RG, 09.04.1884 - IV 438/83
Kann der Reichsfiskus in einem Prozesse, welcher gegen ihn wegen Zurückzahlung eingezogener Reichsstempelabgaben erhoben ist, durch eine preußische Behörde vertreten werden?
Tatbestand
Kläger, von dem auf Grund des Reichsgesetzes vom 1. Juli 1881 ein Stempelbetrag von 20 Pf. eingezogen war, erhob Klage wegen Erstattung dieser 20 Pf., und richtete dieselbe gegen den Reichsfiskus, vertreten durch den Königlich preußischen Provinzialsteuerdirektor zu Berlin. Letzterer beschränkte seine Einlassung auf die beiden Einreden des Mangels der gesetzlichen Vertretung und der Unzulässigkeit des Rechtsweges. Der erste Richter erachtete beide Einreden für begründet, und erkannte, daß Kläger mit der Klage abzuweisen. Der Berufsrichter erkannte, daß das erste Urteil dahin abzuändern bezw. zu bestätigen, daß zwar die Einrede mangelnder gesetzlicher Vertretung auf beklagtischer Seite zu verwerfen, dagegen der Rechtsweg für unzulässig zu erachten. Auf die Revision des Klägers und die Anschlußrevision des Beklagten wurde das Berufungsurteil aufgehoben.
Gründe
"Der Angriff der klägerischen Revisionsbeschwerde ist nur gegen die Annahme der Unzulässigkeit des Rechtsweges gerichtet. Da aber nach §. 54 C.P.O. das Gericht den Mangel der Legitimation eines gesetzlichen Vertreters von Amts wegen zu berücksichtigen hat und diese Vorschrift auch in der Revisionsinstanz Platz greift, überdies der Beklagte wegen der Verwerfung seiner hierauf bezüglichen Einrede sich der Revision angeschlossen hat, so bildet der Streit in dem ganzen Umfange, in welchem er bisher verhandelt und entschieden worden ist, auch den Streitgegenstand in der Revisionsinstanz. Die Frage, ob der Reichsfiskus im Gegensatze zu einem Landesfiskus der richtige Beklagte ist, berührt nicht seine gesetzliche Vertretung, sondern greift schon in das dem Klaganspruch zu Grunde liegende Rechtsverhältnis ein, über welches noch gar nicht verhandelt worden ist, und bleibt außer Betracht.
Es handelt sich in diesem Prozesse um einen auf dem öffentlichen Rechte beruhenden, vermögensrechtlichen Anspruch gegen das Deutsche Reich. Dieses hat vermögensrechtlich die Natur und Stellung einer juristischen Person und bedarf im Prozesse der Vertretung. Die Vertretung im Prozesse ist ein Bestandteil der allgemeinen Vertretungsbefugnis Dritten gegenüber, und letztere, soweit sie nicht vom Kaiser persönlich ausgeübt wird, steht den mit der Verwaltung der Reichsangelegenheiten betrauten obersten Reichsbehörden, d. i. dem Reichskanzler, bezw. dem Reichskanzleramt und den innerhalb desselben bestehenden Reichsämtern, zu; denn die Vertretungsbefugnis ist ein Attribut der obersten Leitung des Staatswesens. Andere als jene Centralbehörden haben zwar innerhalb ihres Ressorts bei der Verwaltung der Reichsangelegenheiten mitzuwirken; ihr Geschäftskreis ermächtigt sie aber nur, die erforderlichen Maßregeln zur Ausführung der für ihren Verwaltungszweig gegebenen Gesetze und Instruktionen zu treffen, und innerhalb der hierzu gehörigen Geschäfte liegt die Vertretung des Reiches Dritten gegenüber nicht. Zur Übertragung der Vertretungsbefugnis bedarf es einer ausdrücklichen Gesetzesbestimmung, wie solche z. B. im §. 13 des Postgesetzes vom 28. Oktober 1871 und §§. 151-153 des Reichsbeamtengesetzes vom 31. März 1873 enthalten ist. Eine Vertretung des Reiches durch andere als seine eigenen Behörden ist an sich etwas Abnormes, und bedarf um so mehr einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung. Ein Gesetz, welches für den vorliegenden Fall die Vertretung des Reichsfiskus den Behörden der Bundesstaaten überträgt, existiert aber nicht.
Daraus, daß das Deutsche Reich keine eigenen Behörden zur Einziehung der nach dem Gesetze vom 1. Juli 1881 zu erhebenden Stempelabgaben hat, und die betreffenden Verrichtungen den Beamten der einzelnen Bundesstaaten auferlegt sind, läßt sich nicht der Schluß ziehen, daß die etwa erforderliche Vertretung des Reiches ebenfalls auf die Landesbeamten übergegangen ist; es folgt daraus nur, daß die Landesbeamten ihre Thätigkeit behufs Einziehung der Reichsstempel nach Vorschrift der Gesetze einzusetzen haben, und zu dieser rein administrativen Dienstleistung gehört nicht die Vertretung des Reiches als juristischer Person in Prozessen gegenüber Dritten, Der Berufungsrichter findet, die Legitimation des Königl. preußischen Provinzialsteuerdirektors in Berlin zur Vertretung des Reichsfiskus im §. 27 des Gesetzes vom 1. Juli 1881. Diese Vorschrift benennt die mit der Beaufsichtigung des Stempelwesens beauftragten Landesbehörden und Beamten, und legt ihnen gleiche Verpflichtungen und Befugnisse bei, wie sie ihnen bezüglich der Landesstempel obliegen und zustehen. Wenn hier von den mit der Beaufsichtigung des Stempelwesens beauftragten Behörden und Beamten die Rede ist, so sind unter ihren Verpflichtungen und Befugnissen auch nur diejenigen gemeint, welche mit der Beaufsichtigung des Stempelwesens zusammenhängen und ein Ausfluß der Aufsichtspflicht bezw. des Aufsichtsrechtes sind, und diese Pflicht bezw. das Recht beziehen sich nur auf die Beobachtung und Ausführung der Gesetze rücksichtlich der Erhebung und bei Hinterziehung der Reichsstempelabgaben, enthalten nicht auch die Vertretungsbefugnis bezüglich der erhobenen Stempel und der etwaigen Erstattungsansprüche gegenüber Dritten, und legitimieren nicht zur Vertretung im Prozesse. Wenn nun die preußischen Provinzialsteuerdirektoren nicht nur mit der Beaufsichtigung des Stempelwesens in ihren Bezirken beauftragt, sondern ihnen außerdem durch die ausdrückliche Bestimmung im §. 12 des Gesetzes vom 24. Mai 1861 die Vertretung des preußischen Fiskus in Prozessen zugewiesen ist, so kann diese außerhalb und neben ihrer Eigenschaft als Aufsichtsbehörde für das Stempelwesen in einem begrenzten Bezirke bestehende Zuständigkeit nicht unter die im §. 27 a. a. O. gemeinten Verpflichtungen und Befugnisse subsumiert werden, und überdies läßt sich die Vertretung des Reichsfiskus nicht als eine "gleiche Befugnis" mit der Vertretung des Landesfiskus ansehen. Hiernach ist der beklagte Reichsfiskus durch den Königl. Provinzialsteuerdirektor in Berlin nicht gesetzlich vertreten, und aus diesem Grunde ist die Klage vom ersten Richter mit Recht zurückgewiesen. Beim Mangel der gesetzlichen Vertretung des Reichsfiskus ist auf die Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges nicht einzugehen, und unter Aufhebung des Berufungsurteiles lediglich die Berufung des Klägers gegen das erste Urteil zurückzuweisen."