EuGH, 28.02.2012 - C-41/11

Daten
Fall: 
Inter-Environnement Wallonie und Terre wallonne
Fundstellen: 
DÖV 2012, 401; NVwZ 2012, 553
Gericht: 
Europäischer Gerichtshof
Datum: 
28.02.2012
Aktenzeichen: 
C-41/11
Entscheidungstyp: 
Urteil
Stichwörter: 
  • Umweltschutz - Richtlinie 2001/42/EG - Art. 2 und 3 - Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme - Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen - Plan oder Programm - Fehlen einer vorherigen Umweltprüfung - Nichtigerklärung eines Plans oder eines Programms - Möglichkeit, die Wirkungen des Plans oder Programms aufrechtzuerhalten - Voraussetzungen.

Parteien

In der Rechtssache C‑41/11
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d’État (Belgien) mit Entscheidung vom 18. Januar 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Januar 2011, in dem Verfahren

Inter-Environnement Wallonie ASBL,
Terre wallonne ASBL
gegen
Région wallonne

erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, J. N. Cunha Rodrigues, K. Lenaerts, J.‑C. Bonichot und U. Lõhmus, der Richter A. Rosas, E. Levits, A. Ó Caoimh, L. Bay Larsen und T. von Danwitz, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) und des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 8. November 2011,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der Inter-Environnement Wallonie ASBL, vertreten durch J. Sambon, avocat,
– der Terre wallonne ASBL, vertreten durch A. Lebrun, avocat,
– der belgischen Regierung, vertreten durch T. Materne als Bevollmächtigten im Beistand von A. Gillain, avocat,
– der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues, A. Adam und S. Menez als Bevollmächtigte,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch P. Oliver, A. Marghelis und B. D. Simon als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 8. Dezember 2011
folgendes
Urteil

Entscheidungsgründe

1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Voraussetzungen, unter denen „Pläne“ oder „Programme“ im Sinne der Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (ABl. L 197, S. 30), die nicht Gegenstand einer nach dieser Richtlinie vorgesehenen Umweltprüfung waren, vorläufig aufrechterhalten werden können.

2. Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der Inter-Environnement Wallonie ASBL (im Folgenden: Inter-Environnement Wallonie) und der Terre wallonne ASBL (im Folgenden: Terre wallonne) einerseits und der Wallonischen Region andererseits wegen der Nichtigerklärung des Erlasses der wallonischen Regierung vom 15. Februar 2007 zur Abänderung des Buches II des Umweltgesetzbuches, welches das Wassergesetzbuch bildet, was die nachhaltige Verwaltung des Stickstoffs in der Landwirtschaft betrifft ( Moniteur belge vom 7. März 2007, S. 11118, im Folgenden: angefochtener Erlass).

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 91/676/EWG

3. Nach Art. 1 der Richtlinie 91/676/EWG des Rates vom 12. Dezember 1991 zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen (ABl. L 375, S. 1) hat diese Richtlinie zum Ziel, die durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen verursachte oder ausgelöste Gewässerverunreinigung zu verringern und weiterer Gewässerverunreinigung dieser Art vorzubeugen.

4. Art. 3 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie bestimmt:

„(1) Gewässer, die von Verunreinigung betroffen sind, und Gewässer, die von Verunreinigung betroffen werden könnten, falls keine Maßnahmen nach Artikel 5 ergriffen werden, werden von den Mitgliedstaaten nach den Kriterien des Anhangs I bestimmt.
(2) Die Mitgliedstaaten weisen innerhalb von zwei Jahren nach Bekanntgabe dieser Richtlinie alle in ihrem Gebiet bekannten Flächen, die in nach Absatz 1 bestimmte Gewässer entwässern und die zur Verunreinigung beitragen, als gefährdete Gebiete aus. Sie unterrichten die Kommission hiervon innerhalb von sechs Monaten nach erster Ausweisung.“

5. Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie sieht vor:

„Um für alle Gewässer einen allgemeinen Schutz vor Verunreinigung zu gewährleisten, treffen die Mitgliedstaaten binnen zwei Jahren nach Bekanntgabe dieser Richtlinie folgende Maßnahmen: … Sie stellen Regeln der guten fachlichen Praxis in der Landwirtschaft auf, die von den Landwirten auf freiwilliger Basis anzuwenden sind und Bestimmungen enthalten sollten, welche mindestens die in Anhang II Punkt A enthaltenen Punkte umfassen.“

6. In Art. 5 der Richtlinie heißt es:

„(1) Zur Verwirklichung der in Artikel 1 genannten Ziele legen die Mitgliedstaaten … Aktionsprogramme für die als gefährdet ausgewiesenen Gebiete fest.
(2) Ein Aktionsprogramm kann sich auf alle gefährdeten Gebiete im Gebiet eines Mitgliedstaates erstrecken, oder es können verschiedene Programme für verschiedene gefährdete Gebiete oder Teilgebiete festgelegt werden, wenn der Mitgliedstaat dies für angebracht hält.
(3) In den Aktionsprogrammen werden berücksichtigt:
a) die verfügbaren wissenschaftlichen und technischen Daten, insbesondere über die jeweiligen Stickstoffeinträge aus landwirtschaftlichen und anderen Quellen;
b) die Umweltbedingungen in den jeweiligen Regionen des Mitgliedstaates.
(4) Die Aktionsprogramme werden innerhalb von vier Jahren nach Aufstellung durchgeführt und enthalten folgende verbindlich vorgeschriebene Maßnahmen:
a) die Maßnahmen nach Anhang III;
b) Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten in den Regeln der guten fachlichen Praxis in der Landwirtschaft nach Maßgabe von Artikel 4 vorgeschrieben haben, ausgenommen diejenigen, die durch die Maßnahmen nach Anhang III ersetzt wurden.
(5) Die Mitgliedstaaten treffen darüber hinaus im Rahmen der Aktionsprogramme die zusätzlichen Maßnahmen oder verstärkten Aktionen, die sie für erforderlich halten, wenn von Anfang an oder anhand der Erfahrungen bei der Durchführung der Aktionsprogramme deutlich wird, dass die Maßnahmen nach Absatz 4 zur Verwirklichung der in Artikel 1 genannten Ziele nicht ausreichen. Bei der Wahl dieser Maßnahmen oder Aktionen tragen die Mitgliedstaaten deren Wirksamkeit und den damit verbundenen Kosten im Vergleich zu anderen möglichen Vorbeugungsmaßnahmen Rechnung.
…“

7. Anhang III („Maßnahmen, die in die Aktionsprogramme nach Artikel 5 Absatz 4 Buchstabe a aufzunehmen sind“) der Richtlinie 91/676 sieht u. a. vor, dass diese Maßnahmen Vorschriften betreffend das Fassungsvermögen von Behältern zur Lagerung von Dung umfassen.

Richtlinie 2001/42

8. Art. 2 der Richtlinie 2001/42 bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
a) ‚Pläne und Programme‘ Pläne und Programme, einschließlich der von der Europäischen Gemeinschaft mitfinanzierten, sowie deren Änderungen,
– die von einer Behörde auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene ausgearbeitet und/oder angenommen werden oder die von einer Behörde für die Annahme durch das Parlament oder die Regierung im Wege eines Gesetzgebungsverfahrens ausgearbeitet werden und
– die aufgrund von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften erstellt werden müssen;
b) ‚Umweltprüfung‘ die Ausarbeitung eines Umweltberichts, die Durchführung von Konsultationen, die Berücksichtigung des Umweltberichts und der Ergebnisse der Konsultationen bei der Entscheidungsfindung und die Unterrichtung über die Entscheidung gemäß den Artikeln 4 bis 9;
…“

9. In Art. 3 dieser Richtlinie heißt es:

„(1) Die unter die Absätze 2 bis 4 fallenden Pläne und Programme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, werden einer Umweltprüfung nach den Artikeln 4 bis 9 unterzogen.
(2) Vorbehaltlich des Absatzes 3 wird eine Umweltprüfung bei allen Plänen und Programmen vorgenommen,
a) die in den Bereichen Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei, Energie, Industrie, Verkehr, Abfallwirtschaft, Wasserwirtschaft, Telekommunikation, Fremdenverkehr, Raumordnung oder Bodennutzung ausgearbeitet werden und durch die der Rahmen für die künftige Genehmigung der in den Anhängen I und II der Richtlinie 85/337/EWG [des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. L 175, S. 40) in der durch die Richtlinie 97/11/EG des Rates vom 3. März 1997 (ABl. L 73, S. 5) geänderten Fassung, im Folgenden: Richtlinie 85/337] aufgeführten Projekte gesetzt wird oder
b) bei denen angesichts ihrer voraussichtlichen Auswirkungen auf Gebiete eine Prüfung nach Artikel 6 oder 7 der Richtlinie 92/43/EWG [des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. L 206, S. 7)] für erforderlich erachtet wird.

(4) Die Mitgliedstaaten befinden darüber, ob nicht unter Absatz 2 fallende Pläne und Programme, durch die der Rahmen für die künftige Genehmigung von Projekten gesetzt wird, voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben.
(5) Die Mitgliedstaaten bestimmen entweder durch Einzelfallprüfung oder durch Festlegung von Arten von Plänen und Programmen oder durch eine Kombination dieser beiden Ansätze, ob die in den Absätzen 3 und 4 genannten Pläne oder Programme voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben. Zu diesem Zweck berücksichtigen die Mitgliedstaaten in jedem Fall die einschlägigen Kriterien des Anhangs II, um sicherzustellen, dass Pläne und Programme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, von dieser Richtlinie erfasst werden.
…“

Richtlinie 85/337

10. Nach Art. 4 der Richtlinie 85/337 werden die in Anhang I dieser Richtlinie aufgeführten Projekte einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen, die in Anhang II aufgezählten Projekte hingegen nur einer Prüfung anhand der von den Mitgliedstaaten festgelegten Schwellenwerte oder einer Einzelfalluntersuchung.

11. In Anhang I der Richtlinie 85/337 sind u. a. „Anlagen zur Intensivhaltung oder ‑aufzucht von Geflügel oder Schweinen mit mehr als … 85 000 Plätzen für Masthähnchen und ‑hühnchen, 60 000 Plätzen für Hennen, … 3 000 Plätzen für Mastschweine (Schweine über 30 kg) oder … 900 Plätzen für Sauen“ aufgeführt, während in Anhang II dieser Richtlinie Tätigkeiten der Landwirtschaft, der Forstwirtschaft und der Fischzucht, u. a. Projekte zur Verwendung von Ödland oder naturnahen Flächen zu intensiver Landwirtschaftsnutzung und im Übrigen nicht durch Anhang I dieser Richtlinie erfasste Projekte betreffend Anlagen zur Intensivtierhaltung, aufgeführt sind.

Nationales Recht

Regelung zur Umsetzung der Richtlinie 2001/42

12. Die Richtlinie 2001/42 ist durch die Art. D. 52 ff. des Buchs I des Umweltgesetzbuchs ( Moniteur belge vom 9. Juli 2004, S. 54654) in das Recht der Wallonischen Region umgesetzt worden.

13. Art. D. 53 des Umweltgesetzbuchs bestimmt:

„§ 1. Eine Bewertung der Umweltverträglichkeit der Pläne und Programme wird gemäß den Artikeln 52 bis 61 für die Pläne und Programme sowie für deren Abänderungen durchgeführt, deren Liste I von der Regierung aufgestellt wird und die:
– in den Bereichen Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei, … Industrie, … Wasserwirtschaft, … ausgearbeitet werden und durch die der Rahmen für die künftige Genehmigung der in der aufgrund des Artikels 66 § 2 aufgestellten Liste aufgeführten Projekte gesetzt wird;
– einer Bewertung gemäß Artikel 29 des Gesetzes vom 12. Juli 1973 über die Erhaltung der Natur unterliegen.

§ 3. Die Regierung kann die Pläne und Programme, die erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben könnten und die nicht durch dekretale, vorschriftsmäßige oder administrative Bestimmungen vorgesehen sind, einer Bewertung der Umweltverträglichkeit gemäß dem vorliegenden Kapitel unterwerfen.
…“

14. Art. R. 47 des Umweltgesetzbuchs bestimmt:

„Die Liste der in Art. 53 § 1 des dekretalen Teils genannten Pläne und Programme wird in der Anlage V festgelegt.“

15. Diese Anlage V, die durch den Erlass der Wallonischen Regierung vom 17. März 2005 über das Buch I des Umweltgesetzbuches ( Moniteur belge vom 4. Mai 2005, S. 21184) erstellt wurde, enthält u. a. das Aktionsprogramm für die Luftqualität, das Aktionsprogramm für die Bodenqualität und das Aktionsprogramm für den Naturschutz. Diese Anlage enthält jedoch nicht das Programm zur Verwaltung des Stickstoffs in der Landwirtschaft in gefährdeten Gebieten, das in das Recht der Wallonischen Region ursprünglich durch einen Erlass vom 10. Oktober 2002 eingeführt worden war.

Regelung im Zusammenhang mit der Richtlinie 91/676

16. Was speziell das letztgenannte Aktionsprogramm betrifft, sind die einschlägigen Bestimmungen des Rechts der Wallonischen Region in dem angefochtenen Erlass enthalten. Dieser Erlass legt die Bedingungen für die Verwaltung des Stickstoffs im gesamten Gebiet der Wallonischen Region fest. Er regelt auch die Verwaltung des Stickstoffs in gefährdeten Gebieten und stellt insoweit das in Art. 5 der Richtlinie 91/676 vorgeschriebene Aktionsprogramm dar. Die gefährdeten Gebiete umfassen 42 % des Gebiets dieser Region und 54 % ihrer landwirtschaftlich genutzten Flächen.

Regelung betreffend den beim Conseil d’État anhängigen Rechtsstreit

17. Art. 14ter der Lois coordonnées für den Conseil d’État (Koordinierte Gesetze über den Staatsrat) bestimmt:

„Wenn die Verwaltungsstreitsachenabteilung es für nötig erachtet, gibt sie im Wege einer allgemeinen Verfügung die Wirkungen der für nichtig erklärten Verordnungsbestimmungen an, die als endgültig zu betrachten sind oder die für die von ihr festgelegte Frist vorläufig aufrechterhalten werden.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorabentscheidungsverfahren in den verbundenen Rechtssachen C‑105/09 und C‑110/09

18. Mit seinem Urteil vom 22. September 2005, Kommission/Belgien (C‑221/03, Slg. 2005, I‑8307), hat der Gerichtshof u. a. festgestellt, dass das Königreich Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 91/676 verstoßen hat, dass es nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist die erforderlichen Maßnahmen zur vollständigen und ordnungsgemäßen Umsetzung von Art. 3 Abs. 1 und 2, Art. 5 und Art. 10 dieser Richtlinie in der Wallonischen Region erlassen hat.

19. Im Rahmen der Durchführung dieses Urteils erließ die Wallonische Regierung gemäß Art. 5 der Richtlinie 91/676 den angefochtenen Erlass. Dieser ändert das Buch II des Umweltgesetzbuchs, welches das Wassergesetzbuch bildet, hinsichtlich der nachhaltigen Verwaltung des Stickstoffs in der Landwirtschaft ab und nimmt ausdrücklich auf das Urteil Kommission/Belgien Bezug.

20. Die Terre wallonne und die Inter-Environnement Wallonie haben beim Conseil d’État die Nichtigerklärung dieses Erlasses beantragt und dabei u. a. geltend gemacht, er stelle ein „Programm“ im Sinne der Richtlinie 2001/42 dar und hätte daher einer Umweltprüfung nach dieser Richtlinie unterzogen werden müssen. Die Wallonische Regierung hat hingegen geltend gemacht, dass das Programm zur Verwaltung des Stickstoffs in der Landwirtschaft nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie 2001/42 falle.

21. Darüber hinaus beantragte die Terre wallonne im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Aussetzung des angefochtenen Erlasses. Mit Urteil vom 7. August 2007 wies das vorlegende Gericht diesen Antrag jedoch mit der Begründung ab, dass „die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Rechtsakts zur Folge hätte, dass eine zeitlich vor diesem Rechtsakt liegende Untätigkeit der Gegenseite verlängert würde“; zudem habe diese Vereinigung nicht nachgewiesen, dass sich bei ihr die Voraussetzung einer durch die sofortige Vollziehung des angefochtenen Rechtsakts verursachte Gefahr eines kaum wieder gutzumachenden schweren Schadens konkretisiert habe.

22. Der Conseil d’État hat daher mit Beschluss vom 11. März 2009 das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Gehört das Programm zur Verwaltung des Stickstoffs für die als gefährdet ausgewiesenen Gebiete, dessen Aufstellung Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 91/676 vorschreibt, zu den Plänen oder Programmen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42, die in den Bereichen Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei, Energie, Industrie, Verkehr, Abfallwirtschaft, Wasserwirtschaft, Telekommunikation, Fremdenverkehr, Raumordnung oder Bodennutzung ausgearbeitet werden, und setzt es den Rahmen für die künftige Genehmigung der in den Anhängen I und II der Richtlinie 85/337 aufgeführten Projekte?

2. Gehört das Programm zur Verwaltung des Stickstoffs für die als gefährdet ausgewiesenen Gebiete, dessen Aufstellung Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 91/676 vorschreibt, zu den Plänen oder Programmen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/42, bei denen angesichts ihrer voraussichtlichen Auswirkungen auf Gebiete eine Prüfung nach den Art. 6 oder 7 der Richtlinie 92/43 für erforderlich erachtet wird, insbesondere wenn das fragliche Programm zur Verwaltung des Stickstoffs auf alle als gefährdet ausgewiesenen Gebiete der Wallonischen Region Anwendung findet?

3. Gehört das Programm zur Verwaltung des Stickstoffs für die als gefährdet ausgewiesenen Gebiete, dessen Aufstellung Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 91/676 vorschreibt, zu den nicht unter Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2001/42 fallenden Plänen oder Programmen, durch die der Rahmen für die künftige Genehmigung von Projekten gesetzt wird und in Bezug auf die die Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2001/42 in der in Art. 3 Abs. 5 dieser Richtlinie vorgesehenen Weise darüber befinden müssen, ob sie voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben?

23. Diese Vorabentscheidungsersuchen haben zu dem Urteil vom 17. Juni 2010, Terre wallonne und Inter-Environnement Wallonie (C‑105/09 und C‑110/09, Slg. 2010, I‑5611), geführt, in dem der Gerichtshof für Recht erkannt hat:

„Ein nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 91/676 … erlassenes Aktionsprogramm gehört grundsätzlich zu den Plänen oder Programmen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42 …, wenn es einen ‚Plan‘ oder ein ‚Programm‘ im Sinne von Art. 2 Buchst. a dieser Richtlinie darstellt und Maßnahmen enthält, von deren Einhaltung die Erteilung der Genehmigung abhängt, die für die Verwirklichung der in den Anhängen I und II der Richtlinie 85/337 … aufgeführten Projekte gewährt werden kann.“

Die im Ausgangsrechtsstreit eingetretenen Entwicklungen und die in der vorliegenden Rechtssache gestellte Vorlagefrage

24. Der Conseil d’État hatte mit seinem Urteil vom 11. März 2009, mit dem er dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung in der Rechtssache Inter-Environnement Wallonie (C‑110/09) vorlegte, auch bestimmte Artikel des angefochtenen Erlasses für nichtig erklärt, dabei jedoch die Wirkungen einiger dieser Artikel hinsichtlich der gewährten Ausnahmen und die Wirkungen hinsichtlich der zuvor getroffenen Entscheidungen aufrechterhalten. Infolgedessen geht es im Ausgangsrechtsstreit nunmehr hauptsächlich um die von der Inter-Environnement Wallonie und der Terre wallonne erhobenen Klagen, soweit sie auf die Nichtigerklärung des die „Verwaltung des Stickstoffs in gefährdeten Gebieten“ betreffenden Unterabschnitts 6 des Abschnitts 3 des angefochtenen Erlasses gerichtet sind.

25. Insoweit geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die Inter-Environnement Wallonie die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Erlasses nur in Bezug auf die gefährdeten Gebiete angefochten hat, die den Gegenstand des Unterabschnitts 6 des Abschnitts 3 dieses Erlasses bilden. Gleichwohl beantragte sie, da sie davon ausging, dass dieser Erlass, der ein Kapitel des Wassergesetzbuchs darstellt, eine untrennbare Einheit von Vorschriften enthalte, die Nichtigerklärung sämtlicher Vorschriften dieses Erlasses, einschließlich derjenigen, die möglicherweise nicht zu einem „Programm“ im Sinne der Richtlinie 2001/42 gehören bzw. möglicherweise kein solches Programm darstellen. Die Terre wallonne hat sich ebenfalls dafür ausgesprochen, den angefochtenen Erlass aufgrund der Unteilbarkeit der Vorschriften, die er enthalte, insgesamt für nichtig zu erklären. Allerdings vertrat diese Klägerin beim vorlegenden Gericht die Auffassung, dass die Nichtigerklärung ohne Rückwirkung ausgesprochen werden könne, sofern die Aufrechterhaltung der Wirkungen des angefochtenen Rechtsakts zeitlich beschränkt werde.

26. Die Wallonische Region vertritt hingegen die Auffassung, dass die Mehrzahl der Vorschriften des angefochtenen Erlasses u. a. deshalb nicht unter den Begriff des Programms nach Art. 5 der Richtlinie 91/676 und folglich den Begriff „Programm“ im Sinne der Richtlinie 2001/42 falle, weil diese Vorschriften nicht die Durchführung von Projekten wie den in den Anhängen I und II der Richtlinie 85/337 aufgezählten festlegten. Nach Ansicht der Beklagten des Ausgangsverfahrens könnte somit allein Unterabschnitt 6 des Abschnitts 3 des angefochtenen Erlasses, soweit er sich auf die Verwaltung des Stickstoffs in gefährdeten Gebieten beziehe, unter den Begriff des nach Art. 5 der Richtlinie 91/676 vorgesehenen Aktionsprogramms und folglich unter den Begriff „Programm“ im Sinne der Richtlinie 2001/42 fallen. Daraus folge, dass, weil keine Umweltprüfung im Einklang mit den Anforderungen der Richtlinie 2001/42 durchgeführt worden sei, allein dieser Unterabschnitt für nichtig zu erklären sei, denn er könne von den anderen Vorschriften des angefochtenen Erlasses, die die wesentlichen Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie 91/676 darstellten, abgetrennt werden.

27. Aufgrund des Urteils Terre wallonne und Inter-Environnement Wallonie ging der Conseil d’État davon aus, dass der angefochtene Erlass einen „Plan“ oder ein „Programm“ im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42 darstelle. Folglich sei dieser Erlass, da er einerseits vor seiner Verabschiedung nicht Gegenstand einer in dieser Richtlinie vorgesehenen Umweltprüfung gewesen sei, und andererseits der Gerichtshof die Wirkungen seines Urteils Terre wallonne und Inter-Environnement Wallonie nicht zeitlich beschränkt habe, für nichtig zu erklären.

28. Das vorlegende Gericht weist allerdings darauf hin, dass bei einer rückwirkenden Nichtigerklärung des angefochtenen Erlasses die belgische Rechtsordnung in der Wallonischen Region bis zum Neuerlass des für nichtig erklärten Rechtsakts jeglicher Maßnahme zur Umsetzung der Richtlinie 91/676 entbehren und damit eine Situation geschaffen würde, in der das Königreich Belgien gegen die ihm nach dieser Richtlinie obliegenden Pflichten verstoße.

29. Unter diesen Umständen hat der Conseil d’État beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Kann der Conseil d’État,
– wenn bei ihm eine Klage auf Nichtigerklärung des angefochtenen Erlasses erhoben worden ist,
– wenn er feststellt, dass dieser Erlass ohne Einhaltung des in der Richtlinie 2001/42 vorgeschriebenen Verfahrens ergangen ist, aus diesem Grund gegen das Unionsrecht verstößt und daher für nichtig zu erklären ist,
– wenn er aber zugleich feststellt, dass der angefochtene Erlass eine angemessene Durchführung der Richtlinie 91/676 enthält,
die Wirkungen der gerichtlichen Nichtigerklärung während eines kurzen Zeitraums, der erforderlich ist, um den für nichtig erklärten Akt neu zu erlassen, zeitlich hinausschieben, damit für das Umweltrecht der Union eine bestimmte konkrete Durchführung ohne Bruch der Kontinuität aufrechterhalten bleibt?

Die nach der Einreichung des Vorabentscheidungsersuchens eingetretenen Entwicklungen

30. Aus den von der Terre wallonne, der belgischen Regierung und der Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen gemachten Angaben, die das vorlegende Gericht bestätigt hat, geht hervor, dass die Wallonische Regierung am 31. März 2011 einen Erlass zur Abänderung des Buches II des Umweltgesetzbuches, welches das Wassergesetzbuch bildet, was die nachhaltige Verwaltung des Stickstoffs in der Landwirtschaft betrifft (im Folgenden: neuer Erlass), verabschiedet hat.

31. Aus der Einleitung zu diesem Erlass geht hervor, dass er u. a. auf der Grundlage des die Bewertung der Umweltverträglichkeit betreffenden Teils V des Buchs I des Umweltgesetzbuchs und infolge zum einen des Gutachtens des Conseil wallon de l’Environnement pour le Développement durable (Wallonischer Umweltrat für eine nachhaltige Entwicklung) vom 5. März 2009 über den Bericht zur Beurteilung der strategischen Umweltprüfung und zum anderen einer vom 5. Januar bis einschließlich 19. Februar 2009 durchgeführten öffentlichen Untersuchung ergangen ist.

32. Der neue Erlass setzt nach seinem Art. 1 die Richtlinie 91/676 um, und nach seinem Art. 4 wird der angefochtene Erlass aufgehoben. Hingegen bestimmt Art. 8 des neuen Erlasses, dass die Ausführungserlasse des angefochtenen Erlasses in Kraft bleiben, bis sie durch ihren Urheber aufgehoben werden. Ferner bestimmt Art. 3 dieses Erlasses, dass die Bestimmungen des Art. R. 460 des Umweltgesetzbuchs, die das Wassergesetzbuch betreffen, durch Bestimmungen ersetzt werden, die die Anpassung bestimmter landwirtschaftlicher Einrichtungen an die Vorschriften u. a. über die Lagerung von Mist, über Geflügelausscheidungen auf dem Bauernhof sowie über Gülle und Jauche vorsehen. Die Zeitpunkte, bis zu denen diese Anpassungen zu erfolgen haben, sind der 31. Dezember 2008, der 31. Dezember 2009 und der 31. Dezember 2010, also vor der Verabschiedung des neuen Erlasses liegende Zeitpunkte, die in erster Linie anhand bestimmter Schwellenwerte für die Stickstofferzeugung festgelegt wurden. Allerdings können diese Fristen im Fall von höherer Gewalt oder außergewöhnlicher Umstände verlängert werden.

Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

33. Die Kommission macht in erster Linie geltend, dass das Vorabentscheidungsersuchen in Anbetracht der Verabschiedung des neuen Erlasses gegenstandslos geworden und deshalb als unzulässig zu betrachten sei.

34. Auf eine Frage des Gerichtshofs hat der Conseil d’État jedoch mitgeteilt, dass er seine Vorlagefrage aufrechterhalte, weil der neue Erlass keine Auswirkungen auf die bei ihm anhängige Klage habe; er betreffe nämlich nicht den Zeitraum, auf den sich die genannte Klage beziehe, da er nicht rückwirkend gelte.

35. Nach ständiger Rechtsprechung spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festgelegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Der Gerichtshof darf die Entscheidung über ein Ersuchen eines nationalen Gerichts nur dann verweigern, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. zuletzt Urteil vom 22. Juni 2010, Melki und Abdeli, C‑188/10 und C‑189/10, Slg. 2010, I‑5667, Randnr. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36. Im Übrigen ist es nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung Sache der mit einem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichte, sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass ihres Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen (Urteil vom 24. Juni 2008, Commune de Mesquer, C‑188/07, Slg. 2008, I‑4501, Randnr. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37. Insoweit geht aus den Angaben des vorlegenden Gerichts hervor, dass die von ihm gestellte Frage für den weiterhin dort anhängigen Rechtsstreit erheblich und die Beantwortung dieser Frage notwendig ist, damit es den genannten Rechtsstreit entscheiden kann.

38. Unter diesen Umständen ist die Frage des Conseil d’État zu beantworten.

Zur Vorlagefrage

39. Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht unter Berücksichtigung der im Ausgangsrechtsstreit eingetretenen Entwicklungen wissen, ob es unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in dem es mit einer Klage auf Nichtigerklärung eines nationalen Rechtsakts befasst ist, der einen „Plan“ oder ein „Programm“ im Sinne der Richtlinie 2001/42 darstellt, und feststellt, dass ein solcher Plan oder ein solches Programm unter Verstoß gegen die in dieser Richtlinie vorgesehene Pflicht zur vorherigen Durchführung einer Umweltprüfung erlassen wurde, aber gleichwohl davon ausgeht, dass die Richtlinie 91/676 mit dem angefochtenen Rechtsakt angemessen durchgeführt wurde, eine Vorschrift des nationalen Rechts anwenden darf, die es ihm erlauben würde, bestimmte in der Vergangenheit liegende Wirkungen des genannten Rechtsakts aufrechtzuerhalten, bis Maßnahmen zur Beseitigung der festgestellten Unregelmäßigkeit in Kraft getreten sind.

40. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das Hauptziel der Richtlinie 2001/42 gemäß ihrem Art. 1 darin besteht, dass Pläne und Programme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, bei ihrer Ausarbeitung und vor ihrer Annahme einer Umweltprüfung unterzogen werden (Urteile Terre wallonne und Inter-Environnement Wallonie, Randnr. 32, und vom 22. September 2011, Valčiukienė u. a., C‑295/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr 37).

41. Diese Richtlinie legt die Mindestanforderungen in Bezug auf die Ausarbeitung des Umweltberichts, die Durchführung von Konsultationen, die Berücksichtigung der Ergebnisse der Umweltprüfung sowie die Unterrichtung über die nach der Prüfung ergangene Entscheidung fest (Urteil Terre wallonne und Inter-Environnement Wallonie, Randnr. 33).

42. Da diese Richtlinie keine Bestimmungen hinsichtlich der Konsequenzen enthält, die aus einem Verstoß gegen die von ihr aufgestellten Verfahrensvorschriften zu ziehen wären, ist es Sache der Mitgliedstaaten, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten alle erforderlichen allgemeinen oder besonderen Maßnahmen zu treffen, damit sämtliche „Pläne“ und „Programme“, die „erhebliche Umweltauswirkungen“ im Sinne der Richtlinie 2001/42 haben können, vor ihrer Annahme Gegenstand einer Umweltprüfung gemäß den von dieser Richtlinie vorgesehenen Verfahrensmodalitäten und Kriterien sind (vgl. entsprechend Urteile vom 24. Oktober 1996, Kraaijeveld u. a., C‑72/95, Slg. 1996, I‑5403, Randnr. 61, vom 16. September 1999, WWF u. a., C‑435/97, Slg. 1999, I‑5613, Randnr. 70, sowie vom 7. Januar 2004, Wells, C‑201/02, Slg. 2004, I‑723, Randnr. 65).

43. Nach ständiger Rechtsprechung sind nämlich die Mitgliedstaaten aufgrund des in Art. 4 Abs. 3 EUV vorgesehenen Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit verpflichtet, die rechtswidrigen Folgen eines Verstoßes gegen das Unionsrecht zu beheben (vgl. u. a. Urteile vom 16. Dezember 1960, Humblet/État belge, 6/60, Slg. 1960, 1163, 1185, und vom 19. November 1991, Francovich u. a., C‑6/90 und C‑9/90, Slg. 1991, I‑5357, Randnr. 36). Diese Verpflichtung obliegt im Rahmen seiner Zuständigkeiten jedem Organ des betreffenden Mitgliedstaats (Urteile vom 12. Juni 1990, Deutschland/Kommission, C‑8/88, Slg. 1990, I‑2321, Randnr. 13, und Wells, Randnr. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44. Folglich sind, wenn ein „Plan“ oder ein „Programm“ vor seiner Verabschiedung einer Umweltverträglichkeitsprüfung gemäß den Anforderungen der Richtlinie 2001/42 zu unterziehen gewesen wäre, die zuständigen Behörden verpflichtet, alle allgemeinen oder besonderen Maßnahmen zu ergreifen, um dem Unterbleiben einer solchen Prüfung abzuhelfen (vgl. entsprechend Urteil Wells, Randnr. 68).

45. Diese Pflicht obliegt auch den nationalen Gerichten, die mit Klagen gegen einen solchen nationalen Rechtsakt befasst werden, und insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die für derartige Klagen, die gegen solche Pläne oder Programme erhoben werden können, geltenden Verfahrensmodalitäten nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats sind; sie dürfen jedoch nicht ungünstiger sein als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte innerstaatlicher Art regeln (Äquivalenzgrundsatz), und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz) (vgl. Urteil Wells, Randnr. 67 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46. Folglich müssen die in diesem Zusammenhang angerufenen Gerichte auf der Grundlage ihres nationalen Rechts Maßnahmen zur Aussetzung oder Aufhebung des unter Verstoß gegen die Pflicht zur Durchführung einer Umweltprüfung erlassenen „Plans“ oder „Programms“ ergreifen (vgl. entsprechend Urteil Wells, Rand nr. 65).

47. Es verstieße nämlich gegen das Hauptziel der Richtlinie 2001/42, würden die in diesem Zusammenhang angerufenen nationalen Gerichte nicht im Rahmen solcher Klagen und innerhalb der Grenzen der Verfahrensautonomie die Maßnahmen ergreifen, die ihr nationales Recht vorsieht und die geeignet sind, zu verhindern, dass ein solcher Plan oder ein solches Programm, einschließlich der im Rahmen dieses Programms zu entwickelnden Projekte, ohne eine Umweltprüfung durchgeführt werden kann.

48. Im Ausgangsverfahren steht fest, dass beim vorlegenden Gericht eine derartige Klage anhängig ist. Zu klären ist jedoch, ob dieses Gericht im Rahmen einer solchen Klage auch dann, wenn es den angefochtenen Erlass für nichtig erklärt, ausnahmsweise und in Anbetracht der konkreten Umstände des Ausgangsverfahrens eine nationale Rechtsvorschrift anwenden darf, die es ihm erlauben würde, die in der Vergangenheit liegenden Wirkungen dieses Erlasses aufrechtzuerhalten, bis Maßnahmen in Kraft getreten sind, die die Beseitigung der festgestellten Unregelmäßigkeit ermöglichen.

49. Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts kann die Aufrechterhaltung der Wirkungen des unter Verstoß gegen die Bestimmungen der Richtlinie 2001/42 verabschiedeten angefochtenen Erlasses zum einen dadurch gerechtfertigt sein, dass die belgische Rechtsordnung bei einer rückwirkenden Nichtigerklärung des Erlasses in der Wallonischen Region jeglicher Maßnahme zur Umsetzung der Richtlinie 91/676 entbehren würde. Zum anderen sei diese Aufrechterhaltung zeitlich relativ beschränkt, da sie nur die Zeit bis zum Inkrafttreten des neuen Erlasses betreffe.

50. Außerdem vertritt das vorlegende Gericht die Ansicht, die Übereinstimmung des angefochtenen Erlasses mit der Richtlinie 91/676 scheine, ohne dass dies mit Sicherheit nachgewiesen wäre, insbesondere aus der Entscheidung 2008/96/EG der Kommission vom 20. Dezember 2007 über einen Antrag Belgiens auf Genehmigung einer Ausnahmeregelung auf der Grundlage der Richtlinie 91/676/EWG des Rates zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrate aus landwirtschaftlichen Quellen in Bezug auf die Region Wallonien (ABl. 2008, L 32, S. 21) hervorzugehen. Um diesem Mitgliedstaat die Ausbringung einer Menge an Viehdung zu genehmigen, die die in Anhang III Ziffer 2 zweiter Unterabsatz und Buchstabe a der Richtlinie 91/676 festgelegte Menge übersteige, habe die Kommission den genannten Erlass nämlich einer im sechsten Erwägungsgrund und in Art. 10 dieser Entscheidung erwähnten Prüfung unterzogen, ohne Einwände gegen die Art und Weise zu erheben, in der diese Richtlinie mit dem angefochtenen Erlass in der Wallonischen Region umgesetzt worden sei, oder gegen den Umstand, dass dem Aktionsprogramm in Bezug auf Nitrate in gefährdeten Gebieten nicht, wie von Art. 5 dieser Richtlinie gefordert und in Unterabschnitt 6 des Abschnitts 3 des angefochtenen Erlasses vorgesehen, eine Umweltprüfung im Sinne der Richtlinie 2001/42 vorangegangen sei.

51. Das vorlegende Gericht vertritt außerdem die Auffassung, dass der angefochtene Erlass, was die gefährdeten Gebiete betreffe, ein „Programm“ im Sinne von Art. 2 der Richtlinie 2001/42 darstelle, da er nach Art. 5 der Richtlinie 91/676 erforderlich und von einer Behörde auf nationaler oder regionaler Ebene ausgearbeitet worden sei.

52. Obgleich sich der Gerichtshof im Urteil Terre wallonne und Inter-Environnement Wallonie nur zu den nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 91/676 erforderlichen Aktionsprogrammen wie dem in Unterabschnitt 6 des Abschnitts 3 des angefochtenen Erlasses vorgesehenen geäußert hat, neigt das vorlegende Gericht im Übrigen zu der Auffassung, dass der angefochtene Erlass, da er für alle Gebiete, einschließlich der gefährdeten Gebiete, Maßnahmen und Aktionen der in Art. 5 und in Anhang III der Richtlinie 91/676 aufgezählten Art festlege, die zur Bekämpfung der Verunreinigung durch Nitrat dienten, einen Rahmen darstelle, in dem die Durchführung der in den Anhängen I und II der Richtlinie 85/337 angeführten Projekte gestattet werden könne, so dass er als „Plan“ oder „Programm“ im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42 angesehen werden könne, für den bzw. das eine Umweltprüfung vorgeschrieben sei und nicht von der vorherigen Feststellung erheblicher Umweltauswirkungen abhänge.

53. Das vorlegende Gericht stellt außerdem fest, dass der angefochtene Erlass ein organisiertes und unteilbares System darstelle, so dass es ihm nicht möglich sei, lediglich den Teil dieses Erlasses für nichtig zu erklären, der sich auf die Verwendung von Stickstoff in gefährdeten Gebieten beziehe, d. h. Unterabschnitt 6 seines Abschnitts 3.

54. Daher weist der Conseil d’État darauf hin, dass er unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens den angefochtenen Erlass für nichtig erklären müsse, weil dieser, auch wenn er Gegenstand einer öffentlichen Untersuchung gewesen sei, an der die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens teilgenommen hätten, und sie nicht hätten beweisen können, dass die Wallonische Region die von ihnen anlässlich dieser Untersuchung abgegebenen Stellungnahmen nicht berücksichtigt habe, gleichwohl nicht Gegenstand einer Umweltprüfung der in der Richtlinie 2001/42 vorgesehenen Art gewesen sei. Allerdings würde er damit ein rechtliches Vakuum in Bezug auf die Umsetzung der Richtlinie 91/676 schaffen, da diese Richtlinie, die zur Verbesserung der Umweltqualität erlassen worden sei, Umsetzungsmaßnahmen im nationalen Recht vorschreibe und der angefochtene Erlass überdies verabschiedet worden sei, um die Durchführung des Urteils Kommission/Belgien zu gewährleisten.

55. Es sei nicht ausgeschlossen, dass das mit der Politik der Europäischen Union in diesem Bereich nach Art. 191 AEUV verfolgte Ziel eines höheren Umweltschutzniveaus im Ausgangsverfahren eher durch die Aufrechterhaltung der Wirkungen des für nichtig erklärten Erlasses während eines kurzen, für seinen Neuerlass erforderlichen Zeitraums erreicht würde als durch eine rückwirkende Nichtigerklärung.

56. In Anbetracht der in den Randnrn. 50 bis 55 des vorliegenden Urteils dargelegten Besonderheiten der vorliegenden Rechtssache besteht die Gefahr, dass das vorlegende Gericht, wenn es mittels der Nichtigerklärung des angefochtenen Erlasses die dem Verfahren zu dessen Verabschiedung anhaftende Unregelmäßigkeit bezüglich der Richtlinie 2001/42 beseitigt, ein rechtliches Vakuum schaffen würde, das mit der Pflicht des betreffenden Mitgliedstaats unvereinbar wäre, die Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie 91/676 und die für diesen Staat mit der Durchführung des Urteils Kommission/Belgien verbundenen Maßnahmen zu erlassen.

57. Hierzu ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht keine Gründe wirtschaftlicher Art anführt, um seine Berechtigung zu einer solchen Aufrechterhaltung der Wirkungen des angefochtenen Erlasses herzuleiten, sondern ausschließlich auf das Umweltschutzziel verweist, das eines der wesentlichen Ziele der Union darstellt und sowohl Querschnittscharakter aufweist als auch grundlegende Bedeutung besitzt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. September 2005, Kommission/Rat, C‑176/03, Slg. 2005, I‑7879, Randnrn. 41 und 42).

58. In Anbetracht dieses Ziels kann das vorlegende Gericht unter Berücksichtigung dessen, dass ein zwingendes Erfordernis im Zusammenhang mit dem Umweltschutz vorliegt, ausnahmsweise zur Anwendung einer nationalen Rechtsvorschrift, die es ihm gestattet, bestimmte Wirkungen eines für nichtig erklärten nationalen Rechtsakts aufrechtzuerhalten, berechtigt sein, sofern die nachstehend genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

59. Erstens muss der angefochtene Erlass eine Maßnahme zur ordnungsgemäßen Umsetzung der Richtlinie 91/676 darstellen.

60. Zweitens muss das vorlegende Gericht prüfen, ob die Verabschiedung und das Inkrafttreten des neuen Erlasses, der u. a. in seinem Art. 8 die Aufrechterhaltung bestimmter auf der Grundlage des angefochtenen Erlasses verabschiedeter Rechtsakte vorsieht, es nicht ermöglichen, die sich aus der Nichtigerklärung des angefochtenen Erlasses ergebenden schädigenden Auswirkungen auf die Umwelt zu vermeiden.

61. Drittens muss die Nichtigerklärung des angefochtenen Erlasses zur Folge haben – was vom vorlegenden Gericht festzustellen ist –, dass hinsichtlich der Umsetzung der Richtlinie 91/676 ein rechtliches Vakuum geschaffen wird, das zu einem noch größeren Schaden für die Umwelt führen würde. Das wäre der Fall, wenn die Nichtigerklärung zu einem geringeren Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen führen würde, da dies dem wesentlichen Zweck der Richtlinie, der darin besteht, eine solche Verunreinigung zu verhindern, zuwiderliefe.

62. Viertens schließlich könnte eine ausnahmsweise Aufrechterhaltung der Wirkungen eines solchen nationalen Rechtsakts nur für den Zeitraum gerechtfertigt sein, der zwingend notwendig ist, um Maßnahmen zu erlassen, die die Beseitigung der festgestellten Unregelmäßigkeit ermöglichen.

63. Nach alledem ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass ein nationales Gericht, das nach seinem nationalen Recht mit einer Klage auf Nichtigerklärung eines nationalen Rechtsakts befasst wird, der einen „Plan“ oder ein „Programm“ im Sinne der Richtlinie 2001/42 darstellt, und das feststellt, dass ein solcher „Plan“ oder ein solches „Programm“ unter Verstoß gegen die in dieser Richtlinie vorgesehene Pflicht zur vorherigen Durchführung einer Umweltprüfung erlassen wurde, verpflichtet ist, alle in seinem nationalen Recht vorgesehenen allgemeinen oder besonderen Maßnahmen, einschließlich der Aussetzung oder Nichtigerklärung des angefochtenen „Plans“ oder „Programms“, zu ergreifen, um dem Unterbleiben einer solchen Prüfung abzuhelfen. Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Ausgangsverfahrens kann das vorlegende Gericht jedoch ausnahmsweise berechtigt sein, eine nationale Rechtsvorschrift anzuwenden, die es ihm gestattet, bestimmte Wirkungen eines für nichtig erklärten nationalen Rechtsakts aufrechtzuerhalten, sofern

– dieser nationale Rechtsakt eine Maßnahme zur ordnungsgemäßen Umsetzung der Richtlinie 91/676 darstellt,

– die Verabschiedung und das Inkrafttreten des neuen nationalen Rechtsakts, der das Aktionsprogramm im Sinne von Art. 5 dieser Richtlinie enthält, es nicht ermöglichen, die sich aus der Nichtigerklärung des angefochtenen Erlasses ergebenden schädigenden Auswirkungen auf die Umwelt zu vermeiden,

– die Nichtigerklärung dieses angefochtenen Rechtsakts zur Folge hätte, dass hinsichtlich der Umsetzung der Richtlinie 91/676 ein rechtliches Vakuum geschaffen würde, das insofern noch nachteiliger für die Umwelt wäre, als die Nichtigerklärung zu einem geringeren Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen führen würde und damit dem wesentlichen Zweck dieser Richtlinie zuwiderliefe und

– eine ausnahmsweise Aufrechterhaltung der Wirkungen eines solchen Rechtsakts nur den Zeitraum umfasst, der zwingend notwendig ist, um Maßnahmen zu erlassen, die die Beseitigung der festgestellten Unregelmäßigkeit ermöglichen.

Kosten

64. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

Ein nationales Gericht, das nach seinem nationalen Recht mit einer Klage auf Nichtigerklärung eines nationalen Rechtsakts befasst wird, der einen „Plan“ oder ein „Programm“ im Sinne der Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme darstellt, und das feststellt, dass ein solcher „Plan“ oder ein solches „Programm“ unter Verstoß gegen die in dieser Richtlinie vorgesehene Pflicht zur vorherigen Durchführung einer Umweltprüfung erlassen wurde, ist verpflichtet, alle in seinem nationalen Recht vorgesehenen allgemeinen oder besonderen Maßnahmen, einschließlich der Aussetzung und der Nichtigerklärung des angefochtenen „Plans“ oder „Programms“, zu ergreifen, um dem Unterbleiben einer solchen Prüfung abzuhelfen. Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Ausgangsverfahrens kann das vorlegende Gericht jedoch ausnahmsweise berechtigt sein, eine nationale Rechtsvorschrift anzuwenden, die es ihm gestattet, bestimmte Wirkungen eines für nichtig erklärten nationalen Rechtsakts aufrechtzuerhalten, sofern

– dieser nationale Rechtsakt eine Maßnahme zur ordnungsgemäßen Umsetzung der Richtlinie 91/676/EWG des Rates vom 12. Dezember 1991 zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen darstellt,

– die Verabschiedung und das Inkrafttreten des neuen nationalen Rechtsakts, der das Aktionsprogramm im Sinne von Art. 5 dieser Richtlinie enthält, es nicht ermöglichen, die sich aus der Nichtigerklärung des angefochtenen Erlasses ergebenden schädigenden Auswirkungen auf die Umwelt zu vermeiden,

– die Nichtigerklärung dieses angefochtenen Rechtsakts zur Folge hätte, dass hinsichtlich der Umsetzung der Richtlinie 91/676 ein rechtliches Vakuum geschaffen würde, das insofern noch nachteiliger für die Umwelt wäre, als die Nichtigerklärung zu einem geringeren Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen führen würde und damit dem wesentlichen Zweck dieser Richtlinie zuwiderliefe und

– eine ausnahmsweise Aufrechterhaltung der Wirkungen eines solchen Rechtsakts nur den Zeitraum umfasst, der zwingend notwendig ist, um Maßnahmen zu erlassen, die die Beseitigung der festgestellten Unregelmäßigkeit ermöglichen.