RG, 04.05.1917 - III 29/17
Kommt für die Anfechtung des Pfändungspfandrechts die Kenntnis des pfändenden Gerichtsvollziehers von der Zahlungseinstellung des Schuldners oder von dem Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens im Sinne des § 30 KO). in Betracht?
Tatbestand
Die Klägerin fordert Schadenersatz, weil der Gerichtsvollzieher St. den ihm durch ihren Prozeßbevollmächtigten am 25. Februar 1914 erteilten Vollstreckungsauftrag gegen ihren Schuldner H. schuldhaft nicht vollzogen habe. Die Instanzen haben klagegemäß verurteilt; sie stellen gegenüber dem Einwände des Beklagten, eine etwaige Pfändung wäre gegen die Klägerin nach § 30 KO. anfechtbar gewesen, ein Schade sei der Klägerin also nicht erwachsen, fest, daß die Klägerin und deren Prozeßbevollmächtigter von der Zahlungseinstellung des Schuldners keine Kenntnis hatten, und der Berufungsrichter fügt hinzu, auf das etwaige Wissen des Gerichtsvollziehers von der Zahlungseinstellung komme es nach der Entscheidung des VII. Zivilsenats des Reichsgerichts vom 12. Mai 1914 in Jurist. Wochenschr. 1914 S. 863 Nr. 3 nicht an.
Die Revision bekämpft lediglich diesen letzten Entscheidungsgrund. Sie ist zurückgewiesen worden aus folgenden Gründen:
Gründe
"Der Entscheidung des VII. Zivilsenats des Reichsgerichts vom 12. Mai 19!4 muß beigetreten werden.
Der Beschluß der vereinigten Zivilsenate des Reichsgerichts vom 2. Juni 1913, nach welchem der Gerichtsvollzieher dem ihn mit Pfändung beauftragenden Gläubiger nur als Beamter, nicht aus einem bürgerlichrechtlichen Vertragsverhältnis (Mandat, nach BGB. ein auf Geschäftsbesorgung gerichtetes Dienstverhältnis) haftet - RGZ. Bd. 82 S. 85 flg. -. läßt S. 90 dahingestellt, ob die Befugnisse des Gerichtsvollziehers, mit Wirkung für und gegen den Gläubiger zu handeln, eine Vertretungsmacht im Sinne des § 164 BGB. begründen.
Dies ist zu verneinen. Die Vertretungsmacht besteht darin, daß die vom Vertreter im Namen des Vertretenen abgegebene privatrechtliche, insbesondere rechtsgeschäftliche Willenserklärung unmittelbar für und gegen den Vertretenen wirkt (§ 164, und gerade weil er der Erklärer des Willens ist, kommt für Willensmängel und für die Kenntnis oder das Kennenmüssen gewisser Umstände nur die Person des Vertreters in Betracht, nicht die Person des Vertretenen, soweit nicht § 166 Abs. 2. einschlägt. Angenommen, es sei rechtlich möglich, daß der kraft seiner Amtspflicht zur Pfändung schreitende Gerichtsvollzieher in betreff dieser seiner Amtshandlung zugleich eine privatrechtliche Willenserklärung im Namen des Gläubigers und mit Wirkung für diesen abgibt, so bleibt zu fragen, welchen Inhalt denn eine solche Willenserklärung haben könnte. Die Pfändung wird bewirkt durch Inbesitznahme der im Gewahrsam des Schuldners befindlichen körperlichen Sachen (§ 808 ZPO.), und durch sie erwirbt der Gläubiger ein Pfandrecht an dem gepfändeten Gegenstande (§ 804). Die zwangsmäßige (§§ 758, 759 ZPO.) Inbesitznahme der Sachen kann eine privatrechtliche Willenserklärung des Gläubigers nicht sein. Denn sie liegt außerhalb des Bereichs der privatrechtlichen Willensmöglichleiten; sie ist also ausschließlich eine Amtshandlung des Gerichtsvollziehers, nicht aber zugleich eine privatrechtliche Willenserklärung, die der Gerichtsvollzieher für den Gläubiger auch nur abgeben könnte. Der Erwerb des Pfändungspfandrechts ist die an die Pfändung geknüpfte, gesetzliche notwendige Folge, die eines darauf gerichteten Willens des Gläubigers und einer auf sie abzielenden Willenserklärung des Gläubigers nicht bedarf, sondern ganz unabhängig von solchem Willen und solcher Willenserklärung von Rechts wegen eintritt. Auch das Pfändungspfandrecht, das nur eine Vorstufe der notwendig alsbald vorzunehmenden öffentlichen Versteigerung (§§ 814, 816 ZPO.) und nur eine einstweilige, zugunsten des wachsamen Gläubigers getroffene (Motive zu §§ 657, 658 des Entw. der Zivilprozeßordnung) Regelung der Rechtslage bis zur Versteigerung darstellt, liegt außerhalb des Bereichs der privatrechtlichen Willensmöglichkeiten. Es ist rechtsgeschäftlich gar nicht erwerbbar: darum heißt es im § 804 Abs. 2 auch nur: "es gewährt dem Gläubiger im Verhältnis zu andern Gläubigern dieselben Rechte wie ein durch Vertrag erworbenes Faustpfandrecht". Die Kehrseite dieser Sätze zeigt sich in der Person des Schuldners, an den als Empfänger die angebliche privatrechtliche, für den Gläubiger abgegebene Willenserklärung des Gerichtsvollziehers gerichtet sein müßte. Abgesehen davon, daß der Natur der Vorgänge nach dem Schuldner jedes Bewußtsein davon fehlen muß, der bei ihm pfändende und dadurch dem Gläubiger ein Pfändungspfandrecht erwerbende Gerichtsvollzieher trete ihm als privatrechtlicher Willenserklärer, als Willenserklärer für den Gläubiger, gegenüber, erhellt aus der Bestimmung des § 808 Abs. 3 ZPO. "der Gerichtsvollzieher hat den Schuldner von der geschehenen Pfändung in Kenntnis zu setzen" (entsprechend § 829 Abs. 3) unzweideutig, daß die Pfändung und deren Wirkung, das Pfändungspfandrecht, der vorherigen Kenntnis des Schuldners nicht bedarf, daß es gleichgültig ist, ob die angebliche Privatrechtliche Willenserklärung des Gerichtsvollziehers dem Schuldner vorher zur Kenntnis kommt oder auch nur zugeht.
Der vermeintlichen Willenserklärung des Gerichtsvollziehers fehlt hiernach ein privatrechtlicher Inhalt und ein privatrechtlich erforderlicher und bestimmter Empfänger (ein anderer, demgegenüber sie abzugeben wäre). Die Bestimmungen der Zivilprozeßordnung und der Dienstanweisung ergeben aber weiter, daß der Gerichtsvollzieher die - tatsächlich immer fehlende - Absicht oder auch nur das - tatsächlich nie vorhandene - Bewußtsein, bei der Wegnahme der Sachen und bei dem dadurch für den Gläubiger entstehenden Gewerbe des Pfändungspfandrechts privatrechtlich für den Gläubiger zu handeln, nämlich eine für und gegen den Gläubiger wirkende privatrechtliche Willenserklärung abzugeben, nicht nur nicht haben kann, sondern sogar nicht einmal haben darf. Der Gerichtsvollzieher ist kraft Gesetzes amtlich an die Vorschrift des § 775 gebunden; er muß pfänden, trotzdem ihm die Zahlungseinstellung des Schuldners oder der Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens bereits bekannt war oder bekannt wird. Daß dieser gesetzliche amtliche Zwang des Gerichtsvollziehers zur Pfändung trotz seiner Kenntnis von der Zahlungseinstellung oder dem Konkursantrag eine privatrechtliche Willensbeteiligung des Gerichtsvollziehers ausschließt, ist bereits seit lange erkannt und vom Reichsgerichte wiederholt ausgesprochen, in Urteile vom 5. Juni 1883 Rep. III. 36/83, RGZ. Bd. 9 S. 363, im Urteile vom 5. April 1887 Rep. III. 317/86 (unvollständig abgedruckt bei Bolze Bd. 4 S. 1519), im Urteile vom 11. Dezember 1899 Rep. IV. 248/99 in Gruchot Bd. 44 S. 1204/1206.
Eine die Zahlungseinstellung berücksichtigende Willensbildung und Willenserklärung des Gerichtsvollziehers für den Gläubiger setzt in erster Linie voraus, daß dem Gerichtsvollzieher hinsichtlich der Zahlungseinstellung und deren Rechtsfolgen Willensfreiheit eingeräumt ist, nämlich die Freiheit der Entschließung, ob die Pfändung wegen der ihm kund gewordenen, auf Zahlungseinstellung hindeutenden Tatsachen zu unterlassen oder trotzdem vorzunehmen sei. Eine solche Freiheit ist dem Gerichtsvollzieher aber gerade nicht eingeräumt: er muß trotz voller Kenntnis wirklicher Zahlungseinstellung pfänden und dadurch dem Gläubiger das Risiko der späteren Anfechtung (RGZ. Bd. 21 S. 429) und jedenfalls, wenn der Gläubiger die gepfändeten Sachen freigibt, die Kosten der Pfändung aufbürden; er haftet sogar dem Gläubiger kraft § 775 ZPO. dafür, daß er dies tue. Also kann die Kenntnis des Gerichtsvollziehers nicht die Kenntnis des Gläubigers als des durch den Gerichtsvollzieher privatrechtlich gemäß § 164 BGB. Vertretenen sein. Es ist schlechterdings unmöglich, daß der Gerichtsvollzieher einen nach seiner Kenntnis dem Gläubiger offenbar gefährlichen und schädlichen Akt vornimmt und vornehmen muß und dabei doch zugleich eine der von ihm erkannten Ursache der Gefahr, nämlich der Zahlungseinstellung, gerade widerstreitende und trotzende Willenserklärung für den Gläubiger abgibt. Nimmt man entgegen dem für das frühere Recht ergangenen Beschlusse der vereinigten Zivilsenate des Reichsgerichts vom 28. Juni 1888 (RGZ. Bd. 21 S. 420 flg.) an, daß die Pfändung trotz Kenntnis von der Zahlungseinstellung oder von dem Konkursantrag eine unerlaubte Handlung im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist, so würde sich sogar ergeben, daß der Gläubiger durch eine wissentlich rechtswidrige und doch durch § 775 ZPO. vorgeschriebene Handlung des Gerichtsvollziehers als seines Vertreters einer unerlaubten Handlung schuldig würde (RGZ. Bd. 21 S. 432).
Die Beseitigung dieses widerspruchsvollen Wirrsals und die Lösung der ganzen Frage liegt in dem aus dem Dargelegten folgenden Grundsatz: es ist überhaupt rechtlich unmöglich, daß der Gerichtsvollzieher in bezug auf die gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen seiner Amtshandlung, der Pfändung, und in bezug auf die gesetzlich bestimmten Wirkungen dieser seiner Amtshandlung zugleich privatrechtlich, insbesondere für den Gläubiger, handelt, daß er in bezug auf diese Voraussetzungen und Wirkungen zugleich einen privatrechtrechtlichen, rechtsgeschäftlichen Willen, insbesondere für den Gläubiger, erklärt. Die Akte des Gerichtsvollziehers sind, auch wenn ihm die zu pfändende Sache vom Schuldner freiwillig zu weiterer, selbstverständlich amtlicher Behandlung herausgegeben wird, rein amtliche, und ihre Wirkungen treten nicht kraft rechtsgeschäftlicher Regeln ein, sondern allein kraft bestimmter positiver Gesetzesgebote (§§ 804 Abs. 2, 815 Abs. 3 ZPO.).
Wie sehr im besonderen gerade das Pfändungspfandrecht den privatrechtlichen, rechtsgeschäftlichen Regeln entrückt ist, wird bestätigt durch die Unanwendbarkeit der nach § 1207 BGB. für das Vertragsmäßige Pfandrecht geltenden Vorschriften zugunsten derjenigen, welche Rechte von einem Nichtberechtigten herleiten. Die gepfändete Sache muß dem Schuldner wirklich gehören (RGZ. Bd. 22 S. 270, Bd. 26 S. 104, Bd. 40 S. 292, Bd. 43 S. 180, Bd. 60 S. 72); eine dem § 898 ZPO. entsprechende Bestimmung ist für das Pfändungspfandrecht nicht geschaffen worden. Gerade diese Bestimmung des § 898 zeigt übrigens, welche ernsten Bedenken sich nach dem Ausgeführten gegen die den Eigentumserwerb des Gläubigers durch den Gerichtsvollzieher als seinen Vertreter betreffende Entscheidung des VI. Zivilsenats des Reichsgerichts vom 29. Juni 1911 in RGZ. Bd. 77 S. 24 (vgl. RGZ. Nd. 39 S. 16O. Bd. 43 S. 180) ergeben. Diese Bedenken im einzelnen zu erheben und durchzuführen, erscheint hier, wo es sich nur um die Kenntnis des pfändenden Gerichtsvollziehers von der Zahlungseinstellung des Schuldners und um die Bedeutung dieser Kenntnis für die Anfechtbarkeit des Pfändungspfandrechts handelt, weder geboten noch angezeigt. Es mag jedoch darauf hingewiesen werden, daß die Motive des durch die Novelle vom 17. Mai 1898 eingeführten § 898 ZPO. besagen: "Die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§§ 892, 893, 932 flg., 1242) und des Handelsgesetzbuchs (§§ 366, 367) über den Schutz des gutgläubigen Erwerbers gelten nur für den Erwerb durch Rechtsgeschäft und finden daher auf einen Erwerb, der im Wege der Zwangsvollstreckung erfolgt, an sich keine Anwendung. Es liegt jedoch im Sinne dieser Vorschriften, wenn der Schutz auch demjenigen zuteil wird, welcher gemäß §§ 779 und 779c (= §§ 894, 897) erwirbt. Der Entwurf dehnt daher die Vorschriften zugunsten derjenigen, welche Rechte von einem Nichtberechtigten herleiten, auf den letzteren Fall aus"."