz oder teilweise für ungültig erklären. Sofern das Gericht den Antrag auf Wahlanfechtung als unzulässig oder unbegründet abweist, bleibt der gewählte Betriebsrat im Amt.
8. Welche Rechtsfolgen entstehen durch die Wahlanfechtung für den Betriebsrat?
Während des gesamten Anfechtungsverfahrens bleibt der Betriebsrat im Amt und kann seine Aufgaben weiterhin wahrnehmen, etwa Betriebsvereinbarungen abschließen. Er ist auch vollumfänglich zu beteiligen, etwa bei Kündigungen.
Für den Fall der Ungültigerklärung der Betriebsratswahl insgesamt erlischt die Amtszeit des Betriebsrats unmittelbar mit der Rechtskraft des gerichtlichen Beschlusses. Eine Weiterführung der Amtsgeschäfte bis zu einer Neuwahl ist demnach nicht möglich, sodass der Betrieb bis zu einer Neuwahl betriebsratslos ist. Gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG kann auch außerhalb des regelmäßigen Wahlzeitpunkts nach erfolgreicher Anfechtung jederzeit ein neuer Betriebsrat gewählt werden. Es gelten die allgemeinen Wahlvorschriften, sodass die Neuwahl davon abhängig ist, dass ein Wahlvorstand bestellt wird.
Die Unwirksamkeit der Wahl eines einzelnen Betriebsratsmitglieds wegen Nichtwählbarkeit führt nicht zu einer Neuwahl des gesamten Gremiums. Vielmehr erlischt die Mitgliedschaft des betroffenen Betriebsratsmitglieds und ein Ersatzmitglied rückt nach.
9. Wer trägt die Kosten der Anfechtung einer Betriebsratswahl?
Der Arbeitgeber trägt grundsätzlich die Kosten des Anfechtungsverfahrens, sofern der Anfechtungsantrag nicht mutwillig oder offensichtlich aussichtslos ist. Beauftragt einer der Anfechtungsberechtigten einen Rechtsanwalt, sind vom Arbeitgeber in der Regel auch die Anwaltskosten zu erstatten.
Anfechtung als Instrument zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Betriebsratswahl rechtzeitig in Betracht ziehenDie Anfechtung einer Betriebsratswahl ist ein wichtiges Korrektiv, um die demokratische Legitimation der Arbeitnehmervertretung sicherzustellen und schützt die ordnungsgemäße Durchführung der Wahl.
Für Arbeitgeber bedeutet das: Wahlfehler frühzeitig erkennen, die gesetzlichen Fristen im Blick behalten und eine klare Strategie für den Umgang mit einer möglichen Anfechtung entwickeln. Eine sorgfältige Prüfung ist dabei unverzichtbar – denn nur so lassen sich Risiken minimieren und die richtigen Weichen für die zukünftige Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat stellen.
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Tarifwerk GVP/DGB: Zahlung von Zuschlägen
Die Tarifwerke BAP/DGB und iGZ/DGB sehen ein ausführliches Zuschlagsregime vor, das sich mitunter erheblich voneinander unterscheidet (§ 7 MTV BAP/DGB; § 4 MTV iGZ/DGB). In § 6 MTV GVP/DGB werden die Zuschläge nun nach Maßgabe des BAP/DGB-Tarifwerks geregelt, wobei die „Grundhöhe“ der Zuschläge in beiden Tarifverträgen bereits gleich war und gleich bleiben wird.
Auf bisherige iGZ-Anwender* kommen allerdings in diesem Zusammenhang einige Änderungen zu, nämlich insbesondere die nachfolgend Genannten:
- Zuschlagspflichtige Mehrarbeit liegt für volle (so nicht im MTV iGZ/DGB vorgesehen) Arbeitsstunden vor, durch die die vereinbarte individuelle regelmäßige monatliche Arbeitszeit um mehr als 15% (MTV iGZ/DGB: bisher 14,28%) überschritten wird; bei der Regelarbeitszeit von 151,67 Stunden/Monat ist der Schwellenwert folglich bei 174,42 Stunden pro Monat zu verorten. Der Zuschlag für Mehrarbeit beträgt – wie bisher – 25%. Für das variable Arbeitszeitmodell nach dem MTV iGZ/DGB ist für den Zuschlag eine Übergangsregelung bis zum 31. Dezember 2029 vorgesehen.
- Bei dem Zuschlag für Nachtarbeit fällt das im MTV iGZ/DGB vorgesehene Erfordernis weg, dass mehr als zwei Stunden innerhalb dieser Nachtarbeit gearbeitet worden sein muss, um den Zuschlag zu erhalten. Dieser richtet sich nach den Regelungen des Kundenbetriebs und beträgt maximal 25%, d.h. wird dort ein geringerer Nachtarbeitszuschlag gezahlt, verringert sich dieser auch für die Zeitarbeitnehmer. Liegt dieser über 25%, verbleibt es bei dem tariflichen Zuschlag in Höhe von 25%. Im MTV iGZ/DGB ist hingegen pauschal von 25% ausgegangen worden; dieser kann in der neuen Tarifwelt – je nach Kundenregelung – „nach unten“ flexibilisiert werden.
- Die Differenzierung bei Sonn- und Feiertagszuschlägen im MTV iGZ/DGB in Abhängigkeit davon, ob die Arbeit an Sonn- und Feiertagen zur Regelarbeitszeit zählt, entfällt. Stattdessen knüpfen die Zuschläge an die Regelungen im Kundenbetrieb – wie bei der Nachtarbeit – an und betragen maximal 50% bei Sonntagsarbeit und höchstens 100% bei Feiertagsarbeit. Auch in diesem Zusammenhang kann also eine Flexibilisierung der Höhe der Zuschläge „nach unten“ erfolgen.
- Ein Feiertagszuschlag kann für die Arbeit an Heiligabend und an Silvester (jeweils nach 14.00 Uhr) anfallen. Dies ist keine Änderung für BAP-Anwender (§ 7.3 Abs. 3 S. 2 MTV BAP/DGB). An etwas versteckter Stelle ist dies im MTV iGZ/DGB ebenfalls vorgesehen (dort: § 3.1.5. S. 2).
- Die Sonderregelungen für Zuschläge im medizinisch/ärztlichen Bereich (auch an Samstagen) und in der Gastronomie (kundenorientierte Betrachtung) nach dem MTV iGZ/DGB entfallen.
ACHTUNG: Gerade im medizinisch/ärztlichen Bereich (aber natürlich nicht nur dort!) sollten iGZ-Anwender prüfen, ob und wie sich die neuen Zuschlagsregelungen auswirken. Es ist nicht auszuschließen, dass es dort zu Erhöhungen kommt, die an den Kunden weitergegeben werden sollten. Hierzu bedarf es dann entsprechender Vereinbarungen, um die bestehenden Arbeitnehmerüberlassungsverträge anzupassen.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.
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Förderungen von IPCEI Wasserstoffprojekten
Die Europäische Kommission hat am 28. Mai 2025 mit Hy2Move die vierte Welle der wichtigen Projekte von gemeinsamem europäischem Interesse (Important Projects of Common European Interest – IPCEI) für Wasserstoff beihilferechtlich genehmigt. Unter dem Namen Hy2Move (Hydrogen Mobility) haben sieben EU-Mitgliedstaaten (Estland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Slowakei, Spanien und Deutschland) staatliche Fördermittel in Höhe von bis zu EUR 1,4 Mrd. für 11 Unternehmen gemeinsam bei der Europäischen Kommission notifiziert.
Das IPCEI Hy2Move zielt darauf ab, durch technologische Innovationen entlang der gesamten Wasserstoff-Wertschöpfungskette den Einsatz von Wasserstofftechnologien im Mobilitäts- und Verkehrssektor voranzutreiben. Es ergänzt die drei ersten IPCEIs zur Wasserstoff-Wertschöpfungskette: am 15. Juli 2022 genehmigte die EU-Kommission das IPCEI Hy2Tech (Hydrogen Technology) mit Schwerpunkt auf der Entwicklung von Wasserstofftechnologien für Endnutzer. Am 21. September 2022 das IPCEI Hy2Use (Hydrogen Industry), das insbesondere Wasserstoffanwendungen in der Industrie betrifft. Am 15. Februar 2024 wurde das IPCEI Hy2Infra (Hydrogen Infrastructure) von der Kommission genehmigt, das auf Infrastrukturinvestitionen ausgerichtet ist, die nicht unter die ersten beiden IPCEIs fallen.
Strategische Bedeutung der IPCEI WasserstoffprojekteDie gezielte Förderung strategischer Schlüsseltechnologien gewinnt auf europäischer Ebene zunehmend an Bedeutung. Ein zentrales Instrument dieser Industriepolitik ist der sogenannte IPCEI-Rahmen, der es den Mitgliedstaaten ermöglicht, private Vorhaben, die von besonderer Bedeutung für europäische Ziele sind, mit höheren staatlichen Zuschüssen zu unterstützen, als dies unter den allgemeinen europäischen Beihilferegeln möglich wäre. Über den Wasserstoffsektor hinaus profitieren auch Projekte in Bereichen wie Mikroelektronik, Batteriezellfertigung, Cloud-Infrastruktur und Gesundheitstechnologien von dieser Förderkulisse.
Im Bereich Wasserstoff verfolgt die EU das Ziel, eine wettbewerbsfähige und innovative grüne Wasserstoffwirtschaft in Europa zu etablieren. Damit sollen sowohl die europäischen Klimaziele erreicht als auch die industrielle Souveränität Europas gestärkt werden. Die IPCEI-Förderprogramme ermöglichen die Umsetzung von Großprojekten, die unter rein marktwirtschaftlichen Bedingungen aufgrund technologischer und finanzieller Risiken, fehlender Nachfrage oder Finanzierungslücken nicht realisierbar wären. Sie sollen Marktversagen ausgleichen und private Investitionen mobilisieren.
Für Unternehmen bieten sich dadurch attraktive Fördermöglichkeiten. Allerdings agieren Unternehmen, die IPCEI-Förderungen erhalten, angesichts der mangelnden Rentabilität vieler Wasserstoffprojekte unter normalen Marktbedingungen in einem Umfeld, in dem staatliche Zuschüsse einen zentralen Bestandteil des Geschäftsmodells darstellen. Zugleich ist der Weg zur erfolgreichen Inanspruchnahme dieser Fördermittel mit erheblichen beihilfen- und zuwendungsrechtlichen Herausforderungen verbunden.
Komplexes Zusammenspiel von europäischer und nationaler EbeneBei der Bewilligung von IPCEI-Förderungen für Wasserstoffprojekte treffen zwei Rechtsebenen aufeinander.
Beihilferechtliche Genehmigung durch die EU-KommissionDie staatlichen Zuschüsse der Mitgliedstaaten müssen von der Europäischen Kommission vor ihrer Gewährung beihilferechtlich genehmigt werden. Staatliche Beihilfen sind gemäß Artikel 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) grundsätzlich untersagt, da sie den Wettbewerb im Binnenmarkt verzerren können. Die Förderung von IPCEI stellt jedoch eine wichtige Ausnahme dar, die in Artikel 107 Absatz 3 Buchstabe b AEUV verankert ist. Diese Bestimmung erlaubt es der Europäischen Kommission, Beihilfen für Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse als mit dem Binnenmarkt vereinbar anzusehen. Kriterien für die beihilferechtliche Genehmigung eines IPCEI sind in der Mitteilung der Kommission über wichtige Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse aus dem Jahr 2021 (C(2021)8481) festgeschrieben. Damit ein Vorhaben als IPCEI qualifiziert werden kann, sind strenge Voraussetzungen zu erfüllen. Nach den Vorgaben der Kommission muss ein Projekt:
- von mehreren EU-Mitgliedstaaten getragen oder gemeinsam initiiert werden,
- eine signifikante Eigenfinanzierung durch die beteiligten Unternehmen nachweisen,
- einen wesentlichen technologischen Fortschritt über den aktuellen Stand der Technik hinaus erzielen,
- Spill-over-Effekte für andere Unternehmen und Sektoren erzeugen sowie
- einen Beitrag zu den strategischen Zielen der EU leisten, etwa im Bereich des Green Deal.
Ein zentrales Element der beihilferechtlichen Prüfung ist der Nachweis der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Beihilfe zur Behebung eines Marktversagens. Dies bedeutet, dass das geförderte Projekt ohne die Beihilfe nicht oder nur in einem geringeren Umfang realisiert werden könnte. Die maximal zulässige Beihilfe wird anhand der „Finanzierungslücke“ (sog. Funding Gap) bestimmt. Diese entspricht der Differenz zwischen den positiven und negativen Cashflows über die gesamte Lebensdauer der Investition, abgezinst auf ihren aktuellen Wert. Unternehmen müssen im Rahmen ihres Förderantrags ein kontrafaktisches Szenario darlegen, das beschreibt, was ohne die Beihilfe geschehen würde. Das verlangt von Unternehmen hochgradig detaillierte Annahmen über die zukünftige Entwicklung des Wasserstoffmarkts. Darüber hinaus schreibt die EU-Kommission regelmäßig einen „Claw-back“-Mechanismus vor. Fallen die tatsächlichen Umsätze und Gewinne höher aus als in der Finanzierungslückenanalyse kalkuliert, wird ein Rückforderungsmechanismus aktiviert. Dieser Mechanismus soll eine Überkompensation beim Förderempfänger verhindern und sichert dem beihilfegewährenden Mitgliedstaat eine Erfolgsbeteiligung.
Der nationale FörderbescheidAuf nationaler Ebene erfolgt die Gewährung der Fördermittel durch den Erlass eines Förderbescheids der Bundesregierung. Zuständige Förderbehörde ist das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWE). In die administrative Umsetzung der Förderprojekte hat das BMWE den Projektträger Jülich (Forschungszentrum Jülich GmbH) als Verwaltungshelfer eingeschaltet.
Der Förderbescheid ist weit mehr als nur die Zusage von Fördermitteln. Er ist ein bindender Verwaltungsakt und bildet die Rechtsgrundlage für die Förderung. Unternehmen haben keinen Rechtsanspruch auf eine Förderung. Es handelt sich um eine freiwillige staatliche Leistung. Über Förderanträge entscheidet die Bundesregierung nach pflichtgemäßem Ermessen und im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel. Die Rechte und Pflichten des Zuwendungsempfängers werden erst im Förderbescheid verbindlich festgeschrieben. Besondere Bedeutung haben die sog. Allgemeinen Nebenbestimmungen für Zuwendungen zur Projektförderung (ANBest-P) oder die Allgemeinen Nebenbestimmungen für Zuwendungen zur Projektförderung auf Kostenbasis (ANBest-P-Kosten). Diese werden regelmäßig zum integralen Bestandteil der Förderbescheide erklärt und müssen vom Förderempfänger beachtet werden.
Verstöße gegen die Vorgaben aus den Nebenbestimmungen des Förderbescheids können nach § 49 VwVfG den Widerruf des Förderbescheids und die Rückforderung der ausgezahlten Fördermittel einschließlich Zinsen rechtfertigen. Der Förderbescheid definiert den Zuwendungszweck und legt fest, welche Maßnahmen der Fördermittelempfänger bis wann umzusetzen hat. Jede Abweichung vom genehmigten Projektplan oder den vorgegebenen Rahmenbedingungen kann eine Zweckverfehlung bedeuten und die Rückforderung der Mittel rechtfertigen. IPCEI-Projekte sind aufgrund ihrer Größe und Komplexität mit umfangreichen Berichts- und Nachweispflichten verbunden. Sie dienen der Kontrolle der Mittelverwendung und des Projektfortschritts. Die IPCEI-Förderung wird in der Regel in Form einer Anteilsfinanzierung gewährt und setzt eine angemessene Eigenbeteiligung des Unternehmens an den zuwendungsfähigen Kosten des Vorhabens voraus. Die Entscheidung über die Anerkennung der Höhe der Finanzierungslücke und der förderfähigen Kosten wird von der Europäischen Kommission im Notifizierungsverfahren getroffen.
Zuwendungsrechtliche Fallstricke: Was Unternehmen auf nationaler Ebene beachten müssenUnternehmen, die den aufwendigen Notifizierung- und Antragsmarathon erfolgreich durchlaufen und schließlich einen nationalen Förderbescheid erhalten, können aufatmen – doch nur kurz. Denn mit dem positiven Bescheid beginnt erst die eigentliche Phase der rechtlich komplexen Umsetzung, in der zahlreiche Fallstricke lauern können. Das nationale Zuwendungsrecht entfaltet hier seine volle Wirkung und stellt hohe Anforderungen an die Zuwendungsempfänger.
Große, langfristige Projekte wie IPCEI-Wasserstoffprojekte sind dynamisch. Änderungen in Zeitplan, Kosten, technischem Umfang oder Kooperationspartnern sind nahezu unvermeidlich. Aus den Allgemeinen Nebenbestimmungen folgen in der Regel strenge Anzeigepflichten. Im Einzelfall ist vom Förderempfänger zu prüfen, ob über die Anzeigepflichten hinaus auch eine vorherige schriftliche Zustimmung des Zuwendungsgebers erforderlich ist. Dabei ist auch das komplexe Zusammenspiel mit der europäischen Ebene zu berücksichtigen. Von bindenden Vorgaben der beihilferechtlichen Genehmigung der Europäischen Kommission darf die Bundesregierung nicht abweichen. Im Einzelfall kann also auch eine erneute Beteiligung der Europäischen Kommission erforderlich sein.
Entsprechend den haushaltsrechtlichen Vorgaben stellen die nationalen Förderbescheide die Auszahlung der Fördermittel unter den Vorbehalt der Verfügbarkeit der erforderlichen Haushaltsmittel. Wenn Förderempfänger die für ein IPCEI Vorhaben für ein bestimmtes Haushaltsjahr zur Verfügung gestellten Mittel nicht in diesem Haushaltsjahr verwenden, besteht kein Rechtsanspruch auf eine Verschiebung der Haushaltsmittel in ein folgendes Haushaltsjahr. Eine aktuelle Analyse von Hydrogen Europe vom 25. April 2024 zeigt, dass bislang nur ein vergleichsweise geringer Teil der insgesamt 122 IPCEI Wasserstoffvorhaben – konkret 21 % – eine finale Investitionsentscheidung (Final Investment Decision, FID) erreicht hat. Projektverzögerungen und eine Notwendigkeit der Verschiebung von Haushaltsmitteln werden also künftig eine Reihe von IPCEI-Projekten betreffen. Die Verschiebung der Mittel liegt im Ermessen der Bundesregierung und steht ihrerseits unter dem Vorbehalt der Verfügbarkeit von Haushaltsmitteln.
AusblickUnternehmen sollten geplante IPCEI-Initiativen aufmerksam verfolgen, denn eine Beteiligung kann sowohl strategisch als auch wirtschaftlich vorteilhaft sein. Dabei ist es wichtig, frühzeitig genügend Zeit und Ressourcen für die Antragstellung und Umsetzung einzuplanen. Gegebenenfalls kann es sinnvoll sein, externe Unterstützung hinzuzuziehen, um den komplexen Anforderungen gerecht zu werden. Während der Umsetzung ist besondere Sorgfalt geboten, da Fehler zu Rückforderungen sowohl nach nationalen Vorgaben als auch nach denen des europäischen Beihilferechts führen können.
Wir freuen uns, dass Sie unsere Blogserie „Fördermittel und Subventionen“ begleiten. Weitere Beiträge folgen!
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Kartellrecht & Arbeitsmärkte: No-Poach-Abreden im Visier der Kartellbehörden
In Zeiten des Fachkräftemangels sind kompetente Mitarbeiter* über alle Branchen hinweg dringend gesucht. Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern über Abwerbeverbote gibt es nicht nur bzgl. hoch spezialisierter Fachkräfte im Silicon Valley, sondern auch hier in den EU-Mitgliedstaaten – und diese Vereinbarungen geraten immer mehr ins Visier der europäischen Kartellbehörden.
Kartellrechtliche Relevanz von AbwerbeverbotenAbwerbeverbote, auch „No-Poach-Abreden“ genannt, sind Vereinbarungen zwischen zwei oder mehr Arbeitgebern, in denen diese sich verpflichten, gegenseitig keine Mitarbeiter abzuwerben, sei es durch Verbote der gezielten Ansprache von Arbeitskräften eines anderen Unternehmens mit Jobangeboten („non-solicit“, „do not call“), oder aber auch durch passive Verbote jeglicher Anstellung („no-hire“). Möglich ist dabei sowohl eine einseitige als auch eine gegenseitige Ausgestaltung des Verbots. Unternehmen bezwecken mit solchen Vereinbarungen oftmals den Schutz von unternehmensspezifischem Know-how und die Wahrung von Geschäftsgeheimnissen.
Allerdings stellt der Kampf um die besten Angestellten keine kartellrechtsfreie Zone dar. Aus Sicht der Arbeitgeber – und auch des Kartellrechts – sind Arbeitsmärkte Einkaufsmärkte, auf denen Arbeitgeber unterschiedlichster Branchen um Arbeitnehmer konkurrieren. Werden Fachkräfte in ihrer Freiheit, ihren Arbeitgeber zu wechseln, beschränkt, können sich Unternehmen mit besseren Arbeitsbedingungen oder innovativeren Angeboten nicht durchsetzen. Zudem sinkt bei reduziertem Wettbewerb um Arbeitskräfte für Unternehmen der Anreiz, Gehälter zu erhöhen. Schlechtere Bezahlung und geringere Anreize für Leistung und Weiterbildung sind die Folge. Der Wettbewerb auf Arbeitsmärkten wird so weiter geschwächt.
Sowohl das europäische als auch das deutsche Kartellrecht verbieten gemäß Artikel 101 Absatz 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) bzw. § 1 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die eine Beschränkung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen betreffen Verhaltensweisen, die bereits ihrer Natur nach objektiv den Zielsetzungen des Kartellrechts zuwiderlaufen und daher als besonders schädlich für das Funktionieren des normalen Wettbewerbs angesehen werden können. Im Gegensatz zu bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen müssen die Kartellbehörden bei bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen keine negativen Auswirkungen des in Frage stehenden Verhaltens auf den Wettbewerb nachweisen. Nach ständiger Rechtsprechung der europäischen Gerichte ist bei der Einstufung einer Wettbewerbsbeschränkung als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung jedoch Zurückhaltung geboten.
Europäische Kommission stuft Abwerbeverbote grundsätzlich als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung einAbwerbeverbote geraten seit geraumer Zeit immer mehr ins Visier der Kartellbehörden. Eine Reihe von nationalen und internationalen Kartellbehörden haben in den vergangenen Jahren Leitlinien zur Vermeidung kartellrechtswidriger Verhaltensweisen auf den Arbeitsmärkten erlassen, so z.B. die US-Kartellbehörde , die portugiesische Kartellbehörde, die polnische Kartellbehörde und die britische Kartellbehörde. Auch häufen sich in jüngerer Vergangenheit Entscheidungen europäischer Kartellbehörden gegen Unternehmen im Rahmen von Kartellverfahren wegen kartellrechtswidrigen Abwerbeverboten. Insbesondere die portugiesische und polnische Kartellbehörde nehmen dabei eine Vorreiterrolle in Europa ein, aber auch in Frankreich erging im Jahr 2025 eine entsprechende Entscheidung der Kartellbehörde.
Nun hat auch die Europäische Kommission (Kommission) erstmals eine Entscheidung zu Abwerbeverboten erlassen: Am 2. Juni 2025 hat die Kommission gegen Delivery Hero und Glovo, zwei der größten Lebensmittel-Lieferdienste in Europa, Geldbußen in Höhe von insgesamt EUR 329 Mio. wegen des Austauschs wettbewerblich sensibler Informationen, der Aufteilung der nationalen Märkte für Online-Lebensmittellieferungen im EWR sowie einer No-Poach-Abrede verhängt. Die Kommission stufte die No-Poach-Abrede ausdrücklich als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 AEUV ein.
Nach Hinweisen einer nationalen Wettbewerbsbehörde und dem anonymen Instrument für Hinweisgeber hat die Kommission im Juni 2022 und November 2023 unangekündigte Nachprüfungen (sog. Dawn Raids) in den Räumlichkeiten von Delivery Hero und Glovo unter anderem wegen mutmaßlicher No-Poach-Abreden durchgeführt. Delivery Hero und Glovo sollen zunächst vereinbart haben, von der Einstellung bestimmter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abzusehen, als Delivery Hero eine Minderheitsbeteiligung an Glovo erwarb. Diese Vereinbarung soll anschließend zu einem allgemeinen gegenseitigen Abwerbeverbot erweitert worden sein. Diese No-Poach-Abrede, ebenso wie der von der Kommission sanktionierte Informationsaustausch und die Aufteilung räumlicher Märkte, wurden durch die Minderheitsbeteiligung von Delivery Hero an Glovo erleichtert, da sie einen wettbewerbsschädigenden Einfluss von Delivery Hero auf Glovo sowie einen wettbewerbswidrigen Informationsaustausch zwischen den beiden Wettbewerbern auf mehreren Ebenen ermöglichte.
Bereits vor dem Erlass dieser Entscheidung hat die Kommission mitgeteilt, dass sie Abwerbeverbote grundsätzlich als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen einstuft. In ihrem im Mai 2024 veröffentlichten Policy Brief zum Kartellrecht in Arbeitsmärkten stuft die Kommission Abwerbeverbote als Aufteilung von Märkten bzw. Versorgungsquellen als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen nach Artikel 101 Abs. 1 lit. c) AEUV ein. Dabei führt die europäische Kartellbehörde aus, dass es schwierig sei, ein berechtigtes Ziel solcher Vereinbarungen festzustellen. Als mildere Mittel stünden zudem Wettbewerbsverbote in Individualarbeitsverträgen zulasten von Mitarbeitern regelmäßig zur Verfügung, sofern sie nach den nationalen kartellrechtlichen und arbeitsrechtlichen Vorschriften zulässig sind. Bei der notwendigen Bewertung des rechtlichen und wirtschaftlichen Kontextes von Abwerbeverboten sei außerdem zu berücksichtigen, dass Arbeit ein grundlegender Produktionsfaktor sei und die Fähigkeit, Arbeitskräfte zu gewinnen, einem maßgeblichen Wettbewerbsparameter darstelle. Aus diesem Grund ließen Abwerbeverbote ein erhebliches Maß an Wettbewerbsbeeinträchtigung erkennen. Etwaige wettbewerbsfördernde Auswirkungen, die mit Abwerbeverboten einhergingen, seien nach Auffassung der Kommission hingegen im Allgemeinen nicht so erheblich, dass sie der Einordnung als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung entgegenstünden.
Lediglich unter folgenden, restriktiv anzuwendenden kumulativen Voraussetzungen sollen Abwerbeverbote als notwendige Nebenabrede zu einer wettbewerbsneutralen Hauptvereinbarung kartellrechtlich zulässig sein:
- Wenn Abwerbeverbote mit der nicht den Wettbewerb beschränkenden Hauptvereinbarung unmittelbar verbunden sind,
- wenn die Abwerbeverbote für die Ausführung dieser Hauptvereinbarung objektiv notwendig sind, und
- wenn die Abwerbeverbote verhältnismäßig sind, d.h. wenn es keine weniger wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen gibt, die ausreichen würden, um die Hauptvereinbarung umzusetzen. Als mildere Maßnahmen kommen nach Auffassung der Kommission in Individualarbeitsverträgen mit den jeweiligen Mitarbeitern vereinbarte und mit den nationalen Arbeitsrechtsvorschriften im Einklang stehende Wettbewerbsverbote, Non-Disclosure Agreements und sog. „Gardening Leaves“, d.h. die Freistellung des Arbeitnehmers von seiner Arbeitspflicht im gekündigten Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf seiner Kündigungsfrist unter Weiterbezug seines Gehalts, in Betracht.
Diese hohen Anforderungen werden in den seltensten Fällen erfüllt sein. Darüber hinaus hält es die Kommission für unwahrscheinlich, dass Abwerbeverbote mit wettbewerbsfördernden Aspekten nach der allgemeinen Freistellungsvorschrift des Artikel 101 Abs. 3 AEUV von dem Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen freigestellt sein könnten.
Entscheidung des EuGH zu Abwerbeverboten steht anDer EuGH hat Gelegenheit, sich zeitnah zu der kartellrechtlichen Zulässigkeit von Abwerbeverboten zu positionieren. In dem derzeit anhängigen EuGH-Verfahren Tondela (Rechtssache C-133/24) wurde dem EuGH die Frage vorgelegt, ob ein Abwerbeverbot eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung darstellt. Diesem Fall liegt eine No-Poach-Abrede zugrunde, die die Fußballvereine der ersten und zweiten portugiesischen Profifußballliga während der Corona-Pandemie mit dem nationalen Fußballverband getroffen haben. Diese Abrede untersagte den beteiligten Vereinen, Fußballspieler vertraglich zu verpflichten, die ihre Verträge zuvor einseitig aufgrund von Problemen im Zusammenhang mit der Pandemie gekündigt hatten.
Der EuGH-Generalanwalt Nicholas Emiliou hat sich in seinen Schlussanträgen vom 15. Mai 2025 mit der Frage befasst, ob Abwerbeverbote bezweckte oder bewirkte Wettbewerbsbeschränkungen darstellen. Er ist der Ansicht, dass Abwerbeverbote grundsätzlich als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen einzuordnen seien. Wie auch die Kommission weist Generalanwalt Emiliou darauf hin, dass Abwerbeverbote als eine Aufteilung von Versorgungsquellen im Sinne des Artikel 101 Abs. 1 lit. c) AEUV angesehen werden können, genauer gesagt als eine Aufteilung des Arbeitskräfteangebots. Darüber hinaus betont er, dass Abwerbeverbote zu einer schlechteren Verteilung von Personalressourcen, zu Effizienz- und Innovationsverlusten sowie zu niedrigeren Gehältern für Arbeitnehmer führen. Dies wirke sich sowohl negativ auf die Arbeitsmärkte als Inputmärkte wie auch auf die Outputmärkte, d.h. die betroffenen Märkte, auf denen die beteiligten Unternehmen Produkte und/oder Dienstleistungen anbieten.
Im Tondela-Verfahren weist Generalanwalt Emiliou jedoch daraufhin, dass – wie nach ständiger Rechtsprechung des EuGH üblich – es auf den Inhalt, den rechtlichen und wirtschaftlichen Kontext sowie die Ziele der jeweiligen Vereinbarung ankomme. Generalanwalt Emiliou ist der Ansicht, dass die fragliche Abwerbeverbotsklausel im Tondela-Fall keine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt und somit gerechtfertigt werden kann. In Anwendung der Rechtsprechung in der Rechtssache Meca-Medina argumentiert er, dass das Ziel der fraglichen Abwerbeverbotsvereinbarung – die Gewährleistung eines fairen und ordnungsgemäßen Abschlusses der Fußballsaison 2019/2020 während der COVID-19-Pandemie – nach EU-Recht schutzwürdig war und mangels Vorliegens ebenso wirksamer und weniger einschränkender Maßnahmen auch erforderlich und verhältnismäßig, um dieses Ziel zu erreichen.
Da Schlussanträge als unabhängige Entscheidungsvorschläge der Generalanwälte für den EuGH nicht bindend sind, bleibt abzuwarten, ob der EuGH sich dieser Rechtsauffassung anschließen und, im Einklang mit der Kommission, Abwerbeverbote als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen einordnen wird. Der EuGH hatte bereits im sogenannten FIFA-Fall (Rechtssache C-650/22) auf Artikel 101 Abs. 1 lit. c) AEUV in Bezug auf abgestimmtes Verhalten zur Beschränkung oder Kontrolle der Einstellung hochqualifizierter Arbeitnehmer als mögliche bezweckte Wettbewerbsbeschränkung hingewiesen.
VergütungsabsprachenNicht nur No-Poach-Abreden, sondern auch Vergütungsabsprachen, sogenanntes „Wage Fixing“, sind kartellrechtlich relevant. Dabei handelt es sich um Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern über die Festsetzung des Gehalts und dessen Bestandteile, wie z.B. Boni und Firmenfahrzeugen. Für die Kommission in den Horizontal-Leitlinien (Rn. 279) sind Vergütungsabsprachen ein Beispiel für ein Einkaufskartell. Sie betrachtet sie außerdem als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Artikel 101 Abs. 1 lit. a) AEUV.
Informationsaustausch im PersonalbereichAuch bei dem Austausch von Informationen mit Bezug zum Personalbereich, z.B. über die Inhalte von Beschäftigungsverträgen und Einstellungen von Arbeitnehmern, ist Vorsicht vonnöten: Grundsätzlich kann der Austausch wettbewerbsrelevanter Informationen einen Verstoß gegen das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen nach Artikel 101 Abs. 1 AEUV darstellen, jedenfalls dann, wenn die sich austauschenden Unternehmen im Wettbewerb um dieselben Arbeitnehmer stehen. Dieses Wettbewerbsverhältnis ist häufig nicht deckungsgleich mit der Haupttätigkeit des Unternehmens, mit der Konsequenz, dass Unternehmen aus ganz unterschiedlichen Bereichen im Personalbereich bzw. dem Personalgewinnungsbereich Wettbewerber sind.
Dies gilt es im Übrigen auch im Rahmen von Unternehmenstransaktionen zu berücksichtigen: Auch in der Due Diligence dürfen Wettbewerber keine wettbewerbsrelevanten Informationen offenlegen, jedenfalls nicht ohne geeignete Sicherheitsvorkehrungen (wie z.B. Clean Team Vereinbarungen) zu treffen.
Erhöhter Verfolgungsdruck bedingt erweiterte Compliance AnforderungenUnternehmen müssen sich auf eine verstärkte Verfolgung von Kartellverstößen in den Personalmärkten durch die Kartellbehörden einstellen. Anlässlich des Verfahrens gegen Delivery Hero und Glovo hat Wettbewerbskommissarin Ribera geäußert, dass sie die Gewährleistung fairer Arbeitsmärkte anstrebe, auf denen Arbeitgeber nicht zusammenwirken, um die Anzahl und Qualität der Beschäftigungsmöglichkeiten für Arbeitnehmer zu begrenzen. Das Ziel ist vielmehr der sogenannte „war for talents“ Dies und die jüngere Entscheidungspraxis der europäischen Kartellbehörden macht jedenfalls deutlich, dass Unternehmen – soweit noch nicht geschehen – dringend ihre kartellrechtlichen Compliance-Richtlinien auch auf den Bereich Arbeitsmärkte erweitern. Andernfalls drohen erhebliche kartellrechtliche Bußgeldrisiken.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.
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Rechtsbehelfe bei der Betriebsratswahl – Teil 1: Einstweiliges Verfügungsverfahren
Es ist wichtig, dass Betriebsratswahlen ordnungsgemäß vorbereitet und durchgeführt werden. Schließlich wählen die Mitarbeitenden demokratisch ihre Vertretung für die nächsten vier Jahre. Die Betriebsratswahl wird durch den Wahlvorstand vorbereitet und durchgeführt. Dieser ist auf die Zuarbeit des Arbeitgebers angewiesen. Was passiert, wenn bereits vor Abschluss der Betriebsratswahl Konflikte zwischen dem Wahlvorstand und dem Arbeitgeber auftreten?
Sowohl den Arbeitgeber als auch den Wahlvorstand treffen Pflichten, die es zu beachten gilt, um eine ordnungsgemäße Durchführung der Betriebsratswahl sicherzustellen. Wenn einer der Beteiligten dies nicht tut, kann eine einstweilige Verfügung in Betracht kommen, um die Wirksamkeit der Betriebsratswahl zu gewährleisten.
Gut vorbereitet: Arbeitgeberpflichten bei der BetriebsratswahlDer Arbeitgeber hat vor und während der Betriebsratswahl diverse Pflichten, die mehr oder weniger Potential für eine Auseinandersetzung mit dem Wahlvorstand bergen. Es gibt insgesamt drei Kernpflichten:
1. Zurverfügungstellung von SachmittelnDer Arbeitgeber muss dem Wahlvorstand im erforderlichen Umfang etwa Räumlichkeiten, Informations- und Kommunikationstechnik und Büropersonal zur Verfügung stellen. Streitpunkt ist hierbei häufig: Was ist konkret erforderlich? Regelmäßig hat der Wahlvorstand Anspruch auf einen eigenen Laptop inkl. Kommunikationstechnik wie Kamera und Mikrofon, einen Drucker und einen Telefonanschluss. Ob ein Wahlvorstand auch Anspruch auf ein Smartphone hat, hängt von den Verhältnissen im Betrieb ab. Wenn der überwiegende Teil der Mitarbeitenden ein dienstliches Smartphone erhält, dann hat nach herrschender Meinung auch der Wahlvorstand einen Anspruch auf ein Smartphone. Ob ein eigenes Büro für den Wahlvorstand nötig ist, hängt von den betrieblichen Gegebenheiten ab. Stehen abschließbare Räumlichkeiten zur Verfügung, sollten diese dem Wahlvorstand bereitgestellt werden.
2. SchulungenDaneben trägt der Arbeitgeber auch die Kosten für erforderliche Schulungen. Für den Wahlvorstand sind Schulungen zu den Themen Wahlvorschriften sowie die Einleitung und Durchführung der Betriebsratswahl erforderlich. Das gilt jedenfalls für erstmalige Mitglieder des Wahlvorstandes. Entscheidend ist allein, ob die Kenntnisse des Wahlvorstandes für eine ordnungsgemäße und eigenverantwortliche Durchführung der Wahl ausreichen; ein zusätzlicher besonderer Anlass ist nicht nötig.
3. InformationspflichtenInformationspflichten des Arbeitgebers spielen bei der Vorbereitung der Betriebsratswahl eine zentrale Rolle. Der Arbeitgeber hat die notwendigen Auskünfte und Unterlagen bereitzustellen, damit der Wahlvorstand eine Wählerliste erstellen kann. Die Wählerliste muss dabei sämtliche wahlberechtigte Arbeitnehmer* mit Vor- und Nachnamen, Geburtsdatum und Geschlecht ausweisen. Der Arbeitgeber muss dem Wahlvorstand zudem die Privatadressen der Arbeitnehmer zur Verfügung stellen, um eine Briefwahl zu ermöglichen.
Einstweilige Verfügung des Wahlvorstandes gegen den Arbeitgeber vermeidenZuweilen besteht Streit darüber, ob der Arbeitgeber die vorgenannten Pflichten ordnungsgemäß erfüllt hat. In diesem Fall kann der Wahlvorstand berechtigt sein, eine einstweilige Verfügung beim Arbeitsgericht gegen den Arbeitgeber zu beantragen, um die Erfüllung der Pflichten rechtzeitig vor Durchführung der Wahl zu erzwingen (§ 85 Abs. 2 ArbGG i.V.m. §§ 935, 940 ZPO).
Wir empfehlen, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die Forderung des Wahlvorstandes berechtigt ist oder nicht. Je klarer der Anspruch des Wahlvorstandes ist, desto eher sollte der Arbeitgeber der Forderung nachkommen, um so einen etwaigen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung durch den Wahlvorstand zu vermeiden. Schließlich verursacht dieser Antrag einen organisatorischen und finanziellen Aufwand auf Seiten des Arbeitgebers, der auch die Kosten des durch den Wahlvorstand beauftragten Rechtsanwalts tragen müsste.
Manchen Forderungen des Wahlvorstandes will der Arbeitgeber indes aus strategischen Gründen nicht nachkommen. Das ist beispielsweise der Fall, wenn der Wahlvorstand einen anderen Betriebsbegriff zugrunde legt als der Arbeitgeber. Dann möchte der Wahlvorstand aus Sicht des Arbeitgebers Informationen über Mitarbeitende für die Erstellung der Wählerliste haben, die aus Sicht des Arbeitgebers gar nicht Teil des Betriebes sind. In dieser Situation könnte der Arbeitgeber die angefragten Informationen dem Wahlvorstand mit dem Hinweis übermitteln, dass der Arbeitgeber hierzu eine andere Rechtsauffassung vertritt. Daneben muss der Arbeitgeber zwingend Einspruch gegen die Richtigkeit der Wählerliste einlegen, da ansonsten die Anfechtung der Betriebsratswahl aus diesem Grund gemäß § 19 Abs. 3 BetrVG ausgeschlossen ist.
Bei jedem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung durch den Wahlvorstand sollte der Arbeitgeber prüfen, ob nicht bereits die erforderliche Eilbedürftigkeit – der sogenannte Verfügungsgrund – fehlt. Diskutieren Wahlvorstand und Arbeitgeber beispielsweise bereits seit mehreren Wochen über die Erforderlichkeit eines Smartphones, so widerspräche sich der Wahlvorstand selbst, wenn er mit der Beantragung einer einstweiligen Verfügung auf Zurverfügungstellung des Smartphones mehrere Wochen zuwartet. Ein Eilbedürfnis besteht dann offensichtlich auch für den Wahlvorstand nicht.
Grobe Fehler des WahlvorstandesAber nicht nur dem Arbeitgeber können Fehler im Rahmen der Betriebsratswahl unterlaufen, sondern auch dem Wahlvorstand. Diese können entweder zur Anfechtbarkeit oder zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl führen. Die Anfechtbarkeit liegt vor, wenn ein Verstoß gegen eine wesentliche Vorschrift über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren vorliegt, eine Berichtigung des Wahlfehlers nicht erfolgt ist und durch den Verstoß das Wahlergebnis geändert oder beeinflusst werden konnte.
Eine Nichtigkeit liegt hingegen bei groben und offensichtlichen Verstößen gegen wesentliche Grundsätze des gesetzlichen Wahlrechts vor. Die Fehler müssen so gravierend sein, dass nicht einmal der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl vorliegt. Eine Betriebsratswahl ist beispielsweise nichtig, wenn willkürlich offensichtlich nicht wahlberechtigte Personen Stimmen bei einer Betriebsratswahl abgeben oder sogar für den Betriebsrat kandidieren und gewählt werden. Wenn für einen Betrieb bereits ein Betriebsrat besteht, ist die Wahl eines weiteren Betriebsrats für denselben Betrieb ebenfalls nichtig. Häufig tritt auch die Frage nach der korrekten Bestimmung der betriebsratsfähigen Organisationseinheit auf. Im Zweifel führt eine Verkennung des Betriebsbegriffs allerdings nur zur Anfechtung der Betriebsratswahl.
Einstweilige Verfügung auf Abbruch der BetriebsratswahlBemerkt ein Arbeitgeber bereits bei der Vorbereitung der Betriebsratswahl durch den Wahlvorstand, dass solche eklatanten Fehler, die zur Nichtigkeit führen können, gemacht werden, muss er die Durchführung der fehlerhaften Betriebsratswahl nicht dulden. Schließlich würde das gewählte Betriebsratsgremium gar nicht wirksam gebildet sein und somit auch keine wirksamen Betriebsvereinbarungen abschließen können. Daher könnte der Arbeitgeber beim zuständigen Arbeitsgericht eine einstweilige Verfügung auf Abbruch einer Betriebsratswahl beantragen. Eine solche einstweilige Verfügung hat sehr hohe Hürden: Die Mängel des Wahlverfahrens dürfen nicht korrigierbar und müssen derart schwerwiegend sein, dass sie mit Sicherheit zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl führen. Dies gilt insbesondere, da die einstweilige Verfügung nicht nur temporär wirkt, sondern die Betriebsratswahl damit final abgebrochen wird.
Sollte der einstweiligen Verfügung stattgegeben werden, darf die Betriebsratswahl durch den Wahlvorstand nicht weitergeführt werden. Sofern die Fehler korrigiert werden können, kann der Wahlvorstand jedoch anschließend eine neue, ordnungsgemäße Betriebsratswahl durchführen. Dadurch kann der Arbeitgeber aber sicherstellen, dass der gebildete Betriebsrat wirksam im Amt ist und daher insbesondere wirksame Betriebsvereinbarungen mit ihm abgeschlossen werden können. Schlussendlich dient der Abbruch der Betriebsratswahl in Fällen von gravierenden Fehlern der Rechtssicherheit der betriebsverfassungsrechtlichen Repräsentation der Belegschaft.
Einstweilige Verfügung bei Fehlern im Rahmen von Betriebsratswahlen stets bedenkenEinstweilige Verfügungen spielen in der Praxis eine wichtige Rolle, um Fehler bei Betriebsratswahlen rechtzeitig zu korrigieren oder gravierende Verstöße zu verhindern. Arbeitgeber sollten berechtigte Ansprüche des Wahlvorstands zügig erfüllen, zweifelhafte Forderungen aber genau prüfen und diesen gegebenenfalls unter Vorbehalt nachkommen. So lassen sich unnötige Verfahren vermeiden und die Wahl kann rechtssicher durchgeführt werden.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.
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Klimaschutzverträge werden zu CO2-Differenzverträgen
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWE) hat am 6. Oktober 2025 die „Durchführung des vorbereitenden Verfahrens für das Gebotsverfahren 2026“ (kurz: Vorverfahren 2026) im Rahmen des Förderprogramms Klimaschutzverträge im Bundesanzeiger bekanntgemacht.
Das Vorverfahren 2026 dient der Vorbereitung für das Mitte kommenden Jahres geplante Gebotsverfahren 2026, das als wettbewerbliches Verfahren für die Vergabe der Förderung ausgestaltet sein wird. Bereits im vergangenen Herbst hat ein vorbereitendes Verfahren für das damals sogenannte zweite Gebotsverfahren stattgefunden (zweites Vorverfahren). Durch das Vorverfahren 2026 soll zusätzlichen Vorhaben die Teilnahme an der Auktion ermöglicht werden. Dies ist aus Sicht des BMWE sinnvoll, da im Vergleich zum ersten Gebotsverfahren, auf dessen Grundlage das zweite Vorverfahren durchgeführt wurde, verschiedene Anpassungen des Förderinstruments vorgenommen wurden. Unternehmen, die bereits am zweiten Vorverfahren teilgenommen haben, erhalten die Möglichkeit, die Teilnahme am Vorverfahren 2026 mit ihren bereits eingereichten Vorhabenskizzen zu bestätigen oder ihre Vorhaben an den aktualisierten Entwurf der Vorgaben in der Förderrichtlinie Klimaschutzverträge (FRL KSV) anzupassen.
Das erste Gebotsverfahren des Förderprogramms fand als Pilotrunde im Jahr 2024 statt. In diesem Zuge hat die Bundesregierung mit den 15 erfolgreich teilnehmenden Unternehmen Klimaschutzverträge mit einem Gesamtvolumen in Höhe von bis zu EUR 2,8 Mrd. geschlossen.
Worum geht es bei den CO2-Differenzverträgen?CO2-Differenzverträge funktionieren ähnlich wie Hedging-Instrumente in der Finanzwirtschaft und sichern Unternehmen, die in klimaneutrale Produktionsverfahren investieren, gegen Preisrisiken ab, z.B. in Bezug auf Energieträger- und CO2-Preise. Nähere Informationen zur Funktionsweise finden Sie in unserem Beitrag: Klimaschutzverträge – Förderinstrument mit Vorbildfunktion.
Eine der wichtigsten Neuerungen im Vergleich zum ersten Gebotsverfahren ist die geplante Förderfähigkeit von Technologien zur Abscheidung und Speicherung bzw. Nutzung von CO2 (CCS/CCU). Während die rechtlichen Bedingungen für den Einsatz von CCS/CCU im ersten Gebotsverfahren noch nicht gegeben waren, sollen die Rahmenbedingungen insbesondere für den Transport und die Speicherung von CO2 durch die geplante Änderung des Kohlendioxid-Speicherungsgesetztes (KSpG) in ein Kohlendioxid-Speicherungs- und Transportgesetz (KSpTG) jetzt geschaffen werden.
Diese und weitere Änderungen am Förderprogramm, wie z.B. die Herabsenkung der Mindestgröße eines Vorhabens von 10 auf 5 kt an jährlichen THG-Emissionen des zugrundeliegenden Referenzsystems sollen dafür sorgen, dass die CO2-Differenzverträge einem noch größeren Bieterfeld zur Verfügung stehen, um möglichst viele Akteure der emissionsintensiven Industriebetriebe zur Teilnahme zu ermuntern.
Förderprogramm für CO₂-Differenzverträge: Bundeswirtschaftsministerium überprüft Architektur des Förderprogramms mittels Vorverfahren 2026 und KonsultationBundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche hat angekündigt, dass sich die neue Bundesregierung die Architektur des Förderprogramms ansehen und überprüfen werde. Hierzu soll das neue Vorverfahren 2026 dienen. Die teilnehmenden Unternehmen können Feedback zur geplanten Ausgestaltung des Instruments geben. Hierfür findet mit dem Vorverfahren 2026 zugleich ein Konsultationsprozess statt, durch den sichergestellt werden soll, dass die Regelungen des Förderprogramms passgenau auf den Bedarf der energieintensiven Industrie zugeschnitten sind. Durch diesen Prozess will das BMWE sicherstellen, dass das Förderprogramm unbürokratisch, technologieoffen und effizient ausgestaltet wird.
Vor dem Start des Gebotsverfahrens 2026, in dem die Unternehmen einen Antrag auf Förderung und auf Abschluss eines CO2-Differenzvertrages stellen können, muss dieses das Notifizierungsverfahren der EU-Kommission durchlaufen. Sobald das Notifizierungsverfahren abgeschlossen ist, kann das Gebotsverfahren voraussichtlich Mitte 2026 eingeleitet werden.
Nach Ablauf der Einreichungsfrist des Gebotsverfahrens 2026 für die Förderanträge werden die eingereichten Vorhaben auf ihre Förderfähigkeit überprüft. Die Vorhaben, die sich anhand der festgelegten Förderkriterien im wettbewerblichen Verfahren durchsetzen, erhalten daraufhin den Zuschlag und die Gelegenheit zum Abschluss eines CO2-Differenzvertrages.
Die Klimaschutzverträge der ersten Gebotsrunde stellen bereits einen bedeutenden Meilenstein für die Förderung von Technologien zur Dekarbonisierung in der Industrie dar. Neben der energie- und emissionsintensiven Industrie in Deutschland haben sie auch im Ausland Beachtung gefunden. Unter anderem in Frankreich, Belgien, Spanien und Japan sind Förderprogramme für die Dekarbonisierung auf Basis bzw. mit Elementen von Differenzverträgen in Planung oder sogar bereits in der Umsetzung.
Wir informieren Sie in unserer Blog-Serie zur Dekarbonisierung der Industrie fortlaufend mit aktuellen Beiträgen zu diesem Thema. Sie können diese Blog-Serie über den RSS-Feed abonnieren und werden von uns über neue Beiträge informiert.
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OLG Frankfurt a. M.: Zum Deckungsprozess gegen die D&O-Versicherung nach Abtretung der Freistellungsansprüche
Das Urteil des OLG Frankfurt a. M. vom 8. Mai 2025, Az. 3 U 113/22 reiht sich in die aktuelle Rechtsprechung ein, die zunehmend verdeutlicht, dass die organschaftliche Stellung der Geschäftsleiter* einer juristischen Person weitreichende Pflichten mit sich bringt, deren Verletzung nicht nur erhebliche persönliche Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken nach sich zieht, sondern auch den Verlust des Versicherungsschutzes zur Folge haben kann.
Persönliche Haftung der Geschäftsleiter und D&O-VersicherungZentraler Maßstab für die zivilrechtliche (Innen-)Haftung des Vorstandes gegenüber der Gesellschaft ist § 93 Abs. 2 AktG (parallel hierzu regelt § 43 Abs. 2 GmbHG die entsprechende Haftung des GmbH-Geschäftsführers), der die Sorgfaltspflichten und Verantwortlichkeiten der Organmitglieder im Rahmen ihrer Geschäftsführung konkretisiert. § 93 Abs. 2 S. 2 AktG verschärft vor dem Hintergrund der besonderen Sachnähe des Vorstandes und der Vermeidung eines Beweisnotstandes aufseiten der Gesellschaft die Vorstandshaftung und normiert eine Beweislastumkehr zugunsten der Gesellschaft. Der Vorstand muss darlegen und beweisen, dass er seinen Sorgfaltspflichten nachgekommen ist, ihn kein Verschulden trifft oder der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten entstanden wäre. In der wirtschaftlichen Krise der Gesellschaft (ab Einritt der Insolvenzreife) treten zudem spezielle insolvenzrechtliche Pflichten für die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen nach § 15a InsO (Pflicht zur rechtzeitigen Insolvenzantragstellung) und § 15b InsO (Haftung für verbotswidrige Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife) hinzu.
Im Rahmen dieser Haftungsrisiken kommt die Directors-and-Officers-Versicherung (D&O) zum Einsatz: Sie bietet Organmitgliedern Schutz vor den wirtschaftlichen Folgen von Pflichtverletzungen im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit und ist damit nicht nur ein wichtiger Bestandteil moderner Unternehmensabsicherung, sondern eröffnet auch Raum für verantwortungsvolles Handeln. Regelmäßig wird der Versicherungsschutz jedoch in den D&O-Versicherungsbedingungen ausgeschlossen, wenn das versicherte Organ seine Pflichten wissentlich verletzt. Für das Vorliegen einer wissentlichen Pflichtverletzung ist die Versicherung darlegungs- und beweisbelastet. Soweit es sich hingegen um die Verletzung einer sog. Kardinalpflicht handelt, wird zugunsten der Versicherung vermutet, dass die Pflichtverletzung wissentlich war.
Es ist allgemein anerkannt, dass das wegen pflichtwidrigen Handelns in Anspruch genommene Organmitglied seinen Freistellungsanspruch gegen die Vermögensschadenhaftpflichtversicherung (in der Regel an die Gesellschaft bzw. deren Insolvenzverwalter) abtreten kann (vgl. § 108 VVG). Der Freistellungsanspruch wandelt sich hierdurch in einen unmittelbaren Zahlungsanspruch des Zessionars gegen den Versicherer um, sodass dieser nicht zunächst einen Haftungsrechtsstreit gegen das Organmitglied führen muss, sondern den Haftungs- und Deckungsanspruch in einem einzigen Direktprozess gegen die D&O-Versicherung klären lassen kann.
Der Fall vor dem OLG Frankfurt a.M. (Az. 3 U 113/22)In dem zugrunde liegenden Fall hatte der Insolvenzverwalter der X AG zwei ehemalige Vorstandsmitglieder wegen Zahlungen, die nach Insolvenzreife getätigt wurden, in Anspruch genommen. Die entsprechenden Schadensersatzklagen des Insolvenzverwalters endeten jeweils mit Vergleichsvereinbarungen, in denen sich die ehemaligen Vorstandsmitglieder gegenüber dem Insolvenzverwalter zu Teilzahlungen bereit erklärten und ihre Ansprüche aus der bestehenden D&O-Versicherung an ihn abtraten.
Das LG Frankfurt a. M. hatte die Klage des Insolvenzverwalters gegen die D&O-Versicherung am 25. März 2022 abgewiesen. Mit seinem Urteil vom 21. Juni 2023 (Az. 3 U 113/22) hatte das OLG Frankfurt a. M. die Berufung wegen der Annahme einer automatischen Beendigung des Versicherungsschutzes zurückgewiesen. Nach Aufhebung und Zurückverweisung durch den BGH (Beschluss v. 18. Dezember 2024 – Az. IV ZR 151/23) ließ der 3. Zivilsenat am 8. Mai 2025 die Klage des Insolvenzverwalters schließlich erneut scheitern, nunmehr mangels Vorliegens von abtretbaren Deckungsansprüchen der Vorstandsmitglieder aufgrund ihrer wissentlichen Pflichtverletzungen.
Zentrale Aussagen des Urteils im ÜberblickDas OLG Frankfurt a. M. hat in seinem Urteil zu einer Reihe interessanter Rechtsfragen im Deckungsprozess des Insolvenzverwalters als Direktprozess gegen die D&O-Versicherung Stellung genommen.
Vergleichsvereinbarungen entfalten keine BindungswirkungDer Senat stellt zunächst klar, dass eine im Haftungsprozess geschlossene Vergleichsvereinbarung keine Bindungswirkung für den Deckungsprozess entfaltet. Der Insolvenzverwalter habe im Einzelnen die für den Deckungsprozess entscheidenden Voraussetzungen (erneut) vorzutragen (so bereits OLG Köln, Urteil v. 9. Dezember 2003 – Az. 9 U 215/02). Eine den Haftungstatbestand betreffende Bindungswirkung des Haftpflichturteils für den nachfolgenden Deckungsrechtsstreit sei zu verneinen, da im Haftpflichtprozess gerade kein Urteil – mit bindenden Feststellungen – erfolgt sei, sondern ausschließlich Vergleiche (ohne Anerkennung einer Rechtspflicht) geschlossen wurden.
Geltung der Beweislastumkehr auch im DirektprozessDie unstreitig im Haftpflichtprozess greifende gesetzliche Verschuldensvermutung aus § 93 Abs. 2 S. 2 AktG gilt dem OLG Frankfurt a.M. zufolge auch im Deckungsprozess als Direktprozess gegen die Versicherung mit der Folge, dass für das fehlende Verschulden der Vorstandsmitglieder die Haftpflichtversicherung darlegungs- und beweisbelastet sei. Der Senat folgt damit der Rechtsansicht des OLG Köln (Az. 9 U 206/22), das über diese – in der Literatur höchst umstrittene – Rechtsfrage bereits entschieden hatte. Für eine teleologische Reduktion der Verschuldensvermutung im Direktprozess gegen die Versicherung – wie sie teilweise mangels Informationsungleichgewicht angenommen wird – fehle es bereits an einer planwidrigen Überregulierung, da § 93 Abs. 2 S. 2 AktG auch im Deckungsprozess direkt zur Anwendung komme. Die Sachnähe der Vorstände, die der Verschuldensvermutung nach § 93 Abs. 2 S. 2 AktG zugrunde liegt, finde zudem ihre Entsprechung in dem Informationsrecht des Versicherers gegenüber den versicherten Personen (§ 31 Abs. 2 VVG), welche auch als Zeugen benannt werden können. Zudem sei die Versicherung im Direktprozess insgesamt nicht schlechter gestellt als in dem Fall, dass zunächst der Insolvenzverwalter den Haftpflichtprozess durchführt und im Anschluss das Vorstandsmitglied die Versicherung im Deckungsprozess in Anspruch nimmt. Die Versicherung wäre bei getrennter Führung der beiden Prozesse an das Ergebnis des Haftpflichtprozesses gebunden, ohne dass sie an dem Rechtsstreit beteiligt war. Demgegenüber könne sie im Direktprozess bereits auf die Haftungsfrage an sich Einfluss nehmen. Dem OLG Frankfurt a. M. zufolge führe eine teleologische Reduktion des § 93 Abs. 2 S. 2 AktG gerade im Zusammenhang mit dem Haftungsausschluss wegen wissentlicher Pflichtverletzung zu einer unangemessenen Verschiebung des versicherten Risikos zugunsten der Versicherung, die sich nach substantiiertem Vorbringen des Insolvenzverwalters zum Verschulden anschließend deutlich leichter auf einen Wissentlichkeitsausschluss berufen könne.
Zur Einordnung der Insolvenzantragspflicht/Zahlungsverbot nach Insolvenzreife als KardinalpflichtDer für einen Versicherungsausschluss relevante Vortrag schlüssiger Indizien für eine positive Kenntnis der Organe von den verletzten Pflichten als auch für ihr Wissen, wie sie sich pflichtgemäß hätten verhalten müssen, ist seitens der D&O-Versicherung dann entbehrlich, wenn es um die Verletzung elementarer beruflicher Kardinalpflichten geht, deren Kenntnis nach der Lebenserfahrung bei jedem Berufsangehörigen vorausgesetzt werden kann. Jedenfalls in diesen evidenten Fällen solle vom äußeren Geschehensablauf und dem Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge (wissentliches Fehlverhalten) geschlossen werden können (BGH, Urteil v. 17. Dezember 2014 – Az. IV ZR 90/13).
Das OLG Frankfurt a. M. positioniert sich ähnlich wie zuvor das OLG Köln sowie der 7. Zivilsenat des OLG Frankfurt a. M. und stellt fest, dass die Pflicht aus § 15a InsO, bei Insolvenzreife rechtzeitig Insolvenzantrag zu stellen sowie das damit im engen Zusammenhang stehende Zahlungsverbot nach Insolvenzreife aus § 92 Abs. 2 AktG a.F. (vgl. § 15b InsO n.F.), derartige Kardinalpflichten darstellen. Die Bedeutung und Wichtigkeit der Insolvenzantragspflicht gem. § 15a Abs. 1 S. 1 InsO – als wesentliche gläubigerschützende Vorschrift der Insolvenzordnung – sei für jeden Vorstand allein aufgrund der strafrechtlichen Haftung gem. § 15a Abs. 4 InsO evident. Zu den Kardinalpflichten des Vorstands gehöre daher die Vergewisserung über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft sowie die damit einhergehende Prüfung der Insolvenzreife. Offengelassen hat der 3. Zivilsenat des OLG Frankfurt a. M. jedoch, ob in „allen Fällen der jeweils schon bei leichter Fahrlässigkeit gegebenen Verletzung“ der Pflichten eine Kardinalpflichtverletzung angenommen werden kann, die zu einer Verschiebung der Beweislast zu Gunsten der D&O-Versicherung führt. Im vorliegenden Fall kam es aufgrund des Vorliegens ausreichender objektiver Umstände (für die bewusste Verletzung insolvenzrechtlicher Pflichten) auf die Annahme von Kardinalpflichtverletzungen nicht an.
Fazit und PraxishinweisEs ist insgesamt begrüßenswert, dass die aktuelle Rechtsprechung zu bislang ungeklärten Rechtsfragen im Deckungsprozess als Direktprozess verstärkt Stellung nimmt. Das OLG Frankfurt a. M. folgt in seinem Urteil der bisherigen Rechtsprechung zur Geltung der Beweislastumkehr und stärkt zunächst die Rolle des Insolvenzverwalters im Direktprozess gegen die D&O-Versicherung. Jedoch erinnert das Urteil auch an die in den Versicherungsbedingungen regelmäßig festgelegte Gefährdung des Versicherungsschutzes aufgrund wissentlicher Pflichtverletzung des Organmitglieds. Ein Insolvenzverwalter befindet sich somit in einem nicht zu unterschätzenden Spagat zwischen Anspruchsdurchsetzung und Absicherung, da eine allzu scharfe Darstellung von Pflichtverletzungen der Geschäftsleiter den Versicherungsschutz gefährden kann.
Zweifellos sollten Geschäftsleiter frühzeitig größte Sorgfalt darauf legen, ihrer Verantwortung – insbesondere durch Erfüllung ihrer insolvenzrechtlichen Pflichten – gerecht zu werden. Eine regelmäßige Prüfung und Überwachung der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens sowie eine ordnungsgemäße Dokumentation dieser Prüfung und darauf beruhenden Entscheidungen ist nicht nur aus insolvenzrechtlichen Haftungsgründen, sondern auch aus versicherungsrechtlichen Gründen zwingend geboten.
Einem Vorstand, der, […] blind in die Krise segelt, wird man deckungsrechtlich die Verletzung von Kardinalpflichten vorwerfen.
Das Urteil bestätigt, dass Geschäftsführungsorganen (insolvenzrechtliche) Kardinalpflichten obliegen und ein Verstoß dieser zugleich als eine den D&O-Versicherungsschutz entfallende wissentliche Pflichtverletzung gewertet werden kann. Hierbei dürfte es sich zwar um keinen Automatismus handeln. Unter welchen konkreten Voraussetzungen eine Kardinalpflichtverletzung eine wissentliche Pflichtverletzung im Sinne der Versicherungsbedingungen darstellt, ist aber weiterhin unklar. Insofern bleibt die Stellungnahme des BGH (Az. IV ZR 66/25) zum Urteil des OLG Frankfurt a. M. v. 5. März 2025 (Az. 7 U 134/23) abzuwarten.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.
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EU-Entgelttransparenzrichtlinie: Umfassende Berichtspflichten für Unternehmen
Die europäische Entgelttransparenzrichtlinie (RL (EU) 2023/970 – EntgTranspRL) soll die praktische Durchsetzung der Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern fördern. Als Instrumente sieht die Richtlinie unter anderem einen (erweiterten) Auskunftsanspruch für Beschäftigte und Transparenzpflichten bereits im Bewerbungsverfahren vor. Ein weiterer Grundpfeiler der Richtlinie ist eine umfassende Berichtspflicht für Arbeitgeber*, die in jeglicher Hinsicht weit über die bisherigen Pflichten nach §§ 21 f. EntgTranspG hinausgeht.
Erforderlich sind umfangreiche statistische Angaben über die prozentuale Entgeltdifferenz zwischen Frauen und Männern im Unternehmen – und dies bereits bezogen auf das Jahr 2026. Zudem haben Arbeitgeber bei Überschreitung einer Entgeltdifferenz von 5 Prozent in mindestens einer Arbeitnehmergruppe weitergehende Maßnahmen zur Korrektur der Differenz zu unternehmen.
Alle Arbeitgeber mit 100 oder mehr Arbeitnehmern sind berichtspflichtigBereits der Adressatenkreis der neuen Berichtspflichten ist deutlich weiter gefasst als nach der derzeitigen Rechtslage. Derzeit erfasst die Pflicht zur Berichterstattung nur Arbeitgeber mit in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmern, die zur Erstellung eines Lageberichts nach den §§ 264 und 289 HGB verpflichtet sind. Dies betrifft im Wesentlichen große und mittelgroße Kapitalgesellschaften (AG, GmbH, SE etc.). Nach der EntgTranspRL müssen hingegen alle Arbeitgeber mit 100 und oder mehr Arbeitnehmern – unabhängig von der Lageberichtspflicht – einen Entgelttransparenzbericht erstellen.
Arbeitgeber mit 150 oder mehr Arbeitnehmern müssen bereits über das Jahr 2026 berichtenHinsichtlich der erstmaligen Berichtspflicht und des darauffolgenden Berichtsturnus enthält die EntgTranspRL eine abgestufte Regelung. Maßgeblich ist auch hier die Anzahl der Arbeitnehmer:
- Arbeitgeber mit 250 oder mehr Arbeitnehmern haben erstmals zum 7. Juni 2027 und in jedem darauffolgenden Jahr einen Entgeltbericht zu erstellen.
- Arbeitgeber mit 150 bis 249 Arbeitnehmern haben ebenfalls erstmals zum 7. Juni 2027 und danach alle drei Jahre einen Entgeltbericht zu erstellen.
- Arbeitgeber mit 100 bis 149 Arbeitnehmern haben etwas mehr Zeit. Sie haben bis zum 7. Juni 2031 und danach alle drei Jahre einen Entgeltbericht zu erstellen.
Der Bezugspunkt des Entgelttransparenzberichts ist dabei jeweils das vorangehende Kalenderjahr. Dies gilt auch für den ersten Entgelttransparenzbericht. Arbeitgeber ab 150 Arbeitnehmern sind also verpflichtet, in ihrem ersten Bericht über die Entgeltverhältnisse im Jahr 2026 zu berichten.
Praxishinweis: Jedenfalls Arbeitgebern mit 150 oder mehr Arbeitnehmern ist zu raten, ihre Entgeltstrukturen im Lichte der neuen Vorgaben zu prüfen und etwaige Unstimmigkeiten (aller-)spätestens im Jahr 2026 auszuräumen.Andernfalls werden bestehende Unstimmigkeiten nicht nur öffentlich. Wird in nur einer Arbeitnehmergruppe eine (ungerechtfertigte) Entgeltlücke von mindestens 5 Prozent festgestellt, muss zudem eine aufwändige Entgeltbewertung mit der Arbeitnehmervertretung durchgeführt werden.
Erforderlich sind umfangreiche Angaben zum Entgeltgefälle (= Gender Pay Gap)Der Entgeltbericht muss derzeit in statistischer Hinsicht lediglich die durchschnittliche Gesamtzahl der Beschäftigten sowie die durchschnittliche Zahl der Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten enthalten. Die Vorgaben der EntgTranspRL gehen darüber weit hinaus. Es sind insbesondere Angaben zum Entgeltgefälle zwischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Allgemeinen und in den einzelnen Arbeitnehmergruppen erforderlich. Unter Entgeltgefälle ist die prozentuale Differenz zwischen den Entgelthöhen von Frauen und Männern (auch Gender Pay Gap genannt) zu verstehen. Die Arbeitnehmergruppen setzen sich aus den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zusammen, die eine gleiche oder gleichwertige Arbeit ausüben.
Konkret sieht die Richtlinie folgende Pflichtangaben vor:
Zum Durchschnittsentgelt:
- das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle;
- das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle bei ergänzenden oder variablen Bestandteilen;
- das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle innerhalb der Arbeitnehmergruppen (aufgeschlüsselt nach dem Grundgehalt sowie ergänzenden oder variablen Bestandteilen).
Zum Entgeltmedian:
- das mittlere geschlechtsspezifische Entgeltgefälle;
- das mittlere geschlechtsspezifische Entgeltgefälle bei ergänzenden oder variablen Bestandteilen.
Weitere Angaben:
- der Anteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ergänzende oder variable Bestandteile erhalten;
- der Anteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in jedem Entgeltquartil.
Entsprechend der Richtlinie soll diese Berichterstattung Arbeitgebern ermöglichen, ihre Entgeltstrukturen und -politik zu bewerten und zu überwachen und damit den Grundsatz des gleichen Entgelts proaktiv einzuhalten. Gleichzeitig sollen die nach dem Geschlecht aufgeschlüsselten Daten die zuständigen Behörden, Arbeitnehmervertreter und andere Interessenträger dabei unterstützen, das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle in allen Sektoren und Funktionen zu vergleichen und zu überwachen.
Veröffentlichung des EntgelttransparenzberichtsArbeitgeber sind verpflichtet, den Entgelttransparenzbericht ihren Arbeitnehmern und deren Vertretern zur Verfügung zu stellen. Die Berichtsdaten sind zudem der staatlichen „Überwachungsstelle“ mitzuteilen, die jeder Mitgliedstaat zur Unterstützung der Umsetzung der Richtlinienvorgaben benennen muss. Die Überwachungsstelle wiederum hat die Entgelttransparenzberichte zu sammeln und die Daten auf einer leicht zugänglichen Website zu veröffentlichen.
Praxishinweis: Die Richtlinie erlaubt es den Mitgliedstaaten, die Berichterstattung gegenüber den Arbeitnehmern aus Datenschutzgründen einzuschränken. Es ist daher denkbar, dass der deutsche Gesetzgeber eine Regelung vorsieht, wonach nur den Arbeitnehmervertretern und der Überwachungsstelle solche Daten mitzuteilen sind, die jedenfalls zur mittelbaren Offenlegung des Entgelts eines bestimmbaren Arbeitnehmers führen würden.
Neu: Gemeinsame Entgeltbewertung bei Entgeltgefälle(n) von mindestens 5 ProzentAnknüpfend an das Entgeltgefälle beim Durchschnittsentgelt sieht die Richtlinie zudem ein völlig neues Instrument zur Förderung der Entgeltgleichheit vor: die gemeinsame Entgeltbewertung mit der Arbeitnehmervertretung (sog. Joint Pay Assessment). Durchzuführen ist eine solche gemeinsame Bewertung, wenn die folgenden drei Voraussetzungen vorliegen:
- Der Bericht weist ein Gefälle der durchschnittlichen Entgelthöhe von mindestens 5 Prozent innerhalb einer Arbeitnehmergruppe aus,
- der Arbeitgeber kann das Gefälle nicht mittels objektiver geschlechtsneutraler Faktoren (z.B. objektive Leistungsunterschiede oder Arbeitsmarktbedingungen) rechtfertigen und
- das Gefälle wird nicht innerhalb von sechs Monaten nach der Berichterstattung korrigiert.
Im Zuge der gemeinsamen Entgeltbewertung sind die Ursachen der Entgeltdifferenz in einem aufwändigen Prozess zu analysieren sowie konkrete Maßnahmen zur Beseitigung (rechtswidriger) Entgeltunterschiede zu erarbeiten. Sodann ist die Entgeltbewertung der Belegschaft sowie der staatlichen Überwachungsstelle zur Verfügung zu stellen.
Praxishinweis: Zur effizienten Umsetzung der neuen Vorgaben ist der Einsatz eines digitalen Tools zu empfehlen. Eine speziell hierfür entwickelte Lösung ist CMS Pay Gap Compliance. Mit diesem Analysetool können wir Unternehmen nicht nur dabei unterstützen, die statistischen Entgeltdifferenzen richtlinienkonform aufzubereiten und den Anpassungsbedarf zu ermitteln, der nach Prüfung sämtlicher Rechtfertigungsgründe gegebenenfalls noch verbleibt. CMS Pay Gap Compliance verbindet zudem Compliance mit Individualität: Denn mithilfe des Tools können bei der Anpassung von Unstimmigkeiten die bestehenden Wertungsspielräume auf Unternehmensseite optimal ausgeschöpft und damit Korrekturen auf ein Minimum begrenzt werden.
Die neuen Vorgaben erfordern ein zeitnahes und effizientes HandelnDie EntgTranspRL verschärft die Berichtspflichten für Unternehmen deutlich und knüpft mit der gemeinsamen Entgeltbewertung weitgehende Folgen an ein ungerechtfertigtes Entgeltgefälle von mindestens 5 Prozent. Arbeitgeber sollten rechtzeitig ihre Entgeltstrukturen überprüfen, um Handlungsbedarf aufzudecken und (gegebenenfalls) notwendige Anpassungen vorzunehmen. Insoweit ist ein zügiges Vorgehen geboten, da es sich bei der Prüfung und gegebenenfalls Anpassung der Entgeltstrukturen um einen aufwändigen Prozess handelt. Jedenfalls Arbeitgeber mit 150 oder mehr Arbeitnehmern sollten diesen Compliance-Vorgang spätestens im Jahr 2026 abschließen, da sie in ihrem ersten Entgelttransparenzbericht über die Entgeltverhältnisse im Jahr 2026 berichten müssen.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.
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Die Cyber-Versicherung: Der Versicherungsfall
Cyberrisiken stellen heute das bedeutsamste Geschäftsrisiko für Unternehmen weltweit dar. So ist es nicht verwunderlich, dass Unternehmen in den letzten Jahren Milliarden in Cybersicherheit investiert und unter Konzernlenkern auch das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer Cyber-Versicherung stetig wächst.
Cybervorfälle können sich auf vielfältige Weise manifestieren: Als Datenklau mittels Phishing-E-Mail, als Verstoß gegen Datenschutzvorschriften oder als Betriebsausfall aufgrund eines Hackerangriffs. Ob für einen solchen Cybervorfall Versicherungsschutz besteht, ist davon abhängig, ob es sich dabei auch um einen Versicherungsfall im Sinne der jeweiligen Cyber-Versicherung handelt.
Im Hinblick auf die vom Versicherungsschutz erfassten Risiken variieren die aktuell am Markt verfügbaren Cyber-Versicherungen stark. Viele Anbieter orientieren sich jedoch mittlerweile an den Musterbedingungen des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) zur Cyber-Versicherung (AVB Cyber). Danach greift der Versicherungsschutz der Cyber-Versicherung nur dann, wenn
- eine Informationssicherheitsverletzung vorliegt und
- diese Informationssicherheitsverletzung durch ein bestimmtes – in den Versicherungsbedingungen aufgelistetes – Cyberereignis ausgelöst wurde.
Die erste und zentrale Voraussetzung für den Eintritt eines Versicherungsfalls ist das Vorliegen einer sog. Informationssicherheitsverletzung. Von der Auslegung dieser Begrifflichkeit hängt die Anwendbarkeit und die Reichweite des Versicherungsschutzes unter einer Cyber-Versicherung ab.
In Ziff. A1-2.1 der AVB Cyber wird die Informationssicherheitsverletzung definiert als:
Beeinträchtigung der Verfügbarkeit, Integrität und Vertraulichkeit von elektronischen Daten des Versicherungsnehmers oder informationsverarbeitender Systeme, die zur Ausübung der betrieblichen oder beruflichen Tätigkeit genutzt werden.
Dieser – sehr sperrigen – Definition kann man sich nur nähern, indem man sie in ihre einzelnen Bestandteile bzw. Voraussetzungen „zerlegt“, nämlich
- dem Vorliegen eines tauglichen Schutzobjekts, also elektronischen Daten oder eines informationsverarbeitenden Systems (1.),
- der Nutzung des Schutzobjekts zur Ausübung der betrieblichen oder beruflichen Tätigkeit (2.) und
- der Beeinträchtigung des Schutzobjekts im Hinblick auf dessen Verfügbarkeit, Integrität oder Vertraulichkeit (3.).
Als taugliche Schutzobjekte einer Informationssicherheitsverletzung kommen elektronische Daten und informationsverarbeitende Systeme in Betracht.
Unter „elektronischen Daten“ versteht man codierte Informationen, die nicht unmittelbar mit dem Auge, sondern nur mittelbar mithilfe eines entsprechenden Auslesegeräts ausgelesen werden können (z.B. indem ein Datenträger in einen Computer eingeführt wird). Dabei ist es unerheblich, auf welche Art und Weise die Daten gespeichert werden. Elektronische Daten liegen sowohl bei einer elektronischen Speicherung (z.B. durch Drag-and-Drop auf einem USB-Stick) als auch bei einer mechanischen Speicherung (z.B. durch Lasergravuren auf der Unterseite einer CD, auch bekannt als sog. „Brennen“ einer CD) vor.
Anders als beim Begriff der elektronischen Daten, dessen Definition aus dem Straftatbestand des § 202a StGB abgeleitet wird, gibt es für den Begriff der „informationsverarbeitenden Systeme“ bislang keine etablierte Definition. Die Literatur und Rechtsprechung orientiert sich bei der Auslegung des Begriffs überwiegend am Schutzzweck und dem in der Fachwelt verbreiteten weiten Begriffsverständnis. Dies bedeutet, dass faktisch alle Systeme erfasst sind, die in tatsächlicher Hinsicht unmittelbar durch einen Cyberangriff tangiert werden können. Insbesondere soll der Begriff „informationsverarbeitende Systeme“ nicht nur auf solche Systeme beschränkt sein, die wirklich Daten „verarbeiten“ (wie es der Begriff „informationsverarbeitende“ Systeme) suggeriert, sondern auch reine Speicherungen unter die Definition fallen.
2. Nutzung zur betrieblichen oder beruflichen TätigkeitZu beachten ist jedoch, dass nicht sämtliche elektronischen Daten und informationsverarbeitenden Systeme dem Versicherungsschutz unterliegen, sondern nur solche, die der Versicherungsnehmer „zur Ausübung seiner betrieblichen oder beruflichen Tätigkeit nutzt“.
Von einer betrieblichen Tätigkeit ist auszugehen, wenn die Tätigkeit mit der Eingliederung in einen bereits bestehenden Betrieb verbunden ist und Weisungsgebundenheit besteht (z.B. die Nutzung eines Computers durch Angestellte). Der Begriff der beruflichen Tätigkeit ist dagegen weiter gefasst und erfasst auch selbstständige weisungsfreie Tätigkeiten (z.B. Unternehmer).
Da es auf den Zweck der Nutzung ankommt, ist die Mischnutzung eines privaten Gerätes für berufliche oder betriebliche Zwecke (z.B. Homeoffice über eine Cloud-Lösung) sowie eines beruflichen oder betrieblichen Gerätes für private Zwecke (z.B. private Anrufe über ein Diensttelefon) unschädlich. Denn mit der Cyber-Versicherung sollen alle Konstellationen erfasst werden, die eine Angriffsfläche für einen betrieblichen oder beruflichen Cybervorfall darstellen können.
Nicht erfasst ist wird jedoch die Nutzung von elektronischen Daten oder informationsverarbeitenden Systemen zu ausschließlich privaten Zwecken (z.B. Datenklau von allen mit Betriebs-WLAN verbundenen Geräten, mit dem auch ausschließlich privat genutztes Mobiltelefon verbunden war).
3. Beeinträchtigung von Verfügbarkeit, Integrität und VertraulichkeitSchließlich bedarf es für das Vorliegen einer Informationssicherheitsverletzung der „Beeinträchtigung der Verfügbarkeit, Integrität und Vertraulichkeit“ der elektronischen Daten oder informationsverarbeitenden Systeme.
- Die „Verfügbarkeit“ ist beeinträchtigt, wenn der permanente oder vereinbarte Zugang zu Daten und Systemen betroffen ist und von der vorgesehenen Zielgruppe nicht genutzt werden kann (z.B. bei der Verschlüsselung von Daten oder der Änderung eines Passworts).
- Die „Integrität“ ist beeinträchtigt, wenn die Unversehrtheit, Unveränderlichkeit oder Vollständigkeit von Daten oder Systemen betroffen ist (z.B. wenn Daten unerlaubt inhaltlich manipuliert oder Angaben zum Autor verfälscht werden)
- Die „Vertraulichkeit“ ist beeinträchtigt, wenn sich Dritte unbefugten Zugang zu Daten oder Systemen verschafft haben (z.B. Einsichtnahme Dritter in den internen E-Mail-Verkehr über Trojaner oder Phishing).
Für eine „Beeinträchtigung“ ist es nicht erforderlich, dass eines der vorgenannten Schutzgüter vollständig entfällt. Vielmehr ist bereits jede nachteilige Abweichung des Ist-Zustandes vom Soll-Zustand ausreichend. Dass ein Betrieb fortgesetzt werden konnte, steht somit der Annahme einer Beeinträchtigung grundsätzlich nicht entgegen.
Verursachung der Informationssicherheitsverletzung durch bestimmtes CyberereignisDas Vorliegen einer Informationssicherheitsverletzung ist, für sich genommen, ist jedoch regelmäßig nicht ausreichend, um vom Eintritt des Versicherungsfalls unter einer Cyber-Versicherung ausgehen zu können.
Stattdessen wird der Eintritt eines Versicherungsfalls meist zusätzlich davon abhängig gemacht, dass die Informationssicherheitsverletzung durch bestimmte Cyberereignisse ausgelöst wurde, die in den Versicherungsbedingungen entweder abstrakt (wie in den AVB Cyber) oder konkret (wie in den Versicherungsbedingungen einiger Anbieter) benannt sind.
1. Abstrakter Katalog von relevanten CyberereignissenDie AVB Cyber enthalten unter Ziff. A1-2.4 einen Katalog abstrakt beschriebener Cyberereignisse, die eine Informationssicherheitsverletzung auslösen können sollen:
- Angriffe auf elektronische Daten oder informationsverarbeitende Systeme des Versicherungsnehmers (z.B. durch Hackerangriffe);
- Unberechtigte Zugriffe auf elektronische Daten des Versicherungsnehmers (z.B. durch Doxing-Angriffe):
- Eingriff in informationsverarbeitende Systeme des Versicherungsnehmers (z.B. durch Cryptojacking-Angriffe);
- Verletzung datenschutzrechtlicher Vorschriften durch den Versicherungsnehmer (z.B. durch Nichtanpassung betrieblicher Prozesse an Rechtsänderungen); oder
- Einwirkung von Schadprogrammen auf elektronische Daten oder informationsverarbeitende Systeme des Versicherungsnehmers (z.B. durch Malware-Angriffe).
Die vorgenannten Cyberereignisse sind so abstrakt gefasst, dass praktisch alle durch menschliches Verhalten adäquat verursachten Informationssicherheitsverletzungen erfasst sind. Dies wird auch dadurch deutlich, dass die aufgelisteten Cyberereignisse nicht vorgeben, auf welchem technischen Weg die Informationssicherheitsverletzung herbeigeführt werden muss (so würde z.B. die erste Option „Angriff“ sowohl einen Hackerangriff als auch einen DDoS-Angriff erfassen).
2. Konkreter Katalog von relevanten CyberereignissenAnstelle eines Katalogs mit abstrakt beschriebenen Cyberereignissen, die eine Informationssicherheitsverletzung auslösen können, enthalten die Bedingungswerke einiger Anbieter einen Katalog mit konkret beschriebenen Cybervorfällen, d.h. dort sind z.B. „Hackerangriffe“, „Ransomware-Angriffe“, Phishing-E-Mails“ etc. namentlich als Cyberereignisse genannt.
Im Vergleich zu dem Katalog mit den abstrakten Cybervorfällen besteht hier ein erheblich geringer Auslegungsspielraum, da der Anwendungsbereich der Cyber-Versicherung – in technischer Hinsicht – auf die konkret aufgelisteten Cyberereignisse beschränkt ist. Dies führt zwar zu größerer Rechtssicherheit, kann im Einzelfall jedoch problematisch sein, wenn z.B. eine Informationssicherheitsverletzung – bedingt durch den technischen Fortschritt – durch eine (neuartige) Verletzungshandlung ausgelöst wurde, die (noch) nicht in dem konkreten Katalog der relevanten Cyberereignisse abgebildet und deshalb nicht vom Versicherungsschutz umfasst ist.
Fazit: Informationssicherheitsverletzung und technisches GrundwissenZusammengefasst bleibt festzuhalten, dass für die Klärung, ob ein Cybervorfall einen Versicherungsfall unter einer Cyber-Versicherung auslöst, zunächst kein Weg an der Auslegung des zentralen Terminus der Informationssicherheitsverletzung vorbeiführt.
Wenn feststeht, dass sich eine Informationssicherheitsverletzung verwirklicht hat, muss zudem bestimmt werden, dass diese nicht auf ein beliebiges, sondern auf ein bestimmtes Cyberereignis zurückzuführen ist. Die verschiedenen Cyberereignisse, die in diesem Zusammenhang als geeignet angesehen werden, um den Versicherungsschutz unter einer Cyber-Versicherung auszulösen, werden regelmäßig entweder abstrakt oder konkret im Bedingungswerk der jeweiligen Cyber-Versicherung aufgelistet.
Festzuhalten ist deshalb, dass man sich im Bereich der Cyber-Versicherung – bereits bei der Bestimmung des Versicherungsfalls – mit verschiedenen rechtlichen (und z.T. auch technischen) Begrifflichkeiten konfrontiert sieht, die einige Auslegungsspielräume bieten und somit zu Rechtsunsicherheiten führen können. Dies gilt insbesondere deshalb, da im Bereich der Cyber-Versicherung bislang nur in einem sehr überschaubaren Umfang Rechtsprechung existiert.
Umso wichtiger ist es somit, sich bei bereits bei Abschluss einer Cyber-Versicherung bzw. spätestens im Schadenfall adäquat rechtlich beraten zu lassen.
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