RG, 15.10.1920 - III 136/20

Daten
Fall: 
Zeitpunktes anderweitiger Ersatzhaftung
Fundstellen: 
RGZ 100, 128
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
15.10.1920
Aktenzeichen: 
III 136/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG II Berlin
  • KG Berlin

Welcher Zeitpunkt ist nach § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB. maßgebend für die Frage, ob der Verletzte auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag?

Tatbestand

Der Kläger forderte von dem Beklagten auf Grund des § 839 BGB. und des Gesetzes vom 1. August 1909 Ersatz des Schadens, der ihm durch das Verschulden eines Gerichtsvollziehers entstanden war. Der Beklagte wendete im Berufungsverfahren u. a. ein, daß der Kläger "jetzt" in der Lage sei, einen Geigenhändler H., der in erster Reihe zum Ersatze des dem Kläger entstandenen Schadens verpflichtet sei, mit Erfolg in Anspruch zu nehmen. Das Berufungsgericht verwarf diesen Einwand und erklärte den Klaganspruch dem Grunde nach für berechtigt. Die Revision wurde zurückgewiesen.

Gründe

... Die Rüge einer Verletzung des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB ist nicht begründet. Der Beklagte hatte im Berufungsverfahren geltend gemacht, daß der Kläger "jetzt" in der Lage sei, den H, wegen seiner Darlehensforderung mit Erfolg in Anspruch zu nehmen, weil dieser durch Kriegsgewinne in eine bessere Vermögenslage gekommen sei. Das Berufungsgericht erklärt diese Behauptung für unerheblich, da es nicht auf den Zeitpunkt der Urteilsverkündung ankomme, sondern auf den Zeitpunkt, in dem der Verletzte Kenntnis von dem Eintritte des Schadens erlangt habe. In diesem Zeitpunkt aber - dem Juni 1915 - sei es aussichtslos gewesen, die Forderung von H. beizutreiben, da dieser im Jahre 1912 den Offenbarungseid geleistet habe und noch bis April 1916 von Gläubigern bedrängt worden sei.

Diesen Ausführungen kann allerdings darin nicht beigetreten werden, daß es für die Frage, ob der durch das Verschulden eines Beamten Verletzte auf andere Weise als von dem Beamten oder der für ihn eintretenden öffentlichrechtlichen Körperschaft Ersatz zu erlangen

vermöge, ausschließlich auf den Zeitpunkt ankomme, zu dem der letzte von dem Eintritte des Schadens und der Haftung des Beamten Kenntnis erlangt. In dem vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Urteile des erkennenden Senats RGZ. Bd. 79 S. 12 ist zwar dieser Zeitpunkt für maßgebend erklärt, aber nur in dem Sinne, daß eine zu diesem Zeitpunkte vorhanden gewesene Möglichkeit, anderweit Ersatz zu erlangen, den auf eine fahrlässige Verletzung der Amtspflicht gestützten Ersatzanspruch aus § 839 BGB. aufschließt, auch wenn sie später weggefallen ist. Dementsprechend legt das Urteil des erkennenden Senats Bd. 86 S. 287 die Vorschrift des § 839 Abs. 1 Satz 2 dahin aus, daß es zur Klagebegründung nicht ausreicht, wenn der Verletzte die jetzige Unmöglichkeit eines anderweiten Ersatzes behauptet, sondern auch darzutun ist, daß er eine früher vorhandene Ersatzmöglichkeit nicht schuldhaft versäumt habe. Keineswegs ist also damit ausgesprochen, daß die Möglichkeit anderweiten Ersatzes, welche sich erst nach dem Zeitpunkte ergibt, zu dem der Verletzte von der Entstehung des Schadens Kenntnis erlangt hat, bei der Anwendung des § 839 Abs. 1 Satz 2 völlig außer Betracht zu lassen sei. Neben dem vorbezeichneten Zeitpunkt ist vielmehr auch der der Klagerhebung von Bedeutung. Besteht zu der Zeit der Klagerhebung für den Verletzten die Möglichkeit, anderweit Ersatz zu erlangen, so ist die Inanspruchnahme des Beamten (und des für ihn eintretenden Staates) nach dem klaren Wortlaute der Vorschrift ausgeschlossen, gleichviel ob jene Möglichkeit schon früher bestand oder nicht.

Dagegen kann einer solchen Möglichkeit kein Einfluß auf die Verfolgung des Ersatzanspruchs aus § 839 zuerkannt werden, wenn sie erst nach der Klagerhebung eintritt. Die Berücksichtigung solcher erst im Laufe des Rechtsstreits eintretenden Veränderungen wird durch den Wortlaut des Gesetzes nicht gerechtfertigt. Sie würde die Möglichkeit schaffen, wiederholt die Behauptung des Eintritts solcher Veränderungen vorzubringen und damit die Rechtsverfolgung gegen den Beamten in unabsehbarer Weise zu verzögern. Sie kann deshalb vom Gesetze nicht beabsichtigt sein. Nur um eine solche im Laufe des Rechtsstreits eingetretene Veränderung aber handelt es sich bei der in der Berufungsinstanz aufgestellten Behauptung des Beklagten.