RG, 03.12.1880 - III 221/80

Daten
Fall: 
Beaufsichtigung des Betriebes
Fundstellen: 
RGZ 3, 4
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
03.12.1880
Aktenzeichen: 
III 221/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • KreisG Altona
  • OLG Kiel
Stichwörter: 
  • Begriff der "Beaufsichtigung des Betriebes" im Rahmen des Haftpflichtgesetzes

Zu §. 2 des Haftpflichtgesetzes. Was ist unter Beaufsichtigung des Betriebes zu verstehen? Haftung für gewöhnliche Arbeiter.

Tatbestand

In der Gasfabrik der Beklagten wurden Kohlen an einer eisernen Kette auf den Boden des Retortenhauses hinaufgewunden. Während des Aufwindens riß die Kette, und ein Arbeiter der Beklagten wurde durch die herunterstürzende Last schwer verletzt. Derselbe verlangte auf Grund des §. 2 des Haftpflichtgesetzes von der Beklagten Schadensersatz, weil ihr Werkführer das Unglück durch Vernachlässigung der ihm obliegenden Untersuchung der Kette verschuldet habe. Die Beklagte erkannte an, daß ihrem Werkführer obliege, dafür zu sorgen, daß die Kette vor dem Beginne des jedesmaligen Gebrauchs auf ihre Festigkeit untersucht werde; sie behauptete aber, der Werkführer, welcher nicht verpflichtet gewesen sei, diese Untersuchung in eigener Person vorzunehmen, habe zwei ihm als zuverlässig und sachkundig bekannte Arbeiter, H. und M, mit der Vornahme dieser Untersuchung beauftragt und vor Beginn des Gebrauches von denselben die Meldung erhalten, daß sie die Kette untersucht und in fehlerlosem Zustande befunden hätten. Dem Werkführer könne somit nicht der Vorwurf eines schuldvollen Verfahrens gemacht werden, und für ein etwa von dem H. und dem M. bei Ausführung des ihnen gewordenen Auftrages begangenes Verschulden habe die Beklagte nicht zu haften, weil dieselben nur gewöhnliche Arbeiter seien. Es ist festgestellt, daß das Reißen der Kette dadurch herbeigeführt ist, daß dieselbe an der Bruchstelle bereits sehr verschlissen war, sowie, daß dieser Fehler bei vorgängiger aufmerksamer Untersuchung der Kette hätte bemerkt werden müssen. Die zweite Instanz war der Meinung, daß die Beklagte für ein Verschulden der beiden gewöhnlichen Arbeiter H. und M. nicht zu haften habe und es deshalb nur darauf ankomme, ob dem Werkführer ein Verschulden zur Last falle. Diese Auffassung wurde aus folgenden Gründen:

Gründe

"In den Gesetzesworten "eine zur Leitung oder Beaufsichtigung des Betriebs oder der Arbeiter angenommene Person", welche nach der Absicht der Motive im weitesten Sinne aufzufassen sind, Reichstag 1871. Sten. Berichte III. S. 72, ist der Ausdruck "Leitung oder Beaufsichtigung des Betriebs", wie auch von einem Bundeskommissar im Reichstage hervorgehoben ist, a. a. O. I. S. 478, nicht bloß in Bezug auf das Betriebsganze, sondern auch in Bezug auf den Betrieb in seinen einzelnen Teilen zu verstehen. Zu dem Betriebe gehören aber namentlich die Funktionen der in Verwendung befindlichen Maschinen, Werkzeuge und Geräte. Kann nun auch freilich ein Arbeiter, welchem bloß die Bedienung einer Maschine obliegt, nicht zu dem Leitungs- und Beaufsichtigungspersonal gerechnet werden, so kann es doch andererseits, zumal der Fabrikherr schon aus dem Arbeitskontrakte nach allgemeinen Grundsätzen verpflichtet ist, dafür zu sorgen, daß die Maschinen u. s. w. sich nicht in einem durch Schadhaftigkeit die Arbeiter gefährdenden Zustande befinden, keinem Zweifel unterliegen, daß die Überwachung der Tüchtigkeit und der Instandhaltung sämtlicher Maschinen, Werkzeuge und Geräte einen Bestandteil der Beaufsichtigung des Betriebs bildet.

Die Meinung der Beklagten, daß ein Fabrikherr für das Verschulden gewöhnlicher Arbeiter nicht zu haften habe, ist nur insoweit richtig, als das Gesetz den Fabrikherrn für ein von einem gewöhnlichen Arbeiter bei gewöhnlichen Dienstverrichtungen begangenes Verschulden nicht verantwortlich macht. Für die Verschuldungen einer zur Leitung oder Beaufsichtigung des Betriebs angenommenen Person hat der Fabrikherr ganz allgemein zu haften, ohne daß etwas darauf ankommt, ob dieselbe eine höhere, anderen Arbeitern vorgesetzte Stellung einnimmt oder nicht. Wird ein gewöhnlicher Arbeiter von dem Fabrikherrn oder einem Bevollmächtigten desselben mit der Wahrnehmung von Geschäften, welche zur Leitung oder Beaufsichtigung des Betriebs gehören, beauftragt, so wird er hierdurch hinsichtlich dieser Geschäfte zu einer Person, für welche der Fabrikherr gemäß §. 2 des Haftpflichtgesetzes zu haften hat. In diesem Sinne hat sich auch in den Reichstagsverhandlungen der gedachte Bundeskommissar ausgesprochen, indem er einen Kesselwärter, welcher den Kessel einer Dampfmaschine auf dessen Gefahrlosigkeit zu revidieren hat, zu dem Personal zählt, für welches gehaftet werden muß, a. a. O. I. S. 478, und ebenso beziehen die citierten Motive den §. 2 auch auf diejenigen gewöhnlichen Bergleute, welche mit den vor dem Einfahren in den Schacht vorzunehmenden Prüfungen oder mit der Herrichtung oder Austeilung der Sicherheitslampen betraut sind.

Hiernach ist auch im vorliegenden Falle die Untersuchung der Tüchtigkeit der Kette, an welcher die Kohlen aufgewunden werden sollten, als ein Akt der Beaufsichtigung des Betriebs anzusehen. Und folglich ist die Haftung der Beklagten für das festgestellter Maßen durch Vernachlässigung dieser Untersuchung begangene Verschulden auch nach ihrer eigenen Sachdarstellung begründet. Hat der Werkführer die beiden Arbeiter mit der Vornahme der Untersuchung beauftragt und beauftragen dürfen, so liegt freilich nur ein Verschulden dieser Arbeiter vor, aber dasselbe ist von der Beklagten zu vertreten, weil es von ihnen begangen ist bei einem Akte der Beaufsichtigung des Betriebs, zu welchem sie durch den zuständigen Auftrag des Werkführers angenommen waren."