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Art. 71 GG - Ausschließliche Gesetzgebung des Bundes (Kommentar)
Im Bereiche der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung nur, wenn und soweit sie hierzu in einem Bundesgesetze ausdrücklich ermächtigt werden.
1. Normativer Gehalt und Bedeutung
Art. 71 GG definiert die Rahmenbedingungen für die Gesetzgebungsbefugnisse der Länder im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes. Dieser Artikel betont das grundsätzliche Monopol des Bundes in diesem Kompetenzbereich und stellt klar, dass die Länder nur tätig werden dürfen, wenn und soweit sie durch ein Bundesgesetz ausdrücklich ermächtigt wurden. Die Vorschrift unterstreicht die Zentralisierung der Regelungskompetenz in ausgewählten Sachbereichen, in denen eine bundesweite Einheitlichkeit erforderlich ist.
Der Artikel ist Ausdruck des föderalen Gleichgewichts im Grundgesetz und dient der Abgrenzung zwischen bundesstaatlicher Zentralisation und der Wahrung föderaler Eigenständigkeit. Damit wird zugleich das Prinzip der Subsidiarität gewahrt, das jedoch im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes zugunsten einer stärkeren zentralstaatlichen Regelung zurücktritt.
2. Systematische Einordnung
Art. 71 GG steht im Kontext der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern, die im Abschnitt „Die Gesetzgebung des Bundes“ (Art. 70–82 GG) geregelt ist. Gemeinsam mit Art. 70 Abs. 1 GG bildet Art. 71 GG eine Grundlage für die Unterscheidung zwischen ausschließlicher und konkurrierender Gesetzgebung. Während Art. 70 GG die primäre Zuständigkeit der Länder betont, weist Art. 71 GG auf die Ausnahmefälle hin, in denen Länder trotz ausschließlicher Bundeskompetenz legislativ tätig werden können.
Die Regelung knüpft an Art. 73 GG an, der die ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes enumerativ aufzählt. Beispiele hierfür sind die Bereiche Außenpolitik, Verteidigung und Währung.
3. Ausschließliche Gesetzgebung des Bundes
Im Rahmen der ausschließlichen Gesetzgebung ist der Bund allein befugt, Gesetze zu erlassen. Die Länder sind in diesen Bereichen grundsätzlich von jeder legislativen Tätigkeit ausgeschlossen. Die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes verfolgt das Ziel, in besonders sensiblen oder komplexen Materien eine einheitliche Rechtsordnung auf Bundesebene zu gewährleisten. Dies gilt insbesondere in Bereichen mit internationalem Bezug oder solchen, die ein hohes Maß an technischer Expertise erfordern.
Die in Art. 73 GG genannten Bereiche umfassen unter anderem:
- die auswärtigen Angelegenheiten,
- die Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung,
- die Staatsangehörigkeit und das Währungswesen.
Durch die Enumerationsmethode des Art. 73 GG wird eine klare Abgrenzung geschaffen, die Kompetenzkonflikte zwischen Bund und Ländern minimieren soll.
4. Ermächtigung der Länder durch ein Bundesgesetz
Art. 71 GG erlaubt den Ländern eine legislative Tätigkeit im Bereich der ausschließlichen Bundesgesetzgebung nur dann, wenn sie durch ein Bundesgesetz ausdrücklich ermächtigt werden. Diese Ermächtigung muss hinreichend bestimmt und klar formuliert sein. Der Begriff der „ausdrücklichen Ermächtigung“ ist eng auszulegen, um Kompetenzüberschreitungen zu verhindern.
4.1. Anforderungen an die Ermächtigung
Ausdrücklichkeit: Die Ermächtigung muss ausdrücklich im Gesetzestext genannt sein. Allgemeine Formulierungen oder eine konkludente Ermächtigung genügen nicht.
Gesetzesform: Die Ermächtigung muss in einem förmlichen Bundesgesetz enthalten sein; Rechtsverordnungen oder untergesetzliche Regelungen genügen nicht.
Inhaltliche Begrenzung: Die Ermächtigung kann sich auf spezifische Sachverhalte oder Regionen beschränken, um lokale Besonderheiten zu berücksichtigen.
4.2. Beispiele für Ermächtigungen
Ein praktisches Beispiel für eine solche Ermächtigung findet sich im Bereich des Straßenverkehrsrechts. Nach § 3 Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) sind die Länder befugt, Verkehrsvorschriften zu erlassen, obwohl die Regelungskompetenz grundsätzlich beim Bund liegt.
5. Verhältnis zu anderen Kompetenzregelungen
Art. 71 GG ist eng mit Art. 73 GG und den dort enumerativ aufgeführten ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes verbunden. Zugleich grenzt er sich von den Regelungen zur konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 72 GG) ab, bei denen die Länder grundsätzlich zuständig sind, solange und soweit der Bund keinen Gebrauch von seiner Gesetzgebungskompetenz macht.
Art. 71 GG ist ferner in Beziehung zu Art. 31 GG zu setzen, der den Grundsatz „Bundesrecht bricht Landesrecht“ festschreibt. In der Praxis wird durch Art. 71 GG die Möglichkeit eröffnet, eine klare Hierarchie der Kompetenzen zu schaffen, wobei die Länder nur in Ausnahmefällen innerhalb der ausschließlichen Bundesgesetzgebung tätig werden können.
6. Rechtsfolgen bei Überschreiten der Kompetenzen
Gesetze der Länder, die ohne ausreichende Ermächtigung im Bereich der ausschließlichen Bundesgesetzgebung erlassen werden, sind verfassungswidrig und nichtig. Die Verfassungswidrigkeit wird auf Antrag durch das Bundesverfassungsgericht festgestellt (vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG). In der Praxis ist jedoch die präzise Abgrenzung der Kompetenzen oft umstritten, was zu einer erheblichen Anzahl an Kompetenzkonflikten geführt hat.