RG, 07.07.1917 - V 66/17
1. Gewähren die Vorschriften der §§ 892, 893 BGB. Schutz auch gegenüber persönlichen Ansprüchen des nicht eingetragenen Berechtigten, insbesondere wegen Verletzung des Eigentums gemäß § 823?
2. Stellt sich eine mit einem Parzellierungsvertrage verbundene Vollmacht zur Übertragung des Besitzes und der Nutzung an die Käufer der Grundstücke als ein Rechtsgeschäft dar, das eine Verfügung über das Recht enthält?
Tatbestand
Der Kläger, der von Gläubigern bedrängt wurde, ließ im September 1896 zwei ihm gehörige Grundstücke an den Rentner August L. auf. L. wurde als Eigentümer eingetragen. Im Jahre 1903 beauftragte L. die damalige offene Handelsgesellschaft A.& B., deren Mitglied der Beklagte war und deren Firma er jetzt führt, mit der Parzellierung seiner beiden Grundstücke. Die Handelsgesellschaft führte den Auftrag aus, indem sie die Grundstücke in L's Namen in Stücken verkaufte und die Stücke den Käufern übergab. Im Jahre 1905 erhob der Kläger gegen die Erbin des L. Klage darauf, einzuwilligen in seine Wiedereintragung als Eigentümer der, wie er geltend machte, dem L. nur zum Schein aufgelassenen Grundstücke. Dieser Prozeß wurde auf Grund der Feststellung, daß die Auflassungen in beiderseitigem Einverständnis nur zum Schein erfolgt seien, rechtskräftig zu seinen Gunsten entschieden, und auf Grund der Entscheidungen erlangte er auch seine Wiedereintragung als Eigentümer der Grundstücke. Alsdann klagte er gegen eine größere Anzahl der Trennstückskäufer auf Herausgabe der Trennstücke, und mit der gegenwärtigen Klage verlangt er vom Beklagten Ersatz für die ihm durch den Verkauf und die Übergabe der Trennstücke entgangenen Nutzungen. Er behauptet, die Mitglieder der offenen Handelsgesellschaft A. & B. hätten gewußt, daß er der Eigentümer der parzellierten Grundstücke war und L. weder Recht noch Vollmacht hatte, darüber zu verfügen. Sie hätten dadurch, daß sie sich auf L's Auftrag in den Besitz der Grundstücke gesetzt, diese aufgeteilt und den Trennstückskäufern übergeben hätten, vorsätzlich bösgläubig und sittenwidrig, mindestens aber fahrlässig sein Eigentum verletzt.
Der Beklagte, machte seinerseits geltend, er habe sich im Vertrauen auf die Richtigkeit der vom Kläger geschaffenen Grundbuchlage mit L. eingelassen.
Das Berufungsgericht machte die Entscheidung über den Klaganspruch dem Grunde nach von der Leistung oder Nichtleistung zweier dem Beklagten auferlegter Eide abhängig, des Inhalts, daß der Beklagte beim Abschlusse des Parzellierungsvertrags vom 22. August 1903 und auch später bis zum letzten Parzellierungstermine nicht gewußt habe, die Auflassung der Grundstücke seitens des Beklagten an L. sei nur zum Schein erfolgt, und daß er nach sorgfältiger Prüfung und Erkundigung die Überzeugung nicht erlangt habe, sein früherer Mitgesellschafter A. habe in der gleichen Zeit dies gewußt.
Die Revision des Klägers ist zurückgewiesen worden aus nachstehenden Gründen:
Gründe
"Der Berufungsrichter geht davon aus, daß die Entscheidung über den Klaganspruch von der Beantwortung der Frage abhänge, ob die vom Kläger am 29. September 1896 verlautbarten Auflassungen der Grundstücke an August L. nur zum Schein erfolgt waren und ob, wenn das der Fall war, der Beklagte oder sein Mitgesellschafter A. zur Zeit der Durchführung des Parzellierungsgeschäfts davon Kenntnis hatten. Auf Grund der Beweisaufnahme sieht er die Scheinnatur der Auflassungen als erwiesen an, nicht dagegen die Kenntnis des Beklagten oder A.'s von dieser Scheinnatur, und er gelangt deshalb dazu, die Entscheidung von der Leistung oder Nichtleistung der dem Beklagten auferlegten Eide über diese Kenntnis abhängig zu machen.
Der Revision ist zuzugeben, daß diese Begründung des Urteils insofern mangelhaft ist, als sie nicht erkennen läßt, aus welchem Grunde der Berufungsrichter den Schadensersatzanspruch nicht schon dann für begründet halten würde, wenn der Beklagte oder N. die Scheinnatur der Auflassungen hätten kennen müssen, aber aus Fahrlässigkeit nicht gekannt haben. An sich würde auch bei fahrlässiger Verletzung des Eigentums des Klägers durch den Beklagten oder N. gemäß § 823 BGB. ein Schadensersatzanspruch begründet sein, und der Berufungsrichter hätte deshalb diesen vom Kläger hilfsweise geltend gemachten Gesichtspunkt in den Urteilsgründen erörtern sollen § 286 ZPO.). Der sonach vorliegende Prozeßverstoß kann aber nicht zur Aufhebung des Urteils führen, da dieses nicht auf ihm beruht (§ 549 ZPO.). Dem das festgestellte Sachverhältnis ergibt, daß im vorliegenden Falle bei fahrlässiger Nichtkenntnis des Beklagten oder A. von der Scheinnatur der Auflassungen ein Schadensersatzanspruch aus § 823 BGB. nicht begründet sein würde.
Ein solcher Schadensersatzanspruch ist nämlich, wie bereits in dem in der Sache der gleichen Parteien § 540/1913 am 13. Mai 1914 erlassenen Revisionsurteile (RGB. Bd. 85 S. 61) eingehend dargelegt und auch in dem in dieser Sache am gleichen Tage ergangenen ersten Revisionsurteile angenommen worden ist, ausgeschlossen, wenn einer der in den §§ 892, 893 BGB. vorgesehenen Fälle vorliegt, da in diesen Fällen derjenige, der im Vertrauen auf die Richtigkeit des Grundbuchs eine der dort bezeichneten Rechtshandlungen mit oder gegenüber dem als Berechtigter Eingetragenen vorgenommen hat, auch gegen persönliche Ansprüche der nicht eingetragenen Berechtigten geschützt ist, sofern nicht ein Widerspruch gegen die Richtigkeit des Grundbuchs eingetragen oder die Unrichtigkeit dem Handelnden bekannt war. Ein fahrlässiges Nichtkennen der Unrichtigkeit steht aber einem Kennen nicht gleich. Von den in den §§ 892, 893 vorgesehenen Fällen kommt in der vorliegenden Sache, da es sich nicht um Erwerb eines Rechtes an den Grundstücken oder eines Rechtes an einem solchen Rechte (§ 892) und auch nicht um eine an den als Berechtigter Eingetragenen auf Grund des Rechtes gemachte Leistung handelt, nur in Frage, ob zwischen L. und dem Beklagten sowie A. ein Rechtsgeschäft abgeschlossen worden ist, das zwar nicht unter die Vorschriften des § 892 fällt, aber eine Verfügung über das Recht enthält (§ 893 BGB.). Es war deshalb zu untersuchen, ob der zwischen den Genannten abgeschlossene Parzellierungsvertrag, der mit einer Vollmacht zur Übergabe der Trennstücke an die Käufer zum Besitz und zur Nutzung verbunden war, ein solches Rechtsgeschäft darstellt. Der Senat ist zur Bejahung dieser Frage gelangt.
Der Begriff der Verfügung, der hier in Betracht kommt, wird im Bürgerlichen Gesetzbuch an einer ganzen Reihe von Stellen, namentlich in Verbindung mit dem Begriffe des""Gegenstandes" - Verfügung über einen Gegenstand - verwertet, aber nirgends seinem Inhalte nach bestimmt. Dafür, was im § 893 unter Verfügung verstanden wird, ist aber aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes ein Anhaltspunkt zu entnehmen. In dem ersten Entwurfe zum Bürgerlichen Gesetzbuche war der § 838, welcher dem § 893 des Gesetzes entspricht, wie folgt gefaßt: "Die Vorschriften des § 837 finden entsprechende Anwendung, wenn ein gegenüber dem Berechtigten vorzunehmendes Rechtsgeschäft gegenüber demjenigen vorgenommen wird, welcher als Berechtigter in das Grundbuch eingetragen ist, oder wenn der letztere ein die Änderung des eingetragenen Rechtes unmittelbar bezweckendes Rechtsgeschäft gegenüber einem Dritten vornimmt oder mit einem Dritten schließt, insbesondere wenn an ihn eine Leistung erfolgt, welche der Berechtigte aufgrund des eingetragenen Rechtes zu fordern hat". Die Kommission zur zweiten Lesung des Entwurfes erklärte sich mit der Vorschrift des § 838 sachlich einverstanden und überwies der Redaktionskommission einen dazu gestellten Antrag, der den Paragraph wie folgt fassen wollte: "Die usw. finden entsprechende Anwendung, wenn derjenige, für welchen ein Recht eingetragen ist, auf Grund der Eintragung eine Leistung empfängt oder eine Willenserklärung zum Zwecke einer Rechtsänderung außerhalb der Fälle des § 828 (837) abgibt oder eine solche ihm gegenüber abgegeben wird" (Prot. Bd. 3 S. 86). Durch die Kommission ist dann die jetzige Fassung in das Gesetz gekommen. Es kann deshalb nicht zweifelhaft sein, daß der Gesetzgeber unter einem Rechtsgeschäfte, das eine "Verfügung" über das Recht enthält, ein solches verstanden wissen will, das eine Änderung des Rechtes an dem Grundstück oder eines Rechtes an einem solchen Rechte unmittelbar bewirkt oder doch bezweckt. Diese Auffassung stimmt auch im wesentlichen überein mit der Bestimmung, die dem Begriffe der Verfügung im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der Rechtslehre gegeben wird.1
Das wesentliche Merkmal eines Verfügungsgeschäfts muß sonach in der unmittelbaren Einwirkung des Berechtigten auf das Recht erblickt werden, durch das dieses, sei es in seinem Bestande oder in dem Verhältnis des Berechtigten zu ihm, eine Veränderung irgendwelcher Art erleidet, im Gegensatze zu den bloßen Verpflichtungsgeschäften, durch welche nur die Rechtslage einer Person im Verhältnis zu einer anderen geändert wird. Als Beispiele von Verfügungsgeschäften über Rechte an Grundstücken, die nicht unter § 892 fallen, werden in der Rechtslehre angeführt der Verzicht, die Kündigung, die an oder von demjenigen, für den ein Recht an dem Grundstück eingetragen ist, oder an oder von demjenigen, der als Eigentümer eingetragen ist, erfolgt, sowie die Bewilligung der Eintragung einer Vormerkung.2
Als Verfügung wird ferner auch die Einwilligung und die Genehmigung des Berechtigten zu Verfügungen, die ein Nichtberechtigter über einen Gegenstand trifft (§ 185 BGB.), anzusehen sein. Vgl. RGZ. Bd. 49 S.415. Die Verfügung kann somit auch darin bestehen, daß einem anderen die Rechtsmacht verliehen wird, seinerseits über den Gegenstand zu verfügen. Auch durch die Erteilung einer Vollmacht zur Verfügung über ein Recht tritt eine unmittelbare Änderung des Verhältnisses des Berechtigten zu seinem Rechte insofern ein, als der Bevollmächtigte die rechtliche Befähigung erhält, mit Wirksamkeit für den Vollmachtgeber über das Recht zu verfügen, solange die Vollmacht nicht widerrufen ist. Ob hiernach die Erteilung einer Vollmacht in allen Fällen als ein Verfügungsgeschäft anzusehen ist, braucht nicht entschieden zu werden. Der Senat trägt kein Bedenken, die Frage jedenfalls für solche Fälle zu bejahen, in denen es sich wie hier um eine mit einem Parzellierungsvertrage verbundene Vollmacht handelt, durch die der Bevollmächtigte zur Einräumung des Besitz- und Nutzungsrechts, die einen Bestandteil des Eigentums bilden, an die Käufer der Trennstücke ermächtigt wird. Die dem Bevollmächtigten gewährte Rechtsmacht beruht in solchem Falle auf einem eigenen vertragsmäßigen Rechte des Bevollmächtigten, so daß auch ohne ausdrückliche Bestimmung die Unwiderruflichkeit der Vollmacht bei Fortbestehen des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses sich aus diesem ergibt (§ 168 Satz 2 BGB.). Vgl. RGZ. Bd. 50 S.163, Bd. 52 S. 99, Bd. 53 S. 419, Bd. 62 S. 335.
Ist sonach im Falle fahrlässiger Nichtkenntnis des Beklagten oder A.'s von der Unrichtigkeit der Eintragung des L. ein Schadensersatzanspruch des Klägers ausgeschlossen, so stellt sich die Revision als unbegründet dar. Sie mußte deshalb zurückgewiesen werden."