RG, 27.03.1889 - V 309/88
Steht der Umstand, daß die nach den Vorschriften des Gesetzes vom 2. Juli 1875 festgesetzten Fluchtlinien mit den durch einen älteren, publizierten Bebauungsplan bestimmten Fluchtlinien thatsächlich übereinstimmen, der Anwendung des §. 13 des gedachten Gesetzes entgegen?
Gründe
"Der Berufungsrichter legt entscheidendes Gewicht darauf, daß nach dem Resultate der Beweisaufnahme der im Jahre 1876 - nach den Bestimmungen des Gesetzes vom 2. Juli 1875 - publizierte Fluchtlinienplan bezüglich des hier streitigen Terrains genau dieselben Fluchtlinien enthält, wie der im Jahre 1863 publizierte, woraus folge, daß in dem hier vorliegenden Falle bezüglich des streitigen Terrains neue Fluchtlinien im Sinne des §. 13 des Gesetzes vom 2. Juli 1875 durch den im Jahre 1876 veröffentlichten Plan nicht festgesetzt seien. Aus diesem Grunde hat der Berufungsrichter die Anwendbarkeit des gedachten Gesetzes auf den vorliegenden Fall verneint.
Die aus der festgestellten Thatsache gezogene Folgerung ist aber rechtsirrtümlich. Die unter der Herrschaft und in Beobachtung der Formen des Gesetzes vom 2, Juli 1875 (§§. 1.7.8) festgesetzten Fluchtlinien sind stets als neue Fluchtlinien im Sinne dieses Gesetzes anzusehen, gleichviel ob schon vorher in der betreffenden Ortschaft ein Bebauungsplan bestanden hat oder nicht. Das Bestehen eines solchen Planes, auch wenn derselbe in irgend einer Art veröffentlicht war, hindert die Gemeinden nicht, einen neuen Bebauungsplan oder auch den bestehenden von neuem aufzustellen und in der in den §§. 1 - 8 des Gesetzes vorgeschriebenen Art förmlich festzustellen, um dadurch für die Zukunft derjenigen Erleichterungen teilhaft zu werden, welche das Gesetz den Gemeinden in der Verpflichtung zur Herstellung und Unterhaltung der öffentlichen Straßen und Plätze gewährt. Der demgemäß nach den Vorschriften des Gesetzes festgestellte Bebauungsplan ist ein neuer, und die durch denselben festgesetzten Fluchtlinien sind im Sinne des Gesetzes neue, auch wenn sie mit dem früheren Plane ganz oder teilweise übereinstimmen. Ist letzteres der Fall, so ist das ein zufälliger Umstand, die Übereinstimmung ist eine rein äußerliche; entscheidend ist, daß die rechtliche Grundlage des neuen, nach einem gesetzlich geregelten Verfahren festgestellten Bebauungsplanes und des durch diesen beseitigten früheren Bebauungsplanes, eine verschiedene ist."