RG, 10.12.1881 - I 619/81

Daten
Fall: 
Beweiskraft der Handelsbücher
Fundstellen: 
RGZ 6, 345
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
10.12.1881
Aktenzeichen: 
I 619/81
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Graudenz
  • OLG Marienwerder

Beweiskraft der Handelsbücher nach Aufhebung der Artt. 34 flg. H. G. B, durch §. 13 Abs. 2 des Einführungsgesetzes zur Civilprozeßordnung.

Tatbestand

Der Kläger hat auf Grund des §. 3 Nr. 2 des Reichsgesetzes vom 21. Juli 1869 einen Akt angefochten, wodurch sein Schuldner Mtz. M. eine ihm gegen die Erben L. zustehende Forderung seinem Bruder Sd. M., dem Beklagten, cediert hat. Beklagter hat den ihm obliegenden Beweis, daß ihm zur Zeit des Vertragsschlusses eine Absicht des Cedenten, seine Gläubiger zu benachteiligen, nicht bekannt gewesen sei, angetreten, indem er nachzuweisen suchte, daß die Cession zur Tilgung von Forderungen, welche dem Beklagten gegen den Cedenten zugestanden, erfolgt sei. Das Berufungsgericht hat die angefochtene Cession für unwirksam erklärt, indem es den dem Beklagten obliegenden Beweis nicht für geführt erachtet, da die Existenz derjenigen angeblichen Forderungen des Beklagten an Mtz. M., zu deren Tilgung die Cession erfolgt sein solle, nicht dargethan sei. Auf die Revision des Beklagten hat das Reichsgericht das Berufungsurteil aufgehoben aus folgenden Gründen:

Gründe

"Unter den Beweismitteln, welche der Beklagte zum Beweise derjenigen, ihm angeblich gegen Mtz. M. zustehenden Forderungen, zu deren Tilgung die Cession erfolgt sein soll, produziert hat, stehen die Handelsbücher des Beklagten in erster Linie. Der Beklagte hatte mit seinem vorbereitenden Schriftsatze eine Spezifikation seiner durch jene Cession getilgten Forderungen an Mtz. M. überreicht, in welcher als Hauptposten mehrere bare Darlehen im Gesamtbeträge von mehr als 2600 M , außerdem kleinere Posten an Preisen gelieferter Waren und für den Mtz. M. an Dritte vom Beklagten geleisteten Zahlungen und anderen Auslagen aufgeführt sind. Sämtliche Posten der Spezifikation datieren aus den Jahren 1875 bis 1877, während die angefochtene Cession vom 23. Mai 1879 datiert. Im Beweisverfahren wurden die Handelsbücher des Beklagten vorgelegt. Der zugezogene Sachverständige erklärt dieselben für ordnungsmäßig geführt und vollständig glaubhaft; alle Posten, welche in der vom Beklagten eingereichten Spezifikation stehen, seien in diesen Büchern ordnungsmäßig eingetragen. Daraufhin nahm der erste Richter den Beweis der Forderung des Beklagten an den Cedenten als vollständig geführt an. Der Berufungsrichter dagegen hat erwogen:

"Nachdem nach §.13 Abs. 2 des Einführungsgesetzes zur Civilprozeßordnung die Vorschriften des Handelsgesetzbuches Artt. 34 flg. bezüglich der Beweiskraft der Handelsbücher zwischen Kaufleuten aufgehoben worden, sei die Beweisfähigkeit derselben von dem Richter in jedem einzelnen Falle nach freier Überzeugung zu prüfen. Im vorliegenden Falle erscheine nun die von dem vernommenen Sachverständigen festgestellte Übereinstimmung der die Forderungen des Beklagten an seinen Bruder enthaltenden Zusammenstellung mit dem Inhalte der von dem Beklagten vorgelegten Handelsbücher allein durchaus nicht geeignet, die Existenz dieser Forderungen auch nur wahrscheinlich zu machen, da diese Zusammenstellung augenscheinlich aus den Büchern herausgefertigt sei und daher naturgemäß mit dem Inhalte derselben kongruieren müsse, für die Prüfung der sonstigen Eintragungen jedoch jeder Anhalt fehle. Es komme aber hinzu, daß der vom Beklagten überreichte Auszug seiner sämtlichen Forderungen an Mtz. M. und damit der Inhalt der Handelsbücher mit den eigenen Anführungen des Beklagten und zum Teil mit dem Resultate der Beweisaufnahme im Widerspruch stehe. (Dieser Widerspruch wird in Bezug auf zwei Punkte dargelegt und dann fortgefahren.) Diesen Momenten gegenüber könne allein der Umstand, daß seit der letzten Eintragung in die Bücher bis zur Cession mehrere Jahre verflossen seien, nicht die Überzeugung von der Richtigkeit oder auch nur der Wahrscheinlichkeit der Existenz der in den Büchern aufgeführten Forderungen begründen."

Diese Ausführung ist nicht durchsichtig und klar, läßt aber soviel erkennen, daß der Berufungsrichter eine rechtsirrtümliche Auffassung von der nach dem jetzigen Stande der Gesetzgebung den kaufmännischen Handelsbüchern beizulegenden Beweiskraft hegt. Der §. 13 Abs. 2 des Einführungsgesetzes zur Civilprozeßordnung hat, indem er die in Artt. 34 flg. H. G. B. aufgestellten Beweisregeln aufhob, keineswegs die Beweiskraft, welche den Handelsbüchern längst vor dem Handelsgesetzbuche aus in der Sache liegenden Gründen beigelegt ist, beseitigen oder schmälern, sondern nur das im §. 259 C. P. O. generell aufgestellte Prinzip der freien richterlichen Beweiswürdigung auch für die Handelsbücher maßgebend erklären wollen. Nach dem Grunde, aus welchem den Handelsbüchern Beweiskraft beigelegt wird, kann diese Beweiskraft den Büchern für sich allein, ohne daß noch andere besondere Momente zur Begründung der Beweiskraft hinzuzukommen brauchen, also lediglich deshalb, weil der Kaufmann die betreffende Eintragung in die Bücher gemacht hat, beigelegt werden. Nach §. 259 C. P. O. hat der Richter indes zu würdigen, ob und welches Maß der Beweiskraft den Büchern im konkreten Falle beizulegen sei, und dabei können andere konkurrierende Momente zur Minderung oder Stärkung der Beweiskraft in Betracht kommen. Das Ergebnis der richterlichen Würdigung kann also im konkreten Falle die gänzliche Verneinung der Beweiskraft der Handelsbücher sein. Daß der Berufungsrichter aber auf diesem Wege zur Verneinung jeder Beweiskraft der Handelsbücher des Beklagten gelangt sei, kann nach der Fassung seiner Entscheidungsgründe nicht angenommen werden. Die Bemerkung des Berufungsrichters. daß die Übereinstimmung der beklagtischen Spezifikation mit den Büchern allein die Existenz der Forderungen nicht beweise, ist ohne Bedeutung und ergiebt vielmehr, daß der Berufungsrichter den Grund der Beweiskraft der Handelsbücher, welcher in der Eintragung durch den Kaufmann für sich allein liegt, verkannt hat, und rechtsirrtümlich davon ausgegangen ist, daß diese Eintragung für sich allein nichts beweisen könne. Dem Berufungsrichter lag ob, die Gründe anzugeben, aus welchen er im konkreten Falle dieser Eintragung an sich jede Beweiskraft absprechen zu müssen glaubte; als ein solcher Grund kann die Bemerkung, daß die Übereinstimmung der Bücher mit der Spezifikation nichts beweise, nicht gelten, und die weitere Bemerkung, daß für die Prüfung der sonstigen Eintragungen jeder Anhalt fehle, ist unklar und, soweit er zu verstehen ist, unrichtig. Der Sachverständige hat erklärt, daß die Bücher des Beklagten überhaupt ordnungsmäßig und tadellos geführt, und daß die hier fraglichen Forderungen ordnungsmäßig darin eingetragen seien. Das genügt, und es ist nicht ersichtlich, daß, und zu welchem Zwecke und in welcher Richtung es noch der Prüfung sonstiger Eintragungen bedürfen solle, da spezielle Monita gegen die Glaubwürdigkeit der Bücher aus sonstigen Eintragungen nicht entnommen sind. Durch die Hinfälligkeit der, das Hauptbeweismittel des Beklagten betreffenden, Argumentation des Berufungsrichters erhält die Ausführung desselben über das Ergebnis des dem Beklagten nach §. 3 Nr. 2 des Reichsgesetzes obliegenden Beweises eine so wesentliche Lücke, daß es einer anderweiten richterlichen Feststellung in dieser Beziehung bedarf, und da diese seitens des Revisionsrichters auf Grund des §. 528 Nr. 1 C. P. O. nicht erfolgen kann, die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden muß. Die weiteren Gründe, welche der Berufungsrichter in Bezug auf die Handelsbücher noch ausführt, sind nur zusätzliche ("es kommt hinzu, daß etc"), aber auch unzutreffend. Darüber, ob die 500 bis 600 Thaler, welche Beklagter als Äquivalent, bezw. als Bedingung der Cession dem Mtz. M. noch darzuleihen versprochen, in die Bücher des Beklagten eingetragen sind, ist weder verhandelt, noch Beweis erhoben; es kam darauf auch nicht an, da es sich nur darum handelte, ob die Forderungen, zu deren Tilgung die Cession erfolgt sein soll, bestanden oder nicht; zu diesen Forderungen gehörte aber das neue Darlehn von 500 bis 600 Thaler zweifellos nicht; darum ist dasselbe weder in die Spezifikation aufgenommen, noch Beweis über dessen Eintragung in die Bücher erhoben. Wenn der Berufungsrichter auf dieses Darlehn Gewicht legen zu müssen glaubte, so mußte zunächst nach der Vorschrift des §. 130 C. P. O. verfahren werden. ... Es fehlt auch an einer Begründung des angeblichen Widerspruches zwischen den Büchern und den Behauptungen des Beklagten oder dem Resultat der Beweisaufnahme."