BVerfG, 19.07.1967 - 2 BvL 1/65
Die durch § 8 Abs. 3 Satz 1 des Zweiten Rentenanpassungsgesetzes vom 21. Dezember 1959 bewirkte Änderung der Altersgrenze für das Altersruhegeld aus der saarländischen Angestelltenversicherung (Art. 2 § 17 des Gesetzes zur Einführung des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes im Saarland vom 13. Juli 1957) ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
Beschluß
des Zweiten Senats vom 19. Juli 1967
– 2 BvL 1/65 –
in dem Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung des § 8 Abs.3 Satz 1 des Zweiten Gesetzes über die Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen aus Anlaß der Veränderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage für das Jahr 1959 (Zweites Rentenanpassungsgesetz) vom 21. Dezember 1959 (BGBl. I S. 765) - Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Landessozialgerichts für das Saarland vom 3. November 1964 - 1 LJ 1/63 Hdw. -.
Entscheidungsformel:
§ 8 Absatz 3 Satz 1 des Zweiten Gesetzes über die Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen aus Anlaß der Veränderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage für das Jahr 1959 (Zweites Rentenanpassungsgesetz) vom 21. Dezember 1959 (Bundesgesetzblatt I Seite 765) ist mit dem Grundgesetz vereinbar, soweit er Artikel 2 § 17 des saarländischen Gesetzes Nr. 590 zur Einführung des Angestelltenversicherungs- Neuregelungsgesetzes im Saarland vom 13. Juli 1957 (Amtsblatt Seite 789) betrifft.
Gründe
A.
I.
Das saarländische Gesetz über Verbesserungen in der Invaliden- und Angestelltenversicherung vom 11. Juli 1951 (ABl. S. 1123) eröffnete den Versicherten die Möglichkeit, auf Antrag schon von der Vollendung des 60. Lebensjahres an Ruhegeld zu beziehen. Voraussetzung war, daß die Versicherten keine versicherungspflichtige Beschäftigung mehr ausübten, kein Einkommen aus selbständiger Tätigkeit über dem gesetzlichen Mindeststundenlohn oder aus einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis bezogen und daß die Wartezeit erfüllt und die Anwartschaft erhalten war.
Nach seiner Eingliederung in die Bundesrepublik führte das Saarland die neuen Rentengesetze des Bundes ein. Bezüglich des erwähnten Ruhegeldes traf das Gesetz Nr. 590 zur Einführung des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes im Saarland (G Nr. 590) vom 13. Juli 1957 (ABl. S. 789) in Art. 2 § 17 folgende Übergangsregelung:
(1) Versicherte, die beim Inkrafttreten dieses Gesetzes ihren ständigen Wohnsitz im Saarland und das 60. Lebensjahr vollendet hatten oder bis zum 31. Dezember 1961 das 60. Lebensjahr vollenden, können auf Antrag anstelle des Altersruhegeldes nach § 23 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes das Altersruhegeld einschließlich des Sonderzuschusses in Höhe von 2100 Franken im Monat nach dem vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Recht erhalten.
(2) Das Altersruhegeld nach Absatz 1 wird nicht gewährt, wenn und solange der Versicherte vor Vollendung des 65. Lebensjahres
a) eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausübt oder
b) Einkommen aus selbständiger Tätigkeit über dem gesetzlichen Mindeststundenlohn hat oder
c) Dienstbezüge auf Grund eines öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses bezieht.
Entsprechende Regelungen sahen Art. 2 § 15 des Gesetzes Nr. 591 zur Einführung des Arbeiterrentenversicherungs- Neuregelungsgesetzes vom 13. Juli 1957 und Art. 4 § 9 des Gesetzes Nr. 635 zur Einführung des Reichsknappschaftsgesetzes und des Knappschaftsrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 18. Juni 1958 vor. Die Bundesregierung stimmte diesen Gesetzen gemäß § 6 des Gesetzes über die Eingliederung des Saarlandes vom 23. Dezember 1956 (BGBl. I S. 1011) zu.
Das Zweite Gesetz über die Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen aus Anlaß der Veränderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage für das Jahr 1959 (Zweites Rentenanpassungsgesetz – II. RAG) vom 21. Dezember 1959 (BGBl. I S. 765) enthielt in § 8 folgende Bestimmungen:
(1) Die Vorschriften dieses Gesetzes gelten im Saarland unter Berücksichtigung der Fassung, in der die in den §§ 1 bis 4 aufgeführten Vorschriften im Saarland anzuwenden sind, und zwar auch für Renten, die nach Artikel 2 § 15 des Gesetzes Nr. 591 zur Einführung des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes im Saarland vom 13. Juli 1957 (Amtsblatt des Saarlandes S. 779), Artikel 2 § 17 des Gesetzes Nr. 590 zur Einführung des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes im Saarland vom 13. Juli 1957 (Amtsblatt des Saarlandes S. 789) und Artikel 4 § 9 des Gesetzes Nr. 635 zur Einführung des Reichsknappschaftsgesetzes und des Knappschaftsrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes im Saarland vom 18. Juni 1958 (Amtsblatt des Saarlandes S. 1099) gewährt werden.
(3) Artikel 2 § 15 des Gesetzes Nr. 591 zur Einführung des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes im Saarland, Artikel 2 § 17 des Gesetzes Nr. 590 zur Einführung des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes im Saarland und Artikel 4 § 9 des Gesetzes Nr. 635 zur Einführung des Reichsknappschaftsgesetzes und des Knappschaftsrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes im Saarland werden aufgehoben. Für Rentenansprüche aus Versicherungsfällen, die nach den in Satz 1 bezeichneten Vorschriften vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingetreten sind, sind diese Vorschriften weiterhin anzuwenden.
Das Gesetz ist am 2. Dezember 1959 vom Bundestag beschlossen worden und am Tag nach seiner Verkündung – nämlich am 25. Dezember 1959 – in Kraft getreten.
II.
1. Der im Jahre 1901 geborene Kläger des Ausgangsverfahrens war seit 1914 in der Angestelltenversicherung versichert und hatte seinen ständigen Wohnsitz im Saarland. Im Jahre 1961 beantragte er bei der Beklagten des Ausgangsverfahrens – der Landesversicherungsanstalt für das Saarland – die Gewährung von Altersruhegeld nach Art. 2 § 17 G Nr. 590. Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, die Vorschrift, auf die der Kläger sein Begehren stütze, sei durch § 8 Abs. 3 II. RAG aufgehoben worden.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger beim Sozialgericht Saarbrücken Klage. Er machte geltend, die Aufhebung des Art. 2 § 17 G Nr. 590 durch § 8 Abs. 3 II. RAG sei wegen Verstoßes gegen Art. 14 GG und wegen Verletzung des Rechtsstaatsprinzips nichtig. Das Sozialgericht wies die Klage durch Urteil vom 5. Februar 1963 ab und führte in den Entscheidungsgründen aus: Zwar gelte der Eigentumsschutz des Art. 14 GG auch für Rentenansprüche aus der Sozialversicherung. Die Aufhebung der durch Art. 2 § 17 G Nr. 590 gegebenen Möglichkeit, bereits mit 60 Jahren in den Genuß des Altersruhegeldes zu gelangen, bedeute jedoch keinen Eingriff von der Schwere und Tragweite einer Enteignung. Auch das Rechtsstaatsprinzip sei durch § 8 Abs. 3 II. RAG nicht verletzt worden. Es liege weder eine echte Rückwirkung noch eine verfassungswidrige unechte Rückwirkung vor; denn der Vertrauensschaden, den der Kläger durch den auf dem Zweiten Rentenanpassungsgesetz beruhenden Eingriff erlitten habe, sei gemessen an der Bedeutung des am Gemeinwohl orientierten Anliegens des Gesetzgebers zu vertreten gewesen.
2. Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht Saarbrücken durch Beschluß vom 3. November 1964 das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 8 Abs. 3 Satz 1 II. RAG verfassungswidrig sei.
Die Vorlage ist wie folgt begründet:
Im Falle der Gültigkeit des § 8 Abs. 3 Satz 1 II. RAG habe der Kläger keinen Anspruch auf Altersruhegeld nach Art. 2 § 17 G Nr. 590. Im Falle der Ungültigkeit jener Norm sei sein Begehren dagegen gerechtfertigt; denn die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 2 § 17 G Nr. 590 seien in seinem Fall sämtlich erfüllt.
Der Senat hält die Vorschrift des § 8 Abs. 3 Satz 1 II. RAG für verfassungswidrig; sie verstoße gegen das Rechtsstaatsprinzip.
Durch das Gesetz über Verbesserungen in der Invaliden- und Angestelltenversicherung vom 11. Juli 1951 sei im Saarland im Bereich der gesamten Rentenversicherung ein Anspruch auf Ruhegeld bei Vollendung des 60. Lebensjahres geschaffen worden. Dieses Ruhegeld sei bei Einführung der neuen Rentengesetze des Bundes im Saarland im Jahre 1957 durch Art. 2 § 17 G Nr. 590 für eine genau festgelegte Übergangszeit – nämlich bis Ende 1961 – beibehalten worden. Die Übergangsregelung sei darauf zurückzuführen, daß anläßlich der Rückgliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik Deutschland von der Regierung des Saarlandes und der saarländischen Öffentlichkeit "die Wahrung des sozialen Besitzstandes" gefordert worden sei. Für die Rente bei Vollendung des 60. Lebensjahres sei diese Forderung zwar nicht vollkommen, aber doch wenigstens hinsichtlich des Bevölkerungsteils erfüllt worden, der in absehbarer Zeit in den Genuß dieser Rentenleistungen gekommen wäre.
Auf Grund des Art. 2 § 17 G Nr. 590 habe jeder Saarländer, der bis zum 31. Dezember 1961 das 60. Lebensjahr vollendet und auch die sonstigen Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt habe, auf die Gewährung des Ruhegeldes vertrauen können. Im Gegensatz zu der heutigen Regelung habe er darauf bedacht sein müssen, bis zum Beginn des Jahres, in dem er das 60. Lebensjahr vollendete, die Anwartschaft, notfalls durch Zahlung von jährlich mindestens 6 Monatsbeiträgen, zu erhalten. Die vorzeitige Aufhebung dieser Übergangsregelung durch § 8 Abs. 3 Satz 1 II. RAG habe alle von dem Versicherten im Vertrauen auf das Einführungsgesetz getroffenen Dispositionen – nämlich die Aufgabe seiner versicherungspflichtigen Beschäftigung und die Vorsorge um die Erhaltung der Anwartschaft durch Zahlung von Versicherungsbeiträgen – gestört und überholt. Der Versicherte sei damit vor eine völlig neue Situation gestellt worden, mit der er nicht habe rechnen können.
§ 8 Abs. 3 Satz 1 II. RAG sei demnach eine Norm mit "unechter Rückwirkung"; er wirke zwar unmittelbar nur auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft ein, entwerte damit aber zugleich nachträglich die betroffene Rechtsposition. Zwingende Gründe des gemeinen Wohls, die die Aufhebung der Übergangsnorm rechtfertigen könnten, seien nicht ersichtlich. § 8 Abs. 3 Satz 1 II. RAG verstoße daher gegen das im Rechtsstaatsprinzip enthaltene Gebot der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes.
Ob auch eine Verletzung der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG vorliege, könne unter diesen Umständen dahingestellt bleiben.
III.
Namens der Bundesregierung hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ausgeführt: Entgegen der Ansicht des vorlegenden Gerichts sei hier kein Fall von unechter Rückwirkung gegeben. Wenn das vorlegende Gericht einen entwertenden Eingriff des Gesetzgebers darin erblicke, daß dem Kläger mit anderen in gleicher Lage eine bestimmte Rechtsfolge ausdrücklich garantiert und sein Vertrauen auf diese Garantie dann enttäuscht worden sei, so übersehe es, daß jede gesetzliche Regelung für die Zukunft zur Disposition des Gesetzgebers stehe. Mit Änderungen des geltenden Rechts müsse der Staatsbürger immer rechnen, soweit sein diesem Recht entsprechendes Handeln mit allen ursprünglich damit verbundenen Rechtsfolgen anerkannt bleibe. Im vorliegenden Fall sei nicht erkennbar, inwiefern der Gesetzgeber Rechtsfolgen eines Handelns des Klägers zunichte gemacht habe. Soweit ein Versicherter eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt und schon dadurch seine Anwartschaft aufrechterhalten habe, habe es keiner Disposition im Hinblick auf den erwarteten Anfall der Rente bedurft. Freilich sei auch der Fall denkbar, daß ein freiwillig Versicherter allein deshalb weiterhin zur Erhaltung der Anwartschaft jährlich mindestens 6 Monatsbeiträge entrichtet habe, um später in den Genuß gerade dieser Leistung zu gelangen; es könne sein, daß es für ihn im Hinblick auf die sonstigen Rentenarten einer weiteren Beitragszahlung nicht bedurft hätte. Darin liege aber keine nachträgliche Entwertung der betroffenen Rechtsposition; denn die entrichteten Beiträge würden dem Kläger bei Eintritt anderer Versicherungsfälle ebenso angerechnet wie allen anderen Versicherten; nur ein bestimmter einzelner Vorteil, nämlich ein früherer Beginn des Altersruhegeldes, den andere Versicherte niemals hätten erwarten können, bleibe ihm versagt. Aber auch dann, wenn man hier eine Einwirkung auf Tatbestände annehmen wolle, die sich in der Entwicklung befänden und die im Hinblick auf eine bestehende günstige Rechtslage geplant worden seien, stehe die zur Prüfung gestellte Vorschrift deswegen in Einklang mit Art. 20 GG, weil sie sachgerecht sei. Sie beseitige eine Regelung, nach der ein kleiner Kreis von Versicherten ohne inneren Grund günstiger gestellt worden sei als andere Versicherte. Die vorübergehende Trennung des Saarlandes von Deutschland habe die Einführung von Sozialleistungen zur Folge gehabt, die zeitweise über das Bundesrecht hinausgegangen seien. Die Grundlage dieser Besonderheiten sei durch die Eingliederung entfallen.
B. Zulässigkeit
Das vorlegende Gericht hat dargetan, daß es § 8 Abs. 3 Satz 1 II. RAG für grundgesetzwidrig hält und daß die Entscheidung des Rechtsstreits von der Gültigkeit dieser Vorschrift abhängig ist. Allerdings kommt es nur insoweit auf die Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Norm an, als diese sich auf Art. 2 § 17 G Nr. 590 bezieht. Die Vorlagefrage ist daher entsprechend einzuschränken (BVerfGE 3, 187 [196]; 8, 274 [292 f.]).
C.
§ 8 Abs. 3 Satz 1 II. RAG ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
I.
Die gesetzliche Bestimmung verstößt nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip.
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind belastende Gesetze, die sich echte Rückwirkung beilegen, regelmäßig wegen Verstoßes gegen das im Rechtsstaatsprinzip enthaltene Gebot der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes verfassungswidrig. Echte Rückwirkung ist gegeben, "wenn das Gesetz nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift" (BVerfGE 11, 139 [145 f.]). Eine solche echte Rückwirkung liegt jedoch nicht vor. Das Zweite Rentenanpassungsgesetz greift nicht in abgeschlossene Tatbestände ein. Soweit bei seinem Inkrafttreten der hier in Betracht kommende Tatbestand vollendet – d. h. der Versicherungsfall bereits eingetreten – war, ist die Regelung des alten, im Saarland geltenden Rechts nicht zum Nachteil der Versicherten geändert worden. Nur für zukünftige Versicherungsfälle wurden die Voraussetzungen der Rentengewährung durch die Aufhebung des Art. 2 § 17 G Nr. 590 umgestaltet.
2. Aus dem rechtsstaatlichen Prinzip der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes ergeben sich jedoch verfassungsrechtliche Grenzen auch bei der sogenannten "unechten Rückwirkung", die darin besteht, daß ein Gesetz "nur auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt" (BVerfGE 11, 139 [146]).
Ob die Abschaffung der Sonderregelung, die in der Sozialversicherung des Saarlandes seit 1951 bestand, allgemein einen Eingriff in gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen bedeutet, mag zweifelhaft erscheinen. Diese Frage bedarf aber keiner weiteren Erörterung; denn nachdem das saarländische Gesetz Nr. 590 vom 13. Juli 1957 die Sonderregelung mit Wirkung vom 1. Januar 1962 aufgehoben hatte, betraf § 8 Abs. 3 Satz 1 II. RAG nur noch den beschränkten Kreis der Arbeitnehmer, die zwischen dem 25. Dezember 1959 und dem 31. Dezember 1961 das 60. Lebensjahr vollendeten. Für diese Rentenberechtigten bedeutete das II. Rentenanpassungsgesetz eine Einwirkung auf einen schon greifbaren, im letzten Entwicklungsstadium befindlichen und vor dem Abschluß stehenden Sachverhalt, auf dessen Fortbestand sie vertrauen konnten. Wägt man indessen den Vertrauensschaden, der hier in Einzelfällen eingetreten sein kann, gegen die Bedeutung der sozialpolitischen Gründe ab, die den Gesetzgeber zur Aufhebung des Art. 2 § 17 G Nr. 590 veranlaßt haben, so ergibt sich, daß der Gesetzgeber die verfassungsrechtlichen Grenzen, die seiner Gestaltungsfreiheit durch das Prinzip des Vertrauensschutzes gesetzt sind, jedenfalls nicht überschritten hat.
a) Im Jahre 1957 wurde durch die Rentenreformgesetze des Bundes die "dynamische Rente" geschaffen, deren Dynamik dadurch bewirkt wird, daß die Renten bei Veränderungen der allgemeinen Bemessungsgrundlage – d. h. bei Veränderungen des durchschnittlichen Bruttojahresarbeitsentgelts aller Versicherten – durch Bundesgesetz angepaßt werden. Die Anpassung hat der Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Produktivität sowie den Veränderungen des Volkseinkommens je Erwerbstätigen Rechnung zu tragen (vgl. § 1272 RVO).
Diese grundlegende und weitreichende Umgestaltung des Sozialversicherungswesens machte die Überleitung des saarländischen Sozialversicherungsrechts erforderlich; ihr diente das saarländische Gesetz Nr. 590. Bei der Beratung des Gesetzes wurde die Frage, ob Versicherte, die sich mit 60 Jahren für das alte (statische) Leistungsrecht entschieden, nicht mit dem 65. Lebensjahr in die Dynamik einbezogen werden könnten, allseits verneint und dazu ausgeführt: Einer solchen Lösung stünden Schwierigkeiten, die kaum überwunden werden könnten, entgegen. Bei der Produktivitätsrente sei das Prinzip der Berechnung nach der Vorleistung, die der Versicherte während seines Arbeitslebens vollbracht habe, nicht mehr möglich. Der Kern der Finanzierung der Rente sei jetzt aus den Mitteln zu bestreiten, die die im Erwerbsleben stehenden Arbeitnehmer zugunsten der aus dem Arbeitsleben Ausgeschiedenen aufbrächten. Es liege daher im Interesse aller, daß ein möglichst gleichlanges Arbeitsleben für alle sichergestellt werde. Außerdem könne es zu unerwünschten arbeits- und wohnungsmarktpolitischen Konsequenzen führen, wenn im Saarland unter gleichen Voraussetzungen die Rente fünf Jahre früher als im sonstigen Bundesgebiet gewährt werde. Im übrigen sei festzustellen, daß bisher nur ein geringer Prozentsatz der Versicherten von dem Recht des vorzeitigen Rentenbezugs Gebrauch gemacht habe (vgl. Saarländischer Landtag, 3. Wahlp., Abt. I, 38. Sitzung vom 8. Juli 1957, S. 1072 [1102]). Aus diesen Erwägungen kam man zu dem Schluß, die Sonderregelung des vorzeitigen Rentenbezugs nur noch für kurze Zeit aufrechtzuerhalten. Dabei bestand Einmütigkeit darüber, daß diese Rente im System der dynamischen Renten einen Fremdkörper bilde und daher statisch bleiben müsse, weil es nicht tragbar sei, den saarländischen Versicherten die Vorteile der auf der Leistung aller Versicherten beruhenden Produktivitätsrente schon fünf Jahre vor dem üblichen Zeitpunkt zu gewähren und sie zugleich dazu anzureizen, daß sie ihre Erwerbstätigkeit und ihre Beitragszahlung fünf Jahre früher als die sonstigen Versicherten einstellen.
Das Erste Rentenanpassungsgesetz des Jahres 1958 galt auch für die vorzeitigen Renten des saarländischen Rechts. Bei dem Zweiten Rentenanpassungsgesetz (1959) stand der Gesetzgeber vor der Frage, ob der die Rente des Art. 2 § 17 G Nr. 590 nochmals in die Anpassung einbeziehen solle oder nicht. In der Beratung des Gesetzes wurden die grundsätzlichen Bedenken gegen die "Dynamisierung" der vorzeitigen Rente im Saarland erneut geltend gemacht und offenbar von der Mehrheit geteilt. Jedoch bestanden auch verständliche Bedenken dagegen, die saarländischen Versicherten, die von der Möglichkeit des vorzeitigen Rentenbezugs Gebrauch gemacht hatten, für immer von der Rentenanpassung auszuschließen. Der Gesetzgeber hatte also gewichtige sachliche Gründe, wenn er die bisher nach Art. 2 § 17 G Nr. 590 gewährten Renten in die Anpassung einbezog, für die Zukunft jedoch den Eintritt solcher Versicherungsfälle verhinderte.
b) Auf Grund des Art. 2 § 17 G Nr. 590 konnten die Versicherten, die bis zum Ende des Jahres 1961 das 60. Lebensjahr vollendet haben, allerdings von der Annahme ausgehen, von diesem Zeitpunkt an berechtigt zu sein, eine Rente zu beziehen. In dieser Erwartung sind diejenigen Versicherten, die nach Inkrafttreten des § 8 Abs. 3 Satz 1 II. RAG, also zwischen dem 25. Dezember 1959 und dem 31. Dezember 1961, das 60. Lebensjahr vollendet haben, enttäuscht worden. Das Vertrauen auf den Bestand des Art. 2 § 17 G Nr. 590 kann aber nur einen bestimmten beschränkten Kreis der Versicherten hinsichtlich ihrer Tätigkeit oder hinsichtlich ihrer Beitragszahlung zu besonderen Dispositionen veranlaßt haben. Der Bezug der Rente setzte zwar voraus, daß der Versicherte bestimmte Erwerbstätigkeiten nicht mehr ausübte. Art. 2 § 17 G Nr. 590 gab jedoch keinen Anlaß, die betreffende Tätigkeit schon vor Vollendung des 60. Lebensjahres einzustellen. Da einerseits die Aufhebung des Art. 2 § 17 G Nr. 590 durch das Zweite Rentenanpassungsgesetz nur die Versicherten traf, die erst nach Inkrafttreten des Zweiten Rentenanpassungsgesetzes – also am 25. Dezember 1959 oder später – 60 Jahre alt wurden, und da andererseits seit der Beschlußfassung des Bundestages über das Zweite Rentenanpassungsgesetz am 2. Dezember 1959 ein Vertrauen auf Art. 2 § 17 G Nr. 590 nicht mehr möglich war (vgl. BVerfGE 14, 288 [298]), können die von § 8 Abs. 3 Satz 1 II. RAG betroffenen Versicherten nur in Ausnahmefällen geltend machen, ihre Tätigkeit infolge ihres Vertrauens auf Art. 2 § 17 G Nr. 590 aufgegeben zu haben, nämlich nur dann, wenn sie – anders als der Kläger des Ausgangsverfahrens – schon in den ersten Wochen nach Inkrafttreten des Zweiten Rentenanpassungsgesetzes 60 Jahre alt geworden sind und daher – etwa wegen der geltenden Kündigungsfristen – bereits vor dem 2. Dezember 1959 Maßnahmen zur rechtzeitigen Beendigung ihrer Tätigkeit treffen mußten. Insoweit mag die Aufhebung des Art. 2 § 17 G Nr. 590 zu gewissen Härten geführt haben.
Die Versicherten werden in aller Regel auch keine besonderen Beitragszahlungen im Hinblick auf Art. 2 § 17 G Nr. 590 geleistet haben. Zwar ist es, wie die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme einräumt, denkbar, daß ein freiwillig Versicherter zum Erwerb des Rentenanspruchs nach Art. 2 § 17 G Nr. 590 noch Beitragszahlungen entrichten mußte und entrichtet hat, die für die sonstigen Rentenarten nicht nötig gewesen wären. Doch die höheren Beitragsleistungen waren dann nicht etwa verloren, sondern wirkten sich für den Betroffenen auch bei Eintritt anderer Versicherungsfälle aus.
Insgesamt läßt sich also feststellen, daß die von § 8 Abs. 3 Satz 1 II. RAG betroffenen Versicherten nur in Ausnahmefällen durch Art. 2 § 17 G Nr. 590 zu besonderen Dispositionen veranlaßt worden sein können und daß selbst in diesen Ausnahmefällen der durch die Aufhebung des Art. 2 § 17 G Nr. 590 bedingte Vertrauensschaden ohne Schwierigkeit zu beheben war.
In all diesen Fällen ergibt sich bei Abwägung des Ausmaßes des Vertrauensschadens gegen die Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens, daß das Ziel, einen Fremdkörper aus dem Sozialversicherungssystem zu entfernen, den Vorrang hatte. Der Gesetzgeber konnte infolgedessen die Regelung des § 8 Abs. 3 Satz 1 II. RAG treffen, ohne die ihm gesetzten Grenzen zu überschreiten.
Freilich mögen auch solche Versicherte, die keinerlei besondere Dispositionen im Hinblick auf Art. 2 § 17 G Nr. 590 getroffen haben, durch die Aufhebung dieser Bestimmung enttäuscht worden sein. Die bloße Enttäuschung von Hoffnungen aber kann bei der verfassungsrechtlichen Prüfung nicht ins Gewicht fallen; der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht nicht so weit, dem Staatsbürger jegliche Enttäuschung zu ersparen (BVerfGE 14, 288 [299]).
II.
§ 8 Abs. 3 Satz 1 II. RAG verstößt auch nicht gegen Art. 14 GG.
Wie das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen hat, gehören der Anspruch auf die Sozialversicherungsleistung bei Eintritt des Versicherungsfalles und die als Anwartschaft bezeichnete Position bis zu diesem Zeitpunkt zu den öffentlich-rechtlichen Vermögenspositionen, für die der Schutz des Art. 14 GG nur dann in Anspruch genommen werden kann, wenn sie nicht ausschließlich auf staatlicher Gewährung, sondern auf eigener Leistung beruhen (BVerfGE 11, 221 [226]; 14, 288 [293]).
Die Anwartschaft der in der Sozialversicherung Versicherten auf Altersversorgung mag zu den öffentlich-rechtlichen Positionen gehören, die (mit) auf eigener Leistung der Versicherten beruhen und daher des Eigentumsschutzes fähig sind. Dieser Eigentumsschutz erstreckt sich aber nicht auf die durch Art. 2 § 17 G Nr. 590 begründete Aussicht der saarländischen Versicherten, das Altersruhegeld – im Gegensatz zu der früheren und der im übrigen Bundesgebiet geltenden Regelung – bereits von der Vollendung des 60. Lebensjahres an beziehen zu können. Ob das Altersruhegeld vom 60. oder erst vom 65. Lebensjahr an gewährt wird, zählt ebensowenig wie die Beitrags- und Leistungshöhe zum feststehenden Inhalt jener Anwartschaft. Die Veränderlichkeit der genannten Modalitäten ist von vornherein in der Anwartschaft angelegt; sie entspricht dem Charakter der Sozialversicherung, die auf dem Prinzip der Solidarität und des sozialen Ausgleichs beruht (BVerfGE 11, 221 [226]; 20, 52 [54]).
In der Aufhebung des Art. 2 § 17 G Nr. 590 liegt daher nur eine Modifikation der Anwartschaft, nicht eine Enteignung.
III.
Auch Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht verletzt. Zwar sind die saarländischen Versicherten, die nach dem Inkrafttreten des § 8 Abs. 3 Satz 1 II. RAG ihr 60. Lebensjahr vollendet haben, benachteiligt gegenüber denjenigen, die vorher 60 Jahre alt geworden sind. Diese Differenzierung ist aber nicht willkürlich, sondern war notwendig mit der aus sozialpolitischen Gründen vorgenommenen Gesetzesänderung verbunden.
IV.
Diese Entscheidung ist mit sechs Stimmen gegen eine ergangen.