RG, 24.09.1880 - II 185/80

Daten
Fall: 
Eisenbahnstationen als Niederlassungen im Sinne von § 22 C.P.O.
Fundstellen: 
RGZ 2, 386
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
24.09.1880
Aktenzeichen: 
II 185/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Leipzig.
  • OLG Dresden.

Sind Eisenbahnstationen als Niederlassungen im Sinne von §. 22 der C.P.O. anzusehen?

Tatbestand

Unter dem Anführen, daß der Wagenrücker K. bei dem Rangieren eines Güterzuges in der Nähe des Dresdener Bahnhofes zu Leipzig körperlich beschädigt worden, demzufolge aber verstorben sei, beanspruchten die Witwe und die Kinder von K. auf Grund des Reichsgesetzes vom 7. Juni 1871 Ersatz des ihnen durch diesen Todesfall entzogenen Unterhaltes, Sie erhoben deshalb wider den K. sächs. Staatsfiskus, als Betriebsunternehmer der Leipzig-Dresdener Eisenbahn, vor dem Landgerichte zu Leipzig Klage. Der Beklagte bestritt die Zuständigkeit des Gerichts. Die erste Instanz wies in Beachtung der Einrede die Klage ab. Sie stellte fest, daß die zur Vertretung des Beklagten berufene Behörde ihren Sitz in Dresden, der Beklagte daher seinen allgemeinen Gerichtsstand bei den dortigen Gerichten habe. Die zweite Instanz bestätigte. Hiergegen legten die Kläger Revision ein, welche zurückgewiesen wurde aus folgenden Gründen:

Gründe

Die C.P.O. verstattet in §. 22, bei dem Gerichte des Ortes, wo jemand zum Betriebe einer Fabrik, einer Handlung oder eines anderen Gewerbes eine Niederlassung hat, von welcher aus unmittelbar Geschäfte geschlossen werden, alle auf den Geschäftsbetrieb der Niederlassung bezüglichen Klagen zu erheben. Den Begriff der Niederlassung bestimmt das Gesetz nicht näher. Sichere Anhalte für dessen Bestimmung sind jedoch durch die Begründung des Entwurfs der C.P.O. gegeben. Wie hier (S. 412 der Kortkampfschen Ausgabe) ausdrücklich hervorgehoben wird, ist der besondere Gerichtsstand der Niederlassung dem Gerichtsstände des Wohnsitzes nachgebildet. Das Etablissement - fährt die Begründung fort - wird, was die auf den Geschäftsbetrieb desselben bezüglichen Klagen anlangt, dem Wohnsitze gleichgeachtet; dasselbe gilt für das Gut, was die Klagen aus den auf dessen Bewirtschaftung sich beziehenden Rechtsverhältnissen betrifft. Dabei verweist die Begründung auf S. 36 flg. des Kommissionsberichtes der Nürnberger Konferenz über das Rechtshilfegesetz. Das von dieser Konferenz bearbeitete, auch von mehreren deutschen Regierungen genehmigte, im Königreiche Sachsen durch Verordnung vom 16. Januar 1865 bekannt gemachte Gesetz, die in den deutschen Bundesstaaten in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten gegenseitig zu gewährende Rechtshilfe betreffend, enthält im §. 5 die nämlichen Vorschriften, welche sich, nur teilweise etwas anders gefaßt, im §. 22 der C.P.O. wiederfinden. Zur Auslegung des §. 22 darf sonach der gedachte Kommissionsbericht, die Ausarbeitung von Vorschlägen für eine allgemeine Gesetzgebung über den Gerichtsstand und über die Vollziehbarkeit rechtskräftiger Urteile in den deutschen Bundesstaaten betreffend (gedruckt Leipzig 1859), benutzt werden. Derselbe erläutert den Sinn des Gesetzes an mehreren Stellen, von denen gegenwärtig hauptsächlich folgende in Betracht kommen.

Zunächst wird (S. 35 flg. zu §.11 des Entwurfes) mit Bezugnahme auf I. 19. §. 2 D. de jud. 5, 1 bemerkt:
Schon gemeinrechtlich wird durch ein Etablissement ein Gerichtsstand begründet. Dieser Gerichtsstand ist kein forum domicilii, sondern es werden nur auf den Fall, wo jemand kleinere Kreise seines gewerblichen und Geschäftslebens an einen von seinem Tomieile verschiedenen Ort verlegt hat, für diesen Kreis die Grundsätze über den Gerichtsstand des Domicils angewendet; das Etablissement wird, was die darauf bezüglichen Klagen anlangt, dem Wohnsitze gleichgeachtet.

Sodann heißt es (S..37):
Nach dem Entwurfe wird das Vorhandensein einer Niederlassung zum Betriebe einer Handlung, einer Fabrik oder eines anderen Gewerbes vorausgesetzt, von welcher aus unmittelbar Geschäfte geschlossen werden. Es müssen mithin am Orte des hier fraglichen Gerichtsstandes solche Einrichtungen bestehen, aus denen sich ergiebt, daß dieser Ort den Mittelpunkt des Handelsverkehrs oder eines gewissen, seiner äußeren Erscheinung nach abgesonderten Kreises des gewerblichen und Geschäftslebens einer Person oder Gesellschaft bildet, daß der gesamte Handelsverkehr oder jener abgesonderte Kreis der Geschäftsthätigkeit hier gewissermaßen domiciliert sei.

Sodann erörtert der Bericht die Frage, welchenfalls der Gerichtsstand des Etablissements für Agenturen von Versicherungsgesellschaften zuzulassen sei. Darüber wird (S. 37 flg.) gesagt: Betreibt eine Versicherungsgesellschaft des Staates A. ihre Geschäfte in dem Staate B. in der Weise, daß ihre dortigen Institoren durch Eröffnung eines Geschäftslokales, Aushängung einer Firma und Abschließung der Versicherungsverträge unter dieser Firma oder in sonstiger Weise zu erkennen geben, daß hier ein abgesonderter Kreis der Geschäfte jener Versicherungsgesellschaft des Staates A. seinen örtlichen Mittelpunkt habe, so würde dies allerdings als ein Gewerbsetablissement der hier fraglichen Art anzusehen sein. Befindet sich dagegen in dem Staate B. nur eine Agentur jener Versicherungsgesellschaft, welche die Versicherungsverträge für die Versicherungsgesellschaft des Staates A. vermittelt und die Versicherungsanträge an letztere zum Behuf des definitiven Abschlusses einsendet, so würde sich in dem Staate B. kein örtlicher Mittelpunkt auch nur eines Kreises des Geschäftslebens jener Versicherungsgesellschaft befinden, dieser Geschäftsbetrieb vielmehr nur als Ausfluß des Geschäftsbetriebes der Versicherungsgesellschaft des Staates A. erscheinen und daher die Voraussetzung des Gerichtsstandes des Etablissements nicht vorliegen.

Die vorstehenden Erläuterungen haben bei der nachherigen Beratung des Gesetzes inhalts der Konferenzprotokolle (Verhandlungen der Kommission zur Beratung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches, die in den deutschen Bundesstaaten in bürgerlichen Rechtsstreitigkeit gegenseitig zu gewährende Rechtshilfe betreffend, Nürnberg 1861 S. 47 flg., 121 flg.) keinen Widerspruch, gefunden.

Hiernach aber können Eisenbahnstationen, selbst die sogenannten Hauptstationen, an denen sich Bahnhöfe befinden, nicht als Niederlassungen betrachtet werden, wie sie §. 22 der C.P.O. vor Augen hat, wenigstens in der Regel nicht. Eine Eisenbahn, welche die Beförderung von Personen und Gittern auf einer bestimmten Linie gewerbsmäßig besorgt, stellt sich als ein einheitliches Gewerbsunternehmen dar, zum mindesten dann, wenn das Ganze, wie gewöhnlich, von einer Centralstelle aus geleitet wird. Das Unternehmen ist ein untrennbares Ganze, obwohl es zu seiner Durchführung eine räumliche Verteilung des Betriebes, die Errichtung einer Mehrheit von Anstalten auf verschiedenen Punkten der Bahnlinie erheischt, woselbst die Bahnverwaltung mit dem Publikum unmittelbar Geschäfte (Transportverträge) abschließt, die übernommenen Transporte vorbereitet, beginnt und beendigt. Mögen auch die an den einzelnen Verkehrsstellen verwendeten oberen Beamten in gewissen Geschäftszweigen zu selbständigen? Handeln ermächtigt sein, immerhin haben sie dabei die allgemeinen Anordnungen der Hauptverwaltung über Fahrplan, Fahrgelder, Frachtsätze und sonstige Vertragsbedingungen zu befolgen, und immerhin dient ihre Thätigkeit nur dem Gesamtzwecke des ganzen Unternehmens. Sie treten als bloße Geschäftsvermittler und Gehilfen der Hauptverwaltung auf. Die Station und ihre Verwaltung bildet lediglich einen Bestandteil des Gesamtunternehmens, einen Ausfluß des Geschäftsbetriebes der Centralstelle. Denn wie das Gesamtunternehmen ohne Stationen nicht bestehen könnte, so würden sich auch Stationen ohne Bahnlinie nicht denken lassen. Ein gesonderter Kreis des. Gewerbslebens der Hauptverwaltung, ein Mittelpunkt dieses Gewerbslebens, der ein wohnsitzartiges Verhältnis begründete, liegt im Geschäftsbetriebe der einzelnen Station vor allem darum nicht, weil der Zweck der ganzen Transportanstalt gerade nur durch die ineinander greifende Geschäftsführung sämtlicher dazu gehöriger Stationsverwaltungen zu erreichen ist. Das auf der einzelnen Station abgeschlossene Transportgeschäft kann nicht von der betreffenden Stationsverwaltung allein, sondern nur unter Mitwirkung anderer Verwaltungsstellen, auch nur vermittelst der von der Hauptverwaltung angeschafften Betriebsmittel und mit Hilfe des zu deren Handhabung und Bedienung angestellten Personales, sowie unter Benutzung der außerhalb der Station gelegenen Bahnstrecken ausgeführt werden. Die einzelne Station verspricht daher durch den von ihr eingegangenen Transportvertrag eine dem Geschäftskreise des Gesamtunternehmens ungehörige Leistung, nicht aber eine ihrem Geschäftskreise eigentümliche Leistung. Zuzugeben ist, daß die Verwaltung der einzelnen Station sich gewöhnlich mit bestimmten Klassen von Geschäften befaßt, welche eben nur an dieser Station vorkommen. Die von der Station ausgehenden Transporte pflegen lediglich dort, auf der Abgangsstation, nicht auf anderen Stationen übernommen zu werden, und ebenso regelmäßig ist die Ankunftsstation mit der Einhebung der nicht zum voraus gezahlten Frachtgelder beauftragt. Allein diese durch die Natur der Sache gebotene örtliche Verteilung des Geschäftsbetriebes rechtfertigt eine Zerlegung des Geschäftsbetriebes der Gesamtunternehmung in eine Mehrzahl nach Stationen gesonderter, in sich selbständiger Kreise des Geschäftslebens um so weniger, als die Station - und das ist ein zweites Merkmal, das ihr zum Begriffe der Niederlassung fehlt - ihrer äußeren Erscheinung nach keine vom Geschäftskreise des Ganzen abgegrenzte gewerbliche Stellung einnimmt. Einrichtungen, aus denen hervorginge, daß die Hauptverwaltung der Bahn am Stationsorte einen besonderen Zweig ihres Transportunternehmens betreiben läßt, bestehen auf der Station nicht. Namentlich führt die Stationsverwaltung keine eigene, von der Benennung des Gesamtunternehmens unterschiedene Firma. Sie kontrahiert im Namen der Hauptverwaltung.

In der That also sind für die Beurteilung der vorliegenden Frage nahezu die nämlichen Erwägungen maßgebend, welche gegen die Eintragung einer Eisenbahnstation als Zweigniederlassung in das Handelsregister sprechen.1 Soll eine Eisenbahnverwaltung dem Gerichtsstande der Niederlassung unterworfen werden, so wäre derselbe nur an dem Orte zu suchen, wo sich der Sitz der Hauptverwaltung befindet.

Allerdings können ausnahmsweise Verhältnisse obwalten, welche einer Eisenbahnstation nach gewisser Richtung hin die Eigenschaft einer Niederlassung der in §. 22 der C.P.O. bemerkten Art geben. Unter anderem kann das nach Befinden der Fall sein, wenn die Stationsverwaltung ein dem eigentlichen Zwecke des ganzen Unternehmens fremdes Nebengewerbe betreibt. Dergleichen Ausnahmezustände sind jedoch hier nicht in Frage. Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht auf der Annahme, daß bei der Leipzig-Dresdener Staatseisenbahn und bei der Leipziger Station besondere von dem gewöhnlichen Eisenbahnbetriebe abweichende Einrichtungen nicht bestehen, auch daß die Hauptverwaltung außerhalb des Bezirkes des Landgerichts Leipzig ihren Sitz hat. Insoweit handelt es sich um die Feststellung thatsächlicher Zustände. Die Revisionskläger behaupten nicht, daß dieselbe unter Verletzung des Gesetzes erfolgt sei. Der einzige Umstand, den sie neuerdings wiederholt geltend machen, um die Leipziger Station als Niederlassung zu kennzeichnen, erscheint einflußlos. Darauf, daß der Rangierdienst, bei welchem der Wagenrücker K. verunglückt sein soll, durch einen in Leipzig angestellten Oberinspektor selbständig geleitet wird, kann deshalb nichts ankommen, weil das Wagenrangieren im Interesse des ganzen Unternehmens geschieht, nicht mit einem der Station eigentümlichen Geschäftsbetriebe und am wenigsten mit einer solchen besonderen Gewerbsthätigkeit zusammenhängt, wie sie der Begriff der Niederlassung erfordert. Somit lag auch kein Anlaß vor, die Sache behufs Feststellung jenes Umstandes an die Vorinstanz zurückzuverweisen. ...

  1. 1. Zu vergl. Anschütz u. v. Völderndorff, Komment. z. H.G.B. Bd. 1 S. 177 flg. - R.O.H.G.-Entscheidungen Bd. 14 Nr. 125 S. 402. - Zu §. 22 der C.P.O. sind abweichender Ansicht die Kommentare von Kleiner, Bd. 1 S. 158, Petersen, Bd. 1 S. 68, Gaupp, Bd. 1 S. 73, Puchelt, Bd. 1 S. 158 flg.]