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RG, 14.12.1881 - I 624/81

Daten
Fall: 
Ausschluss des redlichen Erwerbs
Fundstellen: 
RGZ 6, 17
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
14.12.1881
Aktenzeichen: 
I 624/81
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hamburg
  • OLG Hamburg

Wird der redliche Erwerb im Sinne Artt. 306 u. 307 H. G. B. auch dadurch ausgeschlossen, daß die Unbekanntschaft des Erwerbers mit dem seinem Erwerbe entgegenstehenden Hindernisse auf eine grobe Verschuldung, einen unentschuldbaren Irrtum desselben zurückzuführen ist?

Tatbestand

Nach den Feststellungen der vorderrichterlichen Urteile sandte A. M. zu Frankfurt a. M. am 11. November 1880 ihm gehörige acht Stück norwegische Obligationen 6706, 7201/7 à 100 £ vom Jahre 1878 mittels eingeschriebenen Briefes an J. H. in Paris. Der Brief wurde mit anderen Einschreibsendungen dem Briefträger in Paris geraubt. Der Absender hatte bei der Klägerin, Revisionsbeklagten, die Sendung für 17100 M versichert, erhielt die versicherte Summe nebst Kosten mit 17213,50 M von ihr ausgezahlt und übertrug ihr dagegen alle ihm aus dem Schadensfalle gegen Dritte erwachsenden Rechte.

In Berlin, wie an anderen Orten, wurden Maßnahmen zur Wiedererlangung der Papiere getroffen. Der Raub ist durch die Berliner Börsenblätter und durch Anschlag an der Börse veröffentlicht, außerdem hat die Polizeibehörde die sämtlichen Revierpolizeibureaus beauftragt, die Bankiers von dem Diebstahle unter Bezeichnung der gestohlenen Effekten nach Gattung und Nummern zu benachrichtigen. Diese Benachrichtigung ist auch am 13. November 1880 auf dem Kontor der Bankiers H. & Co. gemacht, wo der dieselbe entgegennehmende Buchhalter in das dazu bestimmte Buch eine bezügliche Notiz eingetragen hat. Es hat nun aber ein Mitinhaber der Firma H. & Co., M. H., am 18. Dezember 1880 drei der gestohlenen Papiere, Nr. 7205-7207, zum Kurse von 104 % für 6364,80 M von einem Manne, der thatsächlich Mitschuldiger an dem Raube gewesen ist, angekauft. H. & Co. haben diese Papiere, weil sie in Berlin nicht gehandelt werden, nach Hamburg zum Verkaufe an die Revisionskläger gesandt. Die Hamburger Polizei hat die Revisionskläger ersucht, die Papiere an sich zu halten. Die Revisionsbeklagte hat gegen die Revisionskläger bei dem Landgericht Hamburg Klage auf Herausgabe der Papiere erhoben, indem sie sich darauf berufen hat, daß H. & Co. nicht als gutgläubige Erwerber zu betrachten seien, da sie wissen mußten, daß die Effekten gestohlen seien, und wenn sie sich in einem Irrtume befanden, dieser Irrtum ein selbstverschuldeter war. Beklagte haben den guten Glauben von H. & Co. behauptet. Das Landgericht Hamburg hat die Beklagten zur Herausgabe der Papiere verurteilt und das Oberlandesgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten verworfen.

Das Hanseatische Oberlandesgericht nimmt mit dem Landgerichte an, daß H. & Co. als redliche Erwerber im Sinne von Art. 306 H. G. B. nicht angesehen werden können. Der redliche Erwerb sei nicht nur dann ausgeschlossen, wenn der Erwerber das Hindernis thatsächlich kannte, sondern auch schon, wenn nur die Nichtkenntnis auf einem groben Verschulden beruhe, in welcher Beziehung auf die Ausführungen von Goldschmidt, Zeitschrift für Handelsrecht Bd. 9 S. 29 flg. und Handbuch des Handelsrechts §. 80 Bezug genommen wird. Nun brauche nicht entschieden zu werden, ob schon die Nichtberücksichtigung der betreffenden Börsenaushänge und der erfolgten Publikationen in öffentlichen Blättern ein grobes Verschulden darstellen würde. Ein grobes Verschulden müsse mit dem Landgerichte darin gefunden werden, daß der den Ankauf besorgende Teilhaber sich um das für die Eintragung von als gestohlen angemeldeten Papieren bestimmte Buch, dessen Existenz und Zweck ihm als Teilhaber der Firma nicht unbekannt gewesen sein könne, gar nicht bekümmert habe, zumal er sich doch veranlaßt sah, den Verkäufer als einen ihm Unbekannten nach seiner Legitimation zu fragen. In dem landgerichtlichen Urteile ist noch erwogen, im vorliegenden Falle sei, wie ein geschäftskundiger Bankier nicht bezweifeln könne, zur Zeit des Ankaufes noch nicht lange Zeit genug seit der Anzeige von dem Diebstahle vergangen, um eine Vermutung für den rechtmäßigen Besitz des Verkäufers zuzulassen.

Das Reichsgericht hat die vom Beklagten gegen das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichtes eingelegte Revision zurückgewiesen.

Aus den Gründen

"Art. 306 H. G. B. hat den Begriff des redlichen Erwerbes nicht definiert. Nach den Protokollen zum Handelsgesetzbuche wollte man die Frage, ob der redliche Erwerb durch grobe Fahrlässigkeit ausgeschlossen würde, deshalb nicht entscheiden, weil sie von allgemeiner civilrechtlicher Bedeutung sei. Man darf deshalb auch nicht annehmen, daß die Frage damit entschieden sei, daß im letzten Satze des ersten Absatzes Art. 306 die Erlöschung des früher begründeten Pfandrechtes oder sonstigen dinglichen Rechtes auf den Fall beschränkt ist, daß dasselbe dem Erwerber bei der Veräußerung unbekannt war. Civilrechtlich gilt aber der nicht als redlicher Erwerber, welchem hätte bekannt sein müssen, daß er mit der Aneignung objektiv ein Unrecht begeht, wenn seine Unbekanntschaft mit dem seinem Erwerbe entgegenstehenden Hindernis auf grobes Verschulden, auf einen nicht entschuldbaren Irrtum zurückzuführen ist.

Dies entspricht zunächst für das gemeine Recht und bezüglich des Erwerbes durch ordentliche wie außerordentliche Ersitzung der herrschenden Lehre - Vangerow, Pandekten Bd. 1 §. 325; Windscheid, Pandekten Bd. 1 §. 183; Bruns, Wesen der bona fides S. 14 flg. 87 flg.; Urteil der Juristenfakultät Rostock im Archiv für civilistische Praxis Bd. 57 S. 277 flg.

Denselben Grundsatz hat das bürgerliche Gesetzbuch für Sachsen in §. 267 für die Ersitzung aufgestellt.

Noch weiter gehen die Bestimmungen des Preuß. Allg. Landrechts. In I. 7. §. 11 wird zwar als unredlicher Besitzer definiert derjenige, welcher weiß, daß er aus keinem gültigen Titel besitzt. Sodann wird aber hinzugefügt (§. 13): "Ein bloßer Irrtum in Thatsachen schadet der Redlichkeit des Besitzes nicht, sobald nur der Irrende nicht durch grobes oder mäßiges Versehen in einen solchen Irrtum geraten ist"; (§. 15): "Wer schon zur Zeit der Erwerbung des Besitzes bei der Anwendung eines gewöhnlichen Grades von Aufmerksamkeit Ursache hatte, an der Gültigkeit seines Besitztitels zu zweifeln, und sich dennoch ohne weitere Untersuchung den Besitz zueignet, der wird bei einer in der Folge sich offenbarenden Unrechtmäßigkeit desselben einem unredlichen Besitzer gleichgeachtet." Aus dem Gesetzbuche ergiebt sich nicht, daß diese Bestimmungen in Bezug auf die Zulässigkeit der Vindikation abhanden gekommener Inhaberpapiere nicht hatten angewendet werden sollen.

Nach A. L. R. I.15. §. 47 können Inhaberpapiere, welche nicht außer Kurs gesetzt worden, von dem redlichen Besitzer aus lästigem Titel nicht zurückgefordert werden. Das Gesetz ordnet hierbei nicht an, daß unter dem redlichen Besitzer eines Inhaberpapieres etwas anderes zu verstehen sei, als unter dem redlichen Besitzer anderer Sachen. Allerdings wird in den §§. 52 und 53 bestimmt, die öffentliche Bekanntmachung der Entwendung oder des Verlustes eines Inhaberpapieres sei noch nicht hinreichend, denjenigen, welcher dasselbe vorher oder nachher an sich bringt, als einen unredlichen Besitzer darzustellen, vielmehr soll die öffentliche Bekanntmachung diese Wirkung nur dann haben, wenn der Besitzer zur Zeit des Erwerbes davon Wissenschaft gehabt hat. Daraus ergiebt sich aber nur, daß das Allgemeine Landrecht dem Publikum nicht allgemein die Verpflichtung auferlegt, sich nach öffentlichen Bekanntmachungen, durch welche der Verlust von Inhaberpapieren zur Kenntnis gebracht wird, zu erkundigen. Es folgt aus jener Bestimmung aber nicht, daß wenn nach anderen Richtungen eine Erkundigungspflicht anzunehmen ist, derjenige, welcher erwirbt, ohne diese Pflicht zu erfüllen, zwar bei dem Erwerbe anderer Gegenstände als unredlicher Besitzer, bei dem Erwerbe von Inhaberpapieren aber als redlicher Besitzer zu gelten habe.

Hat nun das moderne Recht, insonderheit das Handelsgesetzbuch, dem redlichen Erwerbe von Inhaberpapieren die Wirkung zugesprochen, daß nicht bloß die Vindikation ausgeschlossen, sondern Eigentum und zwar sofort, ohne Hinzutritt eines Zeitablaufes. erworben wird, auch wenn der Veräußernde nicht berechtigt war, Eigentum zu übertragen, und selbst wenn die Papiere gestohlen waren, so darf angenommen werden, daß dieser Erwerb bezüglich des Erfordernisses der Redlichkeit auf keine wesentlich andere Grundlage gestellt worden ist, als wie dieselbe in den weiten Rechtsgebieten des gemeinen Rechtes bezüglich des Erwerbes durch Ersitzung, und in dem preußischen Allgemeinen Landrecht allgemein verstanden worden ist. Es läßt sich nicht annehmen, daß der Erwerb von Inhaberpapieren noch weiter habe privilegiert werden sollen, als sich aus den Bestimmungen des Handelsgesetzbuches in Zusammenhalt mit jenen civilrechtlichen Grundsätzen ergiebt. Aus der besonderen Natur der zum Kursieren bestimmten Inhaberpapiere läßt sich wohl folgern, daß derjenige, welchem Inhaberpapiere zum Erwerbe angeboten werden, nicht verpflichtet sein soll, in demselben Maße wie bei anderen Sachen, welche der Eigentümer dem dritten Besitzer unbeschränkt oder doch in weiterem Umfange abfordern darf, die Legitimation des Veräußerers zu prüfen, wenn die Umstände zu solcher Prüfung keinen Anlaß bieten. Wird aber durch die Umstände Grund zu einer Prüfung geboten, so muß gerade die Gefahr, welche dem Eigentümer aus der leichten Übertragbarkeit jener Papiere erwächst, dem redlichen Manne die Verpflichtung auferlegen, sich dieser Prüfung nicht zu entziehen.

Durch Art. 305 H. G. B, wird die Bestimmung des Art. 74 W. O. auf alle Papiere ausgedehnt, welche an Order lauten und welche durch Indossament übertragen werden können. Hiernach kann derjenige, welcher ein solches Papier durch ordnungsmäßiges Indossament erworben hat, zur Herausgabe desselben angehalten werden, wenn er dasselbe in bösem Glauben erworben hat, oder wenn ihm bei der Erwerbung des Papieres eine grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt. Im Zusammenhalt mit jenen civilrechtlichen Bestimmungen entspricht es dem Geiste des Handelsgesetzbuches. das in Art. 305 bezüglich der indossabelen Orderpapiere ausgesprochene Prinzip auf die Bestimmungen der Artt. 306 und 307 anzuwenden, sodaß als redlicher Erwerber nicht bloß derjenige nicht zu gelten hat, welcher die Unrechtmäßigkeit seines Erwerbes kannte, sondern auch derjenige, bei welchem die Unbekanntschaft mit den seinem Erwerbe entgegenstehenden rechtlichen Hindernissen auf eine grobe Verschuldung, auf einen unentschuldbaren Irrtum zurückzuführen ist.

Unterstützt wird diese Annahme durch folgende Erwägung. Wie sehr es dem modernen Bewußtsein entspricht, daß bei Erwerbungen nicht allein das als entscheidend angesehen wird, was der Erwerbende thatsächlich wirklich geglaubt hat, sondern was er zu glauben als redlicher Mann befugt war, was er hätte glauben müssen, ergiebt sich auch aus dem Gange der Strafgesetzgebung. Nach dem Vorgange des bremischen Entwurfes und in Übereinstimmung mit den Grundsätzen des hamburgischen Strafgesetzbuches von 1869, des sächsischen revidierten Strafgesetzbuches von 1868 hat das Deutsche Strafgesetzbuch in §. 259 die Bestimmung getrosten:

"Wer seines Vorteiles wegen Sachen, von denen er weiß oder den Umständen nach annehmen muß, daß sie mittels einer strafbaren Handlung erlangt sind, ... ankauft ... oder sonst ansichbringt, wird als Hehler mit Gefängnis bestraft."

Damit ist auch die grobe Fahrlässigkeit desjenigen Käufers etc unter Strafe gestellt, welcher zwar den strafbaren Erfolg seines Handelns nicht gewollt, aber sich der Erwägung der ihm bekannten Umstände, nach welcher sich ihm die Überzeugung von der Rechtswidrigkeit seiner Handlungen hätte aufdringen müssen, schuldhaft entzogen hat: eine culpa lata nach dieser Richtung, welche dem Dolus gleichgestellt ist.1

Als redlich kann eine Erwerbshandlung nicht gelten, welche gerade nach der Richtung, in Bezug auf welche die Redlichkeit in Frage steht, ein strafbares Vergehen, unter Umständen ein Verbrechen - §. 260 - darstellt. Wollte man aber die grobe Fahrlässigkeit bei der civilrechtlichen Beurteilung der Redlichkeit des Erwerbes gänzlich ausscheiden, jeden Erwerb als rechtlichen gelten lassen, bei welchem der Erwerber sich nur nicht effektiv der Unrechtmäßigkeit der Erwerbung bewußt geworden ist, so würde man zu dem Resultate kommen, daß eine Erwerbshandlung, welche der Strafrichter aus dem vorbezeichneten Grunde als ein Vergehen oder Verbrechen zu qualifizieren hat, von dem Civilrichter als eine vollwirksame Handlung eines redlichen Mannes anerkannt werden müßte. Ein so grober Widerspruch in der Gesetzgebung desselben Rechtsgebietes würde sich ohne zwingende Gründe nicht annehmen lassen. ...

Auch darin kann eine Gesetzesverletzung nicht gefunden werden, daß das Oberlandesgericht eine grobe Fahrlässigkeit des Bankiers H. darin gefunden hat, daß dieser den Ankauf der als gestohlen polizeilich im Kontor des Bankierhauses angemeldeten Papiere bewirkt hat, ohne sich um das für die Eintragung solcher Papiere bestimmte Buch zu kümmern. Die Sicherheit des Verkehres. Treu und Glauben fordern es als die erste Pflicht eines Kaufmannes. daß derselbe in seinem Geschäfte Einrichtungen trifft und auf die Benutzung derselben hält, durch welche Vorkommnisse wie die vorliegenden ausgeschlossen werden. Die Vernachlässigung einer solchen Pflicht ist eine grobe Fahrlässigkeit, der Irrtum des H. darüber, daß die Papiere, welche ihm angeboten wurden, gestohlen worden waren, ist angesichts der Thatsache, daß zuvor eine amtliche Benachrichtigung im Kontor erfolgt ist, durch welche der Ankauf ausgeschlossen werden sollte, diese Mitteilung schriftlich fixiert ist, sodaß sie jeweilig eingesehen werden konnte, aber von dem den Ankauf bewirkenden H. nicht eingesehen worden ist, mit Recht als unentschuldbar angesehen worden. Damit ist die Annahme einer groben Verschuldung genügend gerechtfertigt.

Daß sich auch diese Unentschuldbarkeit des Irrtums und die dem H. beigemessene grobe Verschuldung nach der Feststellung des zweitinstanzlichen Urteils nicht bloß auf den Umstand bezog, daß die Papiere irgend einmal einem früheren Eigentümer entwendet waren, daß vielmehr jene Entwendung einen Schluß auf die Unrechtmäßigkeit des derzeitigen Besitzers und Verkäufers nahelegte, sodaß H., wenn er das betreffende Buch eingesehen hätte, sich diesem Schlusse nicht hätte entziehen können, hat das Oberlandesgericht in deutlicher Weise zum Ausdrucke gebracht. Denn einmal erachtet dasselbe im allgemeinen den redlichen Erwerb ausgeschlossen, wenn der Erwerber das Hindernis (nämlich seines Erwerbes) nur aus einem ihm als grobes Verschulden anzurechnenden Grunde nicht kannte. Sodann aber wird die landgerichtliche Feststellung des groben Verschuldens. soweit sie ein solches aus der Unterlassung der Einsichtnahme in das betreffende Buch abgeleitet, bestätigt. Das Landgericht hat aber, wie im Thatbestande dieses Urteiles angeführt ist, die Thatsache, daß die Papiere gestohlen waren, mit der Unrechtmäßigkeit des Besitzes des Verkäufers der Papiere in Beziehung gesetzt und die grobe Verschuldung von H. auch nach dieser Seite begründet." ...

  • 1. Vgl. Entsch. des R. G.'s in Straff. Bd. 2 Nr. 57 S. 140 flg.