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RG, 16.06.1884 - I 167/84

Daten
Fall: 
Abhörung eines gegenbeweislich vorgeschlagenen Zeugen
Fundstellen: 
RGZ 15, 335
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
16.06.1884
Aktenzeichen: 
I 167/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Ostrowo
  • OLG Posen

Inwiefern darf etwa die Abhörung eines gegenbeweislich vorgeschlagenen Zeugen unterlassen werden, wenn der Beweis durch Vorlegung der Protokolle über die in früheren Prozessen vorgekommenen Vernehmungen desselben Zeugen geführt worden ist ?

Gründe

... "Das Berufungsgericht hat auf Grund der in zwei früheren Prozessen der Parteien über die Zeugenaussagen eines gewissen M. aufgenommenen Protokolle als erwiesen angesehen, daß bei einer näher bezeichneten Gelegenheit der Kläger sich dem Beklagten gegenüber mündlich für alle von ihm aus dem hier fraglichen ... Rechtsgeschäfte zu erhebenden Ansprüche für völlig befriedigt erklärt habe.... Dadurch erschien §. 259 Abs. 1 C.P.O. insofern als verletzt, als bei der auf die Abgabe der fraglichen Liberationserklärung bezüglichen thatsächlichen Feststellung nicht der gesamte Inhalt der Verhandlungen die gebührende Berücksichtigung gefunden hat. Es konnte allerdings kein rechtliches Bedenken obwalten, weshalb nicht der im Wege des Urkundenbeweises der Kenntnis des Gerichtes ermittelte Inhalt der früheren Zeugenaussagen des M. genügender Beweisgrund für die Behauptung des Beklagten hätte gelten dürfen; aber es fehlt im vorigen Urteile an einer ausreichenden Begründung dafür, weshalb der von dem Kläger mittels Benennung des M. als Zeugen angetretene Gegenbeweis nicht erhoben worden ist. Es wird dort die Vernehmung des M. deswegen für überflüssig erklärt, weil der Zeuge in den früheren Prozessen nicht unbestimmt und sich widersprechend, sondern präzis und gleichmäßig ausgesagt habe. Der Sinn ist offenbar der, daß es aus diesem Grunde als wahrscheinlich anzusehen sei, daß er auch jetzt doch wieder nur dasselbe aussagen würde. Nun ist es aber, wie schon früher vom Reichsgerichte1 ausgeführt ist, durchaus unstatthaft, die wirkliche Abhörung eines Zeugen durch Vermutungen, wenn auch noch so wahrscheinliche, über das, was er nur zu bekunden imstande sein würde, zu ersetzen. Nur durch die Gewißheit, daß, selbst wenn der Zeuge vollständig im Sinne des Beweisführers aussagen sollte, dennoch dadurch kein Einfluß auf die anderweitig bereits befestigte richterliche Überzeugung mehr ausgeübt werden würde, könnte die Unterlassung der Vernehmung eines über erhebliche Thatsachen vorgeschlagenen Zeugen als gerechtfertigt erscheinen. Daher ist es allerdings öfters vom Reichsgerichte als zulässig bezeichnet worden, die Abhörung eines Zeugen aus dem Grunde zu unterlassen, weil durch das Protokoll über seine Vernehmung in einem früheren Prozesse bereits gegenbeweislich dargethan sei, daß er damals etwas mit dem jetzt von ihm zu Bekundenden Unvereinbares ausgesagt habe, und weil deshalb jetzt seinem etwaigen entgegengesetzten Zeugnisse doch der Glaube, würde versagt werden müssen. Aber nicht leicht wird es vorkommen, daß mit Grund ein Richter im voraus erklären könnte, er würde, selbst wenn der zum Gegenbeweise vorgeschlagene Zeuge das Gegenteil des von ihm in früheren Prozessen Bekundeten aussagen sollte, doch auf Grund dieser früheren Zeugnisse den Beweis als erbracht ansehen; und jedenfalls hat im vorliegenden Falle das Berufungsgericht dies nicht erklärt."...

  • 1. vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 4 S 377 flg.