RG, 03.12.1880 - II 278/80
Begriff und Tragweite der Bestimmung in §. 513 Z. 7 C.P.O., daß es einen Revisionsgrund bildet, wenn die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.
Tatbestand
In der Gußstahlfabrik der Aktiengesellschaft G. wurde der Arbeiter H. dadurch beschädigt, daß bei Eintreiben eines stählernen Keiles ein Splitter sich loslöste und ihm ins Auge flog. Er erhob Entschädigungsklage gegen die Gesellschaft, welche in erster Instanz zugesprochen, in zweiter abgewiesen wurde. Das letztere Urteil wurde aufgehoben aus folgenden Gründen:
Gründe
"Die Klage war auf zwei Behauptungen gestützt, nämlich:
- daß das Material des Keils schlecht und hierdurch das Abspringen des Splitters verursacht worden sei, und
- daß keine brauchbaren Schutzbrillen beschafft gewesen, beziehungsweise Kläger nicht veranlaßt worden sei, solche zu benutzen. Jede dieser beiden Behauptungen sollte geeignet sein, die Haftpflicht des Beklagten zu begründen.
Der erste Richter erklärte die erste Behauptung, ohne die beiderseits erbotenen Beweise zu beachten, für unerheblich, erkannte jedoch auf Grund der zweiten Behauptung die Entschädigungspflicht der Beklagten an.
Im Thatbestande des Urteils zweiter Instanz ist zunächst mitgeteilt, was in beiden bezeichneten Richtungen bei der Verhandlung erster Instanz vorgebracht worden sei und sodann betreffs der Verhandlung vor dem Berufungsrichter weiter bemerkt: "Beide Parteien haben ihre früheren Behauptungen wiederholt und auf die deshalb erbotenen Beweise Bezug genommen und nur neue Zeugen namhaft gemacht etc.."
Hiernach darf nicht bezweifelt werden, daß auch in der Berufungsinstanz die schlechte Beschaffenheit des Materials des Keils zur Begründung des Klaganspruches geltend gemacht wurde. Nichtsdestoweniger ist in den Entscheidungsgründen hierüber nichts gesagt, vielmehr einzig und allein die Frage erörtert, ob die Beklagte der Vorwurf treffe, die ihr betreffs Anschaffung und Verwendung von Schutzbrillen obliegenden Pflichten vernachlässigt zu haben.
Bei dieser Sachlage erscheint die Rüge des Mangels an Entscheidungsgründen (§. 518 Ziff. 7 C.P.O.) begründet.
Wenn das Gesetz Entscheidungsgründe verlangt (§. 284 Ziff. 4. §. 259 C.P.O.), so geschieht dies, teils um eine gewisse Garantie dafür zu schaffen, daß das Urteil ein Werk reiflicher Erwägung sei und alles, was die Parteien vorgebracht, gewürdigt werde, teils auch deshalb, weil nur aus den Entscheidungsgründen entnommen werden kann, ob und inwieweit die Entscheidung auf tatsächlichen oder rechtlichen Erwägungen beruhe, also der Revision zugänglich sei oder nicht.
Nach diesen Zwecken des Gesetzes ist klar, daß die Gründe über alle, nach Maßgabe des Parteivorbringens sich darbietenden Streitpunkte sich verbreiten müssen und zwar der Art, daß kein Zweifel bleibt, ob eine tatsächliche Feststellung vorliege oder die Entscheidung auf Rechtsgründen beruhe. Es ist dies insbesondere auch für Auslegung der Bestimmung in § 513 Ziff. 7 C.P.O. von Bedeutung, welche es als Revisionsfall bezeichnet: "wenn die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist." Mit diesen Worten will das Gesetz nicht etwa bloß Fälle bezeichnen, wo über die durch Klage oder Widerklage geltend gemachten Ansprüche (§. 293 C.P.O.) ganz oder teilweise ohne Angabe von Gründen erkannt ist; vielmehr ist sein Sinn ein weiterer und begreift namentlich auch Fälle, wo selbständige Angriffs- und Verteidigungsmittel (Klagebehauptungen, Einreden, Repliken etc.) unberücksichtigt bleiben, ohne daß erkennbar wäre, ob dies absichtlich oder aus Versehen geschehen, und welche thatsächliche oder rechtliche Gründe den Richter dazu veranlaßten.
Es mag in dieser Beziehung nicht unerwähnt bleiben, daß die bayerische Prozeßordnung, aus deren Art. 388 Ziff. 4 besagte Worte (nach den Motiven) entlehnt sind, diese Fassung absichtlich wählte, um hiermit den vorbezeichneten Sinn auszudrücken.
Allerdings ist andererseits anzuerkennen, daß auf die bloße Form ein entscheidender Wert nicht zu legen ist, daß es vielmehr genügt, wenn aus der Gesamtheit der gegebenen Gründe sich mit Sicherheit folgern läßt, daß und warum der Richter einem Vorbringen bezeichneter Art Beachtung versagt habe; allein ein Fall letzterer Art liegt nicht vor, insbesondere ist kein Anlaß gegeben, anzunehmen, der Berufungsrichter habe sich der bezüglichen Begründung des ersten Richters anschließen wollen."