RG, 03.03.1917 - V 370/16
1. Ist § 26 der Gewerbeordnung anwendbar bei Beeinträchtigungen des Flußanliegerechts des Grundstückseigentümers durch Entziehung des an seinem Grundstücke vorbeifließenden Wassers?
2. Zeitliche Herrschaft des preuß. Wassergesetzes vom 7. April 1913 (GS. S. 53). Bedeutung des § 379 dieses Gesetzes.
Tatbestand
Die Kläger sind Eigentümer der Felsenmühle, welche im Tale der kleinen Ohr an diesem Bache liegt und aus ihm durch einen Mühlgraben das zum Betriebe dienende Wasser erhielt. Die Beklagte hat auf Grund einer ihr am 22. April 1911 erteilten gewerbepolizeilichen Genehmigungsurkunde an der kleinen Ohr oberhalb der Felsenmühle eine Stauanlage zum Zwecke des Betriebes ihres Elektrizitätswerks errichtet und in der ersten Hälfte des Jahres 1913 in Betrieb genommen. Die Kläger behaupten, daß ihnen hierdurch das zum Betrieb ihrer Mühle und für ihren Haushalt erforderliche Wasser entzogen worden sei. Sie machen deshalb einen Anspruch auf Schadensersatz geltend, und zwar 1. für die ausfallende Betriebskraft, 2. für die Entziehung des zur Versorgung ihrer Haushaltung erforderlichen Wassers. Das Landgericht erklärte den Klaganspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt. Das Oberlandesgericht wies die Berufung der Beklagten zurück. Auch die Revision ist zurückgewiesen worden aus folgenden Gründen:
Gründe
... "Der Berufungsrichter hat den Schadensersatzanspruch der Kläger dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, indem er davon ausgeht, daß die Stauanlage der Beklagten einer gewerbepolizeilichen Konzession bedurft habe, weil sie zum Zwecke des Betriebes des als ein Gewerbebetrieb anzusehenden Elektrizitätswerkes der Beklagten errichtet worden sei. Gegenüber einem solchen nach § 16 GewO. genehmigten Betriebe sei gemäß § 26 daselbst ein Klagerecht auf Unterlassung wegen nachbarrechtlicher Störungen ausgeschlossen, dagegen werde dem durch den Gewerbebetrieb geschädigten Grundnachbar ein Anspruch auf Herstellung von Einrichtungen, die die Beeinträchtigung abstellen, oder wenn solche Einrichtungen untunlich oder mit dem gehörigen Betriebe des Gewerbes unvereinbar sind, auf Schadloshaltung gewährt, unter der Voraussetzung, daß die bestehenden Gesetze dem Eigentümer oder Besitzer des geschädigten Grundstücks eine Privatklage zuerkennen. Der Berufungsrichter sieht ferner als erwiesen an, daß die Herstellung von Einrichtungen, die dem Wasser der Ohr den Lauf wieder zur Ohr geben würden, untunlich sein würde und daß die Kläger deshalb lediglich Schadensersatz fordern könnten, und zwar ohne Nachweis eines Verschuldens. Weiter führt er aus, die Kläger seien unstreitig Anlieger der kleinen Ohr, eines Privatflusses im Sinne des preuß. Gesetzes über die Benutzung der Privatflüsse vom 28. Februar 1843, das in den hier in Betracht kommenden Landesteuern durch allerhöchste Verordnung vom 9. Januar 1845 eingeführt worden sei. Die Anwendung des neuen Wassergesetzes auf die hier in Frage kommenden Rechtsverhältnisse sei nach § 379 dieses Gesetzes ausgeschlossen. Die Mühle der Kläger habe unstreitig schon vor Erlaß des Privatflußgesetzes bestanden. Die Beklagte habe in die Gerechtsame, welche den Klägern auf Grund der §§ 1 und 13 PrivFlG. zuständen, eingegriffen, indem sie in ihrem Stauwerke das gesamte Wasser der Ohr auffange, ohne es in das Bett dieses Flusses zurückzuleiten, bevor er den Grundbesitz der Beklagten verlasse und das Ufer eines fremden Grundstücks berühre. Sie leite vielmehr das angesammelte Wasser nach einer anderen Richtung ab und nehme dadurch der Mühle der Kläger das Betriebswasser und den Klägern auch das Wasser für ihren Haushalt. Diesen Eingriff konnten die Kläger auch als Uferbesitzer auf Grund des § 26 GewO. - nachdem ihr Einspruch gegen die Errichtung der Anlage ohne Erfolg geblieben sei - zur Grundlage von Schadenersatzansprüchen machen.
Die Revision rügt zunächst unrichtige Anwendung des § 26 GewO. Es kann ihr zugegeben werden, daß der Wortlaut dieser Bestimmung nur solche Einrichtungen trifft, die von einem Grundstück aus auf benachbarte Grundstücke ausgeübt werden, während es sich im vorliegenden Falle um eine Beeinträchtigung des Flußanliegerrechts des Grundstückseigentümers durch Entziehung des an seinem Grundstücke vorbeifließenden Wassers handelt. Ob eine solche Beeinträchtigung nicht auch eine Verletzung des Grundeigentums in sich schließt (vgl. V. 313/14. Urteil vom 12. Dezember 1914). kann dahingestellt bleiben. Denn eine Abwehrklage (actio negatoria) ist nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts gegen Eingriffe in jedes gesetzlich geschützte Rechtsgut, insbesondere auch gegen Beeinträchtigung von Flußanliegerrechten gegeben; vgl. RGZ. Bd. 60 S. 6; Bd. 61 S. 369; Bd. 62 S. 320 (322); V. 213/16, Urteil vom 11. November 1916. (1)
Es kann aber nicht angenommen werden, daß der § 26 GewO. eine auf Beseitigung gewerbepolizeilich genehmigter Anlagen gerichtete Abwehrklage gegenüber Eingriffen in Flußanliegerrechte hätten zulassen wollen, während er sie gegenüber Eingriffen in das Grundeigentum ausgeschlossen hat. Vielmehr muß aus dem Sinne und Zwecke der Vorschrift entnommen werden, daß eine Beseitigung genehmigter Anlagen auch auf Grund von Flußanliegerrechten, die durch die Anlage beeinträchtigt werden, nicht verlangt werden kann. Ist aber die an sich gegebene actio negatoria durch eine besondere Bestimmung des öffentlichen Rechtes ausgeschlossen, so tritt nach einem von dem Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung anerkannten Rechtsgrundsatz als Ersatz an ihre Stelle ein Schadensersatzanspruch, der den Nachweis eines Verschuldens nicht erfordert (vgl. RGZ. Bd. 17 S. 104; Bd. 58 S. 133 bis 135; Bd. 70 S. 152). Auch die Annahme des Berufungsrichters, daß den Klägern ein gesetzlich geschütztes Flußanliegerrecht zusteht, in welches durch die Anlage der Beklagten eingegriffen worden ist, stellt sich im Ergebnis nicht als auf Rechtsirrtum beruhend dar. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob aus den von ihm allein angeführten §§ 1,13 PrivFlG. ein Abwehrrecht der Kläger auch gegen die Entziehung des für ihren Mühlenbetrieb erforderlichen Wassers herzuleiten sein würde, was die Revision unter Bezugnahme auf § 1 Satz 2 dieses Gesetzes, der in Ansehung der Benutzung des Wassers zu Mühlen die damals bestehenden gesetzlichen Vorschriften aufrechterhalten hat, bestreitet. Denn auf alle Fälle ergibt sich, soweit das Privatflußgesetz noch zur Anwendung gelangen kann, ein solches Abwehrrecht aus § 16 dieses Gesetzes, der den Besitzern der bei dessen Publikation rechtmäßig bestehenden Mühlen ein Widerspruchsrecht verleiht gegen Anlagen, durch welche ihnen das zum Betrieb ihrer Mühlen in dem bisherigen Umfang erforderliche Wasser entzogen wird.
Nun kann allerdings dem Berufungsrichter nicht beigestimmt werden in der Annahme, daß auf das hier vorliegende Rechtsverhältnis ausschließlich das ältere preußische Wasserrecht Anwendung zu finden habe. Soweit Schadensersatz für die nach dem 1. Mai 1914 noch fortgesetzte Wasserentziehung verlangt wird, unterliegt das Rechtsverhältnis vielmehr an und für sich der zeitlichen Herrschaft des an diesem Tage in Kraft getretenen neuen Wassergesetzes vom 7. April 1913. Die in § 379 des Gesetzes gegebene Übergangsvorschrift enthält keine allgemeine Regelung der zeitlichen Herrschaft des neuen Gesetzes im Verhältnis zu dem bisherigen Rechte, sondern bezieht sich nur auf die einzelnen, dort in Abs. 1 Nr. 1 bis 3 aufgeführten Wasserbenutzungsrechte, die unter gewissen Voraussetzungen auch weiter aufrecht erhalten werden. Zu diesen Rechten gehören nicht diejenigen, welche den Anliegern von Wasserläufen zweiter oder dritter Ordnung in ihrer Eigenschaft als Eigentümern des Wasserlaufs auf Grund der §§ 8, 9 in Verbindung mit den §§ 40 bis 45 des Gesetzes zustehen. Wieweit sich die Geltung des neuen Gesetzes hinsichtlich des Eigentums an den Wasserläufen erstreckt, ergibt sich vielmehr bereits aus den Vorschriften der §§ 7 bis 9 selbst. Daß § 379 sich auf die Eigentumsverhältnisse an den Wasserläufen nicht bezieht, wird in der Begründung des Entwurfs zu dem Wassergesetze (zu § 349 S. 251) hervorgehoben und in den bis jetzt erschienenen Kommentaren übereinstimmend anerkannt.
Vgl. Holtz-Kreutz zu § 379 Bem. 1 (S.414); Hermes, Einleitung S. 48 und zu § 379 S. 299; v. Hippel zu § 379 Anm. 14 (S. 246).
Sonach sind mit dem 1. Mai 1914 die Kläger als Uferanlieger der kleinen Ohr Eigentümer des an ihren Grundstücken vorbeifließenden Teiles des Wasserlaufs geworden (§ 8 des Gesetzes), da ein Eigentum anderer Personen als der Anlieger, das zur Zeit des Inkrafttretens des Gesetzes bestanden haben könnte und in diesem Falle gemäß § 9 bestehen geblieben wäre, nicht in Frage steht, vielmehr nach der auch vom Reichsgericht anerkannten Rechtsauffassung im Gebiete des rheinischen Rechtes die Privatflüsse als Bestandteile des domaine public angesehen wurden, die in niemandes Eigentum standen (vgl. RGZ. Bd. 12 S. 340; Bd. 30 S.307; Bd. 53 S.45). Anderseits ist auch die Beklagte seit Inkrafttreten des neuen Gesetzes als Uferanliegerin Eigentümerin des Wasserlaufs, soweit er an ihrem Grundstücke vorbeifließt, und bestimmt sich der Inhalt der ihr zustehenden Rechte nach den Vorschriften der §§ 40 bis 45 des Gesetzes. Der § 379 kommt nur insofern in Betracht, als etwaige weitergehende Rechte, die der Beklagten bereits vorher an dem Wasserlaufe zugestanden haben könnten, ohne auf einem besonderen Titel zu beruhen, so lange aufrechterhalten bleiben würden, als ihre Stauanlage, mit deren Errichtung bereits vor dem 1. Januar 1913 begonnen worden ist, bestehen bleibt. Solche weitergehenden Rechte stehen aber nicht in Frage; denn die das Benutzungsrecht der Anlieger regelnden Vorschriften des neuen Rechtes stimmen in. ihrem sachlichen Inhalte durchweg überein mit den Vorschriften, des älteren Rechtes. Das gilt sowohl von der dem Oberlieger einer schon vor dem Inkrafttreten des Privatflußgesetzes vorhandenen Mühle auferlegten Beschränkung, kraft deren er der Mühle das zu ihrem Betrieb in dem damaligen Umfang erforderliche Wasser nicht entziehen darf (§§ 16 des PrivFlG., 42 WassG.), wie auch von der Befugnis zur Ableitung des Wassers, die im älteren wie im neuen Rechte der Einschränkung unterliegt, daß das Wasser, soweit es nicht verbraucht wird, dem Flußlaufe wieder zugeleitet werden muß (§ 13 Abs. 1 Nr. 2 PrivFlG.; RGZ. Bd. 17 S. 291; § 43 WassG.).
Erweist sich sonach die Annahme des Berufungsrichters, daß den Klägern ein Schadenersatzanspruch wegen der durch die Stauanlage der Beklagten bewirkten Wasserentziehung sowohl für die Zeit vor wie nach dem Inkrafttreten des neuen Wassergesetzes zusteht, im Ergebnis als gerechtfertigt, so bedarf doch der den Klaganspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärende Urteilssatz des Landgerichts einer Einschränkung nach Maßgabe der erwähnten Vorschriften des älteren und neueren Wasserrechts. Nach diesen kann Ersatz nicht für die gesamte Betriebskraft verlangt werden, welche durch die Anlage der Beklagten gegenüber dem bis dahin bestehenden Zustande der Mühle der Kläger entzogen worden ist, sondern nur für die Entziehung desjenigen Wassers, das zum Betriebe der Mühle in dem zur Zeit des Inkrafttretens des Privatflußgesetzes vom 28. Februar 1843 nach Maßgabe ihrer damaligen Betriebseinrichtungen erreichbaren Umfang erforderlich ist (vgl. RG. V. 429/1912, Urteil vom 26. Februar 1913). Ebenso kann für die Entziehung des zum Haushalte der Kläger erforderlichen Wassers nur insoweit Ersatz verlangt werden, als die Beklagte auch solches Wasser, das sie nicht auf ihren an den Ohrbach angrenzenden und auf ihren dahinterliegenden mit jenen eine wirtschaftliche Einheit bildenden Grundstücken verbraucht, nicht in den Wasserlauf zurückleitet" ...