BGH, 18.05.1998 - II ZR 355/95
Zur Frage der Inanspruchnahme des wahren Unternehmensträgers aufgrund eines Vertragsabschlusses.
Tenor
Auf die Rechtsmittel des Beklagten werden - unter Zurückweisung der weitergehenden Rechtsmittel - das Urteil des 5. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 24. Mai 1995 aufgehoben und das Urteil der 14. Zivilkammer des Landgerichts Hamburg vom 21. September 1994 abgeändert, soweit zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist.
Die Klage wird als im Urkundenprozeß unstatthaft abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
Im November 1992 verhandelten der Beklagte und sein Vater im Namen einer "G. Gü. GmbH" mit der Klägerin über den Kauf einer Zuschneidemaschine zum Preis von 450.000,- DM zuzüglich Mehrwertsteuer. Der Beklagte trat bei den Vertragsverhandlungen als "Geschäftsleitung" sein Vater als Geschäftsführer dieser Gesellschaft auf. Der Klägerin war nicht bekannt, daß die Gesellschaft nicht existierte. Diese wurde von dem Beklagten und seinem Vater erst durch notariell beurkundeten Vertrag vom 18. Juni 1993 unter der Firma "G. GmbH" gegründet; sie wurde am 7. Dezember 1993 in das Handelsregister eingetragen. Über das Vermögen der Gesellschaft ist bald darauf das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet worden. Die Klägerin hat die Zuschneidemaschine Ende Januar 1993 geliefert und montiert. Auf den zum Teil in Raten zahlbaren Kaufpreis sind in der Zeit von Februar bis November 1993 insgesamt 231.000,- DM bezahlt worden.
Die Klägerin nimmt den Beklagten mit der Behauptung, daß er zur Zeit des Vertragsschlusses gemeinsam mit seinem Vater Inhaber des im Aufbau befindlichen Bekleidungswerkes gewesen sei, aus dem Kaufvertrag in Anspruch. Der Beklagte hat demgegenüber geltend gemacht, daß sein Vater bis zur Gründung der GmbH alleiniger Inhaber des Bekleidungswerkes gewesen sei.
Mit der im Urkundenprozeß erhobenen Klage hat sie zunächst Zahlung des Restkaufpreises nebst Zinsen und Ersatz des Verzögerungsschadens verlangt. Nach Rücknahme und anderweiter Veräußerung der unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Zuschneidemaschine hat sie in der Berufungsinstanz Schadensersatz wegen Nichterfüllung des Kaufvertrages und im übrigen Feststellung der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache begehrt. Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 316.097,09 DM stattgegeben und sie in Höhe des Restbetrages von 5.050,32 DM (weiterer Verzögerungsschaden) abgewiesen. Die Berufung des Beklagten hatte nur im Hinblick auf einen Teil der geltend gemachten Verzugszinsen Erfolg. Mit der Revision erstrebt der Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten führt zur Abweisung der noch anhängigen Klage als im Urkundenprozeß unstatthaft (§ 597 Abs. 2 ZPO).
Mit Recht macht die Revision geltend, daß die Klägerin nicht alle klagebegründenden Tatsachen durch Urkunden bewiesen hat.
1. Der Beklagte hat bestritten, zur Zeit des Vertragsschlusses gemeinsam mit seinem Vater Inhaber des im Aufbau befindlichen Bekleidungswerkes gewesen zu sein. Das Berufungsgericht hat dazu ausgeführt, es stehe nicht fest, ob der Beklagte zusammen mit seinem Vater eine auf eine Gesellschaftsgründung zielende Bindung eingegangen sei. Er behaupte, den Entschluß zu einer Gesellschaftsgründung erst nach Abschluß des Kaufvertrages mit der Klägerin gefaßt zu haben. In diesem Falle sei wahrer Unternehmensträger der Firma G. lediglich der Vater des Beklagten als Einzelkaufmann gewesen, der Beklagte hingegen sei nur in abgeleiteter Funktion, z.B. als Handlungsbevollmächtigter oder als freier Mitarbeiter, in dem Unternehmen tätig geworden. Nach Ansicht des Berufungsgerichts haftet der Beklagte jedoch deswegen, weil er durch sein Auftreten als "Geschäftsleitung" den Eindruck erweckt habe, Gesellschafter der GmbH zu sein, mit der die Klägerin zu kontrahieren glaubte. Da diese GmbH in Wahrheit noch nicht existiert habe, wirke sich der von dem Beklagten gesetzte Rechtsschein dahin aus, daß er wie ein Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft persönlich für die Kaufpreisschuld einzustehen habe. Das ist rechtsfehlerhaft.
2. a) Bei einem unternehmensbezogenen Geschäft geht der Wille der Beteiligten nach der vom Senat in ständiger Rechtsprechung angewandten Auslegungsregel im Zweifel dahin, daß der Inhaber des Unternehmens Vertragspartei wird und nicht der für das Unternehmen Handelnde. Das gilt auch dann, wenn der Inhaber des Unternehmens falsch bezeichnet wird oder sonst Fehlvorstellungen über ihn bestehen (BGH, Urt. v. 15. Januar 1990 - II ZR 311/88, NJW 1990, 2678 m.w.N.). Der Handelnde haftet nur dann nach § 179 BGB, wenn ein Unternehmensträger gar nicht existiert oder wenn er keine Vollmacht hatte, für den Unternehmensträger zu handeln (BGHZ 91, 148, 152). Im vorliegenden Fall existierte mit dem Vater des Beklagten unstreitig ein Unternehmensträger der selbst an dem Vertragsschluß mitgewirkt hat.
b) Neben dem Grundsatz, daß der wahre Rechtsträger durch das unternehmensbezogene Geschäft berechtigt und verpflichtet wird, ist Raum für eine Rechtsscheinhaftung des Handelnden, wenn dieser in zurechenbarer Weise den Eindruck erweckt, daß der Unternehmensträger unbeschränkt für die Verbindlichkeit hafte. Ist der Unternehmensträger in Wahrheit eine Gesellschaft mit beschränkter Haftungsmasse, so ist der Handelnde dem gutgläubig auf den gesetzten Rechtsschein vertrauenden Vertragspartner gesamtschuldnerisch neben dieser verpflichtet (BGH, Urt. v. 15. Januar 1990 aaO S. 2679).
Hier liegt der Fall aber gerade umgekehrt. Die Klägerin erwartete, eine GmbH als Vertragspartnerin zu erhalten. Nach den Grundsätzen über das unternehmensbezogene Geschäft erhielt sie mit dem Vater des Beklagten einen unbeschränkt haftenden Vertragspartner (vgl. zu dessen die Errichtung der GmbH überdauernden Haftung das Urteil des Senats vom 9. März 1998 in dem Verfahren II ZR 366/96, ZIP 1998, 646). Es gibt keinen Gesichtspunkt, der dafür spräche, neben dem Vater des Beklagten auch diesen selbst haften zu lassen. Denn mit zwei unbeschränkt haftenden Schuldnern konnte die Klägerin ebensowenig rechnen wie mit einer persönlichen Haftung gerade des Beklagten. Ob die Klägerin den Beklagten auf Grund seines Auftretens bei den Vertragsverhandlungen für einen Gesellschafter der vermeintlichen GmbH gehalten hat und halten durfte, ist unerheblich. Denn als Gesellschafter der GmbH hätte der Beklagte gerade nicht für deren Verbindlichkeiten gehaftet. Die Rechtsscheinhaftung kann nicht weitergehen als die Haftung ginge, wenn der Schein der wirklichen Rechtslage entspräche (BGHZ 17, 13, 17; 69, 95, 99).
c) Die Klage wäre nur dann begründet, wenn der Beklagte zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses gemeinsam mit seinem Vater Träger des im Aufbau befindlichen Bekleidungswerkes war. Das steht - wie das Berufungsgericht zutreffend annimmt - auf Grund der vorgelegten Schriftstücke, in denen der Beklagte als "Geschäftsleitung" der angeblichen GmbH gezeichnet hat, nicht fest. Da die Klägerin den Beweis dieser klagebegründenden Tatsache nicht durch Urkunden geführt hat, ist die Klage im Urkundenprozeß unstatthaft.
d) Entgegen der Ansicht der Revision kommt eine Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht wegen Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 139 Abs. 1 ZPO) nicht in Betracht. Der Beklagte hat die Gründe, mit denen das Landgericht seine Gesellschaftereigenschaft bejaht hat, mit umfangreichen Ausführungen in der Berufungsbegründungsschrift angegriffen. Unter diesen Umständen war es Sache der Klägerin, über ihre Stellungnahme zu diesen Ausführungen hinaus entweder weitere Urkunden vorzulegen, aus der sich die Gesellschaftereigenschaft des Beklagten ergab, oder vom Urkundenprozeß Abstand zu nehmen und den Rechtsstreit in das ordentliche Verfahren überzuleiten (§ 596 ZPO). Eines aufklärenden Hinweises dazu durch das Berufungsgericht bedurfte es nicht.
Die Klage war somit auf die Revision des Klägers als im Urkundenprozeß unstatthaft abzuweisen.