RG, 18.10.1884 - I 31/83
Giebt unter besonderen Umständen - insbesondere bei allgemeinen Aufträgen, im Interesse des Kommittenten nach freiem Ermessen Spekulationspapiere für denselben zu kaufen oder zu verkaufen - schon die Versäumung der sofortigen Anzeige der Auftragsausführung seitens des Kommissionäres dem Kommittenten das Recht, das ausgeführte Geschäft als nicht für seine Rechnung erfolgt anzusehen?
Tatbestand
Kläger stand mit der Beklagten, welche das Bankiergeschäft betrieb, derartig in Geschäftsverbindung, daß letztere ermächtigt war, für ihn eingekaufte Effekten auch ohne seinen besonderen Auftrag, sobald sie es als in seinem Interesse liegend erachtete, für ihn an der Börse wieder zu verkaufen. Durch Schreiben von 19. August 1872 hatte sie ihm den am 17. August 1872 erfolgten Verkauf für ihn vorher eingekaufter 5000 Thlr. Stolberger-Zinkaktien angezeigt. Kläger erkannte diesen Verkauf, zu dem er einen besonderen Auftrag nicht erteilt hatte, nicht an und bestritt auch, daß derselbe stattgefunden habe. Beklagte wurde mit ihrer Behauptung, am 17. August 1872 jenen Verkauf zu dem dem Kläger angezeigten Kurse vorgenommen zu haben, beweisfällig. Sie behauptete aber nunmehr, daß unter den von ihr am 19. August 1872 zu einem günstigeren Kurse verkauften 7100 Thlr. jener Aktien sich die für Kläger angekauften 5000 Thlr. befunden hätten und verlangte, daß sich Kläger mit der Gutschrift dieses Kurses begnügte, während Kläger die Gutschrift des noch erheblich günstigeren Kurses vom 22. August 1872 beanspruchte, weil er für diesen Tag der Beklagten Verkaufsauftrag gegeben hatte, den sie, da die angeblichen früheren Verkäufe ihn nichts angingen, habe ausführen müssen. Das Reichsgericht erachtete den Anspruch des Klägers für begründet.
Aus den Gründen
"Wenn auch im allgemeinen die rechtzeitige Anzeige von der Ausführung einer Kommission nicht zu der Ausführung selbst gehört, so liegt die Sache doch anders, wenn, wie hier, die Ausführung des Verkaufes seitens des Bankiers nicht auf Grund eines gemessenen Auftrages des Kommittenten, sondern auf Grund einer ihm eingeräumten Bethätigung eigenen freien Ermessens stattgefunden hat. In solchem Falle bietet, sofern das Ermessen sich in Vornahme einer den Kommittenten berührenden Realisierungshandlung bethätigt haben soll, insbesondere bei so ausgeprägten Spekulationsgeschäften, wie sie hier in Frage stehen, die unverzügliche Anzeige hiervon an den Kommittenten das einzige Sicherungsmittel gegen die Benutzung solcher Vertrauensstellung zu Spekulationen auf Kosten des Kommittenten. Ohne solche Anzeige kann der Bankier je nach dem weiteren Verlaufe der Kurse, bezw. der Position, welche der Kommittent später einnimmt, einer Verfügung über die Effekten des Kommittenten, die er in Wahrheit in eigenem Interesse vorgenommen hat, nachträglich den Schein einer Bethätigung des Interesses für den Kommittenten geben oder umgekehrt eine in Wahrheit für den Kommittenten bethätigte Verfügung durch Wiederverschaffung der Effekten wieder beseitigen. Es kommt hinzu, daß überall da, wo für den Kommittenten erworbene Effekten nicht in ein individualisiertes Depot für denselben genommen sind, wo also, wenn eine Verfügung über diese Effekten durch Realisierung in Frage kommt, objektiv doch nichts weiter bewiesen wird, als daß eine gleiche Anzahl Effekten realisiert worden ist, der Schluß, es sei dies für Rechnung des Kommittenten geschehen, gerade dadurch vermittelt wirb, daß ein Auftrag desselben zum betreffenden Tage vorlag oder zur entsprechenden Zeit die Anzeige, es sei dies für ihn geschehen, gemacht wurde. Fällt beides weg, so fehlt es aber an jedem sicheren Anhalte dafür, daß ein Verkauf einer bestimmten Anzahl Effekten an einem bestimmten Tage gerade in Wahrnehmung des Interesses und für Rechnung des betreffenden Kommittenten erfolgt sei. Aus diesen Gründen ist die erteilte Ermächtigung zum Verfügen nach eigenem Ermessen nach dem Willen der Beteiligten als im Sinne einer nur bei sofortiger Anzeige den Kläger verbindenden Verfügungsbefugnis erteilt anzusehen. Demgemäß konnte Kläger, da er einen Verkauf vom 19. August 1872 niemals anerkannt hat, noch am 22. August 1872 den Verkauf verlangen und daher die Erhöhung des Kreditpostens um die Differenz der Kurse beider Tage fordern."