RG, 22.09.1880 - I 817/80

Daten
Fall: 
Stützen einer Revision auf die Ablehnung angebotener Gegenbeweise durch den Berufungsrichter
Fundstellen: 
RGZ 2, 383
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
22.09.1880
Aktenzeichen: 
I 817/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hamburg, Kammer für Handelssachen.
  • OLG Hamburg.

Kann die Revision darauf gestützt werden, daß der Berufungsrichter auf Grund einer, von der in erster Instanz erkennenden Kammer für Handelssachen aus eigner Sachkunde festgestellten Usance die Erhebung angebotener Gegenbeweise abgelehnt hat?

Aus den Gründen

"Obwohl der Beklagte in betreff der behaupteten Angemessenheit und Üblichkeit des dem Schiffsmakler S. für dessen Bemühungen als Havariekommissar in Havariegrosse zu vergütenden Betrages von 2 % des Weites von Schiff, Fracht und Ladung - im vorliegenden Falle 4629,72 M. - die Dispacheure J. in Hamburg, F. in Papenburg und D. & D. in Cuxhaven in erster Instanz als Zeugen und in zweiter Instanz als Sachverständige zu vernehmen beantragt hat, ist hierauf gerichtsseitig nicht eingegangen, sondern ohne Beweisaufnahme der hier fragliche, in Havariegrosse zu verrechnende Posten von dem ersten Richter auf 1800 M. festgestellt und von dem Berufungsrichter auf 1000 M. ermäßigt.

Die Verletzung einer Rechtsnorm von seiten des Berufungsrichters kann hierin aber nicht gefunden werden. Wenn nämlich in Übereinstimmung mit dem ersten Richter der Berufungsrichter es für unzulässig erachtet, dem Schiffsmakler S. für seine Bemühungen im gemeinschaftlichen Interesse den geforderten Prozentsatz von dem Werte des Schiffes, der Fracht und der Ladung in Havariegrosse zuzubilligen, und er vielmehr hierfür nur eine nach billigem richterlichen Ermessen festzusetzende Pauschsumme passieren lassen will, so hat er hierbei offenbar auch die fernere Erklärung des ersten Richters vor Augen, nach welcher "früher in ähnlichen Fällen", ebenso verfahren ist. Außerdem führt der Berufungsrichter an, gegen die behauptete Üsancemäßigkeit des geforderten Prozentsatzes spreche entscheidend schon der Umstand, daß im vorliegenden Falle der Dispacheur die Aufnahme einer so berechneten Vergütung in die Dispache verweigert hat. Nun gehört aber die Existenz oder Nichtexistenz der behaupteten Üsance zu denjenigen Gegenständen, über welche nach §.118 des Gerichtsverfassungsgesetzes die erste Instanz als Kammer für Handelssachen auf Grund eigener Sachkunde und Wissenschaft zu entscheiden befugt war, ohne verpflichtet zu fein, die ihr dieserhalb von den Parteien angebotenen Beweise zu erheben. Wie daher die erste Instanz dadurch, daß sie von dieser Befugnis Gebrauch machte, gegen eine Prozeßvorschrift nicht, verstoßen hat, kann dieser Vorwurf auch den Berufungsrichter nicht treffen, wenn derselbe die von dem ersten Richter auf gesetzlichem Wege festgestellte Nichtexistenz der Üsance zu bezweifeln keine Veranlassung fand. Dies letztere hat er aber in genügender Weise zu erkennen gegeben, indem er als entscheidendes Moment für seine Überzeugung von der Nichtexistenz der Üsance auch noch den vom ersten Richter unerwähnt gelassenen Umstand bezeichnet, daß auch im vorliegenden Falle der Dispacheur die Aufnahme einer so berechneten Vergütung in die Dispache verweigert habe. Hiermit erklärt der Berufungsrichter unter Angabe von Gründen die hier fragliche Thatsache für eine auch ihm bereits offenkundige und den vom Beklagten angebotenen entgegenstehenden Beweis für unerheblich, d. h. für nicht geeignet, seine Überzeugung zu erschüttern.

Nach dem der Civilprozeßordnung zum Grunde liegenden Princip der freien Beweiswürdigung, insbesondere nach §§. 259 und 264 C.P.O., war aber der Berufungsrichter unter solchen Umständen berechtigt, die Aufnahme des angebotenen Beweises abzulehnen.

Ist darin, daß der Berufungsrichter für die dem Makler S. gebührende Vergütung nicht den Wert von Schiff, Fracht und Ladung, sondern das billige Ermessen des Richters mit Rücksicht auf die gehabte Mühewaltung für maßgebend erachtet, eine Gesetzesverletzung nicht zu finden, so erscheint es auch als gerechtfertigt, wenn er bei der Ausübung seines richterlichen Ermessens die ihm nach seinem Zeugnisse bekannten Präcedenzfälle zum Grunde gelegt hat. Durch eine unzutreffende Würdigung des konkreten Falles würde er eine Rechtsnorm nicht verletzt haben. Die Revision war daher als unbegründet zurückzuweisen."