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CMS Hasche Sigle Blog
Tarifwerk GVP/DGB: Zur Erhöhung der IRMAZ und zur Arbeitszeit im Übrigen
Die in den Tarifwerken BAP/DGB und iGZ/DGB vorgesehene Möglichkeit, die individuelle regelmäßige monatliche Arbeitszeit (IRMAZ) von 151,67 Stunden auf bis zu 174,34 Stunden im Monat zu erhöhen, findet sich inhaltsgleich im MTV GVP/DGB wieder (dort: § 3.1 Abs. 2). Die (bisherige) Protokollnotiz, nach der trotz der Erhöhung der Arbeitszeit nicht ausgeschlossen ist, dass Mitarbeiter ausnahmsweise kurzfristig in einem Betrieb eingesetzt werden, dessen betriebliche Arbeitszeit niedriger ist als die arbeitsvertraglich vereinbarte, ist direkt in den Tariftext übernommen worden (§ 3.1 Abs. 3 MTV GVP/DGB). Insoweit wird es bei dieser Ausnahme bleiben und folglich keine Änderungen im neuen Tarifwerk geben.
Die Definition der Teilzeittätigkeit (§ 3.2 MTV GVP/DGB) ist wörtlich aus § 3.1.1 Abs. 2 MTV iGZ/DGB übernommen worden, ohne dass dies inhaltliche Auswirkungen auf bisherige BAP-Anwender hat, die zumindest eine inhaltlich entsprechende Regelung kennen (§ 3 MTV BAP/DGB).
Die faktische Anpassung der Arbeitszeit des Zeitarbeitnehmers an diejenige des Kunden wird in § 3.3 MTV GVP/DGB geregelt. Dabei hat man sich der Formulierung des MTV BAP/DGB bedient (dort: § 4.1 Abs. 1), ohne dass dies eine inhaltliche Abweichung zur Bestimmung im MTV iGZ/DGB (dort: § 3.1.3) bedeuten würde.
Die Regelung zu Rüstzeiten, die nicht als Arbeitszeit zu qualifizieren sind, wenn im Kundenbetrieb keine abweichenden Regelungen gelten (§ 3.4 MTV GVP/DGB), stammt aus dem MTV BAP/DGB (dort: § 4.1 Abs. 2). Eine vergleichbare Bestimmung fehlt im MTV iGZ/DGB.
Die Klausel zum Einsatz in Schichtmodellen (§ 3.5 MTV GVP/DGB) wurde aus dem MTV iGZ/DGB übernommen (dort: § 3.1.4.). Aus dem MTV iGZ/DGB wurde zudem die Regelung überführt, dass Heiligabend und Silvester vom Zeitarbeitsunternehmen (einseitig) mit Urlaub oder Plusstunden aus dem AZK belegt werden können (§ 3.1.5. S. 3 MTV iGZ/DGB; § 3.6 S. 2 MTV GVP/DGB). Inhaltlich vergleichbare Regelungen sind im MTV BAP/DGB nicht enthalten.
Der jährliche Bezugspunkt im MTV BAP/DGB zur Bestimmung, ob die vereinbarte individuelle regelmäßige monatliche Arbeitszeit erreicht wird, entfällt (dort: § 2 Abs. 1 S. 2, Abs. 3). Ein Jahresbezug (mit insgesamt 1.820 Stunden) ist im MTV GVP/DGB nicht mehr vorgesehen.
ACHTUNG: Die Anpassungen bei der Arbeitszeit betreffen im Wesentlichen die bisherigen iGZ-Anwender. Die Auswirkungen dürften nicht unerheblich sein, allerdings wurde mit der großzügig bemessenen Übergangsfrist (mit Blick auf die variable Arbeitszeit nach der Anzahl der Arbeitstage im jeweiligen Monat) eine Regelung geschaffen, die es den Zeitarbeitsunternehmen ermöglicht, mit entsprechender Vorlauf- und Vorbereitungszeit den Schritt in die verstetigte Arbeitszeit umzusetzen und zu vollziehen. Man sollte sich nur rechtzeitig mit diesem Thema befassen und die erforderlichen Umsetzungsschritte angehen.
arbeitsrecht #arbeitnehmerüberlassung #zeitarbeit #personaldienstleistung #tarifvertrag #GVP #BAP #iGZ
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Kryptoinvestoren im Visier des Landesamtes zur Bekämpfung der Finanzkriminalität – Fünf To-dos für Kryptoinvestoren
Am 25. September 2025 veröffentlichte das Landesamt zur Bekämpfung der Finanzkriminalität Nordrhein-Westfalen (LBF NRW) eine Pressemitteilung, die in der Krypto‑Investorenwelt* für Aufsehen sorgt: Ein zweites großes Datenpaket mit Krypto‑Transaktionen aus ganz Deutschland liegt der Steuerfahndung vor – mit rund 4.000 betroffenen Steuerfällen. Die Fälle werden bundesweit an Finanzämter verteilt, die Nachforderungen prüfen und festsetzen.
Schon 2023 hatte NRW Daten einer großen Handelsplattform ausgewertet und Steuern in Millionenhöhe nacherhoben. Das Signal ist eindeutig: Der Handel mit Kryptowerten ist kein Nischenthema mehr. Die Finanzverwaltung nutzt Datenanalytik, IT-Forensik und Kooperationen zwischen den Bundesländern.
Das aktualisierte BMF-Schreiben „Einzelfragen zur ertragsteuerrechtlichen Behandlung bestimmter Kryptowerte“präzisiert Mitwirkungspflichten, Bewertungsmethoden und die steuerliche Behandlung von Staking, Lending & Co. Die Finanzverwaltung erwartet proaktive Transparenz – wer sie nicht liefert, riskiert Schätzungen.
Die Botschaft ist unmissverständlich: Die Finanzverwaltung verfügt über umfassende Daten von Handelsplattformen und geht systematisch gegen Steuerhinterziehung im Krypto-Bereich vor. Für Investoren bedeutet das: Handeln ist jetzt dringend geboten. Die folgenden fünf To-Dos sollen Ihnen dabei helfen:
1. Steuerliche Bestandsaufnahme – Vollständigkeit prüfenDie Finanzverwaltung verfügt aufgrund des Datenpakets über Transaktionsdaten von einer zentralen Handelsplattform. Ab dem 1. Januar 2026 werden Handelsplattformen wie Kraken, Coinbase, Bitpanda oder Bison weitere Daten sammeln und im Rahmen des Kryptowerte-Steuertransparenzgesetzes an das Bundeszentralamt für Steuern melden. Wer auf solchen Plattformen gehandelt hat oder handelt, muss davon ausgehen, dass seine Geschäfte den Behörden bekannt sind oder werden.
To-do: Erstellen Sie eine lückenlose Übersicht aller Krypto-Aktivitäten seit Beginn Ihrer Investments. Viele Handelsplattformen bieten nur zeitlich begrenzten Zugriff auf Transaktionsübersichten. Laden Sie alle verfügbaren Daten unverzüglich herunter und sichern Sie sie dauerhaft. Fehlende Aufzeichnungen und Datenverluste gehen zu Ihren Lasten.
Dazu gehören:
- Alle Anschaffungsvorgänge (Kauf, Tausch, Mining/Forging, Staking, Lending, Airdrops, ICOs)
- Alle Veräußerungsvorgänge (Verkauf, Tausch, Verwendung als Zahlungsmittel)
- Genutzte Wallets und Handelsplattformen (zentral und dezentral)
- Zeitpunkte, Mengen und Kurse der Transaktionen
- Dokumentation der gewählten Bewertungsmethode (Einzelbetrachtung, FiFo, Durchschnittsmethode)
Viele Krypto-Investoren haben in der Vergangenheit keine oder unvollständige Angaben gemacht – teils aus Unwissenheit, teils in der Hoffnung, die Finanzverwaltung würde den digitalen Raum nicht durchdringen. Das zweite Datenpaket zeigt: Diese Hoffnung ist trügerisch.
Erkennt ein Steuerpflichtiger nachträglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist, dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist und dass es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist, so ist er verpflichtet, dies unverzüglich anzuzeigen und die erforderliche Richtigstellung vorzunehmen (§ 153 AO). Diese Verpflichtung trifft auch Erben des früheren Kryptoinvestors.
To-do: Prüfen Sie systematisch alle Steuererklärungen der vergangenen Jahre:
- Wurden alle steuerpflichtigen Veräußerungsgewinne erklärt?
- Wurden Einkünfte aus Mining, Forging, Staking oder Lending angegeben?
- Wurden auch Tauschvorgänge zwischen Kryptowerten als Veräußerung erfasst?
- Wurden Airdrops, bei denen eine Leistung erbracht wurde, als sonstige Einkünfte deklariert?
- Wurden Sachverhalte transparent offengelegt, die man selbst für nicht steuerbar gehalten hat, obgleich es seinerzeit noch keine Auffassung der Finanzverwaltung gabt?
Wer Einkünfte nicht erklärt hat, riskiert hohe Nachzahlungen, Zinsen und Strafverfahren. Steuerhinterziehung kann mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft werden – in besonders schweren Fällen bis zu zehn Jahren.
Die strafbefreiende Selbstanzeige ist ein zweischneidiges Schwert: Richtig angewendet verhindert sie Strafe, falsch formuliert kann sie als Geständnis gegen den Steuerpflichtigen verwendet werden.
To-do: Eine wirksame Selbstanzeige erfordert:
- Vollständigkeit: Alle Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre müssen berichtigt werden. Eine teilweise Offenlegung führt zur Unwirksamkeit.
- Richtigkeit: Die nachgeholten Angaben müssen korrekt sein. Falsche Anschaffungskosten oder vergessene Transaktionen können die Straffreiheit gefährden.
- Rechtzeitigkeit: Die Selbstanzeige muss vor Entdeckung der Tat erfolgen. Die Straffreiheit tritt nicht ein, wenn die Steuerstraftat im Zeitpunkt der Berichtigung bereits entdeckt war und der Täter dies wusste oder damit rechnen musste (§ 371 Abs. 2 AO). Angesichts der systematischen Datenauswertung durch das LBF NRW ist höchste Eile geboten.
- Entrichtung der Nachsteuer: Die fällige Steuer muss innerhalb einer vom Finanzamt gesetzten Frist entrichtet werden.
Praxis-Tipp: Bei der Selbstanzeige haben Sie nur eine Chance. Ziehen Sie erfahrene Steuerberater und Rechtsanwälte hinzu, die sowohl das Krypto-Geschäft als auch das Steuerstrafrecht beherrschen. Die professionelle Kommunikation schafft Distanz zwischen Ihnen und dem Finanzamt und sorgt für eine sachliche Atmosphäre.
4. Steuerbescheide kritisch prüfen und strategisch anfechtenNach der Auswertung der Datenpakete könnten viele Krypto-Investoren erstmals Steuerbescheide mit erheblichen Nachforderungen erhalten. Nicht selten schätzt die Finanzverwaltung dabei die Besteuerungsgrundlagen – oft zum Nachteil der Steuerpflichtigen. Doch viele dieser Festsetzungen sind angreifbar.
Die Finanzbehörde kann Besteuerungsgrundlagen schätzen, wenn diese nicht ermittelt oder berechnet werden können (§ 162 AO). Ziel der Schätzung muss es sein, den tatsächlichen Verhältnissen möglichst nahezukommen. Eine Schätzung darf nicht der Sanktionierung dienen. Das BMF-Schreiben stellt klar, dass vorhandene Unterlagen wie Transaktionsübersichten und Steuerreports auch im Schätzungsverfahren zu würdigen sind.
To-do: Prüfen Sie jeden Steuerbescheid systematisch auf Rechtmäßigkeit:
- Ist der Bescheid wirksam bekannt gegeben worden und läuft die Einspruchsfrist (ein Monat nach Bekanntgabe)?
- Sind die festgesetzten Beträge nachvollziehbar aufgeschlüsselt und wurde eine Begründung für Schätzungen nach § 162 AO gegeben?
- Wurden die richtigen Anschaffungskosten berücksichtigt oder pauschal geschätzt? Wurde die Haltefrist korrekt ermittelt?
- Wurden Transaktionsgebühren als Werbungskosten abgezogen?
- Wurden Airdrops ohne Gegenleistung fälschlicherweise als Einkünfte behandelt?
Praxis-Tipp: Viele Finanzämter setzen bei fehlenden Einzelnachweisen pauschale Gewinne an oder verweigern den Abzug von Anschaffungskosten gänzlich. Solche Schätzungen sind oft rechtswidrig. Der Einspruch ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe einzulegen – versäumen Sie diese Frist nicht! Im Einspruchsverfahren können Sie weitere Nachweise nachreichen und die Finanzbehörde zur erneuten Prüfung zwingen.
5. Struktur für die Zukunft schaffen – Tax Compliance und OptimierungKrypto-Investments sind gekommen, um zu bleiben. Statt reaktiv auf Behördenanfragen zu reagieren, sollten Investoren proaktiv eine rechtssichere Struktur schaffen. Das BMF-Schreiben führt detaillierte Aufzeichnungspflichten ein. Steuerpflichtige mit Überschusseinkünften über EUR 500.000 (ab 2027: EUR 750.000) müssen die Aufzeichnungen und Unterlagen sechs Jahre aufbewahren (§ 147a AO). Aber auch unterhalb dieser Grenze gilt: Die Finanzbehörde kann alle Unterlagen anfordern, die zum Verständnis und zur Überprüfung der Besteuerungsgrundlagen erforderlich sind.
To-do: Etablieren Sie ein durchgängiges Tax-Compliance-System. Bspw:
- Nutzen Sie Krypto-Steuertools, die Transaktionen automatisch erfassen und bewerten
- Exportieren Sie regelmäßig (mindestens quartalsweise) alle Transaktionsübersichten von allen genutzten zentralen Handelsplattformen (CSV-, XML- oder PDF-Dateien)
- Dokumentieren Sie die gewählten Bewertungsmethoden und Kursquellen
- Führen Sie ein Verzeichnis aller Wallets und Handelsplattformen und machen Sie Screenshots von Kontoständen, Orderbestätigungen und wichtigen Transaktionen
- Wallet-Daten einschließlich öffentlicher Schlüssel zur Nachvollziehbarkeit von On-Chain-Transaktionen
- Legen Sie Vertragsdokumente zu Mining-Pools, Staking-Vereinbarungen oder Lending-Plattformen geordnet ab
Die Fälle aus NRW zeigen: Die Zeit der unkontrollierten Krypto-Investments ist vorbei. Mit systematischen Sammelauskunftsersuchen, spezialisierten Ermittlungsteams und modernster Datenauswertung verschärft die Finanzverwaltung den Druck.
Für Investoren bedeutet das: Wer jetzt nicht handelt, riskiert erhebliche finanzielle und strafrechtliche Konsequenzen. Mit einer vollständigen Bestandsaufnahme, lückenloser Dokumentation und gegebenenfalls einer professionellen Selbstanzeige lassen sich Risiken minimieren. Eine zukunftsgerichtete Tax-Compliance-Struktur schützt vor späteren Problemen.
Wir begleiten Mandanten in allen Phasen – von der präventiven Strukturierung über die Selbstanzeige bis zur Verteidigung in Einspruchs-, Klage- und Strafverfahren. Unsere Erfahrung im Krypto-Steuerrecht und der enge Austausch mit Finanzbehörden ermöglichen pragmatische und interessengerechte Lösungen.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.
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Betriebs- und Betriebsratsstrukturen durch Vereinbarung
Die gesetzlichen Betriebs- und Betriebsratsstrukturen sind starr und werden den Bedürfnissen der Praxis nicht immer gerecht. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die stetig voranschreitende Digitalisierung und Dezentralisierung der Arbeitswelt. Zudem kommt es im Zusammenhang mit Betriebsratswahlen regelmäßig zu Streit über die Frage, ob eine Einheit einen eigenständigen (betriebsratsfähigen) Betrieb darstellt und wo dessen Grenzen verlaufen.
Ein effektives Mittel zur Optimierung der Strukturen und Schaffung gesicherter Grundlagen für die Betriebsratswahl kann der Abschluss einer Strukturvereinbarung sein. Wichtig ist dabei eine frühzeitige Auswertung des Status Quo, die Festlegung der gewünschten Zielstruktur sowie die Prüfung der mit dem Abschluss einer Strukturvereinbarung einhergehenden möglichen (Rechts-)Folgen. Zeitliche Leitplanken können insbesondere anstehende Betriebsratswahlen bilden.
§ 3 BetrVG eröffnet die Möglichkeit, durch Strukturvereinbarungen vom Gesetz abweichende Betriebs- und Betriebsratsstrukturen zu schaffenRegelungsgegenstand von Strukturvereinbarungen können die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats (Nr. 1a), das Zusammenfassen von Betrieben (Nr. 1b) sowie die Bildung von Spartenbetriebsräten (Nr. 2), anderen Arbeitnehmervertretungsstrukturen (Nr. 3), Arbeitsgemeinschaften und zusätzlichen betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitnehmervertretungen (Nr. 5) sein.
Da in der Praxis die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats sowie das Zusammenfassen von Betrieben die häufigsten Anwendungsfälle von Strukturvereinbarungen darstellen, liegt der Schwerpunkt dieses Beitrags auf diesen beiden Varianten.
Festlegung von Betriebs- und Betriebsratsstrukturen durch Vereinbarung schafft RechtssicherheitBestimmen sich die betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsstrukturen nach dem Gesetz ist der Betriebsbegriff des § 1 Abs. 1 S. 1 BetrVG maßgeblich. Dabei definiert die Rechtsprechung den Betrieb als organisatorische Einheit, innerhalb derer ein Arbeitgeber* mit Hilfe materieller und immaterieller Betriebsmittel zusammen mit den von ihm beschäftigten Arbeitnehmern bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt (st. Rspr. BAG, Beschluss v. 23. September 1982 – 6 ABR 42/81). Diese Definition und ihre Voraussetzungen erscheinen auf den ersten Blick wenig Schwierigkeiten zu bereiten. Schaut man genauer hin, enthalten das Gesetz und die Rechtsprechung jedoch eine Vielzahl von Konkretisierungen und Differenzierungen. So gelten Betriebsteile mit in der Regel mindestens fünf wahlberechtigten Arbeitnehmern, von denen drei wählbar sind, als eigenständige Betriebe, wenn sie entweder räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt oder durch Aufgabenbereich und Organisation eigenständig sind (§ 4 Abs. 1 S. 1 BetrVG). Werden in einem Betrieb die vorstehenden Schwellenwerte nicht erreicht, ist der Betrieb dem Hauptbetrieb zuzuordnen (§ 4 Abs. 2 BetrVG). Setzen zwei oder mehr Unternehmen ihre Arbeitnehmer und Betriebsmittel zur Verfolgung eines gemeinsamen arbeitstechnischen Zwecks ein, wird das Bestehen eines Gemeinschaftsbetriebs vermutet (§ 1 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BetrVG).
Eine allgemeingültige Definition, wann eine Entfernung „weit“ ist, wann „Eigenständigkeit“ vorliegt, wann eine „gemeinsame Zweckverfolgung“ anzunehmen ist oder welcher Betrieb von mehreren Betrieben als „Hauptbetrieb“ gilt, lässt sich weder dem Gesetz noch der Rechtsprechung entnehmen. Die Frage des Bestehens eines oder mehrerer Betriebe und deren Abgrenzung voneinander ist daher regelmäßig Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen. Dies gilt auch und insbesondere im Zusammenhang mit Betriebsratswahlen. Denn es gilt der Grundsatz: Ein Betrieb, ein Betriebsrat. Erfolgt eine Wahl unter Verkennung des Betriebsbegriffs, droht die Anfechtung, in Extremfällen auch die Nichtigkeit der Wahl. Dies verdeutlicht nicht nur die Komplexität der Thematik, sondern auch das Bedürfnis nach Rechtssicherheit. Hinzu kommt, dass die tatsächlich gelebte Arbeitsweise und Struktur oftmals nicht mit dem schematischen und starren gesetzlichen Betriebsbegriff sowie dessen Grenzen übereinstimmen.
Die Festlegung von Betriebs- und Betriebsratsstrukturen durch Vereinbarung ermöglicht die Schaffung nahezu maßgeschneiderter Lösungen, mittels derer gesicherte Grundlagen für Betriebsratswahlen und die tägliche Zusammenarbeit in mitbestimmungsrelevanten Angelegenheiten etabliert werden können.
Voraussetzungen eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats / des Zusammenfassens von BetriebenDie Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats sowie das Zusammenfassen von Betrieben unterliegen im Wesentlichen denselben Voraussetzungen. In beiden Varianten gilt: Alle betroffenen Betriebe müssen demselben Unternehmen angehören und die Bildung bzw. das Zusammenfassen muss entweder die Errichtung von Betriebsräten (tatsächlich) erleichtern oder der Wahrnehmung der Arbeitnehmerinteressen dienen. Soll ein unternehmenseinheitlicher Betriebsrat gebildet werden, ist zusätzliche Voraussetzung, dass die Zielerreichung, d.h. die Erleichterung der Betriebsratsbildung oder das Dienen der Arbeitnehmerinteressen, nicht durch das Zusammenfassen einzelner Betriebe als weniger einschneidende Maßnahme erreicht werden kann (BAG, Beschluss v. 24. April 2013 – 7 ABR 71/11). An der Zugehörigkeit aller Betriebe zum selben Unternehmen fehlt es im Falle des Vorliegens eines Gemeinschaftsbetriebs (BAG, Beschluss v. 13. März 2013 – 7 ABR 70/11).
Eine tatsächliche Erleichterung der Bildung von Betriebsräten hat die Rechtsprechung insbesondere für den Fall anerkannt, dass andernfalls die Gefahr der Nicht-Wahl in einzelnen Betrieben besteht (BAG, Beschluss v. 24. April 2013 – 7 ABR 71/11) oder die Wahl nach der gesetzlichen Struktur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden wäre (vgl. Arbeitsgericht Dresden, Beschluss v. 19. Juni 2008 – 5 BV 25/08). Ein Dienen der Arbeitnehmerinteressen ist nach der Gesetzesbegründung und der Rechtsprechung beispielsweise gegeben, wenn Entscheidungen in beteiligungspflichtigen Angelegenheiten zentralisiert getroffen werden (BT-Drs. 14/5741, 34) oder die Beteiligung von Arbeitnehmern nicht betriebsratsfähiger Einheiten gefördert bzw. ein betriebsratsloser Zustand verhindert wird (vgl. LAG Niedersachsen, Beschluss v. 22. August 2008 – 12 TaBV 14/08). Dabei kommt den Parteien der Strukturvereinbarung eine Einschätzungsprärogative in Bezug auf die Frage zu, ob die Maßnahmen der Wahrnehmung der Interessen „dient“ (BAG, Beschluss v. 24. Oktober 2013 – 7 ABR 71/11). Es reicht insofern aus, wenn das Ziel nachvollziehbar verfolgt und die Erreichung nicht von vornherein ausgeschlossen ist; ein objektiver Erfolgseintritt ist nicht erforderlich (vgl. BAG, Beschluss v. 13. März 2013 – 7 ABR 70/11). Die Anforderungen an entsprechende Vereinbarungen sind daher vergleichsweise gering (BAG, Beschluss v. 18. November 2014 – 1 ABR 21/13).
Strukturvereinbarung in Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung festlegenStrukturvereinbarungen können – abhängig von ihrem Regelungsgegenstand – in Form eines Tarifvertrags oder einer Betriebsvereinbarung abgeschlossen werden. Die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats oder das Zusammenfassen von Betrieben durch Betriebsvereinbarung kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn keine tariflichen Regelungen gelten (§ 3 Abs. 2 BetrVG). Dabei tritt die Sperrwirkung bereits dann ein, wenn irgendeine tarifliche Regelung gilt. Voraussetzung ist lediglich eine beiderseitige gesetzliche Tarifbindung. Damit schließt jede tarifliche Regelung – gleich ob Verbands- oder Firmentarifvertrag, und unabhängig davon, ob sie (zumindest auch) die betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsstrukturen betrifft – den Abschluss einer Betriebsvereinbarung aus (LAG München, Beschluss v. 11. August 2011 – 2 TaBV 5/11; BT-Drs. 14/5741, 34).
Auswertung der bestehenden Strukturen und Festlegung der ZielstrukturSollen neue Betriebs- und Betriebsratsstrukturen geschaffen werden, gilt es zunächst, eine Bestandsaufnahme der bestehenden Strukturen durchzuführen.
- Richten sich die bestehenden Betriebs- und Betriebsratsstrukturen nach dem Gesetz?
- Oder bestehen (vielleicht in Vergessenheit geratene) Strukturvereinbarungen aus der Vergangenheit?
- Bilden die aktuellen Strukturen die individuellen Bedürfnisse in der Praxis ab?
- Welche Struktur passt am besten zur tatsächlichen Arbeitsweise?
Diese und viele weitere Fragen gilt es zu stellen und zu beantworten. In Abhängigkeit von der Beantwortung der vorstehenden Fragen ist sodann die Zielstruktur festzulegen.
Prüfung der Rechtsfolgen der ZielstrukturWichtig ist, mögliche (Rechts-)Folgen der geplanten Zielstruktur frühzeitig zu prüfen und in die Bewertung des weiteren Vorgehens einzubeziehen. Zu berücksichtigen sind insofern insbesondere die Folgen für den Betrieb, den Betriebsrat und die Betriebsvereinbarungen. Die wesentlichen Rechtsfolgen der Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats und des Zusammenfassens von Betrieben lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Rechtsfolgen für den Betrieb: Die aufgrund einer Strukturvereinbarung gebildeten betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheiten gelten als Betriebe im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes (§ 3 Abs. 5 S. 1 BetrVG). Die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats führt dementsprechend zur Fiktion eines (einzigen) einheitlichen Betriebs. Werden Betriebe zusammengefasst, gilt/gelten die gebildete(n) Einheit(en) als Betrieb(e). Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die Fiktionswirkung nur dann eingreift, wenn der Betriebsbegriff i.S.d. Betriebsverfassungsgesetzes maßgeblich ist (z.B. § 3 DrittelbG/MitbestG). Die Fiktion erstreckt sich insofern insbesondere nicht auf das Kündigungsrecht und die Sozialauswahl (BAG, Urteil v. 31. Mai 2007 – 2 AZR 276/06; zur Massenentlassung BAG, Urteil v. 13. Februar 2020 – 6 AZR 146/19).
- Rechtsfolgen für den Betriebsrat: Die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats hat zur Folge, dass ein (einziger) Betriebsrat für alle Betriebe des Unternehmens gebildet wird. Werden mehrere Betriebe zusammengefasst, kann gemäß dem Grundsatz „ein Betrieb, ein Betriebsrat“ in jeder der gebildeten Betriebseinheiten ein Betriebsrat gebildet werden. Die Rechte und Pflichten der Betriebsräte, die in durch Strukturvereinbarungen gebildeten Betrieben gewählt wurden, bestimmen sich nach den allgemeinen Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes (§ 3 Abs. 5 S. 2 BetrVG). Sie entsprechen damit denen eines „normalen“ Betriebsrats. Werden mehrere Betriebseinheiten gebildet und Betriebsräte gewählt, können diese einen Gesamtbetriebsrat (§§ 47 ff. BetrVG) bilden. Bei der Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats scheidet die Errichtung eines Gesamtbetriebsrats mangels Bestehens mehrerer Betriebsräte aus. Die Frage, ob und wenn ja, welchem von mehreren Betriebsräten bei Einführung einer gewillkürten Struktur ein Übergangsmandat zusteht, ist jeweils anhand des konkreten Einzelfalles unter Berücksichtigung der jeweiligen Gesamtumstände zu prüfen, wobei zwischen einem Zusammenschluss zur Neugründung und einem Zusammenschluss zur Aufnahme zu differenzieren ist.
- Rechtsfolgen für Betriebsvereinbarungen: Bestehen die bisherigen Betriebe in der kraft Vereinbarung gebildeten Betriebseinheit als abgrenzbare Betriebsteile fort, bleiben die bisherigen Betriebsvereinbarungen unberührt und gelten beschränkt auf den Betriebsteil ihres bisherigen Geltungsbereichs fort (BAG, Beschluss v. 18. März 2008 – 1 ABR 3/07). Im Übrigen bedarf es auch hier einer Einzelfallprüfung, wobei wiederum zwischen den verschiedenen Arten des Zusammenschlusses zu differenzieren ist.
Dass eine frühzeitige Einbeziehung der Rechtsfolgen in die Entscheidungsfindung bzgl. der Zielstruktur von erheblicher Bedeutung ist, wird am Beispiel der Arbeitszeit besonders deutlich. Haben in den bisherigen Betrieben unterschiedliche Arbeitszeiten, Arbeitszeitmodelle und/oder Schichtsysteme gegolten, muss klar sein, nach welchen Regelungen sich die Arbeitszeit in dem neuen Betrieb richtet. Um im Hinblick auf die (Nicht-)Geltung bisheriger Betriebsvereinbarungen Rechtssicherheit zu schaffen empfiehlt es sich insofern regelmäßig, frühzeitig die Verhandlungen über eine Überleitungsvereinbarung aufzunehmen. Entsprechendes gilt in Bezug auf das (Nicht-)Bestehen eines Übergangsmandats der Betriebsräte.
Grenzen der StrukturvereinbarungDie Grenzen einer Strukturvereinbarung ergeben sich in Abhängigkeit ihres konkreten Regelungsgegenstandes. In Bezug auf die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats und das Zusammenfassen von Betrieben ist eine maßgebliche Grenze in dem weiten Tarifvorbehalt zu sehen, der den Weg über den Abschluss einer Strukturvereinbarung in Form einer Betriebsvereinbarung in der Praxis oftmals sperrt. Weitere Grenzen liegen in den einzelnen Wirksamkeitsvoraussetzungen, z.B. der (tatsächlichen) Erleichterung bzw. dem Dienen der Wahrnehmung der Arbeitnehmerinteressen. Wurde eine Strukturvereinbarung wirksam abgeschlossen, endet ihr Wirkungskreis an den Grenzen des Betriebsverfassungsgesetzes. Der Betriebsbegriff im Sinne anderer Rechtsvorschriften steht nicht zur Disposition der Parteien einer Strukturvereinbarung.
Strukturvereinbarungen gezielt nutzen: Effiziente Betriebs- und Betriebsratsstrukturen schaffen und kommende Wahlen rechtssicher vorbereitenStrukturvereinbarungen können ein effektives Mittel zur Steigerung der Effizienz der Betriebs- und Betriebsratsstrukturen darstellen. Gleichzeitig bieten sie die Möglichkeit, gesicherte Grundlagen für Betriebsratswahlen und die mitbestimmungsrechtliche Zusammenarbeit in der täglichen Praxis zu schaffen. Wichtig ist dabei, die (Rechts-)Folgen der Vereinbarung frühzeitig zu bewerten und ihre Grenzen im Blick zu behalten.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.
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Befangenheit des Bundeskartellamtes in Kartellverfahren
Mit Beschluss vom 20. August 2025 (Kart 7/22 [V]) hob das OLG Düsseldorf die Abstellungsverfügung des Bundeskartellamtes gegen die Lufthansa AG (Lufthansa) wegen ernstlicher Zweifel an der Unparteilichkeit des Bundeskartellamtes auf. Aus den inzwischen veröffentlichten Entscheidungsgründen lassen sich wichtige Schlussfolgerungen für die Verfahrensführung in Kartellbußgeld- und Kartellverwaltungsverfahren ziehen.
Lufthansa wehrt sich gegen AbstellungsverfügungDas Bundeskartellamt leitete im Jahr 2021 ein kartellrechtliches Missbrauchsverfahren gegen die Lufthansa wegen der Kündigung bestimmter Sondervereinbarungen (Special Prorate Agreements, SPAs) mit Condor ein.
Im Jahr 2022 erließ das Bundeskartellamt eine Abstellungsverfügung, in der es u.a. einen Verstoß gegen das kartellrechtliche Missbrauchsverbot feststellte und Lufthansa verpflichtet, neue SPAs mit vorgegebenen Bedingungen abzuschließen.
Gegen diese Verfügung ging die Lufthansa gerichtlich vor. Das OLG Düsseldorf hob die Abstellungsverfügung des Bundeskartellamtes wegen formeller Rechtwidrigkeit aufgrund der Besorgnis der Befangenheit der zuständigen Beschlussabteilung des Bundeskartellamtes auf.
Verdacht der Befangenheit kann sich aus dem Gesamtzusammenhang ergebenIm Laufe des gerichtlichen Verfahrens wurde bekannt, dass es frühzeitige, nicht vollständig dokumentierte Kontakte zwischen dem Bundeskartellamt und dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWi), sowie Unstimmigkeiten bei der Aktenführung und Akteneinsicht gab.
Das OLG Düsseldorf stellte dazu das Folgende fest:
- Am 18. Dezember 2020 fand eine Telefonkonferenz zwischen der Beschlussabteilung des Bundeskartellamtes und dem BMWi statt.
- Aus einem Originalvermerk des Bundeskartellamtes über die Telefonkonferenz ergibt sich unter anderem, dass die Beschlussabteilung dem Ministerium eine „zweigleisige Strategie“ (politisch und kartellrechtlich) vorgeschlagen habe. Im Rahmen der Telefonkonferenz wurden auch mögliche Argumente der Lufthansa – noch bevor die Lufthansa überhaupt Stellung genommen hat – bereits kritisch bewertet.
- Diese und weitere kritischen Formulierungen waren nicht in der Version des Gesprächsvermerkes enthalten, die die Lufthansa im Rahmen ihrer Akteneinsicht erhielt. Vielmehr erhielt die Lufthansa nur eine inhaltlich abgeschwächte, teilweise geschwärzte Fassung des Gesprächsvermerkes. Das Original des Vermerks wurde in einer Beiakte des Bundeskartellamtes geführt, deren Existenz der Lufthansa ebenfalls nicht offengelegt wurde.
- Erst im gerichtlichen Verfahren und auf Anordnung des Gerichts legte das Bundeskartellamt die Originalversion des Vermerks offen.
Das OLG Düsseldorf hat sich in seiner Entscheidung sehr ausführlich und differenziert mit der Frage der Befangenheit der Mitglieder der Beschlussabteilung des Bundeskartellamts auseinandergesetzt (§ 54 Abs. 1 S. 3 GWB i.V.m. §§ 20, 21 VwVfG). Für eine Besorgnis der Befangenheit genügt es, wenn aus Sicht eines vernünftig und besonnen denkenden Beteiligten objektive Gründe bestehen, an der Unvoreingenommenheit des Amtswalters zu zweifeln – unabhängig davon, ob tatsächlich eine Parteilichkeit vorlag oder beabsichtigt war.
Daher ist es auch irrelevant ob tatsächlich eine politische Einflussnahme stattgefunden hat oder die Mitglieder der Beschlussabteilung subjektiv voreingenommen waren. Entscheidend ist allein der objektive Eindruck, der bei einem vernünftigen Beteiligten entstehen kann. Dieser Maßstab war im vorliegenden Verfahren erfüllt:
- Bereits die Übersendung der Fassung des Gesprächsvermerks, die nicht dem Originalvermerk entspricht, weil in ihr Formulierungen des Originalvermerks weggelassen, verändert oder geschwärzt wurden, stellte einen schwerwiegenden Verfahrensfehler dar, der geeignet war, Misstrauen in die Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit der Mitglieder der Beschlussabteilung zu begründen.
- Bereits dadurch ist der Eindruck entstanden, die Originalversion des Vermerks sei der Lufthansa bewusst vorenthalten worden.
- Daneben rügte das OLG Düsseldorf auch die Verfahrensführung durch das Bundeskartellamt. Auch diese war fehlerhaft, weil die – grundsätzlich zulässigen – Gespräche mit Vertretern des politischen Raums vor Abschluss des Verfahrens nicht lückenlos dokumentiert und für die Verfahrensbeteiligten transparent gemacht wurden.
Im Ergebnis hob das OLG Düsseldorf die Abstellungsverfügung des Bundeskartellamtes wegen formeller Rechtswidrigkeit auf. Eine ausnahmsweise Heilung nach §§ 56 Abs. 8 GWB, 46 VwVfG kam nicht in Betracht. Aufgrund der beachtlichen Gründe für die Besorgnis der Befangenheit, konnte das OLG Düsseldorf nicht zweifelsfrei bzw. offensichtlich annehmen, dass der Fehler die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
Kontrolle der Verfahrensführung durch das Bundeskartellamt ist ein wichtiger Teil der UnternehmensverteidigungDie Entscheidung des OLG Düsseldorf ist nicht die erste gerichtliche Entscheidung, die zu der Aufhebung einer Kartellamtsentscheidung wegen formeller Mängel führt. Sie macht jedoch deutlich, dass gerade in Kartellbußgeld- und Kartellverwaltungsverfahren auch die Kontrolle der Verfahrensführung durch das Bundeskartellamt bei der Unternehmensverteidigung nicht zu unterschätzen ist. Das Urteil des OLG Düsseldorf ist in jedem Fall ein Sieg für die Verfahrens- und Verteidigungsrechte von Unternehmen in Verfahren des Bundeskartellamtes.
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Vergaberechtliche Pflichten für Zuwendungsempfänger
Die Anwendung des Vergaberechts obliegt nach den Regelungen der §§ 98 – 103 GWB öffentlichen Auftraggebern, die öffentliche Aufträge zur Beschaffung von Leistungen an Unternehmen vergeben wollen. Über die Vorschrift des § 99 Nr. 4 GWB oder über Bestimmungen in Zuwendungsbescheiden werden indes auch private Unternehmen an das Vergaberecht oder bestimmte Regelungen des Vergaberechts gebunden.
Gesetzliche Ausschreibungspflicht von Zuwendungsempfängern in bestimmten FällenDie Bindung an das Vergaberecht kann nach § 99 Nr. 4 GWB zunächst von Gesetz wegen eintreten. Nach dieser Vorschrift sind auch private Zuwendungsempfänger zur Anwendung des EU-Vergaberechts verpflichtet, soweit sie für bestimmte Baumaßnahmen, nämlich
- Tiefbaumaßnahmen
- Krankenhäuser
- Sport- Erholungs- oder Freizeiteinrichtungen
- Schul-, Hochschul- oder Verwaltungsgebäude oder
- zugehörige Dienstleistungen
staatliche Mittel von mehr als 50 % des Projektvolumens erhalten.
Da es sich um eine gesetzliche Ausschreibungspflicht nach dem EU-Vergaberecht handelt, steht Dritten, die den Auftrag nicht erhalten haben, bei Verstößen der klassische vergaberechtliche Rechtsschutz zur Verfügung, d.h. bei Verstößen gegen einzelne Vorschriften des Vergaberechts ist das Nachprüfungsverfahren zur Vergabekammer eröffnet. Unterbleibt die Ausschreibung vollständig, kann der Vertrag gemäß § 135 GWB auch noch nachträglich als sog. De facto Vergabe bei der Vergabekammer angefochten werden.
Ausschreibungspflichten aufgrund eines ZuwendungsbescheidsDes Weiteren können Zuwendungsbescheide der Grund für eine Anwendungspflicht des Vergaberechts für Unternehmen sein. Diese Fallgruppe hat noch deutlich größere praktische Bedeutung, da damit vergaberechtliche Pflichten auch jenseits der o.g. Maßnahmen und unabhängig von einer bestimmten Förderquote begründet werden. Daraus ergeben sich verschiedene Pflichten und auch Risiken im Hinblick auf etwaige Rückforderungen von Zuwendungen.
Vorgaben im ZuwendungsbescheidZuwendungsbescheide enthalten regelmäßig sog. Allgemeine Nebenbestimmungen (ANBest), in denen u.a. die anzuwendenden vergaberechtlichen Bestimmungen genannt sind. Durch die Vorgabe, das Vergaberecht bei Beschaffungsmaßnahmen anzuwenden, soll die wirtschaftliche Mittelverwendung sichergestellt werden. Die ANBest werden jeweils verbindlicher Bestandteil des Zuwendungsbescheids und müssen daher von dem Zuwendungsempfänger eingehalten werden. Es gibt verschiedene Arten Allgemeiner Nebenbestimmungen, z.B. für Zuwendungen zur institutionellen Förderung (ANBest-I) oder zur Projektförderung (ANBest-P). Die verschiedenen ANBest enthalten verschiedene Anforderungen zur Anwendung des Vergaberechts.
Zuwendungsgeber können über die Vorgaben der ANBest hinaus bestimmen, dass weitere Regelungen des Vergaberechts anzuwenden und einzuhalten sind. Dadurch werden dem Zuwendungsempfänger Handlungspflichten vorgeschrieben. Diese sind als Auflage i.S. von § 36 Abs. 2 Nr. 4 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) zu qualifizieren.
In Zuwendungsbescheiden wird regelmäßig darauf hingewiesen, dass im Falle eines Verstoßes gegen die Nebenbestimmungen und Auflagen die Zuwendung widerrufen werden kann. Missachtet ein Unternehmen daher die jeweils anwendbaren ANBest oder weitere Auflagen, besteht die Gefahr, dass der Zuwendungsbescheid – je nach Schwere des Verstoßes – ganz oder teilweise widerrufen und die etwaig ausgezahlte Förderung zurückgefordert wird.
Pflicht zur Durchführung eines VergabeverfahrensBeabsichtigt ein Unternehmen, mit zugewendeten Mitteln einen Auftrag an einen Dritten zu erteilen, zum Beispiel Dienstleistungen zur Durchführung eines geförderten Projekts einzukaufen, enthalten die ANBest verschiedene Pflichten zur Anwendung des Vergaberechts. Teilweise ist die Pflicht für den Zuwendungsempfänger vorgesehen, bestimmte Regelungen der Unterschwellenvergabeverordnung (UVgO) oder im Baubereich die Einhaltung von Teil A Abschnitt 1 der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A) bei einem Auftragswert von mehr als EUR 100.000 netto anzuwenden. Teilweise wird der Zuwendungsempfänger aber auch verpflichtet, umfassend das Vergaberecht, insbesondere im Falle der Überschreitung der EU-Schwellenwerte den vierten Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) nebst aller Vergaberechtsverordnung (VgV, KonzVgV, VSVgV, SektVO) anzuwenden. Im letzteren Fall gelten für das betroffene Unternehmen alle vergaberechtlichen Anforderungen, die auch für öffentliche Auftraggeber gelten. Im ersten Fall geht es regelmäßig darum, den Zuwendungsempfänger jedenfalls dazu zu verpflichten, ein Vergabeverfahren vor der Erteilung eines Auftrags an einen Dritten durchzuführen.
1. Die vergaberechtlichen Vorgaben zur Durchführung von Vergabeverfahren sind u.a. in der VgV sowie UVgO enthaltenDas Vergaberecht kennt verschiedene Ausschreibungsverfahren, die unter verschiedenen Voraussetzungen angewendet werden können. Der Regelfall ist die Durchführung eines offenen Verfahrens nach § 15 VgV bzw. einer öffentlichen Ausschreibung nach § 9 UVgO.Vorbereitung, Bekanntgabe und Vergabeunterlagen.
Die Durchführung eines Vergabeverfahrens muss öffentlich bekannt gemacht werden zum Beispiel über die Vergabeplattform www.service.bund.de. Ist die vollständige Anwendung des Vergaberechts bestimmt, hat die Bekanntmachung zwingend europaweit über https://ted.europa.eu/de/ zu erfolgen. Vor der Bekanntmachung sind alle Vergabeunterlagen zu erstellen, die für die Beschaffung einer Leistung relevant sind. Dazu gehören nach § 29 VgV bzw. § 21 UVgO
- ein Anschreiben, insbesondere eine Aufforderung zur Abgabe von Teilnahmeanträgen oder Angeboten oder Begleitschreiben für die Abgabe der angeforderten Unterlagen,
- eine Beschreibung der Einzelheiten der Durchführung des Verfahrens (Bewerbungsbedingungen), einschließlich der Angabe der Eignungs- und Zuschlagskriterien, sofern nicht bereits in der Auftragsbekanntmachung genannt, und
- Vertragsunterlagen, die aus einer Leistungsbeschreibung und den Vertragsbedingungen bestehen.
Die Vorbereitung der Vergabeunterlagen, insbesondere die Erstellung der Leistungsbeschreibung, kann mitunter zeitaufwendig sein, weswegen hierzu Vorbereitungszeit einzukalkulieren ist. Da der Zuschlag stets auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt werden muss, gehört zu der Erstellung der Vergabeunterlagen auch, dass das betroffene Unternehmen transparent bestimmt, wie die Angebote bewertet werden. Dazu sind Zuschlagskriterien zu definieren. Maßgeblich können nur der Preis, nur die zu bewertende Leistung oder eine Kombination aus Preis und Leistung sein. Regelmäßig wird hierzu eine Bewertungsmethode festgelegt. Die Methode zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes und Zuschlagskriterien müssen sodann in der Bekanntmachung des Vergabeverfahrens oder der Angebotsaufforderung veröffentlicht werden.
Die Vergabeunterlagen werden mit der Bekanntmachung allen interessierten Vertragspartnern bereitgestellt. In der Bekanntmachung muss eine Frist bestimmt werden, bis zu der Angebote eingereicht werden können. Im Anwendungsbereich der VgV beträgt diese Frist nach § 15 VgV mindestens 30 Tage. Im Anwendungsbereich der UVgO ist nach § 13 UVgO nur eine angemessene Frist zu bestimmen. Welche Frist angemessen ist, hängt von der zu beschaffenden Leistung ab, insbesondere wie viel Zeit die Kalkulation und Angebotserstellung üblicherweise in Anspruch nimmt.
2. Angebote, Prüfung und WertungAlle Angebote dürfen erst nach Ablauf der Angebotsfrist geöffnet, geprüft und gewertet werden. Die Wertung erfolgt in einem offenen Verfahren grundsätzlich vierstufig:
- 1. Stufe: Formale Wertung (form- und fristgerechte Abgabe, Vollständigkeit des Angebots, keine Abweichungen von der Leistungsbeschreibung)
- 2. Stufe: Eignungsprüfung (anhand der Eignungskriterien und geforderten Eignungsnachweisen)
- 3. Stufe: Preisliche Prüfung (Ausschluss von Niedrigpreisangeboten)
- 4. Stufe: Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots (anhand der Zuschlagskriterien und der Wertungsmethode). Hierbei hat das sich das ausschreibende Unternehmen streng an die festgelegte Bewertungsmethode zu halten.
Im offenen oder nicht offenen Verfahren bzw. im Rahmen einer öffentlichen oder beschränkten Ausschreibung sind Verhandlungen über die Angebote unzulässig. Unternehmen dürfen nur dann über Angebote verhandeln, wenn ein Verhandlungsverfahren nach § 17 VgV bzw. eine Verhandlungsvergabe nach § 12 UVgO durchgeführt wird, was nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen zulässig ist.
Exkurs:
Verhandlungsverfahren sind nach § 14 Abs. 3 VgV bzw. § 8 Abs. 4 UVgO insbesondere dann zulässig, wenn
- die Bedürfnisse des öffentlichen Auftraggebers nicht ohne die Anpassung bereits verfügbarer Lösungen erfüllt werden können,
- der Auftrag konzeptionelle oder innovative Lösungen umfasst oder
- der Auftrag aufgrund konkreter Umstände, die mit der Art, der Komplexität oder dem rechtlichen oder finanziellen Rahmen oder den damit einhergehenden Risiken zusammenhängen, nicht ohne vorherige Verhandlungen vergeben werden kann.
Verhandlungsverfahren sind deutlich zeitaufwendiger, da regelmäßig zunächst ein Teilnahmewettbewerb stattfindet, in dem die Eignung der Bieter anhand zuvor festgelegter Eignungskriterien sowie Referenzen überprüft wird. Anschließend können Erstangebote von allen geeigneten Bietern eingereicht werden. Es folgen Verhandlungen mit jedem geeigneten Bieter und erst danach werden finale Angebote von den teilnehmenden Bietern eingereicht. Es darf über alle leistungsbezogenen Angebotsinhalte verhandelt werden, indes nicht über die Wertungsmethode und Zuschlagskriterien. Für das Verhandlungsverfahren gelten zudem mehrere Fristen, die bei der Durchführung des Teilnahmewettbewerbs, der Erstellung der Erstangebote sowie der finalen Angebotserstellung jeweils zu beachten sind.
Im Vergaberecht gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz, sodass jedes Angebot gleich bewertet werden muss. Fehlen unternehmensbezogene Unterlagen, die für das Angebot relevant sind, können diese nachgefordert werden, wobei auch hier stets der Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten ist. Ebenso möglich und häufig erforderlich ist die Aufklärung der Angebote, wobei hier in den Regelverfahren die Grenze zur Verhandlung nicht überschritten werden darf.
3. ZuschlagDer Zuschlag wird auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt. Sofern ein EU-weites Vergabeverfahren durchzuführen war, sind alle Bieter nach § 134 GWB über die beabsichtigte Zuschlagserteilung zu informieren. In diesem Fall darf der Vertrag erst 10 Tage nach elektronischer Absendung der Information an die anderen Bieter geschlossen werden. Finden hingegen nur Vorschriften der UVgO Anwendung, darf der Zuschlag direkt erteilt werden und die nicht berücksichtigten Bieter sind nach § 46 UVgO erst nach erteiltem Zuschlag, jedoch unverzüglich nach Zuschlagserteilung darüber zu informieren. Da es sich nicht um eine gesetzliche Ausschreibungspflicht nach dem EU-Vergaberecht handelt, steht Dritten, die den Auftrag nicht erhalten haben, der Rechtsweg zu den Vergabekammern nicht offen.
Rückforderungsrisiko bei VergabeverstößenSchwerwiegende Verstöße gegen die ANBest stellen einen Grund für den Widerruf des Förderbescheids und die Rückforderung der Zuwendung dar. Das kann bei einem Verstoß gegen das Vergaberecht bejaht werden, weil in diesem Fall Auflagen aus dem Zuwendungsbescheid verletzt werden (OVG NRW, Urteil v. 12. Dezember 2024 – 10 A 2417/22). Dabei ist der Zuwendungsgeber auch nicht verpflichtet, die Einhaltung der Vergabevorschriften zu prüfen, vielmehr liegt dies allein im Risikobereich des betroffenen Unternehmens.
Die Entscheidung über die Schwere eines Verstoßes sowie über die Rückforderung als solche steht zwar im Ermessen des Zuwendungsgebers, allerdings kommt es in diesem Zusammenhang weder auf vorsätzliches noch fahrlässiges Handeln an. Maßgebend ist allein, dass die ANBest oder weitere Auflagen von dem Zuwendungsempfänger verletzt worden sind. In der Regel führt ein schwerwiegender Verstoß zu einem vollständigen Widerruf des Zuwendungsbescheides mit Wirkung für die Vergangenheit gemäß § 49 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 VwVfG sowie einem Erstattungsanspruch des Zuwendungsgebers nebst Zinsen gemäß § 49a Abs. 1 S. 1, Abs. 3 VwVfG.
Vor einem Widerruf ist das betroffene Unternehmen anzuhören. Sofern das Unternehmen gegen den Widerruf vorgehen will, ist in der Regel der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.
Wir freuen uns, dass Sie unsere Blogserie „Fördermittel und Subventionen“ begleiten. Weitere Beiträge wie Corona-Hilfen: Rückforderung bei verbundenen Unternehmen folgen!
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Wissen, was gleichwertig ist – Mit System zur rechtssicheren Bezahlung
Trotz jahrzehntelanger Gleichstellungsbemühungen bestehen signifikante Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern fort. Im Jahr 2022 lag das unbereinigte Gender Pay Gap in Deutschland bei 18 %. Frauen erzielten durchschnittlich 20,05 € brutto pro Stunde, während Männer auf 24,36 € kamen. Das bereinigte Gender Pay Gap betrug 7 %.
Hauptursachen sind höhere Teilzeitquoten bei Frauen, Tätigkeiten in schlecht entlohnten Branchen und ein niedriger Anteil weiblicher Führungskräfte. EU-weit lag das unbereinigte Lohngefälle bei 12,7 % und verharrt seit Jahren auf einem ähnlichen Niveau. Dieser Ungleichbehandlung will der europäische Gesetzgeber mit der EU-Entgelttransparenzrichtlinie (2023/970/EU) entgegenwirken.
Status quo: Nationale Regelungen bisher wenig effektivDas deutsche Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) enthält zwar ein Verbot der Entgeltdiskriminierung aufgrund des Geschlechts. Studien zeigen jedoch, dass das Gesetz in der Praxis kaum Wirkung entfaltet, da es zu wenig bekannt ist, umgangen wird und keine wirksamen Sanktionen vorsieht.
Die Entgelttransparenz-Richtlinie: Neue Pflichten, klare BewertungskriterienDie Entgelttransparenz-Richtlinie (2023/970/EU) bringt in vielerlei Hinsicht echte Neuerungen mit sich: Sie verpflichtet Unternehmen zu konkreten Maßnahmen, erhöht Berichtspflichten sowie Auskunftsrechte der Arbeitnehmer* und sieht Sanktionen bei Verstößen vor. Ausgangspunkt für all diese Pflichten ist stets die Frage, ob und welche beschäftigten Männer und Frauen „gleiche“ oder „gleichwertige“ Arbeit verrichten und damit Anspruch auf „gleiches Entgelt“ haben. Diese sogenannte Entgeltbewertung ist nach der Richtlinie anhand objektiver, geschlechtsneutraler Kriterien, unabhängig von Funktionsbezeichnungen oder organisatorischen Strukturen, vorzunehmen. Als solche objektiven, geschlechtsneutralen Kriterien nennt die Richtlinie insbesondere:
- Kompetenzen
- Belastungen
- Verantwortung
- Arbeitsbedingungen
Weitere arbeitsplatz- oder positionsspezifische Faktoren können ergänzend berücksichtigt werden. Entscheidend ist dabei, dass die Bewertung nicht auf bloßen Funktionsbezeichnungen basiert und sich auch nicht an Maßstäben wie etwa der Vergleichbarkeit im Rahmen einer Sozialauswahl orientiert.
„Gleichwertige Arbeit“ im Sinne der RichtlinieDie Richtlinie stärkt nicht nur das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, sondern weitet dieses auf „gleichwertige Arbeit“ aus. Auch wenn Tätigkeiten nicht identisch sind, müssen sie gleich vergütet werden, wenn sie nach objektiven Kriterien als gleichwertig einzustufen sind.
Gleichwertig ist Arbeit dann, wenn sie vergleichbare Anforderungen an Qualifikation, Verantwortung, Belastung und Arbeitsbedingungen stellt. Es geht nicht um formale Titel oder Abteilungen, sondern um eine sachliche Bewertung der tatsächlichen Anforderungen und Inhalte der Tätigkeit.
Typische Bewertungskriterien für die Gleichwertigkeit sind:
- Fachliche und persönliche Kompetenzen (Ausbildung, Erfahrung, Sozialkompetenz)
- Verantwortung (z.B. Personalführung, Budgetverantwortung)
- Belastungen (körperlich, psychisch, zeitlich)
- Arbeitsbedingungen (z.B. Schichtarbeit, Außendienst, Umgebungseinflüsse)
Ein Beispiel: Eine Personalreferentin mit Personalverantwortung und ein technischer Projektleiter mit ähnlichem Verantwortungsgrad können gleichwertige Arbeit leisten, auch wenn ihre Tätigkeiten inhaltlich verschieden sind.
Unternehmen sollten daher geschlechtsneutrale und transparente Bewertungsmodelle implementieren, um strukturell benachteiligende Unterschiede zu identifizieren und zu vermeiden.
Neu: Gemeinsame Entgeltbewertung („Joint Pay Assessment“) bei Gender Pay GapEin weiteres zentrales Instrument der Richtlinie ist die verpflichtende gemeinsame Entgeltbewertung („Joint Pay Assessment“) durch Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretung. Sie ist immer dann durchzuführen, wenn innerhalb einer Arbeitnehmergruppe ein Gender Pay Gap von mindestens 5 % besteht und hierfür keine objektive Rechtfertigung vorliegt. In einem solchen Fall sind Arbeitgeber verpflichtet, gemeinsam mit Betriebsräten oder Gewerkschaften Ursachen des Lohnunterschieds zu analysieren und Maßnahmen zu dessen Beseitigung zu entwickeln.
Mit der EU-Entgelttransparenzrichtlinie kommen offene Auslegungsfragen und praktische HerausforderungenTrotz des klaren Regelungsziels werfen einzelne Vorgaben der Richtlinie Auslegungs- und Abgrenzungsfragen auf, die bei der nationalen Umsetzung sowie in der betrieblichen Praxis von erheblicher Relevanz sind:
1. Vergleichseinheit: Unternehmen oder Betrieb?Die Richtlinie nennt in Art. 19 den „Arbeitgeber“ als Bezugspunkt für die Entgeltbewertung. Daraus lässt sich – nach systematischer Auslegung – ableiten, dass die Tätigkeiten unternehmensweit und nicht nur betriebsbezogen verglichen werden müssen. Regionale Unterschiede, verschiedene Tarifbindungen oder wirtschaftliche Strukturen einzelner Standorte werden durch die Richtlinie bislang nicht ausdrücklich berücksichtigt.
2. Bewertung spezifischer EntgeltbestandteileBesondere Herausforderungen ergeben sich bei der Einordnung und Bewertung variabler oder atypischer Vergütungskomponenten, etwa:
- Mitarbeiterbeteiligungen (z.B. Aktienoptionen), die konzernweit oder durch ausländische Muttergesellschaften gewährt werden,
- Abfindungen, deren Höhe im Einzelfall stark von individuellen Verhandlungspositionen, Prozessrisiken oder sozialen Gesichtspunkten abhängen kann. Gerade bei individuell verhandelten Abfindungen – etwa außerhalb eines Sozialplans – ist die Vergleichbarkeit schwer herstellbar.
Unternehmen sollten daher auf eine saubere Dokumentation der Verhandlungsumstände und der maßgeblichen Bemessungskriterien achten.
3. Berufserfahrung und AusfallzeitenAuch bei der Bewertung von Berufserfahrung ist Sorgfalt geboten. Es stellt sich die Frage, inwieweit Ausfallzeiten infolge von Elternzeit, Mutterschutz oder Teilzeitarbeit Berücksichtigung finden dürfen, ohne eine mittelbare Diskriminierung zu begründen.
Handlungsbedarf: Bewertungssysteme rechtzeitig aufsetzenDie Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht muss bis zum 7. Juni 2026 erfolgen. Unternehmen sollten jedoch nicht abwarten, sondern sich frühzeitig vorbereiten. Bereits jetzt empfiehlt es sich, folgende Maßnahmen anzugehen:
- bestehende Entgeltsysteme zu überprüfen und strukturelle Lücken zu identifizieren
- objektive und geschlechtsneutrale Bewertungsmodelle für Tätigkeiten zu entwickeln
- sämtliche Entgeltbestandteile transparent zu erfassen und zu dokumentieren
- HR-Prozesse, Arbeitsverträge (z.B. Verschwiegenheitsklauseln) und Bewerbungsverfahren auf Konformität mit den neuen Vorgaben auszurichten,
- gezielte Schulungen für HR, Führungskräfte und Betriebsräte zur neuen Rechtslage durchzuführen.
Die Entgelttransparenz-Richtlinie stellt Unternehmen vor neue rechtliche und organisatorische Anforderungen. CMS berät Sie umfassend bei der Einführung geeigneter Entgeltbewertungs- und Dokumentationssysteme – rechtssicher, praxisnah und passgenau für Ihr Unternehmen.
Mit unserem digitalen Analysetool CMS Pay Gap Compliance identifizieren wir etwaige Entgeltunterschiede, schaffen belastbare Bewertungsgrundlagen und begleiten Sie bei der Ausgestaltung nachhaltiger und rechtssicherer Vergütungssysteme im Einklang mit europäischem Recht.
Sprechen Sie uns gerne an – wir stehen Ihnen bei der gesetzeskonformen Umsetzung kompetent zur Seite.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.
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Familien in unsicheren Zeiten – Der Wunsch nach einem Plan B
Viele Familien spüren aktuell eine wachsende Unsicherheit. Geopolitische Spannungen, der Aufstieg populistischer Bewegungen sowie der Vertrauensverlust in demokratische Strukturen prägen die gesellschaftliche Stimmung. Hinzu kommt die Sorge um die persönliche Sicherheit im eigenen Land.
Obwohl viele Familien grundsätzlich in Deutschland verwurzelt bleiben möchten, wächst parallel der Gedanke an Alternativen. Der Wunsch nach einem „Plan B“ gewinnt an Bedeutung.
Sicherheit im Wandel – Was bedeutet ein Plan B für Familien?Ein Plan B ist immer individuell. Er richtet sich nach der Lebenssituation der Familienmitglieder, dem vorhandenen Vermögen, den persönlichen Zielsetzungen und den Motiven. Ein Plan B reicht von dem Kauf von Goldmünzen oder der Eröffnung eines Bankkontos im Ausland bis zum Erwerb einer zusätzlichen ausländischen Staatsangehörigkeit und einem konkreten Ablaufplan für den speziellen Tag. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über zentrale Überlegungen, die Familien in ihre Planungen einbeziehen.
Vorbereitungen im Wegzugsland DeutschlandEin möglicher Wegzug beginnt mit der Analyse der Konsequenzen in Deutschland. Besonders relevant ist die Wegzugsbesteuerung. Diese kann erhebliche finanzielle Belastungen nach sich ziehen. Verkürzt dargestellt, greift die Wegzugssteuer ein, wenn eine in Deutschland lebende Person ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt ins Ausland verlegt und mindestens 1 % an einer Kapitalgesellschaft besessen hat (seit 2025 auch bei bspw. ETF’s mit Anschaffungskosten von mindestens EUR 500.000).
Zwischenfazit: Zwingende Prüfung einer potenziellen Wegzugssteuer und eine Anpassung der Struktur zur Vermeidung soweit möglich.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie Einkünfte und Vermögen im Zuzugsland verfügbar gemacht werden. Sollen Vermögenswerte bereits heute im Ausland verwaltet oder erst im Ernstfall kurzfristig transferiert werden? Oder empfiehlt sich ein internationaler Familienpool, der unabhängig vom späteren Zuzugsland funktioniert?
Zwischenfazit: Ein internationaler Familienpool für bestimmte Vermögenswerte außerhalb Deutschlands ist eine häufig gewählte Lösung, um flexibel zu bleiben.
Auswahl des potenziellen ZuzugslandesDie Wahl des Ziellandes ist stark von individuellen Faktoren geprägt. Während Nachbarländer wie die Schweiz oder Österreich für viele nicht mehr die erste Wahl darstellen, gewinnen andere Standorte an Attraktivität:
- in Europa gelten Irland, Balearen, Monaco als aktuelle europäische Favoriten; Italien lockt mit steuerlichen Sonderprogrammen wie der Pauschalbesteuerung von EUR 200.000 jährlich, die Auslandseinkünfte steuerfrei stellt.
- Wenn Europa keine Option ist, rücken häufig die USA, Kanada, Neuseeland oder Australien in den Fokus.
Die Tiefe der Vorbereitung bestimmt die Handlungsfähigkeit im Ernstfall. Je schneller ein Wegzug möglich sein soll, desto präziser müssen die Schritte geplant sein. Typische Stufen sind:
Basismaßnahmen
- Pässe mit einer Restlaufzeit von mindestens sechs Monaten sicherstellen.
- Visa- und Aufenthaltsregelungen im Zuzugsland klären.
- Zugriff auf Vermögen außerhalb Deutschlands gewährleisten.
Ergänzung: Vermeidung einer Wegzugsbesteuerung
- Potenzielle Wegzugsbesteuerung prüfen.
- Möglichkeiten zur Vermeidung durch geeignete Strukturen wie KG-Struktur oder Familienstiftung nutzen.
Ergänzung: Vermögenszugriff im Ausland
- Vorbereitungen reichen von der Kontoeröffnung bis zur Strukturierung von Vermögen im Ausland.
- Deutsche Familien nutzen häufig eine Familienstiftung in Liechtenstein; Trusts sind wegen steuerrechtlicher Hürden selten.
- Oft zeigt sich, dass die nächste Generation international geprägt ist, weshalb eine internationale Vermögensbündelung unabhängig des Plan B sinnvoll ist.
- Eine Familienstiftung in Liechtenstein ermöglicht ein „Generation-Skipping“ und kann deutsche Schenkung-, Erbschaft- sowie Erbersatzsteuer vermeiden; zugleich unterstützt sie die Internationalisierung der Familie.
Ergänzung: Visa und Staatsangehörigkeit
- Ab 2024 ermöglicht eine Gesetzesänderung in Deutschland den Erwerb einer zweiten Staatsangehörigkeit, ohne die deutsche zu verlieren.
- Somit ist für Deutsche die Möglichkeit eröffnet auch präventiv eine weitere Staatsantehörigkeit zu erwerben. Zu prüfen ist, welche Bedingungen für den Erwerb im Zielland gelten.
- In den USA bestehen Investitionsprogramme, die durch Investitionen Aufenthaltsrechte eröffnen und Präsident Trump erweitert diese aktuell mit dem Ziel des Erwerbs der US-Staatsbürgerschaft („Gold- bzw. Platin-Card“).
Ergänzung: Immobilien
- Der Erwerb einer Immobilie im Zielland schafft eine faktische Sicherheit für einen Plan B.
- In vielen Ländern ist der Immobilienerwerb eng mit Aufenthaltsrechten verknüpft.
Ergänzung: Detaillierte Vorbereitungen
- Steuerliche Pflichten im Zielland klären.
- Notfalldokumente wie Vollmachten und Testament erstellen.
- Aufbau von „Fluchtwährungen“ wie Gold- oder Silbermünzen.
- Planung und regelmäßige Aktualisierung einer möglichen Fluchtroute für die Familie
Ein Plan B ist keine Abkehr von Deutschland, sondern eine durchdachte Vorsorge. Er eröffnet Familien die Möglichkeit, in unsicheren Zeiten Handlungsspielräume zu bewahren, statt erst im Notfall reagieren zu müssen. Wer sich frühzeitig vorbereitet, kann Strukturen schaffen, die sowohl Sicherheit als auch Flexibilität für die Familienmitglieder bieten.
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KI-Update für Arbeitgeber: Referentenentwurf des KI-VO-Durchführungsgesetzes
Am 1. August 2024 trat die europäische KI-Verordnung (Verordnung (EU) 2024/1689 – KI-VO) in Kraft. Zwar greifen die zentralen Pflichten der KI-VO erst ab dem 2. August 2026 (z.B. für neue Hochrisiko-KI-Systeme und GPAI-Modelle). Die EU-Mitgliedstaaten waren jedoch bereits bis August 2025 verpflichtet, die in der KI-VO vorgesehenen Aufsichtsbehörden zu benennen. Mit etwas Verspätung liegt nun auch in Deutschland mit dem Referentenentwurf für ein Gesetz zur Durchführung der KI-Verordnung vom 4. August 2025 (KI-VO-DG-RefE) ein umfassendes Konzept zur nationalen Umsetzung vor. Die aus Arbeitgebersicht wesentlichen Inhalte des Entwurfs haben wir für Sie im Folgenden zusammengefasst.
Praxishinweis: Eine für Arbeitgeber* wesentliche Pflicht der KI-VO gilt bereits seit dem 2. Februar 2025: Anbieter und Betreiber von KI-Systemen sind nach Art. 4 KI-VO verpflichtet, innerhalb der Belegschaft für ein hinreichendes Maß an KI-Kompetenz zu sorgen.
KI am Arbeitsplatz fällt unter die Zuständigkeit der BNetzADer KI-VO-DG-RefE benennt die Bundesnetzagentur (BNetzA) als generelle Marktüberwachungsbehörde. Diese ist für sämtliche Bereiche zuständig, die nicht spezialgesetzlich geregelten Fachaufsichten unterfallen (z.B. dem Kraftfahrt-Bundesamt im Bereich des Straßenverkehrs). Diese allgemeine Zuständigkeit erfasst auch den Einsatz von KI am Arbeitsplatz. Die Gesetzesbegründung stellt ausdrücklich klar, dass der Zuständigkeitsbereich der BNetzA unter anderem die in Anhang III der KI-VO genannten Bereiche „KI am Arbeitsplatz und in Bildungseinrichtungen″ umfasst. Es ist außerdem vorgesehen, dass die BNetzA als zentrale Anlaufstelle i.S.d. Art. 70 Abs. 2 KI-VO dient (§ 6 KI-MIG-RefE). Damit soll sie als zentraler deutscher Ansprechpartner für alle Fragen der Anwendung der KI-VO auf Ebene der Mitgliedstaaten und der Union sowie als Schnittstelle zum EU AI Office fungieren.
Die Benennung der BNetzA als Marktaufsichtsbehörde ist keine Überraschung. Schon vor der gesetzlichen Fixierung im KI-VO-DG-RefE hat die BNetzA gezielt Strukturen geschaffen, um sich als zentrale Kompetenzstelle für KI aufzustellen. Spätestens seit dem Frühjahr 2025 fungiert sie in der Praxis gegenüber Wirtschaft, Verwaltung und Wissenschaft als primäre Ansprechpartnerin für Fragen der KI-Regulierung. So hat die BNetzA beispielsweise im Juni 2025 ein Hinweispapier zur in Art. 4 KI-VO geforderten KI-Kompetenz veröffentlicht und im Juli 2025 einen KI-Service Desk eingerichtet, der als niedrigschwellige Anlaufstelle für regulatorische Fragen im KI-Kontext dient.
BNetzA erhält weitreichende DurchsetzungsbefugnisseZur Erfüllung ihrer Funktion als Marktüberwachungsbehörde erhält die BNetzA weitreichende Befugnisse zur Überwachung und Durchsetzung der Vorgaben der KI-VO (§ 11 KI-VO-DG-RefE). Die Behörde wird beispielsweise mit der Befugnis ausgestattet, die Vorlage relevanter Dokumente, technischer Spezifikationen oder Informationen über die Konformität von KI-Systemen zu verlangen. Sie ist zudem ermächtigt, Wirtschaftsakteure aufzufordern, Maßnahmen zu ergreifen, um einen unzulässigen Einsatz von KI abzustellen. Hinzu kommt, dass die BNetzA erforderlichenfalls alle notwendigen Maßnahmen ergreifen kann, um einen unzulässigen KI-Einsatz oder damit verbundene Risiken zu beenden.
Zur nationalen Umsetzung der Bußgelder ist geregelt, dass Verstöße i.S.d. Art. 99 Abs. 3 bis 5 KI-VO als Ordnungswidrigkeiten zu klassifizieren sind (§ 15 KI-VO-DG-RefE). Zuständig für die Verfolgung und Ahndung von Verstößen gegen die KI-VO am Arbeitsplatz ist die BNetzA als Marktüberwachungsbehörde. Ferner ist zu beachten, dass § 30 OWiG nach dem KI-VO-DG-RefE keine Anwendung findet, mit der Folge, dass juristische Personen unmittelbar mit Geldbußen belegt werden können. Hinzu kommt, dass eine Einstellung von Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft i.S.d. § 69 Abs. 4 S. 2 OWiG nur mit Zustimmung der Marktüberwachungsbehörde möglich ist.
Praxishinweis: Aus Arbeitgebersicht sieht der Referentenentwurf mit der BNetzA nunmehr einen klaren staatlichen Ansprechpartner für regulatorische Fragen zum Einsatz von KI-Systemen am Arbeitsplatz (z.B. Recruiting, Personalverwaltung oder Arbeitnehmerüberwachung) vor. Zugleich wird mit der BNetzA aber auch eine Aufsichtsbehörde mit weitreichenden Überwachungs- und Durchsetzungsbefugnissen eingesetzt.
Hinweisgeberschutz wird auf Verstöße gegen die KI-VO ausgeweitetDarüber hinaus ist eine Erweiterung des Hinweisgeberschutzgesetzes vorgesehen (Art. 2 KI-VO-DG-RefE): Der sachliche Anwendungsbereich in § 2 Abs. 1 HinSchG soll künftig ausdrücklich auch Verstöße gegen die KI-Verordnung als meldefähige Sachverhalte erfassen. Durch diese Ausweitung trägt der deutsche Gesetzgeber Art. 87 KI-VO Rechnung, der die Meldefähigkeit von Verstößen gegen die KI-Verordnung vorsieht. Für Arbeitgeber folgt hieraus die Notwendigkeit, interne Meldestellen und Prozesse um KI-spezifische Falltypen (z.B. unzulässige Praktiken, Defizite bei Hochrisiko-Systemen, Transparenzverstöße) zu erweitern. Diese Ausweitung sollte von Arbeitgebern als Chance verstanden werden. Denn durch transparente und niedrigschwellige interne Meldekanäle kann das Risiko externer Meldungen, beispielsweise gegenüber der BNetzA, über angebliche Verstöße gegen die KI-VO und die damit verbundenen Belastungen (behördliche Prüfungen, Reputationsschäden etc.) reduziert werden.
KI-VO und SozialgeheimnisRelevant für Arbeitgeber ist darüber hinaus die im Referentenentwurf enthaltene Anpassung der Regelung zum Sozialgeheimnis. Die Vorgaben der KI-VO sollen auch im Hinblick auf Sozialdaten Anwendung finden (Art. 3 KI-VO-DG-RefE). Hierzu soll in § 35 Abs. 2 SGB I festgelegt werden, dass die Verarbeitung von Sozialdaten durch die Sozialgesetzbücher abschließend geregelt wird, soweit die DSGVO und nun auch die KI-VO keine unmittelbar geltenden Schutzvorschriften enthalten.
Praxishinweis: Diese Erweiterung des § 35 Abs. 2 SGB I unterstreicht, dass bei der Verarbeitung personenbezogener Sozialdaten die Vorgaben der DSGVO und der KI-VO parallel beachtet und eingehalten werden müssen.
Einbindung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und ArbeitsmedizinEine zentrale Koordinierungsfunktion bei der staatlichen Aufsicht auf Unionsebene soll die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) einnehmen (§ 7 KI-VO-DG-RefE). Nach dem Entwurf hat die jeweils zuständige Marktüberwachungsbehörde die Unterrichtung der Kommission und anderer Mitgliedstaaten bei unionsweit relevanten Vorfällen i.S.d. Art. 79, 81 KI-VO unverzüglich über die BAuA vorzunehmen. Der Hintergrund dieser Zuständigkeitsverteilung ist praktischer Natur: Die BAuA soll diese Rolle ausüben, da derartige Meldungen bereits für viele Rechtsvorschriften der Union über sie erfolgen.
Konsequenzen für Arbeitgeber: Mehr Rechtssicherheit, aber auch höhere Compliance-AnforderungenDer KI-VO-DG-RefE bringt für Arbeitgeber sowohl Klarheit als auch zusätzliche Compliance-Anforderungen mit sich. Nach dem Entwurf wird mit der BNetzA nunmehr ein konkreter staatlicher Ansprechpartner, aber zugleich auch eine mit ernstzunehmenden Durchsetzungsbefugnissen ausgestattete Aufsichtsbehörde eingerichtet. Zudem werden der Hinweisgeber- und Sozialdatenschutz um Vorgaben zur Einhaltung der KI-VO ergänzt.
Damit steigt für Arbeitgeber der Druck, interne Compliance-Strukturen vor dem Hintergrund der Vorgaben der KI-VO anzupassen und ihre nächsten Schritte bei der operativen Implementierung von KI-Systemen auch unter Compliance-Gesichtspunkten sorgfältig zu steuern. Arbeitgeber, die auf der Basis eines Gesamtkonzepts frühzeitig Inventuren, Governance-Maßnahmen und Schulungen durchführen, sichern sich nicht nur gegen behördliche Prüfungen ab, sondern stärken auch das Vertrauen in der Belegschaft und in der Öffentlichkeit in den verantwortungsvollen Einsatz von KI.
In unserem CMS-Blog halten wir Sie mit unserer Blog-Serie „Künstliche Intelligenz“ fortlaufend zu diesem Thema auf dem Laufenden. Sie können diese Blog-Serie über den RSS-Feed abonnieren und werden von uns über neue Beiträge benachrichtigt. Im Rahmen dieser Blog-Serie sind bereits Beiträge erschienen zu Fragen, was „KI-Systeme“ i.S.d. KI-Verordnung bedeutet oder Themen wie AI-Washing. Weitere Beiträge beschäftigen sich mit der GPAI-Compliance oder mit dem Urteil des OLG Köln: KI-Training mit Nutzerdaten ist zulässig sowie dem Referentenentwurf zum KI-Marktüberwachungs- und Innovationsförderungsgesetz.
Haben Sie Anregungen zu weiteren Themen rund um KI, die in unserer Blog-Serie „Künstliche Intelligenz“ nicht fehlen sollten? Schreiben Sie uns gerne über blog@cms-hs.com.
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* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.
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Open Source in IT-Projekten
Open Source Software (oft abgekürzt als „OSS“) ist aus der heutigen IT-Landschaft kaum mehr wegzudenken. Von Webframeworks über Audio-Formate bis hin zu Bibliotheken für maschinelles Lernen: Für viele technische Herausforderungen lassen sich Open-Source-Lösungen finden.
Begriffsbestimmung: Open Source vs. Closed Source„Source„ bezieht sich dabei auf den Sourcecode eines Programms, also den Programmcode, der in einer für Menschen lesbaren Programmiersprache geschrieben ist und erst nach Übersetzung in maschinenlesbaren Code mittels eines sog. „Compilers“ dann auf einem Computer ausgeführt werden kann. Dabei ist die Frage, wann Software als „Open Source“ gilt, nicht immer einfach zu beantworten. Eine allgemeingültige oder gesetzliche Definition des Begriffs existiert nicht. Stattdessen verwenden verschiedene Organisationen und Interessensgruppen unterschiedliche und in Details teils voneinander abweichende Definitionen.
Diesen Definitionen ist in der Regel aber jedenfalls gemein, dass unter OSS solche Software zu verstehen ist, deren Sourcecode für jedermann verfügbar ist und unter einer Lizenz steht, die dem Verwender das Recht zur Nutzung, Veränderung und Weitergabe der Software unter den jeweiligen Lizenzbedingungen einräumt. Teil der „Open Source“ Definition kann auch die Verpflichtung sein, selbst den Sourcecode offenlegen zu müssen, wenn der Verwender der OSS am Sourcecode Modifikationen vornimmt oder diesen in eine andere Software einbettet.
Das Gegenstück zur OSS (also Software, die vom jeweiligen Entwickler nur unter restriktiven Nutzungsrechten vertrieben wird und deren Sourcecode der Entwickler regelmäßig geheim hält) wird in Abgrenzung zur „Open Source“ üblicherweise als „Closed Source“ oder auch „Proprietäre Software“ bezeichnet. Statt des Sourcecodes stellt der Entwickler von proprietärer Software regelmäßig nur das bereits in maschinenlesbaren Code übersetzte und ausführbare Programm selbst zur Verfügung. Aus diesem kann der Sourcecode nicht ohne weiteres abgeleitet werden und die Vornahme von Änderungen an der Software ist für den Verwender ist dadurch bereits aus technischen Gründen nur schwer möglich.
Open Source bietet Chancen und Risiken gleichermaßenIn den allermeisten Fällen wird OSS von ihren Entwicklern kostenlos angeboten. Das heißt aber nicht automatisch, dass eine Nutzung von OSS beliebig und ohne Vorgaben zur Nutzung möglich ist. Bei der Entscheidung, ob OSS in einem Projekt zum Einsatz kommen soll, muss beachtet werden, dass „Open Source“ nicht „rechtsfrei“ bedeutet. Die Nutzung der OSS wird von deren Entwicklern nämlich nur unter der Bedingung gestattet, dass die Bestimmungen der entsprechenden Lizenz, unter der die Software veröffentlicht wurde, eingehalten werden. Es kommt also ein rechtsverbindlicher Nutzungsvertrag zwischen den Entwicklern (als Lizenzgeber) und den Verwendern (als Lizenznehmer) zustande. Dieser Lizenzvertrag hat dann die Bedingungen der jeweiligen OSS-Lizenz zum Inhalt.
Viele OSS-Lizenzen (und damit auch viele Nutzungsverträge zwischen Entwicklern und Verwendern) enthalten umfangreiche Pflichten für den Verwender, der die OSS verwendet, modifiziert oder in eigene Software integriert. Ein Verstoß gegen diese Pflichten kann erhebliche rechtliche und wirtschaftliche Folgen haben. Diese reichen vom Unterlassungsanspruch bis hin zur Pflicht zur Offenlegung des eigenen vollständigen Quellcodes der Software, in die die OSS implementiert wurde. Diese können gegebenenfalls auch gerichtlich durchgesetzt werden.
Die Vorteile, die sich aus dem Rückgriff auf OSS für ein Projekt ergeben, liegen auf der Hand: Für viele Problemstellungen gibt es bestehende und optimierte Lösungen, die sofort verfügbar sind und damit die Entwicklungszeit für das Projekt erheblich verkürzen können. Für die Verwendung von OSS-Komponenten fallen in aller Regel keine unmittelbaren Lizenzkosten an, was die Projektkosten im Vergleich zur Lizenzierung kommerzieller Software klein hält. Zudem steht hinter OSS oft eine große Entwickler-Community, die erhebliches Knowhow in die Entwicklung der OSS einbringt. Dies führt einerseits oft zu qualitativ hochwertiger Software und erlaubt andererseits kurze Updatezyklen, die insbesondere eine schnelle Reaktion beim Bekanntwerden von Schwachstellen oder neuen Anforderungen an die Software ermöglichen.
Beispiele für Pflichten unter OSS-NutzungsverträgenWie oben erläutert erfolgt die Nutzung von OSS nicht „im rechtsfreien Raum“, sondern auf der Grundlage eines Nutzungsvertrags. Der Inhalt dieses Nutzungsvertrags und die sich daraus ergebenden Pflichten des Lizenznehmers richten sich nach der Lizenz, unter der die OSS zur Verfügung gestellt wird. Aufgrund der Vielzahl an verwendeten OSS-Lizenzen, die teils auch in modifizierter Form zur Anwendung kommen können, kann kein abschließender und allgemeingültiger Katalog von Pflichten aufgestellt werden, der den Verwender jeglicher OSS trifft. Welche Pflichten den Verwender konkret treffen, ist im Einzelfall vor Einsatz der OSS gründlich zu prüfen.
Die meisten OSS-Lizenzen verpflichten aber jedenfalls dazu, bei Weiterverbreitung der OSS (sei es als alleinstehende und gegebenenfalls modifizierte Software oder integriert in ein größeres Softwareprodukt) den Lizenztext mitzuliefern, bestehende Urheberhinweise im Quellcode zu erhalten, und den Sourcecode zugänglich zu machen.
Besonders die Pflicht zur Zugänglichmachung des Sourcecodes ist für Unternehmen riskant, da die Reichweite dieser Pflicht oft größer ist, als die Verwender sich klarmachen: Bei sogenannten „Copyleft“-Lizenzen wie beispielsweise der GPL droht die „Infektion“ proprietären Sourcecodes: Wird OSS in proprietäre Software integriert, kann eine Copyleft-Lizenz regeln, dass auch der eigentlich proprietäre Teil denselben Offenlegungspflichten unterfällt und damit faktisch von der OSS-Lizenz „infiziert“ wird. Das bedeutet, dass durch den Einsatz eines einzigen OSS-Codebausteins in einer umfangreichen Software, die ansonsten vollständig aus selbst entwickeltem Code besteht, gegebenenfalls der gesamte Sourcecode dieser Software offengelegt und Dritten unentgeltlich zugänglich gemacht werden müsste. Ein solches Szenario ist für jedes Unternehmen problematisch. Für Software-Startups, deren Unternehmenswert oft allein in der entwickelten Software liegt, ist eine solche „Infektion“ aber besonders kritisch, da diese im Zweifelsfall die Möglichkeiten zur Vermarktung des einzigen Produkts des Unternehmens erheblich erschwert und den Unternehmenswert massiv mindert.
Ein weiterer Aspekt, der insbesondere bei der Entwicklung von Firmware für Elektrogeräte relevant ist, wird unter dem Stichwort „Tivoization“ diskutiert. Dabei geht es um die Möglichkeit, vom Kunden veränderte Versionen der ursprünglich auf dem Gerät installierten OSS-Komponenten auch auf diesem Gerät auszuführen. Dies betrifft klassische Gerätekategorien wie Multimediageräte, aber potentiell auch kritische Komponenten wie Motorsteuergeräte, ABS-Systeme oder Herzschrittmacher. Während dieser Aspekt früher oft nicht ausdrücklich geregelt war, beinhalten neuere Lizenzbedingungen teilweise ausdrücklich die Pflicht, dies zu ermöglichen.
Der Umgang mit OSS im ProjektIn vielen Projekten wird der OSS-Einsatz vertraglich komplett ausgeschlossen. Entwickler werden in diesem Fall vertraglich verpflichtet, keine OSS-Komponenten zu verwenden, sodass dem Auftraggeber an dem Arbeitsergebnis exklusive und unbeschränkte Rechte eingeräumt werden können. Dieser Ansatz sorgt für klare und unkomplizierte IP-rechtliche Verhältnisse, sodass von vornherein feststeht, dass jegliche Nutzung der in dem Projekt entwickelten Software zulässig ist und der Auftraggeber in keiner Weise eingeschränkt wird. Dafür bezahlen Unternehmen jedoch mit der Notwendigkeit, eigene Lösungen selbst für Standardprobleme zu entwickeln, was einen nicht zu vernachlässigenden zeitlichen und finanziellen Aufwand bedeutet.
Gerade in neueren und inhaltlich weniger sensiblen Projekten wird oft ein differenzierter Ansatz verfolgt: Erlaubt ist dann regelmäßig die Nutzung von OSS mit „permissiven“ Lizenzen (beispielsweise BSD, MIT oder Apache 2.0), also Lizenzen, die keine erheblichen Pflichten für den Verwender der OSS und insbesondere keinen Copyleft-Effekt in Bezug auf proprietären Sourcecode des Nutzers vorsehen. Hierdurch wird die Nutzung von OSS-Komponenten und in der Folge eine schnellere und günstigere Entwicklung bei gleichzeitig begrenzten Offenlegungspflichten ermöglicht. Allerdings verlangt dieser Ansatz ein erhöhtes Augenmerk auf effektives Lizenzmanagement. Zudem besteht (anders als wenn von vornherein feststeht, dass generell keine OSS verwendet werden darf) eine größere Gefahr unbeabsichtigter Verwendung von OSS, die in Wahrheit unter einer Copyleft-Lizenz steht, wenn fälschlich angenommen wird, dass diese OSS unter einer permissiven Lizenz steht.
Unter Umständen entscheiden sich Auftraggeber aber auch ganz bewusst für den Einsatz von OSS und die Entwicklung des beauftragten Softwareprodukts unter einer Open-Source-Lizenz. Die Gründe hierfür können vielfältig sein: Womöglich ist beabsichtigt, eine Community aufzubauen, auf deren Ressourcen dann künftig für die Weiterentwicklung des Produkts zurückgegriffen werden kann, was die Weiterentwicklung erheblich vergünstigt und beschleunigt. Ein Interesse daran, das eigene Produkt unter einer OSS-Lizenz zu verbreiten, haben aber auch Anbieter, die versuchen ihre Software als Standard zu etablieren (oder im Gegenteil, den teuren Standard eines Mitbewerbers durch ein attraktives Alternativangebot zu verdrängen), da die Nutzung ihres OSS-Angebots für ihre Kunden aus den oben ausgeführten Gründen als vorteilhaft wahrgenommen wird. Durch die niedrige wirtschaftliche Hürde für Dritte, kann zudem ein Anreiz gesetzt werden, ein Drittanbieter-Ökosystem um das entwickelte Produkt aufzubauen. Als Kehrseite müssen Anbieter freilich den Verlust exklusiver Verwertungsrechte sowie erhebliche Herausforderungen bei der Monetarisierung ihrer Software in Kauf nehmen.
Entscheidend bei Nutzung von „Open Source“ ist die vertragliche RegelungWie auch immer der Auftraggeber sich zu den Chancen und Risiken positioniert: Sobald er Entwicklungsleistungen im Rahmen von IT-Projekten aus der Hand gibt, sollten die damit im Zusammenhang stehenden Aspekte in dem entsprechenden Projekt- bzw. Entwicklungsvertrag detailliert geregelt werden.
Generell sollte ein solcher Vertrag eine klare Definition dessen enthalten, was unter „Open Source“ im Einzelfall zu verstehen ist, wenn dieser Begriff verwendet wird. In Anbetracht der breiten Palette an OSS-Lizenzen, unter denen Software lizenziert werden kann, ist hier Präzision gefragt. Besonders relevant ist dieser Punkt, wenn der Auftraggeber OSS nicht generell ausschließen möchte, sondern unter bestimmten Voraussetzungen erlauben oder sogar fördern möchte. Sinnvoll ist dazu insbesondere die Formulierung einer „White-List“, also einer abschließenden Aufzählung von Lizenzarten, die der Auftraggeber als unkritisch befunden hat. Der Auftragnehmer darf dann nur solche OSS verwenden, die unter einer in der White-List enthaltenen Lizenzen steht. Alternativ kann auch abstrakt beschrieben werden, unter welchen Rahmenbedingungen der Auftragnehmer die Entwicklung später nutzen und vertreiben möchte. Der Auftragnehmer kann dann dazu verpflichtet werden (idealerweise in Form einer Garantie), dass das Endprodukt unter Wahrung aller Lizenzbedingungen der in der Software eingesetzten Komponenten wie gewünscht genutzt bzw. vertrieben werden kann.
Sofern der Einsatz von OSS nicht generell verboten wird, sollte der Auftragnehmer dazu verpflichtet werden, verwendete OSS inkl. Lizenz und Version zu dokumentieren und diese Dokumentation stets aktuell zu halten. Nur so kann der Auftraggeber sicherstellen, dass er selbst ein ordnungsgemäßes Lizenzmanagement betreiben kann, das erforderlich ist, um die im Unternehmen bestehenden Lizenzvereinbarungen im Blick zu halten und die daraus erwachsenden Verpflichtungen einhalten zu können.
In dieser Blog-Serie informieren wir Sie zur erfolgreichen Vertragsgestaltung bei IT-Projekten. Dabei widmen wir zentralen Aspekten eigene Blog-Beiträge zu Themen wie
- 6 häufige Fehler in IT-Verträgen
- Change Management als Erfolgsfaktor für IT-Projekte
- Offener Projekt Scope: Erfolgsstrategien für IT-Vertragsgestaltung
- IT-Projekte erfolgreich steuern – Projektabhängigkeiten im Blick
- Mitwirkungspflicht vs. Obliegenheit: Mitwirkungsleistungen im IT-Projekt
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Betriebsratswahlen 2026 – Die zehn häufigsten Fehler, die es zu vermeiden gilt
2026 steht die nächste turnusmäßige Betriebsratswahl an, die durch den Wahlvorstand* vorbereitet und durchgeführt wird. Der Wahlprozess ist hochformalisiert und fehleranfällig. Schon vermeintlich kleine Fehler können zur Anfechtbarkeit der gesamten Wahl führen. Die Wahlvorstände tappen in der Praxis immer wieder in die gleichen Stolperfallen. Wir haben die zehn häufigsten Fehler bei der Vorbereitung und Durchführung von Betriebsratswahlen zusammengestellt, die Arbeitgeber kennen sollten, um eine ordnungsgemäße Betriebsratswahl zu gewährleisten.
1. Fehler: Verkennung des BetriebsbegriffsAnknüpfungspunkt für die Betriebsratswahlen ist der „Betrieb“. Für jeden Betrieb wird ein Betriebsrat gewählt. In der Praxis kann es zwischen dem Wahlvorstand und dem Arbeitgeber aber zu unterschiedlichen Auffassungen kommen, was genau der Betrieb ist.
Beispielsweise kann ein Arbeitgeber über zwei getrennte Betriebe verfügen, die der Wahlvorstand allerdings als einen einheitlichen Betrieb bewertet. Der Wahlvorstand würde in diesem Fall fehlerhaft die Wahl eines Betriebsrats auf beide Betriebe des Arbeitgebers erstrecken. Das hätte erhebliche weitere Fehler zur Folge: Es würden die falschen Arbeitnehmer als passiv und aktiv wahlberechtigt angesehen werden und eine höhere Anzahl an Betriebsratsmitgliedern als eigentlich nach § 9 BetrVG vorgesehen ist, gewählt werden.
2. Fehler: Falsche Ermittlung der ArbeitnehmerzahlUnstimmigkeiten zwischen Wahlvorstand und Arbeitgeber bestehen häufig auch bezüglich der Frage, wie viele wahlberechtigte Arbeitnehmer in dem Betrieb in der Regel beschäftigt sind. Schließlich ist die Anzahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer für die Größe des künftigen Betriebsrats maßgeblich.
Zu Fehlern kann es hier beispielsweise dadurch kommen, dass Personen mitgezählt werden, die nicht wahlberechtigt sind. Das gilt neben Geschäftsführern und leitenden Angestellten insbesondere für freie Mitarbeiter oder Arbeitnehmer in der Freistellungsphase der Altersteilzeit. Maßgeblich für die Bestimmung der Betriebsratsgröße im Sinne des § 9 BetrVG ist zudem die Zahl der in der Regel im Betrieb beschäftigten wahlberechtigten Arbeitnehmer. Entscheidend ist also die Personalstärke, die für den Betrieb im Allgemeinen kennzeichnend ist. Zufällige oder nur vorübergehende Schwankungen bleiben unberücksichtigt.
3. Fehler: Fehlbewertung des aktiven und passiven WahlrechtsDer Wahlvorstand muss bei der Aufstellung der Wählerliste sorgfältig prüfen, wer wahlberechtigt ist und wer wählbar ist. Dabei gilt der Grundsatz, dass alle Arbeitnehmer des Betriebs wahlberechtigt sind, die das 16. Lebensjahr vollendet haben (§ 7 Satz 1 BetrVG). Wählbar sind grundsätzlich alle aktiv Wahlberechtigten, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und sechs Monate dem Betrieb angehören (§ 8 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Zu den Fragen, die sich in diesem Zusammenhang regelmäßig stellen, gehören insbesondere die folgenden:
Darf ein gekündigter Arbeitnehmer an der Betriebsratswahl teilnehmen? Die richtige Antwort, die in der Praxis zum Teil verkannt wird, lautet: Ja, wenn die Kündigung zwar schon ausgesprochen wurde, die Kündigungsfrist aber noch nicht abgelaufen ist.
Können Leiharbeitnehmer im Betrieb des Entleihers an der Betriebsratswahl teilnehmen? Die richtige Antwort lautet: Ja, wenn ihr Einsatz dort länger als drei Monate dauert. Maßgeblich ist eine Prognoseentscheidung, die sich in der Regel am Vertrag zwischen Verleiher und Entleiher orientiert.
Darf ein Arbeitnehmer, der sich in der Freistellungsphase der Altersteilzeit befindet, an der Betriebsratswahl teilnehmen? Hier lautet die richtige Antwort: Nein. Er ist nicht wahlberechtigt, da er nicht mehr in den Betrieb eingegliedert ist.
Im Mai 2025 hat das Bundesarbeitsgericht nunmehr die Frage bejaht, ob Führungskräfte in Matrix-Strukturen auch in dem Betrieb mitwählen dürfen, in dem sie Arbeitnehmer führen. Sie können in der Folge in mehreren Betrieben wahlberechtigt sein, und zwar sowohl im Stammbetrieb, dem sie organisatorisch zugeordnet sind, als auch in den Betrieben, in denen sie Arbeitnehmer fachlich führen (BAG, Beschluss v. 22. Mai 2025 – 7 ABR 28/24)
4. Fehler: Unrichtige Bestellung des WahlvorstandsAuch bei der Bestellung des Wahlvorstands läuft nicht immer alles fehlerfrei. In Betrieben mit Betriebsrat bestellt dieser den Wahlvorstand. Der Wahlvorstand besteht dabei mindestens aus drei Mitgliedern, die wahlberechtigt sein müssen (§ 16 Abs. 1 S. 1 BetrVG). Bei der Bestellung sind die häufigsten Fehler:
- Bestellung von weniger als drei Mitgliedern;
- Bestellung einer geraden Anzahl von Mitgliedern (§ 16 Abs. 1 S. 3 BetrVG);
- Bestellung von nicht wahlberechtigten Mitgliedern.
Der Betriebsrat muss den Wahlvorstand zudem rechtzeitig bestellen. Im normalen Wahlverfahren muss der Wahlvorstand spätestens zehn Wochen vor Ablauf der Amtszeit des amtierenden Betriebsrats bestellt werden. Im vereinfachten Wahlverfahren hat dies spätestens vier Wochen vor Ablauf der Amtszeit zu erfolgen. Wird der Betriebsrat nicht rechtzeitig tätig, kann der Wahlvorstand vom Gesamtbetriebsrat, Konzernbetriebsrat oder Arbeitsgericht bestellt werden. Auch eine frühere Bestellung ist möglich. Problematisch wird es jedoch, wenn der Wahlvorstand deutlich zu früh bestellt wird. Erfolgt die Bestellung mehr als doppelt so früh wie nach der gesetzlichen Mindestfrist vorgesehen, kann dies im Ausnahmefall für einen Rechtsmissbrauch sprechen, z.B. um den besonderen Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 3 KSchG bereits zu einem vorgezogenen Zeitpunkt herbeizuführen. Die Bestellung des Wahlvorstandes ist dann unwirksam und der besondere Kündigungsschutz entfällt.
5. Fehler: Unrichtiges WahlausschreibenBesondere Sorgfalt bedarf auch der Erlass und die Einhaltung der inhaltlichen Anforderungen des Wahlausschreibens. Dieses muss mindestens sechs Wochen vor dem ersten Tag der Stimmabgabe vom Wahlvorstand erlassen werden. Die inhaltlichen Mindestangaben sind in § 3 Abs. 2 WO festgelegt. In der Praxis werden im Wahlausschreiben Angaben häufig fehlerhaft oder gar nicht gemacht. Wir empfehlen insbesondere zu prüfen, ob
- die erforderliche Anzahl an Stützunterschriften für einen gültigen Wahlvorschlag,
- die Anzahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder
- und die Geschlechterverteilung im Betrieb und im zu wählenden Betriebsrat
korrekt angegeben wurde.
Das Wahlausschreiben muss außerdem in richtiger Art und Weise bekannt gemacht werden. Das bedeutet, dass zu gewährleisten ist, dass alle Wahlberechtigten Kenntnis davon nehmen können, bis die Stimmabgabe abgeschlossen ist. In Betrieben mit mehreren Betriebsstätten ist sicherzustellen, dass das Wahlausschreiben in jeder Betriebsstätte ausgehängt wird. Wird es aktualisiert, müssen alle zuvor ausgehängten Exemplare ersetzt werden. Eine ausschließliche elektronische Bekanntmachung, beispielsweise im Intranet, ist grundsätzlich dann möglich, wenn alle Wahlberechtigten Zugriff darauf haben und sichergestellt ist, dass nur der Wahlvorstand Änderungen vornehmen kann. Eine Bekanntmachung ausschließlich per E-Mail reicht hingegen nicht aus. Erforderlich ist, dass das Wahlausschreiben an einer zentralen Stelle, körperlich oder virtuell, bekannt gemacht wird.
6. Fehler: Falsches WahlverfahrenManchmal kommt es vor, dass der Wahlvorstand das falsche Wahlverfahren für die Betriebsratswahl auswählt. Welches Verfahren zur Anwendung kommt, hängt von der Anzahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer ab. In Betrieben mit bis zu 100 Wahlberechtigten ist das vereinfachte Wahlverfahren durchzuführen.
Betriebe mit 101 bis 200 Wahlberechtigten wenden grundsätzlich das normale Wahlverfahren an. Arbeitgeber und Wahlvorstand können jedoch die Durchführung des vereinfachten Verfahrens vereinbaren (§ 14a Abs. 5 BetrVG). Wichtig dabei: Eine Vereinbarung zwischen den falschen Beteiligten, zum Beispiel zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, ist unwirksam. In einem solchen Fall wäre die anschließende Durchführung der Wahl im vereinfachten Verfahren fehlerhaft.
In Betrieben mit mehr als 200 wahlberechtigten Arbeitnehmern ist zwingend das normale Wahlverfahren einzuhalten. Abweichende Vereinbarungen sind hier nicht möglich.
7. Fehler: Unzulässige Wahlbeeinflussung durch Verstöße gegen das NeutralitätsgebotArbeitgeber dürfen die Betriebsratswahl nicht durch Verstöße gegen ihre Neutralitätspflicht beeinflussen. Das bedeutet jedoch nicht, dass bereits jedes Verhalten, das nicht vollkommen neutral erscheint, die Wahl anfechtbar macht. So muss sich ein Arbeitgeber beispielsweise nicht jeder kritischen Äußerung über den bestehenden Betriebsrat enthalten. Eine klare Grenze ist allerdings erreicht, wenn unwahre Behauptungen aufgestellt oder strafbare Beleidigungen ausgesprochen werden. Auch Sympathiebekundungen für Kandidaten sind erlaubt. Ebenso zulässig ist es, wenn der Arbeitgeber Arbeitnehmer motiviert, sich für die Wahl aufstellen zu lassen. Unzulässig wird es jedoch, sobald Vorteile versprochen oder gewährt werden. Ein Beispiel hierfür wäre, wenn ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer eine Beförderung in Aussicht stellt, falls dieser sich zur Wahl aufstellt.
8. Fehler: Missachtung der FristenBetriebsratswahlen sind streng formalisiert und an zahlreiche Fristen gebunden. Diese Fristen werden in der Praxis durch den Wahlvorstand zum Teil falsch berechnet bzw. nicht immer eingehalten. Zu den wichtigsten Fristen zählen:
- Erlass des Wahlausschreibens: Spätestens sechs Wochen vor dem ersten Tag der Stimmabgabe muss der Wahlvorstand das Wahlausschreiben erlassen. Gleichzeitig sind die Wählerlisten auszulegen.
- Einreichung von Wahlvorschlägen: Wahlvorschläge müssen innerhalb von zwei Wochen nach Erlass des Wahlausschreibens beim Wahlvorstand eingereicht werden.
- Bekanntmachung der Vorschlagslisten: Spätestens eine Woche vor dem ersten Tag der Stimmabgabe müssen die gültigen Vorschlagslisten ausgehängt werden.
Ein oft übersehener Aspekt bei Betriebsratswahlen ist die Information von Arbeitnehmern, die der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig sind. Der Wahlvorstand soll diese Beschäftigten vor Einleitung der Wahl in geeigneter Weise über das Wahlverfahren, die Aufstellung der Wähler- und Vorschlagslisten, den Wahlvorgang sowie die Stimmabgabe informieren. In der Praxis geschieht dies jedoch häufig nicht oder nicht vollständig. Wichtig ist: Von der Verständigung im Arbeitsalltag darf nicht automatisch auf ausreichende Deutschkenntnisse für die Betriebsratswahl geschlossen werden (so zuletzt: LAG Düsseldorf, Beschluss v. 12. Januar 2024 – 10 TaBV 51/23). Die Sprachkenntnisse müssen vielmehr so weit reichen, dass die komplexen Wahlvorschriften verstanden werden können. Um seiner Pflicht nachzukommen, sollte der Wahlvorstand die Aushänge im Zusammenhang mit der Wahl auch in den Sprachen veröffentlichen, die von den betroffenen ausländischen Arbeitnehmern tatsächlich verstanden werden. Hier sollten Arbeitgeber den Wahlvorstand unterstützen.
10. Fehler: Unrichtige Ermittlung und Bekanntmachung des WahlergebnissesAuch die Ermittlung und Bekanntgabe des Wahlergebnisses unterliegen strengen Formalien. Unverzüglich nach Abschluss der Stimmabgabe muss der Wahlvorstand die Stimmen öffentlich auszählen. Ein Fehler bei der Ergebnisermittlung liegt zum Beispiel dann vor, wenn während der Stimmauszählung Betriebsangehörige des Raumes verwiesen werden oder wenn der für die Betriebsöffentlichkeit vorgesehene Bereich zu klein ist, um eine ausreichende Beobachtung der Stimmauszählung zu ermöglichen (Sächsisches Landesarbeitsgericht, Beschluss v. 23. Januar 2024 – 3 TaBV 9/23). Denn sowohl die Öffnung der Wahlurne als auch die Auszählung müssen öffentlich erfolgen.
Nach der Auszählung sind die Gewählten über ihre Wahl zu informieren. Jeder Gewählte hat drei Arbeitstage Zeit, die Wahl abzulehnen. Erfolgt innerhalb der Frist keine ausdrückliche Ablehnung, gilt die Wahl als angenommen. Lehnt ein Gewählter ab, muss der Wahlvorstand den richtigen Nachrücker ermitteln. Erst wenn endgültig feststeht, wer gewählt ist und die Wahl auch angenommen hat, darf das Wahlergebnis offiziell bekannt gemacht werden.
Rechtsfolgen von Fehlern: Anfechtbarkeit und Nichtigkeit der BetriebsratswahlFehler im Wahlverfahren können je nach ihrer Schwere zur Anfechtbarkeit oder Nichtigkeit der Betriebsratswahl führen.
Fazit: Fehler erkennen, Folgen prüfenDer Arbeitgeber sollte Fehler des Wahlvorstandes ggf. frühzeitig bei diesem ansprechen. So hat der Wahlvorstand die Möglichkeit, etwaige Fehler zu korrigieren und die Betriebsratswahl rechtssicher durchzuführen. Das erhöht die Akzeptanz des Betriebsrats bei den Arbeitnehmern und vermeidet möglicherweise die Anfechtung der Betriebsratswahl. Sollten die Fehler allerdings zu gravierend sein, kann der Arbeitgeber die Wirksamkeit der Betriebsratswahl erforderlichenfalls auch gerichtlich überprüfen lassen.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.
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Tarifwerk GVP/DGB: Teil 7 – Arbeitszeitmodelle und monatliche Arbeitszeit
Die individuelle regelmäßige monatliche Arbeitszeit (bei Vollzeit) beträgt in der neuen Tarifwelt 151,67 Stunden; dies entspricht im Durchschnitt 35 Wochenarbeitsstunden (§ 3.1 Abs. 1 MTV GVP/DGB).
Mit Blick auf die Arbeitszeitmodelle unterscheiden sich die Tarifwerke BAP/DGB und iGZ/DGB. Im MTV iGZ/DGB ist – neben einer verstetigten monatlichen Arbeitszeit (wie im MTV BAP/DGB) – insbesondere noch ein variables Modell vorgesehen, das die Arbeitszeit anhand der Arbeitstage in einem Monat festlegt (vgl. § 2 MTV BAP/DGB; § 3.1. MTV iGZ/DGB). Das Letztgenannte fällt zukünftig weg und wurde in den MTV GVP/DGB nicht übernommen, allerdings ist eine großzügig bemessene Übergangsfrist für bisherige iGZ-Anwender vorgesehen, die es ermöglicht, dieses Arbeitszeitmodell bis zum 31. Dezember 2029 (und damit noch vier Jahre nach Inkrafttreten der neuen Tarifverträge) fortzuführen – im Übrigen nicht nur bei Alt-Verträgen, sondern auch bei Einstellungen, die ab dem 1. Januar 2026 erfolgen werden.
Das Zeitarbeitsunternehmen (bisheriger iGZ-Anwender) ist berechtigt, in der Zeit bis zum 31. Dezember 2029 einmalig von dem variablen in das verstetigte Modell zu wechseln. Dies kann durch eine einseitige Erklärung des Arbeitgebers* geschehen; die Zustimmung des Zeitarbeitnehmers ist dafür nicht erforderlich. Sollte bis zum 31. Dezember 2029 kein aktiver Wechsel erfolgt sein und die Übergangsregelung auslaufen, besteht keine hinreichende (tarifliche) Legitimation für die Fortführung des variablen Arbeitszeitmodells mehr. Diese wäre tarifwidrig und stellt eine Abweichung von den tariflichen Bestimmungen dar.
Ob eine automatische Überführung in das verstetigte Arbeitszeitmodell mit Ablauf des 31. Dezember 2029 stattfindet, dürfte streitbar sein. Auf der einen Seite läuft die Übergangsregelung aus und verliert damit ihre Wirksamkeit, sodass argumentiert werden könnte, dass als „Auffanglösung“ das Modell mit einer verstetigten Arbeitszeit zur Anwendung kommen muss. Auf der anderen Seite kann dagegen angeführt werden, dass – zumindest bei einer arbeitsvertraglichen Regelung – weiterhin ein rechtsverbindlicher Tatbestand die Geltung der variablen Arbeitszeit anordnet, der auch nicht (zumindest nicht zwingend) mit dem Auslaufen der Übergangsregelung außer Kraft tritt, sondern den 31. Dezember 2029 überdauert und als konstitutiver Rechtsakt (gegen die tariflichen Bestimmungen) das Modell mit variabler Arbeitszeit „fortschreibt“.
Vor diesem Hintergrund ist Zeitarbeitsunternehmen anzuraten, die Übergangsfrist ernst zu nehmen (insbesondere um sich entsprechende Diskussionen mit der BA und den Zeitarbeitnehmern zu ersparen) und zu einem Stichtag vor dem 31. Dezember 2029 sämtliche Arbeitsverhältnisse aktiv auf das verstetigte Arbeitszeitmodell „umzustellen“. Im Zweifel kann ein Zustand eintreten, dass bei einem Zeitarbeitsunternehmen die variable Arbeitszeit (für sog. Alt-Arbeitnehmer) und das verstetigte Modell (für Neueinstellungen) nebeneinander zur Anwendung kommen; ein solcher Zustand sollte jedoch aus praktischer Sicht vermieden werden (organisatorisch aufwendig, hohe Fehleranfälligkeit bei der Abwicklung etc.). Empfehlenswert dürfte sein, dass das Zeitarbeitsunternehmen die Umstellung des Arbeitszeitmodells mit einem hinreichenden zeitlichen Vorlauf plant und dieses dann einheitlich für Alt- und Neu-Arbeitnehmer implementiert.
Bisherigen BAP-Anwendern ist es im Übrigen verwehrt, ihrerseits auf das variable Arbeitszeitmodell aus dem MTV iGZ/DGB „umzuschwenken“; diese können mit Blick auf die eingrenzenden tariflichen Bestimmungen – wie bisher – „nur“ eine verstetigte Arbeitszeit mit den Zeitarbeitnehmern vereinbaren.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.
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Rückforderung durch den Insolvenzverwalter in der CEE-Region
Mit der Zunahme grenzüberschreitender Geschäftstätigkeit zwischen Deutschland einerseits und Mittel- und Osteuropa (CEE) andererseits ist das Risiko der Rückforderung von Zahlungen, die ein Unternehmen von einem nun insolventen Geschäftspartner erhalten hat, weiterhin von wesentlichem Belang für deutsche Unternehmen.
Deutsche Investoren können durchaus wohlwollend auf Kroatien schauen, ein Land, dessen insolvenzrechtlicher Rahmen sowohl mit deutschen als auch mit EU-Standards im Einklang steht und dessen weiteres wirtschaftliches Umfeld strategische Vorteile bietet. Als voll integriertes EU-Mitglied, verankert durch den Euro und seit 2023 im Schengen-Raum, verbindet Kroatien geopolitische Stabilität mit nahtlosem grenzüberschreitendem Handel und finanzieller Integration.
Der Rechtsrahmen in KroatienIn Übereinstimmung mit dem EU-Rahmen errichtet das kroatische Insolvenzgesetz ein Gläubigerschutzsystem zur Anfechtung von Rechtshandlungen, die ein Schuldner* vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen hat. Das zentrale Grundprinzip besteht darin, eine unfaire Wertminderung der Insolvenzmasse des Schuldners zum Nachteil der Gläubiger zu verhindern und die Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger bei der Vermögenverteilung sicherzustellen.
In diesem Sinne kennt das kroatische Recht verschiedene Kategorien von Rechtsgeschäften, die der Rückforderung unterliegen können:
- Kongruente Deckung (Kongruentno namirenje): Hierbei handelt es sich um Zahlungen oder Sicherungsrechte, die einem Gläubiger auf eine Weise und zu einem Zeitpunkt gewährt werden, die mit seinen tatsächlich bestehenden Rechten konform sind (z. B. die Begleichung einer Rechnung zum Fälligkeitsdatum). Solche Handlungen können angefochten werden, wenn sie innerhalb von drei Monaten vor Insolvenzantragstellung vorgenommen wurden, sofern der Schuldner zahlungsunfähig war und der Gläubiger von der Zahlungsunfähigkeit wusste oder hätte wissen müssen.
- Inkongruente Deckung (Inkongruentno namirenje): Hierbei handelt es sich um Zahlungen oder Sicherheiten, die auf eine Weise oder zu einem Zeitpunkt geleistet wurden, auf die der Gläubiger keinen Anspruch hatte (z. B. vorzeitige Tilgung, Gewährung einer Sicherheit für eine Altschuld). Diese unterliegen noch strengeren Regelungen und können angefochten werden, wenn sie innerhalb eines Monats vor Insolvenzantragstellung vorgenommen wurden oder, wenn der Schuldner zahlungsunfähig war oder der Gläubiger wusste, dass die Zahlung andere Gläubiger schädigen würde, innerhalb von zwei bis drei Monaten.
- Rechtsgeschäfte unter Wert (Pravne radnje bez naknade ili uz neznatnu naknadu): Dazu gehören Geschenke, Zuwendungen und Rechtsgeschäfte, bei denen der Schuldner eine geringe oder gar keine Gegenleistung erhält. Solche Geschäfte gelten als gläubigerbenachteiligend und können angefochten werden, wenn sie innerhalb von vier Jahren vor der Insolvenzantragstellung getätigt wurden. In diesem Fall muss der Insolvenzverwalter den Vorsatz der Gläubigerbenachteiligung nicht nachweisen; es ist ausreichend zu zeigen, dass das Rechtsgeschäft unentgeltlich oder für eine geringfügige Gegenleistung erfolgte.
- Vorsätzliche Schädigung von Gläubigern (Namjerno oštećenje vjerovnika): Das ist die umfassendste und weitreichendste Kategorie. Jede Rechtshandlung, die in der Absicht vorgenommen wurde, Gläubiger zu schädigen, kann bis zu zehn Jahre vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens angefochten werden, sofern der Empfänger von der Absicht des Schuldners wusste oder hätte wissen müssen. Dieser Zeitraum ist außergewöhnlich lang und dient dazu, betrügerische Machenschaften und geheime Absprachen zu erfassen, selbst wenn diese viele Jahre vor der Insolvenz stattgefunden haben.
Das kroatische Insolvenzgesetz legt ausdrücklich fest, dass die entsprechenden Fristen (drei Monate, ein Monat, vier Jahre, zehn Jahre) vom Datum der Stellung des Insolvenzantrags bei Gericht, und nicht vom Datum der Verfahrenseröffnung zurück zu berechnen sind.
Grenzüberschreitende Geltung und EU-HarmonisierungDer kroatische insolvenzrechtliche Rahmen ist mit der EuInsVO harmonisiert; dadurch ist sichergestellt, dass Rückforderungsklagen und entsprechende Urteile innerhalb der EU eine grenzüberschreitende Wirkung entfalten können. Das bedeutet, dass ein kroatisches Gericht verfügen kann, dass ein deutsches Unternehmen, das Zahlungen oder Vermögenswerte von einem kroatischen Schuldner erhalten hat, diese Vermögenswerte zurückgeben muss und die Verfügung in Deutschland vollstreckt werden kann.
Risiken für deutsche Unternehmen in der PraxisFür deutsche Unternehmen ist das Risiko dann am höchsten, wenn sie Vermögenswerte unter Marktwert erwerben, konzerninterne Rechtsgeschäfte mit kroatischen Geschäftspartnern in finanzieller Not abschließen oder ähnliche Handlungen durchführen. Vor allem Zahlungen, die kurz vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens geleistet wurden, unterliegen dem Anfechtungsrisiko, insbesondere wenn der Schuldner bereits zahlungsunfähig war oder die Zahlung nicht im Rahmen des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs erfolgte.
In der Praxis trägt der Insolvenzverwalter die Beweislast für die Rückforderungsgründe, aber diese kann sich je nach Art des Rechtsgeschäfts verlagern. Bei vorsätzlicher Schädigung beispielsweise muss der Insolvenzverwalter sowohl den Vorsatz des Schuldners als auch die Kenntnis des Empfängers nachweisen, oft gestützt auf Indizien. Bei Rechtsgeschäften unter Wert geht das Gesetz jedoch von Gläubigerschädigung aus und der Empfänger muss nachweisen, dass das Rechtsgeschäft für angemessene Gegenleistung und nach Treu und Glauben durchgeführt wurde.
Für in Kroatien tätige deutsche Unternehmen sollte das Insolvenzrisiko nicht unterschätzt werdenDer beste Schutz ist Vorbeugung: Prüfen Sie die finanzielle Gesundheit von Geschäftspartnern mit der erforderlichen Sorgfalt, dokumentieren Sie alle Rechtsgeschäfte sorgfältig und stellen Sie sicher, dass Zahlungen und Übertragungen in Übereinstimmung mit dem gewöhnlichen Geschäftsbetrieb und für eine angemessene Gegenleistung erfolgen.
Fällt ein kroatischer Geschäftspartner in Insolvenz, sollten sich deutsche Unternehmen umgehend rechtlich beraten lassen, um ihr Risiko einzuschätzen und eine Verteidigung vorzubereiten für den Fall, dass sie mit Rückforderungen konfrontiert werden. In vielen Fällen kann der Nachweis von Treu und Glauben, des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs und der Nichtkenntnis der Insolvenz des Schuldners entscheidend sein.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der kroatische Rechtsrahmen zwar auf Gläubigerschutz und die Gewährleistung von Fairness bei Insolvenz ausgerichtet ist, aber für ausländische Geschäftspartner auch erhebliche Risiken birgt. Deutsche Unternehmen sollten proaktiv handeln sowie informiert und darauf vorbereitet sein, im Falle einer Rückforderung ihre Interessen zu verteidigen.
Wir informieren Sie in unserer Blog-Serie zu Restrukturierung in CEE fortlaufend mit aktuellen Beiträgen zu diesem Thema. Sie können diese Blog-Serie über den RSS-Feed abonnieren und werden von uns über neue Beiträge informiert. Den Auftakt zur Blogserie hat der Einführungsbeitrag gemacht, weitere Beiträge folgen.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.
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BGH: Hauptversammlung – Nachweis der Aktionärsstellung
Der BGH hatte im Streit um die Wirksamkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen einer nicht börsennotierten AG mit Inhaberaktien zu entscheiden, ob eine bei Anmeldung zur Hauptversammlung vorgelegte anwaltliche Verwahrbestätigung vom Vorstand der AG zu Recht als ein nach der Satzung ausreichender „sonstiger Nachweis“ der Aktionärsstellung akzeptiert worden war (Urteil v. 25. März 2025 – II ZR 208/22).
Ausgangspunkt: Hauptversammlung 2020Die Beklagte ist eine nicht börsennotierte AG mit auf den Inhaber lautenden Stückaktien. Ihre Satzung eröffnet für den Nachweis der Teilnahme- und Stimmrechtsberechtigung zur Hauptversammlung verschiedene Möglichkeiten: ein in Textform erstellter besonderer Nachweis des Anteilsbesitzes durch ein in- oder ausländisches Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitut als depotführendes Institut oder durch einen deutschen Notar, eine entsprechende Bescheinigung der Gesellschaft oder ein sonstiger, von der Gesellschaft als ausreichend angesehener Nachweis. Fristgerecht meldete sich C zur Hauptversammlung an und legte ein Schreiben einer Rechtsanwältin vor, die bestätigte, eine bestimmte Anzahl Inhaberaktien in Form mehrerer Sammelurkunden für C in Verwahrung zu haben. In der Hauptversammlung wurden mit den (hierfür erforderlichen) Stimmen von C mehrere Beschlüsse gefasst.
OLG: Auch nicht börsennotierte Gesellschaft kann sich auf Vermutungswirkung des § 123 Abs. 4 Satz 5 AktG berufenDie Klägerin, selbst Aktionärin der Beklagten, erhob gegen die Beschlüsse Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage gegen die AG mit der Begründung, C sei nicht Aktionärin und daher nicht stimmberechtigt gewesen.
Das LG wies die Klage ab; das OLG wies die dagegen eingelegte Berufung zurück und führte zur Begründung aus, die Beklagte könne sich auch als nicht börsennotierte Gesellschaft auf die Vermutungswirkung des § 123 Abs. 4 Satz 5 AktG berufen, die auf dem von C erbrachten Nachweis beruhe. Gegen die Entscheidung des OLG ging die Klägerin in Revision zum BGH.
BGH: Satzungsfreiheit ermöglicht es, selbst bestimmte Nachweisformen festzulegenAuch der BGH bestätigte die Rechtmäßigkeit der Zulassung von C zur Hauptversammlung 2020. Der BGH stellt in seiner Entscheidung klar, dass sich die Beklagte für den Nachweis des Aktienbesitzes von C, abweichend von der vorhergehenden Entscheidung des OLG, nicht auf § 123 Abs. 4 Satz 5 AktG berufen kann, weil die unwiderlegliche Vermutung nach Systematik und gesetzgeberischem Willen allein für die in § 123 Abs. 4 AktG geregelten Nachweise börsennotierter Gesellschaften gilt und sich nicht auf satzungsmäßige Alternativen erstreckt, die § 123 Abs. 3 AktG ermöglicht.
Auf die Anwendbarkeit der Vermutungswirkung des § 123 Abs. 4 Satz 5 AktG kam es im Ergebnis gar nicht an. Der BGH bejaht für eine nicht börsennotierte AG mit Inhaberaktien eine weitgehende Satzungsfreiheit nach § 123 Abs. 3 AktG, von der die Beklagte in zulässiger Weise Gebrauch gemacht habe, indem sie abweichend von § 123 Abs. 4 AktG selbst bestimmte Nachweisformen festlegte; solche Regelungen müssen jedoch hinreichend bestimmt sein, was für den vorliegenden Fall vom BGH letztlich bejaht wurde.
Anforderungen an den Nachweis der AktionärsstellungDie in der Satzung der Beklagten vorgesehene Öffnungsklausel, nach der neben bestimmten Regelbeispielen – Bescheinigung eines depotführenden Kredit‑ oder Finanzdienstleistungsinstituts, eines deutschen Notars oder der Gesellschaft – auch ein „sonstiger, von der Gesellschaft als ausreichend angesehener Nachweis“ für die Anmeldung zur Hauptversammlung genügt, führt nach Auffassung des BGH nicht zur Unbestimmtheit. Angesichts der vielfältigen Verwahrkonstellationen bei Inhaberaktien nicht börsennotierter Gesellschaften sei eine solche Öffnung systemgerecht; sie berechtigte die Gesellschaft jedoch nicht, beliebige Nachweise zu akzeptieren. Vielmehr ergebe die Auslegung, dass „sonstige Nachweise“ gegenüber den ausdrücklich genannten Beispielen eine vergleichbare Richtigkeitsgewähr bieten müssen, was bereits durch die Aufzählung der Regelbeispiele indiziert sei.
Ausreichender Nachweis durch anwaltliche VerwahrungsbestätigungVor diesem Hintergrund durfte die Beklagte die Teilnahme‑ und Stimmberechtigung von C auf die anwaltliche Bestätigung stützen; das Schreiben erfüllt nach Auffassung des BGH die satzungsmäßigen Anforderungen, insbesondere auch deshalb, weil die Ausstellerin als Rechtsanwältin besonderen Standespflichten unterliegt, so dass die anwaltliche Erklärung eine den Regelbeispielen vergleichbare Richtigkeitsgewähr biete.
Anpassungsbedarf in der SatzungFür die Praxis steht nunmehr fest, dass die Record-Date-Vermutung des § 123 Abs. 4 Satz 5 AktG ausschließlich für börsennotierte Aktiengesellschaften mit Inhaberaktien gilt, während bei nicht börsennotierten Aktiengesellschaften § 123 Abs. 3 AktG die weitgehende Satzungsautonomie für Form und Zeitpunkt des Nachweises regelt.
Nicht börsennotierte Aktiengesellschaften mit Inhaberaktien sollten ihre Satzungsregelungen zum Anteilsbesitznachweis überprüfen und bei Öffnungsklauseln ausdrücklich festlegen, dass „sonstige“ Nachweise nur dann genügen, wenn sie eine den Regelbeispielen (Depotbank, Notar, Gesellschaft) vergleichbare Richtigkeitsgewähr bieten.
Anwaltliche Bescheinigungen werden insbesondere dann als ausreichender Nachweis in Betracht kommen, wenn der Anwalt die unmittelbare Verwahrung für den Anmeldenden, etwa in Form einer Sammelurkunde bestätigt. Einer Bescheinigung über den bloß mittelbaren Besitz dürfte hingegen nicht die notwendige Richtigkeitsgewähr zukommen.
Eine Angleichung an die für börsennotierte Gesellschaften geltenden Nachweisanforderungen gemäß § 123 Abs. 4 AktG durch eine Satzungsregelung bleibt der nicht börsennotierten AG weiterhin möglich. Während die Zulassung sonstiger ausreichender Nachweise eine erhöhte Flexibilität mit sich bringt, sorgt sie zugleich auch für ein größeres Streitpotential.
Prüfung der vorgelegten NachweiseFür die Zulassung zur Hauptversammlung bietet sich eine zweistufige Prüfung an, indem zunächst die formelle Satzungskonformität des vorgelegten Nachweises verifiziert und anschließend, bei konkreten Anhaltspunkten für eine abweichende materielle Rechtslage, eine Plausibilitätskontrolle mit gegebenenfalls ergänzenden Prüfmaßnahmen durchgeführt wird. Zu einer umfassenden Eigentumsprüfung ist die AG hingegen weder bei Anmeldung noch im Rahmen der Hauptversammlung verpflichtet.
Neue Rechtslage bereits in SichtPerspektivisch wird sich die Nachweisproblematik vereinfachen, wenn die bestehende Übergangsregelung für nicht girosammelverwahrte Inhaberaktien einer nicht börsennotierten AG im Juli 2029 ausläuft (Art. 79 Abs. 3 VO (EU) 2024/1624), da spätestens zu diesem Zeitpunkt alle im Umlauf befindlichen Inhaberaktien in die Girosammelverwahrung eingebracht werden müssen, um einen Rechtsverlust zu vermeiden. – Das ist allerdings Stoff für den nächsten Blogbeitrag.
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Kartellrecht: (Auch) Verfahrensverstöße können teuer werden
Die Europäische Kommission verhängt erstmals isolierte Bußgelder in einem Kartellverfahren wegen der fehlerhaften Beantwortung eines Auskunftsbeschlusses. Dabei handelt es sich bereits um die zweite Entscheidung innerhalb kurzer Zeit, mit der die Europäische Kommission eigenständige Geldbußen wegen Verstößen gegen Verfahrensvorschriften in Kartellverfahren verhängt. In beiden Entscheidungen reduzierte die die Europäische Kommission die Geldbußen aufgrund der Kooperationsbemühungen der Unternehmen im Zuge der Aufklärung der Verstöße. Für die Reduktion und das Verfahren stützt sich die Europäische Kommission auf eine sinngemäße Anwendung der Settlement Notice.
Der Fall Eurofield SAS und Unanime Sport SASIm September 2025 verhängte die Europäische Kommission ein Bußgeld gegen Eurofield SAS und deren Muttergesellschaft Unanime Sport SAS in Höhe von ca. EUR 172.000 wegen der unvollständigen Beantwortung eines Auskunftsbeschlusses nach Art. 18 Abs. 3 VO (EG) 1/2003 im Zuge eines Kartellverfahrens im Kunstrasensektor. Dem Auskunftsbeschluss waren eine Nachprüfung (sog. „Dawn Raid“) und ein einfaches Auskunftsverlangen nach Art. 18 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 gegen Eurofield SAS vorangegangen. Die Europäische Kommission wurde hellhörig, nachdem sie die Antworten von Eurofield SAS auf das einfache Auskunftsverlangen und den Auskunftsbeschluss mit den Unterlagen und Informationen verglich, die sie im Zuge des Dawn Raids bei Eurofield SAS aufgefunden hatte.
Für einen solchen Verfahrensverstoß sieht Art. 23 Abs. 1 lit. b VO 1/2003 ein Bußgeld in Höhe von bis zu 1% des im vorangegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatz vor. Die Europäische Kommission betrachtet den Verstoß als schwerwiegend, auch wenn er möglicherweise nur fahrlässig begangen wurde. Zur grundsätzlichen Bedeutung von Auskunftsverlangen führt die Europäische Kommission aus:
Auskunftsverlangen sind ein wichtiges Instrument zur Aufdeckung von Kartellverstößen. Wenn Unternehmen unsere Auskunftsverlangen nicht vollständig beantworten, kann das unsere Untersuchungen stark behindern. Mit dem heutigen Beschluss wird erstmals in einem Kartellverfahren wegen eines solchen Verfahrensverstoßes eine Geldbuße gegen ein Unternehmen verhängt. Wir werden nicht zögern, ähnliche Vorkommnisse auch in Zukunft zu ahnden, damit unsere Untersuchungen zum Nutzen der Verbraucher wirksam durchgeführt werden können. – Teresa Ribera, Exekutiv-Vizepräsidentin, 8. September 2025
In der Konsequenz verhängte die Europäische Kommission ein Bußgeld in Höhe von 0,3% des Gesamtumsatzes von Eurofield SAS und Unanime Sport SAS.
Eurofield SAS und Unanime Sport SAS konnten eine Reduzierung des Bußgeldes in Höhe von 30% durch ihre umfassende Kooperation mit der Europäischen Kommission bei der Aufklärung des Verstoßes erreichen. Dazu haben die Unternehmen insbesondere unmittelbar nach Bekanntgabe des potenziellen Verstoßes durch die Kommission proaktiv mit der Europäischen Kommission zusammengearbeitet, über die als fehlend erkannten Unterlagen hinausgehende Informationen bereitgestellt und ihre Haftung für eine Zuwiderhandlung gegen die EU-Wettbewerbsvorschriften einschließlich des Sachverhalts und der rechtlichen Beurteilung anerkannt. Dabei wendete die Europäische Kommission nun bereits schon zum zweiten Mal die Grundsätze der Settlement Notice an. Eine unmittelbare Anwendung scheidet für Verfahrensverstöße aus, da die Settlement Notice für einen Vergleich über den Abschluss des Kartellbußgeldverfahrens der Europäischen Kommission Anwendung findet. Zudem sieht sie nur eine Bußgeldreduktion von bis zu 10% vor.
Der Fall International Flavors & Fragrances Inc.In einer ähnlichen Situation verhängte die Kommission bereits im Juni 2024 ebenfalls erstmalig eine eigenständige Geldbuße iHv EUR 15,9 Mio. für den Verstoß gegen Verfahrensvorschriften für Unternehmen, die Gegenstand einer kartellrechtlichen Untersuchung sind. Hier behinderte International Flavors & Fragrences Inc. („IFF“) die Europäische Kommission bei der Durchführung eines Dawn Raids (Art. 20, 21 VO 1/2003), indem ein leitender Mitarbeiter während des Dawn Raids von seinem Mobiltelefon WhatsApp-Nachrichten mit einem Wettbewerber löschte.
Durch dieses vorsätzliche Löschen von WhatsApp-Nachrichten waren die von IFF vorgelegten Unterlagen unvollständig in Sinne von Art. 23 Abs. 1 lit. c VO 1/2003. Die Europäische Kommission betrachtete das Verhalten, das zu einer Behinderung der Nachprüfung führte („Obstruction“) als vorsätzliches Verhalten und verhängte ein Bußgeld in Höhe von 0,3% des Gesamtumsatzes von IFF.
Auch in diesem Fall gestand IFF den Fehler unmittelbar und noch während des Dawn Raids ein und kooperierte sehr umfassend mit der Europäischen Kommission. Insbesondere konnten die gelöschten Nachrichten wiederhergestellt werden. Dies führte zu einer Reduktion des Gesamtbußgeldes in Höhe von 50%. Auch bereits in diesem Fall wendete die Europäische Kommission für die Reduktion des Bußgeldes und den Ablauf des Kooperationsverfahrens die Settlement Notice an.
Europäische Kommission verschärft Bußgeldpraxis für Verfahrensverstöße – Bußgeldreduktionen sind möglichDie beiden Entscheidungen innerhalb kurzer Zeit machen deutlich, dass die Europäische Kommission ihre bisherige Praxis zu Verfahrensverstößen im Zuge von Kartellbußgeldverfahren deutlich verschärft hat. In der Vergangenheit wurden – wenn überhaupt – Verfahrensverstöße im Zuge der Bebußung des Kartellrechtsverstoßes bußgelderhöhend berücksichtigt. Lediglich für den Ausnahmefall eines Siegelbruchs hat die Europäische Kommission in zwei Entscheidungen 2008 und 2011 Bußgelder wegen Verfahrensverstößen verhängt.
Für Unternehmen folgt aus dieser Entwicklung die Notwendigkeit, in Kartellbußgeldverfahren noch größere Sorgfalt walten zu lassen; sei es im Zuge von Dawn Raids oder bei der Beantwortung von Auskunftsersuchen und Auskunftsbeschlüssen der Europäischen Kommission. Sollte es dennoch zu Verfahrensverstößen in Kartellbußgeldverfahren kommen, besteht durch eine unmittelbare und umfassende Kooperation mit der Europäischen Kommission zumindest die Möglichkeit, das Maximalbußgeld signifikant zu reduzieren.
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Die Güterstandsschaukel als Gestaltungsinstrument in der Vermögens- und Nachfolgeplanung
Die Güterstandsschaukel ist nach wie vor ein viel genutztes Gestaltungsmittel in der Beratungspraxis. Insbesondere mit zunehmender Ehedauer wächst bei Ehegatten häufig der Wunsch, das während der Ehe erworbene Vermögen bereits zu Lebzeiten schenkungsteuerfrei zwischen den Ehegatten auszugleichen.
Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zum einen geht es darum, eine angemessene und ausgeglichene finanzielle Beteiligung beider Ehegatten zu erreichen und eine eigenständige Versorgung beider Ehegatten abzusichern. Darüber hinaus dient eine Güterstandsschaukel oftmals auch als vorbereitende Strukturmaßnahme für eine steueroptimierte Nachfolge in das Familienvermögen. Durch die Angleichung der Vermögenssphären beider Ehegatten können im Rahmen der Nachfolgeplanung die schenkungsteuerlichen Freibeträge beider Ehegatten im Verhältnis zu den Abkömmlingen genutzt und gegebenenfalls die Schenkungsteuersätze optimiert werden. Im Einzelfall kann die Güterstandsschaukel auch ein Instrument der Asset Protection gegenüber Pflichtteilsansprüchen und Gläubigerzugriffen sein. Darüber hinaus stellt die Güterstandsschaukel eine Möglichkeit dar, um unbewusste Schenkungen zwischen Ehegatten in schenkungsteuerlicher Hinsicht rückwirkend zu beseitigen.
Der folgende Beitrag beleuchtet das Potenzial der Güterstandsschaukel in der Vermögens- und Nachfolgeplanung und zeigt nach einer Einführung in die zivil- und steuerrechtlichen Grundlagen des ehelichen Güterrechts auf, wann eine Güterstandsschaukel sinnvoll sein kann und wie sie umgesetzt werden kann.
Grundlagen des ehelichen GüterrechtsOhne besondere ehevertragliche Vereinbarung leben die Ehegatten automatisch kraft Gesetzes im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Die Zugewinngemeinschaft führt weder hinsichtlich des in die Ehe eingebrachten Vermögens noch hinsichtlich des während der Ehe erworbenen Vermögens zu einer Verschmelzung der Vermögensmassen beider Ehegatten und es besteht im Grundsatz auch keine Haftung eines Ehegatten für die Verbindlichkeiten des anderen Ehegatten. Insoweit besteht während der Ehe hinsichtlich der Zuordnung des Vermögens zwischen den Ehegatten kein Unterschied zum ehevertraglichen Güterstand der Gütertrennung.
Der Zugewinnausgleich bei Beendigung des GüterstandsBei der Zugewinngemeinschaft findet jedoch – im Gegensatz zum Güterstand der Gütertrennung – bei Beendigung des Güterstands (z.B. durch Scheidung, Tod eines Ehegatten oder ehevertraglicher Vereinbarung eines anderen Güterstandes) ein Ausgleich der Vermögensmassen beider Ehegatten statt. Dieser Ausgleich wird als Zugewinnausgleich bezeichnet. Der Zugewinnausgleich soll nach den Gedanken des Gesetzgebers insbesondere den Ehegatten, der sich überwiegend um die Familie kümmert und deshalb nicht oder eingeschränkt am Erwerbsleben teilnimmt, im Falle der Scheidung oder des Todes des anderen Ehegatten absichern.
Den Zugewinnausgleich schuldet der Ehegatte, der während der Ehe den größeren Zugewinn erwirtschaftet hat. Der Ausgleich erfolgt grundsätzlich durch Geldzahlung und nicht durch die Zuweisung von Vermögensgegenständen. Maßgeblich für die Höhe der Zugewinnausgleichsforderung ist der Wert des Vermögens der Ehegatten bei Eheschließung (sog. Anfangsvermögen) und bei Beendigung des Güterstandes (sog. Endvermögen). Der Zugewinn jedes Ehegatten berechnet sich aus der Differenz seines Endvermögens und seines Anfangsvermögens. Zur Bestimmung des Zugewinnausgleichsanspruchs werden die Zugewinne beider Ehegatten miteinander verglichen. Der Ehegatte, der während der Ehe den größeren Zugewinn erzielt hat, schuldet als Zugewinnausgleich die Hälfte der Differenz der beiden Zugewinne. Im Ergebnis sollten beide Ehegatten nach Durchführung des Zugewinnausgleichs grundsätzlich über denselben Zugewinn während der Ehe verfügen.
Den Ehegatten steht es grundsätzlich frei, die Zugewinngemeinschaft und damit den Zugewinnausgleich individuell zu modifizieren. So können beispielsweise einzelne Vermögensgegenstände aus der Berechnung des Zugewinns ausgenommen werden. So wird bspw. in Unternehmereheverträgen häufig die Unternehmensbeteiligung vom Zugewinnausgleich im Scheidungsfall ausgenommen. Auch kann die Zugewinnausgleichsforderung auf einen Höchstbetrag begrenzt werden, und die Eheleute können sich über Bewertungsfragen ihrer Anfangs- oder Endvermögen vereinbaren und Fälligkeitsregelungen treffen. Die Zulässigkeit und Notwendigkeit entsprechender Modifikationen hängen vom Einzelfall ab.
Schenkung- und erbschaftsteuerliche BesonderheitenEtwaige Leistungen des ausgleichspflichtigen Ehegatten zur Erfüllung einer lebzeitigen Zugewinnausgleichsforderung erfolgen in Erfüllung einer Verbindlichkeit und sind daher nicht unentgeltlich. Sie unterliegen gemäß § 5 Absatz (2) ErbStG nicht der Schenkungsteuer. Zu beachten ist jedoch stets, dass die Steuerbefreiung eine wirksame ehevertragliche Beendigung des Güterstandes und eine konkrete Ermittlung und Bewirkung des ermittelten Zugewinnausgleichsanspruchs erfordert. Ein sogenannter „fliegender Zugewinnausgleich“, bei dem der Ausgleich des Zugewinns während des Fortbestehens der Zugewinngemeinschaft ohne Güterstandswechsel erfolgt, ist nicht von § 5 Absatz (2) ErbStG erfasst und wäre daher schenkungsteuerpflichtig.
Motive für eine GüterstandsschaukelNeben dem Motiv einer angemessenen und gerechten finanziellen Teilhabe beider Ehegatten am Vermögenszuwachs während der Ehe kommt eine Güterstandsschaukel im Rahmen der Vermögens- und Nachfolgeplanung insbesondere für folgende Ziele in Betracht:
Güterstandsschaukel als vorbereitende Strukturmaßnahme für die NachfolgeplanungDie frühzeitige Übertragung von Vermögen auf die nachfolgende(n) Generation(en), insbesondere auf Kinder und Enkelkinder, bietet die Möglichkeit, steuerliche und rechtliche Vorteile zu nutzen und das Familienvermögen langfristig zu sichern. Aus steuerlicher Sicht dient eine frühzeitige Vermögensübertragung insbesondere der wiederkehrenden Ausnutzung der persönlichen Steuerfreibeträge. Im Verhältnis der Ehegatten zu den Abkömmlingen bestehen Freibeträge von jeweils EUR 400.000,00 zu jedem Kind und EUR 200.000,00 zu jedem Enkelkind, jeweils von jedem Ehegatten ausgehend. Auf diese Weise lässt sich die Schenkung- und Erbschaftsteuerbelastung nachhaltig optimieren. Darüber hinaus profitiert die nachfolgende Generation bei frühzeitiger Vermögensübertragung davon, dass die Wertsteigerungen des lebzeitig bereits übertragenen Familienvermögens bei ihnen erbschaft- und schenkungsteuerfrei entstehen. Die ihnen zugewendeten Erträge erhalten die Abkömmlinge ebenfalls erbschaft- und schenkungsteuerfrei und häufig zu einem niedrigeren persönlichen Einkommensteuersatz als die Schenker.
Wurde das Vermögen während der Ehe jedoch einseitig von einem Ehegatten erwirtschaftet, so bleibt dieses Vermögen während der Ehe grundsätzlich in dessen alleinigen Eigentum. Wie zuvor bereits dargestellt, bleiben die Vermögensmassen der Ehegatten – entgegen dem in der Praxis häufig irreführenden Begriff der Zugewinngemeinschaft – während der Ehe grundsätzlich getrennt.. Daher kann häufig ein Ehegatte, der z.B. wegen der Erziehung gemeinsamer Kinder nicht oder nur eingeschränkt am Erwerbsleben teilgenommen hat, seine persönlichen Freibeträge zu den Abkömmlingen nicht oder nicht vollständig nutzen, sofern nicht hinreichend Vermögen bei diesem Ehegatten allokiert ist. Durch eine steuerfreie Vermögensübertragung im Rahmen einer Güterstandsschaukel können die Vermögensverhältnisse der Ehegatten angeglichen, und so die Freibeträge beider Elternteile nutzbar gemacht werden und gegebenenfalls die Steuertarifprogression optimiert werden.
Güterstandsschaukel zur Regulierung ungeplanter Schenkungen zwischen EhegattenWird diese Trennung der Vermögensmassen der Ehegatten während der Ehe – wie oftmals – von den Ehegatten nicht befolgt, weil sie irrtümlich davon ausgehen, dass das während der Ehe erwirtschaftete Vermögen und Einkommen automatisch beiden Ehegatten zu gleichen Teilen zustehe, kann dies zu schenkungsteuerlich relevanten Vermögensverschiebungen zwischen den Ehegatten führen. Dies gilt jedenfalls, soweit unentgeltliche Vermögensverschiebungen zwischen den Ehegatten in eine Richtung innerhalb von zehn Jahren den Freibetrag von
EUR 500.000,00 übersteigen. Auslöser für solche Vermögensverschiebungen kann z.B. der gemeinsame Erwerb von Immobilien zu Vermietungszwecken sein, sofern das Eigenkapital nur von einem Ehegatten stammt oder nur ein Ehegatte die Tilgungsleistung für ein aufgenommenes Finanzierungsdarlehen bedient. Auch der gemeinsame Vermögensaufbau auf Gemeinschaftskonten oder auf gemeinschaftlich geführten Wertpapierdepots kann zu ungeplanten Vermögensverschiebungen mit Schenkungscharakter führen. Solche unbeabsichtigten Schenkungen können durch eine Güterstandsschaukel rückwirkend bereinigt werden mit der Folge, dass in der Zukunft keine Schenkungsteuer mehr festgesetzt werden kann bzw. eine bereits festgesetzte Schenkungssteuer mit Wirkung für die Vergangenheit erlischt. Rechtstechnisch erfolgt dies durch eine Anrechnung entsprechender Vorausempfänge nach § 1380 BGB im Rahmen der ehevertraglichen Vereinbarung auf die Zugewinnausgleichsforderung. Auf die Details dieser Anrechnung sowie die steuerliche Behandlung nach § 29 ErbStG gehen wir in einem gesonderten Beitrag näher ein.
Darüber hinaus kann eine Güterstandsschaukel auch zur Reduzierung etwaiger Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche einseitiger Abkömmlinge eines Ehegatten führen. Pflichtteilsberechtigt sind insbesondere Abkömmlinge des Erblassers, die durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen sind. Der Pflichtteil besteht in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils. Zum Schutz des Pflichtteilsberechtigten räumt der Gesetzgeber diesem zusätzlich einen Pflichtteilsergänzungsanspruch für den Fall ein, dass der Erblasser vor seinem Tod Schenkungen an Dritte gemacht hat, die den Pflichtteilsanspruch des Pflichtteilsberechtigten schmälern. Die Erfüllung des Zugewinnausgleichsanspruchs ist hingegen keine Schenkung, sondern erfolgt entgeltlich (s.u.). Daher liegt bereits keine Schenkung vor, die Voraussetzung eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs ist. Durch die lebzeitige Erfüllung eines Zugewinnausgleichsanspruchs kann der für den Pflichtteilsanspruch maßgebliche Nachlass des Ehegatten mithin steuerfrei und in bestimmten Grenzen auch pflichtteilsfest reduziert werden.
Die Durchführung der GüterstandsschaukelZu Beginn einer Güterstandsschaukel steht stets die Ermittlung der Anfangs- und Endvermögen beider Ehegatten. Es bedarf einer vollständigen Ermittlung, um eine konkrete Berechnung vornehmen und darlegen zu können. Auch kann nur auf dieser Grundlage entschieden werden, ob im Rahmen der Gestaltung Modifikationen des Zugewinnausgleichs erforderlich sind, um zu den gewünschten Ergebnissen zu gelangen.
Beendigung des Güterstands der ZugewinngemeinschaftDie Durchführung der Güterstandsschaukel setzt zunächst einen Zugewinnausgleichsanspruch voraus. Dieser wird durch einen ehevertraglichen Wechsel des Güterstands ausgelöst. Dafür bedarf es des Abschlusses eines notariellen Ehevertrages, mit dem der Güterstand der Zugewinngemeinschaft beendet und ein anderer Güterstand, insbesondere die Gütertrennung, vereinbart wird. In dem Fall, dass die Ehegatten bereits im Güterstand der Gütertrennung leben, ist im Einzelfall zu prüfen, ob auch eine rückwirkende Vereinbarung des Güterstands der Zugewinngemeinschaft in Betracht kommt, um erst anschließend in einem zweiten Schritt einen Zugewinnausgleichsanspruch auszulösen. In Abhängigkeit der Umstände des Einzelfalls muss hier die steuerliche Anerkennungsfähigkeit geprüft werden. Jedenfalls lohnt sich auch bei bestehender Gütertrennung eine Prüfung der bestehenden Gestaltungsmöglichkeiten.
Der Zugewinnausgleichsanspruch muss auf Basis der ehevertraglichen Vereinbarungen konkret berechnet und tatsächlich erfüllt werden. Der Zugewinnausgleichsanspruch ist gesetzlich auf die Zahlung eines Geldbetrages gerichtet. Sofern entsprechende freie Liquidität vorhanden ist, kann der Anspruch durch Zahlung bedient werden. Sind liquide Mittel im entsprechenden Umfang nicht vorhanden, muss geprüft werden, ob der Zugewinnausgleichsanspruch durch Übertragung anderer Vermögensgegenstände erfüllt werden kann. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Bedienung des Zugewinnausgleichsanspruchs auch ertragsteuerlich ein entgeltlicher Vorgang ist und Ertragsteuern auslösen kann, sofern steuerverstrickte Gegenstände in Erfüllung des Zugewinnausgleichsanspruchs übertragen werden. Beispielsweise kann bei Übertragung eines Wertpapier-Depots, in dem Buchgewinne vorhanden sind, die Kapitalertragsteuer beim übertragenden Ehegatten ausgelöst werden. Unter bestimmten Voraussetzungen, beispielsweise bei einer fremdvermieteten Immobilie, kann dies aber auch einen positiven Nebeneffekt erzeugen, indem neues Abschreibungspotential auf diesem Wege erzeugt wird. Mithin bedarf es einer Betrachtung im konkreten Einzelfall.
Sofern eine Bewirkung des Zugewinnausgleichs nur aus steuerverstrickten Vermögensgegenständen möglich ist, ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Vermeidung von Ertragsteuerfolgen gegebenenfalls durch Vereinbarung eines sogenannten gegenständlichen Zugewinnausgleiches erreicht werden kann. Gestalterischer Ansatz hierbei ist es, durch ehevertragliche Vereinbarung anstatt eines Anspruches auf Geldzahlung, den Zugewinnausgleich unmittelbar auf Übertragung eines bestimmten Vermögensgegenstandes auszurichten. Die ertragsteuerliche Anerkennung einer solchen Gestaltung ist jedoch im jeweiligen Einzelfall zu prüfen und erforderlichenfalls vorab verbindlich beim Finanzamt anzufragen.
Optional: Rückwechsel in den Güterstand der ZugewinngemeinschaftIm weiteren Verlauf ist zu prüfen, ob zu gegebener Zeit ein Rückwechsel in den Güterstand der Zugewinngemeinschaft („Schaukel“) opportun ist. Gegebenenfalls kann dies durch erneuten Ehevertragsschluss unter Vereinbarung der Zugewinngemeinschaft für die Zukunft geschehen. Durch den Rückwechsel kann für die Zukunft erneut Ausgleichspotential aufgebaut werden. Dieses kann gegebenenfalls für eine erneute Güterstandsschaukel in der Zukunft genutzt werden, aber auch im Erbfall gewährt ein Zugewinnausgleichsanspruch des länger lebenden Ehegatten im Zeitpunkt des Erbfalls einen erbschaftsteuerlichen Vorteil nach § 5 ErbStG. Auch aus diesem Grund kann ein Rückwechsel in die Zugewinngemeinschaft sinnvoll sein. Hinzukommen die mittelbaren Wirkungen des Ehegüterstands auf die gesetzlichen Erbquoten der Abkömmlinge. Sofern ein Interesse daran besteht, die Pflichtteilsansprüche der Abkömmlinge eher gering zu halten, kann auch aus diesem Grund ein Rückwechsel in die Zugewinngemeinschaft in Betracht kommen. In der Praxis ist darauf zu achten, dass der Rückwechsel in die Zugewinngemeinschaft erst nach einer angemessenen Zeitdauer erfolgt.
Damit die Güterstandsschaukel gelingt, ist eine präzise rechtliche Vorbereitung und Umsetzung unerlässlichDie Güterstandsschaukel ist ein beliebtes Gestaltungsmittel, um Vermögen zwischen Ehegatten schenkungsteuerfrei zu übertragen. Die Umsetzung einer Güterstandsschaukel ist rechtlich und steuerlich anerkannt. Die Praxis zeigt, dass jedoch großer Wert auf eine saubere Vorbereitung und Umsetzung gelegt werden muss, damit die gewünschten Ziele rechtssicher erreicht werden. Eine versierte (steuer-)rechtliche Beratung von Anfang an ist daher unerlässlich, um das Potential der Güterstandsschaukel voll ausschöpfen zu können.
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UPDATE: Der Referentenentwurf zum KI-Marktüberwachungs- und Innovationsförderungsgesetz
Am 1. August 2024 trat die Verordnung des Europäischen Parlaments und Rates (EU) 2024/1689 (KI-VO) in Kraft, die harmonisierte Regeln für künstliche Intelligenz (KI) festlegt. Bis August 2025 mussten die Mitgliedstaaten die notwendigen Strukturen für die Marktüberwachung schaffen. Deutschland hat diese Frist verpasst. Ein erster Referentenentwurf des KI-Marktüberwachungsgesetzes (KIMÜG-Entwurf) wurde zwar bereits im Dezember 2024 noch unter der alten Bundesregierung bekannt, bisher aber noch nicht als Gesetz verabschiedet. Ein neuer Referentenentwurf für ein „KI-Marktüberwachungs- und Innovationsförderungsgesetz“ (KI-MIG), knüpft an den Entwurf aus dem letzten Jahr an und gibt Hinweise, wie Deutschland die Aufsichtsstruktur und die Behördenorganisation zur Umsetzung der KI-VO gestalten könnte.
Dieser Blogbeitrag skizziert die wesentlichen Inhalte des KI-MIG-Entwurfs und beleuchtet zentrale Punkte des geplanten Umsetzungsgesetzes.
Aufsichts- und Behördenstruktur: Nutzung bestehender Strukturen und die Bundesnetzagentur als zentrale InstanzNach der KI-VO muss jeder Mitgliedstaat mindestens eine notifizierende Behörde und mindestens eine Marktüberwachungsbehörde als zuständige nationale Behörden einrichten oder benennen (Art. 70 Abs. 1 S. 1 KI-VO).Während die nationale Marktüberwachungsbehörde die Aufsicht über verbotene Praktiken im KI-Bereich, über Hochrisiko-KI-Systeme sowie über die Einhaltung von Transparenzpflichten durch Anbieter und Betreiber bestimmter KI-Systeme übernimmt, verantwortet die notifizierende Behörde die Einrichtung und Durchführung der erforderlichen Verfahren für die Bewertung, Benennung, Notifizierung und Überwachung von Konformitätsbewertungsstellen.
Der neue KI-MIG-Entwurf sieht vor, dass die Behörden, die in vollharmonisierten Bereichen der Produktregulierung bereits zuständige Marktüberwachungs- und notifizierende Behörde sind, zugleich im Bereich der KI-VO zuständige Behörde werden. Durch eine Zukunftsklausel gilt diese Zuständigkeitsverteilung zudem in Bereichen, in denen entsprechende europäische Harmonisierungsvorschriften in der Zukunft erst noch erlassen werden.
Anders als der alte Referentenentwurf beinhaltet der neue § 2 Abs. 3 bis 4 KI-MIG-E nunmehr einen ausführlichen Katalog an Zuständigkeiten, der festlegt, in welchen Fällen die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht als Marktüberwachungsbehörde im Rahmen der KI-VO zuständig wird. Grundsätzlich übernimmt sie die Aufsicht für Hochrisiko-KI-Systeme, die in direktem Zusammenhang mit einer regulierten Finanztätigkeit stehen.
Der neue Entwurf nimmt zudem in größerem Umfang auf die Verordnung des Europäischen Parlaments und Rates (EU) 2024/2847 („Cyberresilienz-Verordnung“) Bezug, welche Vorschriften für die Cybersicherheit von Produkten mit digitalen Elementen regelt. Soweit KI-Systeme in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen und zugleich als Hochrisiko-KI-Systeme gemäß der KI-VO einzustufen sind, ist die nach der KI-VO zuständige Marktüberwachungsbehörde zugleich für die Einhaltung der nach der Cyberresilienz-Verordnung vorzunehmenden Marktüberwachungstätigkeiten zuständig.
Für alle Bereiche, für die es keine bestehende bzw. gesetzlich zugewiesene Aufsichtsbehörde gibt, wird die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (Bundesnetzagentur) zuständige Marktüberwachungsbehörde und notifizierende Behörde. Die Aufsicht über KI-Modelle mit allgemeinem Verwendungszweck fällt hingegen in den Zuständigkeitsbereich des EU AI Office, das die europaweite Überwachung und Koordination sicherstellen soll.
Die Regelungen des KI-MIG zielen darauf ab, bestehende behördliche Strukturen der Marktüberwachung zu nutzen und den Aufbau von Doppelstrukturen zu vermeiden. Gleichzeitig führt dies jedoch zu einer Vielzahl von zuständigen Behörden. Deshalb formuliert auch der neue KI-MIG-Entwurf Vorschriften zur Zusammenarbeit und Kooperation der zuständigen Marktaufsichtsbehörden und sieht die Beteiligung weiterer Behörden vor, soweit ihre Zuständigkeiten tangiert sind (insbesondere die Datenschutzbehörden, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und das Bundeskartellamt, § 9 Abs. 4 KI-MIG-E).
Auch soll durch die Bündelung der Ressourcen und Kompetenzen bei der Bundesnetzagentur einem zentralen Problem bei der Umsetzung der KI-VO begegnet werden: dem KI-Fachkräftemangel. Die Bundesnetzagentur soll die anderen Behörden unterstützen und ihnen ihre Ressourcen zur Verfügung stellen. Dadurch soll eine Konkurrenz um KI-Fachkräfte und Ressourcen zwischen den Behörden vermieden werden. Zudem soll eine möglichst einheitliche und praktikable Auslegung und Anwendung der KI-VO sichergestellt werden.
Ähnlich wie auch der Referentenentwurf aus Dezember 2024 regelt der Entwurf des KI-MIG weitere Aufgaben und Zuständigkeiten der Bundesnetzagentur:
Zentrales Koordinierungs- und Kompetenzzentrum (KoKIVO)Der KI-MIG-Entwurf sieht die Einrichtung eines zentralen Koordinierungs- und Kompetenzzentrums (KoKIVO) bei der Bundesnetzagentur vor. Sie wird damit Koordinierungsstelle für die Zusammenarbeit aller zuständigen Marktüberwachungs- und notifizierenden Behörden sowie der Akkreditierungsstellen. Sie soll zuständigen Behörden bei komplexen Entscheidungen im Anwendungsbereich der KI-VO unterstützen und im Bedarfsfall in ihrer Zuständigkeit betroffene Bundesbehörden hinzuziehen. Zudem soll sie darauf hinwirken, dass die KI-VO einheitlich ausgelegt wird. Hierzu können Ausschüsse – vergleichbar mit dem Format der Bund-Länder-Ausschüsse – eingerichtet werden, denen verschiedene Behörden angehören. Eine weitere Aufgabe des KoKIVO wird in der aktiven Mitwirkung an der Erstellung von Verhaltenskodizes liegen. Hierzu soll sie den Austausch zwischen Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft fördern.
Unabhängige Marktüberwachungskammer (UKIM)Bei der Bundesnetzagentur soll eine unabhängige Marktüberwachungskammer (UKIM) speziell für KI-Hochrisikosysteme, die von Strafverfolgungs-, Einwanderungs- oder Asylbehörden in Betrieb genommen werden sollen, eingerichtet werden. Diese ist dabei völlig unabhängig von der Bundesnetzagentur, kann aber gleichzeitig auf ihre Ressourcen zugreifen. Nach dem Entwurf des KI-MIG soll die UKIM dem Bundestag jährlich einen Tätigkeitsbericht vorlegen, welcher erstmals für das Jahr 2026 erstellt werden soll.
Damit wurde kein Gebrauch gemacht von der in der KI-VO genannten Alternative, diese Teilaufgabe auf die Datenschutzbehörde zu übertragen. Begründet wird dies sowohl mit der Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten, insbesondere unklare Zuständigkeiten und auseinanderfallende Ansprechpartner für Unternehmen und Verwaltung, als auch mit der Sicherstellung einer einheitlichen Auslegung und Anwendung der KI-VO.
Zentrale AnlaufstelleDie Bundesnetzagentur wird die zentrale Anlaufstelle gem. Art. 70 Abs. 2 S. 3 KI-VO und damit der zentrale deutsche Ansprechpartner auf Ebene der Mitgliedstaaten und der Union bezüglich der Anwendung der KI-VO. Auch wird sie damit Koordinatorin in der Schnittstelle zu dem EU AI Office.
Sie soll von allen zuständigen Marktüberwachungs- und notifizierenden Behörden Informationen über ihre jeweiligen Aufgaben und Ansprechpersonen erhalten und diese öffentlich zugänglich machen und ist zuständig für die Melde- und Berichtspflichten auf Ebene der Mitgliedstaaten und der Union, die sich aus der KI-VO ergeben und für die Beantwortung von Anfragen der Kommission.
Zentrale BeschwerdestelleDie Bundesnetzagentur wird gleichzeitig die zentrale Beschwerdestelle. Nach Art. 85 der KI-VO sind Beschwerden wegen eines Verstoßes gegen die KI-VO bei der betreffenden Marktüberwachungsbehörde einzureichen. Dies wird für den Beschwerdeführer durch den KI-MIG-Entwurf vereinfacht, indem dieser seine Beschwerde zentral bei der Bundesnetzagentur einreichen kann, die die Zuständigkeitsprüfung übernimmt und die Beschwerde ggf. an die zuständige Marktüberwachungsbehörde weiterreicht.
Wissensvermittlung und InnovationsförderungDer aktuelle Referentenentwurf legt zudem einen noch stärkeren Fokus auf Wissensvermittlung und Innovationsförderung.
Der Bundesnetzagentur soll nach § 12 KI-MIG-E die Aufgabe zukommen, Marktteilnehmer mit Blick auf die Anwendung der KI-VO zu informieren, Sensibilisierungs- und Schulungsmaßnahmen durchzuführen und den Wissensaufbau und -austausch zum Thema KI zu fördern mithilfe von Studien, Analysen und Fachveranstaltungen.
Nach Art. 57 KI-VO müssen Mitgliedstaaten mindestens ein KI-Reallabor einrichten und betreiben für die Entwicklung, das Training, das Testen und die Validierung innovativer KI-Systeme unter Realbedingungen.
Die Bundesnetzagentur ist nach dem KI-MIG-Entwurf zuständig für die Einrichtung und den Betrieb mindestens eines Reallabors. Der Zugang soll dabei vorrangig KMU, einschließlich Start-ups, die ihren Sitz oder eine Zweigniederlassung in der Union haben, und die Voraussetzungen und Auswahlkriterien erfüllen, gewährt werden. Die Überwachung der Durchführung der Tests obliegt der jeweils zuständigen Marktüberwachungsbehörde.
Weitere RegelungenSchließlich regelt der KI-MIG-Entwurf die Anwendung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten für Bußgelder bei Verstößen gegen die KI-VO, legt hier die nach dem KI-MIG-E jeweils zuständige Marktüberwachungs- bzw. notifizierende Behörde oder die Deutsche Akkreditierungsstelle als zuständige Verwaltungsbehörde fest und regelt noch einmal explizit die Aufbewahrungspflichten aus Art. 18 Abs. 1 der KI-VO für Anbieter.
Ausblick: Umsetzung des KI-Marktüberwachungs- und InnovationsförderungsgesetzesDer Referentenentwurf des KI-Marktüberwachungs- und Innovationsförderungsgesetzes bietet eine solide Grundlage für die Umsetzung der KI-VO in Deutschland und verfolgt einen durchdachten Ansatz, der Effizienz, Innovation und Praxistauglichkeit miteinander verbindet. Die vorgeschlagene zentrale Rolle der Bundesnetzagentur und die Nutzung bestehender Strukturen sind vielversprechend, um klare Verantwortlichkeiten zu schaffen und insbesondere KMU sowie Start-ups effektiv zu unterstützen. Dennoch bleibt abzuwarten, ob und in welcher Form dieser Entwurf letztlich umgesetzt wird.
Nunmehr muss ein zügiges Inkrafttreten des Gesetzes erfolgen, da die Benennung der zuständigen Behörden eigentlich schon zum 2. August 2025 hätte erfolgen müssen.
In unserem CMS-Blog halten wir Sie mit unserer Blog-Serie „Künstliche Intelligenz“ fortlaufend zu diesem Thema auf dem Laufenden. Sie können diese Blog-Serie über den RSS-Feed abonnieren und werden von uns über neue Beiträge benachrichtigt. Im Rahmen dieser Blog-Serie sind bereits Beiträge erschienen zu Themen wie KI im Journalismus: Chancen, Risiken, regulatorische Herausforderungen oder zur Frage, was „KI-Systeme“ i.S.d. KI-Verordnung bedeutet. Weitere Beiträge befassen sich mit AI-Washing, der GPAI-Compliance oder mit dem Urteil des OLG Köln: KI-Training mit Nutzerdaten ist zulässig.
Haben Sie Anregungen zu weiteren Themen rund um KI, die in unserer Blog-Serie „Künstliche Intelligenz“ nicht fehlen sollten? Schreiben Sie uns gerne über blog@cms-hs.com.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.
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Strategien von Arbeitgebern im Vorfeld von BR-Wahlen: Was geht, was geht nicht?
Im Frühjahr 2026 stehen in vielen Betrieben in Deutschland die nächsten regelmäßigen Betriebsratswahlen an (§ 13 Abs. 1 BetrVG). Der Ausgang dieser Wahlen hat nicht nur für die von dem jeweiligen Betriebsrat repräsentierte Belegschaft, sondern auch für die Arbeitgeberseite erhebliche Bedeutung. Denn eine vertrauensvolle und damit erfolgreiche Zusammenarbeit der Betriebsparteien setzt voraus, dass auch auf Betriebsratsseite engagierte und kompetente Arbeitnehmer* agieren, die um eine konstruktive Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber zum Wohle der Belegschaft und des Betriebs bemüht sind. Die konkrete personelle Besetzung eines Betriebsrats kann insoweit erhebliche Auswirkungen auf die Zusammenarbeit der Betriebsparteien haben. Vor diesem Hintergrund stellen sich Arbeitgeber oftmals die Frage, ob und inwieweit sie im Vorfeld von Betriebsratswahlen und insbesondere während des Wahlkampfs Einfluss auf die Betriebsratswahl nehmen können und dürfen.
Verbot der Behinderung und der Beeinflussung der BetriebsratswahlenDie Handlungsmöglichkeiten von Arbeitgebern im Vorfeld von Betriebsratswahlen werden maßgeblich von den Wahlschutzbestimmungen des § 20 BetrVG bestimmt. Natürlich darf danach niemand die Wahl des Betriebsrats behindern (§ 20 Abs. 1 S. 1 BetrVG) oder die Wahl des Betriebsrats durch Zufügung oder Androhung von Nachteilen oder durch Gewährung oder Versprechen von Vorteilen beeinflussen (§ 20 Abs. 2 BetrVG). Der vorsätzliche Verstoß gegen diese Vorgaben stellt eine Straftat dar, die mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft wird. Die Tat wird allerdings nur auf Antrag des Betriebsrats, des Gesamtbetriebsrats, des Konzernbetriebsrats, der Bordvertretung, des Seebetriebsrats, einer der in § 3 Abs. 1 bezeichneten Vertretungen der Arbeitnehmer, des Wahlvorstands, des Unternehmers oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft verfolgt (§ 119 BetrVG). Zudem kann eine Behinderung oder Einflussnahme auf die Betriebsratswahl eine Anfechtung der Wahl begründen und – in besonders schweren Fällen – sogar zur Nichtigkeit der Wahl führen. Auch vor diesem Hintergrund hat die Einhaltung dieser Vorgaben für Arbeitgeber daher erhebliche Relevanz.
Eine Behinderung der Betriebsratswahl liegt vor, wenn die Einleitung oder Durchführung der Wahl durch ein rechtswidriges Verhalten erschwert oder unmöglich gemacht wird (BAG, Beschluss v. 25. Oktober 2017 – 7 ABR 10/16). Hier geht es insbesondere darum, dass die Arbeitnehmer nicht rechtswidrig in der Ausübung ihres aktiven und passiven Wahlrechts eingeschränkt werden dürfen (§ 20 Abs. 1 S. 2 BetrVG).
Arbeitgebern ist es daher verboten, Arbeitnehmern zu dem Zweck zu kündigen oder diese zu versetzen, damit diese nicht an der Wahl des Betriebsrats teilnehmen können. Kündigungen oder Versetzungen, die nicht zu dem Zweck der Wahlbehinderung erfolgen, sind hingegen weiterhin möglich. Möglich sind also beispielsweise Kündigungen oder Versetzungen, die aus betriebs- oder verhaltensbedingten Gründen erfolgen. Dies gilt auch dann, wenn die Kündigung oder Versetzung zu einem Verlust der Wahlberechtigung oder der Wählbarkeit des Arbeitnehmers führen sollte. Allerdings ist der gesetzliche Sonderkündigungs- bzw. Versetzungsschutz der §§ 15 KSchG bzw. 103 BetrVG zu beachten, wenn der von der Maßnahme betroffene Arbeitnehmer einer der dort benannten Arbeitnehmergruppen (z.B. Betriebsrats- oder Wahlvorstandsmitglieder) angehören sollte.
Auch die Ausübung von Wahlwerbung durch die Arbeitnehmer oder durch im Betrieb vertretene Gewerkschaften ist durch das Verbot der Wahlbehinderung geschützt. Der Arbeitgeber darf daher nicht generell jegliche Wahlwerbung im Betrieb verbieten. Vielmehr muss er zulässige Wahlwerbung dulden. Dazu kann das Verteilen von Flyern während der Pausenzeiten oder der Aushang von Wahlplakaten im Betrieb gehören. Arbeitgeber sind jedoch nicht verpflichtet, die Kosten von Wahlwerbung zu tragen.
Das Verbot der Wahlbehinderung hat aber nicht zur Folge, dass der Arbeitgeber alles unternehmen muss, damit sich die Arbeitnehmer tatsächlich an der Betriebsratswahl beteiligen. Nur soweit ihm das Gesetz entsprechende Pflichten, wie z.B. zur Erteilung und Zurverfügungstellung der für die Erstellung der Wählerliste erforderlichen Auskünfte bzw. Unterlagen gegenüber dem Wahlvorstand (§ 2 Abs. 2 WO) auferlegt, ist er zur Förderung und Mitwirkung an der Betriebsratswahl verpflichtet. Folgerichtig ist der Arbeitgeber daher nicht verpflichtet Arbeitnehmer, die Wahlwerbung betreiben wollen, hierfür bezahlt freizustellen (Arbeitsgericht Düsseldorf, Urteil v. 21. Juli 1981 – 1 Ca 2201/81).
Keine strikte Neutralitätspflicht für Arbeitgeber im Wahlkampf bei BetriebsratswahlenDas Verbot der Wahlbeeinflussung gemäß § 20 Abs. 2 BetrVG soll demgegenüber die innere Willensbildung der Arbeitnehmer schützen, um eine freie Wahlentscheidung zu gewährleisten. Hierdurch wird jedoch nicht jede Verhaltensweise verboten, die geeignet sein könnte, die Betriebsratswahl zu beeinflussen. Vielmehr setzt ein Verstoß gegen das Wahlbeeinflussungsverbot stets voraus, dass die konkrete Beeinflussung durch Zufügung oder Androhung von Nachteilen oder durch die Gewährung oder das Versprechen von Vorteilen erfolgt (BAG, Beschluss v. 23. Oktober 2024 – 7 ABR 34/23; ebenso BAG, Beschluss v. 25. Oktober 2017 – 7 ABR 10/1).
Unzulässig ist es daher, wenn ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer mit einer Kündigung, einer Versetzung oder dem Entzug von Leistungen droht, sofern dieser nicht im Sinne des Arbeitgebers ein bestimmtes Wahlverhalten zeigt. Spiegelbildlich ist es gleichermaßen unzulässig, einem Arbeitnehmer begünstigende Leistungen (z.B. Geldzahlungen, zusätzliche Urlaubstage oder eine Beförderung) für den Fall zu versprechen, dass er seine Stimme für einen bestimmten Kandidaten / eine bestimmte Liste abgibt. Arbeitgeber dürfen auch nicht einzelne Kandidaten oder Wahlvorschlagslisten für die Betriebsratswahl finanziell unterstützen (BGH, Beschluss v. 13. September 2010 – 1 StR 220/09; ebenso BAG, Beschluss v. 25. Oktober 2017 – 7 ABR 10/1).
Trotz solcher Schranken sind Arbeitgeber nicht zur strikten Neutralität verpflichtet (BAG, Beschluss v. 25. Oktober 2017 – 7 ABR 10/1). Insbesondere müssen sie sich nicht jeder Äußerung, die möglicherweise Einfluss auf das Ergebnis einer Betriebsratswahl haben könnte, enthalten. Erst wenn durch solche Äußerungen die Entscheidungsfreiheit der Wähler mittels Zufügung oder Androhung von Nachteilen bzw. Gewährung oder Versprechen von Vorteilen manipuliert werden soll, wird das Wahlbeeinflussungsverbot verletzt.
Folgerichtig sind Arbeitgeber und verantwortliche Führungskräfte auch nicht verpflichtet, sich jeder kritischen Äußerung über den amtierenden Betriebsrat oder einzelne seiner Mitglieder zu enthalten. Sie dürfen nicht nur Kritik ausüben, sondern sogar gegenüber der Belegschaft anregen, eine alternative Wahlvorschlagsliste aufzustellen. Ebenso dürfen sie anregen, für eine solche, alternative Liste zu kandidieren. Zudem stellt es auch keine unzulässige Wahlbeeinflussung dar, wenn der Arbeitgeber nur seine Sympathie mit bestimmten Listen oder Kandidaten bekundet.
Konkrete Handlungsmöglichkeiten für Arbeitgeber bei BetriebsratswahlenIm Rahmen der vorstehenden Grundsätze haben Arbeitgeber also durchaus die Möglichkeit, sich im Vorfeld von Betriebsratswahlen zu diesen zu äußern.
Arbeitgeber können beispielsweise
- die Belegschaft allgemein dazu auffordern, sich an der Betriebsratswahl zu beteiligen,
- Kritik am bestehenden Betriebsrat oder an einzelnen seiner Mitglieder äußern,
- die Belegschaft auffordern, alternative Kandidaten / Wahlvorschlagslisten aufzustellen und hierfür zu kandidieren sowie
- einzelne Arbeitnehmer gezielt darauf ansprechen und anregen, dass diese für eine Betriebsratswahl kandidieren.
Stets ist allerdings darauf zu achten, dass hierbei den Arbeitnehmern oder einzelnen Listen keine Vorteile gewährt oder versprochen oder Nachteile zugefügt oder angedroht werden.
Zudem sollte stets abgewogen werden, ob und inwieweit solche Äußerungen nicht nur rechtlich zulässig, sondern auch taktisch sinnvoll sind. Denn eine Sympathiebekundung für einzelne Listen kann unter Umständen auch dazu führen, dass die Arbeitnehmer erst recht von der Wahl dieser Liste absehen.
*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.
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Gestalten statt verwalten: Wie D&O-Versicherungen Führungsspielräume erweitern können
In Zeiten wachsender regulatorischer Anforderungen, erhöhter Transparenzpflichten und zunehmender Komplexität unternehmerischer Entscheidungen rücken Fragen der Organhaftung stärker in den Fokus. Für viele Führungspersönlichkeiten stellt sich heute nicht mehr nur die Frage nach rechtlicher Absicherung – sondern auch nach Gestaltungsfreiheit.
Die Directors-and-Officers-Versicherung (D&O) wird dabei oftmals lediglich als passiver Schutzschirm gegen Haftungsansprüche verstanden. Doch in der Praxis zeigt sich: Richtig konzipiert, umgesetzt und in die Governance-Struktur eingebettet, kann sie deutlich mehr. Sie eröffnet Entscheidungsspielräume, stärkt das Vertrauen in die Führung und professionalisiert den Umgang mit Risiken. Dieser Beitrag zeigt auf, wie Unternehmen gemeinsam mit juristischen Berater:innen und Versicherern nicht nur auf Haftung reagieren, sondern eine neue Qualität in der Steuerung rechtlicher Rahmenbedingungen schaffen können – vorausschauend und strategisch.
D&O-Versicherung als strategisches FührungsinstrumentTraditionell wird die D&O-Versicherung als Teil der Risikovorsorge betrachtet – ein Mittel, um mögliche finanzielle Folgen individueller Fehlentscheidungen abzufedern. Doch diese Betrachtung greift zu kurz. Moderne Unternehmensführung verlangt nach Lösungen, die nicht nur absichern, sondern auch Verantwortung strukturieren und Vertrauen ermöglichen.
Die D&O-Police kann – richtig gestaltet – ein integraler Bestandteil eines umfassenden Corporate-Governance-Systems sein. Sie bietet nicht nur den versicherten Personen Sicherheit, sondern auch dem Unternehmen selbst – etwa durch klare Haftungszuteilung, geregelte Freistellungsverfahren und eine geordnete Kommunikation mit dem Versicherer.
Diese strategische Sichtweise auf die D&O-Versicherung wird in der Praxis bislang noch zu selten eingenommen. Dabei ist gerade sie es, die Führung flexibler, resilienter und effektiver machen kann.
Dreiecksverhältnis aktiv gestalten: Unternehmen – Organ – VersichererEin zentraler Hebel für eine funktionale D&O-Struktur liegt in der Ausgestaltung der sogenannten Dreieckskonstellation: Versicherungsnehmer (in der Regel das Unternehmen), versicherte Person (z. B. Geschäftsführer:innen, Vorstände, Aufsichtsrät:innen) und Versicherer. Was nach einem technischen Detail klingt, birgt großes Gestaltungspotenzial.
Gerade in Fällen von Innenregress – also wenn das Unternehmen selbst gegen aktuelle oder ehemalige Organmitglieder vorgeht – ist eine saubere und vorausschauende Struktur essenziell. Hier geht es etwa um:
- Vertragliche Klarheit, wer im Schadenfall agiert und informiert,
- Abstimmungen zur Verteidigungsstrategie und
- präzise Regelungen zu Selbstbehalten und Deckungsumfang.
Wer diese Schnittstellen frühzeitig regelt, schafft Rechtssicherheit für alle Beteiligten – und vermeidet spätere Interessenkonflikte oder operative Blockaden.
Verteidigungskosten als vertrauensbildende MaßnahmeEin oftmals unterschätzter Aspekt der D&O-Deckung ist die Übernahme von Verteidigungskosten. Sie umfasst regelmäßig Anwalts- und Gerichtskosten im Rahmen der Anspruchsabwehr – unabhängig davon, ob ein Anspruch am Ende begründet ist. Doch hier beginnt die Praxisrelevanz: Denn genau an diesem Punkt entscheidet sich häufig, ob eine versicherte Person mit Vertrauen oder mit Unsicherheit in die rechtliche Auseinandersetzung geht. Unternehmen können und sollten gemeinsam mit erfahrenen Rechtsberater:innen definieren, wie mit der Auswahl von Verteidiger:innen, der Beteiligung des Versicherers an der Strategieentwicklung und der Kostenkontrolle umzugehen ist. Nicht selten kommt es hierbei zu Friktionen – die sich aber durch präzise vertragliche und organisatorische Regelungen vermeiden lassen. Gerade in größeren Konzernstrukturen oder bei börsennotierten Gesellschaften ist diese Abstimmung ein zentraler Baustein für wirksame Compliance und funktionierendes Krisenmanagement.
Marktentwicklung beobachten – und aktiv nutzenDie D&O-Versicherungslandschaft hat sich in den letzten Jahren deutlich gewandelt. Versicherer agieren zurückhaltender, Policen werden spezifischer, und neue Klauseln – etwa zu Quotenvorbehalten oder Vorvertraglichkeit – gewinnen an Bedeutung.
Das birgt Herausforderungen, aber auch Chancen: Unternehmen, die ihre D&O-Deckung regelmäßig überprüfen und mit fachlicher Unterstützung anpassen, können gezielt Einfluss auf Reichweite, Reaktionsgeschwindigkeit und Konfliktvermeidung nehmen.
Beispielhafte Gestaltungsansätze sind:
- Maßgeschneiderte Sublimits für Verteidigungskosten,
- regelmäßige Policen-Audits im Dialog mit Rechtsberater:innen und
- vertragliche Klarstellungen zu Anzeigepflichten und Rückwärtsdeckung.
So wird aus einem standardisierten Vertragsverhältnis ein dynamisches Führungsinstrument.
Praxisnah gedacht: GLA D&O als spezifische Lösung für UnternehmensverantwortlicheEin besonders praxisrelevantes Beispiel für die Weiterentwicklung klassischer D&O-Modelle ist die GLA D&O-Versicherung – kurz für Geschäftsführer- und leitende Angestellten-Haftpflichtversicherung. Diese spezielle Ausprägung zielt darauf ab, den Schutzbedarf von Entscheidungsträger:innen noch zielgerichteter abzudecken. Die GLA D&O greift sowohl bei internen Ansprüchen – also etwa, wenn das Unternehmen selbst Vorwürfe gegenüber einer verantwortlichen Person erhebt – als auch bei externen Forderungen, wie sie z. B. von Gesellschafter:innen, Gläubiger:innen oder Kund:innen geltend gemacht werden können.
Für viele Unternehmen bietet die GLA-Variante die Möglichkeit, eine maßgeschneiderte Schutzlösung zu etablieren, die Verantwortungsübernahme absichert, ohne Entscheidungsfreiheit zu blockieren. Richtig integriert, schafft sie genau das Sicherheitsgefühl, das moderne Unternehmensverantwortliche brauchen, um vorausschauend agieren zu können.
Fazit: D&O clever einsetzen – Vertrauen schaffen und führen ermöglichenDie D&O-Versicherung ist weit mehr als ein Risikoausgleichsinstrument. Richtig konzipiert, wird sie zum Baustein moderner Unternehmensführung: Sie schützt nicht nur, sondern befähigt. Sie reduziert nicht nur Haftungsängste, sondern schafft Handlungssicherheit.
Führungskräfte, die sich auf solche Rahmenbedingungen verlassen können, handeln freier – und oft auch mutiger. Unternehmen, die D&O aktiv gestalten, signalisieren Verantwortung, Professionalität und Zukunftsorientierung.
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Entwurf der neuen Technologietransfer-Gruppenfreistellungsverordnung
Die aktuelle Verordnung (EU) Nr. 316/2014 der Europäischen Kommission vom 21. März 2014 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen (TT-GVO) läuft Ende April 2026 aus. Die Europäische Kommission hatte vor einiger Zeit ein Evaluierungs- und Konsultationsverfahren eingeleitet, um Erkenntnisse über den praktischen Nutzen der TT-GVO und der von der Europäischen Kommission hierzu erlassenen Leitlinien (TT-Leitlinien) zu sammeln. Wir hatten über hierüber mehrfach berichtet.
Am 11. September 2025 hat die Europäische Kommission nun endlich den Entwurf für eine neue TT-GVO und den Entwurf für neue TT-Leitlinien veröffentlicht und die interessierten Kreise zur Stellungnahme aufgefordert.
Worum geht es bei TT-GVO und TT-LL?Die TT-GVO ist eine Gruppenfreistellung der Europäischen Kommission, mit der sie wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen über den Technologietransfer unter bestimmten Voraussetzungen von dem Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen nach Art. 101 Abs. 1 AEUV ausnimmt.
Der Sinn dahinter liegt darin, dass Technologietransfer-Vereinbarungen häufig die Verbreitung von Technologie fördern und Anreize für Forschung und Entwicklung schaffen und somit regelmäßig wettbewerbsfördernd sind. Dies gilt selbst dann, wenn sie wettbewerbsbeschränkende Wirkungen haben oder Klauseln mit wettbewerbsbeschränkender Wirkung enthalten. Ganz gravierende Wettbewerbsbeschränkungen sollen jedoch nicht zugelassen sein.
Typische Anwendungsfälle von Technologietransfer-Vereinbarungen sind Patentlizenzverträge, mit denen Patentinhaber bzw. Lizenzgeber den Lizenznehmern die Herstellung eines patentierten Produktes oder die Anwendung eines patentierten Verfahrens ermöglichen. Eine typische Beschränkung mit möglicherweise wettbewerbsbeschränkender Auswirkung wäre in diesem Beispiel eine Beschränkung des Gebiets, in dem der Lizenznehmer die patentierten Produkte verkaufen darf, oder eine Beschränkung der Bestimmung des Preises für den Verkauf an Dritte. Neben Patenten können auch Know-how oder andere geistige Eigentumsrechte (z.B. Gebrauchsmuster, Geschmacksmuster, Sortenschutzrechte, Software-Urheberrechte, etc.) Gegenstand eines Technologietransfer-Vertrages sein.
Die Regelungen der TT-GVO weisen einen hohen Abstraktionsgrad auf, um die vielfältigen Ausgestaltungen von Technologietransfer-Verträgen zu erfassen. Als Hilfe für den Rechtsanwender hatte die Europäische Kommission die TT-Leitlinien mit näheren Erläuterungen zu der kartellrechtlichen Prüfung von Technologietransfer-Verträgen erlassen.
Klarstellungen zu den Marktanteilsschwellen der TT-GVOWie erwartet, sollen die Marktanteilsschwellen nicht geändert werden. Die Europäische Kommission kommt allerdings dem Wunsch nach Klarstellungen und Präzisierungen nach.
So möchte die Europäische Kommission die „sunset clause“ der TT-GVO anpassen und den Übergangszeitraum für die Geltung der Freistellung, wenn die Marktanteile der Parteien erst während der Laufzeit der Vereinbarung die relevanten Schwellenwerte übersteigen, von zwei auf drei Jahre verlängern. Das dient der Verbesserung der Rechtssicherheit und Planbarkeit für die Unternehmen.
Die in den Erwägungsgründen der TT-GVO vorgenommene Klarstellung soll die Unsicherheiten bei der Berechnung der Marktanteile reduzieren. Demnach soll bei der Berechnung der Marktanteile gelten, dass auf Technologiemärkten, auf denen es noch keine Verkäufe von Vertragsprodukten gab, von einem Marktanteil von Null ausgegangen werden. Die Änderung wird nur deklaratorisch sein. Dies stand bisher in den TT-Leitlinien (Rn. 90) und wird auch weiterhin dort zu finden sein (in Rn. 112). Es handelt sich letztlich nur um ein „Upgrade“, was die Verbindlichkeit angeht.
Weitere kleinere Klarstellungen finden sich in der Vorschrift über die Anwendung der Marktanteilsschwellen (sowie in den TT-Leitlinien
Anpassung der Hinweise zu Technologiepools in den TT-LeitlinienIn der aktuellen TT-GVO wie auch im jetzt vorliegenden Entwurf für eine neue TT-GVO finden sich keine Regelungen zu Technologiepools. Mit Technologiepools ist gemeint, dass Inhaber von Technologierechten wie z.B. Patenten gemeinsam Lizenzen erteilen. Der Grund für die Nichtaufnahme in die TT-GVO ist, dass ihnen keine von nur zwei Unternehmen (also bilateral) geschlossenen Verträge zugrunde liegen, die TT-GVO aber nur auf bilaterale Verträge anwendbar ist. Eine Aufnahme multilateraler Verträge in die TT-GVO lehnt die Europäische Kommission weiterhin ab. Sie entspricht immerhin dem Wunsch der Praxis nach mehr „Guidance“ und möchte den in den TT-Leitlinien definierten sog. „weichen sicheren Hafen“ anpassen.
„Sicherer Hafen“ bedeutet in diesem Kontext, dass Unternehmen sich durch ihr Verhalten in der Regel keinen kartellrechtlichen Bedenken aussetzen, soweit sie die Anforderungen des „sicheren Hafens“, hier mit der Ausgestaltung ihres Technologiepools, einhalten. „Weich“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass es nicht auf quantitative Voraussetzungen wie insbesondere Marktanteile ankommt, sondern bloß auf qualitative.
Die vorgeschlagenen Anpassungen des „sicheren Hafens“ zielen auf die Herstellung von Transparenz (durch eine Offenlegung der enthaltenen Technologierechte), sog. „Essenzialität“, also dass nur essenzielle Technologien in dem Pool zusammengeführt werden (und keine ersetzbaren), und Vermeidung von doppelten Lizenzgebühren für ein und dasselbe Technologierecht.
Aufnahme des Themas „LNG“ in die TT-LeitlinienDie Europäische Kommission möchte dem in der Evaluierung und Konsultation geäußerten Wunsch entsprechen, das Thema „LNG“ künftig zu behandeln, wenn auch nicht in der TT-GVO selbst, so doch in den TT-Leitlinien.
Hinter der Abkürzung LNG verbirgt sich der Begriff der „Licensing Negotation Group“ oder – auf (kommissions)deutsch – Lizenzverhandlungsgruppe.
Lizenzverhandlungsgruppen sind potenzielle Lizenznehmer, die gemeinsam Lizenzbedingungen mit dem Lizenzgeber aushandeln. Die Befürworter sehen darin eine Möglichkeit, durch die Bündelung den Zugang zu wichtigen Technologien erleichtern. Für die Gegner handelt es sich um Einkaufskartelle. Die Wahrheit dürfte, wie so häufig, gerade auch im Kartellrecht, in der Mitte liegen. Und deswegen sieht die Europäische Kommission auch Handlungsbedarf, dem sie entsprechen möchte.
Sie macht dies durch Aufnahme eines ganzen neuen Kapitels in die TT-Leitlinien und Definition eines „weichen sicheren Hafens“, mit einem quantitativen Unterkriterium. Zusammengefasst hat der sichere Hafen folgende – zum Teil wenig überraschende – Voraussetzungen:
- Offener Zugang zur LNG
- Offenes Auftreten der LNG gegenüber dem Lizenzgeber
- Beschränkung der LNG auf das Aushandeln der Lizenzbedingungen
- Beschränkung des Informationsaustausches in der LNG auf das zwingend Erforderliche
- Kein kollektiver Boykott
- Keine Exklusivität und Vorgaben für die Lizenzvergabe durch den Lizenzgeber an Dritte
- Begrenzung der Lizenzgebühren auf maximal 10% des Verkaufspreises der Produkte, die die lizenzierte Technologie enthalten.
Außerhalb des sicheren Hafens bleibt eine Anwendung der allgemeinen Freistellungsvorschrift möglich und die Europäische Kommission gibt Hinweise hierfür.
Und was ist mit Datenlizenzen?Das Wichtigste vorneweg: Die neue TT-GVO soll nach den Vorstellungen der Europäischen Kommission keine Regelungen zu Datenlizenzen enthalten. Insoweit bleibt es bei dem bisherigen Stand der Dinge. Die Europäische Kommission greift jedoch die Erkenntnisse aus der Konsultation und eines Gutachtens auf und möchte das Thema der Datenlizenzen in den neuen TT-Leitlinien behandeln, und zwar in einem eigenen Unterabschnitt in dem Kapitel zu den Technologierechten.
Im Entwurf hält sie fest, dass sie die in der TT-GVO und in den TT-Leitlinien entwickelten Grundsätze „in der Regel“ auch auf die Lizenzierung von Daten anwenden wird, soweit diese Daten in einer Datenbank enthalten sind, die entweder urheberrechtlich oder durch das in der Datenbankrichtlinie festgelegte Schutzrecht geschützt ist. Jenseits dessen hat eine Prüfung im Einzelfall zu erfolgen, ob Grundsätze der TT-GVO auf Datenlizenzen angewendet werden können.
Neue TT-GVO: Evolution statt RevolutionDie Europäische Kommission hat sich die Mühe gemacht, die vorstehenden geplanten Änderungen und weitere kleinere Anpassungen an TT-GVO und TT-Leitlinien sie in einem Papier zusammenzufassen.
Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Europäische Kommission keine tiefgreifenden Änderungen vornehmen möchte und im Grundsatz an dem Inhalt der TT-GVO festhalten möchte. Unsere früheren Vorhersagen zur TT-GVO bzw. der Überarbeitung haben sich – mehr oder weniger – bewahrheitet.
Es bleibt abzuwarten, welche Hinweise für die Europäische Kommission sich aus der mit der Veröffentlichung der Entwürfe von TT-GVO und TT-Leitlinien gestarteten Konsultation noch ergeben. Die Frist für die Einreichung von Stellungnahmen endet am 25. Oktober 2025.
Unser Blick in die Kristallkugel sagt uns, dass die künftige TT-GVO und die TT-Leitlinien nicht wesentlich von den jetzt vorgelegten Entwürfen abweichen werden. Damit wird eine neue TT-GVO ihrer aktuell noch geltenden Vorgängerin recht ähnlich sehen. Die Europäischen Kommission setzt bei der TT-GVO auf – behutsame – Evolution und nicht Revolution.
Ganz genau werden wir es erst im Frühjahr 2026 wissen, wenn die Europäische Kommission rechtzeitig vor Auslaufen der aktuellen TT-GVO am 30. April 2026 eine neue beschlossen und im Amtsblatt veröffentlicht hat.
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Tarifwerk GVP/DGB: Befristung von Arbeitsverhältnissen
Im MTV BAP/DGB wurde von einer gesetzlichen Öffnungsklausel bei sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnissen Gebrauch gemacht (§ 14 Abs. 2 S. 3, 4 TzBfG). Danach konnte die sachgrundlose Befristung während einer Gesamtdauer von maximal zwei Jahren vier Mal verlängert werden (§ 9.2 S. 2 MTV BAP/DGB). Laut Gesetz ist grundsätzlich nur eine dreimalige Verlängerung zulässig (§ 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG). Im MTV iGZ/DGB ist eine vergleichbare Regelung nicht vorgesehen.
Es ist jedoch eine Übergangsregelung vorgesehen, nach der ordentliche Mitglieder des GVP, die zum Stichtag bis zum 31. Dezember 2025 an die BAP/DGB-Tarifverträge gebunden sind, bis zum 31.12.2027 weiterhin von der erweiterten Befristungsmöglichkeit Gebrauch machen, d.h. das sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnis bis zu einer Gesamtdauer von zwei Jahren vier Mal verlängern können. Aufgrund der großzügigen Übergangsregelung ergeben sich für die Anwender des BAP/DGB-Tarifwerks zunächst keine Änderungen bei der Befristung von Arbeitsverhältnissen. Mittelfristig müssen sich diese aber darauf einstellen, dass die erweiternden Möglichkeiten nach dem MTV BAP/DGB entfallen werden.
ACHTUNG: Die Übergangsregelung knüpft – wie auch die weiteren, im Tarifwerk GVP/DGB an zahlreichen Stellen vorgesehenen vergleichbaren Klauseln – daran an, dass diese für ordentliche Mitglieder des GVP gilt, die bis zum 31. Dezember 2025 an die BAP- bzw. (in anderen Zusammenhängen) iGZ-Tarifverträge gebunden sind.
Man könnte sich die Frage stellen, ob sich durch den Bezugspunkt „ordentliche Mitgliedschaft“ und eine damit verbundene bzw. erforderliche Tarifbindung (§ 4 Ziff. 2a Satzung des GVP) andere Unternehmen, die „nur“ über eine sog. OT- oder Fördermitgliedschaft im GVP verfügen (§ 4 Ziff. 2b, § 5 Satzung des GVP) oder schlicht kein Mitglied des GVP sind, überhaupt auf die Übergangsregelung/en berufen können. Diese Frage ist zu bejahen. Die ordentliche Mitgliedschaft im GVP bzw. iGZ (mit Tarifbindung) ist keine konstitutive Anforderung, die notwendigerweise erfüllt sein muss, um die Übergangsregelungen für sich in Anspruch nehmen zu können. Vielmehr ist diese Voraussetzung deklaratorischer Natur und bildet nur dasjenige ab, was aus tarifrechtlicher Sicht erforderlich ist, um eine Bindung an einen Tarifvertrag auf Arbeitgeberseite zu erzeugen, nämlich insbesondere die ordentliche Mitgliedschaft (mit Tarifbindung) im tarifvertragsschließenden Arbeitgeberverband.
Dass diese Anforderung keine begrenzende Wirkung hat bzw. haben kann, zeigt sich bereits daran, dass das Tarifwerk GVP/DGB – natürlich nur – für die „fachlich tarifgebundenen Mitgliedsunternehmen“ des GVP gilt bzw. gelten kann (vgl. § 1.2 MTV GVP/DGB). Diese Tarifbindung wird eben vermittelt durch eine ordentliche Mitgliedschaft, die sodann ausdrücklich in der Übergangsregelung Erwähnung findet.
Eine Aussage, dass das Tarifwerk GVP/DGB (und die darin vorgesehenen Übergangsbestimmungen) nicht auf Unternehmen anwendbar wären, die z.B. Fördermitglieder oder sogar gar kein Mitglied im GVP sind, ist zumindest sehr gewagt, wenn nicht sogar unvertretbar.
Diese Möglichkeit wird nämlich bereits gesetzlich durch § 8 Abs. 2 S. 3 AÜG vorgesehen bzw. vermittelt, der zur Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz – und dazu dient das Tarifwerk GVP/DGB – auch nicht tarifgebundenen Unternehmen durch eine arbeitsvertragliche Bezugnahme gestattet, sich derartiger Tarifverträge zu bedienen. Die Formulierungen im Tarifwerk GVP/DGB stellen vor diesem Hintergrund nur (deklaratorisch) klar, dass der Verband – selbstverständlich – nur für seine tarifgebundenen Mitglieder tarifliche Regelungen verbindlich abschließen darf – so sind der fachliche Geltungsbereich des Tarifwerks und dem folgend die Übergangsregelungen formuliert; eine darüber hinaus gehende Kompetenz steht dem GVP nämlich schlicht nicht zu (s. Satzung des GVP). Der Verband kann nämlich keine (wirksamen) Bestimmungen in Tarifverträgen für Unternehmen treffen, die nicht mitgliedschaftlich (mit Tarifbindung) dort organisiert sind; dies wäre eine unzulässige Regelung zu Lasten Dritter. Es ist dem Tarifwerk GVP/DGB zudem nicht zu entnehmen, dass die Übergangsbestimmungen nur für die tarifgebundenen Mitglieder nutzbar sein sollen. Diese sind ein „normaler“ Bestandteil des Tarifvertrages, auf den sich auch OT-, Förder- und Nichtmitglieder berufen können, z.B. über Bezugnahmeklauseln in Arbeitsverträgen, die mit Zeitarbeitnehmern vereinbart werden.
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