BVerfG, 10.06.1964 - 1 BvR 37/63
1. Über die Grenzen der Nachprüfung gerichtlicher Entscheidungen durch das Bundesverfassungsgericht.
2. Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist unzulässig, wenn sie in einer auf andere Grundrechtsverletzungen gestützten Verfassungsbeschwerde erst nach Ablauf der Beschwerdefrist (§ 93 Abs. 1 BVerfGG) erhoben wird.
Beschluß
des Ersten Senats vom 10. Juni 1964
- 1 BvR 37/63 -
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Firma ... GmbH, - Bevollmächtigte: Rechtsanwälte ... - gegen den Beschluß des Bundespatentgerichts vom 30. November 1962 - 5 W 120/62.
Entscheidungsformel:
Die Verfassungsbeschwerde wird, soweit sie die Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör rügt, verworfen; im übrigen wird sie zurückgewiesen.
Gründe
A.
1. Die Erteilung eines Patents setzt die Anmeldung der Erfindung beim Patentamt voraus (§ 26 Abs. 1 PatG). Hält die Prüfstelle die angemeldete Erfindung nicht für patentfähig, so benachrichtigt sie hiervon den Patentsucher unter Angabe der Gründe (§ 28); eine solche Beanstandung wird, jedenfalls wenn sie einen bestimmten Inhalt hat, als "Entgegenhaltung" bezeichnet. Hat das Patentamt keine formellen und materiellen Bedenken, so beschließt es die Bekanntmachung der Anmeldung (§ 30 Abs. 1). Die Bekanntmachung verschafft dem Anmelder einstweilen die gesetzlichen Wirkungen des Patents (§ 30 Abs. 1 Satz 2) und eröffnet anderen die Möglichkeit, gegen die Erteilung des Patents Einspruch zu erheben (§ 32 Abs. 1).
Für die Akteneinsicht bestimmt § 24 Abs. 3 Satz 2 und 3:
"In die Akten bekanntgemachter Patentanmeldungen und erteilter Patente sowie in die dazugehörenden sonstigen Modelle und Probestücke wird Einsicht nur auf Antrag gewährt. Vor der Entscheidung über den Antrag ist der Patentsucher oder Patentinhaber zu hören; die Einsicht wird nicht gewährt, wenn und soweit der Patentsucher oder Patentinhaber ein entgegenstehendes schutzwürdiges Interesse dartut."
2. Die Beschwerdeführerin, die kosmetische Artikel herstellt, hatte ein Mittel zur künstlichen Bräunung der Haut zum Patent angemeldet, für dessen Herstellung sie verschiedene Wirkstoffe vorschlug. Da ihr die Prüfstelle des Deutschen Patentamts entgegenhielt, einer der vorgeschlagenen Stoffe sei für eine gewerbliche Verwertung nicht haltbar genug, beschränkte sie den Anmeldungsgegenstand auf die Verwendung der anderen Stoffe. So beschränkt wurde die Anmeldung bekanntgemacht.
Eine Konkurrentin erhob gegen die Patenterteilung Einspruch und beantragte Einsicht in die Anmeldeakten. Das Deutsche Patentamt gab dem statt, nahm jedoch die den fallengelassenen Teil der Anmeldung betreffenden Aktenstellen von der Offenlegung aus, weil sie Ausführungen enthielten, die nicht zur Bekanntmachung geführt hätten.
Auf die Beschwerde der Einsprechenden beschloß das Bundespatentgericht, ihr die Anmeldungsakten in vollem Umfang offenzulegen. Es hält das entgegenstehende Interesse der Anmelderin nicht für schutzwürdig im Sinne von § 24 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2 PatG und führt aus: Daß die von der Offenlegung ausgenommenen Stellen nicht zur Bekanntmachung geführt hätten, könne eine Schutzwürdigkeit noch nicht begründen. Vielmehr gewährten das Patentamt und das Bundespatentgericht in ständiger Praxis gerade in Teile einer Anmeldung Einsicht, die auf eine Entgegenhaltung fallengelassen worden seien; dabei seien unter Entgegenhaltung nicht nur die Hinweise auf Literaturstellen zu verstehen, die Mängel der Neuheit, der Erfindungshöhe und des technischen Fortschritts ergäben, sondern auch Hinweise auf andere Patenthindernisse, wie z.B. im vorliegenden Fall auf den Mangel gewerblicher Verwertbarkeit wegen der geringen Haltbarkeit. Die Anmelderin habe sich den Beanstandungen des Prüfers gefügt und habe in der mündlichen Verhandlung keine überzeugenden und nachprüfbaren Ausführungen darüber gemacht, wie die Bedenken des Prüfers hätten widerlegt werden können. Allerdings habe sie unsubstantiiert behauptet, die betreffenden Mittel seien schwer herzustellen; sie arbeite weiter mit den genannten Verbindungen. Mit diesen Behauptungen sei jedoch ein schutzwürdiges Interesse nicht dargetan. Wer auf dem Gebiete der Chemie eine z. T. unfertige oder z. T. nicht gewerblich verwertbare Erfindung anmelde, müsse sich über das Risiko klar sein, daß auch der unfertige Teil mit bekanntgemacht und dadurch der Öffentlichkeit bekannt werden könne. Es bestehe auch kein Anlaß, den unfertigen Teil der Erfindung nur deshalb von der Akteneinsicht auszunehmen, weil es dem sachkundigen Prüfer gelungen sei, den Anmelder bereits vor der Bekanntmachung zu einer entsprechenden Beschränkung des Anmeldungsgegenstandes zu bewegen.
3. Die Beschwerdeführerin greift diesen Beschluß des Bundespatentgerichts mit der Verfassungsbeschwerde an; sie beantragt seine Aufhebung und die Feststellung, daß er ihr Grundrecht aus Art. 14 GG verletze. Die Ausführungen lassen auch auf eine Rüge von Art. 3 Abs. 1 GG schließen. Nachträglich hat sie auch die Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG gerügt.
Zusammengefaßt trägt die Beschwerdeführerin vor: Der angefochtene Beschluß verletze ihr Grundrecht aus Art. 14 GG, weil er die Vorschrift des § 24 Abs. 3 PatG nicht verfassungskonform auslege und dadurch in das Eigentum der Beschwerdeführerin eingreife; denn er lasse zu, daß eine Konkurrentin in den Besitz eines Betriebsgeheimnisses der Beschwerdeführerin gelange und hierdurch Urheberrechte der Beschwerdeführerin oder Rechte am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb verletze. Der angefochtene Beschluß enthalte somit nicht lediglich Fehler in der Rechtsanwendung, sondern Verstöße, die bei vernünftiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich seien.
Im einzelnen führt sie aus: Nehme der Anmelder einen Teil der Anmeldung auf Grund der Entgegenhaltung zurück, Druckschriften ergäben den Mangel der Neuheit, der Erfindungshöhe und des technischen Fortschritts, so sei die Gewährung der Akteneinsicht unschädlich, denn der Anmelder könnte für diese Teile seiner Anmeldung niemals mehr Patentschutz erlangen, sein Konkurrent aber erlange billigerweise Kenntnis von Vorgängen, die für die Beurteilung des Schutzumfanges von Bedeutung sein könnten. Beruhe die Rücknahme dagegen auf der "Entgegenhaltung" anderer Gründe, etwa wie hier des Mangels der gewerblichen Verwertbarkeit, so bliebe die Weiterentwicklung der Erfindung bis zur Patentreife und die spätere Patentanmeldung möglich. Im vorliegenden Falle habe die Beschwerdeführerin mit der teilweisen Rücknahme den Gedanken an eine Anmeldung der fallengelassenen Teile keineswegs aufgegeben, sondern nur die Beschleunigung der Durchführung des Prüfungsverfahrens im übrigen bezweckt; sie erwarte, den zunächst fallengelassenen Teil noch patentreif zu machen. Die Offenlegung der Gedankengänge des zurückgenommenen Anmeldungsteils setze die Konkurrentin in die Lage, das fremde Gedankengut zu nutzen, ihrerseits weiterzuentwickeln und u.U. zum Gegenstand einer späteren eigenen Anmeldung zu machen. Der zurückgenommene Teil der Anmeldung sei wieder in die Privatsphäre der Beschwerdeführerin zurückgetreten. Zudem gehöre auch die unreife Erfindung zum eingerichteten und ausgeübten Geschäftsbetrieb. Infolgedessen stehe sie unter dem Schutz des Art. 14 GG. Dessen Wirkung habe das Bundespatentgericht bei der Beurteilung der Schutzwürdigkeit ihrer Interessen verkannt.
4. Die Einsprechende des Ausgangsverfahrens ist den Ausführungen der Beschwerdeführerin entgegengetreten.
Der Bundesminister der Justiz bezweifelt, daß das Recht des Anmelders auf Geheimhaltung der dem Patent eingereichten Unterlagen unter die Eigentumsgarantie falle. In unfreiwillig, nämlich auf Entgegenhaltung fallengelassene Teile einer Anmeldung sei immer in vollem Umfang Einsicht gewährt worden.
Der zuständige Senat des Bundesgerichtshofs, dem Gelegenheit zur Äußerung gegeben wurde, hat eingehend die Rechtslage erörtert und dabei Bedenken geäußert, ob der Beschluß des Bundespatentgerichts die beiderseitigen Interessen sachgemäß abgewogen und dabei grundgesetzlich geschützte Interessen der Beschwerdeführerin in dem erforderlichen Maße berücksichtigt habe. Seine Erörterungen zu den patentrechtlichen Bestimmungen und ihren Auswirkungen sind der Entscheidung zugrunde gelegt.
B.
I.
Die Rüge, das Bundespatentgericht habe ihr zum Beweis der gewerblichen Ausführbarkeit des zurückgenommenen Teils der Erfindung keine Gelegenheit gegeben und dadurch das Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG auf rechtliches Gehör verletzt, hat die Beschwerdeführerin erstmals im Schriftsatz vom 20. September 1963 erhoben. Nach § 92 BVerfGG muß die Verfassungsbeschwerde angeben, in welchem Recht und durch welche Handlung oder Unterlassung der Beschwerdeführer verletzt sein soll. Diese Angaben müssen innerhalb der Beschwerdefrist (§ 93 Abs. 1 BVerfGG) gemacht werden (vgl. BVerfGE 5, 1). Das schließt nicht aus, die Begründung der Verfassungsbeschwerde nachträglich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu ergänzen. Dies darf jedoch nicht dazu führen, daß nach Fristablauf ein neuer Sachverhalt - hier: die Verweigerung des rechtlichen Gehörs durch das Bundespatentgericht - zum Gegenstand der Verfassungsbeschwerde gemacht wird. Da die angegriffene Entscheidung am 27. Dezember 1962 zugestellt worden war, ist die Rüge aus Art. 103 Abs. 1 GG verspätet (§§ 92, 93 Abs. 1 BVerfGG).
II.
Im übrigen ist die Verfassungsbeschwerde zulässig, sie hat aber keinen Erfolg. Der angegriffene Beschluß wendet einfaches Recht an; daß er hierbei die Einwirkung der Grundrechte verkannt habe, hat das Bundesverfassungsgericht nicht feststellen können.
1. Nach Ansicht der Beschwerdeführerin ist auch eine unfertige Erfindung wie die in dem zurückgenommenen Teil ihrer Anmeldung, obgleich als solche patentrechtlich noch nicht geschützt, so doch schon "geistiges Eigentum" und ein "unvollkommen absolutes Immaterialgüterrecht", zudem Teil ihres eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs. Aus beiden Gründen nehme sie an der Schutzwirkung des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG teil. Ob das richtig ist, braucht das Bundesverfassungsgericht nicht zu entscheiden. Denn jedenfalls kann der einfache Gesetzgeber wie bei allen anderen Eigentumswerten so auch hier Inhalt und Schranken des Eigentums näher bestimmen (BVerfGE 14, 263 [277 f.]). Dieser Aufgabe würde die vom Bundespatentgericht zugrunde gelegte Regelung des § 24 Abs. 3 Satz 2 und 3 PatG dienen; sie wäre als eine Vorschrift zu verstehen, die diese mögliche Eigentumsart gegen die Interessen der durch den Patentschutz in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkten Personen und gegen mögliche Interessen der Allgemeinheit abgrenzt.
Die besondere Bedeutung, die der Akteneinsicht auf dem Gebiete des Patentwesens zukommt, folgt aus der Natur des Patentrechts. Der Patentsucher erhält gewissermaßen als Belohnung dafür, daß er der Allgemeinheit eine neue, die Technik bereichernde und aus dem vorbekannten Stand der Technik nicht ohne erfinderischen Schritt abzuleitende Lehre zum technischen Handeln offenbart, mit der Erteilung des Patents das Recht, während seiner Dauer alle anderen von der gewerbsmäßigen Benutzung der neuen technischen Lehre auszuschließen. Die Offenlegung der Erfindung ist die Voraussetzung, der Ausschluß der Allgemeinheit von ihrer Benutzung der Inhalt des Patentschutzes.
Alle von dem Patentschutz möglicherweise betroffenen Personen werden also durch die einstweilige Wirkung der Bekanntmachung der Anmeldung wie durch die endgültige Erteilung des Patents in ihrer verfassungsmäßig garantierten Handlungsfreiheit beschränkt. Hiergegen können sie sich mit den zulässigen Rechtsbehelfen erfolgreich nur wenden, wenn sie die Voraussetzungen der Patenterteilung und den Schutzumfang des Patents zuverlässig beurteilen können. Zu diesem Zweck ist eine Einsicht in die Erteilungsakten oft unerläßlich. Auch ein Interesse der Allgemeinheit, sich über den Stand der Technik zu informieren, könnte Berücksichtigung verdienen. Andererseits hat der Patentsucher ein Interesse, die zunächst nur dem Patentamt anvertrauten neuen technischen Gedanken vor Dritten geheimzuhalten, sie so gegen eine Auswertung durch Konkurrenten abzuschirmen und Dritten die Begründung von Einwendungen gegen das Schutzrecht nicht zu erleichtern. Diese widerstreitenden Interessen gegeneinander abzugrenzen, ist das Ziel des § 24 Abs. 3 Satz 2 und 3 PatG. Hierfür ist es ohne Bedeutung, daß die Bestimmung sich nicht wie eine zivilrechtliche Norm unmittelbar an gleichberechtigte Rechtsträger, sondern an das Patentamt wendet, dem sie Weisungen für die Offenlegung der in seinen Händen befindlichen Unterlagen gibt.
2. Gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung bestehen keine Bedenken. Sie ist durch das Sechste Gesetz zur Änderung und Überleitung von Vorschriften auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes vom 23. März 1961 - BGBl. I S. 274 - in das Patentgesetz eingefügt worden. Während bis dahin die Einsicht Dritter von dem Ermessen des Patentamts (praktisch von der Glaubhaftmachung eines berechtigten Interesses) abhing (§ 34 der Verordnung über das Reichspatentamt in der Fassung der Verordnung vom 1. August 1953 - BGBl. I S. 714 / RGBl. 1936 II S. 219), ist nunmehr grundsätzlich die Einsicht in die Akten bekanntgemachter Patentanmeldungen auf Antrag jedermann zu gewähren und nur zu verweigern, wenn dem ein schutzwürdiges Interesse des zuvor anzuhörenden Patentsuchers entgegensteht. Diese Regelung kehrt nicht nur formell die Behauptungslast und Beweislast um, sondern befreit auch materiell den die Einsicht Begehrenden von dem Nachweis eines berechtigten Interesses; indes ermöglicht sie auch dann noch eine sachgemäße Abwägung der widerstreitenden Interessen im Einzelfalle. Sie wäre daher auch mit dem vom einfachen Gesetzgeber zu beachtenden Kernbereich des Grundrechts aus Art. 14 GG vereinbar, falls, wie hier unterstellt wird, dessen Schutzbereich berührt wird.
3. Ist hiernach das vom Bundespatentgericht angewandte einfache Recht mit Art. 14 GG vereinbar, so bleibt über den Hauptangriff der Verfassungsbeschwerde zu entscheiden, das Bundespatentgericht habe dieses einfache Recht in einer Weise ausgelegt und angewandt, die das Grundrecht des Eigentums verletze.
a) Die Gerichte haben bei der Auslegung und Anwendung von einfachem Recht, insbesondere von Generalklauseln, den grundgesetzlichen Wertmaßstäben Rechnung zu tragen. Verfehlt ein Gericht diese Maßstäbe, so verletzt es als Träger öffentlicher Gewalt die außer acht gelassenen Grundrechtsnormen; sein Urteil muß auf eine Verfassungsbeschwerde hin vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben werden (BVerfGE 7, 198 [207]; 12, 113 [124]; 13, 318 [325]).
Andererseits würde es dem Sinn der Verfassungsbeschwerde und der besonderen Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts nicht gerecht werden, wollte dieses ähnlich wie eine Revisionsinstanz die unbeschränkte rechtliche Nachprüfung von gerichtlichen Entscheidungen um deswillen in Anspruch nehmen, weil eine unrichtige Entscheidung möglicherweise Grundrechte des unterlegenen Teils berührt. Die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes, die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind allein Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen; nur bei einer Verletzung von spezifischem Verfassungsrecht durch die Gerichte kann das Bundesverfassungsgericht auf Verfassungsbeschwerde hin eingreifen (vgl. BVerfGE 1, 418 [420]). Spezifisches Verfassungsrecht ist aber nicht schon dann verletzt, wenn eine Entscheidung, am einfachen Recht gemessen, objektiv fehlerhaft ist; der Fehler muß gerade in der Nichtbeachtung von Grundrechten liegen.
Freilich sind die Grenzen der Eingriffsmöglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts nicht immer allgemein klar abzustecken; dem richterlichen Ermessen muß ein gewisser Spielraum bleiben, der die Berücksichtigung der besonderen Lage des Einzelfalls ermöglicht. Allgemein wird sich sagen lassen, daß die normalen Subsumtionsvorgänge innerhalb des einfachen Rechts so lange der Nachprüfung des Bundesverfassungsgerichts entzogen sind, als nicht Auslegungsfehler sichtbar werden, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind. Eine Grundrechtswidrigkeit liegt noch nicht vor, wenn die Anwendung einfachen Rechts durch den hierzu zuständigen Richter zu einem Ergebnis geführt hat, über dessen "Richtigkeit" (in dem allgemeinen Sinne von "Sachgemäßheit" oder "Billigkeit") sich streiten läßt, insbesondere wenn bei einer dem Richter durch gesetzliche Generalklauseln aufgetragenen Abwägung widerstreitender Interessen die von ihm vorgenommene Wertung fragwürdig sein mag, weil sie den Interessen der einen oder der anderen Seite zu viel oder zu wenig Gewicht beigelegt hat.
b) Das Bundesverfassungsgericht hat nicht feststellen können, daß der angefochtene Beschluß eine Grundrechtsverletzung in diesem Sinne enthält.
Für eine Verletzung von Art. 14 GG könnte allerdings - von der Prämisse aus, daß auch eine unfertige Erfindung Eigentum im Sinne des Art. 14 GG darstellt - folgendes geltend gemacht werden:
Der angefochtene Beschluß läßt nicht ersehen, daß das Bundespatentgericht die Bedeutung erkannt hätte, die der grundgesetzliche Schutz des Eigentums bei der Anwendung und Auslegung des § 24 PatG haben muß. Unterstellt man, daß in den von dem Patentamt von der Bekanntmachung ausgeschiedenen Teilen der Anmeldeakten erfinderische Gedanken der Beschwerdeführerin niedergelegt sind, die als ihr geistiges Eigentum grundsätzlich schutzwürdig sind, so durfte das Bundespatentgericht den § 24 PatG nicht dahin auslegen, daß er ohne gewichtige Gründe einen Eingriff in dieses Eigentum zulasse. Die Gewährung von Akteneinsicht an die Einsprechende ist aber geeignet, das geistige Eigentum der Beschwerdeführerin zu entwerten, ja es zu zerstören. Bei der ihm obliegenden Interessenabwägung mußte das Patentgericht dem Rechnung tragen; schon daß es dies unterlassen hat, könnte - unabhängig von dem Ergebnis dieser Prüfung - als Verletzung von Art. 14 GG gewertet werden.
Dem ist jedoch entgegenzuhalten:
Das Bundespatentgericht hat in Anwendung des § 24 Abs. 3 PatG, also von einfachem Recht, die Interessen der Beschwerdeführerin an der Geheimhaltung des zurückgenommenen Teils der Anmeldung nicht für so schutzbedürftig angesehen, daß sie den Vorzug vor den Interessen der Einsprechenden an der Klärung von Inhalt und Umfang des angemeldeten Schutzrechts verdienten. Bei der Begründung dieser Würdigung ist es von dem in der Praxis entwickelten Satz ausgegangen, daß Teile einer Anmeldung, die auf Entgegenhaltung zurückgenommen werden, grundsätzlich offenzulegen sind. Diese Praxis unterliegt auch nach der Ansicht des Bundesgerichtshofs dann keinen Bedenken, wenn der Begriff der Entgegenhaltung auf solche Hinweise beschränkt wird, die den aus Druckschriften ersichtlichen Stand der Technik (einschließlich der offenkundigen "Vorbenutzungen" im Sinne des § 2 PatG und der "älteren Rechte" im Sinne des § 4 Abs. 2 PatG) betreffen; solche Gründe werden in aller Regel der Erlangung eines gewerblichen Schutzrechtes endgültig im Wege stehen.
Streitig ist lediglich, ob es richtig ist, den Begriff der Entgegenhaltung auf andere Hindernisse der Patenterteilung auszudehnen, wie dies das Bundespatentgericht nunmehr in Erweiterung der bisherigen Übung tut. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs bestehen hiergegen Bedenken. Noch nicht fertige, gewerblich noch nicht verwertbare Lösungen könnten durch weitere erfinderische Bemühungen möglicherweise doch noch fertig oder gewerblich verwertbar und damit patentfähig gemacht werden. In einem solchen Falle habe das Geheimhaltungsinteresse des Anmelders ein ungleich größeres Gewicht.
Legt man diesen Gedankengang zugrunde, so könnte eine nicht genügend durchdachte Ausdehnung des ursprünglich engeren Begriffs der Entgegenhaltung dem Bundespatentgericht Anlaß gegeben haben, das Interesse der Beschwerdeführerin an der Geheimhaltung des zurückgenommenen Teils einer Erfindung zu gering zu bewerten. Damit hätte es aber lediglich die urheberrechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhänge, die für seine Entscheidung von Bedeutung hätten sein sollen, gar nicht oder fehlerhaft gesehen. Daß es dadurch den grundrechtlichen Wert des Eigentums überhaupt, wie er sich in einem "geistigen Eigentum" der Beschwerdeführerin und ihrem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb manifestieren könnte, außer acht gelassen oder verkannt hätte, läßt sich nicht feststellen. Die Frage, ob der Begriff "Entgegenhaltung" auf den vom Patentgericht darin einbezogenen Sachverhalt erstreckt werden kann, ist vielmehr in erster Linie eine patentrechtliche Frage, deren Klärung zunächst der weiteren Rechtsprechung der Patentgerichte zu überlassen ist. In die hierbei anzustellenden Erwägungen kann das Bundesverfassungsgericht nicht ohne genügende Breite der Fallanschauung durch eine in ihren Auswirkungen auf dieses Rechtsgebiet nicht übersehbare Interpretation des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs eingreifen.
Die Annahme, das Bundespatentgericht habe das "geistige Eigentum" der Beschwerdeführerin verkannt, wäre auch mit den weiteren Ausführungen des Bundespatentgerichts schwer vereinbar. Es bezeichnet die Angaben der Anmelderin darüber, wie die Bedenken des Prüfers widerlegt werden könnten, als nicht überzeugend und nicht nachprüfbar; die Behauptung der Anmelderin, die unzulänglich bezeichneten Stoffe seien schwer herstellbar, hält es für unsubstantiiert. Diese Ausführungen lassen die Möglichkeit zu, daß das Bundespatentgericht den zurückgenommenen Teil der Lösung des technischen Problems als endgültig erledigt angesehen hat und daß es andernfalls bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen die Schutzwürdigkeit der Belange der jetzigen Beschwerdeführerin stärker, vielleicht sogar als überwiegend bewertet hätte. Hiergegen sprechen nicht entscheidend die abschließenden Hinweise darauf, daß auf dem Gebiet der Chemie der Anmelder einer zum Teil unfertigen oder nicht gewerblich verwertbaren Erfindung das Risiko der Bekanntgabe an die Öffentlichkeit eingehe und daß der unfertige Teil einer Erfindung von der Offenlegung nicht deshalb ausgenommen zu werden verdiene, weil die Prüfstelle den Anmelder schon vor der Bekanntmachung zu einer Beschränkung des angemeldeten Gegenstandes bewogen habe; diese Hinweise könnten immerhin als lediglich zusätzlicher, für sich allein aber nicht tragender Grund der Entscheidung gemeint sein, mit dem das Gericht dem Einwand der Unbilligkeit des Ergebnisses hat begegnen wollen.
III.
Auch eine Art. 3 Abs. 1 GG verletzende Willkür läßt die Begründung des Bundespatentgerichts nicht erkennen. Eine solche ist nicht schon dann gegeben, wenn die Rechtsanwendung oder das eingeschlagene Verfahren Fehler enthalten. Hinzukommen muß vielmehr, daß Rechtsanwendung und Verfahren bei einer verständigen Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich sind und sich daher der Schluß aufdrängt, daß sie auf sachfremden Erwägungen beruhen (BVerfGE 4, 1 [7]).
Hier kann, wie oben ausgeführt, das wirtschaftliche Interesse des Anmelders an der Geheimhaltung des Teils seiner Erfindung, den er auf Entgegenhaltung zurückgenommen hat, ein durchaus verschiedenes Gewicht haben: Rücknahmen auf Grund von druckschriftlichen Entgegenhaltungen aus dem Stande der Technik sind endgültig, der Inhalt der zurückgenommenen Erfindung daher weniger wichtig; eine Zurücknahme wegen des Mangels der Patentreife kann aber eine vorläufige sein, der zurückgenommene Teil einer Anmeldung bedarf dann eher der Geheimhaltung. Die Gleichbehandlung dieser beiden, in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung verschiedenen Fälle mag fehlerhaft und rechtsirrtümlich sein, jedoch können die Erwägungen des Bundespatentgerichts nicht als sachfremd und willkürlich gewertet werden.