RG, 03.03.1880 - V 92/80
Steht bei der Kollektiv-Unfallversicherung eines Gewerbeunternehmers zu Gunsten seiner Gewerbegehilfen mit der Abrede, daß bei Unfällen mit tödlichem Ausgange die Versicherungssumme an die empfangsberechtigten Hinterbliebenen gezahlt wird, den Hinterbliebenen des durch Unfall getöteten Gewerbegehilfen ein unmittelbares Klagerecht gegen den Versicherer zu?1
Tatbestand
Die Beklagte hat dem Fuhrwerksunternehmer G. auf das in seinem Gewerbe beschäftigte Personal von 6 Personen gegen die Folge körperlicher Unfälle in dem Betriebe des Gewerbes in bestimmter Beschränkung für den Kopf eine Versicherung von 2000 Thalern gegeben.
In §. 17a der allgemeinen Versicherungsbedingungen ist bestimmt, daß bei Unfällen mit tödlichem Ausfalle ein Kapital in dem vollen Betrage der Versicherungssummen an die empfangsberechtigten Hinterbliebenen gezahlt wird.
Der Erblasser der Kläger, einer der sechs Fuhrknechte des G., ist bei dem Betriebe des Gewerbes innerhalb der durch den Versicherungsvertrag gezogenen Schranken durch Unfall getötet. Nach seinem Tode haben die Kläger in einem Notariatsakte unter Zustimmung des G. ihren Beitritt zu dem Versicherungsvertrage erklärt.
Die Kläger fordern 6000 Mark nebst 5 Proz. Zinsen seit der Klagebehändigung. Die Beklagte hat unter anderem den Klägern ein eigenes Klagerecht bestritten, weil ein Vertrag zu Gunsten Dritter vorliege, welcher nach §. 75 I. 5 A.L.R. deren Beitritt erfordere, ein solcher Beitritt in der notariellen Erklärung der Kläger nicht liege, da die Beklagte ihnen die Einwilligung zum Beitritte nicht gegeben habe, dieselbe auch nur vom Erblasser der Kläger hätte erfolgen können.
Durch Erkenntnis erster Instanz ist die Beklagte nach dem Klageantrage verurteilt; auf Appellation derselben sind durch das zweite Erkenntnis die Kläger abgewiesen. Auf die Nichtigkeitsbeschwerde der Kläger hat das Reichsgericht das zweite Erkenntnis vernichtet und das erste bestätigt aus folgenden Gründen:
Gründe
"Für das gemeine Recht besteht in Theorie und Praxis wesentlich Übereinstimmung darüber, daß bei der Lebensversicherung derjenige, zu dessen Gunsten sie genommen ist, aus dem Vertrage des Versicherers und des Versicherungsnehmers ein selbständiges Klagerecht erwirbt, soweit dies nach dem Vertrage geschehen soll.2 ... Für das preuß. Recht besteht solche Übereinstimmung nicht.3 Die Praxis des Obertribunales ist nicht konstant gewesen.4
Es muß aber angenommen werden, daß auch nach A.L.R. derjenige, zu dessen Gunsten eine Lebensversicherung genommen ist, wenn der Vertrag bis zum Tode der Person, deren Leben versichert ist, fortbestanden hat, unmittelbar ein Klagerecht aus dem Vertrage hat.
Daß die Versicherung einer Witwenpension ohne Beitritt der Witwe dieser nach dem Tode des Ehemannes ein klagbares selbständiges Recht giebt, muß als unzweifelhaft gelten.
Der Rechtsgrund hierfür ist, daß durch den Vertrag für die Witwe ein durch den Tod des Ehemannes bedingtes Recht konstituiert ist; dies Recht kann seiner Natur nach nur der Witwe zustehen, und da der Vertrag vom Gesetze als giltig anerkannt wird, ohne den Beitritt der Ehefrau zu fordern, so muß letztere ein unmittelbares Recht durch den Vertrag erworben haben.
Rechtlich ebenso liegt der Fall der Versicherungsnahme auf das eigene Leben ohne Bezeichnung der Person, zu deren Gunsten die Versicherung erfolgt, der einfache Fall der Lebensversicherung, welchen allein das A.L.R., neben einzelnen Fällen der zulässigen Versicherungsnahme auf eigene Rechnung für ein fremdes Leben, kennt. Auch in diesem Falle ist nicht, wie in der Praxis zuweilen angenommen ist, ein Forderungsrecht des Versicherungsnehmers errichtet, sondern ein durch dessen Tod bedingtes Forderungsrecht Dritter. Als diese Forderungsberechtigten werden zwar die Erben des Versicherungsnehmers anzusehen sein, sie können aber nicht in ihrer Erbeneigenschaft eine Geldforderung bekommen, welche der Erblasser nie haben konnte, erlangen sie vielmehr als Dritte. Diese Forderungsberechtigten können dem Vertrage gar nicht beitreten, da vor dem Tode des Versicherungsnehmers deren Personen nicht feststehen; dennoch läßt das A.L.R. II. 8. §. 2152 den Vertrag als giltig zu, schließt dadurch, das Erfordernis des Beitrittes dessen, zu dessen Gunsten der Vertrag geschlossen ist, nach §. 75 I. 5 a. a. O. aus und giebt demselben ein unmittelbares Recht aus dem Vertrage, soweit der Vertrag erfüllt ist.
Dies muß auch für die im A.L.R. noch nicht vorgesehenen Fälle gelten, in denen derjenige, zu dessen Gunsten die Versicherung erfolgt, im Vertrage ausdrücklich bestimmt worden ist, abgesehen davon, daß der Begünstigte bei Lebzeiten des Versicherten der Abänderung des Vertrages unter den Kontrahenten überall nicht widersprechen kann, wenn er dem Vertrage nicht beigetreten ist.
Im wesentlichen ist dies schon in der Entscheidung des preußischen Obertribunales Bd. 51 S. 43 anerkannt, nur bleibt der Lebensversicherungsvertrag ein Vertrag unter Lebenden, ist rechtlich nicht eine letztwillige Verfügung, wie in dem Erkenntnisse des Obertribunales, Entsch. Bd. 71 S. 1, im Anschlusse an eine Ausführung in dem früheren Erkenntnisse angenommen ist.
Der zweite Richter, welcher zum Erwerbe eines selbständigen Rechtes aus einem Lebensversicherungsvertrage zu Gunsten Dritter deren Beitritt nach §. 75 I. 5. A.L.G. fordert, hat danach dieses Gesetz durch Anwendung auf einen Fall, für den es nicht gegeben ist, verletzt.
In der Sache selbst ist den Richtern der Vorinstanzen darin beizutreten, daß der Fall eingetreten ist, für welchen die Beklagte in dem Vertrage mit G. sich zur Zahlung von 2000 Thalern an die empfangsberechtigten Hinterbliebenen des klägerischen Erblassers verpflichtet hat,"
Dies wird weiter ausgeführt und dann fortgefahren:
"Außerdem ist noch den Klägern das Klagerecht aus dem nicht von ihnen geschlossenen Versicherungsvertrage bestritten, jedoch mit Unrecht. Nach §. 17a der allgemeinen Versicherungsbedingungen ist als Vertragsbestimmung anzusehen, daß bei dem Tode eines der sechs Fuhrknechte des G. die Versicherungssumme an dessen empfangsberechtigte Hinterbliebene gezahlt werden sollte. Damit ist, da der Vertrag bis zum Tode des klägerischen Erblassers unverändert aufrecht erhalten worden ist, für die gedachten Hinterbliebenen, das ist für die Kläger, nach den bei Beurteilung der Nichtigkeitsbeschwerde gegebenen Gründen ein unmittelbarer klagbarer Anspruch entstanden, und jedes Bedenken, ob der Versicherungsnehmer noch von dem Vertrage in betreff des Erblassers der Kläger abgehen könnte, ist durch dessen Abkommen mit den Klägern vom 19. November 1877 erledigt."
- 1. Vgl. Entsch. des R.O.H.G.'s Bd. 23 Nr. 55 S. 158.
- 2. Vgl. Windscheid, Pandekten 5. Aufl. Bd. 2 S. 211. Gareis, Die Verträge zu Gunsten Dritter S. 275. Fenner u. Mecke, Entscheidungen, Jahrgang 9 S. 79.
- 3. Vgl. Förster, Privatrecht Bd. 2 §. 146. Staudinger, die Rechtslehre vom Lebensversicherungsvertrage S. 156. Dernburg, Privatrecht Bd. 2 S. 640. Hinrichs in Goldschmidt's Zeitschr. Bd. 20 S. 339.
- 4. Vgl. Entsch. des Obertribunales Bd. 51 S. 47. Bd. 71 S. 1. Striethorst, Archiv Bd. 62 S. 337.