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Aktuelle Rechtsthemen und was eine Großkanzlei sonst bewegt
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Neue Strafvorschrift der unzulässigen Interessenwahrnehmung

Mo, 27.05.2024 - 06:23

Am 17. Mai 2024 hat der Gesetzesentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafbarkeit der unzulässigen Interessenwahrnehmung den Bundesrat in seiner 1044. Sitzung passiert (Bundesrat Drucksache 198/24). Der Deutsche Bundestag hatte das Gesetz bereits am 25. April 2024 verabschiedet.

Es wird nunmehr der neue Straftatbestand der unzulässigen Interessenwahrnehmung geschaffen (§ 108f StGB-E), der den unzulässigen Einflusshandel durch Mandatsträger:innen auch dann unter Strafe stellt, wenn dieser auf eine Interessenwahrnehmung außerhalb der Mandatswahrnehmung abzielt. Damit einher geht eine Änderung des Strafgesetzbuches (StGB) im Hinblick auf die Korruptionstatbestände für Mandatsträger:innen. 

Bisherige Rechtslage bestraft nur korruptes Verhalten bei unmittelbarer Mandatswahrnehmung im parlamentarischen Kontext

Nach dem bislang geltenden Recht ist eine Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträger:innen bereits schon strafbar. Allerdings verlangt der bisherige Korruptionstatbestand des § 108e StGB, dass sich ein:e Abgeordnete:r dafür bezahlen lässt, eine bestimmte Handlung „bei Wahrnehmung des Mandates“ vorzunehmen. Hierunter fallen lediglich unmittelbare Mandatstätigkeiten, wie die parlamentarische Arbeit durch Reden im Plenum oder Verhandlungen und Abstimmungen im parlamentarischen Ausschuss. Nur wenn bei dieser direkten Mandatsausübung im Auftrag oder auf Weisung einer anderen Person zur eigenen Bereicherung des:r Mandatsträgers:in agiert wird, liegt nach aktuell geltendem Recht ein strafbares Verhalten vor. Der Tatbestand des § 108e StGB erfasste demnach nur einen engen Anwendungsbereich der Korruptionsbekämpfung im Mandatsverhältnis. Bestraft wurden in der Folge lediglich Fälle schwerster Korruption. 

Unzureichende Korruptionsbekämpfung sichtbar durch sog. Maskenaffäre

Nicht abgedeckt werden durch die bisherige Fassung des Strafgesetzbuches Fälle korrupter Verhaltensweisen, die zwar nicht die unmittelbare Mandatsausübung betreffen, jedoch hiermit im unmittelbaren Zusammenhang stehen und die sonstige Arbeit der Politiker:innen betreffen. Eine Strafwürdigkeit solcher Verhaltensweisen wird insbesondere in der Ausnutzung der besonderen Autorität und Stellung des:r Inhabers:in des Mandats zur eigenen Bereicherung gesehen. Ein solches Verhalten schadet der Integrität des Rechtsstaates sowie des politischen Prozesses und führt zu einem Vertrauensverlust und Demokratieverdruss der Bevölkerung.

Rechtpolitischen Aufwind erhielt die bereits früher angeregte Schließung der Strafbarkeitslücke durch die sogenannte Maskenaffäre. Mehrere Bundestags- und Landtagsabgeordnete der CDU und CSU hatten sich während der COVID-19-Pandemie 2020 und 2021 durch die lukrative Vermittlung von Atemschutzmasken an staatliche Stellen persönlich bereichert. Dabei flossen teils Provisionszahlungen in Millionenhöhe. Eine Strafbarkeit nach § 108e StGB scheiterte nach zutreffender Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Juli 2022 daran, dass die Vermittlung der Maskendeals nicht eine unmittelbare Mandatsausübung und damit nicht „bei Wahrnehmung des Mandats“ erfolgt waren. Trotz einer Hochstufung des § 108e StGB zum Verbrechen im Oktober 2021 konnte der Gesetzgeber dieser Form von korruptem Verhalten durch die bestehende Rechtslage nicht Herr werden. Es kam trotz massivem Störgefühl in der Gesellschaft zu einem Freispruch der betroffenen Abgeordneten. Die Gesetzesbegründung der neuen Strafvorschrift beschreibt dieses Störgefühl anschaulich: 

Wenn Mandatsträger die ihnen im Interesse des Allgemeinwohls anvertraute Position durch Einflusshandel derart zum eigenen Vorteil ausnutzen, kann dies das Vertrauen in die parlamentarische Demokratie und ihre Mandatsträger unterlaufen.

Neuer Straftatbestand § 108f StGB-E sanktioniert unzulässige Interessenwahrnehmung

Der Gesetzgeber hatte sich in den vergangenen Monaten daher auf die Fahne geschrieben, die Korruptionsbekämpfung auch im Bereich der Mandatsträger:innen auszuweiten und zu verschärfen: Es entstand der Vorschlag eines neuen Straftatbestandes, welcher neben den schon bestehenden § 108e StGB treten soll. Die neue Strafvorschrift § 108f StGB-E sieht nun konkret vor, die bestehende Strafbarkeitslücke zu schließen und dient zudem der Erreichung des in der UN-Agenda 2030 festgelegte Nachhaltigkeitsziels der Bekämpfung von Korruption.

Träger:innen eines Mandates im Sinne des neuen Straftatbestandes sind alle Mitglieder:innen einer Volksvertretung des Bundes oder der Länder, des Europäischen Parlaments und der parlamentarischen Versammlung einer internationalen Organisation.

Mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe werden demnach gemäß § 108f Abs. 1 StGB-E Mandatsträger:innen bestraft, die für Handlungen, die sie während des Mandates vornehmen, eine ungerechtfertigte finanzielle Gegenleistung für sich oder eine:r Dritte:n für die Wahrnehmung fremder Interessen fordern, sich versprechen lassen oder annehmen (Bestechlichkeit). Umfasst sind damit auch Fälle, in denen Abgeordnete gegen Bezahlung ihre Kontakte und Beziehungen oder allein ihre Stellung als Mandatsträger:innen ausnutzen, um Verwaltungsabläufe zu beeinflussen. Auch die Vermittlung von Geschäften an ein Ministerium zur persönlichen Bereicherung stellt damit in Zukunft ein strafbewehrtes Verhalten dar. Irrelevant ist nach dem neuen Tatbestand ferner, ob die wahrgenommenen fremden Interessen solche des:r Vorteilsgebers:in oder eines:r Dritten betreffen.

Gleichermaßen wird durch § 108f Abs. 2 StGB-E in Zukunft bestraft, wer in einer solchen Konstellation dem:r Mandatsträger:in spiegelbildlich die finanzielle Gegenleistung anbietet, verspricht oder gewährt (Bestechung).

Die Strafandrohung der neuen Norm liegt unter der des § 108e StGB, da der neue § 108f StGB-E ein Korruptionsvorfeldbekämpfungsdelikt darstellt. Dies ist auch die Begründung für diverse weitere Unterschiede in den Feinheiten des neuen Tatbestandes, wie etwa der Begrenzung der strafbewehrten Vorteile auf Vermögensvorteile sowie die Nichtgeltung des Tatbestandes für Mandatsträger:innen in der Bundesversammlung oder Volksvertretungen kommunaler Gebietskörperschaften.

Das Gesetz zur Strafbarkeit unzulässiger Interessenwahrnehmung kann nun ausgefertigt und verkündet werden und wird als neuer § 108f StGB-E am Tag nach der Verkündung, in Kraft treten. 

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Data Act und Cloud Service Provider (Teil 2): Der Anbieterwechsel

Fr, 24.05.2024 - 06:31

Im Zuge ihrer Digitalisierungs- und Datenstrategie möchte die Europäische Union (EU) einen Daten-Binnenmarkt schaffen und u.a. für Kunden* den Wechsel eines Cloud-Service-Providers (CSP) erleichtern. Der am 11. Januar 2024 in Kraft getretene Data Act (Verordnung über harmonisierte Vorschriften für einen fairen Datenzugang und eine faire Datennutzung, DA), der ab dem 12. September 2025 unionsweit anwendbar ist, stellt hierfür in seinem Kapitel VI eine Vielzahl neuer Informationspflichten und Anforderungen hinsichtlich der Vertragsgestaltung an CSP auf (wir berichteten im Rahmen unserer CMS Blog-Serie „#CMSdatalaw“ in unserem Blog). In diesem Beitrag geben wir einen Überblick über die neuen Vorschriften des DA zum Wechselprozess.

Die drei Phasen des Wechselprozesses nach dem DA

Art. 25 DA gliedert den Wechselprozess in drei Phasen. Die dazugehörigen Vorschriften sind von besonderer Praxisrelevanz und bedürfen jeweils einer Abbildung in den Cloud-Verträgen des Anbieters. Zuerst muss der Anbieter dem Kunden das Recht einräumen, den abgeschlossenen Vertrag jederzeit mit einer „Kündigungsfrist“ (englische Fassung: „notice period“, also „Mitteilungsfrist“), die maximal zwei Monate betragen darf, einen Beendigungs- und Wechselprozess anzustoßen, was zwar nicht zu einer sofortigen Beendigung des Vertrages führt, sondern wodurch mit Fristablauf eine sog. „verbindliche Übergangsfrist“ von maximal 30 Tagen beginnt; während dieser Frist ist der CSP verpflichtet, dem Kunden den Wechsel zu einem anderen Anbieter oder in die kundeneigene Infrastruktur zu ermöglichen (Art. 25 Abs. 2 lit. a) und lit. d) DA).

Zudem muss dem Kunden durch den CSP nach Ablauf der „maximalen Kündigungsfrist“ (demnach nach Ablauf der Frist von maximal zwei Monaten) ein Wahlrecht bzgl. der Art des Wechsels eingeräumt werden (Art. 25 Abs. 3 DA). Dies ermöglicht dem Kunden, zu entscheiden, ob Daten in fremde oder eine eigene Infrastruktur überführt werden sollen oder ob der CSP die Kundendaten zu löschen hat. Der DA lässt offen, ob der CSP Klauseln einsetzen darf, welche die Ausübung des Wahlrechts beschränken. 

Verlängerungen des Übergangszeitraums möglich

Sofern das Wahlrecht durch den Kunden allerdings mit dem Wunsch des Anbieterwechsels statt der Löschung der Daten ausgeübt wird, räumt der DA dem Anbieter in Art. 25 Abs. 4 ein einseitiges Recht zur Verlängerung des „Übergangszeitraums“ ein, innerhalb dessen der Wechsel durchzuführen ist. Liegen die formalen Voraussetzungen für ein einseitiges Verlängerungsrecht des Anbieters vor und kann dieser begründet darlegen, dass der Wechsel aus technischen Gründen nicht innerhalb der „verbindlichen Übergangsfrist“ von 30 Tagen durchführbar ist, kann sich die Übergangsfrist auf maximal sieben Monate verlängern. Auch dem Kunden räumt der DA das Recht ein, den „Übergangszeitraum“ einseitig zu verlängern (vgl. Art. 25 Abs. 5 DA), knüpft dieses Recht aber an keine weiteren Voraussetzungen außer der, dass der Verlängerungszeitraum unter Berücksichtigung der vom Kunden verfolgten Zwecke angemessen ist. 

Unabhängig davon, ob der Übergangszeitraum verlängert wird oder nicht, ist der Anbieter verpflichtet, dem Kunden die Dienste weiter zur Verfügung zu stellen und diesen bei der Übertragung der Dienste zu unterstützen. 

Neben diesen rechtlichen Vorgaben enthält der DA auch Vorgaben hinsichtlich des technischen Vollzugs eines Anbieterwechsel.

Technische Vorgaben für den Anbieterwechsel nach dem DA

Art. 30 DA stellt Vorgaben für den technischen Vollzug des Wechsels (und die Herstellung von Interoperabilität) auf und unterscheidet zwischen zwei Kategorien von Datenverarbeitungsdiensten: Datenverarbeitungsdienste, die auf „skalierbare und elastische Rechenressourcen“ auf Infrastrukturebene beschränkt sind, wie z.B. Server, Netze und

die für den Betrieb der Infrastruktur erforderlichen virtuellen Ressourcen,

die

keinen Zugang zu den Betriebsdiensten, zur Software und zu den Anwendungen ermöglichen, die auf diesen Infrastrukturelementen gespeichert sind, anderweitig verarbeitet oder eingesetzt werden,

wie z.B. im Infastructure-as-a-Service (IaaS) Modell angebotene Dienste (Art. 30 Abs. 1 S. 1 DA), und „andere“ Datenverarbeitungsdienste ohne Vorliegen eines IaaS Dienstes, für die Art. 30 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 4 DA gelten. Dies können z.B. Cloud-Angebote sein, die im Platform-as-a-Service (PaaS) und Software-as-a-Service (SaaS) Modell angeboten werden. 

Der Wechselprozess bei Infastructure-as-a-Service Modellen

Wird dem Kunden lediglich die zur Umsetzung bestimmter Anwendungen notwendige Hardware/Infrastruktur zur Verfügung gestellt wird, die sich in vom CSP betreuten Rechenzentren befindet, handelt es sich um einen sog. IaaS Dienst. Der DA verpflichtet Anbieter von IaaS Diensten dazu, „alle ihnen zur Verfügung stehenden angemessenen Maßnahmen“ zu ergreifen und den Kunden in die Lage zu versetzen, dass dieser nach einem Wechsel zu einem Dienst gleicher Art eine äquivalente Funktionalität bei dem Einsatz des neuen Datenverarbeitungsdienstes erzielen kann (Art. 30 Abs. 1 S. 1 DA). Gemäß Art. 2 Nr. 37 DA liegt eine solche „Funktionsäquivalenz“ vor, wenn nach dem Wechsel zu dem neuen Anbieter „als Reaktion auf dieselbe Eingabe“ durch den neuen Dienst im Verhältnis zu dem vorherigen Dienst „ein materiell vergleichbares Ergebnis“ (d.h. wohl im Wesentlichen vergleichbar) bereitgestellt wird. Offen lässt der DA die Kriterien, anhand derer bestimmt werden kann, in welchen Fällen ein Ergebnis vergleichbar ist. 

Der Wechselprozess bei Platform-as-a-Service und Software-as-a-Service Modellen 

Bei PaaS Angeboten wird Softwareentwicklern in der Regel eine Infrastruktur nebst Plattform zur Entwicklung eigener Systeme bereitgestellt, während SaaS Modelle die Bereitstellung von Software-Anwendungen an Endanwender beinhalten. Für beide Dienste und für alle anderen Dienste, die keine IaaS Dienste sind, enthält Art. 30 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 4 DA technische Verpflichtungen des Anbieters bei einem Wechsel. Möchte ein Kunde zu einem anderen Anbieter wechseln, sind diese Anbieter zukünftig verpflichtet, sowohl ihren Kunden als auch den neuen Anbietern, zu denen der Kunde wechseln möchte, unentgeltlich eine offene Schnittstelle auf die betriebenen Dienste (Art. 30 Abs. 2 S. 1 DA) und notwendige Dokumentationen zur Verfügung zu stellen (so wohl Art. 30 Abs. 2 S. 2 DA). Der Anbieter ist aber nicht verpflichtet, Handlungen in der fremden Infrastruktur des neuen Anbieters vorzunehmen. Zusätzlich zur Bereitstellung der Schnittstelle muss der Anbieter die Kompatibilität mit offenen Interoperabilitätsspezifikationen gewährleisten. 

Der DA sieht Ausnahmen von den Verpflichtungen des Anbieters im Wechselprozess vor

Art. 31 Abs. 1 DA nimmt Individualangebote von CSP, bei denen

die meisten zentralen Funktionen auf die spezifischen Bedürfnisse eines einzelnen Kunden zugeschnitten wurden

und diese

nicht in größeren kommerziellen Maßstab

angeboten werden, von den Verpflichtungen aus, Funktionsäquivalenz herbeizuführen, Wechselentgelte abzuschaffen und Kompatibilität mit offen Interoperabilitätsspezifikationen zu gewährleisten.

Weitere Verpflichtungen für CSP gelten aber auch für diese Anbieter. Ausgenommen von sämtlichen Pflichten des Kapitels VI sind Dienste, die

nicht als Vollversion, sondern zu Test- und Bewertungszwecken und für einen begrenzten Zeitraum

bereitgestellt werden (vgl. Art. 31 Abs. 2 DA).

Pflichten des DA einhalten und Chancen nutzen

Wechselvorhaben werden für Kunden und Cloud-Nutzer zukünftig durch die Neuerungen, die der DA mit sich bringt, aufgrund der zugesicherten Unterstützung und Kooperationspflicht sowie aufgrund der technischen Vorgaben kostengünstiger und effektiver. Zugleich werden die CSP bei der Umsetzung der Vorgaben des DA vor rechtliche und technische Herausforderungen gestellt, die sowohl Anpassungen in Verträgen als auch in Organisationsprozessen fordern, sodass sich betroffene Unternehmen bereits jetzt während der laufenden Umsetzungsfrist mit den neuen Pflichten aus dem DA auseinandersetzen sollten. Unternehmen sollten jedoch nicht nur die Pflichten des DA ernst nehmen, sondern auch die Chancen sehen: Der Markteintritt kann durch den DA insb. für neue Anbieter erleichtert werden, was sich innovationsfördernd auswirken soll. 

Mit unserer CMS Blog-Serie „#CMSdatalaw“ geben wir Ihnen einen Überblick über das Datenrecht wie z.B. den Data Act und den Data Governance Act. Den in unsere Blog-Serie einführenden Beitrag finden Sie hier. Besuchen Sie zum Datenrecht zudem gern unsere CMS Insight-Seite „Data Law“

Die Gesetzestexte und Erwägungsgründe zum Digital Services Act (DSA) und dem Data Governance Act (DGA) finden Sie für die Praxis kompakt aufbereitet bei CMS DigitalLaws.

This article is also available in English.

*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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Aktualisierte Erlasse zur Grunderwerbsteuer – Entwicklungen im Rahmen der Anteilsvereinigung 

Do, 23.05.2024 - 12:30

§ 1 Abs. 3 GrEStG bestimmt, dass die Vereinigung von mindestens 90 % der Anteile einer grundbesitzenden Personen- oder Kapitalgesellschaft oder der Übergang bereits vereinigter Anteile Grunderwerbsteuer auslösen. Diese können sowohl unmittelbar, mittelbar als auch teilweise unmittelbar und mittelbar über eine andere Gesellschaft erfolgen.

In dem Erlass zu § 1 Abs. 3 GrEStG (BStBl I 2024, 383) wird u. a. Folgendes ausgeführt:

Finanzverwaltung bestätigt den Anteilsbegriff für Kapital- und Personengesellschaften

Bei Kapitalgesellschaften kommt es weiterhin auf die Beteiligung am Gesellschaftskapital an. Es ist unbeachtlich, ob mit der Beteiligung eine Rechtsmacht oder ein Stimmrecht verbunden ist. Daher sind Vorzugsaktien iSd § 12 AktG laut Erlass den stimmberechtigen Aktien in ihrer Behandlung gleichgestellt.

Bei grundbesitzenden Personengesellschaften differenziert die Finanzverwaltung weiterhin zwischen unmittelbaren und mittelbaren Anteilserwerben. Bei einem mittelbarem Anteilserwerb entspricht der Anteil an einer Personengesellschaft der wirtschaftlichen Beteiligung am Gesellschaftsvermögen. Bei einem unmittelbaren Anteilserwerb hält die Finanzverwaltung weiterhin an der Pro-Kopf-Betrachtung fest, sodass die sachenrechtliche Mitberechtigung des Gesellschafters maßgebend ist (§ 24 GrEStG). 

Zurechnung der Anteile bei einem mittelbareren Anteilserwerb

Im Falle des mittelbaren Anteilserwerbs werden dem Erwerber 100 % der von der zwischengeschalteten Gesellschaft gehaltenen Anteile zugerechnet, wenn der Anteilserwerb zu einer Beteiligung von mindestens 90 % an der zwischengeschalteten Gesellschaft führt.

Beispiel: Am Kapital der grundbesitzenden A-KG sind die AB-OHG und C zu jeweils 50 % beteiligt. Am Vermögen der AB-OHG sind A zu 10 % und B zu 90 % beteiligt. B veräußert seine Beteiligung am Vermögen der AB-OHG an C. 

Durch die Übertragung der Beteiligung von B an C ist der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG verwirklicht, da teils unmittelbar, teils mittelbar mindestens 90 % der Anteile an der grundbesitzenden A-KG in der Hand des C vereinigt werden. Die sachenrechtliche Mitberechtigung der AB-OHG am Vermögen der A-KG wird C in voller Höhe (50 %) zugerechnet, da C zu mindestens 90 % am Vermögen der OHG beteiligt ist.

Keine mehrfache Tatbestandsverwirklichung bei mehrstufigen Beteiligungsstrukturen

Bei mehrstufigen Beteiligungsstrukturen kann aufgrund desselben Rechtsgeschäfts oder aufgrund desselben Übergangs auf verschiedenen Ebenen § 1 Abs. 3 GrEStG mehrfach auftreten. Die Anteilsvereinigung wird bei dem Rechtsträger verwirklicht, der unmittelbar Beteiligter des Rechtsgeschäfts oder des Übergangs ist, welches bzw. welcher zur Verwirklichung des Tatbestands nach § 1 Abs. 3 GrEStG führt. 

Erfüllt der beteiligte Rechtsträger den Tatbestand des § 1 Abs. 3 GrEStG nicht, verwirklicht diesen Tatbestand der – ausgehend von dem am Rechtsgeschäft oder Übergang unmittelbar beteiligten Rechtsträger – in der Beteiligungskette am nächsten stehende (unterste) Rechtsträger, der die Voraussetzungen nach § 1 Abs. 3 GrEStG erfüllt. Die Finanzverwaltung möchte eine Mehrfachbesteuerung vermeiden. 

Keine Anteilsvereinigung bei Verstärkung einer bestehenden Anteilsvereinigung

Weiterhin ist die Finanzverwaltung der Auffassung, dass die Verstärkung einer schon bestehenden Anteilsvereinigung (z.B. die Verkürzung der Beteiligungskette, der Wechsel einer mittelbaren zu einer unmittelbaren Beteiligung oder die Aufstockung einer Beteiligung) von mindestens 90 % keinen Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 GrEStG auslöst, und zwar unabhängig davon, ob die Gesellschaften in der Beteiligungskette grunderwerbsteuerbar erworben wurden oder nicht. 

Tatbestandsverwirklichung bei Signing und Closing 

Da die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 GrEStG grundsätzlich. bereits bei Abschluss (Signing) eines Anteilskaufvertrags erfüllt sein können und die Tatbestände des § 1 Abs. 2a bzw. Abs. 2b GrEStG zeitlich erst mit Übergang der Anteile (Closing) verwirklicht werden, besteht das Problem, dass beim Auseinanderfallen von Signing und Closing unter Umständen beide Tatbestände kumulativ vorliegen können. 

Dem Wortlaut des § 1 Abs. 3, 1. Halbsatz GrEStG nach haben die Tatbestände § 1 Abs. 2a und Abs. 2b GrEStG Vorrang. Dies legt die Finanzverwaltung dahingehend aus, dass der Tatbestand des § 1 Abs. 3 GrEStG schon auf Tatbestandsebene verdrängt wird, soweit § 1 Abs. 3 Nr. 2 oder Nr. 4 GrEStG und § 1 Abs. 2a und Abs. 2b GrEStG zeitgleich verwirklicht werden. Fallen dagegen Signing und Closing auseinander, wird laut Verwaltungsauffassung das Verhältnis der Normen durch § 16 Abs. 4a iVm Abs. 5 S. 2 GrEStG bestimmt, wonach zunächst eine Anteilsvereinigung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 3 GrEStG beim Erwerber und dann ein Bewegungstatbestand an einer grundbesitzenden Gesellschaft (§ 1 Abs. 2a oder 2b GrEStG) vorliegt. 

Verfahrensrechtliche Abläufe

Für den Zeitpunkt des Abschlusses des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts (Signing) erfolgt eine Festsetzung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 3 GrEStG. Laut Finanzverwaltung ist diese Festsetzung jedoch grundsätzlich nur in den Fällen geboten, in denen bis zu einem Jahr nach der Verwirklichung des Tatbestandes nach § 1 Abs. 3 GrEStG eine Verwirklichung des Tatbestandes nach § 1 Abs. 2a oder Abs. 2b GrEStG nicht zu erwarten ist. Hierbei ist darauf zu achten, dass dies nur dann gilt, wenn der Grundstücksbestand im Zeitpunkt des Signing und Closing identisch und der Erwerbsvorgang fristgerecht und in allen Teilen vollständig angezeigt wurde.

Für den Zeitpunkt des Übergangs der Beteiligung (Closing) erfolgt eine Festsetzung nach § 1 Abs. 2a oder Abs. 2b GrEStG. Ist eine Festsetzung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 3 GrEStG erfolgt, ist bei Grundstücksidentität auf Antrag nach § 16 Abs. 4a GrEStG aufzuheben oder zu ändern. Auch hierfür ist gem. § 16 Abs. 5 S. 2 GrEStG eine fristgerechte und in allen Teilen vollständig Anzeige Voraussetzung. 

Finanzverwaltung bestätigt etablierte Verwaltungspraxis

Der Erlass ist auf alle offenen Fälle anzuwenden. Für Rechtsvorgänge, die vor dem 1. Juni 2021 verwirklicht werden oder die unter die Übergangsregelung des § 23 Abs. 21 GrEStG fallen, gilt der Erlass mit der Maßgabe, dass die Beteiligungsgrenze von 95 % anzuwenden ist.

Die Finanzverwaltung hat mit dem Erlass keine großen Neuerungen vorgenommen, sondern vornehmlich die etablierte Verwaltungspraxis bestätigt und damit den Steuerpflichtigen zu mehr Transparenz verholfen. Im Rahmen des Anteilsbegriffs bei Personengesellschaften bleibt die Entwicklung in der Rechtsprechung abzuwarten. Der BFH hat in seinem Urteil (v. 27. Mai 2020 – II R 45/17) angedeutet, die Rechtsprechung würde die Pro-Kopf-Betrachtung auch im Rahmen des unmittelbaren Anteilserwerb in Zukunft nicht mehr vertreten. Vor einer entsprechenden Strukturierung bei grundbesitzenden Personengesellschaften bietet sich daher der Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft an. 

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Arbeitsrecht und Fußball-EM – das müssen Sie beachten!

Do, 23.05.2024 - 06:38

Das letzte Mal war Deutschland vor fast 18 Jahren alleiniger Gastgeber eines großen Fußball-Turniers – bei der Fußball-WM im Jahr 2006. Bald ist es wieder so weit – in nur vier Wochen geht die EM los! Jetzt schon rüsten Supermärkte ihr Sortiment auf, Kneipen und Biergärten kündigen Public Viewing Events an und kleine und große Fußballfans sind voller Vorfreude. Zeitverschiebung und Fußballspiele in der Nacht – wie bei vergangenen Weltmeisterschaften – bereiten dieses Mal keine Probleme. Allerdings findet eine Reihe von Spielen unter der Woche nachmittags um 15 Uhr statt. Dies ist zumindest für erwerbstätige Fußballfans ungünstig. 

Die Vergangenheit hat gezeigt, dass in der Praxis selten handfeste arbeitsrechtliche Probleme auftreten, da die meisten Arbeitgeber die Fußballbegeisterung ihrer Mitarbeiter teilen. Hinzu kommt, dass spätestens seit Beginn der Corona-Krise zahllose Arbeitsverhältnis zeitlich wie räumlich flexibilisiert wurden, was Fußballbegeisterten das Leben erleichtert. Für den Fall, dass es dann aber doch zu Konflikten kommt und Grenzen aufgezeigt werden müssen, haben wir einige wesentliche arbeitsrechtliche Fragestellungen rund um die EM zusammengestellt.

Muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer – gegebenenfalls sogar kurzfristig – für den Zeitraum der Fußball-EM Urlaub gewähren?

Grundsätzlich muss der Arbeitgeber* dem Urlaubsantrag seines Arbeitnehmers entsprechen. Allerdings können betriebliche Belange einem Urlaub zur Fußball-EM entgegenstehen.

Sind durch die Abwesenheit eines Arbeitnehmers erhebliche Beeinträchtigungen im Betriebsablauf zu erwarten, kann der Arbeitgeber den Urlaub verweigern. Das dürfte allerdings in der Regel nur bei kurzfristigen Anfragen ein Problem sein. Beantragt der Arbeitnehmer lange im Voraus seinen Urlaub, muss das Unternehmen grundsätzlich für einen Ersatz sorgen.

Tragen mehrere Mitarbeiter denselben Urlaubswunsch vor, so ist vom Arbeitgeber eine Abwägung unter sozialen Gesichtspunkten vorzunehmen. Hat der Arbeitgeber bereits einem seiner Mitarbeiter Urlaub in einem bestimmten Zeitraum gewährt, so kann er dies den anderen Arbeitnehmern entgegenhalten.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber seinem Mitarbeiter auch an Einzeltagen Urlaub gewähren muss. Schließlich interessieren sich viele Zuschauer lediglich für Spiele ihrer Heimatnation, sodass sie nicht für den ganzen Zeitraum der Fußball-EM Urlaub benötigen. Hier gilt – zumindest für den gesetzlichen Urlaubsanspruch – der Grundsatz des Vorrangs des ungeteilten Urlaubs. Dies gibt dem Arbeitnehmer das Recht, den Urlaub an aufeinanderfolgenden Tagen gewährt zu bekommen. Umgekehrt bedeutet das aber auch, dass der Arbeitgeber vereinzelte Urlaubstage ablehnen kann.

Kann ein Arbeitnehmer, der in Schichtarbeit tätig ist, verlangen, in eine andere Schicht umgesetzt zu werden, um ein spezielles Fußballspiel verfolgen zu können?

Die Einteilung der Mitarbeiter in Schichten unterliegt dem arbeitsrechtlichen Direktionsrecht. Der Arbeitgeber hat dabei nach „billigem Ermessen“ zu entscheiden. Die Hobbys seiner Mitarbeiter muss er nicht zwangsläufig berücksichtigen.

Ist also ein fußballbegeisterter Mitarbeiter einmal in eine Schicht eingeteilt worden, so ist dies für ihn verbindlich.

Darf der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz früher verlassen, um ein Spiel sehen zu können? Was passiert, wenn der Arbeitnehmer aufgrund ausgiebiger Siegesfeiern wiederholt morgens zu spät zur Arbeit kommt?

Auch wenn beide Fragen auf unterschiedlichen Sachverhalten beruhen, unterscheidet sich ihre Beantwortung im Endeffekt nicht. Soweit arbeitsvertraglich oder durch kollektive Regelungen feste Arbeitszeiten vereinbart wurden, gilt bei verfrühtem Gehen oder verspätetem Kommen Folgendes:

Wer die zugesagte Leistung nicht – wie vereinbart – erbringt, verletzt seine vertraglichen Pflichten. Es bedarf also einer vorherigen Absprache mit dem Arbeitgeber. Andernfalls kann bei Fernbleiben von der Arbeit innerhalb der Arbeitszeit abgemahnt und im Wiederholungsfall auch gekündigt werden.

Darüber hinaus hat der Arbeitnehmer natürlich keinen Vergütungsanspruch für diese Zeit. Das gilt auch, wenn der Grund der Verspätung des Mitarbeiters nicht die vorabendliche Feier, sondern der Verkehr in der Stadt ist. Liegt beispielsweise eine abgesperrte Fanmeile zum „Public Viewing“ auf der Fahrtstrecke und löst diese ein Verkehrschaos aus, trägt der Arbeitnehmer das sogenannte „Wegerisiko“.

Anders verhält es sich, wenn flexible Arbeitszeiten vereinbart wurden. Dann darf der Mitarbeiter außerhalb der Kernarbeitszeit grundsätzlich frei über seine Arbeitszeiten disponieren. Aber auch hier kann es Ausnahmen geben. In der Regel verlangen flexible Arbeitszeitmodelle, dass gewährleistet sein muss, dass nicht eine ganze Abteilung bereits ab 15 Uhr unbesetzt ist.

Erhält der Mitarbeiter Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, wenn er aufgrund eines „Katers“ nicht zur Arbeit kommen kann, oder wenn er sich im Rahmen einer Fußball-EM-Feierlichkeit verletzt hat?

Den Arbeitgeber trifft nach § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) eine Pflicht zur Zahlung der Vergütung im Krankheitsfall, solange die Krankheit unverschuldet ist. Ein Verschulden liegt beispielsweise dann vor, wenn der Arbeitnehmer eine Schlägerei provoziert, bei der er verletzt und infolgedessen arbeitsunfähig wird.

Gleiches gilt, wenn der Arbeitnehmer einen Autounfall verursacht und Alkoholeinfluss hauptursächlich dafür war. Kann ein Mitarbeiter wegen zu hohen Alkoholkonsums am Vorabend nicht zur Arbeit erscheinen – sei es, dass er morgens noch stark alkoholisiert ist, sei es, dass er mit „Kater“ das Bett hütet – hat er dies ebenfalls verschuldet und dürfte aus der Entgeltfortzahlung herausfallen. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Alkoholmissbrauch nicht pathologischer Natur ist.

Allerdings ist für den Arbeitgeber in der Praxis der Nachweis schwierig, weil kaum ein Mitarbeiter ein eigenes Verschulden zugeben dürfte.

Welche Handhabe hat der Arbeitgeber, wenn der Mitarbeiter eine Krankheit ankündigt?

Will der Mitarbeiter nach einer Fußballnacht ausschlafen oder sich nicht genehmigten Urlaub über Krankheitstage „reinholen“ und kündigt er dies vorher am Arbeitsplatz an, so kann der Arbeitgeber fristlos kündigen, wenn er nachweisen kann, dass der Arbeitnehmer tatsächlich nicht krank war. Eine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall entfällt selbstverständlich.

Dürfen Arbeitnehmer während der Arbeitszeit ein Fußballspiel im Radio oder gar im Fernsehen verfolgen?

Viele Unternehmen organisieren während der Fußball-EM einen Fernseher und bieten den Mitarbeitern an, gemeinschaftlich Fußball zu sehen. Auch gibt es zahlreiche Betriebe, in denen Radiohören sogar außerhalb von EM-Zeiten üblich ist.

Ist beides nicht der Fall, wird gegen Radiohören oder auch Fernsehen am Arbeitsplatz während der Fußball-EM in der Regel nichts einzuwenden sein, soweit die Art der Arbeit bzw. Tätigkeit oder eventueller Kundenkontakt dies zulässt und die Kollegen sich nicht gestört fühlen. Ein Recht darauf besteht jedoch nicht.

Im Zweifel sollte – zumindest im Hinblick auf Fernsehübertragungen – geregelt werden, dass diese Zeit nicht als Arbeitszeit gewertet wird und dass sich Arbeitnehmer dementsprechend vorher „ausstempeln″ und die fehlende Arbeitszeit vor- oder nacharbeiten müssen.

Können Mitarbeiter die Spiele über Live-Stream oder Liveticker im Internet verfolgen?

Eine weitere Möglichkeit, sich über den aktuellen Spielverlauf auf dem Laufenden zu halten, sind Live-Streams oder -Ticker auf dem Firmen-PC oder -Laptop. Ohne Weiteres dürfen Mitarbeiter diesen Weg aber nicht gehen. Es kommt nämlich darauf an, wie die private Nutzung des Internets während der Arbeitszeit geregelt ist. Selbst wenn diese grundsätzlich erlaubt ist, ist eine ausschweifende Nutzung davon in aller Regel nicht umfasst. Soweit ein ganzes Fußballspiel per Live-Stream verfolgt wird, ist von einem solch exzessiven Gebrauch auszugehen. Verwendet der Arbeitnehmer trotz eines privaten Nutzungsverbots das Internet in dieser Form, kann dies ein Grund für eine Abmahnung oder gar eine Kündigung sein. 

Nutzt der Mitarbeiter sein privates Handy zu diesem Zweck, hängt die Zulässigkeit zunächst davon ab, ob ein generelles Nutzungsverbot während der Arbeitszeit besteht. Ist dies nicht der Fall, dürfte auch hier der Maßstab sein, dass die eigentliche Arbeit und/oder der Kontakt zu Kunden nicht darunter leiden. Sehr spannend in diesem Zusammenhang: Das BAG hat am 17. Oktober 2023 (Az. 1 ABR 24/22) entschieden, dass das Verbot der privaten Handynutzung am Arbeitsplatz während der Arbeitszeit auch ohne Zustimmung des Betriebsrats eingeführt werden kann

Darf der Arbeitnehmer über das betriebsinterne E‑Mail-System Tickets für EM-Spiele oder für das Public Viewing anbieten/erwerben?

Wie der Gebrauch des Live-Streams/-Tickers stellt der An-/Verkauf von Tickets eine private Nutzung des Systems dar. Auch hier kommt es also wieder darauf an, wie die private Nutzung des firmeneigenen Internets im Unternehmen geregelt ist.

Sind Tippgemeinschaften zur Fußball-EM im Büro statthaft?

Finden die Wetten in der Mittagspause und/oder außerhalb der Arbeitszeit statt und werden die Mitarbeiter nicht von der Arbeit abgehalten, dürfte in der Regel nichts gegen derartige Tippgemeinschaften sprechen. Nicht selten gestatten Arbeitgeber derartige Aktivitäten sogar ausdrücklich. Dann ist nichts gegen die Nutzung des Firmenaccounts und das Tippen während der Arbeitszeit einzuwenden.

Darf Alkohol am Arbeitsplatz konsumiert werden? Was kann der Arbeitgeber tun, wenn der Mitarbeiter noch Restalkohol vom Vortag im Blut hat? Wie verhält es sich mit Cannabis-Konsum?

Soweit nicht die vertragliche Arbeitsleistung absolute Abstinenz verlangt (zum Beispiel bei Busfahrern, Piloten, Maschinenführern), darf der Arbeitnehmer grundsätzlich auch bei der Arbeit Alkohol konsumieren. Er ist aber verpflichtet, seine Arbeitsfähigkeit durch den Alkoholgenuss nicht zu beeinträchtigen. Dem Arbeitgeber steht es allerdings frei, per Direktionsrecht oder durch Arbeitsvertrag oder Betriebsvereinbarung ein Alkoholverbot am Arbeitsplatz auszusprechen.

Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Konsum von Cannabis. Maßgeblich ist auch hier, welche Tätigkeiten der Arbeitnehmer ausübt, ob seine Arbeitsleistung durch einen Joint tatsächlich beeinträchtigt wird und welche Regeln das Unternehmen zum Konsum von Cannabis aufgestellt hat.

Ist es dem Mitarbeiter gestattet, kostümiert ins Büro zu kommen sowie Büro und/oder Dienstwagen mit Flaggen zu dekorieren?

Eingefleischte Fußballfans tragen während der EM-Zeit gerne ein Fußballtrikot, eine Deutschlandgirlande und andere Accessoires. Soweit die dienstlichen und betrieblichen Belange hierdurch nicht beeinträchtigt werden, bestehen dagegen keine Bedenken.

Gibt es aber Gründe, die gegen eine Kostümierung sprechen, darf der Mitarbeiter bei einem Verstoß gegen eine Kleiderordnung abgemahnt werden. So beispielsweise bei Kundenkontakt, oder wenn in dem Unternehmen gar ein Dresscode oder Arbeitskleidung vorgegeben ist.

Auch gegen die Dekoration des Büros oder des Dienstwagens dürfte grundsätzlich nichts sprechen, soweit nicht interne Vorschriften/Vereinbarungen oder Weisungen des Arbeitgebers etwas anderes regeln oder Kollegen, mit denen das Büro geteilt wird, Anstoß daran nehmen. In Räumlichkeiten, in denen Kundenkontakt besteht, und an Fahrzeugen, mit denen Kunden aufgesucht werden, hat eine entsprechende Dekoration im Zweifel zu unterbleiben.

Wann bestehen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats?

Im Hinblick auf die zuvor angesprochenen Fragen steht dem Betriebsrat in dreierlei Hinsicht ein Mitbestimmungsrecht zu:

  1.  § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG regelt Mitbestimmungsrechte im Hinblick auf die Ordnung des Betriebs. Darunter fallen im Zusammenhang mit der EM insbesondere Fragen zur Radio-, Fernseh- und Internetnutzung im Unternehmen sowie zu Alkohol/Drogen-Policies.
  2. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG ist der Betriebsrat bei der Lage der Arbeitszeit zu beteiligen. Das gilt insbesondere dann, wenn wegen der Fußball-EM die Arbeitszeiten oder die Schichten geändert werden.
  3. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG darf der Betriebsrat bei Urlaubsfragen mitbestimmen. Dies beinhaltet auch die Festsetzung des Urlaubs für einzelne Mitarbeiter im Streitfalle.
  4. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG gibt dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei allen IT-Systemen, also auch soweit es um die Nutzung des Internets geht.

Um Streitigkeiten zu vermeiden, bietet es sich an, bereits im Vorfeld der Fußball-EM in Abstimmung mit dem Betriebsrat (Sonder-)Regelungen für diese Zeit zu treffen. Das gilt insbesondere, wenn der Arbeitgeber aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre konkrete Befürchtungen hat, dass es in diesem Zusammenhang zu Konflikten kommen kann. So können Unternehmen – wie zuvor beschrieben – einen Fernseher stellen, der es den Mitarbeitern ermöglicht, gemeinsam EM-Spiele zu verfolgen.

Mit dem Betriebsrat sollte dann aber klar geregelt sein, dass diese Zeit nicht als Arbeitszeit gewertet wird und dass sich die Arbeitnehmer dementsprechend vorher „ausstempeln“. Denkbar wäre auch, großzügigere Regelungen im Hinblick auf die erforderliche Besetzung einzelner Abteilungen/Arbeitsplätze zu treffen – denn zumindest während der Spiele der deutschen Nationalelf wird sich die anfallende Arbeit in vielen Unternehmen reduzieren.

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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Biodiversität – Das Zwillingsrisiko des Klimawandels (Teil 1) 

Mi, 22.05.2024 - 12:18

Sie wird das Zwillingsrisiko des Klimawandels genannt: die Biodiversität. Die Diskussion um einzelne Maßnahmen und die rechtliche Fixierung sowohl der regulatorischen Anforderungen als auch möglicher Berichtspflichten steht noch ganz am Anfang. Dennoch müssen sich gerade Unternehmen immer mehr die Frage stellen, wie sie in Zukunft mit den Anforderungen an den Schutz der Biodiversität umgehen. 

Und sie/Sie fragen sich vielleicht auch: Was versteht man genau unter Biodiversität? Wie und durch welche Maßnahmen soll sie geschützt werden? Und: Welche Gesetze betreffen heute schon die Biodiversität? 

Diese Fragen behandeln wir in unserem zweiteiligen Beitrag zur Biodiversität. Teil 1 beleuchtet die – nicht immer rechtlichen – Grundlagen, nennt wissenschaftliche Hintergründe und Zahlen und erläutert mit dem EU-Renaturierungsgesetz und der CSRD-Richtlinie die zwei aktuell zentralen rechtlichen Anknüpfungspunkte für Biodiversität.

Das EU-Renaturierungsgesetz als erstes Biodiversitätsgesetz

Das geplante EU-Renaturierungsgesetz kann als regulatorischer Ausgangspunkt für Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität gesehen werden. Das Gesetz schafft den Rahmen, um – bis 2050 – 90% der geschädigten Ökosysteme in den Mitgliedsstaaten wieder herzustellen. Es ist eine zentrale Säule des Green Deals, mit dem die EU bis zur Mitte des Jahrhunderts klimaneutral werden will.

Allerdings ist das Gesetz aufgrund des Widerstands einiger Mitgliedsstaaten noch nicht endgültig verabschiedet. Die Abstimmung im Umweltministerrat am 25. März 2024 musste verschoben werden, da Ungarn dem Gesetz kurzfristig die Unterstützung entzog. Dabei galt die Billigung durch den Rat als reine Formsache, nachdem das Parlament am 27. Februar 2024 mit knapper Mehrheit für das Gesetz gestimmt hatte. 

Biodiversität – Warum Artenvielfalt wichtig ist 

Biodiversität lässt sich definieren als die gesamte Vielfalt des Lebens auf allen Hierarchieebenen. Dazu gehört die Vielfalt der Ökosysteme, der Tier- und Pflanzenarten und die genetische Vielfalt. Eine intakte Biodiversität ist aufgrund ihrer vielen positiven Auswirkungen eine Grundvoraussetzung für die menschliche Existenz und eine gute Lebensqualität. Gesunde Ökosysteme bieten Nahrungsmittel und Ernährungssicherheit, sauberes Wasser sowie CO2-Senken und schützen vor Extremwetterereignissen. Die sogenannten Ökosystemdienstleistungen lassen sich nach Art der Vorteile für den Menschen in vier Kategorien einteilen: 

  • Bereitstellung: Produkte, die aus der Natur gewonnen werden, wie Nahrungsmittel, Wasser, Sauerstoff, Rohstoffe, Medizinprodukte 
  • Regulierung: Regulierungsleistungen, die die Natur erbringt, zum Beispiel für das Klima, Reinigung von Luft und Wasser, Erosionsschutz 
  • Kulturelles: Nicht-materieller Nutzen, zum Beispiel Erholung, Erfüllung intellektueller und spiritueller Bedürfnisse, kulturelles Erbe 
  • Basisfunktionen: Leistungen, die für alle anderen Ökosystemleistungen benötigt werden, zum Beispiel Primärproduktion, Bodenbildung, Bestäubung, Nährstoffkreisläufe 

Die Biodiversität und ihre Funktionen sind seit vielen Jahrzehnten stark zurückgegangen. Dies belegen umfassende wissenschaftliche Studien, unter anderem das globale Assessment des Weltbiodiversitätsrats (IPBES) aus Mai 2019. Etwa 75 % der Landoberfläche und 66 % der Meeresfläche wurden durch menschliche Einflüsse signifikant verändert. Der durchschnittliche Artenbestand ist in den meisten Lebensräumen seit 1900 um mindestens 20 % gesunken. Durch den fortschreitenden Verlust an Biodiversität werden unsere wirtschaftlichen und sozialen Existenzgrundlagen gefährdet. 

Wie die EU Biodiversität schützen will 

Der zentrale politische Rahmen für den Schutz der Biodiversität in der EU ist – neben dem Green Deal – die EU-Biodiversitätsstrategie 2030. Diese enthält die Zusage, bis 2030 mindestens 30% der Land- und Meeresgebiete in Europa in Schutzgebiete zu verwandeln. Der Rat hat in seinen Schlussfolgerungen zur biologischen Vielfalt zudem festgehalten, dass nicht nur die Verschlechterung des derzeitigen Zustands verhindert werden muss, sondern darüber hinaus Anstrengungen zur Wiederherstellung der Natur erforderlich sind.

Das nun geplante EU-Renaturierungsgesetz ist das weltweit erste Gesetz zur Wiederherstellung gestörter Ökosysteme. Die EU verfolgt damit das Ziel, dem fortschreitenden Biodiversitätsverlust Einhalt zu gewähren und ihre internationalen Verpflichtungen zu erfüllen. Das Gesetz besteht im Wesentlichen aus drei Teilen: In erster Linie werden die Mitgliedsstaaten verpflichtet, bis 2030 mindestens 30 %, bis 2040 mindestens 60 % und bis 2050 mindestens 90% der Lebensräume, die sich in schlechtem Zustand befinden, wiederherzustellen. Dazu werden konkrete Wiederherstellungsziele und -verpflichtungen für nahezu alle Ökosysteme von Land- und Meeresökosystemen bis hin zu Städten, Flüssen und Wäldern festgelegt (Kapitel II). Als Planungsinstrument sieht das Gesetz vor, dass alle Mitgliedsstaaten detaillierte Wiederherstellungspläne erstellen, die u.a. eine Quantifizierung der wiederherzustellenden Gebiete, eine Beschreibung der geplanten oder ergriffenen Maßnahmen und Zeitpläne für die Durchführung der Maßnahmen enthalten. Die Pläne müssen innerhalb von zwei Jahren nach dem Inkrafttreten des Gesetzes vorgelegt werden (Kapitel III). Schließlich werden die Mitgliedsstaaten verpflichtet, die Entwicklung der einzelnen Ökosysteme in regelmäßigen Abständen zu überwachen und der Kommission Bericht zu erstatten (Kapitel IV). Das Gesetz hat das Potenzial, die Flächennutzung in Deutschland nachhaltig zu verändern – mit weitreichenden Auswirkungen für nahezu alle Industriezweige. 

Treiber des Biodiversitätsverlusts 

Die Landnutzung und der Landnutzungswandel haben relativ gesehen die größten negativen Auswirkungen auf die Biodiversität. Dabei nimmt die Landwirtschaft eine zentrale Rolle ein: Aufgrund der steigenden Nachfrage an Lebensmitteln werden natürliche Ökosysteme in Agrarflächen umgewandelt. Die Intensivierung der Landwirtschaft verursacht weltweit insgesamt 80 % des Biodiversitätsverlusts, wobei die Erzeugung von Tierprodukten eine dominierende Rolle spielt (> 50 %). Ein weiterer Faktor ist die Versiegelung von Flächen aufgrund der Urbanisierung und des Ausbaus von Infrastruktur. 

Weitere Treiber der Biodiversitätskrise sind die direkte Ausbeutung von Organismen durch Jagd und Fischerei, die Beeinträchtigung von Flüssen und Feuchtgebieten durch übermäßige Süßwasserentnahme sowie der Eintrag von Pestiziden und eingeschleppte, gebietsfremde Arten. Viele Branchen sind mittelbar oder unmittelbar am Biodiversitätsverlust beteiligt. Deshalb ist auch zu erwarten, dass in den nächsten Jahren viele Branchen mit neuen regulatorischen Anforderungen umgehen müssen. 

Das Zwillingsrisiko des Klimawandels 

Auch der Klimawandel hat weitreichende Auswirkungen auf die Artenvielfalt. Steigende Temperaturen und Extremwetterereignisse verändern die Lebensräume von Tieren und Pflanzen nachhaltig. Dadurch sterben einzelne Arten aus oder die Wechselwirkung zwischen den Arten gerät aus dem Gleichgewicht. 

Auch umgekehrt hängen Klimawandel und Biodiversität zusammen: Gesunde Ökosysteme wie Wälder, Meere, Moore und Permafrostböden speichern große Mengen an Treibhausgasen wie CO2 oder Methan. Die fortschreitende Abholzung von Regenwäldern zur Produktion von Nahrungsmitteln verursacht nicht nur einen massiven Biodiversitätsverlust, sondern führt auch zur Freisetzung von CO2 und zur Beschleunigung des Klimawandels. Außerdem trägt die Biodiversität zur Anpassung an den Klimawandel bei, da artenreiche Ökosysteme Extremwetterereignisse nachweislich besser ausgleichen können. 

Großer Aufholbedarf bei Unternehmen 

Der Biodiversitätsverlust geht mit erheblichen wirtschaftlichen Risiken einher. Der letzte Risikobericht des World Economic Forum zählt den Rückgang der Biodiversität neben dem Klimawandel und Extremwetterereignissen zu den drei größten Risiken in den kommenden zehn Jahren. Der jährliche ökonomische Verlust durch das Artensterben wird auf 4 Billionen US-Dollar pro Jahr geschätzt. 

Verglichen damit ist das Bewusstsein bei Unternehmen noch gering ausgeprägt: Nur 29 der 100 umsatzstärksten deutschen Unternehmen sehen einen Verlust der Biodiversität als Geschäftsrisiko an. Dabei sind nahezu alle Branchen auf funktionierende Ökosysteme angewiesen. Ein Verlust an Biodiversität führt zu einer eingeschränkten Verfügbarkeit von Rohstoffen und naturbasierten Produktionsfaktoren wie z.B. sauberem Wasser. Im Laufe des Anpassungsprozesses an eine naturverträgliche Wirtschaft entstehen zudem transitorische Risiken, etwa durch zunehmende rechtliche Regulierung. 

Hohe Komplexität, hohe Kosten? Artenschutz als (nicht immer geliebter) Beitrag zu Biodiversität

Ein wichtiger Faktor, der den Schutz von Biodiversität in Unternehmen bremst, sind Probleme bei der Operationalisierung und Messbarkeit. Biodiversität ist aufgrund der vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Ökosystemen, Arten und der genetischen Vielfalt ein komplexes Thema, für das es bislang wenig einheitliche Maßstäbe und Standards gibt. Eine besondere Schwierigkeit liegt darin, komplexe Lieferketten im Hinblick auf ihre Umweltauswirkungen zu analysieren. Daher bleiben die getroffenen Maßnahmen häufig auf einzelne Teilbereiche (z.B. naturnahe Firmengelände) beschränkt, anstatt das Thema umfassend in den Blick zu nehmen.

Außerdem wird Biodiversität häufig mit bürokratischem Aufwand und hohen Kosten assoziiert. Ein Beispiel ist die Berücksichtigung von Umweltbelangen in Zulassungsverfahren von großen Bau- und Infrastrukturprojekten. Diesen Vorhaben, wie z.B. Windenergieanlagen, stehen häufig Belange des Artenschutzes entgegen. Artenvielfalt leistet einen wichtigen Beitrag zur Biodiversität – und steht gleichzeitig in einem deutlichen Spannungsverhältnis zum ebenfalls gewollten Ausbau erneuerbarer Energien und kann im Einzelfall auch zu Verzögerungen und Kostensteigerungen führen. 

Neue rechtliche Anforderungen zum Schutz der Biodiversität zu erwarten

Schließlich müssen Unternehmen auch rechtliche Anforderungen im Blick behalten. Insbesondere auf EU-Ebene bestehen mehrere Rechtsakte, die Pflichten für Unternehmen im Hinblick auf den Schutz der Biodiversität etablieren. 

Aufgrund der hohen Relevanz des Themas und der Selbstverpflichtung im Rahmen der deutschen und europäischen Biodiversitätsstrategien wird die Regulierung in den kommenden Jahren voraussichtlich noch deutlich ansteigen. Konkrete Pflichten gibt es bereits im Bereich der Nachhaltigkeitsberichterstattung: Aufgrund der EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) müssen Unternehmen jährlich Informationen zu den Auswirkungen ihrer Tätigkeiten auf Nachhaltigkeitsaspekte, unter anderem Biodiversität, sowie umgekehrt von Nachhaltigkeitsaspekten auf den Unternehmensverlauf offenlegen. Das geplante EU-Lieferkettengesetz (CSDDD) ergänzt die Berichtspflichten, indem es Unternehmen zusätzliche materielle Sorgfaltspflichten u.a. im Bereich Biodiversität auferlegt. Außerdem wird die Biodiversität als eins von sechs Kriterien für nachhaltige Investitionen im Rahmen der Taxonomie-VO berücksichtigt. 

Was Unternehmen jetzt beachten müssen

Der Biodiversitätsverlust gehört neben dem Klimawandel zu den größten Herausforderungen weltweit. Fast alle Branchen haben durch ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten mittelbar oder unmittelbar Einfluss auf die Biodiversität. Das EU-Renaturierungsgesetz wird – wenn es verabschiedet wird – in den nächsten Jahren die Flächennutzung in Deutschland grundlegend verändern. Aber auch darüber hinaus werden die regulatorischen Vorgaben zum Schutz der Biodiversität nahezu alle Wirtschaftszweige und Branchen tangieren. Schon jetzt gibt es rechtliche Anforderungen an Unternehmen, ihre Auswirkungen auf die Biodiversität zu untersuchen und diesbezüglich Maßnahmen zu ergreifen, zum Beispiel im Rahmen der Nachhaltigkeitsberichterstattung.

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CMS-Praktikantenprogramm 2024: Mehr als nur eine gute Aussicht

Mi, 22.05.2024 - 06:57

Die sogenannten Großkanzleien. Von irren Arbeitszeiten über Anzugpflicht bis hin zu astronomischen Gehältern – all diese Dinge hört man regelmäßig. Was der Wahrheit entspricht, davon wollten wir uns selbst ein Bild machen. 

Und so bewarben wir uns im vergangenen Sommer bei CMS. Warum CMS? Einerseits waren sie uns bereits positiv von einer Veranstaltung der Uni bekannt, andererseits erfüllt CMS als eine der prestigeträchtigsten Kanzleien Deutschlands das Kriterium „Großkanzlei“ zweifellos. Und, wenn man ganz ehrlich ist, kann es auch wahnsinnig beeindruckend sein, jeden Morgen zum Kranhaus zur Arbeit zu fahren. 

Gute Aussicht, gute Anwälte … und guter Kaffee

Einige Monate später ging es dann also los. Insgesamt 21 Praktikantinnen und Praktikanten aus den Standorten Köln und Düsseldorf fanden sich im Kranhaus 1 in Köln zu einer gemeinsamen Einführung zusammen. 

Die Anwältinnen und Anwälte boten uns allen direkt das „Du“ an und wirkten insgesamt sehr sympathisch und herzlich. Im Anschluss wurden wir zum Mittagessen auf „Deck 9“ geführt, wo neben gutem Essen und einer wahnsinnigen Aussicht über den Rhein bis zum Dom zu unserer großen Freude eine hochmoderne Gastro-Siebträgermaschine in vollem Glanz erstrahlte. 

Selbst wenn die nächsten 6 Wochen eine Katastrophe werden, habe ich wenigstens in den Pausen guten Kaffee

so mein Gedanke. Das mit dem Kaffee in den Pausen stimmte auch, das mit dem Praktikum wurde darüber hinaus eine ganz besondere und positive Erfahrung.

Von M&A über Versicherungsrecht zum 3-Gänge-Menü

Das Praktikant:innenprogramm war aufgeteilt in das sogenannte „Training on the job“ und das offizielle Praktikant:innenprogramm. In den ersten 3 Wochen erhielten wir über Vorträge von Anwältinnen und Anwälten Einblicke in die relevanten Rechtsbereiche einer Großkanzlei.

So wurden wir beispielsweise im Rahmen des Vortrags zu M&A durch den Prozess des Unternehmenskaufs bzw. Unternehmenszusammenschlusses geführt und erfuhren dabei, welche Rolle Großkanzleien wie CMS in einem solchen Verfahren spielen (Spoiler: eine ziemlich große). Sogar brandaktuelle Diskussionsthemen wie die 4-Tage-Woche wurden im Vortrag Arbeitsrecht behandelt. Selbst das Versicherungsrecht, ein Rechtsgebiet, welches viele von uns, ohne wirklich etwas darüber zu wissen, vorher als eher langweilig abgestempelt hatten, entpuppte sich durch den Vortrag als spannend und praktischer als erwartet. 

Neben den Vorträgen organisierte CMS für uns außerdem Events wie eine Führung durch die Düsseldorfer Altstadt mit anschließender Altbierverköstigung. Mein persönliches Highlight war allerdings der Kochabend. Dabei sollten wir uns in einer tollen Location in der Kölner Innenstadt mit einigen Anwältinnen und Anwälten unser eigenes 3-Gänge-Menü zubereiten, was, abgesehen von einem staubtrockenen Kuchen, überraschend gut funktionierte.

„Training on the job“

Neben dem gemeinsamen Praktikant:innenprogramm waren wir beim „Training on the job“ einem eigenen Team zugeteilt. Dort konnten wir unsere Erwartungen und Vorstellungen von der Arbeit in einer Großkanzlei auf den Prüfstand stellen. 

Von Tag eins an wurden wir durch unsere Mentoren bei der Arbeit im Team eingebunden. Dabei reichte das Aufgabenspektrum von Recherchen bis hin zu dem Verfassen eigener Memos und Verträge. So durften wir zum Beispiel der Frage nachgehen, ob Kölschgläser als Messgerät im Rahmen der Messgeräte-Richtlinie zu klassifizieren sind (sind sie). Ganz besonders hervorzuheben ist hierbei, dass uns stets das Gefühl gegeben wurde, dass unsere Aufgaben einen wichtigen Beitrag zur täglichen Arbeit der Anwältinnen und Anwälte leisteten, und nicht bloß reine Praktikant:innenbeschäftigung waren. 

So arbeiteten wir uns intensiv in das jeweilige Rechtsgebiet unseres Teams ein und beschäftigten uns mit Fragestellungen, die über das hinausgingen, was wir typischerweise im Studium behandeln. Umso wichtiger war, dass unsere Mentoren bei all unseren Fragen stets ein offenes Ohr hatten und sich freuten, uns weiterzuhelfen. Besonders spannend für einige für uns war ein Gerichtsbesuch, zu dem wir unsere Mentoren begleiten durften. Auch wenn einige von uns schon Gerichtsbesuche miterlebt hatten, konnte man hier doch nochmal mehr mitfiebern, wenn man selbst an dem zu verhandelnden Fall mitgearbeitet hatte. 

Zu den „irren“ Arbeitszeiten sei abschließend gesagt, dass es bei CMS die Möglichkeit gibt, von 50% bis 100% zu arbeiten. Damit zeigt CMS, dass es – entgegen vieler Vorurteile – auch anders geht. 

CMS Praktikant:innenprogramm: Eine wertvolle Erfahrung

Wir blicken zurück auf eine Praktikumszeit bei CMS, die uns vor allem aufgrund der kollegialen und offenen Atmosphäre sehr positiv in Erinnerung bleiben wird. Durch die zahlreichen Vorträge haben wir einen guten Überblick über die Tätigkeitsfelder einer Großkanzlei bekommen und konnten viele neue Kontakte knüpfen, die mit Sicherheit über das Praktikum hinaus bestehen bleiben werden. Alles können wir jedoch nicht preisgeben, denn dafür müsste man selbst dabei gewesen sein. Also: Worauf wartet ihr?

Lust auf ein Praktikum bei CMS? Weitere Informationen zu offenen Stellen und unserem Praktikant*innen-Programm sind auf der Karriere-Seite zu finden!

Der Beitrag stammt von Romy Evers, Mara Wickel und Marius Winkhold.

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Erneuerung der Wirkstoffgenehmigung für Pflanzenschutzmittel: EFSA-Schlussfolgerungen nicht bindend für EU-Kommission 

Di, 21.05.2024 - 06:32

Die fortlaufende Vermarktung eines Pflanzenschutzmittels hängt in der Regel von einer Verlängerung der Zulassung ab. Eine Zulassung kann aber nur verlängert werden, wenn die Genehmigung der in diesem Pflanzenschutzmittel enthaltenen Wirkstoffe verlängert wird. 

Bislang herrschte Unklarheit, inwieweit eine wissenschaftliche Bewertung des Wirkstoffs durch die Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), die ihre veröffentlichten Schlussfolgerungen zur Entscheidung über die Erneuerung der Wirkstoffgenehmigung an die Kommission übergibt, für die Kommission bindend ist. Dies hat das Gericht der Europäischen Union (EuG) nun jüngst mit Urteil vom 21. Februar 2024 ausdrücklich abgelehnt, wenn hinreichend nachgewiesen ist, dass die Anforderungen und Bedingungen für eine Wirkstoffgenehmigung durch die Festlegung von Risikominderungsmaßnahmen erfüllt sind.

Hintergrund: Ablauf der Wirkstoffprüfung und Erst- bzw. Erneuerungsgenehmigung auf EU-Ebene

Die Genehmigung von Wirkstoffen für Pflanzenschutzmittel erfolgt auf EU-Ebene. Das Genehmigungsverfahren ist in der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln (nachfolgend: PSM-VO) gesetzlich geregelt. Danach wird (verkürzt dargestellt) ein Wirkstoff auf Antrag des Herstellers* von der EU-Kommission genehmigt, wenn der Wirkstoff die in der Verordnung geregelten Genehmigungskriterien (Art. 4 PSM-VO mit Verweis auf Anhang II der Verordnung) erfüllt. 

Der Genehmigung geht ein Gemeinschaftsverfahren voraus, in welchem die Genehmigungsfähigkeit des Wirkstoffs bewertet wird. In diesem Verfahren sind insbesondere die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten und die EFSA involviert. Der Antragsteller reicht für die Überprüfung eines Wirkstoffs umfangreiche Informationen zu diesem Wirkstoff in sogenannten Dossiers bei einem Mitgliedstaat ein, der zuständig für die Bewertung des Wirkstoffs ist („berichterstattender Mitgliedstaat“; sog. Rapport Member State, RMS). Dieser Mitgliedstaat erstellt im Rahmen der gemeinschaftlichen Bewertung Bewertungsberichte, die die Grundlage für die anschließende Begutachtung (sog. Peer Review) durch die EFSA in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten bilden. Darüber veröffentlicht die EFSA Schlussfolgerungen und übergibt diese zur Entscheidung über die Genehmigung des Wirkstoffs an die EU-Kommission.

Wird ein Wirkstoff infolgedessen EU-weit von der Kommission genehmigt, wird dieser Wirkstoff in eine Liste der genehmigen Wirkstoffe aufgenommen. Die Wirkstoffgenehmigung ist zugleich zwingende Voraussetzung für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln mit dem jeweiligen Wirkstoff in den Mitgliedstaaten. 

Die Erstgenehmigung eines Wirkstoffs gilt höchstens für eine Dauer von zehn Jahren. Vor dem Ablaufdatum einer Wirkstoffgenehmigung wird der Wirkstoff auf Antrag des Herstellers (spätestens drei Jahre vor Ablauf der Genehmigung) neu bewertet (sog. Erneuerungsverfahren; Artt. 14 ff. PSM-VO). Für die Erneuerung einer Wirkstoffgenehmigung wird ein berichterstattender Mitgliedstaat benannt, der in Zusammenarbeit mit einem als Mitberichterstatter (CO-RMS) benannten Mitgliedstaat auf der Grundlage von neuem Datenmaterial eine erste Risikobewertung durchführt und einen Bericht über die Erneuerung der Bewertung erstellt (Anträge im Bereich Pestizide | EFSA (europa.eu)). Dieser Bericht wird dann wiederum von der EFSA in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten umfassend wissenschaftlich begutachtet (Peer Review) und die von der EFSA veröffentlichten Schlussfolgerungen zur Entscheidung über die Erneuerung der Wirkstoffgenehmigung an die EU-Kommission übergeben. Die Genehmigung eines Wirkstoffs wird von der EU-Kommission erneuert, wenn die in der Verordnung geregelten Genehmigungskriterien weiterhin erfüllt sind (vgl. Art. 14 (1) PSM-VO).

Unabhängig davon kann die Kommission die Genehmigung eines Wirkstoffs jederzeit oder auf Antrag eines Mitgliedstaats auf Überprüfung der Genehmigung eines Wirkstoffs überprüfen (vgl. Art. 21 PSM-VO).

Keine zwingende Bindung an EFSA-Schlussfolgerung im Renewal-Verfahren

Bisher war unklar, ob die EU-Kommission in ihrer Entscheidung über die Erneuerung einer Wirkstoffgenehmigung an die Schlussfolgerungen der EFSA gebunden ist. Dies hat das EuG jüngst ausdrücklich abgelehnt. Mit Urteil vom 21. Februar 2024 hat das Gericht in der Rechtssache T-536/22 entschieden, dass die Kommission an die Schlussfolgerungen der EFSA im Rahmen der Erneuerungsentscheidung nicht gebunden ist, wenn hinreichend nachgewiesen ist, dass die Anforderungen und Bedingungen für eine Wirkstoffgenehmigung durch die Festlegung von Risikominderungsmaßnahmen erfüllt sind.Gegenstand des Urteils:

Gegenstand des Urteils war eine Klage der Pesticide Action Network Europe (PAN Europe), mit der diese die Nichtigerklärung der ablehnenden Entscheidung der EU-Kommission im Hinblick auf eine von der Klägerin beantragte Überprüfung der Erneuerungsentscheidung der Genehmigung des Wirkstoffs „Cypermethrin“, begehrte.

Der Klage war ein Antrag der PAN Europe bei der EU-Kommission auf Überprüfung der Entscheidung über die Erneuerung der Genehmigung des Wirkstoffs „Cypermethrin“ nach Art. 10 der Aarhus-Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 vorausgegangen, mit dem Ziel, diese aufzuheben.

Die Genehmigung des Wirkstoffs Cypermethrin wurde mit Entscheidung der Kommission im Jahr 2021 (verbunden mit einer Reihe von Sonderbestimmungen) erneuert. Der Erneuerungsentscheidung war ein langwieriges Erneuerungsverfahren vorausgegangen, in welchem die EFSA im Rahmen ihres wissenschaftlichen Gutachtens mehrere kritische Bereiche ermittelte, die aus Sicht der EFSA Anlass zur Sorge gaben. Die EFSA stellte u.a. ein hohes Risiko für Wasserorganismen und Honigbienen fest. Nachdem die Kommission die EFSA aufforderte, eine Erklärung zu der Möglichkeit von Risikominderungsmaßnahmen für den Wirkstoff Cypermethrin zu veröffentlichen, präzisierte die EFSA die in ihren Schlussfolgerungen vorgenommene Risikobewertung später und bestätigte die Möglichkeit, Risikomanagementmaßnahmen zu ergreifen.

Der Antrag der PAN Europe auf Überprüfung der Erneuerungsentscheidung wurde im Jahr 2022 von der Kommission abgelehnt. PAN Europe erhob daraufhin Klage vor dem EuG mit dem Antrag, die ablehnende Entscheidung der Kommission für nichtig zu erklären. 

Die Klägerin stützte ihre Klage auf einen Verstoß gegen das Vorsorgeprinzip und die Verpflichtung der Union, ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und die Umwelt sicherzustellen. Die Kommission sei vor diesem Hintergrund an die Risikobewertung der EFSA gebunden. 

Zur Bedeutung des Vorsorgeprinzips

Die Klägerin argumentierte zunächst, dass die Kommission nicht befugt sei, im Rahmen des Risikomanagements Wirkstoffe zuzulassen, wenn eine unabhängige wissenschaftliche Bewertung der EFSA zeige, dass diese Wirkstoffe nicht den Kriterien für die Genehmigung eines Wirkstoffs entsprächen. Mit anderen Worten: Wenn ein mit dem Wirkstoff einhergehendes Risiko mit hinreichender Sicherheit festgestellt werde, könnte sich die Kommission nicht über die Schlussfolgerungen der wissenschaftlichen Bewertung hinwegsetzen, indem sie sich auf ihre Befugnisse als Risikomanagerin beruft. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn die EFSA auf das Vorhandensein eines „hohen Risikos″ des Wirkstoffs hinweise.

Weiter kritisierte die Klägerin, dass eine Berufung der Kommission auf das Vorsorgeprinzip nicht dazu führen dürfe, dass die in der PSM-VO festgelegten Genehmigungskriterien umgangen werden. Wenn die wissenschaftliche Bewertung der EFSA zu der Feststellung führe, dass ein Wirkstoff diese Genehmigungskriterien nicht erfüllt, könnte die Kommission nicht an die Stelle des Gesetzgebers treten, indem sie diesen Wirkstoff aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen dennoch genehmigt.

Das EuG stellte insoweit klar, dass die mit der PSM-VO für Pflanzenschutzmittel und ihre Wirkstoffe eingeführten Zulassungs- und Genehmigungsverfahren eine Ausprägung des Vorsorgeprinzips darstellen. Dieses Prinzip besage, dass in Fällen, in denen hinsichtlich des Bestehens oder des Ausmaßes von Risiken für die Umwelt Unsicherheiten bestehen, Schutzmaßnahmen ergriffen werden können, ohne abwarten zu müssen, bis das tatsächliche Bestehen und die Schwere dieser Risiken vollständig nachgewiesen sind. Das Vorsorgeprinzip könne auch den Erlass einer restriktiven Maßnahme durch das zuständige Organ rechtfertigen, es gebiete dies jedoch nicht unter allen Umständen. Vielmehr sei der Erlass restriktiver Maßnahmen nur dann gerechtfertigt, wenn diese diskriminierungsfrei, objektiv und verhältnismäßig seien.

Keine zwingende Bindung an die wissenschaftliche Beurteilung der EFSA

Weiter machte PAN Europe geltend, dass die Kommission, wenn ein Risiko von der EFSA mit hinreichender Sicherheit festgestellt worden sei, sich nicht über die Schlussfolgerungen der wissenschaftlichen Bewertung hinwegsetzen könne, indem sie sich auf ihre Befugnisse als „Risikomanagerin“ stütze. Die Kommission sei insoweit an die Beurteilung der EFSA gebunden.

Das Gericht hielt die Argumentation der Klägerin nicht für stichhaltig und entschied, dass die Kommission als „Risikomanagerin“ nicht an die wissenschaftliche Beurteilung der EFSA gebunden ist. Die Kommission müsse zwar bei ihrer Entscheidung über die Erneuerung der Genehmigung eines Wirkstoffs u.a. auch die Schlussfolgerungen der EFSA „berücksichtigen“. Eine solche Berücksichtigung könne jedoch nicht als eine Verpflichtung der Kommission ausgelegt werden, den Schlussfolgerungen der EFSA in allen Punkten zu folgen. Gleichwohl bilden diese Schlussfolgerungen den Ausgangspunkt der Risikobewertung und hätten daher ein erhebliches Gewicht.

Das weite Ermessen der Kommission als Risikomanagerin bleibe jedoch durch die notwendige Beachtung der Bestimmungen der PSM-VO, insbesondere der dort gesetzlich verankerten Genehmigungskriterien, sowie durch das Vorsorgeprinzip, das allen Bestimmungen dieser Verordnung zugrunde liegt, eingegrenzt.

Insbesondere dürfe die Kommission nicht von den Ergebnissen einer Risikobewertung der EFSA abweichen, wenn diese Risikobewertung zu der Empfehlung führt, die Genehmigung eines Wirkstoffs nicht zu erneuern. Denn sonst würde das Vorsorgeprinzip missachtet. 

Vor diesem Hintergrund dürfe die Kommission die Genehmigung eines Wirkstoffs – entgegen den Schlussfolgerungen der EFSA – also nur dann erneuern, wenn hinreichend nachgewiesen ist, dass ungeachtet der Ermittlung kritischer Problembereiche, Risikominderungsmaßnahmen den Schluss zulassen, dass die in der PSM-VO festgelegten Kriterien für die Genehmigung des Wirkstoffs erfüllt sind. Dieser Nachweis muss indes wissenschaftlich bestätigt sein. Mit anderen Worten ist es für die Kommission nicht ausgeschlossen, unter Beachtung des Vorsorgeprinzips (wissenschaftlich) zu prüfen, ob das von der EFSA identifizierte Risiko eines Wirkstoffs durch die Festlegung bestimmter Risikominderungsmaßnahmen den Kriterien für eine Wirkstoffgenehmigung genügt. Soweit dies der Fall ist, verfügt die Kommission als Risikomanagerin über den Ermessensspielraum, trotz von der EFSA identifizierte Risiken des Wirkstoffs, die Wirkstoffgenehmigung zu erneuern, soweit sie sicherstellt, dass die in der PSM-VO genannten Kriterien für die Genehmigung eines Wirkstoffs durch die Festlegung bestimmter Risikominderungsmaßnahmen erfüllt sind. 

Da in dem von dem EuG zu entscheidenden Fall die EFSA auf entsprechende Aufforderung durch die Kommission die Möglichkeit, Risikomanagementmaßnahmen zu ergreifen, bestätigte, durfte die Kommission also – entgegen den Schlussfolgerungen der EFSA – die Genehmigung des Wirkstoffs Cypermethrin erneuern. 

Zukünftig werden EFSA-Bewertungen „nur“ noch relevanter Fingerzeig sein

Eine nachteilhafte Bewertung der EFSA hat also nicht zwingend auch eine Ablehnung der Erneuerung der Wirkstoffgenehmigung durch die EU-Kommission zur Folge. Gleichwohl hat die Kommission die wissenschaftliche Beurteilung der EFSA in ihrer Entscheidung zu berücksichtigen. Die im Rahmen eines Erneuerungsverfahrens veröffentlichte Beurteilung der EFSA stellt also weiterhin einen relevanten Fingerzeig auf die folgende Entscheidung der Kommission über die Erneuerung der Genehmigung eines Wirkstoffs für Pflanzenschutzmittel dar – aber eben nicht mehr als das. 

Pflanzenschutzmittelhersteller sind daher stets gut beraten, die Erneuerungsverfahren im Hinblick auf die in ihren Pflanzenschutzmitteln enthaltenen Wirkstoffe engmaschig zu beobachten, um im Falle einer sich anbahnenden Aufhebung der Wirkstoffgenehmigung und damit zwangsläufig auch der Nichtverlängerung oder Rücknahme der Zulassung für ein Pflanzenschutzmittel, rechtzeitig reagieren zu können. 

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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Klimaschutzverträge – ein deutsches Förderinstrument mit weltweiter Vorbildfunktion

Fr, 17.05.2024 - 12:23

Zur Erreichung nationaler und internationaler Klimaschutzziele ist eine grundlegende Transformation von industriellen Produktionsprozessen notwendig. Die Umstellung auf eine klimafreundliche Produktion ist für Unternehmen häufig noch mit hohen Kosten und Preisrisiken verbunden. Das am 12. März 2024 gelaunchte Förderinstrument Klimaschutzverträge soll Unternehmen aus emissionsintensiven Industrien dabei unterstützen, in klimafreundliche Produktionsanlagen zu investieren, die sich andernfalls noch nicht wirtschaftlich rechnen würden.

Durch die Förderung klimafreundlicher Anlagen sollen über die Laufzeit des Förderprogramms bis 2045 zum einen rund 350 Millionen Tonnen CO2 vermieden werden. Zum anderen sollen die Klimaschutzverträge die Markttransformation beschleunigen, indem Infrastruktur, Leitmärkte, Wissen und Expertise aufgebaut werden, die für die Dekarbonisierung insgesamt erforderlich sind.

Wie funktionieren Klimaschutzverträge?

Ihren Ursprung haben die Klimaschutzverträge in den Contracts for Difference (CfD), die auf den Kapitalmärkten entwickelt wurden. Differenzverträge dienen der Absicherung gegen Preisschwankungen, beispielsweise bei Investitionen in Aktien oder Rohstoffe. Beim Vertragsabschluss legen die Vertragsparteien einen bestimmten Basispreis für ein Wirtschaftsgut fest. Zu einem späteren Zeitpunkt hat die eine oder andere Seite der anderen Vertragspartei die Differenz zwischen dem Basispreis und dem aktuellen Preis des Wirtschaftsgutes zu zahlen. Inzwischen werden Differenzverträge auch als Subventionsinstrumente eingesetzt.

Die deutschen Klimaschutzverträge stellen in ihrer Funktionsweise eine neuartige Weiterentwicklung dieses Instruments dar. Mit den Klimaschutzverträgen werden nach dem Konzept von CO2-Differenzverträgen (engl. Carbon Contracts for Difference) die Mehrkosten von Unternehmen aus emissionsintensiven Branchen gefördert, die diesen durch eine klimafreundliche Produktion im Vergleich zu einer konventionellen Referenztechnologie entstehen. Die Unternehmen sind aufgefordert, einen Gebotspreis anzugeben, den sie zur Abdeckung ihrer Mehrkosten für eine klimafreundliche Produktion je Tonne vermiedener Treibhausgasemissionen veranschlagen (sog. Basis-Vertragspreis). Dabei können sie sowohl Investitionsausgaben (CAPEX) als auch Betriebskosten (OPEX) berücksichtigen. 

Die Zuwendungen werden über einen Zeitraum von 15 Jahren, beginnend mit dem operativen Beginn des Vorhabens, gewährt. Die Höhe der jährlichen Zuwendungen wird unter Berücksichtigung der Differenz zwischen dem Basis-Vertragspreis und dem effektiven CO2-Preis berechnet (daher auch „CO2-Differenzvertrag“). Über eine sog. Dynamisierung des Basis-Vertragspreises wird zudem die Entwicklung von Energieträgerkosten berücksichtigt. Je weiter der dynamisierte Basis-Vertragspreis und der effektive CO2-Preis auseinanderliegen, umso höher ist die Zuwendung. Nähern sich die Preise im Laufe der Zeit an (z.B., weil der CO2-Preis steigt oder die CO2-Vermeidungskosten aufgrund günstigerer klimafreundlicher Energieträger sinken), wird der Auszahlungsbetrag niedriger. Sofern die transformative Produktion günstiger erfolgen kann als die konventionelle, kehrt sich die Zahlungspflicht um und die Unternehmen müssen Überschusszahlungen an den Staat leisten.

Fördervoraussetzungen im Rahmen des ersten Gebotsverfahrens

Förderfähig ist sowohl die Neuerrichtung von klimafreundlichen Anlagen als auch der Umbau von herkömmlichen Anlagen zu klimafreundlicheren Anlagen. Voraussetzung für die Förderung ist, dass die Vorhaben ab dem dritten vollständigen Kalenderjahr innerhalb der Laufzeit des Klimaschutzvertrags eine relative Treibhausgasemissionsminderung von mindestens 60 % im Vergleich zu einem vorab festgelegten Referenzsystem erreichen. Im letzten Jahr der Vertragslaufzeit müssen die Treibhausgasemissionen um 90 % reduziert sein. Die Referenzsysteme orientieren sich an effizienten und emissionsarmen konventionellen Anlagenkonstellationen. 

Gefördert werden nur Mehrkosten transformativer Produktionsverfahren. Transformativ sind solche Produktionsverfahren, die sich durch 

  1. grundlegende technologische Änderungen konventioneller Produktionsverfahren auszeichnen,
  2. einen erheblichen Bedarf für Investitionen in neue, bislang nicht im Markt etablierte oder den Marktpreis setzende Technologien mit sich bringen und
  3. fossile Energieträger oder Rohstoffe durch klimafreundlich bereitgestellte Energieträger oder Rohstoffe substituieren. 

Das Förderprogramm enthält klare Vorgaben an die zum Einsatz kommenden Energieträger. Sofern Wasserstoff oder Wasserstoffderivate eingesetzt werden, müssen die Anforderungen an grünen oder CO2-armen Wasserstoff erfüllt sein. Fossile Energieträger dürfen nur unter strengen Voraussetzungen zeitlich beschränkt als Brückentechnologie Anwendung finden.

Für den Abschluss eines Klimaschutzvertrags kommen nur Vorhaben infrage, die eine Mindestgröße von durchschnittlich jährlich zehn Kilotonnen CO2 im Referenzsystem aufweisen. Für kleinere Industrieanlagen stehen andere Fördermöglichkeiten zur Verfügung, wie etwa die voraussichtlich in Kürze startende Bundesförderung Industrie und Klimaschutz.

Start des ersten Gebotsverfahrens als Meilenstein

Das erste Gebotsverfahren ist am 12. März 2024 gestartet und umfasst ein Fördervolumen von bis zu vier Milliarden Euro. Dem ersten Gebotsverfahren ist im Sommer 2023 ein vorbereitendes Verfahren vorausgegangen, das dazu diente, Informationen für die Ausgestaltung des Förderprogramms und des ersten Gebotsverfahren zu sammeln und interessierten Unternehmen die Möglichkeit zu geben, Fragen zum Förderprogramm zu stellen. Die Antragsteller mussten zu diesem Zweck verschiedene Informationen zu den von ihnen geplanten Vorhaben zur Verfügung stellen, etwa zu den herzustellenden Produkten, ihrem Referenzsystem, den verwendeten Technologien und Energieträgern sowie den voraussichtlich erreichbaren Treibhausgasemissionseinsparungen.

Unternehmen, die erfolgreich am ersten vorbereitenden Verfahren teilgenommen haben, können noch bis zum 11. Juli 2024 ein Gebot abgeben. Grundsätzlich sind alle Unternehmen im Sinne von § 14 BGB antragsberechtigt. Adressaten des Programms sind vor allem Betreiber emissionsintensiver Anlagen, beispielsweise in der Stahl-, Papier-, Chemie-, Metall- oder Glasindustrie. Die zu fördernden Produktionsanlagen müssen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland betrieben werden. Mehrere Antragsberechtigte können sich unter bestimmten Voraussetzungen auch zu einem Konsortium zusammenschließen und gemeinsam eine Förderung beantragen.

Die Auswahl der geförderten Vorhaben erfolgt über ein wettbewerbliches Gebotsverfahren. Je niedriger der Basis-Vertragspreis ist, den die Unternehmen bieten, umso größer ist die Chance, einen Zuschlag zu erhalten. Hauptkriterium bei der Auswahl von Geboten stellt die Förderkosteneffizienz dar, die aus dem Basis-Vertragspreis und der Kosteneffizienz anderweitiger Förderungen errechnet wird. Bei der Bewertung der Gebote wird außerdem berücksichtigt, welche relative Treibhausgasemissionsminderung bereits in den ersten fünf Jahren erreicht wird. Wer also schon zeitnah eine besonders hohe Emissionsminderung vorweisen kann, hat bessere Chancen auf eine Förderung.

Angesichts des wettbewerblichen Charakters der Gebotsverfahren entfällt die Notwendigkeit einer (Selbst-)Kostenprüfung aufgrund von ANBest-P oder ANBest-P-Kosten und damit der hiermit einhergehende Verwaltungsaufwand. Die Berechnungen zur Ermittlung des Basis-Vertragspreises müssen gegenüber der Bewilligungsbehörde nicht offengelegt werden.

Klimaschutzverträge als weltweites Förderinstrument und bevorstehende Meilensteine

Mit dem Förderprogramm Klimaschutzverträge wurde ein Förderregime eingeführt, das in dem derzeitigen Förderinstrumentenspektrum weltweit einzigartig ist. Auch international findet das Instrument daher Beachtung. Neben verschiedenen europäischen Staaten haben auch Kanada und Südkorea bereits ihr Interesse daran bekundet, nach dem Vorbild der Klimaschutzverträge ähnliche Förderprogramme einzuführen. 

Den nächsten großen Meilenstein bildet der Abschluss der ersten Klimaschutzverträge, der so schnell wie möglich nach Ablauf des 11. Juli 2024 erfolgen soll. Das zweite Gebotsverfahren soll nach Ankündigung des Bundeswirtschaftsministers in der Pressekonferenz zum Start des ersten Gebotsverfahrens noch 2024 folgen. Dem zweiten Gebotsverfahren wird voraussichtlich wieder ein vorbreitendes Verfahren vorgeschaltet sein, das im Sommer 2024 starten soll.

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Green Claims im Finanzsektor

Fr, 17.05.2024 - 06:38

Greenwashingvorwürfe gegenüber Finanzmarktteilnehmenden nehmen zu. Zu diesem Ergebnis kam eine quantitative Analyse im Auftrag der europäischen Aufsichtsbehörden (ESA’s)

Diese Zunahme an Greenwashingvorwürfen spiegelt sich auch bereits durch eine steigende Anzahl anhängiger Verfahren vor deutschen Zivilgerichten wider. Deutsche Verbraucherschutzverbände kritisieren immer häufiger täuschende umweltbezogene Argumente im Finanzsektor und gehen im Rahmen ihrer Verbandsklagebefugnis auch zunehmend gerichtlich dagegen vor.

Werbung mit Umweltaussagen bei Kapitalanlagen

Das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) regelt ein Verbot irreführender Werbung. Bei Umweltwerbung wird vom BGH ein strenger Maßstab im Hinblick auf Unmissverständlichkeit der Aussage und Aufklärungspflicht angelegt. Auch im Zusammenhang mit Geldanlagen wurde Werbung mit Nachhaltigkeit bereits von Zivilgerichten auf Grundlage des UWG für unzulässig erklärt.

Eine Vermögensverwaltungsgesellschaft wurde im letzten Jahr vom Landgericht Berlin (Az: 101 O 68/22) zu einer Unterlassungserklärung verurteilt (nicht rechtskräftig), weil sie mit einer besonderen Nachhaltigkeitsstrategie geworben hatte, jedoch im Abfrageprozess zur persönlichen Anlagestrategie dem Verbraucher ein Produkt empfahl, das nicht der Nachhaltigkeitsstrategie unterfiel, ohne auf diesen Umstand transparent hinzuweisen. 

Das LG Stuttgart (Urteil v. 31. Januar 2022 – 36 O 92/21 KfH) hatte sich als erstes deutsches Gericht mit den Voraussetzungen für Werbung durch Umweltaussagen im Hinblick auf Kapitalanlagen befasst und Werbeaussagen eines Fondsmanagers für seinen Publikumsfonds als unlauter im Sinne des UWG und damit für unzulässig erklärt. 

Der Fondsanbieter hatte einen CO2-Rechner auf seiner Website angeboten und damit geworben, dass durch eine Investitionssumme in Höhe von EUR 10.000 in den Fonds der persönliche CO2-Fußabdruck des Anlegenden um 3,5t reduziert bzw. ausgeglichen werden könne. Diese Werbung mit einer positiven ökologischen Wirkung der Reduzierung eines ungefähr errechneten CO2-Fußabdrucks gekoppelt an eine Investitionssumme betrachtete das Gericht als irreführend. Das Gericht führt in seiner Urteilsbegründung aus, dass Verbraucher die angegebenen Werte als fixe Werte begreifen, die jedenfalls nicht unterschritten werden, während es sich tatsächlich lediglich um Zielwerte handelt, die auch erheblich unterschritten werden können.

Bereits diese beiden Entscheidungen verdeutlichen, dass Finanzmarktteilnehmende sich nicht auf die pauschale Nutzung von Umweltschutzbegriffen beschränken sollten, sondern vielmehr auf Transparenz und Klarheit im Zusammenhang mit Umweltaussagen setzen und sämtliche Informationen zur Verfügung stellen sollten, die für Investitionsentscheidungen von Anlegenden relevant sind.

Sustainable Finance Strategie der BaFin

Auch die BaFin hat die Gefahren von Greenwashing u.a. für das Vertrauen von Verbrauchern in den Markt für nachhaltige Investitionen seit einigen Jahren im Visier. 

2021 hatte sie einen Entwurf einer Richtlinie für nachhaltig ausgestaltete Investmentvermögen zur Konsultation gestellt. Der Entwurf sollte eine Lücke in der Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) füllen und regelt Mindestanforderungen, wie Kapitalverwaltungsgesellschaften ihre als nachhaltig (zum Beispiel grün, sustainable oder ESG) bezeichneten oder als „explizit nachhaltig“ vertriebenen Publikumsinvestmentfonds ausgestalten müssen. Zwar stellte die BaFin den Entwurf nach eigener Mitteilung vor dem Hintergrund der dynamischen regulatorischen energie- und geopolitischen Lage zurück, legte die Vorgaben jedoch ihrer Verwaltungspraxis zugrunde. Mit Inkrafttreten der kürzlich in finaler Fassung veröffentlichten ESMA Leitlinien zur Nutzung von ESG-Begriffen im Fondsnamen wird die BaFin die ESMA Vorgaben übernehmen.

Zudem hat die BaFin im Rahmen ihrer 2023 verkündeten Sustainable Finance Strategie Greenwashing Prävention und Kontrolle als ihren Aufsichtsschwerpunkt erklärt und schöpft im Zusammenhang mit der Sustainable Finance Regulierung zunehmend ihre Aufsichtsbefugnisse aus.

Das Sustainable Finance Gesetzgebungspaket der EU enthält u.a. mit der SFDR, der Taxonomie-VO, der Delegierten VO zu MiFID II, der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und dem EU Green Bond Standard Spezialregelungen, die auf Produkt und/oder Unternehmensebene alle das Ziel haben, Transparenz in Sachen Nachhaltigkeit zu fördern und Greenwashing zu unterbinden.

Überprüft wird von der BaFin, z.B. ob Transparenz- und Offenlegungspflichten unter der SFDR erfüllt werden und auch, ob Marketingmitteilungen ggf. diesen Offenlegungspflichten widersprechen. Zudem wird die Bilanzkontrolle der Bafin die Einhaltung der CSRD-Transparenzpflichten überwachen. Daneben erwartet die BaFin im Anwendungsbereich der MaRisk, dass die Geschäftsleitung eine ökonomisch nachhaltige Geschäftsstrategie festlegt, in welcher die Ziele des Instituts für jede wesentliche Geschäftsaktivität sowie die Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele dargestellt werden. Über die Geschäftsstrategie und der daraus folgenden Risikostrategie findet die Vorgabe dann ihren Weg in die Ablauforganisation, welche im Rahmen von internen und externen Prüfungen auch bei LSI seit der Prüfungssaison 2022 geprüft werden. 

Green Claims Directive

Daneben arbeitet die EU an der Green Claims Directive (GCD), durch die Standards für die Nutzung von umweltbezogenen Aussagen für Produkte und Dienstleistungen von Unternehmen geschaffen werden sollen. Der EU-Rat und das EU-Parlament haben dazu eine vorläufige politische Einigung erzielt. Ob es zu einem baldigen Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens kommen wird, ist jedoch aufgrund der bevorstehenden EU-Wahlen schwer zu prognostizieren.

Nach dem derzeitigen Entwurf der Green Claims Directive müssen künftig produkt- oder unternehmensbezogene Umweltaussagen im B2C-Kontext umfassend begründet, nachgewiesen und vorab durch akkreditierte Stellen zertifiziert werden. Der Entwurf verbietet pauschale umweltbezogene Werbeaussagen wie „umweltfreundlich″, „natürlich″, „biologisch abbaubar″ und „klimaneutral″, wenn diese sich nicht mit konkreten Angaben und Nachweisen begründet werden.

Zwar sind Umweltaussagen, die durch speziellere (Finanz-)Regulierungen geregelt sind, von der GCD ausgenommen. Doch die noch junge Sustainable Finance Gesetzgebung lässt an der ein oder anderen Stelle noch Raum für Interpretation. Das zeigte sich u.a. als letztes Jahr mit Inkrafttreten der zweiten Stufe der SFDR viele Fondsanbieter die Nachhaltigkeitsklassifizierungen ihrer Produkte von Art. 9 auf Art. 8 herunterstuften.

Unbegründete oder vermeintlich unbegründete Umweltaussagen können für Finanzmarktteilnehmende schnell zum (Reputations-)Risiko werden. Diese Risiken werden sich voraussichtlich mit Inkrafttreten der GCD erhöhen.

Im Hinblick auf das erklärte Ziel der EU mit der GCD europaweite Standards für umweltbezogene Aussagen zu schaffen, sollten sich für Finanzmarktteilnehmende mit der GCD vertraut machen und nur solche umweltbezogenen Aussagen tätigen, die auf belastbare Daten gestützt werden können, sowie ein Monitoring ihrer umweltbezogenen Aussagen einrichten, so dass keine Widersprüche entstehen.

Ungeachtet der Green Claims Directive übt die BaFin gerade in letzter Zeit ihre Aufsichtsbefugnisse auch in Bezug auf Nachhaltigkeitsvorgaben im Risikomanagement und im Strategieprozess deutlich aus. Gegenwärtig ist in der Praxis daher häufig zu beobachten ist, dass sowohl im Rahmen von Erlaubnisanträgen als auch in Sonderprüfungen sowohl der Strategieprozess als auch die ESG-Risikobewertung im Riskmanagement geprüft, gewürdigt und bei Absenz gerügt werden.

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Werbung mit der Fußball-EM 2024 | Was ist erlaubt?

Do, 16.05.2024 - 12:02

Für Unternehmen bieten sportliche Großveranstaltungen wie die Fußball-Europameisterschaft 2024 in Deutschland die Möglichkeit, das damit verbundene öffentliche Interesse und die globale, mediale Präsenz verkaufsfördernd zu nutzen. Die wenigsten Unternehmen haben dabei aber die Möglichkeit als offizieller Turniersponsor/Partner der UEFA agieren zu können. Für die meisten gilt es daher sorgfältig zu beachten, dass im Kontext eines solchen kommerziellen Großevents zahlreiche Kennzeichen rechtlichen Schutz genießen und die Verletzung derartiger Schutzrechte weitreichende rechtliche, aber insbesondere auch finanzielle Konsequenzen sowie negative Auswirkungen auf die eigene Reputation haben kann.

Die UEFA als Inhaberin eines umfassenden Schutzrechtskonglomerats

Die Fußball-Europameisterschaft 2024 wird von der UEFA (Union of European Football Associations) zusammen mit dem DFB (Deutscher Fußball-Bund) organisiert. Anders als beispielsweise im Fall der olympischen Spiele durch das Olympiaschutzgesetz (OlympSchG) genießen die Kennzeichen der Fußball-Europameisterschaft keinen unmittelbaren spezialgesetzlichen Schutz. Im Vorfeld der EM hat die UEFA aber sog. „Official-Marks“, eine Reihe von Bildern, Begriffen, Titeln, Symbolen, Logos und anderen Zeichen, als Marken schützen lassen. 

Die UEFA verfolgt zum umfassenden Schutz des Turniers eine breite Markenanmeldestrategie. Aus diesem Grund beanspruchen die angemeldeten Marken Schutz für eine Vielzahl an Waren und Dienstleistungen, unter anderem für Lebensmittel, Finanzdienstleistungen aber auch beispielsweise Musikinstrumente oder Fortbewegungsmittel. Im Grundsatz sind sämtliche dieser Marken der UEFA insbesondere für Maßnahmen zum Zwecke von Werbung, Marketing und Vertrieb von Produkten geschützt.

Logos, Symbole und Begriffe als Gegenstand des UEFA-Markenrechtsschutzes

Unter anderem umfasst von den Schutzrechten der UEFA sind:

Und dies stellt bei weitem keine abschließende Aufzählung der Zeichen dar, die im Zusammenhang mit der Fußball-EM 2024 seitens der UEFA geschützt sind. Informationen dazu und zu den restriktiven Nutzungsbedingungen für diese Marken finden sich auf der offiziellen Website der UEFA.

Monopolisierung weitreichender Werbe- und Vertriebsmöglichkeiten für die UEFA und ihre Sponsoren

Die Vermarktung der kommerziellen Rechte, sprich Marketing-, Medien- und Lizenzierungsrechte an den UEFA „Official-Marks“, sind ausschließlich der UEFA als Inhaberin zahlreicher Schutzrechte, insbesondere von Marken, zugewiesen. Infolgedessen ist es ausschließlich der UEFA sowie ihren Partnern* und Sponsoren als Lizenznehmern erlaubt, die geschützten Symbole und Begriffe für das eigene Marketing zu verwenden. Jeder Dritte, der diese Zeichen identisch oder – und dies ist äußerst praxisrelevant – verwechslungsfähige, also ähnliche Zeichen für ähnliche Waren- oder Dienstleistungen verwendet, setzt sich der vollen Bandbreite markenrechtlicher Ansprüche der UEFA aus. 

So hat die UEFA in der Vergangenheit beispielsweise eine Verletzung zweier eingetragener Wort-/Bildmarken aufgrund des Verkaufs von Fußbällen mit der Aufschrift „EURO 2000“ durch einen Nichtsponsor gerichtlich verfolgt. Zwar hat der BGH in diesem konkreten Fall entschieden, dass einer beschreibenden Angabe wie „EURO 2000“ der bestimmende Gesamteindruck einer aus mehreren Bestandteilen gebildeten Marke fehle. Grundsätzlich ist aber bei der Verwendung von Kennzeichen und Begriffen, die Bezug auf die UEFA Europameisterschaft nehmen, Vorsicht geboten.

Selbstverständlich bedeutet dies nicht, dass jede „Anlehnung an“ oder „Bezugnahme auf“ das Turnier im Kontext von Werbung für Produkte von Nicht-Sponsoren durch die UEFA untersagt werden kann. Auch wenn es in der Regel für die unmittelbare Nutzung des offiziellen EM-Logos und der konkreten Bezeichnungen „UEFA EURO 2024“ und „UEFA EURO 2024 Germany“ für die durch die UEFA geschützten Waren- und Dienstleistungen ohne Einwilligung der UEFA keinen rechtlichen Spielraum geben wird, sind viele Gestaltungsmöglichkeiten mit ähnlichen Begriffen und Fußball sowie Europa-bezogenen Bildelementen rechtlich nicht durch die UEFA angreifbar.

Wer aber, ohne Inhaber einer Sponsorenlizenz zu sein, die von ihm angebotenen Waren oder Dienstleistungen mit zu den „Official Marks“ der UEFA ähnlichen Zeichen rund um die Europameisterschaft, beispielsweise „FUSSBALL EM 2024 DEUTSCHLAND“, bewirbt, sollte vorab unbedingt sicherstellen, dass dadurch keine Schutzrechte der UEFA verletzt werden.

Dabei gilt, dass die Wahrscheinlichkeit einer Schutzrechtsverletzung umso besser minimiert werden kann, je stärker sich das durch ein Unternehmen verwendete Kennzeichen von denjenigen der UEFA unterscheidet. Beispielsweise durch die Hinzufügung bzw. Neuanordnung gestalterischer Elemente zu den durch ein Unternehmen verwendeten Kennzeichen kann die Ähnlichkeit zu Logos der UEFA verringert werden.

Generelle Zulässigkeit rein beschreibender Werbeaussagen ohne konkreten Bezug zur UEFA

Zulässig wird die Werbung eines Unternehmens, das nicht Lizenznehmer der UEFA oder ihrer Partner ist, insbesondere auch dann sein, wenn die Werbeaussage, die Bezug auf die EM nimmt, rein beschreibend ist und nicht gegen die guten Sitten verstößt. Unerheblich ist dabei die Form der Werbung. 

Angaben sind dann rein beschreibender Natur, wenn sie lediglich der Bezeichnung von Merkmalen und Eigenschaften der beworbenen Produkte dienen. Im Kontext der Europameisterschaft ist entscheidend, dass bei der Bewerbung von Leistungen keine Assoziationen zur UEFA selbst oder ihren geschützten Marken und Logos geschaffen werden. Eine generelle, isolierte Erwähnung der Begriffe „Fußball“ bzw. „Europameisterschaft“ oder „EM-Turnier“ ist dabei in der Regel unproblematisch.

Insbesondere sind Werbemaßnahmen mit reinem Fußballbezug, wie beispielsweise sog. „Fan-Rabatte“, generelle Werbeaussagen wie „Fußballsommer in Deutschland“ oder aber auch die Nutzung von Fußballmotiven, beispielweise von Bällen oder Toren, grundsätzlich zulässig, sofern keine nähere Verbindung zur UEFA hergestellt wird. 

Einzelfallprüfung zur Vermeidung von Ansprüchen der UEFA gegen werbende Unternehmen

Für den Fall, dass ein werbendes Unternehmen Schutzrechte verletzt, drohen diesem Unterlassungs-, Beseitigungs-, Auskunfts- und Schadensersatzansprüche der UEFA und ihrer Partner. Dies kann nicht nur per se mit hohen Kosten verbunden sein. Unter Umständen ist auch mit einer Abschöpfung der durch die Rechtsverletzung erlangten Gewinne zu rechnen. 

Zur Vermeidung derartiger Risiken ist vor Veröffentlichung von Werbemaßnahmen, die in einem engen inhaltlichen Zusammenhang mit der Fußball-Europameisterschaft stehen und darauf zielen die EM als erkennbaren Anlass mit Hilfe von Schlagworten oder Bildhinweisen verkaufsfördernd fruchtbar zu machen, eine juristische Einzelfallprüfung sehr empfehlenswert. 

Dieser Beitrag wurde mit Hilfe von Fr. Patricia Tumele erstellt.

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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Der Restrukturierungsbeauftragte im StaRUG-Verfahren

Do, 16.05.2024 - 06:37

Ein Verständnis für die Rolle des Restrukturierungsbeauftragten* erfordert einen Blick auf den Ursprung und das Ziel des StaRUG. Es wurde geschaffen, um Unternehmen präventive Instrumente zur Verfügung zu stellen, die frühzeitigere Restrukturierungen außerhalb eines Insolvenzverfahrens ermöglichen. 

Das StaRUG und der Restrukturierungsbeauftragte

Mit dem Restrukturierungsbeauftragten sollte die Lücke zwischen außergerichtlichen Restrukturierungen und gerichtlichem, nicht selten mit dem Stigma des Scheiterns oder negativen Auswirkungen auf den Geschäftsbetrieb verbundenen Insolvenzverfahren geschlossen werden. Restrukturierungen nach dem StaRUG sollen dabei mit möglichst geringem staatlichem Einfluss und so privatautonom wie möglich erfolgen. Um einen fairen Interessenausgleich zu gewährleisten, kann und in manchen Fällen sogar muss auf einen Restrukturierungsbeauftragten zurückgegriffen werden, welcher als Vermittler zwischen allen Stakeholdern fungiert. 

Aufgabe des Restrukturierungsbeauftragten

Aus der zugrundeliegenden Europäischen Restrukturierungsrichtlinie (RL EU 2019/1023) ergibt sich, dass der Restrukturierungsbeauftragte verschiedene Aufgaben haben soll: Zum einen soll er gewährleisten, dass die Interessen aller durch das Sanierungsverfahren betroffenen Beteiligten sachgerecht berücksichtigt werden. Zum anderen soll er die Erstellung des Restrukturierungsplanes begleiten. Ferner soll er auch als Ansprechpartner für das Gericht fungieren, welches im Rahmen der Amtsermittlung zur Einschätzung des Sanierungsvorhabens auf den Restrukturierungsbeauftragten zurückgreifen kann.

Zwingender und fakultativer Restrukturierungsbeauftragter

Bei der Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten wird zwischen zwingenden und fakultativen Gründen differenziert. Ein „zwingender Restrukturierungsbeauftragter“ wird gem. § 73 StaRUG von Amts wegen bestellt, wenn in Rechte besonders schützenswerter Gläubigergruppen (KMU, Verbraucher) eingegriffen wird, nahezu sämtliche Gläubiger von einer Stabilisierungsanordnung betroffen werden, eine Überwachung des Restrukturierungsplanes vorgesehen ist oder ein sog. Cross Class Cram Down, die gruppenübergreifende Gläubigerüberstimmung, gem. § 26 StaRUG erforderlich ist. 

Ein „fakultativer Restrukturierungsbeauftragter“ wird gem. § 77 Abs. 1 StaRUG eingesetzt, wenn der Schuldner oder ein Mindestquorum von 25% der betroffenen Gläubiger dies beantragen. 

Befugnisse des Restrukturierungsbeauftragten

Die Befugnisse des Restrukturierungsbeauftragten können durch das Restrukturierungsgericht für den jeweiligen Sanierungsfall individuell definiert werden. So kann der zwingende Restrukturierungsbeauftragte gem. § 76 StaRUG ermächtigt werden, die Geschäftsleitung des Schuldners zu überwachen und die Kassenführung an sich zu ziehen. Dabei muss der Schuldner (neben der grundsätzlichen Kooperationspflicht) dem Restrukturierungsbeauftragten insbesondere erforderliche Auskünfte erteilen und Einsicht in die Geschäftsbücher gewähren, § 76 Abs. 4 StaRUG.

Kernaufgabe des fakultativen Restrukturierungsbeauftragten ist die Erstellung und Verhandlung eines Restrukturierungskonzeptes und darauf aufbauenden Restrukturierungsplanes, § 79 StaRUG. Daneben kann der fakultative Restrukturierungsbeauftrage durch das Restrukturierungsgericht gem. § 77 Abs. 2 StaRUG auch ermächtigt werden, bestimmte, eigentlich dem zwingend zu bestellenden Restrukturierungsbeauftragten zugedachte Befugnisse nach § 76 StaRUG auszuüben.

Darüber hinaus kann das Restrukturierungsgericht gem. § 73 Abs. 3 StaRUG einen Restrukturierungsbeauftragten als Sachverständigen bestellen, um konkrete Fragen des jeweiligen Sanierungsfalles, insbesondere des Restrukturierungsplanes, beantworten und bewerten zu lassen.  

Anforderungen an den Restrukturierungsbeauftragten

Gem. § 74 Abs. 1 StaRUG muss der Restrukturierungsbeauftragte für den jeweiligen Sanierungsfall geeignet sein. Zwar können unter Umständen durch die Stakeholder vorgeschlagene natürliche Personen berücksichtigt werden, allerdings ist deren Qualifikation als sanierungserfahrener Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwalt (oder Vertreter einer Berufsgruppe mit vergleichbarer Qualifikation) unabdingbar. Wesentliches Merkmal ist darüber hinaus die Unabhängigkeit der als Restrukturierungsbeauftragter zu bestellenden Person. Eine etwaige Vorbefassung der ins Auge gefassten Person wird durch das Restrukturierungsgericht geprüft und kann zur Nichtbestellung der (vorgeschlagenen) Person führen.

Mit Bestellung durch das Restrukturierungsgericht wird der Restrukturierungsbeauftragte dessen Aufsicht unterstellt und ist diesem damit jederzeit auskunfts- und berichtspflichtig, § 75 Abs. 1 StaRUG. 

Der Restrukturierungsbeauftragte kann auf eigenen Antrag, auf Antrag des Schuldners oder eines Gläubigers sowie von Amts wegen durch das Gericht entlassen werden. Auf Schuldner- oder Gläubigerantrag hin jedoch nur, wenn der Entlassungsantrag mit einer fehlenden Unabhängigkeit begründet ist, § 75 Abs. 2 StaRUG. Eine Entlassung von Amts wegen erfolgt nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes. Ein wichtiger Grund liegt in der Regel vor, wenn aufgrund erheblicher Pflichtverletzungen des Restrukturierungsbeauftragten ein Belassen im Amt nicht mehr vertretbar ist. Bei der Bewertung hat das Restrukturierungsgericht einen Ermessensspielraum. Sofern der Restrukturierungsbeauftragte durch seine Pflichtverletzung einem Beteiligten einen Schaden schuldhaft verursacht, kann er diesem gegenüber unter Umständen schadensersatzpflichtig sein, § 75 Abs. 4 StaRUG. Allgemeine, darüber hinausgehende Haftungstatbestände (wie z.B. aus deliktischer Haftung) bleiben unberührt.

Beitrag des Restrukturierungsbeauftragten zum Gelingen der Sanierung

Der Einsatz eines Restrukturierungsbeauftragten soll eine erfolgreiche Sanierung des Schuldners im Sinne aller Beteiligten unter Berücksichtigung des gesetzlichen Rahmens gewährleisten. Seine Unabhängigkeit und Überparteilichkeit ist ein wesentlicher Garant dafür, durch Moderation auch bei zerstrittenen Stakeholdern den Dialog aufrechtzuerhalten und die Erstellung eines für alle Beteiligten fairen Sanierungskonzeptes sicherzustellen. Gefragt sind daher Verhandlungsgeschick und -erfahrung sowie die Bereitschaft, zwischen den beteiligten Parteien konstruktiv vermitteln zu wollen.

Der Beitrag ist Teil unserer Blogreihe zur Unternehmensrestrukturierung nach dem StaRUG. Es erschienen bereits zahlreiche Beiträge zur europäischen Restrukturierungsrichtlinie, u.a. ein Beitrag zu den Moratorien und zu den Restrukturierungsplänen. Anschließend haben wir uns mit den Pflichten der Unternehmensleitung, dem Schutz von Finanzierungen und Finanzierungsgebern sowie den Restrukturierungsbeauftragten und Verwaltern befasst. Weiter sind wir auf die Entschuldung insolventer Unternehmerarbeitsrechtliche Aspekte der Restrukturierungs-Richtlinie, das Dutch Scheme als Vorbild für den Restrukturierungsrahmen sowie eine Sanierung außerhalb der Insolvenz eingegangen. 

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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CMS startet Kooperation mit Satelliten-Start-Up zur neuen EU-Entwaldungsverordnung 

Mi, 15.05.2024 - 06:51

Die Technologie-Partnerschaft zwischen CMS Deutschland und LiveEO verfolgt das Ziel, die Kompetenzen von CMS in das von LiveEO entwickelte Tool zur EUDR zu integrieren und Mandanten und Kunden damit die Umsetzung der EU-Entwaldungsverordnung zu erleichtern. 

Wie kam die Zusammenarbeit zustande?

Das war eher zufällig: Wir haben auf unserem CMS-Blog einen Beitrag über die EU-Entwaldungsverordnung, kurz EUDR, veröffentlicht. Darauf ist LiveEO auf uns aufmerksam geworden und hat uns angesprochen. Wir haben ein erstes Kennenlernen vereinbart. In den darauffolgenden Gesprächen haben wir uns dann immer weiter über unsere jeweiligen Tätigkeiten im Zusammenhang mit der EUDR ausgetauscht. Wir hatten bald das Gefühl, dass wir uns gut ergänzen könnten. Am Ende ist dann daraus unsere Kooperation entstanden.

Wer ist LiveEO?

LiveEO nutzt Erdbeobachtung und KI, um präzise Überwachungslösungen für Infrastrukturen und Umwelt anzubieten, um deren Sicherheit und Resilienz zu erhöhen. Durch den Einsatz innovativer Technologien und künstlicher Intelligenz erschließt LiveEO das volle Potenzial von Satellitendaten, um Organisationen präzise Erkenntnisse zu liefern. Diese Erkenntnisse erhöhen die Sicherheit, Effizienz und Nachhaltigkeit von Operationen und machen LiveEO zu einem Vorreiter in der Erdbeobachtungsbranche. 

Was ist das Ziel der Zusammenarbeit und welche Vorteile bringt das für beide Seiten?

CMS und LiveEO wollen die Einhaltung der EUDR für Unternehmen vereinfachen. 

LiveEO hat eine Plattform namens TradeAware entwickelt, um die Einhaltung von Vorschriften der EUDR für betroffene Unternehmen zu vereinfachen. Neben der präzisen Erkennung von Entwaldungsereignissen lassen sich über die Plattform zentrale Dokumente hochladen und auswerten sowie Fragebögen zur Sorgfaltspflicht ausfüllen. TradeAware gewährleistet eine sichere Aufbewahrung der Dokumentation und die Erstellung der gesetzlich geforderten Sorgfaltserklärungen, wodurch die Einhaltung der Vorschriften der EUDR für Unternehmen deutlich erleichtert werden kann.

CMS hat bereits für die Entwicklung von TradeAware einen Fragebogen als rechtlichen Beitrag beigesteuert. Insgesamt können CMS und LiveEO damit die juristischen, technischen und administrativen Themen der EUDR aus einer Hand anbieten. Mit dem gemeinsamen Ansatz können Unternehmen die komplexen Anforderungen der EUDR effizient bewältigen.

Welche Rolle spielt CMS in dieser Partnerschaft? Welche Rolle spielt LiveEO in dieser Partnerschaft?

Vereinfacht gesagt: LiveEO bietet die Bewertung von Entwaldungsereignissen und die technische Plattform TradeAware, CMS bietet die notwendige rechtliche Begleitung. So können wir Unternehmen sehr weitgehend Sicherheit für die Erstellung der von der EUDR verlangten Sorgfaltserklärungen (sowie ggf. Anknüpfungspunkte für Abhilfemaßnahmen) bieten.

Wir haben umfassende Erfahrung bei der Risikobewertung für Unternehmen, sei es in Transaktionen oder im Rahmen von anderen Compliance-Anforderungen. Auf dieser Grundlage überprüfen wir die Einhaltung der EUDR-Anforderungen, einschließlich der Sammlung von Informationen, der Risikobewertung und der Maßnahmen zur Risikominderung. Zu den Dienstleistungen von CMS gehören die Bewertung bestehender Compliance-Strategien und – falls erforderlich – Empfehlungen für weitere Maßnahmen. Diese umfassende rechtliche Überprüfung erleichtert die Anpassung an die EUDR-Vorschriften.

Was plant ihr? Was ist bereits erfolgreich umgesetzt worden?

Wir haben bereits mehrere sehr erfolgreiche Webinare angeboten, mit denen wir unsere Mandanten und Kunden über die Anforderungen der EUDR und die mögliche Unterstützung informiert haben. Daraus sind zahlreiche Einzelgespräche mit großen und bedeutenden Unternehmen entstanden. Wir planen weitere Veranstaltungen, intern wie extern und bringen uns bei unseren jeweiligen Mandanten gegenseitig ins Spiel, wenn dies passt. Wir möchten von den Vorteilen unseres Ansatzes überzeugen. Auf dem Rechtsmarkt ist diese Symbiose nach wie vor einzigartig. Konkret verproben derzeit die praktische Funktionsweise unserer Kooperation und der Plattform in Pilotprojekten. 

Wie beschreibt ihr die Zusammenarbeit? Welche Herausforderungen haben sich gestellt und wie habt ihr diese gemeinsam gelöst?

Dialog ist unser Schlüssel zum Erfolg – so funktioniert die Symbiose von Tech und Recht. Wir sind permanent im Austausch. Wir haben alle einen extrem hohen Qualitätsanspruch, die EUDR für betroffene Unternehmen handlebar zu machen. Das kann auch eine Blaupause für weitere Anwendungsfälle dieser Art sein – denn die werden kommen bzw. sind inzwischen schon da: Sorgfalt in der Lieferkette wird immer mehr die Frage nach (technischer) Unterstützung einerseits und (rechtlicher) Bewertung andererseits aufwerfen. Die Herausforderung, die aber gerade für uns so spannend war und ist, ist dabei, die rechtlichen Notwendigkeiten in technische Tools umzusetzen.  

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Projekt – was nehmt ihr daraus mit?

Die EUDR wird von Unternehmen oft gnadenlos unterschätzt – ihr Anwendungsbereich und die potenziellen Folgen stellen das LkSG in den Schatten. Auch ist den wenigsten bewusst, wie viel Vorbereitungszeit nötig ist, um die Anforderungen der EUDR zu erfüllen. Obwohl erst Ende 2024 scharf gestellt, muss jetzt gehandelt werden. Gerade Mittelständler zögern dahingehend noch und wissen nicht, wie sie die Anforderungen umsetzen sollen. Insofern ist das Zeitfenster nicht (mehr) allzu groß. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns gegenseitig informieren und die Bälle zuwerfen. Das erfordert auch viel Absprachen untereinander – z.B. in regelmäßigen Jour fixe.

Inwiefern ist die EUDR auf Seiten von CMS und LiveEO von großer Bedeutung und was beschäftigt die Unternehmen im Zusammenhang mit der Verordnung?

Die EUDR muss im Lichte des European Green Deal und der Ambition eines Beitrags Europas zu nachhaltigem Wirtschaften gesehen werden. Für Unternehmen ist sie Baustein der generellen ESG-Compliance. Sie liegt an der Schnittstelle nachhaltiger Lieferketten und Produkte. Nicht zuletzt wegen der empfindlichen Strafen, die die EUDR im Falle von Verstößen vorsieht, ist es für die betroffenen Unternehmen unbedingt notwendig, sich rechtzeitig mit der Umsetzung der EUDR auseinanderzusetzen.

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Umgekehrte Betriebsaufspaltung bei Kapitalgesellschaften lässt die erweiterte Kürzung nicht entfallen

Mi, 15.05.2024 - 06:36

Mit seinem Urteil vom 22. Februar 2024 (Az.: 3 R 13/23) bestätigt der Bundesfinanzhof, dass aus einer umgekehrten Betriebsaufspaltung keine originär gewerbliche Tätigkeit abgeleitet werden kann. Damit verbunden ist auch die Frage nach der Möglichkeit der erweiterten Kürzung des Gewerbeertrags im Rahmen des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG.

Erweiterte Kürzung für Grundbesitzunternehmen

Die sog. erweiterte Kürzung ermöglicht es bspw. Kapitalgesellschaften, die u.a. ausschließlich eigenen Grundbesitz (oder daneben eigenes Kapitalvermögen) verwalten, den Gewerbeertrag um den Teil zu kürzen, der auf die Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes entfällt (§ 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG). Die erweiterte Kürzung entfällt, wenn Grundbesitzgesellschaften einen eigenen originären Gewerbebetrieb unterhalten. Hierzu zählt auch die Betriebsaufspaltung.

Betriebsaufspaltung führt zu Ausschluss der erweiterten Kürzung

Das durch die Rechtsprechung geschaffene Institut der Betriebsaufspaltung zeichnet sich durch die Trennung eines Unternehmens in zwei (oder mehrere) selbständige Einheiten mit unterschiedlichen Zwecken aus: Ein Besitzunternehmen, welches das Grundstück hält, überlässt es dem Betriebsunternehmen zur Nutzung, wobei die das Besitzunternehmen beherrschende Gruppe ihren Willen auch in dem Betriebsunternehmen durchsetzen kann. Infolgedessen begründet das Besitzunternehmen einen originären Gewerbebetrieb, der die erweiterte Kürzung entfallen lässt. Es liegt eben nicht mehr nur die Verwaltung oder Nutzung eigenen Grundbesitzes vor. 

Im Falle der umgekehrten Betriebsaufspaltung, sprich bei der Beherrschung der Besitzkapitalgesellschaft durch die Betriebsgesellschaft, kann nichts anderes gelten. 

Keine personelle Verflechtung

So hat es auch der Bundesfinanzhof in seinem kürzlich veröffentlichten Urteil entschieden. Im Streitfall war an der klägerischen Besitzkapitalgesellschaft mittelbar über eine weitere Beteiligungs-GmbH mehrheitlich eine Kommanditgesellschaft beteiligt, an welche die Besitzkapitalgesellschaft ein Grundstück vermietete.

Der Bundesfinanzhof stellte klar, dass weder eine Betriebsaufspaltung im klassischen Sinn noch ein Fall der umgekehrten Betriebsaufspaltung vorliege, welche die erweiterte Kürzung ausschließen würden. Es fehle die erforderliche sog. personelle Verflechtung. Die Klägerin als Kapitalgesellschaft war weder mittelbar noch unmittelbar zu mehr als 50 % an der Kommanditgesellschaft beteiligt. Dabei stellte der Bundesfinanzhof klar, dass für die Beurteilung des Betätigungswillens ein Rückgriff auf die hinter der Besitzkapitalgesellschaft stehenden Anteilseigner nicht zulässig ist (sog. Durchgriffsverbot). Dieses bestimmt, dass es für die Möglichkeit der Durchsetzung des Betätigungswillens nicht auf die Anteilsinhaberschaft bzw. die Einflussmöglichkeit der Gesellschafter der Besitzkapitalgesellschaft abzustellen ist. Es kommt nur auf die Kapitalgesellschaft selbst an.

Gleiches gelte auch für die umgekehrte Betriebsaufspaltung. Der Zweck der umgekehrten Betriebsaufspaltung sei nicht die Begründung einer originären gewerblichen Tätigkeit einer ausschließlich vermögensverwaltend tätigen Besitzkapitalgesellschaft, sondern die Vermeidung eines Ausschlusses von Steuervergünstigungen. Unabhängig davon gelte aber auch im Rahmen der umgekehrten Betriebsaufspaltung das Durchgriffsverbot, sodass auch hier nicht auf die Verhältnisse der Gesellschafter der klägerischen Gesellschaft abzustellen sei. 

Keine Rechtsprechungsänderung

Der Bundesfinanzhof stellte zudem klar, dass seine Entscheidung nicht im Widerspruch zu seinem Urteil vom 16. September 2021 (Az.: 4 R 7/18) steht. Dabei ging er unter Änderung der bisherigen Rechtsprechung davon aus, dass eine Beteiligung der an der Betriebsgesellschaft beteiligten Gesellschafter an einer Besitz-Personengesellschaft, die lediglich mittelbar über eine Kapitalgesellschaft besteht, bei der Beurteilung der personellen Verflechtung zu berücksichtigen ist. Im Gegensatz zum vorgestellten Streitfall stand in diesem zugrundeliegenden Urteil nicht die Besteuerung einer Besitzkapitalgesellschaft in Rede. 

Reaktion der Finanzverwaltung steht noch aus

Das Urteil des Bundesfinanzhofs bestätigt die vorangegangene Auffassung des Finanzberichts München zugunsten des Steuerpflichtigen und bietet der erweiterten Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG für Grundbesitzgesellschaften weiteren Komfort bei der Etablierung von Real-Estate-Strukturen. Ungeachtet dessen, ist bisher noch nicht klar, wie sich die Finanzverwaltung, welche die Revision zum Bundesfinanzhof angestrebt hatte, fortan zu den Rechtsfolgen positionieren wird oder das Urteil zur Veröffentlichung im für die Finanzverwaltung maßgebenden Bundessteuerblatt vorgesehen ist. Auch eine gesetzgeberische Reaktion könnte man beispielsweise im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2024 erwarten. Daher dürfte regelmäßig dazu zu raten sein, vor der Umsetzung einer solchen bzw. ähnlichen Struktur eine verbindliche Auskunft einzuholen. Im Rahmen laufender bzw. kommender Betriebsprüfungen dürfte einer möglichen ablehnenden Haltung der Finanzverwaltung mit Verweis auf dieses Urteil entgegentreten zu sein. 

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Dulde und liquidiere: eine Ausnahme für die Energiewende

Di, 14.05.2024 - 11:45

Mit dem Klimaschutzgesetz hat sich Deutschland das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045 gesetzt. Um das zu erreichen, soll der Stromsektor bereits bis zum Jahr 2035 möglichst emissionsfrei werden. Dazu muss der Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch erheblich gesteigert werden. Das bereits in Teilen seit Juli 2022 geltende EEG 2023 hat dafür erste Grundsteine gelegt, auf denen das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) aufbauen will.

Im Frühjahr 2023 hat das BMWK dafür eine Photovoltaik-Strategie erarbeitet. Diese beinhaltet Maßnahmen, mit denen die Bundesregierung bis zum Jahr 2035 die Treibhausgasneutralität im Stromsektor erreichen und zu diesem Zweck den Ausbau erneuerbarer Energien beschleunigen will. Auf dieser Grundlage hatte das Kabinett am 16. August 2023 den „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und weiterer energiewirtschaftlicher Vorschriften zur Steigerung des Ausbaus photovoltaischer Energieerzeugung“ beschlossen. Mit diesem sog. Solarpaket I sollen die Ziele der Photovoltaik-Strategie gesetzlich umgesetzt werden.

Beschleunigung der Grundstücksicherung durch Solarpaket I?

Ein praktisches Problem bei der Entwicklung von EEG-Projekten ist stets die langfristige Sicherung der notwendigen Grundstücksflächen. Gerade die externe Kabeltrasse zur Anbindung des Wind- oder Solarparks an den nächsten Einspeisepunkt verläuft oft über viele Grundstücke unterschiedlicher Eigentümer. Hier setzte der Gesetzentwurf mit der Einführung von § 11a und § 11b EEG (Fassung August 2023) an. Unter anderem ist darin vorgesehen, Grundstückseigentümer zur Duldung von Anschlussleitungen für Erneuerbare-Energie-Anlagen zu verpflichten. Diese Duldungspflicht soll die Verlegung und den Betrieb von Anschlussleitungen für Erneuerbare-Energie-Anlagen gegen Entschädigung ermöglichen. So soll der Anschluss von Erneuerbare-Energie-Anlagen an das Netz beschleunigt werden. Die Regelung soll nicht auf PV-Freiflächenanlagen beschränkt sein, sondern für alle Erneuerbare-Energie-Anlagen gelten. Weiterhin soll eine Duldungspflicht für die Überfahrt und Überschwenkung von Grundstücken zur Errichtung und zum Rückbau, allerdings nur von Windenergieanlagen, begründet werden.

Duldungspflichten von Grundstückseigentümern für Leitungen sind dem deutschen Recht nicht fremd. Sie finden sich unter anderem im Zusammenhang mit dem Stromnetz- oder Breitbandausbau (§ 12 NAV; § 134 TKG), wobei die konkreten Ausgestaltungen z. B. im Hinblick auf Entschädigungszahlungen differieren.

Die für Grundstückseigentümer relevanten Regelungen finden sich in den neuen § 11a EEG – Recht zur Verlegung von Leitungen und § 11b EEG – Recht zur Überfahrt während der Errichtung und des Rückbaus. Folgendes wird geregelt:

§ 11a EEG (Fassung August 2023): Recht zur Verlegung von Leitungen 

§ 11a EEG (Fassung August 2023) verpflichtet Eigentümer und Nutzungsberechtigte eines Grundstücks zur Duldung von Verlegung, Errichtung, Instandhaltung, Instandsetzung, Schutz und Betrieb von elektrischen Leitungen sowie von Steuer- und Kommunikationsleitungen (Leitungen) und sonstigen Einrichtungen zum Anschluss von Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien an den Verknüpfungspunkt gem. § 8 Abs. 1 bis 3 EEG sowie von Direktleitungen im Sinne von § 3 Nr. 12 EnWG gegen einmalige Zahlung von 5 Prozent des Verkehrswerts der in Anspruch genommenen Schutzstreifenfläche. Der Betreiber der Leitung und von ihm beauftragte Dritte dürfen das Grundstück dazu betreten und befahren. 

Es wird klargestellt, dass die Leitungen und sonstigen Einrichtungen nicht wesentliche Bestandteile des Grundstücks nach § 94 BGB und damit nicht automatisch auch Eigentum des Grundstückseigentümers werden. 

Die Duldungspflicht entfällt unter anderem bei Unzumutbarkeit der Nutzungsbeeinträchtigung. Sie endet 48 Monate nach dauerhafter Einstellung des Betriebs der Leitungen, was der Betreiber dem Grundstückseigentümer und den Nutzungsberechtigten unverzüglich anzuzeigen hat. 

Grundstückseigentümer und Nutzungsberechtigte haben alles zu unterlassen, was Bestand und Betrieb der Leitungen oder Einrichtungen gefährdet. Zu diesem Zweck wird ihnen vom Betreiber ein Bestandsplan mit dem Verlauf von Leitungen und Schutzstreifen ausgehändigt. Die Anwendbarkeit von § 11a EEG (Fassung August 2023) wird ausdrücklich auch auf Verkehrswege einschließlich deren Zubehör erstreckt, sodass z. B. auch die Querung von Bahntrassen möglich ist. 

§ 11b EEG (Fassung August 2023) Recht zur Überfahrt während der Errichtung und des Rückbaus 

Der § 11b EEG (Fassung August 2023) begründet eine Duldungspflicht für Eigentümer und Nutzungsberechtigte von Grundstücken für die Überfahrt und die Überschwenkung eines Grundstücks zur Errichtung und zum Rückbau von Windenergieanlagen sowie die Ertüchtigung des Grundstücks für die Überfahrt durch den Betreiber der Windenergieanlagen und durch von ihm beauftragte Dritte. Auch hier entfällt die Duldungspflicht insbesondere bei Unzumutbarkeit der Nutzungsbeeinträchtigung. Nach der letzten Überfahrt hat der Betreiber den ursprünglichen Zustand unverzüglich auf seine Kosten wiederherzustellen. 

An den in der Nutzung eingeschränkten Berechtigten ist im Falle der zu duldenden Überfahrt eine pauschale Entschädigung von EUR 28 pro Monat und in Anspruch genommenem Hektar zu zahlen. Eine Überschwenkung ist unentgeltlich zu dulden. Auch diese Vorschrift ist auf Verkehrswege entsprechend anzuwenden.

Es wird in beiden Regelungen klargestellt, dass sowohl Schadensersatzansprüche des Grundstückseigentümers und der Nutzungsberechtigten als auch öffentlich-rechtliche Genehmigungs- und Erlaubnispflichten unberührt bleiben. 

Auch beim zweiten Versuch einer gesetzlichen Duldungspflicht bleiben Fragen offen

Diese Vorschriften werfen für Grundstückseigentümer und Anlagenbetreiber einige Fragen auf, die trotz Änderungen im Vergleich zum ersten Referentenentwurf noch nicht alle beantwortet sind. 

Bislang mieten/pachten Anlagenbetreiber die für den Netzanschluss und die Verlegung von Anschlussleitungen notwendigen Flächen von den jeweiligen Grundstückseigentümern oder lassen sich die Nutzung durch sonstige Nutzungsverträge gestatten. Dafür zahlen sie ein – monatliches oder einmaliges – Entgelt. Gleichzeitig erfolgt eine dingliche Sicherung der Nutzungsmöglichkeit mittels beschränkt persönlicher Dienstbarkeit zugunsten des Betreibers. Die Verhandlung der entsprechenden Verträge kann langwierig sein. Darüber hinaus besteht die Gefahr von Rechtsstreitigkeiten, die erhebliche Zeit kosten und so den Ausbau und den Betrieb einer Erneuerbaren-Energie-Anlage erheblich verzögern können. 

Aus diesen Gründen gab es bereits zuvor Erwägungen, eine Duldungspflicht von Grundstückseigentümern gesetzlich zu regeln. Der Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Strompreisbremse und zur Änderung weiterer energierechtlicher Bestimmungen enthielt eine entsprechende Ergänzung im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), die allerdings kurzfristig aus dem – vom Kabinett beschlossenen – Gesetzentwurf wieder gestrichen wurde. Der Grund hierfür ist nicht bekannt und ergibt sich auch nicht aus der Gesetzesbegründung. Der Gesetzentwurf des § 11a EEG (Fassung August 2023) entspricht im Wesentlichen dem damaligen Entwurf. Vorschläge zur Optimierung der Regelung, z. B. des Bundesverbands für Windenergie, wurden in der vom Kabinett nun beschlossenen Fassung nur begrenzt umgesetzt. Das Überfahrtsrecht in § 11b EEG (Fassung August 2023) ist hingegen ein neuer Gedanke.

Relevante rechtliche Aspekte der neuen Regelung 

Durch die gesetzlichen Duldungspflichten soll ein gesetzliches Schuldverhältnis entstehen. Um eine effektive Durchsetzung zu gewährleisten, ist es nicht ausreichend, nur Grundstückseigentümer zu verpflichten. Deshalb sind auch sonstige Nutzungsberechtigte verpflichtet, damit die Duldungspflicht nicht im Ergebnis leer läuft, weil Rechte Dritter einem Netzausbau entgegen stehen. Duldungspflichtige Nutzungsberechtigte in diesem Sinne sind laut Gesetzesbegründung „alle Personen, die von den Leitungen in ihrem Recht beeinträchtigt werden können“. Neben land- und forstwirtschaftlichen Pächtern der Grundstücke sind auch Inhaber beschränkt persönlicher Dienstbarkeiten und sonstige Nießbrauchberechtigte genannt. Nach dem ursprünglichen Gesetzentwurf von August 2023 sollten sowohl alle schuldrechtlich als auch dinglich Berechtigten, sowohl private Eigentümer als auch die öffentliche Hand, zur Duldung verpflichtet sein.

Gesetzliches Schuldverhältnis statt dinglicher Sicherung 

Durch die gesetzliche Duldungspflicht ist eine separate dingliche Sicherung der Rechte der Betreiber nicht mehr erforderlich. Denn das gesetzliche Schuldverhältnis gilt auch gegenüber künftigen Grundstückseigentümern sowie dinglich Nutzungsberechtigten. Da die Leitungen ausdrücklich keine wesentlichen Bestandteile des Grundstücks werden, sondern Scheinbestandteile sind, die nicht ins Eigentum des Grundstückseigentümers übergehen, bedarf es keiner Dienstbarkeit mehr, um die Sonderrechtsfähigkeit der Leitungen zu gewährleisten. Durch den Entfall der dinglichen Sicherung soll der Anschluss der Erneuerbaren-Energie-Anlagen ebenfalls beschleunigt werden, da der Beglaubigungs- und Eintragungsprozess wegfällt.

Wer duldet und wer darf liquidieren? 

Der Eigentümer wird für die Duldung der Verlegung von Leitungen auf seinem Grundstück gemäß § 11a EEG (Fassung August 2023) mit einmalig 5 % des Verkehrswerts der in Anspruch genommenen Schutzstreifenfläche entschädigt. Im Falle der Ausübung des Überfahrtrechts nach § 11b EEG (Fassung August 2023) ist ein pauschal festgelegter Betrag pro Monat und in Anspruch genommenem Hektar an den von der Nutzungseinschränkung Betroffenen zu leisten. Schadensersatzansprüche sollen jeweils unberührt bleiben. Begründet wird die Entschädigungsregel damit, dass es sich nur um geringfügige Beeinträchtigungen der Grundstückswerte handelt, insbesondere weil keinerlei dingliche Sicherung erfolgt und nur geringe Flächen der Grundstücke in Anspruch genommen werden sollen. Weil der Gesetzgeber davon ausgeht, dass die Überfahrt im Gegensatz zur Leitungsverlegung nur temporär die reguläre Grundstücksnutzung einschränken kann, aber keine Wertminderung zur Folge hat, soll hier nur der betroffene Nutzungsberechtigte Zahlungsempfänger sein. Da das Überschwenken des Grundstücks schon keine wesentliche Beeinträchtigung darstellen soll, besteht dafür keine Entschädigungspflicht. Schadensersatzansprüche sollen dann in Betracht kommen, wenn fremdes Eigentum beschädigt wird oder wegen des Leitungsbaus bzw. der Überfahrt Flächen landwirtschaftlich nicht mehr genutzt werden können. Damit wären zumindest Ansprüche bei Ernteausfällen o. ä. abgedeckt. Da § 11a Abs. 2 EEG (Fassung August 2023) nur dem Grundstückseigentümer einen Entschädigungsanspruch einräumt, Nutzungsberechtigten aber nicht, gehen diese trotz möglicher Beeinträchtigung leer aus, wenn ihnen dabei kein Vermögensschaden entstanden ist. Ob dies so beabsichtigt war oder es sich bisher nur um ein Redaktionsversehen handelt, ist unklar. Da § 11b Abs. 2 EEG (Fassung August 2023) dem tatsächlich beeinträchtigten Nutzungsberechtigten aber einen Entschädigungsanspruch gewährt, spricht für eine bewusste Differenzierung. § 11a Abs. 2 EEG (Fassung August 2023) soll dann nach der gesetzgeberischen Intention wohl nur den Wertverlust, der nur den Grundstückseigentümer trifft, ausgleichen.

Auch darüber hinaus wird es sicherlich zu Folgefragen kommen: Derzeit sind nur Erneuerbare-Energie-Anlagen bzw. im Rahmen von § 11b EEG (Fassung August 2023) sogar nur Windenergieanlagen (sowie Anlagen zu Herstellung oder Speicherung von Grünem Wasserstoff oder sonstigen Stromspeichern) erfasst. Wird der Anwendungsbereich ausgedehnt auf Umspannwerke, Übergabestationen, Gaskraftwerke, Batteriespeicher usw.? Auch können Unsicherheiten zum Ende der Duldungspflicht entstehen. Wann ist eine Betriebseinstellung anzunehmen? Was passiert während der vierjährigen Nachlaufperiode? Wie sieht es mit dem Rückbau und der Entfernung der Leitungen sowie Wiederherstellung des früheren Zustandes aus? Kann der Eigentümer einer Rückbausicherheit verlangen?

++ Update vom 13. Mai 2024 ++

Begrenzung der Duldungspflicht auf Grundstücke im Eigentum der öffentlichen Hand

Nach längerer Verzögerung der 2. und 3. Lesung im Bundestag hat der Bundesrat am 26. April 2024 das kurz zuvor vom Bundestag beschlossene Solarpaket I gebilligt.

Im Vergleich zum ursprünglichen Entwurf der §§ 11a und 11b EEG – in der Fassung von August 2023 – wurde bei dem am 26. April 2024 verabschiedeten  Gesetz zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und weiterer energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften zur Steigerung des Ausbaus photovoltaischer Energieerzeugung die Pflicht von Grundstückseigentümern, die Nutzung ihrer Grundstücke zur Verlegung von Leitungen für Erneuerbare-Energie-Anlagen sowie die Überfahrt und die Überschwenkung des Grundstücks im Zusammenhang mit Windenergieanlagen zu dulden, in deutlich eingeschränktem Umfang beschlossen.

Die Duldungspflicht gilt nunmehr nur noch für Grundstücke im Eigentum der öffentlichen Hand. Privatpersonen sind von den neuen Regelungen gerade nicht betroffen. Dies ist die relevanteste und weitreichendste Änderung im Vergleich zum ursprünglichen Entwurf der §§ 11a und 11b EEG (neu).

Der ursprüngliche Entwurf wurde außerdem wie folgt geändert:

  • Für Leitungen zum Anschluss von Anlagen mit einer installierten Leistung von insgesamt höchstens 30 Kilowatt wurde die Duldungspflicht ausgeschlossen.
  • Neu hinzugekommen ist die entsprechende Anwendbarkeit der Regelungen des § 11a EEG (neu in der Fassung April 2024) auch auf Leitungen zum Anschluss von Anlagen zur Herstellung oder Speicherung von Grünem Wasserstoff oder sonstigen Stromspeichern in § 11a Abs. 6 S. 2 EEG (neu in der Fassung April 2024).
  • Zudem erstreckt § 11b Abs. 1 S. 4 EEG (neu in der Fassung April 2024) die Duldungspflicht im Zusammenhang mit der Errichtung und dem Rückbau von Windenergieanlagen auch auf die Ertüchtigung des Grundstücks für die Überfahrt und Überschwenkung. Die Wiederherstellungspflicht des Betreibers nach der letzten Überfahrt wurde im Vergleich zum ursprünglichen Entwurf dahingehend gelockert, dass nicht der ursprüngliche, sondern ein im Wesentlichen gleichartiger Zustand herzustellen ist. Dass dies auf Kosten des Betreibers zu geschehen hat, ergibt sich nicht mehr ausdrücklich aus dem beschlossenen Wortlaut, da dieser Satzteil ersatzlos gestrichen wurde.
  • Ferner wurden öffentliche Straßen vom Anwendungsbereich des § 11b EEG (neu in der Fassung April 2024) in Absatz 4 Satz 2 ausgeschlossen. Begründet wurde dies damit, dass Großraum- und Schwertransporte von Windenergieanlagen durch die Straßenverkehrsbehörde und wie bisher in einem Verwaltungsverfahren, ggf. unter Beteiligung der Straßenbaubehörde, geregelt werden sollen.
Überschaubare Erleichterung für Betreiber Erneuerbarer-Energie-Anlagen

Private Grundstückseigentümer sind also auch künftig nicht dazu verpflichtet, die Verlegung von Leitungen für Erneuerbare-Energie-Anlagen auf ihrem Grundstück zu dulden. Es bedarf weiterhin entsprechender Verträge zwischen den Betreibern und den privaten Grundstückseigentümern. Private Grundstückseigentümer dürfte diese Einschränkung freuen, wohingegen die erhoffte Erleichterung für die Betreiber der Erneuerbaren-Energie-Anlagen, die Grundstückssicherung der Kabeltrasse schnell vorzunehmen, ausbleibt.

Leitungen werden üblicherweise ohnehin – soweit möglich – auf öffentlich gewidmeten Wegegrundstücken verlegt. Allerdings werden die Planungen für Erneuerbare-Energie-Anlagen zumeist in engerer Abstimmung mit der Gemeinde erfolgen, weshalb diese in der Regel kooperationsbereit sein dürfte und eine Duldungspflicht die Grundstückssicherung nicht wesentlich vereinfachen dürfte. Für Leitungen, die unmittelbar der Versorgung von Letztverbrauchern dienen, sind die Gemeinden außerdem bereits nach § 46 EnWG dazu verpflichtet, ihre öffentlichen Verkehrswege zur Verfügung zu stellen, wobei auch hier noch der Abschluss eines Nutzungsvertrags erforderlich ist.

Eine unmittelbare Duldungspflicht ergibt sich daraus noch nicht. Zudem gilt § 46 EnWG nicht für die Verlegung solcher Leitungen, die lediglich Zugang zu einem vorhandenen Netz schaffen sollen, um Strom einzuspeisen. § 11a EEG (neu in der Fassung April 2024) betrifft hingegen nur die Leitungen zum Anschluss an den Verknüpfungspunkt oder Direktleitungen im Sinne des § 3 Nr. 12 EnWG und tritt daher neben die Regelung des § 46 EnWG. Es ist daher denkbar, dass auch weiterhin für von § 11a EEG (neu in der Fassung April 2024) nicht erfasste Leitungen Verträge mit der öffentlichen Hand geschlossen werden müssen.

Da kaum Fälle denkbar sind, in denen die gesamte Leitungstrasse ausschließlich über Grundstücke der öffentlichen Hand verläuft, werden auch künftig mitunter langwierige Verhandlungen mit Privatpersonen notwendig. Da private Grundstückseigentümer nun wissen, dass die gesetzliche Duldungspflicht ausdrücklich nur für die öffentliche Hand gilt, dürfte deren Verhandlungsposition deutlich gestärkt sein.

Betreibern ist es also auch künftig nicht möglich, ohne eine Vielzahl von Verträgen zur Grundstücksnutzung für die Kabelverlegung ihre Erneuerbare-Energie-Anlagen-Projekte zu realisieren.

Darüber hinaus konnten auch die bereits im Zusammenhang mit dem ursprünglichen Entwurf aufgeworfenen möglichen Folgefragen durch die Anpassungen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens nicht beantwortet werden. Denn mit Ausnahme der Einschränkung der Duldungspflichten auf Grundstücke im Eigentum der öffentlichen Hand handelt es sich ansonsten überwiegend um redaktionelle Änderungen ohne große inhaltliche Auswirkungen.

Beschleunigende Ausnahme für die Energiewende?

Da der Bundesrat dem Gesetzesentwurf zugestimmt hat, ohne den Vermittlungsausschuss anzurufen, wird das Gesetz nach Ausfertigung und Verkündung (vorbehaltlich einzelner EU-rechtlich erforderlicher Genehmigungen) in Kürze in Kraft treten. 

Dass die nunmehr auf die öffentliche Hand beschränkte Duldungspflicht den Ausbau erneuerbarer Energien wesentlich vereinfachen oder beschleunigen wird, erscheint zweifelhaft. Es bleibt, die tatsächlichen Entwicklungen und Umsetzung der neuen Regelungen in der Praxis zu beobachten und abzuwarten, ob bzw. wie der Gesetzgeber künftig weiter auf diese Thematik reagieren wird. Dass hier doch noch einmal nachjustiert wird, scheint insbesondere wegen der Bedeutung des Ausbaus Erneuerbarer Energien und den ursprünglichen Bestrebungen, auch private Grundstückseigentümer zur Duldung zu verpflichten, zumindest nicht ausgeschlossen. 

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Die Rolle der Künstlichen Intelligenz in der nachhaltigen Entwicklung: Die Sicht der Vereinten Nationen

Di, 14.05.2024 - 06:59

Künstliche Intelligenz (KI) ist zu einem integralen Bestandteil zahlreicher Industriezweige und gesellschaftlicher Bereiche geworden, von der Automatisierung in der Fertigung über die Optimierung von Lieferketten bis hin zur Personalisierung von Bildungsangeboten und medizinischen Diagnoseverfahren. 

Herausforderungen und Risiken der KI

Die rapide Entwicklung dieser Technologien bietet enorme Chancen für Wachstum und Innovation, doch sie wirft auch Fragen nach den langfristigen Auswirkungen auf Gesellschaft und Umwelt auf. Dabei sind vor allem auch ethische Aspekte zu berücksichtigen, um einer durch KI entstehenden Diskriminierung und der Verstärkung von sozialen Ungleichheiten entgegenzuwirken. Die Implementierung von KI-Systemen ohne angemessene Sicherheitsvorkehrungen kann schwerwiegende Folgen haben. 

UN-Resolution: Vorteile von KI nutzen, Missbrauch verhindern

In diesem Kontext haben die Vereinten Nationen (UN) sich intensiv mit der Bedeutung sicherer und vertrauenswürdiger KI-Systeme und ihren Chancen für die Gesellschaft auseinandergesetzt.

Im März hat die UN-Generalversammlung eine Resolution verabschiedet, die sich mit dieser Thematik befasst. Es geht darum, dass die Vorteile von KI gezielt genutzt werden sollen und dafür das Risiko einer missbräuchlichen Verwendung von KI eingedämmt wird. KI soll dazu eingesetzt werden, um zur nachhaltigen Entwicklung beizutragen und den Schutz der Menschenrechte zu gewährleisten. 

Bedeutung der KI für die 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung

Die UN betrachten die KI als Schlüsseltechnologie für das Erreichen der Ziele der 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung. Diese im Jahr 2015 verabschiedeten Ziele umfassen 17 Hauptziele, die von der Beendigung der Armut bis zum Schutz der Umwelt reichen. KI kann in diesem Rahmen eine entscheidende Rolle spielen, indem sie Entscheidungsprozesse beschleunigt, neue Lösungsansätze für alte Probleme bietet und Systeme effizienter macht. Dabei geht es auch darum, digitale Kluften zu überbrücken und Unterstützung für Entwicklungsländer zu leisten, damit diese vollständig von der digitalen Transformation profitieren können.

Die Zukunft der KI und nachhaltige Entwicklung

Die UN-Resolution betont die Notwendigkeit kontinuierlicher Anpassungen und Diskussionen bezüglich der Governance von KI, um mit der schnellen Entwicklung der Technologien Schritt zu halten. Es wird eine flexible, anpassungsfähige Herangehensweise gefordert, die die unterschiedlichen Bedürfnisse und Kapazitäten von Industrie- und Entwicklungsländern berücksichtigt. Zudem wird die Bedeutung der Zusammenarbeit aller Stakeholder, einschließlich der Privatwirtschaft, der Zivilgesellschaft und akademischer Institutionen, hervorgehoben, um eine inklusive und nachhaltige KI-Zukunft zu gestalten.

Unverbindlicher Charakter 

Im Gegensatz zum ebenfalls im März 2024 vom EU-Parlament beschlossenen AI-Act, der für die EU-Mitgliedstaaten verbindliche Regelungen setzt, ist die UN-Resolution der Generalversammlung völkerrechtlich nicht bindend und stellt mangels Durchsetzungsmechanismen nur eine politische Empfehlung dar. Sie hat aber einen weitergehenden Adressatenkreis und muss dem unterschiedlichen Entwicklungsstand der Implementierung von KI in den unterschiedlichen Staaten Rechnung tragen. Dementsprechend beinhaltet die Resolution auch vorwiegend bloß generelle Absichten und kaum konkrete Handlungsanweisungen. Der AI-Act hingegen basiert auf einer Einteilung in Risikoklassen und sieht konkrete Rechtsfolgen wie z. B. Bußgelder vorSonstige nationale Regelungen wie beispielsweise in den USA oder Japan sind bisher unverbindlich.

UN-Resolution unterstreicht die ethische Dimension von KI in der nachhaltigen Entwicklung

Durch den Vorstoß der UN wird einmal mehr deutlich, dass die Rolle der KI in der Zukunft der Nachhaltigkeit nicht nur eine technologische, sondern auch eine tiefgreifend ethische Frage ist. Auch wenn die UN-Resolution selbst unverbindlich ist, kann sie ein wichtiger erster Schritt in Richtung einer koordinierten und verantwortungsbewussten globalen Herangehensweise an die Technologie gesehen werden. Sie unterstützt Länder dabei, gemeinsame Grundprinzipien und Standards zu etablieren, und schärft nicht zuletzt das Bewusstsein für die Herausforderungen und Möglichkeiten, die KI weltweit bietet. 

In unserem CMS-Blog halten wir Sie mit unserer Blog-Serie „Künstliche Intelligenz“ fortlaufend zu diesem Thema auf dem Laufenden. Sie können diese Blog-Serie über den RSS-Feed abonnieren und werden von uns über neue Beiträge benachrichtigt. Im Rahmen dieser Blog-Serie sind bereits Beiträge erschienen zu Themen wie: EU-Parlament: Grünes Licht für die KI-VOMithilfe Künstlicher Intelligenz plötzlich Urheber?Robo Advisor als Zukunft der GeldanlageKünstliche Intelligenz und der Journalismus der ZukunftWettbewerbsrechtliche Zulässigkeit von KI-gestützter Werbung. Sehen Sie zudem gern: Eigene KI-Sprachmodelle von Unternehmen (cms.law).

Haben Sie Anregungen zu weiteren Themen rund um KI, die in unserer Blog-Serie „Künstliche Intelligenz“ nicht fehlen sollten? Schreiben Sie uns gerne über blog@cms-hs.com.

Unseren englischsprachigen Ausblick auf die KI-VO finden Sie hier: Looking ahead to the EU AI Act (cms.law).

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Bundesrat fordert Reduzierung der Leiharbeit in der Pflege

Mo, 13.05.2024 - 12:22

Höhere Gehälter, flexiblere Arbeitszeiten, leichtere Familienvereinbarkeit – diese und weitere verlockende Benefits sollen Pflegefachkräfte in Leiharbeitsfirmen erwarten. Die zu verrichtende Arbeit bleibt dabei dieselbe, nur die feste Anstellung bei einem Krankenhaus oder einer Pflegeeinrichtung wird aufgegeben. Die höheren Kosten des aufgrund des hohen Personalbedarfs oftmals notwendigen Leiharbeitnehmereinsatzes und der Planungsmehraufwand treffen hingegen die Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen. 

Vor dem Hintergrund laut gewordener Kritik – auch aus der der Pflegebranche selbst – soll dieses Thema auch politisch angegangen werden. Neuen Schwung in die Debatte brachte zuletzt der Bundesrat, der sich mit einer Initiative am 2. Februar 2024 an die Bundesregierung gewandt hat (BR-Drs. 214/23) und darin deutliche Forderungen zur „Eindämmung der Leiharbeit in der Pflege“ stellt.

Ausgangspunkt: (Angespannte) Personallage in der Pflegebranche

Der Wandel der Personallage in den Pflege- und Krankeneinrichtungen lässt sich an Zahlen festmachen: Seit 2013 ist die Anzahl der Pflegefachkräfte in Leiharbeitsverhältnissen um ein Drittel gestiegen. Gleichzeitig sagen Prognosen voraus, dass bis zum Jahr 2035 in der stationären Versorgung bis zu 307.000 Pflegefachkräfte fehlen werden. Die Anbahnung eines personellen Dilemmas, das bereits heute in einigen Einrichtungen durch den Einsatz von Leiharbeitskräften externer Personaldienstleiter aufgefangen wird, ist in der gesellschaftlichen Diskussion angekommen. 

Während die Gründe für den Wechsel einer Pflegekraft zum Personaldienstleister oftmals hochpersönlicher Natur sind, besteht für die gesamte Branche das Risiko, dass sich durch den durch Zeitarbeitsfirmen erzeugten Wettbewerb die allgemeinen Arbeitsumstände in den Einrichtungen weiter verschärfen. Denn den Leiharbeitskräften werden durch die Personaldienstleister – so wird zumindest berichtet – in der Regel die Wunscharbeitsbedingungen gewährt, die die Einrichtungen selbst ihren Mitarbeitenden nicht gewähren können. Das Stammpersonal, welches weiterhin den Großteil der Pflege sicherstellt, kann am anderen Ende ungewollt Nachteile erfahren. Durch die den Leiharbeitnehmern* teilweise gewährte freie zeitliche Auswahlmöglichkeit der Arbeitseinsätze bleiben z.B. oftmals nur die unbeliebteren Nacht- oder Abendschichten für die feste Belegschaft. Auch die übrigen Umstände könnten eine empfundene Ungleichbehandlung beider Arbeitnehmergruppen befeuern und so zu einer Spaltung der Mitarbeiterschaft führen. 

Bislang geltende Regelungen zur Leiharbeit in der Pflege seien nicht ausreichend

Neben den bekannten Maßnahmen zur Bekämpfung des Fachkräftemangels finden die Herausforderungen durch die Leiharbeitsfrage in der Pflege bisher in der Öffentlichkeit kaum Beachtung. Die Rufe nach einer gesetzlichen Regelung werden jedoch insbesondere von Seiten der Krankenhaus- und Pflegeeinrichtungsträger immer lauter, sodass sich nunmehr der Bundesrat veranlasst sieht, sich der Einschränkung der Leiharbeit anzunehmen. 

Die von Bayern angestoßene Initiative zur „Eindämmung der Leiharbeit in der Pflege″ stieß auf eine große Mehrheit im Bundesrat. Denn das bereits geltende Bundesrecht trage der besonderen Situation in der Pflege bislang nicht angemessen und ausreichend Rechnung. Der Bundesrat nennt konkret die im Gesetz zur Unterstützung und Entlastung in der Pflege enthaltenen Regelungen zur Leiharbeit in der Langzeitpflege sowie die in § 6a Abs. 2 Krankenhausentgeltgesetz geregelte Beschränkung der Berücksichtigung der Leiharbeitskosten für Pflegekräfte im Pflegebudget. Diese Regelungen seien unzureichend. Es bestehe ein erheblicher gesetzlicher Überarbeitungsbedarf, um die Fehlentwicklungen effektiv zu bekämpfen.  

Der Bundesrat beschränkt sich aber nicht auf die Aufforderung an die Bundesregierung, aktiv zu werden. Auch den Arbeitgebern komme eine wichtige Rolle zu: Diese könnten und müssten durch eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen zugunsten des Stammpersonals in den eigenen pflegerischen Arbeitseinheiten dem notwendigen Einsatz von Leiharbeitskräften in der Pflege gleichermaßen entgegenwirken. Beispielhaft genannt werden Maßnahmen der Entgeltverbesserungen sowie die Umstellung und Anpassung von Dienstplänen und Arbeitszeiten. Auch die bessere Ausbildung der Führungskräfte wird häufig genannt. 

Konkrete Verbesserungsvorschläge zur Reduzierung der Leiharbeit in der Pflege

Zur Zielerreichung präsentiert der Bundesrat zehn konkrete Verbesserungsvorschläge. Gefordert wird im Grunde eine Prüfung folgender Aspekte:

  • Gleichbehandlung von Stammpersonal und Leiharbeitskräften durch Schaffung einer gesetzlichen Regelung, die auch Verstöße sanktioniert;
  • Deckelung des Anteils von zulässig einsetzbaren Leiharbeitskräften (bzw. eine Mindestquote von dauerhaft Beschäftigten) innerhalb einer Einrichtung; 
  • Deckelung von bisher zu hoch angesetzten Verrechnungssätzen der Leiharbeitsunternehmen; 
  • Berücksichtigung der besonderen Situation der Pflege im Rahmen der Entscheidung über die Erteilung einer Verleiherlaubnis;
  • Etablierung eines Förderprogramms, welches die Etablierung von Springerpools, Ausfallkonzepten und einer verbindlichen Dienstplangestaltung unterstützt; 
  • Verpflichtung zur regelmäßigen Fortbildung von Mitarbeitern von Zeitarbeitsfirmen; 
  • Sicherstellung, dass entstehende Mehrkosten für Springerkonzepte nicht von den Pflegebedürftigen getragen werden; 
  • Aufforderung, insb. kleine Pflegeeinrichtungen zu unterstützen durch Umsetzung von übergreifenden Springerkonzepten;
  • Schaffung einer Regelung für Krankenhäuser, mit der die Vergütungen von Pflegekräften in Springerpools, bspw. über das Pflegebudget, gesichert refinanziert werden, wenn diese über tarifvertraglich vereinbarte Vergütungen hinausgeht;
  • Einbezug von Leiharbeitsfirmen in die Finanzierung der Pflegeausbildung.

Durch diese Maßnahmen sollen die rechtlichen Rahmenbedingungen derart angepasst und limitiert werden, dass ein Zurückgreifen auf Leiharbeitspersonal in der Pflege nur noch in Ausnahmesituationen notwendig wird. Im Wesentlichen zurückgegriffen werden soll dafür auf die Etablierung von sog. Springerpools oder vergleichbaren betrieblichen Ausfallkonzepten. Diese Modelle sollen die kontinuierliche und planbare Vertretung ausgefallener (Stamm-) Arbeitskräfte durch andere im betriebseigenen Vertretungspool organisierter Pflegekräfte zum Regelfall werden lassen. Ein Notstand, der den Rückgriff auf Leiharbeitnehmer erforderlich macht, soll schon strukturell vermieden werden. Wie allerdings dieser Springerpool konkret – auch rechtlich – ausgestaltet werden soll, bleibt offen. Denkbar wären hier Ansätze, die einen einrichtungs- (und damit arbeitgeber-) übergreifenden Einsatz zulassen. 

Während also zum einen der rechtliche Rahmen so gesteckt werden soll, dass Leiharbeitnehmer kaum mehr Beschäftigung in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern aufnehmen können, sollen im gleichen Zuge auch die Leiharbeitsfirmen in die finanziellen und organisatorischen Belastungen einbezogen werden.

Interessenvertreter der Leiharbeitsbranche bewerten diese Vorschläge daher sehr kritisch. Einerseits wird kritisiert, dass dem Entschließungsantrag des Bundesrates keine belastbaren Aussagen zu entnehmen seien, die die geforderten Restriktionen rechtfertigen würden. Andererseits sei keiner der Vorschläge geeignet, die akuten Probleme der Pflegebranche zu lösen. Vielmehr werde die bereits heute sehr angespannte Personallage durch Restriktionen der Leiharbeit weiter verschärft. Schon jetzt könne in vielen Einrichtungen die Versorgung nur durch eine Zusammenarbeit von Leiharbeitnehmern und Stammpersonal gewährleistet werden.

Bundesregierung nicht an Vorschläge gebunden 

Der Appell an die Bundesregierung ist hinsichtlich des Wunsches nach Eindämmung der Pflegeleiharbeit zwar eindeutig, zugleich aber nicht bindend. Zudem lässt der Vorschlag hinsichtlich des weiteren Verfahrens und der Ausgestaltung viele Spielräume. Die Entschließung enthält auch keine Fristvorgaben, die ein Handeln der Bundesregierung oder jedenfalls eine Stellungnahme in kürzerer Zeit erwarten ließen. Ob eine Umsetzung der Prüfaufträge der Entschließung noch in der aktuellen Legislaturperiode (bis Herbst 2025) erfolgen wird, erscheint zum heutigen Zeitpunkt fraglich.

Die Entschließung ist eine politische Erweiterung des in Art. 78 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich verbürgten Initiativrechts des Bundesrates. Es besteht keine Umsetzungspflicht – allerdings bietet die Aufforderung durch den Bundesrat die Möglichkeit, eindringlich auf Probleme aufmerksam zu machen und den eigenen Standpunkt darzulegen. Dass infolgedessen ein Gesetzgebungsverfahren angestoßen wird, ist deshalb nicht unüblich. 

Die Vorschläge des Bundesrates stimmen mit den Forderungen der Branchenvertreter – jedenfalls einiger – überein. So könnte Rufen nach einer nachhaltigen Verbesserung von Arbeitsbedingungen in der Pflege (z.B. des Deutschen Pflegerates, der Deutschen Krankenhausgesellschaft) Nachdruck verliehen werden. Dabei darf allerdings nicht außer Acht gelassen werden, dass die Leiharbeit in der Pflegebranche – jedenfalls aktuell – zur Sicherung der Versorgungsinfrastruktur noch unentbehrlich ist. 

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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Verhinderung einer Sonderprüfung durch Squeeze-out

Mo, 13.05.2024 - 06:53

Die Übertragung von Aktien der Minderheitenaktionäre* auf den Hauptaktionär gegen Barabfindung gem. § 327a AktG (sog. Squeeze-out) ist ein beliebtes Mittel in der Praxis, um eine effiziente Unternehmensführung zu ermöglichen. Dabei sollen insbesondere Behinderungen von unternehmerischen Maßnahmen durch Minderheitenaktionäre vermieden werden. Voraussetzung für einen aktienrechtlichen Squeeze-out ist, dass der Hauptaktionär mindestens 95 % des Grundkapitals hält. Bei dem verschmelzungsrechtlichen Squeeze-Out gem. § 62 Abs. 5 UmwG ist es sogar ausreichend, wenn der Hauptaktionär 90 % des Grundkapitals auf sich vereint. Zudem ist für die Übertragung ein Übertragungsbeschluss der Hauptversammlung sowie dessen Eintragung in das Handelsregister erforderlich. 

Gegen den Übertragungsbeschluss können die Minderheitenaktionäre Anfechtungsklage erheben. Gemäß § 243 Abs. 1 AktG ist eine Anfechtung wegen Verletzung des Gesetzes oder der Satzung möglich. Wird eine solche Klage erhoben, darf der Übertragungsbeschluss erst bei Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung in das Handelsregister eingetragen werden. Die der Klage zugrunde liegenden Bewertungsfragen werden auf das Spruchverfahren nach dem SpruchG ausgelagert und dort behandelt.

Schutz der Minderheitenaktionäre gegen Squeeze-out durch gerichtliches Verfahren

Da der Squeeze-out nicht durch unbegründete Klagen verzögert werden soll, kann die Gesellschaft die Eintragungsfreigabe des Beschlusses in das Handelsregister nach §§ 327e, 319 Abs. 5, Abs. 6 AktG erwirken (sog. Freigabeverfahren). Das zuständige Gericht erlässt den Freigabebeschluss gem. § 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 3 AktG, wenn das unverzögerte Wirksamwerden des Übertragungsbeschlusses gegenüber dem Suspensivinteresse der Minderheitsaktionäre gewichtiger erscheint. Die Vorrangigkeit wird im Rahmen einer Interessenabwägung beurteilt. Nach Überzeugung des Gerichts müssen die wesentlichen Beeinträchtigungen für die Gesellschaft und ihre Aktionäre die Nachteile für die antragstellenden Minderheitenaktionäre überwiegen. Eine Freigabe ist hingegen bei einem besonders schweren Rechtsverstoß gemäß § 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 3 AktG a.E. ausgeschlossen. Dies gilt uneingeschränkt und ohne eine Abwägungsentscheidung des Gerichts. Besonders schwere Rechtsverstöße sind der Vornahme einer Interessenabwägung nicht zugänglich.

Strenger Maßstab für das Vorliegen eines besonders schweren Rechtsverstoßes

Die Anforderungen an die besondere Schwere des Rechtsverstoßes sind hoch. Selbst ein Rechtsverstoß, der zur Nichtigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses nach § 241 AktG führt, rechtfertigt die Schwere nicht allein. Erforderlich ist eine massive Verletzung elementarer Aktionärsrechte. Dabei wird unter anderem die Art und Weise des Verstoßes berücksichtigt. Der Verstoß muss so schwerwiegend sein, dass seine Kompensation durch Leistung von Schadenersatz nicht mehr möglich ist (KG Berlin, Urteil v. 16. Oktober 2023 – 2 AktG 1/23 m.w.N.).

Die Rechtsmissbräuchlichkeit eines Übertragungsbeschlusses kann im Einzelfall einen besonders schweren Rechtsverstoß darstellen (OLG München, Beschluss v. 28. Juli 2021 – 7 AktG 4/21; OLG Köln, Beschluss v. 14. Dezember 2017 – 18 AktG 1/17).

Rechtsprechung verfolgt klare Linie zur Missbräuchlichkeit

Seit der Einführung des Squeeze-out im Jahr 2002 sieht sich die Rechtsprechung immer wieder mit Fällen unterstellten Missbrauchs konfrontiert. Das dürfte darauf zurückzuführen sein, dass bei dem Ausschluss von Minderheitenaktionären eine Missbrauchsabsicht naheliegend erscheinen mag.

Allein die Durchführung eines Squeeze-out begründet noch keinen Rechtsmissbrauch (OLG Köln, Urteil v. 23. Juni 2022 – 18 U 213/20). Der Squeeze-out trägt seine Rechtfertigung in sich selbst (BGH, Urteil v. 16. März 2009 – II ZR 302/06). Die Missbräuchlichkeit kann sich auch nicht aus einer fehlenden Wirtschaftlichkeit ergeben. Die unternehmerische Entscheidung für die Durchführung eines Squeeze-out unterliegt nicht der gerichtlichen Prüfung. Ein Missbrauch des Squeeze-out besteht nur bei einer bewussten Zweckentfremdung des Verfahrens. Auch das deutliche Hinausgehen der Benachteiligung der Minderheit über das gesetzlich vorgesehene Maß durch den geplanten Ausschluss kann einen Missbrauch rechtfertigen. Die Minderheitenaktionäre treffen hohe Anforderungen, einen solchen Rechtsmissbrauch darzulegen und nachzuweisen (OLG Köln, Urteil v. 23. Juni 2022 – 18U 213/20).

In der Vergangenheit ist der behauptete Vorwurf des Rechtsmissbrauchs immer wieder an der restriktiven Rechtsprechungslinie gescheitert (beispielsweise OLG Stuttgart, Beschluss v. 3. Dezember 2008 – 20 W 12/08). Das KG Berlin hielt in der Entscheidung vom 16. Oktober 2023 (2 AktG 1/23) an dieser Linie fest und lehnte einen Rechtsmissbrauch auch in dem dortigen Fall ab.

Verhinderung einer Sonderprüfung durch Squeeze-out möglich

Eine Besonderheit des Verfahrens vor dem KG Berlin war, dass seit 2022 eine Sonderprüfung durch die Minderheitenaktionäre angestrengt wurde. Gegenstand einer Sonderprüfung nach §§ 142 ff. AktG ist die Überprüfung von Vorgängen im Rahmen der Gründung oder der Geschäftsführung durch den Vorstand oder den Aufsichtsrat. Für die Bestellung eines Sonderprüfers ist grundsätzlich eine einfache Mehrheit erforderlich. Lehnt die Hauptversammlung den Beschluss ab, ist eine gerichtliche Bestellung möglich. Nach § 142 Abs. 2 Satz 1 AktG bedarf es für die gerichtliche Entscheidung eines Antrags von Aktionären, die mindestens 1 % des Grundkapitals oder einen anteiligen Betrag von EUR 100.000 halten. Dabei haben die Aktionäre bis zur Entscheidung über den Antrag ihren Aktienbesitz nachzuweisen (§ 142 Abs. 2 Satz 2 AktG). Können die Minderheitenaktionäre den Nachweis aufgrund des Squeeze-out nicht mehr führen, wird der Antrag unzulässig. Der Squeeze-out kann somit genutzt werden, um die gerichtliche Bestellung eines Sonderprüfers zu verhindern. Von dieser Grundannahme ging auch das Gericht aus.

Kein glaubhafter Zusammenhang zwischen Sonderprüfung und Squeeze-out

Einen absichtlichen Verstoß gegen die Treuepflicht und damit einen besonders schweren Rechtsverstoß sah das Gericht nicht. Es sprach nach Einschätzung des Gerichts keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Hauptaktionärin den Squeeze-out zur Verhinderung der Sonderprüfung durchgeführt hatte. Ein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen der beantragten Bestellung des Sonderprüfers und dem Squeeze-out könnte zwar für eine zweckwidrige Absicht der Hauptaktionärin sprechen (OLG Köln, Beschluss v. 14. Dezember 2017 – 18 AktG 1/17). Eine solche konnte das KG Berlin den Ergebnissen der mündlichen Verhandlung jedoch nicht entnehmen. Das Übertragungsverlangen der Hauptaktionärin wurde erstmals am 23. Juni 2022 geäußert – die fragliche Sonderprüfung wurde erst am 31. August 2022 beantragt. Darüber hinaus konnte das Gericht auch die bisherigen Zwischenergebnisse des Verfahrens nach § 142 Abs. 2 AktG bei der Gesamtschau berücksichtigen (KG Berlin, Urteil v. 16. Oktober 2023 – 2 AktG 1/23). Danach waren die Vorwürfe nur zu einem geringen Teil erfolgreich.

Unternehmerische Entscheidungen bedürfen keiner Rechtfertigung nach Squeeze-out

Die Alleinaktionärin kann nach dem Squeeze-out den weiteren Weg der Aktiengesellschaft frei bestimmen. Die Minderheitenaktionäre behaupteten, die Hauptaktionärin würde die Liquidation anstreben, ohne dies offenzulegen. Das KG Berlin stellte jedoch fest, dass eine Absicht der Liquidation des Unternehmens einen Missbrauch nicht rechtfertigt. Durch den Squeeze-out sollen gerade Behinderungen bei der Unternehmensführung durch Minderheitenaktionäre verhindert werden. Das Gericht stellte sich damit der Ansicht der Minderheitenaktionäre entgegen. Der Alleinaktionärin ist auch die Liquidation der Gesellschaft nicht verwehrt. Sie kann nach dem Squeeze-out das Unternehmen ohne Mitsprache der Minderheitenaktionäre führen.

Schadenersatzansprüche werden bei der Höhe der Barabfindung berücksichtigt

Auch die Squeeze-out bedingte Erledigung der Bestellung eines besonderen Vertreters rechtfertigt einen Missbrauch nicht. Ein besonderer Vertreter kann gem. §§ 147 f. AktG zur Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen der Gesellschaft aus der Gründung oder der Geschäftsführung bestellt werden. Nach § 148 Abs. 1 AktG kann sich auch ein Minderheitenaktionär bestellen lassen. Wenn dieser allerdings als Aktionär ausscheidet, endet auch das entsprechende Antragsrecht. Etwaige Schadenersatzansprüche der Gesellschaft gegen die Organe werden jedoch im Rahmen der Festlegung der Höhe der Barabfindung durch das Spruchgericht bereits umfassend berücksichtigt. Dies gilt unabhängig davon, ob ein besonderer Vertreter bestellt ist.

Welche weiteren Faktoren für die Höhe des Barabfindungsgebotes eine Rolle spielen, wurde bereits in einem früheren Blog-Beitrag beleuchtet: Link

Weiterhin keine positiven Fälle der Missbräuchlichkeit von Squeeze-out Verfahren

Es bleibt dabei, dass der Squeeze-out nur in eklatanten Fällen rechtsmissbräuchlich ist. Soweit ersichtlich, hat die Rechtsprechung bisher keinen Sachverhalt tatsächlich als derart missbräuchlich eingestuft. Es wurden in der Vergangenheit lediglich mögliche Missbrauchskonstellationen in der Rechtsprechung diskutiert. So gehen die Gerichte davon aus, dass ein Squeeze-out Beschluss treuwidrig bzw. missbräuchlich sein kann, wenn damit ein Verstoß gegen Absprachen zwischen den Haupt- und Minderheitenaktionären verbunden ist (OLG Stuttgart, Beschluss v. 1. Dezember 2008 – 20 W 12/08). Auch soll eine Treuwidrigkeit angenommen werden können, wenn das Verfahren zum Ausschluss bestimmter Aktionäre missbraucht wird und sodann der Aktionärskreis neu zusammengesetzt werden soll (KG Berlin, Beschluss v. 10. Dezember 2009 – 23 AktG 1/09).

KG Berlin sichert die Effizienz des Squeeze-Out Verfahrens

Werden Aktien der Minderheitenaktionäre durch einen Squeeze-out zwangsweise auf die Hauptaktionärin übertragen, ist Widerstand nicht überraschend. Die Gerichte müssen bei der Beurteilung der Argumente die gesetzgeberische Entscheidung für die Möglichkeit eines Squeeze-out berücksichtigen. Die Entscheidung des KG Berlin reiht sich in die bestehende Rechtsprechungslinie ein. Es bedarf hoher Anforderungen, um den grundsätzlich zulässigen Squeeze-out zu unterbinden.

Das KG Berlin hat sich erstmals zu der Missbräuchlichkeit durch faktisches Verhindern einer Sonderprüfung geäußert. Die Regelung des § 142 Abs. 2 AktG dient dem Minderheitenschutz. Zwischen § 142 Abs. 2 AktG und der Gewährleistung effektiver Führung der Gesellschaft durch § 327a AktG besteht ein Spannungsverhältnis. Das Gericht hat dieses im hiesigen Fall zugunsten der effektiven Unternehmensführung entschieden. Abzuwarten bleibt, wie ein Gericht entscheiden würde, wenn die tatsächlichen Umstände anders lägen. Sollte der Squeeze-out nach dem Streit um die Bestellung eines Sonderprüfers beschlossen werden und das Sonderprüfungsbegehren im gerichtlichen Verfahren nach § 142 Abs. 2 AktG zu einem großen Teil der Vorwürfe bereits erfolgreich sein, sprechen gute Argumente dafür, die Missbräuchlichkeit anzunehmen.

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Für die leichtere Lesbarkeit wird im Beitrag das generische Maskulinum verwendet.

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