RG, 05.01.1880 - I 105/79
Ist derjenige zur Geltendmachung der Rechte des Wechselinhabers befugt, welcher auf einer laufenden, in seiner Hand befindlichen Tratte zuerst als Indossatar, dann als Indossant erscheint?
Tatbestand
Den der Klageforderung entgegengestellten Einwand der Kompensation gründet der Beklagte auf eine (nebst der Urkunde über die Protesterhebung mangels Zahlung) vorgelegte, von dem Kläger acceptierte Tratte, auf deren Rückseite dem Indossament des Trassanten auf den Beklagten, das Indossament des Beklagten auf einen Dritten folgt, während nach der Protesturkunde die Zahlungsaufforderung gegen Präsentation des so beschaffenen Wechsels und die Erhebung des Protestes nicht im Auftrage des laut Wechsel letzten Indossatars, sondern im Auftrage des Beklagten gethätigt worden sind. Der Appellationsrichter verwarf die Kompensationseinrede, weil der Wechsel, sowohl zur Zeit der Aufforderung zur Zahlung und Protesterhebung, als auch gegenwärtig, gegen das Recht des Beklagten auf die Wechselsumme spreche. In der gegen das Urteil zweiter Instanz eingelegten Nichtigkeitsbeschwerde wird als Nichtigkeitsgrund gerügt: Verletzung der Artt. 36, 41, 44, 45 W.O. Die Beschwerde ist zurückgewiesen, aus folgenden Erwägungen:
Gründe
"Der Decisiv-Grund des angegriffenen Urteiles verletzt keineswegs die Artt. 36, 41, 44, 55 W.O., entfließt vielmehr mit Notwendigkeit aus der (im Sinne des Gesetzgebers gebotenen) Formstrenge des Wechselrechtes in Verknüpfung mit der Bestimmung des Art. 10 W.O.:
"durch das Indossament gehen alle Rechte aus dem Wechsel auf den Indossatar über".
Derjenige, welcher nach dem gegenwärtigen Urkundsinhalte des laufenden Wechsels auf demselben zuerst als Indossatar, dann aber als Indossant geschrieben steht, erscheint (auch wenn er den Wechsel hat) laut Wechsel als nicht befugt zu gegenwärtiger Ausübung der Rechte des Wechselinhabers (Begebung, Begehren der Wechselsummen- Zahlung von dem Wechselacceptanten gegen Präsentation dieses so beschaffenen Wechsels und folgeweisen Auftrag zur Protestlevierung mangels Zahlung dieses Wechsels).
Allerdings ist es an sich nicht unmöglich, daß eine solche Person, welche einen solchen Wechsel hat, nicht bloß durch dieses faktische Haben sich thatsächlich in der Lage befindet, das von ihr auf dem laufenden Wechsel geschriebene Indossament auszustreichen, sondern daß sie auch rechtlich dazu befugt ist. Es kann zum Beispiel der (durch eine zusammenhängende Reihe von Giros legitimierte, den Wechsel besitzende) Wechselinhaber lediglich in Erwartung einer (möglicher Weise sich findenden) Gelegenheit zur Wechselbegebung sein Indossament auf den Wechsel geschrieben haben. Giebt er demnächst (während der Wechsel von ihm nicht begeben, sondern in seiner Hand verblieben ist) die Intention der Wechselbegebung auf, so ist er wohl befugt, sein Indossament auszustreichen. Er ist dann, wenn er diese Befugnis wirklich bethätigt, dieses Indossament wirklich ausstreicht, laut Wechsel zur Geltendmachung der Rechte aus dem laufenden, in seiner Hand befindlichen, Wechsel legitimiert. Unterläßt er dagegen die Ausstreichung und verlangt (lediglich gegen Präsentation des so beschaffenen Wechsels) zu Verfall Zahlung von dem Wechselacceptanten, so ist der Acceptant nicht verpflichtet, auf eine solche Präsentation die Wechselsumme zu zahlen, weil der Wechsel selbst gegen das Recht des Präsentanten zu dem Zahlungsbegehren spricht. Es ist eine einfache Konsequenz dieser Grundsätze, daß ein im Auftrage einer solchen Person, welche zur Zeit der Protestlevierung auf dem präsentierten Wechsel als Indossatar, und demnächst als Indossant, geschrieben steht, erhobener Protest mangels Zahlung ungültig ist. Durch den Besitz des derartigen Wechsels und derartigen Protestes kann weder ein Wechselregreß-Anspruch substanziiert, noch dürfen dadurch die entwickelten Grundsätze über die Legitimation desjenigen, welcher den Wechsel hat, gegen den Wechselacceptanten beeinflußt werden. So aber liegt der vorliegende Fall, welcher zur Bestimmung der Normen über die wechselurkundenmäßige Legitimation desjenigen, welcher den Wechsel hat, bei fernerer Geltendmachung von Rechten aus dem Wechsel (zum Beispiel durch Klage oder Einrede) gegen den Acceptanten, nachdem der Wechsel durch Präsentation des fälligen Wechsels, seitens des laut Wechsel legitimierten Wechselinhabers bei dem Wechselacceptanten zur Zahlung der Wechselsumme und durch im Auftrage dieser Person gehörig erfolgter Erhebung des Protestes mangels Zahlung rückläufig geworden ist, keine Veranlassung giebt."1
- 1. Vgl. I. folgende Entscheidungen des Reichsoberhandelsgerichtes:
a) in Bezug auf die Normen bei laufenden Wechseln: Entsch. Bd. 14 Nr. 48 S. 152; Bd. 18 Nr. 77 S. 271; Bd. 22 Nr. 73 S. 319.
b) in Bezug auf die Normen bei rückläufigen Wechseln: Entsch. Bd. 12 Nr. 15 S. 49; Bd. 13 Nr. 20 S. 671; Bd. 18 Nr. 77 S. 271; Bd. 24 Nr. 37 S. 123.
c) in Bezug auf die Auslegung der Artt. 36. 55 D.W.O. (wenn auch in einem anders gearteten Falle): Entsch. Bd. 1 Nr. 70 S. 247. II. Hoffmann, Ausf. Erl. der A.D.W.O. 2. Ausg. §. 61 S. 428. 429, sowie im Archiv für prakt. Rechtswissensch. VI. S. 284-292. Abweichende Grundsätze sind ausgeführt:
A.) in der Entsch. des obersten österreich. Gerichtshofes v. 5. Sept. 1851 Z. 7091 in Peitlers Sammlung Bd, I. Nr. 11 S. 10; so wie
B) von Thöl, Handelsrecht Bd. II. 4. Aufl. §. 130 S. 511-513.