RG, 27.04.1917 - II 585/16
Sind die Ansprüche ans § 16 UnlWG. auch dann noch gegeben, wenn die Bezeichnung eines gewerblichen Unternehmens oder einer Druckschrift, die ursprünglich eine besondere, sie von anderen Unternehmungen oder Druckschriften unterscheidende war, im Laufe der Zeit zu einer reinen Gattungsbezeichnung geworden ist und die Unterscheidungskraft verloren hat?
Tatbestand
Im Verlage der Klägerin erscheint in Leipzig seit dem Jahre 1843 eine mit Bildern versehene Wochenschrift unter dem Titel "Illustrierte Zeitung". Seit April 1916 gibt die Beklagte, ebenfalls in Leipzig, eine Wochenschrift mit Bildern unter dem Titel "Neue Leipziger Illustrierte Zeitung" heraus. Auf die von der Klägerin erhobene Unterlassungsklage verbot der erste Richter der Beklagten, ihre Wochenschrift unter dem Titel "Neue Leipziger Illustrierte Zeitung" anzukündigen und herauszugeben. Auf die Berufung der Beklagten wies der Berufungsrichter die Klage ab. Die Revision der Kläger wurde zurückgewiesen.
Gründe
"Nach den unangefochtenen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsrichters ist die Bezeichnung "Illustrierte Zeitung" seinerzeit, im Jahre 1843, von der Klägerin für ihre Druckschrift willkürlich gewählt und eingeführt worden; die Bezeichnung hat die Kraft gehabt, die Druckschrift der Klägerin von anderen Druckschriften gleicher Art, nämlich solchen, die ebenfalls die Tagesereignisse nicht nur im Worte, sondern zugleich im Bilde darstellten, zu unterscheiden. Das ist Jahrzehnte hindurch so geblieben, und selbst, als im Lauft der Zeit immer mehr mit Bildern geschmückte Zeitschriften erschienen und der Ausdruck "Illustrierte Blätter" oder auch "Illustrierte Zeitungen", gerade im Anschluß an den Titel der sehr bekannten Druckschrift der Klägerin, als Gattungsbezeichnung für die mit Bildern versehenen, die Tagesereignisse behandelnden Zeitschriften vom Publikum gewählt worden war, hat der Titel dennoch seine unterscheidende Kraft noch nicht verloren; es wurde vielmehr auch dann noch ganz allgemein unter der Illustrierten Zeitung die Zeitschrift der Klägerin verstanden (sofern nicht aus den Umständen hervorging, daß nicht dieses Blatt, sondern die Gattung bezeichnet werden sollte). Das hat sich jedoch geändert seit dem Erscheinen der "Berliner Illustrierten Zeitung" und deren weiter Verbreitung. Auch diese Druckschrift ist vielfach "Illustrierte Zeitung" oder "Illustrierte" schlechthin genannt worden. Seitdem ist der Ausdruck "Illustrierte Zeitung" ganz allgemein als Gattungsbezeichnung angesehen und gebraucht worden und hat die Kraft verloren, das Blatt der Klägerin unterscheidend zu kennzeichnen. Dieses wird nun im Verkehr "Leipziger Illustrierte Zeitung", "Weber's", "alte Illustrierte Zeitung" oder ähnlich, regelmäßig aber nicht bloß Illustrierte Zeitung schlechthin genannt.
Auf Grund dieser Feststellungen hat der Berufungsrichter zu § 16 UnlWG. angenommen, daß der Ausdruck "Illustrierte Zeitung" nicht mehr die "besondere Bezeichnung" der Druckschrift der Klägerin im Sinne jener Gesetzesbestimmung sei, und noch ausgeführt, auch die im Publikum vielfach zur Kennzeichnung des Blattes gebrauchte Bezeichnung "Leipziger Illustrierte Zeitung" habe nicht den Charakter der "besonderen Bezeichnung", da die Klägerin selbst sich der Bezeichnung im geschäftlichen Verkehr nicht bediene, vielmehr ihr Blatt "Illustrierte Zeitung" schlechthin nenne.
Die Revision bekämpft die Nichtanwendung des § 16 UnlWG. auf den vorliegenden Fall, jedoch zu Unrecht. Es ist zwar richtig, was die Revision ausführt, daß sich der Erwerb der Befugnis, sich der besonderen Bezeichnung eines gewerblichen Unternehmens oder einer Druckschrift zu bedienen, allein durch den erstmaligen Gebrauch der besonderen Bezeichnung vollzieht und es dazu nicht noch der Anerkennung seitens der beteiligten Verkehrskreise bedarf (RGZ. Bd. 74 S. 349); das hat aber der Berufungsrichter auch nicht verkannt. Die übrigen, auf § 16 UnlWG. bezüglichen Ausführungen der Revision gehen dahin, das Merkmal der Unterscheidungskraft müsse nur bei der Annahme der besonderen Bezeichnung vorhanden sein; sei das Recht auf eine solche einmal erworben, so könne es durch die Anschauung des Verkehrs nicht aberkannt werden, es könne dadurch, daß der Verkehr im Laufe der Zeit zu einer Ausdrucksweise komme, welche die Unterscheidungskraft der erworbenen besonderen Bezeichnung abschwäche, nicht verloren gehen, es bleibe vielmehr als Immaterialgüterrecht bestehen, solange die Verwechslungsmöglichkeit vorhanden sei.
Demgegenüber ist folgendes zu bemerken. Es handelt sich nach den getroffenen Feststellungen nicht darum, daß die Unterscheidungskraft der Bezeichnung "Illustrierte Zeitung" abgeschwächt, sondern darum, daß sie verloren gegangen ist; sie besteht für diese Bezeichnung überhaupt nicht mehr, und es kann daher auch nicht von dem in § 16 ausdrücklich als vorhanden vorausgesetzten Rechte an einer besonderen Bezeichnung gesprochen werden. Der Verkehr ist stärker gewesen als das monopolartige Recht der Klägerin, das diese durch die erstmalige Benutzung einer früher individuellen Bezeichnung erworben hatte. Die Bezeichnung ist Allgemeingut geworden: ein Monopol an ihr kann es daher nicht geben. Einer Gattungsbezeichnung kann sich regelmäßig jeder bedienen. Der Gebrauch einer solchen durch den einen für seine Erzeugnisse ist auch nicht geeignet, Verwechslungen mit den Erzeugnissen eines anderen hervorzurufen.
Was dann noch die Bezeichnung "Leipziger Illustrierte Zeitung" für das Blatt der Klägerin anlangt, so bedient sich die Klägerin dieser Bezeichnung selbst nicht. Damit entfällt für sie die Anwendung des § 16. Wie die Anerkennung der Bezeichnung als einer besonderen durch das Publikum keine Voraussetzung für den Erwerb der Befugnis, die Bezeichnung zu gebrauchen, ist, so ist auch der Umstand allein, daß das Publikum für ein Unternehmen oder eine Druckschrift eine besondere, dieses Unternehmen oder diese Druckschrift von anderen unterscheidende Bezeichnung gebraucht, nicht genügend zum Erwerbe der Befugnis, diese besondere Bezeichnung unter Ausschluß anderer zu benutzen. Eine Benutzung des als Berechtigten in Frage Kommenden liegt überhaupt nicht vor."
(Es folgen Ausführungen, daß auch die Abweisung der Klage aus § 1 UnlWG. und § 826 BGB. bei. den von dem Berufungsrichter in diesen Beziehungen getroffenen tatsächlichen Feststellungen einen Rechtsirrtum nicht erkennen läßt.)