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Art. 65a GG - Befehls- und Kommandogewalt (Kommentar)

(1) Der Bundesminister für Verteidigung hat die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte.

(2) (weggefallen)

1. Art. 65a Abs. 1 GG: Befehls- und Kommandogewalt des Bundesministers für Verteidigung

1.1. Systematische Einordnung

Art. 65a Abs. 1 GG verankert die Befehls- und Kommandogewalt des Bundesministers für Verteidigung als zentrale Führungsfunktion innerhalb der Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland. Die Norm ist eine spezifische Ausprägung der Gewaltenteilung und ein Element der zivilen Kontrolle über das Militär. Diese Regelung ergänzt die Grundsätze des Art. 65 GG, insbesondere das Ressortprinzip, und ist eng mit den Regelungen zur Verteidigungsorganisation (Art. 87a GG) und zum Verteidigungsfall (Art. 115b GG) verbunden.

1.2. Normzweck und Zielsetzung

Art. 65a GG zielt darauf ab, die demokratische und zivile Kontrolle über die Streitkräfte sicherzustellen. Die Konzentration der Befehls- und Kommandogewalt beim Verteidigungsminister betont die Rolle eines politischen Entscheidungsträgers im Militärbereich und vermeidet eine eigenständige Machtbasis des Militärs. Dies ist eine bewusste Lehre aus der deutschen Geschichte und der Rolle des Militärs in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus.

1.3. Befehls- und Kommandogewalt: Begriff und Umfang

1.3.1. Begriffsbestimmung

Die Befehls- und Kommandogewalt umfasst die umfassende Befugnis des Verteidigungsministers, Weisungen und Befehle zu erteilen, die für die Organisation, Ausbildung, Disziplin und den Einsatz der Streitkräfte erforderlich sind. Sie bezieht sich sowohl auf die strategische Ebene (z. B. Einsatzentscheidungen) als auch auf administrative und operative Fragen.

  • Befehlsgewalt: Dies bezieht sich auf die rechtliche und hierarchische Anordnung von Maßnahmen, die von den Streitkräften umgesetzt werden müssen.
  • Kommandogewalt: Sie beschreibt die operative Führung der Streitkräfte, insbesondere in Krisen- und Konfliktsituationen.

1.3.2. Umfang der Befugnisse

Der Verteidigungsminister hat umfassende Kompetenzen, die sich auf alle Bereiche der Streitkräfte erstrecken. Diese Befugnisse sind jedoch durch die Grundrechte der Soldaten (Art. 1 und Art. 2 GG), die Prinzipien des Wehrverfassungsrechts (z. B. Parlamentsvorbehalt gemäß Art. 87a Abs. 2 GG) und die Kontrollmechanismen des Bundestages begrenzt.

Besonders hervorzuheben ist, dass die Befehls- und Kommandogewalt nicht nur im Alltag gilt, sondern auch während des Verteidigungsfalls. Allerdings gehen die Befugnisse im Verteidigungsfall gemäß Art. 115b GG auf den Bundeskanzler über, was eine klare Hierarchie in Krisenzeiten sicherstellt.

1.4. Verhältnis zu anderen Staatsorganen

1.4.1. Parlamentarische Kontrolle

Die Befehls- und Kommandogewalt des Verteidigungsministers unterliegt der parlamentarischen Kontrolle. Der Deutsche Bundestag übt diese Kontrolle insbesondere durch den Verteidigungsausschuss und den Wehrbeauftragten aus. Gemäß Art. 45a GG kann der Verteidigungsausschuss als Untersuchungsausschuss tätig werden, was die Transparenz militärischer Entscheidungen sicherstellt.

1.4.2. Verhältnis zum Bundespräsidenten

Der Bundespräsident ist formal der oberste Repräsentant der Bundeswehr, insbesondere durch die Ernennung und Entlassung von Offizieren (Art. 60 Abs. 1 GG). Diese Funktion ist jedoch rein zeremoniell und begründet keine operative Befehlsgewalt.

1.4.3. Verhältnis zum Bundeskanzler

Der Bundeskanzler übt im Verteidigungsfall gemäß Art. 115b GG die Befehls- und Kommandogewalt aus. Im Normalfall beschränkt sich seine Rolle auf die Richtlinienkompetenz gemäß Art. 65 Satz 1 GG, die jedoch auch die Verteidigungspolitik umfassen kann. Es bleibt jedoch der Verteidigungsminister, der die Befehls- und Kommandogewalt operativ umsetzt.

1.4.4. Verhältnis zum Generalinspekteur

Der Generalinspekteur der Bundeswehr ist der ranghöchste Soldat und der militärische Berater des Verteidigungsministers. Seine Aufgaben umfassen die strategische Planung und die operative Führung der Streitkräfte. Er ist dem Verteidigungsminister unmittelbar unterstellt, und seine Befugnisse leiten sich aus der Befehls- und Kommandogewalt des Ministers ab. Er agiert daher stets in dessen Auftrag und ist an dessen Weisungen gebunden.

1.5. Historische Entwicklung

Die Regelung der Befehls- und Kommandogewalt in Art. 65a GG ist eine bewusste Entscheidung des Parlamentarischen Rates, die auf den Erfahrungen der Weimarer Republik und des NS-Regimes basiert. In der Weimarer Republik hatte der Reichspräsident als Oberbefehlshaber des Militärs eine autonome Machtposition, die letztlich zur Aushöhlung der Demokratie beitrug. Um dies zu vermeiden, wurde im Grundgesetz die militärische Macht in die Hände eines zivilen Ministers gelegt, der parlamentarischer Kontrolle unterliegt.

Artikel 47 WRV
Der Reichspräsident hat den Oberbefehl über die gesamte Wehrmacht des Reichs.

Diese Regelung wurde durch die Wehrverfassungsgesetze von 1956 konkretisiert, die die Gründung der Bundeswehr und die Integration der Streitkräfte in die Strukturen der NATO regelten.

1.6. Rechtsdogmatische Analyse

1.6.1. Zivile Führung der Streitkräfte

Art. 65a GG manifestiert das Prinzip der zivilen Führung der Streitkräfte, das ein zentrales Element der demokratischen Ordnung darstellt. Die Konzentration der Befehls- und Kommandogewalt bei einem zivilen Minister verhindert eine eigenständige Machtbasis des Militärs und stärkt die demokratische Kontrolle.

1.6.2. Eingeschränkte Unabhängigkeit der Streitkräfte

Die Bundeswehr ist ein Instrument der Exekutive und nicht, wie in einigen anderen Staaten, ein eigenständiges Organ mit autonomen Entscheidungsbefugnissen. Dies ist eine direkte Konsequenz der historischen Erfahrungen Deutschlands und soll sicherstellen, dass militärische Macht stets an die politischen Vorgaben gebunden bleibt.

1.6.3. Grenzen der Befugnisse

Die Befehls- und Kommandogewalt des Verteidigungsministers ist nicht unbegrenzt. Sie wird durch:

  • Die Grundrechte: Soldaten sind Träger von Grundrechten, die auch im militärischen Kontext gelten, sofern nicht durch gesetzliche Vorschriften eingeschränkt.
  • Die Parlamentsvorbehalte: Einsätze der Bundeswehr außerhalb Deutschlands bedürfen der Zustimmung des Bundestages gemäß dem Parlamentsbeteiligungsgesetz.
  • Internationale Verpflichtungen: Entscheidungen des Verteidigungsministers müssen mit den internationalen Verpflichtungen Deutschlands, insbesondere innerhalb der NATO und der EU, in Einklang stehen.

1.7. Praktische Bedeutung

Art. 65a GG ist von erheblicher praktischer Relevanz, insbesondere in Zeiten internationaler Krisen und Konflikte. Die Befehls- und Kommandogewalt ermöglicht es dem Verteidigungsminister, schnell und effektiv auf sicherheitspolitische Herausforderungen zu reagieren, während die parlamentarischen Kontrollmechanismen sicherstellen, dass solche Entscheidungen demokratisch legitimiert bleiben.

Die Befugnisse des Verteidigungsministers sind jedoch auch in der alltäglichen Organisation der Bundeswehr von Bedeutung. Sie betreffen die Ausbildung, Ausstattung und strategische Ausrichtung der Streitkräfte und prägen somit die langfristige Verteidigungsfähigkeit Deutschlands.

1.8. Fazit der Regelungsstruktur

Art. 65a GG ist eine zentrale Norm des deutschen Wehrverfassungsrechts. Sie sichert die demokratische Kontrolle über die Streitkräfte, gewährleistet die effiziente Führung der Bundeswehr und bildet die Grundlage für die operative und strategische Ausrichtung der deutschen Verteidigungspolitik. Durch die enge Verknüpfung mit anderen Verfassungsnormen und die umfassende parlamentarische Kontrolle fügt sich die Befehls- und Kommandogewalt nahtlos in die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik ein.

2. Art. 65a Abs. 2 GG (weggefallen)

2.1. Wortlaut

Vom 22. März 1956 bis zum 28. Juni 1968 lautete Absatz 2 des Artikel 65a GG:1

(2) Mit der Verkündung des Verteidigungsfalles geht die Befehls- und Kommandogewalt auf den Bundeskanzler über.

Danach ist der Absatz ersatzlos wegfallen.2

2.2. Einführung

Art. 65a Abs. 2 GG, der mit der Reform der Wehrverfassung und der Neustrukturierung des Wehrrechts in den 1960er Jahren in das Grundgesetz eingefügt wurde, bestimmte, dass mit der Verkündung des Verteidigungsfalles die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte vom Bundesminister der Verteidigung auf den Bundeskanzler überging. Diese Regelung wurde im Zuge der Novellierung des Grundgesetzes im Jahr 1968 in Art. 115b GG integriert, der bis heute den Übergang der Befehls- und Kommandogewalt im Verteidigungsfall regelt. Art. 65a Abs. 2 GG ist somit historisch bedeutsam, da er die Grundlagen für die heutigen Regelungen des Verteidigungsrechts schuf.

2.3. Historischer Kontext

Die Einfügung von Art. 65a Abs. 2 GG ist vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland zu betrachten. Mit der Gründung der Bundeswehr im Jahr 1955 und der Integration in die NATO war eine verfassungsrechtliche Regelung zur Führung der Streitkräfte in Krisenzeiten erforderlich. Die Debatte im Parlamentarischen Rat und in den folgenden Gesetzgebungsverfahren drehte sich um die zentrale Frage, wer im Verteidigungsfall die politische Verantwortung und die militärische Führung innehaben sollte.

Die Wahl, die Befehls- und Kommandogewalt im Verteidigungsfall auf den Bundeskanzler zu übertragen, spiegelte das deutsche Streben nach einer demokratisch kontrollierten und politisch verantwortlichen Militärführung wider. Die Erfahrung der Weimarer Republik und des Dritten Reiches, in denen die militärische Führung weitgehend unabhängig von der politischen Kontrolle war, hatte gezeigt, dass eine solche Machtkonzentration gefährlich sein konnte.

2.4. Systematische Einordnung

Art. 65a Abs. 2 GG stand im Kontext der Regelungen zur Bundesregierung (Art. 62 ff. GG) und der Wehrverfassung (Art. 87a GG). Während Art. 65a Abs. 1 GG die normale Befehls- und Kommandogewalt beim Bundesminister der Verteidigung beließ, sollte der Verteidigungsfall eine zentrale Führungsstruktur schaffen, die den Bundeskanzler in die Verantwortung nahm. Der Übergang der Befehlsgewalt wurde durch die Verkündung des Verteidigungsfalls gemäß Art. 115a GG ausgelöst, wodurch das Zusammenspiel der staatlichen Organe unter Krisenbedingungen neu geregelt wurde.

2.5. Ziel und Zweck der Regelung

Der Zweck von Art. 65a Abs. 2 GG war die Sicherstellung einer kohärenten und zentralisierten militärischen Führung in existentiellen Krisenzeiten. Die Konzentration der Befehls- und Kommandogewalt beim Bundeskanzler sollte:

  • Die politische und militärische Führung vereinen: Der Bundeskanzler war als Regierungschef die zentrale Exekutivinstanz, die im Krisenfall politische und militärische Entscheidungen koordinieren konnte.
  • Die demokratische Kontrolle stärken: Anders als in autoritären Systemen sollte die militärische Führung durch eine zivil-demokratische Instanz wahrgenommen werden.
  • Handlungsfähigkeit in Krisensituationen sicherstellen: Eine klare Hierarchie und eindeutige Zuständigkeiten waren unerlässlich, um die militärische Führung in einer eskalierenden Bedrohungssituation zu sichern.

2.6. Rechtsdogmatische Analyse

2.6.1. Voraussetzungen für den Übergang der Befehlsgewalt

Der Übergang der Befehls- und Kommandogewalt war an die Verkündung des Verteidigungsfalls gebunden. Diese Verkündung konnte gemäß Art. 115a GG erfolgen, wenn das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wurde oder ein solcher Angriff unmittelbar bevorstand. Die Entscheidung über die Feststellung des Verteidigungsfalls lag beim Bundestag, wodurch eine enge Anbindung an die parlamentarische Kontrolle sichergestellt wurde.

2.6.2. Inhalt und Reichweite der Befugnisse des Bundeskanzlers

Mit der Übernahme der Befehls- und Kommandogewalt erlangte der Bundeskanzler umfassende Entscheidungsbefugnisse über die Streitkräfte. Dies betraf insbesondere:

  • Strategische Entscheidungen: Der Bundeskanzler war befugt, Einsatzstrategien und militärische Operationen festzulegen.
  • Operative Befehle: Die operative Umsetzung der strategischen Entscheidungen blieb Aufgabe der militärischen Führung, die jedoch direkt dem Bundeskanzler unterstellt war.
  • Koordinierung mit internationalen Verbündeten: Als Führungsinstanz war der Bundeskanzler für die Abstimmung mit NATO-Partnern und anderen Verbündeten verantwortlich.

2.6.3. Abgrenzung zur Rolle des Verteidigungsministers

Während der Verteidigungsminister im Normalfall die unmittelbare Führung der Streitkräfte innehatte, reduzierte sich seine Rolle im Verteidigungsfall auf die Unterstützung und Beratung des Bundeskanzlers. Seine Befehlsgewalt wurde vollständig durch die des Bundeskanzlers ersetzt, was eine klare Hierarchie und Verantwortlichkeit schuf.

2.6.4. Demokratietheoretische Implikationen

Die Übertragung der Befehls- und Kommandogewalt auf den Bundeskanzler stärkte die demokratische Legitimation der militärischen Führung. Gleichzeitig stellte die Regelung einen Balanceakt dar, da der Bundeskanzler im Verteidigungsfall eine erhebliche Machtfülle erhielt, die bei Missbrauch die demokratische Ordnung gefährden könnte. Die Bindung an die Feststellung des Verteidigungsfalls durch den Bundestag und die Einbindung internationaler Bündnismechanismen (z. B. NATO) sollten einem möglichen Machtmissbrauch entgegenwirken.

2.7. Kritik und Diskussion

Die Regelung des Art. 65a Abs. 2 GG wurde von Beginn an kontrovers diskutiert. Kritiker sahen in der Machtkonzentration beim Bundeskanzler eine potenzielle Gefahr für die Gewaltenteilung und die demokratische Ordnung. Befürworter betonten hingegen die Notwendigkeit einer zentralen und handlungsfähigen Führung in Krisenzeiten.

2.7.1. Verfassungsrechtliche Bedenken

Ein zentraler Kritikpunkt war die Frage, ob der Übergang der Befehls- und Kommandogewalt auf den Bundeskanzler mit dem Prinzip der Gewaltenteilung und der Rolle des Bundestages als Kontrollorgan vereinbar sei. Einige Stimmen forderten, dass auch im Verteidigungsfall der Bundestag stärker in die Entscheidungsprozesse eingebunden werden sollte.

2.7.2. Praktische Herausforderungen

Die Regelung ließ Fragen zur praktischen Umsetzung offen, etwa wie die militärische Führung unter den Bedingungen moderner Kriegsführung organisiert werden sollte. Besonders in internationalen Einsätzen der NATO stellte sich die Frage, wie die nationale Befehlsstruktur mit der internationalen Abstimmung vereinbart werden konnte.

2.8. Gründe für den Wegfall der Norm

Die Streichung von Art. 65a Abs. 2 GG und die Integration seiner Regelungen in Art. 115b GG erfolgte im Zuge der Grundgesetzänderung von 1968. Diese Reform zielte darauf ab, die Bestimmungen zur Verteidigungsorganisation zu vereinheitlichen und die Verfassungsnormen klarer zu strukturieren. Art. 115b GG wurde zur zentralen Norm für die Befehls- und Kommandogewalt im Verteidigungsfall, wodurch eine Doppelregelung vermieden wurde.

2.9. Fazit der historischen Relevanz

Obwohl Art. 65a Abs. 2 GG nicht mehr in Kraft ist, bleibt er von großer historischer und rechtsdogmatischer Bedeutung. Er markiert einen entscheidenden Schritt in der Entwicklung der deutschen Wehrverfassung und verdeutlicht die Herausforderungen, die mit der Vereinbarkeit von militärischer Effizienz und demokratischer Kontrolle verbunden sind. Die Regelung zeigt, wie das Grundgesetz als „wehrhafte Demokratie“ auf die Anforderungen der Zeit reagiert hat, ohne dabei seine grundlegenden Prinzipien aufzugeben.