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Art. 82 GG - Ausfertigung, Verkündung, Inkrafttreten (Kommentar)
(1) ¹Die nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes zustande gekommenen Gesetze werden vom Bundespräsidenten nach Gegenzeichnung ausgefertigt und im Bundesgesetzblatt verkündet. ²Das Bundesgesetzblatt kann in elektronischer Form geführt werden. ³Rechtsverordnungen werden von der Stelle, die sie erlässt, ausgefertigt. ⁴Das Nähere zur Verkündung und zur Form von Gegenzeichnung und Ausfertigung von Gesetzen und Rechtsverordnungen regelt ein Bundesgesetz.
(2) ¹Jedes Gesetz und jede Rechtsverordnung soll den Tag des Inkrafttretens bestimmen. ²Fehlt eine solche Bestimmung, so treten sie mit dem vierzehnten Tage nach Ablauf des Tages in Kraft, an dem das Bundesgesetzblatt ausgegeben worden ist.
- 1. Art. 82 Abs. 1 GG
- 2. Art. 82 Abs. 2 GG
- 2.1. Bedeutung
- 2.2. Systematische Stellung
- 2.3. Regelungszweck und Zielsetzung
- 2.4. Die Bestimmung des Inkrafttretensdatums
- 2.5. Die Auffangregelung: Inkrafttreten nach 14 Tagen
- 2.6. Rechtsfolgen und Bedeutung in der Praxis
- 2.7. Verhältnis zu anderen Regelungen
- 2.8. Bedeutung für die Rechtsanwendung
1. Art. 82 Abs. 1 GG
1.1. Bedeutung
Die Vorschrift regelt die abschließenden Schritte des Gesetzgebungsverfahrens und stellt sicher, dass ein Gesetz nach seinem formellen Zustandekommen wirksam wird. Erst mit der Ausfertigung durch den Bundespräsidenten und der Verkündung im Bundesgesetzblatt tritt ein Gesetz in Kraft. Damit wird das Publizitätsprinzip gewahrt, das eine Voraussetzung für die Rechtsverbindlichkeit von Normen darstellt.
1.2. Systematische Stellung und Funktion
Art. 82 GG gehört zum Abschnitt des Grundgesetzes, der das Gesetzgebungsverfahren abschließt. Während die vorhergehenden Artikel die Initiative, Beratung und Verabschiedung eines Gesetzes regeln, legt Art. 82 Abs. 1 GG fest, wie das bereits beschlossene Gesetz in Kraft tritt.
Die Vorschrift enthält drei zentrale Elemente:
- Ausfertigung durch den Bundespräsidenten nach Gegenzeichnung: Dies bestätigt die Verfassungsmäßigkeit und Authentizität des Gesetzes.
- Verkündung im Bundesgesetzblatt: Dies gewährleistet die öffentliche Bekanntmachung als Voraussetzung für die Rechtsverbindlichkeit.
- Besondere Regelung für Rechtsverordnungen: Hier wird klargestellt, dass diese nicht vom Bundespräsidenten, sondern von der erlassenden Stelle ausgefertigt werden.
Durch diese Regelungen wird sichergestellt, dass Normen nur in einer rechtlich einwandfreien und nachvollziehbaren Weise in Kraft treten.
1.3. Die Ausfertigung durch den Bundespräsidenten
Die Ausfertigung ist die letzte verfassungsrechtliche Kontrolle eines Gesetzes, bevor es in Kraft tritt. Sie hat eine doppelte Bedeutung:
- Formelle Prüfung: Der Bundespräsident stellt sicher, dass das Gesetz ordnungsgemäß zustande gekommen ist, insbesondere dass das vorgeschriebene Verfahren eingehalten wurde.
- Materielle Prüfung: Strittig ist, ob der Bundespräsident Gesetze auch auf ihre inhaltliche Verfassungsmäßigkeit prüfen darf.
Die herrschende Meinung geht davon aus, dass der Bundespräsident eine evidente Verfassungswidrigkeit beanstanden kann und das Gesetz nicht ausfertigen muss. Diese Auffassung stützt sich auf das Rechtsstaatsprinzip und die Bindung aller Staatsorgane an die Verfassung nach Art. 20 Abs. 3 GG. Eine umfassende Prüfungskompetenz, insbesondere eine politische Beurteilung, wird dem Bundespräsidenten hingegen nicht zugestanden.
1.4. Die Gegenzeichnungspflicht
Vor der Ausfertigung durch den Bundespräsidenten muss das Gesetz gemäß Art. 58 GG von der Bundesregierung gegengezeichnet werden. Dies dient der politischen Verantwortlichkeit:
- Durch die Gegenzeichnung übernimmt die Bundesregierung die Verantwortung für das Gesetz.
- Der Bundespräsident soll nicht als politischer Akteur erscheinen, sondern als formeller Garant der Verfassungsmäßigkeit.
In der Praxis ist die Gegenzeichnung eine bloße Formalie, da die Bundesregierung bereits in das Gesetzgebungsverfahren eingebunden war.
1.5. Die Verkündung im Bundesgesetzblatt
Erst mit der Verkündung im Bundesgesetzblatt wird das Gesetz für die Allgemeinheit verbindlich. Dies beruht auf dem Rechtsstaatsprinzip, insbesondere dem Publizitätsgebot, das fordert, dass Normen öffentlich zugänglich sein müssen, bevor sie Rechtswirkungen entfalten können.
Besonders relevant ist die Regelung, dass das Bundesgesetzblatt in elektronischer Form geführt werden kann. Dies trägt der Digitalisierung der Verwaltung Rechnung und wurde durch eine Grundgesetzänderung eingeführt.
Wichtige Aspekte der Verkündung sind:
- Ein Gesetz tritt grundsätzlich am Tag nach seiner Verkündung in Kraft, sofern nicht ein anderes Datum im Gesetz selbst bestimmt ist.
- Die elektronische Verkündung hat dieselbe rechtliche Wirkung wie die klassische Papierform.
- Die Verkündung im Bundesgesetzblatt ist zwingend erforderlich; eine anderweitige Veröffentlichung reicht nicht aus.
1.6. Die Regelung für Rechtsverordnungen
Während Gesetze vom Bundespräsidenten ausgefertigt werden, obliegt die Ausfertigung von Rechtsverordnungen der jeweiligen erlassenden Stelle. Dies kann z. B. die Bundesregierung, ein Ministerium oder eine Landesregierung sein.
Damit wird ein klarer Unterschied zur Gesetzgebung gezogen: Rechtsverordnungen beruhen auf einer gesetzlichen Ermächtigung (Art. 80 GG) und benötigen keine parlamentarische Beschlussfassung, weshalb die Ausfertigung durch den Bundespräsidenten nicht erforderlich ist.
1.7. Einfachgesetzliche Regelung
Art. 82 Abs. 1 Satz 4 GG verweist auf eine gesetzliche Regelung, die die Einzelheiten der Verkündung und der Ausfertigung von Gesetzen und Rechtsverordnungen regelt. Diese Vorschriften finden sich insbesondere im Gesetz über die Verkündung von Rechtsvorschriften sowie in der Geschäftsordnung der Bundesregierung.
Hier wird insbesondere geregelt:
- Die Form der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt
- Die Verantwortlichkeiten für die Gegenzeichnung und Ausfertigung
- Sonderregelungen für bestimmte Normtypen, etwa völkerrechtliche Verträge
Diese einfachgesetzlichen Vorschriften konkretisieren die in Art. 82 Abs. 1 GG enthaltenen Grundsätze und gewährleisten eine einheitliche Handhabung des Verfahrens.
2. Art. 82 Abs. 2 GG
2.1. Bedeutung
Diese Vorschrift regelt das Inkrafttreten von Gesetzen und Rechtsverordnungen. Der Grundsatz ist, dass jedes Gesetz und jede Rechtsverordnung einen expliziten Zeitpunkt des Inkrafttretens enthalten sollte. Falls dies nicht geschieht, greift die Auffangregelung: Die Norm tritt automatisch am vierzehnten Tag nach dem Tag der Ausgabe des Bundesgesetzblattes in Kraft.
2.2. Systematische Stellung
Art. 82 GG befasst sich mit den letzten Schritten des Gesetzgebungsverfahrens. Während Abs. 1 die Ausfertigung und Verkündung regelt, bestimmt Abs. 2 den Zeitpunkt, ab dem die veröffentlichte Norm für Bürger und Behörden rechtsverbindlich wird.
Der Artikel steht in engem Zusammenhang mit dem Rechtsstaatsprinzip, insbesondere dem Publizitätsprinzip, das verlangt, dass Normen hinreichend bekannt sein müssen, bevor sie Geltung beanspruchen.
2.3. Regelungszweck und Zielsetzung
Die Vorschrift verfolgt zwei zentrale Zwecke:
- Rechtssicherheit und Bestimmtheit: Jeder Bürger und jede Behörde soll eindeutig erkennen können, ab wann eine Norm gilt.
- Schutz vor rückwirkenden Belastungen: Die Regelung verhindert, dass Gesetze ohne Vorankündigung in Kraft treten und somit unerwartete Rechtsfolgen eintreten.
Die explizite Festlegung eines Inkrafttretensdatums dient der Transparenz und Planungssicherheit für Gesetzesanwender und Normunterworfene.
2.4. Die Bestimmung des Inkrafttretensdatums
Gesetzgeber und Verordnungsgeber sind grundsätzlich frei, einen Zeitpunkt für das Inkrafttreten festzulegen. In der Praxis existieren verschiedene Varianten:
- Sofortiges Inkrafttreten: In Ausnahmefällen kann ein Gesetz bereits am Tag nach der Verkündung in Kraft treten. Dies geschieht insbesondere bei eilbedürftigen Regelungen, etwa in Krisenzeiten.
- Inkrafttreten zu einem bestimmten Datum: Häufig enthalten Gesetze eine Klausel wie „Dieses Gesetz tritt am 1. Januar des folgenden Jahres in Kraft“. Dies erleichtert die Vorbereitung der Rechtsanwender.
- Stufenweises Inkrafttreten: Manche Gesetze legen unterschiedliche Zeitpunkte für verschiedene Vorschriften fest. Dies geschieht etwa, wenn Verwaltungsstrukturen angepasst werden müssen.
Die Regelung in Satz 1 von Art. 82 Abs. 2 GG ist programmatisch formuliert („soll“). Eine zwingende Verpflichtung, stets ein Datum anzugeben, besteht daher nicht. Allerdings ist die Angabe des Inkrafttretens üblich und gesetzestechnisch geboten.
2.5. Die Auffangregelung: Inkrafttreten nach 14 Tagen
Falls der Gesetzgeber oder Verordnungsgeber kein Datum bestimmt, greift die gesetzliche Vermutung:
- Die Norm tritt am vierzehnten Tag nach dem Tag der Ausgabe des Bundesgesetzblatts in Kraft.
- Maßgeblich ist das Datum auf dem Titelblatt des Bundesgesetzblatts, nicht der tatsächliche Erhalt durch die Bürger oder Behörden.
Diese Regelung dient dem Interessenausgleich:
- Sie verhindert eine ungewollte Verzögerung der Rechtsanwendung.
- Sie gibt Bürgern und Verwaltungsorganen eine Vorlaufzeit, um sich auf die neue Rechtslage einzustellen.
Das Prinzip entspricht dem allgemeinen Publizitätsgebot des Rechtsstaats. Bürger sollen eine realistische Frist haben, um sich mit neuen Vorschriften vertraut zu machen.
2.6. Rechtsfolgen und Bedeutung in der Praxis
Die Regelung ist von großer praktischer Relevanz, insbesondere in Fällen, in denen der Gesetzgeber versehentlich das Inkrafttreten nicht festlegt. Solche Fälle sind selten, aber nicht ausgeschlossen.
Ein Beispiel ist das Bundesgesetzblatt Teil I vom 31. Dezember 2008. In diesem wurden mehrere Gesetze ohne explizites Inkrafttretensdatum veröffentlicht, wodurch sie am 14. Januar 2009 in Kraft traten.
In der Gesetzgebungspraxis wird oft sichergestellt, dass die Regelung nicht greift, indem bei jedem Gesetz ausdrücklich das Inkrafttreten geregelt wird.
2.7. Verhältnis zu anderen Regelungen
Art. 82 Abs. 2 GG ergänzt Art. 82 Abs. 1 GG, indem er die nächste Stufe des Gesetzgebungsprozesses regelt. Daneben bestehen spezifische Regelungen für das Inkrafttreten von Normen:
- Art. 80 Abs. 1 GG: Rechtsverordnungen dürfen nur erlassen werden, wenn eine gesetzliche Ermächtigung besteht. Diese Ermächtigung kann auch Vorgaben zum Inkrafttreten enthalten.
- Art. 79 Abs. 1 GG: Änderungen des Grundgesetzes treten am Tag nach ihrer Verkündung in Kraft, sofern nichts anderes bestimmt wird.
Zusätzlich enthalten einfachgesetzliche Bestimmungen weitere Konkretisierungen:
- Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB): Enthält Regeln für das Inkrafttreten von Gesetzen mit internationalem Bezug.
- Verkündungsregelungen in Fachgesetzen: Manche Gesetze enthalten gesonderte Vorschriften für ihr Inkrafttreten.
2.8. Bedeutung für die Rechtsanwendung
Für die Praxis bedeutet Art. 82 Abs. 2 GG, dass jeder Rechtsanwender bei neuen Normen drei Fragen prüfen muss:
- Enthält das Gesetz oder die Verordnung eine ausdrückliche Regelung zum Inkrafttreten?
- Falls nein, wann wurde das Bundesgesetzblatt mit der Norm ausgegeben?
- Wann ist der 14. Tag nach diesem Zeitpunkt?
Diese Prüfung ist insbesondere in Fällen relevant, in denen Gesetze unerwartet keine explizite Inkrafttretensregelung enthalten.