BVerfG, 23.01.1968 - 1 BvR 709/66
Das Nachtbackverbot ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
Beschluß
des Ersten Senats vom 23. Januar 1968
– 1 BvR 709/66 –
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Bäckermeisters... - Bevollmächtigter: Rechtsanwalt... - gegen a) das Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 13. Juni 1966 - Cs 10934/65 - b) den Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 21. Oktober 1966 - 4 b St 67/66.
Entscheidungsformel:
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
A.
I.
§ 5 Abs. 1 des Gesetzes über die Arbeitszeit in Bäckereien und Konditoreien vom 29. Juni 1936 (RGBl. I S. 521) in der Fassung der Verordnung über die neue Fassung der Arbeitszeitordnung und über andere arbeitszeitrechtliche Vorschriften vom 30. April 1938 (RGBl. I S. 446) - BAZG - lautet:
"In der Nachtzeit von einundzwanzig bis vier Uhr darf an Werktagen in den zur Herstellung von Bäcker- oder Konditorwaren dienenden Räumen niemand arbeiten."
Dieses Gesetz gilt nach § 1 Abs. 1:
"1. für gewerbliche Bäckereien und Konditoreien,
2. für Bäckereien und Konditoreien von Konsum- und anderen Vereinen,
3. für gewerbliche Betriebe, die neben Bäcker- oder Konditorwaren Zwieback, Keks, Biskuit, Honigkuchen, Lebkuchen oder Waffeln herstellen,
4. für andere gewerbliche Betriebe, soweit in ihnen Bäcker- oder Konditorwaren hergestellt werden, insbesondere in Gast-, Schank- und Bahnhofswirtschaften, Speiseanstalten aller Art (z. B. Pensionen, Heilanstalten, Kantinen), Warenhäusern und Mühlen."
§ 15 Abs. 1 des Gesetzes, geändert durch Art. 7 Abs. 1 des Zweiten Gesetzes zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 26. November 1964 (BGBl. I S. 921), enthält folgende Strafandrohung:
"Mit Geldstrafe bis zu fünfhundert Deutsche Mark werden alle Personen bestraft, die den Vorschriften dieses Gesetzes, mit Ausnahme des § 13, oder den auf Grund des Gesetzes erlassenen Anordnungen der zuständigen Behörden zuwider Arbeiten vornehmen oder andere Personen beschäftigen. Soweit nicht nach einer anderen Vorschrift eine schwerere Strafe verwirkt ist, wird ebenso bestraft, wer den zuständigen Aufsichtspersonen den Zutritt zu den Betriebsräumen zu jeder Tages- und Nachtzeit nicht unverzüglich gestattet oder die Ausführung der Aufsicht anderweitig zu behindern oder zu vereiteln versucht."
II.
1. Der Beschwerdeführer ist selbständiger Bäckermeister und betreibt eine Großbäckerei mit 35 Beschäftigten.
In der Nacht zum Samstag, dem 7. August 1965, begann er mit einem Teil seiner Arbeitnehmer bereits um 3 Uhr mit der Herstellung von Backwaren. Er wurde deshalb durch Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 13. Juni 1966 gemäß §§ 1, 5 Abs. 1, § 15 BAZG zu einer Geldstrafe von 300,- DM verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision verwarf das Bayerische Oberste Landesgericht durch Beschluß vom 21. Oktober 1966 als offensichtlich unbegründet.
2. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG.
Zur Begründung der Verfassungsbeschwerde trägt er folgendes vor:
a) Das Nachtbackverbot des § 5 Abs. 1 BAZG verletze sein Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit auf wirtschaftlichem Gebiet (Art. 2 Abs. 1 GG), weil er hierdurch daran gehindert werde, seine Arbeitnehmer in mehreren Schichten arbeiten zu lassen und auf diese Weise seine zur Rationalisierung des Backprozesses vorgenommenen erheblichen Investitionen wirtschaftlich vernünftig zu nutzen und seine Arbeitnehmer vor ständiger Nachtarbeit zu bewahren. Die Einführung eines Schichtbetriebes verletze weder die Rechte anderer noch verstoße sie gegen die verfassungsmäßige Ordnung. Eine Schutzfunktion zugunsten der handwerklich betriebenen Bäckereien, deren Interesse durch die Einführung des Schichtbetriebes beeinträchtigt werden könnten, komme § 5 Abs. 1 BAZG nicht zu. Ein Schutz der Handwerker vor den Großbetrieben könne auch durch das Nachtbackverbot nicht erreicht werden, weil der Großbetrieb infolge der Rationalisierung schneller produzieren könne.
b) Durch das Nachtbackverbot werde zugleich sein in Art. 12 Abs. 1 GG geschütztes Recht auf freie Berufsausübung verletzt. Denn es liege keine zulässige Regelung der Berufsausübung nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG vor, weil das Nachtbackverbot stärker in die Rechte der Betroffenen eingreife, als es im Interesse der Allgemeinheit erforderlich sei. Der mit § 5 Abs. 1 BAZG bezweckte Arbeitsschutz lasse sich bei Fabrikbetrieben durch die Einführung von Schichtarbeit viel besser verwirklichen, weil die einzelnen Arbeitnehmer dann nur gelegentlich zur Nachtschicht herangezogen zu werden brauchten, während sie durch das Verbot des § 5 Abs. 1 BAZG in gesundheitsgefährdender Weise ständig ihre Nachtruhe vorzeitig unterbrechen müßten.
Die Zulassung der Schichtarbeit könne auch nicht mit der Begründung abgelehnt werden, daß die Großbetriebe einen sachlich nicht gerechtfertigten Wettbewerbsvorteil erlangen würden. Einmal handele es sich bei § 5 Abs. 1 BAZG nicht um eine Norm des Wettbewerbsrechts, sondern des Arbeitsschutzes. Zum anderen verschiebe sich die Wettbewerbslage zwischen Brothandwerk und Brotindustrie nicht zugunsten der kleineren Betriebe, weil diese sich auf Feingebäck, Konditorwaren und Spezialbrote spezialisierten.
Wegen der Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse im Backgewerbe seien weder die Gewerbeaufsichtsämter noch die Polizeibehörden bemüht, für die Einhaltung des Nachtbackverbotes zu sorgen. Das Verbot werde nicht nur von den Fabrikbetrieben, sondern auch von den handwerklich arbeitenden Bäckereien ständig mißachtet, so daß der vom Gesetz beabsichtigte Schutz nicht erreicht werde und das Gesetz sinnlos sei.
c) § 5 Abs. 1 BAZG verstoße auch gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil ungleiche Sachverhalte gleich behandelt würden.
Die Gleichstellung von Handwerks- und Großbetrieben im Hinblick auf das Nachtbackverbot sei mit vernünftigen, den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Gründen nicht zu rechtfertigen. Die Großbetriebe seien im Gegensatz zu den Handwerksbetrieben technisch in der Lage, Schichtarbeit einzuführen. Hierdurch seien die Arbeitnehmer ausreichend vor gesundheitsschädigender Nachtarbeit geschützt.
Der Gleichheitssatz sei auch im Verhältnis zu Großbetrieben anderer Branchen verletzt, weil diesen eine Wechselschichtarbeit nicht untersagt sei. Die Arbeitnehmer in Brotfabriken bedürften im Hinblick auf die Arbeitszeit keines weitergehenden Schutzes. Gründe für die Differenzierung bestünden daher nicht.
III.
1. Der Bundestag, der Bundesrat und die Bundesregierung haben von einer Stellungnahme abgesehen.
2. Die Bayerische Staatsregierung sowie der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks e. V. halten § 5 Abs. 1 BAZG für verfassungsmäßig. Sie begründen ihre Ansicht im wesentlichen wie folgt:
§ 5 Abs. 1 BAZG stelle eine zulässige Regelung der Berufsausübung im Sinne des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG dar, weil vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls ein Nachtbackverbot zweckmäßig erscheinen ließen. Das Nachtbackverbot sei aus sozialpolitischen Gründen geschaffen worden und diene heute noch der Sicherstellung des Arbeitsschutzes. Eine übermäßige und unzumutbare Belastung der Brotfabriken liege nicht vor, wenn der Gesetzgeber aus Gründen der Wettbewerbsneutralität alle Betriebe eines Gewerbes - unabhängig davon, ob das sozialpolitische Ziel teilweise auch durch weniger einschneidende Maßnahmen erreicht werden könnte - einer einheitlichen Regelung unterwerfe.
Art. 3 GG werde nicht verletzt, weil für das Nachtbackverbot sachlich vertretbare Gründe bestünden. Nur im Backgewerbe sei ein soziales Bedürfnis zur Regelung des Arbeitsbeginns vorhanden, weil die Backwaren möglichst früh am Morgen der Bevölkerung zur Verfügung stehen müßten. Eine Aufhebung des Nachtbackverbots würde zu einer Konzentration des Backgewerbes führen. Eine Regelung des Gesetzgebers zum Schutze des Mittelstandes könne im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG nicht beanstandet werden.
3. Der Bundesverband der Deutschen Brot- und Backwarenindustrie e. V. und der Zentralverband Deutscher Konsumgenossenschaften e. V. haben sich für die Verfassungswidrigkeit des § 5 Abs. 1 BAZG ausgesprochen und tragen zur Begründung im wesentlichen folgendes vor:
Durch die Industrialisierung und Automatisierung sei ein solcher Strukturwandel in diesem Wirtschaftszweig eingetreten, daß die Anwendung des Nachtbackverbots nicht mehr gerechtfertigt sei und es damit auch seine Geltung verloren habe, weil der bei Erlaß des Gesetzes vorausgesetzte Sachverhalt nicht mehr bestehe. Die Gründe des Arbeitsschutzes träfen für Betriebe, die eine mehrschichtige Produktionsweise einführen könnten, nicht zu, weil die ständige Arbeit ab 4 Uhr gesundheitsschädlicher sei als die wechselnde Nachtschicht. Ein Verbot von Nachtarbeit bestehe in anderen Gewerbezweigen auch nicht.
Die Brotindustrie gehöre zum Mittelstand; zum Schutze eines Teils dieses Mittelstandes könne nicht ein anderer Teil belastet werden. Durch das Nachtbackverbot erfolge eine Beschränkung der Wettbewerbsfähigkeit der Brotindustrie und damit eine Wettbewerbsverzerrung zugunsten der Handwerksbetriebe, weil der Maschinenpark nicht ausgenutzt werde und damit ein Zwang zur Überkapazität gegeben sei. Die Brotfabriken hätten ohnehin stets noch den Wettbewerbsnachteil der weiteren Anlieferungswege und der höheren Transportkosten zu tragen.
Der Bundesverband der Deutschen Brot- und Backwarenindustrie e. V. hat zur Unterstützung seiner Auffassung ein Gutachten von Prof. Dr. med. Gunther Lehmann, Direktor des Max- Planck-Instituts für Arbeitsphysiologie, Dortmund, über das Nachtbackverbot im Lichte der Arbeitsphysiologie und eine Abhandlung von Prof. Dr. K. über "Geltung und Verfassungsmäßigkeit des Nachtbackverbotes" überreicht.
4. Der Deutsche Gewerkschaftsbund ist der Auffassung, bei der jetzigen Rechtslage hätten die Handwerksbetriebe wettbewerbliche Vorteile, bei einer Aufhebung des Verbots dagegen würde die ständige Nachtarbeit ein sozialer Rückschritt sein.
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht begründet.
I.
Art. 2 Abs. 1 GG kommt für eine verfassungsrechtliche Prüfung im vorliegenden Fall deshalb nicht in Betracht, weil diese Vorschrift nur insoweit heranzuziehen ist, als nicht bestimmte Lebensbereiche durch besondere Grundrechte geschützt sind (BVerfGE 1, 264 [273 f.]; 6, 32 [37]; 9, 73 [77]; 9, 338 [343]). Der Beschwerdeführer macht geltend, er sei durch § 5 Abs. 1 BAZG in seiner freien beruflichen Betätigung eingeschränkt. Der Prüfungsmaßstab hierfür ist Art. 12 Abs. 1 GG (BVerfGE 13, 97 [104]; 13, 181 [185]).
II.
Art. 12 Abs. 1 GG ist nicht verletzt.
1. Das Nachtbackverbot des § 5 Abs. 1 BAZG stellt eine Berufsausübungsregelung dar, die nicht auf die Freiheit der Berufswahl zurückwirkt. Bei solchen Regelungen der Berufsausübung hat der Gesetzgeber nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine größere Gestaltungsfreiheit als bei Eingriffen in die Freiheit der Berufswahl. Eine Regelung der Berufsausübung wird durch jede sachgerechte und vernünftige Erwägung des Gemeinwohls gerechtfertigt, in deren Rahmen weithin auch Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit berücksichtigt werden können (BVerfGE 7, 377 [405 f.]; 9, 213 [221]; 10, 185 [197]; 18, 353 [361 f.]). Es gilt aber auch hier der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, nach dem die freie Gestaltung der beruflichen Tätigkeit einerseits und die Interessen der Allgemeinheit andererseits in Einklang zu bringen sind. Je empfindlicher der Einzelne in seiner freien Betätigung im Beruf beeinträchtigt wird, desto stärker müssen die Interessen des Gemeinwohls sein, denen diese Regelung zu dienen bestimmt ist (BVerfGE 11, 30 [42 f.]; 13, 97 [104 f.]; 17, 232 [242]).
2. Das für alle Bäckereibetriebe geltende Nachtbackverbot stellt zwar einen erheblichen Eingriff in die Freiheit der beruflichen Betätigung und in die wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten der Großbäckereien und der Unternehmen der Brot- und Backwarenindustrie dar. Jedoch läßt sich diese Regelung der Berufsausübung bei Abwägung aller in Betracht kommenden Umstände durch übergeordnete Gründe des Gemeinwohls noch rechtfertigen (vgl. auch BVerwG DÖV 1962, 385; BGHSt 8, 327 [335 mit weiteren Nachw.]).
a) § 5 Abs. 1 BAZG soll die in den Bäckereibetrieben Beschäftigten davor schützen, zu ständiger gesundheitsschädigender Nachtarbeit herangezogen zu werden. Dieser sozialpolitische Zweck der Bestimmung ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit aus ihrer Entstehungsgeschichte.
Das Nachtbackverbot wurde durch die Verordnung des Bundesrates vom 5. Januar 1915 (RGBl. S. 8) zunächst allerdings aus ernährungswirtschaftlichen Gründen eingeführt, um die Herstellung von Backwaren zu vermindern und damit die Getreidevorräte zu strecken. Diese Regelung wurde in die Verordnung der Volksbeauftragten über die Arbeitszeit in den Bäckereien und Konditoreien vom 23. November 1918 (RGBl. S. 1329) übernommen. Entsprechend den schon vor dem 1. Weltkrieg ständig erhobenen sozialpolitischen Forderungen enthielt sie nicht nur das Nacht- und Sonntagsbackverbot, sondern führte auch den Achtstundentag ein. Die in Bäckereien Beschäftigten sollten wirksam vor den besonders im Backgewerbe bestehenden Gefahren der Arbeitszeitüberschreitung und gesundheitsschädlicher ständiger Nachtarbeit geschützt werden.
Aus diesen vorwiegend sozialpolitischen Gründen wurde das Nachtbackverbot auch später beibehalten (vgl. Gesetz vom 16. Juli 1927 [RGBl. I S. 183]; VO des Reichspräsidenten vom 5. Juni 1931 [RGBl. I S. 279 [298]]; Gesetz vom 26. März 1934 [RGBl. I S. 245]; Gesetz vom 26. September 1934 [RGBl. I S. 859]). Geändert wurde seit 1918 vor allem der Beginn der Arbeitszeit (zunächst 6 Uhr, dann 4 Uhr, später wieder 4 + Uhr). Schließlich wurde in dem Gesetz über die Arbeitszeit in Bäckereien und Konditoreien vom 29. Juni 1936 (RGBl. I S. 521) - das heute noch in der Fassung der Verordnung vom 30. April 1938 (RGBl. I S. 446) gilt - ein Kompromiß gefunden, der den Arbeitsbeginn "unter Zurückstellung erheblicher sozialpolitischer Bedenken" auf 4 Uhr festlegte, um den Wünschen der Bevölkerung nach frischen Backwaren und den Forderungen des Backgewerbes nach einer Verlängerung der Zeitspanne zwischen Arbeitsbeginn und Auslieferungsbeginn Rechnung zu tragen (vgl. Begründung zum BAZG vom 29. Juni 1936 im Deutschen Reichsanzeiger und Preußischen Staatsanzeiger 1936 Nr. 150, S. 1, und teilweise schon in der Amtl. Begründung zum Gesetz vom 26. September 1934 im RArbBl. 1934 I S. 238).
Die gesetzliche Regelung beruht also auf Erwägungen, die eine Einschränkung der Freiheit der Berufsausübung rechtfertigen könnten, nämlich dem Schutz der Gesundheit der Beschäftigten.
b) Es läßt sich auch nicht feststellen, die angegriffene Norm hätte ihre Tauglichkeit zur Erreichung dieses Zieles in der Gegenwart so völlig verloren, daß ihre Geltung - auch unter dem Gesichtspunkt des Art. 12 GG - davon berührt sein könnte.
Das Bedürfnis der Bevölkerung auf Belieferung mit kurz zuvor hergestellten Backwaren möglichst früh am Morgen ist nach wie vor vorhanden. Deshalb besteht auch heute noch für die Bäckereibetriebe der Anreiz, ihre Backwaren vor der Konkurrenz auf den Markt zu bringen. Bei Aufhebung des Verbots würden kleine und mittlere Betriebe gezwungen, aus Wettbewerbsgründen den Arbeitsbeginn vorzuverlegen. Dadurch würden die Arbeitnehmer in diesen Betrieben ständig Nachtarbeit verrichten müssen.
Nach dem Gutachten des Prof. Dr. Lehmann fällt der Arbeitsbeginn um 4 Uhr und damit eine Schlafunterbrechung ab etwa 3 Uhr in die Phase der niedrigsten Leistungsbereitschaft des Menschen und führt bei häufiger Wiederholung zu gesundheitlichen Schädigungen. Daraus ergibt sich zwar einerseits, daß durch Einführung der Schichtarbeit in Großbetrieben die Gesundheit der Beschäftigten in gleicher Weise oder sogar wirksamer als durch das Nachtbackverbot geschützt werden kann. Bei einer Nachtschichtarbeit wäre allerdings die Zeit der niedrigsten Leistungsbereitschaft noch länger betroffen; doch bestünde ein Ausgleich dadurch, daß in einer Fabrik mit Schichtwechsel immer nur ein Teil der Arbeiter nachts arbeiten müßte. Andererseits würde eine Aufhebung des Nachtbackverbots und eine damit verbundene Vorverlegung des ständigen Beginns der Arbeitszeit in Handwerksbetrieben dazu führen, daß der Arbeitnehmer in einem noch längeren Zeitraum vor dem ersten Anstieg der Leistungskurve gegen 6 Uhr arbeiten müßte. Er wäre gezwungen, noch früher zu Bett zu gehen, und damit noch mehr als bisher vom Familien- und gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Die Aufhebung des Nachtbackverbots in den Betrieben ohne Schichtwechsel würde also auch nach der Ansicht des Gutachters einen sozialen Rückschritt bedeuten.
Fraglich ist nur, ob der Gesetzgeber das Verbot auch für diejenigen Betriebe aufrechterhalten darf, bei denen der sozialpolitische Zweck durch weniger einschneidende Mittel - etwa das Gebot des Schichtwechsels - erreicht werden könnte.
Abgesehen davon, daß es schwierig sein würde, für diese Betriebsgruppe geeignete Abgrenzungskriterien nach Betriebsgröße und -struktur zu finden, würden diese Betriebe bei einer Befreiung vom Nachtbackverbot gegenüber den anderen Bäckereien einen erheblichen Wettbewerbsvorsprung erhalten. Bei einer völligen Aufhebung des Verbotes könnten viele Handwerksbetriebe durch die Konkurrenz der Brotfabriken in ihrer Existenz gefährdet werden. Dann wäre bei dem bereits bestehenden scharfen Wettbewerb eine Einhaltung des Nachtbackverbots in diesen Betrieben schwerlich gewährleistet. Die Aufrechterhaltung des Nachtbackverbots auch in den Großbetrieben dient daher indirekt dem Schutz der Arbeitnehmer in den Kleinbetrieben. Daneben ist der Gesichtspunkt der Wettbewerbsneutralität stärker in den Vordergrund getreten; er hatte schon von Anfang an zur Einbeziehung auch der Betriebe ohne Arbeitnehmer und der Brotfabriken geführt (vgl. Reichstags-Drucksache, II. Session 1914/18, Nr. 1908, S. 15 f., 20).
Der vom Gesetzgeber beschrittene Weg belastet zwar die Großbetriebe, schützt dafür aber die kleineren handwerklichen Betriebe. Dieser Schutz ist ein nach dem Grundgesetz mögliches, daher allein nach dem Ermessen des Gesetzgebers sich bestimmendes Ziel der Wirtschaftspolitik (BVerfGE 13, 97 [110]). Die Erwägung, wirtschaftlich stärkere Unternehmen in ihrer Tätigkeit zu begrenzen, um im Interesse des Mittelstandsschutzes die wirtschaftlich weniger leistungsfähigen Betriebe zu erhalten, kann nicht beanstandet werden. Der Gesetzgeber kann durch Lenkungsmaßnahmen das freie Spiel der Kräfte korrigieren, um so die von ihm erstrebte Wirtschafts- und Sozialordnung zu erreichen (BVerfGE 4, 7 [19]; 19, 101 [114]; 21, 292 [299]).
Diese Beschränkung der freien Berufsausübung ist auch nicht übermäßig belastend und nicht unzumutbar (BVerfGE 7, 377 [405 f.]; 13, 97 [104]; 18, 353 [361 f.]).
Die großen Betriebe konnten sich auf das seit 50 Jahren bestehende Nachtbackverbot einstellen. Wie der Beschwerdeführer selbst einräumt, haben sie trotz der Geltung des Verbots ihren Marktanteil ständig vergrößern können. Es kann daher nicht die Rede davon sein, daß sie hierdurch in ihrer Existenz gefährdet wären. Andererseits muß berücksichtigt werden, daß die großen Betriebe nach ihrer Anzahl und nach der Zahl ihrer Beschäftigten hinter den kleineren Betrieben weit zurückstehen. 1965 wurden etwa 50 000 kleinere Handwerksbetriebe mit zusammen 250 000 Beschäftigten, davon drei Viertel Kleinbetriebe mit je 1-4 Beschäftigten, und etwa 360 Industriebetriebe mit ungefähr 25 000 Beschäftigten gezählt (vgl. Statistisches Jahrbuch über Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 1966/67, Nr. 323, 327, 332; vgl. auch Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1967, S. 260).
III.
Auch Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht verletzt.
Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz liegt erst dann vor, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund nicht finden läßt, wenn die Bestimmung also als willkürlich bezeichnet werden muß und die Unsachlichkeit evident ist (BVerfGE 1, 14 [52]; 12, 341 [348]; 18, 38 [46]).
1. Aus den vorstehend (Ziff. II) dargelegten Gründen kann eine solche Feststellung im Verhältnis von kleinen zu großen Betrieben des Backgewerbes nicht getroffen werden.
2. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist der Gleichheitssatz auch nicht dadurch verletzt, daß nach § 5 Abs. 1 BAZG nur im Backgewerbe die in anderen Gewerbezweigen zulässige Nachtarbeit oder Nachtschichtarbeit untersagt ist. Diese gesetzliche Differenzierung beruht auf sachgerechten Gründen.
Die Bäckereibetriebe nehmen hinsichtlich der Arbeitszeit insofern eine besondere Stellung ein, als bei ihnen ein Interesse der Bevölkerung an der Lieferung von täglich frischen Produkten möglichst früh am Morgen besteht. Aus diesen Wünschen der Käufer entsteht die Gefahr, daß der Arbeitsbeginn aus Gründen des Wettbewerbs zum Nachteil der Beschäftigten vorverlegt wird, während die Einführung von Schichtarbeit der überwiegenden Zahl der Bäckereibetriebe wegen ihrer Größe nicht möglich ist. Wenn der Gesetzgeber dieser Gefahr dadurch zu begegnen sucht, daß er im Backgewerbe die Nachtarbeit einschränkt, so ist das im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG unbedenklich, weil in vergleichbaren anderen Gewerbezweigen eine gänzlich andere Situation besteht.
IV.
Das Bundesverfassungsgericht verkennt nicht, daß die jetzige Regelung des Nachtbackverbots nicht in jeder Hinsicht befriedigt. Namentlich könnten die Automatisierung, Rationalisierung und die internationale Wirtschaftsverflechtung in der Backwarenherstellung Anlaß geben, das geltende Recht zu überprüfen. Das aber ist Sache des Gesetzgebers.