BGH, 15.11.1996 - 3 StR 79/96
1. Eine ärztlich gebotene schmerzlindernde Medikation entsprechend dem erklärten oder mutmaßlichen Patientenwillen wird bei einem Sterbenden nicht dadurch unzulässig, daß sie als unbeabsichtigte, aber in Kauf genommene unvermeidbare Nebenfolge den Todeseintritt beschleunigen kann.
2. In den Fällen des Mordes wegen Tötung aus Habgier kann die lebenslange Freiheitsstrafe nicht wegen außergewöhnlicher Umstände durch eine zeitige Freiheitsstrafe nach § 49 I Nr. 1 StGB ersetzt werden.
Gründe
Die Strafkammer hat den Angeklagten Dr. Dieter M. wegen Mordes aus Habgier zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren und die Angeklagte Dr. Cornelia-Ruth M. wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die Angeklagten erstreben mit ihren auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen ihre Freisprechung, jedenfalls die Aufhebung des Urteils; die Staatsanwaltschaft will mit der Sachrüge eine Verurteilung wegen Mordes auch für die Angeklagte Dr. Cornelia-Ruth M. und die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe für beide Angeklagte, hilfsweise die Aufhebung des Urteils erreichen. Die Rechtsmittel der Angeklagten und die gegen den Angeklagten Dr. Dieter M. gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft führen auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils und der zugrundeliegenden Feststellungen; dagegen hat das zuungunsten der Angeklagten Dr. Cornelia-Ruth M. eingelegte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft keinen Erfolg.
Nach den getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte Dr. Dieter M. eine Facharztpraxis für Orthopädie betrieben. Seine Ehefrau, die Angeklagte Dr. Cornelia-Ruth M. war als Anästhesistin ausgebildet, jedoch zur Tatzeit nicht mehr berufstätig und versorgte stattdessen den Haushalt; die finanzielle Lage der Eheleute war angespannt. Die Angeklagten freundeten sich mit der 88-jährigen vermögenden Rentnerin V. an, die wegen Kniebeschwerden die Praxis des Angeklagten aufgesucht hatte. Der Kontakt wurde so eng, daß Frau V. dem Angeklagten zunächst einen Geldbetrag von 104.000 DM und schließlich beiden Angeklagten eine Immobilie im Wert von 2,5 Millionen DM zuwendete. Anfang Juni 1987 erkrankte Frau V. schwer. Ursache war wahrscheinlich eine nicht erkannte und erst bei der späteren Obduktion festgestellte Hiatushernie (Verlagerung eines Magenteils durch eine Zwerchfellöffnung in den Brustraum). Frau V. ließ sich von den Angeklagten untersuchen, die den Internisten Dr. S. jun. hinzuzogen, nachdem Dr. S. sen., an den sich der Angeklagte zunächst wandte, erklärt hatte, seine Praxis habe sein Sohn übernommen. Dieser diagnostizierte eine Gallenkolik und stimmte der Verlegung der Patientin in die Wohnung der Angeklagten anstelle einer sonst erforderlichen Verbringung in ein Krankenhaus zu. Am 3. Juni 1987 verschlimmerte sich der Zustand. Dr. S. verschrieb der Patientin zehn Ampullen Dolantin, ein Opiat mit dem Wirkstoff Pethidin. Die Ampullen sollte die Angeklagte Dr. Cornelia-Ruth M. in Infusionen mit einer Dosierung von drei Ampullen zu je 100 mg für eine Dauer von 24 Stunden verabreichen. Nachdem sich in den Abendstunden ein Lungenödem bildete, verlangsamte die Angeklagte die Dolantinzufuhr fast bis zum Stillstand. Die Patientin röchelte, stöhnte und erbrach eine bräunliche Flüssigkeit. Die Angeklagten zogen Dr. S. jun. hinzu, der zum Absaugen der Lunge 50 mg Dolantin intravenös spritzte und dann mehrfach absaugte. Alle drei beteiligten Arzte diskutierten gegen 2.00 Uhr des 4. Juni 1987, ob ein Transport in ein Krankenhaus sinnvoll sei; sie gingen zu diesem Zeitpunkt davon aus, daß die Patientin ohnehin sterben würde (UA S. 30). Zur Überzeugung der Strafkammer beschlossen sie sodann gemeinsam, wobei der Angeklagte Dr. Dieter M. einen bestimmenden Einfluß ausübte (UA S. 130), Frau V. nicht mehr in ein Krankenhaus zu bringen und sie mit einer schnell verabreichten Überdosis Dolantin zu töten. Die Angeklagte Dr. Cornelia-Ruth M. und Dr. S. hatten dabei das Motiv, der Patientin durch einen raschen und schmerzlosen Tod weitere Leiden zu ersparen, während beim Angeklagten Dr. Dieter M. die Absicht im Vordergrund stand, durch einen schnellen Tod Frau V. mittels eines gefälschten Testaments beerben zu können. Dr. S. mischte den sogenannten "kleinen Tropf" mit 100 ml NaCl, 300 mg Dolantin und zwei Ampullen Atosil, schloß ihn an und stellte ihn ein. Die von ihm geführte Krankenkarte enthält hierzu folgenden Eintrag: "03.VI. (1.15) zunehmende Somnolenz, Erbrechen von Mageninhalt, zentraler Venenweg, Magensonde, NaCl mit 3 A Dolantin, 2 A Atosil, 3 x Absaugen, (1,5 Std)". Danach entfernten sich Dr. S. und der Angeklagte, während die Angeklagte bei der Patientin verblieb und sich weiter um das Absaugen bemühte. Die Infusion lief in maximal 55 Minuten durch und führte zur Überzeugung der Strafkammer zum Atemstillstand und damit zum Tod. Im Laufe des Tages fälschte der Angeklagte Dr. Dieter M. mit Hilfe des Notars und Rechtsanwaltes T. unter Verwendung einer von diesem zuvor unter einem Vorwand beschafften Blankounterschrift der Frau V. ein Testament, das die Angeklagten als Alleinerben ausweist. Das Ermittlungsverfahren gegen Dr. S. wurde nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
I. Revision der Angeklagten
Die Verurteilung der Angeklagten wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts beruht auf Rechtsfehlern und Annahmen, die nach dem im Urteil mitgeteilten Beweisergebnis einer gesicherten Tatsachengrundlage entbehren.
Die Strafkammer geht in der Urteilsbegründung davon aus, daß Dr. S. an dem Tötungsentschluß der Angeklagten beteiligt gewesen ist und selbst den sog. kleinen Tropf angeschlossen hat, obgleich er als Zeuge beides nachdrücklich bestritten hatte (UA S. 130). Sie hält dabei seine Zeugenaussage nicht durch das sonstige Beweisergebnis für widerlegt, sondern geht - vermeintlich zugunsten der Angeklagten - vom Gegenteil seiner Aussage aus. Eine solche Unterstellung bestimmter nicht erwiesener Tatsachen wäre nur zulässig gewesen, wenn sie sich ausschließlich zugunsten der Angeklagten ausgewirkt hätte. Tatsächlich zieht die Strafkammer diese Tatsachen zum Schuldnachweis gegen die Angeklagten heran. Das Landgericht stützt die Verurteilung der Angeklagten wegen eines mittäterschaftlich begangenen Tötungsdeliktes darauf, daß ihnen die eigenhändig nur von Dr. S. vorgenommene Tötungshandlung, nämlich die Verabreichung des sog. kleinen Tropfs mit hoher Durchlaufgeschwindigkeit in Tötungsabsicht, als Mittäter zugerechnet wird. Diese Schuldzurechnung im Sinne eines bewußten und gewollten Zusammenwirkens mit dem unmittelbar Handelnden beruht damit auf einer nur durch Unterstellung gewonnenen Tatsachengrundlage. Entfällt jedoch die dem Zeugen Dr. S. unterstellte Tötungshandlung, ist auch kein Raum für eine Zurechnung dieses angenommenen Geschehens an die nicht eigenhändig handelnden Angeklagten. Bei der von der Strafkammer gewählten Konstruktion der Mittäterschaft hätte daher der Tötungsvorsatz und die Tötungshandlung des Dr. S. eines Beweises bedurft.
Auch im übrigen enthält die Beweiswürdigung rechtliche Fehler und Lücken.
Die Erwägung der Strafkammer, die drei Beteiligten hätten gemeinsam eine schnell verabreichte Überdosis Dolantin zur Tötung von Frau V. beschlossen, wird von den festgestellten Tatsachen nicht getragen.
Die Angaben der Angeklagten in ihrer polizeilichen Vernehmung vom 13. Februar 1990 geben keinen Hinweis auf einen Tötungsentschluß.
Der Angeklagte erklärte zwar nach seiner Vorführung vor dem Haftrichter (unter dem ursprünglichen Vorwurf des Verdachts der Beibringung eines Insektizids) gegenüber Polizeibeamten, daß er diesen Vorwurf bestreite, doch könne man "über Sterbehilfe, passive oder aktive Sterbehilfe, über eine Ampulle Dolantin mehr oder weniger diskutieren, ... zu Dritt sei man zu dem Entschluß gekommen, daß es nur zwei Alternativen gegeben habe, entweder mit Blaulicht ins Krankenhaus oder ... nennen Sie es wie Sie wollen, passive oder aktive Sterbehilfe, gucken Sie in ihren Büchern nach ..." (UA S. 123).
In dieser Äußerung werden jedoch die Begriffe der aktiven bzw. passiven Sterbehilfe ersichtlich unspezifisch gebraucht, wobei sogar offen bleibt, ob dem Angeklagten die genaue Bedeutung geläufig war. Jedenfalls durfte die Strafkammer diese Äußerung nicht einseitig als Beleg für einen Tötungsentschluß heranziehen, ohne die anderen Möglichkeiten einer Deutung zu erörtern. Danach konnte auch eine passive Sterbehilfe durch Unterlassen einer Verbringung in ein Krankenhaus und insbesondere eine nach den Umständen durchaus nicht fernliegende schmerzlindernde Medikation mit dem Risiko einer - nicht beabsichtigten - Atemdepression gemeint gewesen sein.
Der weiter von der Strafkammer zur Begründung ihrer Überzeugung herangezogene Umstand, daß die Angeklagte bei ihrer kurz nach dem Geschehen erfolgten Vernehmung als Beschuldigte (unter dem Verdacht der unterlassenen Hilfeleistung) keine konkreten Angaben über den "kleinen Tropf" gemacht hat, kann auch darauf zurückzuführen sein, daß sich die Angeklagte wegen der von Dr. S. angeschlossenen und einregulierten Infusion selbst den Vorwurf gemacht hatte, die Tropfgeschwindigkeit nicht besser kontrolliert zu haben (UA S. 111); damit hat sich die Strafkammer ebenfalls nicht auseinandergesetzt.
Das Landgericht hat eine Begründung für die Beteiligung der Angeklagten Dr. Cornelia-Ruth M. an dem Tötungsentschluß darin gesehen, daß diese sich dem bestimmenden Einfluß ihres Ehemannes nicht entziehen konnte. Es setzt sich jedoch nicht damit auseinander, was den hinzugezogenen Internisten Dr. S. bewogen haben kann, sich an der vorsätzlichen Tötung eigenhändig zu beteiligen. Die Motivation, der ohnehin im Sterben liegenden Frau unnötige Leiden zu ersparen, reicht dafür nicht. In diesem Zusammenhang wäre auch zu erörtern gewesen, warum Dr. S. bei einer gezielten Tötung der Patientin die genaue Zusammensetzung des Tropfes in seinem Krankenblatt vermerkte.
Schließlich entbehrt die für die Beweiswürdigung bestimmende Folgerung, die drei Beteiligten hätten einen schnellen Durchlauf gewollt, einer tragfähigen Grundlage. Hierfür ist den Urteilsgründen außer der Tatsache, daß der Tropf tatsächlich nach maximal 55 Minuten durchgelaufen war, kein sonstiger Hinweis zu entnehmen. Ein solcher Rückschluß ist von zahlreichen Unwägbarkeiten begleitet, mit denen sich die Strafkammer nicht auseinandersetzt.
Die Angeklagte hat sich insoweit dahin eingelassen, daß der Tropf nicht dafür gedacht war, innerhalb so kurzer Zeit durchzulaufen, wobei zuvor über die konkrete Zeitdauer nicht gesprochen worden sei. Sie mache sich den Vorwurf, daß sie während ihrer Absaugbemühungen die Einstellung nicht besser kontrolliert habe, vielleicht habe sich das Rändelrad verstellt (UA S. 111, 126, 127). Das Landgericht sieht hierin eine Schutzbehauptung, ohne dies näher zu begründen. Es erwähnt insoweit, daß auch vier verschiedene Sachverständige Ausführungen zur Möglichkeit eines ungewollten "Durchrauschens" gemacht hätten, ohne diese näher darzulegen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen; auf diese komme es nicht an, da die Strafkammer es für erwiesen erachte, daß ein schnelles Durchlaufen gewollt war (UA S. 127). Dies ist rechtsfehlerhaft. Will ein Tatrichter aus einer Indiztatsache auf einen entsprechenden Willen eines Angeklagten schließen, so hat er in seine Erwägung auch diejenigen Umstände miteinzubeziehen, die ein solches Ergebnis in Frage stellen können (vgl. BGHR StGB § 212 I Vorsatz, bedingter 40, 30 m.w.Nachw.). Im übrigen hätte die Strafkammer die Möglichkeit erwägen müssen, daß tatsächlich eine längere Infusionsdauer vorgesehen war, daß aber Dr. S. bei der von ihm vorgenommenen Einstellung ein Versehen unterlaufen ist, wofür die Einlassung der Angeklagten Dr. Cornelia-Ruth M. sprechen könnte. Schließlich ist auch nicht die Möglichkeit von der Hand zu weisen, daß einer der Beteiligten ohne Wissen der anderen einen schnellen Durchlauf wollte und bewirkte; auch damit hat sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt.
Die Beweiswürdigung zur Ursächlichkeit des sog. kleinen Tropfes für den Todeseintritt hält ebenfalls einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Strafkammer hat zu diesen Fragen zahlreiche - sich teils erheblich widersprechende - Sachverständige gehört und ist im Anschluß insbesondere an den toxikologischen Sachverständigen Prof. Dr. D. und den gerichtsmedizinischen Sachverständigen Prof. Dr. G. zum Ergebnis gekommen, daß zwar auch das Grundleiden der Patientin zum alsbaldigen Tod hätte führen können, daß jedoch durch die schnelle und hohe Dolantingabe eine zur Atemdepression führende, tödliche Konzentration des Wirkstoffs Pethidin erreicht worden sei, die für den konkreten Todeseintritt kausal gewesen sei.
Demgegenüber haben drei in der modernen Schmerzforschung tätige Sachverständige wesentlich andere Standpunkte eingenommen. Nach ihren übereinstimmenden Ausführungen ist der Schmerz ein physiologischer Antagonist gegenüber der atemdepressiven Wirkung von Pethidin (d.h. er entfaltet eine Gegenwirkung). Je stärker der Schmerz, desto höher müsse die Dosis sein, so daß aus therapeutischen Gründen Dosierungen gegeben werden dürfen, die für einen Nicht-Schmerzpatienten tödlich sein können. Von einer bestimmten letalen Pethidinkonzentration könne man daher bei Schmerzpatienten nicht sprechen, diese Grenze sei variabel. Prof. Dr. Z. ist zum Ergebnis gekommen, daß die Dolantingabe von 300 mg auch unter Berücksichtigung der kurzen Durchlaufzeit therapeutisch indiziert gewesen sei und nicht zu einer Atemdepression geführt haben könne. Eine Todesursächlichkeit schließe er aus. Prof. Dr. J. hat ausgeführt, daß die Gesamtgabe von 500 mg Dolantin innerhalb von 12 Stunden unbedenklich sei und er es für sehr unwahrscheinlich, wenn nicht für unmöglich halte, daß Frau V. an einer Atemdepression gestorben sei.
Prof. Dr. L. hat darauf hingewiesen, daß die neuere Schmerzforschung zu einer Streubreite von indizierten Opiatdosen geführt habe, die vor einigen Jahren noch nicht vorstellbar gewesen seien. In die Lehrbücher der Toxikologen hätten diese Erkenntnisse noch keinen Eingang gefunden. Nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft bewiesen die gefundenen Konzentrationen nicht zwingend, daß die Patientin daran verstorben sei; die Dosis von insgesamt 500 mg Dolantin sei vertretbar gewesen.
Die Strafkammer hat in einer zusammenfassenden Würdigung zwar die von den Sachverständigen Prof. Dr. Z. und Prof. Dr. J. vorgenommene Beurteilung der Todesursächlichkeit des Dolantins als auf unzutreffender Tatsachengrundlage beruhend abgelehnt, aber doch die genannten Ergebnisse der neueren Schmerzforschung sich zu eigen gemacht. Sie geht davon aus, daß bei Schmerzpatienten wesentlich höhere Dosen erforderlich sein können und Schmerzpatienten in extremen Fällen auch Mengen vertragen, von denen man noch vor kurzem annahm, daß sie unweigerlich zum Tode führen müßten. An der Beurteilung der Todesursächlichkeit durch die Sachverständigen Prof. Dr. G. und Prof. Dr. D. hat sie gleichwohl festgehalten, da sich diese nicht allein auf die gefundenen Konzentrationen gestützt hätten (UA S. 218). Mit dieser Erwägung kann das Landgericht den Widerspruch zwischen den toxikologischen und gerichtsmedizinischen Sachverständigen einerseits und den Schmerzwissenschaftlern andrerseits nicht überbrücken. Dadurch, daß es sich zwar der Beurteilung von Prof. Dr. D. und Prof. Dr. G. angeschlossen hat, für die das Vorhandensein einer letalen Pethidinkonzentration von ausschlaggebender Bedeutung für die Beurteilung der Todesursächlichkeit war, sich andererseits die Ergebnisse der neueren Schmerzforschung zu eigen macht, wonach es eine solche letale Konzentration unter den hier gegebenen Umständen nicht gibt, macht es seine eigene Beweiswürdigung widersprüchlich.
Aus der Darstellung der Gutachten von Prof. Dr. D. und Prof. Dr. G. auf UA S. 131 bis 142 ergibt sich, daß beide bei der Beurteilung der Todesursächlichkeit zunächst praktisch allein von den gefundenen Konzentrationen unter Berücksichtigung des Infusionsprofils ausgegangen sind, die einen von ihnen angenommenen letalen Grenzwert überschritten hätten. Danach hat Prof. Dr. D. von einer "absoluten Todesgabe" gesprochen, ihm sei kein Fall bekannt, wo eine solch hohe Konzentration überlebt worden sei (UA S. 137, 141). Auch Prof. Dr. G. hat die in kurzer Zeit verabreichte Dolantinmenge als nicht überlebbar bezeichnet. Während letzterer zwar den Einfluß der Gewöhnung eines Patienten an Opiate berücksichtigt hat, hat sich ausweislich der Urteilsgründe keiner der beiden Sachverständigen mit der antagonistischen Wirkung des Schmerzes, von der schließlich auch die Strafkammer ausgeht, auseinandergesetzt.
Nach der Anhörung weiterer Sachverständiger insbesondere zur möglichen Todesursächlichkeit des Grundleidens haben beide Sachverständige betont, daß sie trotz dieser Möglichkeiten nach wie vor die Dolantingabe als primäre Todesursache ansehen würden, weil die Werte so extrem hoch seien (Prof. Dr. D., UA S. 159) und weil bei dem Zusammentreffen verschiedener Tatbestände letztlich das Dolantin die entscheidende Ursache für den Todeseintritt gesetzt habe, weil die gefundenen Werte mit dem Leben nicht vereinbar seien (Prof. Dr. G., UA S. 162). Daraus wird deutlich, daß beide Sachverständige letztlich ausschlaggebend aus den gefundenen Werten auf die Tödlichkeit der Medikation geschlossen und im wesentlichen lediglich überprüft haben, ob die gefundenen Werte mit der Menge des verabreichten Dolantins übereinstimmen und ob die sonstigen medizinischen Befunde zur Todesursächlichkeit ihrer Annahme entgegenstehen. Dies ist aber mit den von den Schmerz-Sachverständigen dargelegten, vom Landgericht ebenfalls zugrundegelegten neueren Erkenntnissen, wonach aus einer bestimmten Pethidinkonzentration bei einem Schmerzpatienten nicht auf die Todesursächlichkeit geschlossen werden könne, unvereinbar.
Diese Beweiswürdigungsmängel zum Vorliegen eines Tötungsentschlusses und zur Todesursächlichkeit der Dolantingabe führen auf die Revisionen der Angeklagten zur Aufhebung des Urteils mit den zugrundeliegenden Feststellungen; eine teilweise Aufrechterhaltung kommt nicht in Betracht. Auf die weiteren Angriffe im Rahmen der Sachbeschwerde und auf die erhobenen Verfahrensrügen braucht daher nicht eingegangen werden.
Sollte in der neuen Hauptverhandlung zwar kein Tötungsvorsatz, aber die Todesursächlichkeit der Dolantingabe festgestellt werden, wird zu prüfen sein, ob der Angeklagten Dr. Cornelia-Ruth M. ein strafrechtlich relevantes Unterlassen dadurch zur Last fällt, daß sie davon abgesehen hat, die Durchlaufgeschwindigkeit des infundierten Dolantins zu überwachen.
II. Revision der Staatsanwaltschaft
Die Staatsanwaltschaft beanstandet zu Recht, daß das Landgericht beim Angeklagten Dr. Dieter M. zwar Mord aus Habgier angenommen, gleichwohl aber von der Verhängung der nach § 211 Abs. 1 StGB vorgeschriebenen lebenslangen Freiheitsstrafe abgesehen hat, weil es diese im Sinne der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur lebenslangen Freiheitsstrafe (BVerfGE 45, 187 [BVerfG 21.06.1977 - 1 BvL 14/76]) und dem daraufhin ergangenen Beschluß des Großen Senats (BGHSt 30, 105) für unverhältnismäßig gehalten hat. In den Fällen des Mordes wegen Tötung aus Habgier kann die lebenslange Freiheitsstrafe nicht wegen außergewöhnlicher Umstände im Sinne von BGHSt 30, 105 durch eine zeitige Freiheitsstrafe nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB ersetzt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat lediglich bei den Mordmerkmalen der Heimtücke und der Verdeckung einer Straftat eine Kollision mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz für möglich gehalten; die Entscheidung des Großen Senats betrifft nur das Merkmal der Heimtücke. Das Merkmal der Habgier ist ohnehin eng auszulegen. Es liegt bei einem Motivbündel nur vor, wenn das Gewinnstreben tatbeherrschend und damit bewußtseinsdominant war (z.B. BGH NJW 1995, 2365, 2366) [BGH 02.03.1995 - 1 StR 595/94]. Wird ein Mensch aus einem solch niedrigen Motiv getötet, so verstößt die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe nicht gegen den verfassungskräftigen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Es besteht daher auch keine Veranlassung zu einer analogen Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Im übrigen würde das von der Strafkammer festgestellte strafbare Verhalten des Angeklagten ohnehin nicht die Annahme außergewöhnlicher Umstände im Sinne von BGHSt 30, 105 rechtfertigen.
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist dagegen unbegründet, soweit sie sich gegen die Verurteilung der Angeklagten Dr. Cornelia-Ruth M. wegen Totschlags richtet und eine Verurteilung wegen Mordes erstrebt. Nach den Feststellungen der Strafkammer gingen beide Angeklagten und der von ihnen hinzugezogene Internist Dr. S. bei Fassung des gemeinsamen Tötungsentschlusses davon aus, "daß Frau V. ohnehin sterben würde und es nur noch darum ging, sie möglichst rasch sterben zu lassen, um ihr weiteres Leiden zu ersparen" (UA S. 30/31). Dies war - anders als bei dem Angeklagten Dr. Dieter M. - das alleinige Motiv der Angeklagten, die der Meinung war, daß Frau V. schon einen Transport ins Krankenhaus nicht mehr überleben würde (UA S. 29). Sie saugte die Flüssigkeit aus der Luftröhre der Sterbenden ab, wobei sie nicht einmal den Eintritt des Todes bemerkte. Daß unter diesen Umständen das ärztlich und altruistisch motivierte Verhalten der Angeklagten Dr. Cornelia-Ruth M. nicht als Heimtücke-Mord oder Mord aus niedrigen Beweggründen zu bewerten ist, liegt auf der Hand. Die Staatsanwaltschaft verkennt, daß auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen selbst die Verurteilung wegen Totschlags durchgreifenden rechtlichen Bedenken unterliegt. Denn das Landgericht hat nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen, daß die Angeklagte von den tatsächlichen Voraussetzungen der straflosen sog. indirekten Sterbehilfe ausgegangen ist. Eine ärztlich gebotene schmerzlindernde Medikation bei einem sterbenden Patienten wird nämlich nicht dadurch unzulässig, daß sie als unbeabsichtigte, aber in Kauf genommene unvermeidbare Nebenfolge den Todeseintritt beschleunigen kann. In der Literatur ist streitig, ob diese sogenannte indirekte Sterbehilfe schon ihrem sozialen Sinngehalt nach aus dem Tatbestand der Tötungsdelikte herausfällt (so z.B. Dreher/Tröndle, StGB 47. Aufl. vor § 211 Rdn. 17; Jähnke in LK, 10. Aufl. vor § 211 Rdn. 15 und 17). Auch wenn man dies verneint (vgl. zu den Gründen Merkel JZ 1996, 1145, 1148), kann das zu einer Lebensverkürzung führende, den Tatbestand des § 212 oder des § 216 StGB erfüllende Handeln des Arztes jedenfalls nach der Notstandsregelung des § 34 StGB gerechtfertigt sein (so z.B. Lackner, StGB 21. Aufl. vor § 211 Rdn. 7; Schreiber NStZ 1986, 337, 340; weitere Nachw. bei Herzberg NJW 1996, 3043 [BVerwG 31.08.1995 - 5 C 9/95] in Fußnote 1). Entsprechendes gilt für die Strafbarkeit wegen versuchten Totschlags. Denn die Ermöglichung eines Todes in Würde und Schmerzfreiheit gemäß dem erklärten oder mutmaßlichen Patientenwillen (BGHSt 37, 376 [BGH 08.05.1991 - 3 StR 467/90]) ist ein höherwertiges Rechtsgut als die Aussicht, unter schwersten, insbesondere sog. Vernichtungsschmerzen noch kurze Zeit länger leben zu müssen (vgl. Kutzer NStZ 1994, 110, 115 [BGH 19.10.1993 - 1 StR 662/93] und Festschrift für Salger 1995 S. 663, 672).
Daß die Strafkammer auf der Grundlage ihrer Feststellungen bei der Angeklagten Dr. Cornelia-Ruth M. einen sonst minder schweren Fall nach § 213 2. Alt. StGB angenommen hat, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die Voraussetzungen einer eigenen Sachentscheidung des Senats gemäß § 354 Abs. 1 StPO liegen nicht vor. Der Senat hat von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO Gebrauch gemacht.