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BGH, 29.10.1992 - 4 StR 358/92

Daten
Fall: 
Garantenstellung eines Polizeibeamten
Fundstellen: 
BGHSt 38, 388; NJW 1993, 544; MDR 1993, 252; NStZ 1993, 383; StV 1993, 126; JR 1995, 165
Gericht: 
Bundesgerichtshof
Datum: 
29.10.1992
Aktenzeichen: 
4 StR 358/92
Entscheidungstyp: 
Beschluss

Zur Garantenstellung von Beamten der Schutzpolizei bei außerdienstlich erlangter Kenntnis von der Förderung der Prostitution (§ 180a Abs. 1 StGB).

Inhaltsverzeichnis 

Entscheidungstenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Münster vom 11. Februar 1992 wird verworfen.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die den Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten von dem Vorwurf der Strafvereitelung im Amt in Tateinheit mit Beihilfe zur Förderung der Prostitution und Zuhälterei teils aus tatsächlichen, teils aus rechtlichen Gründen freigesprochen.

Mit ihrem zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten Rechtsmittel rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung sachlichen Rechts.

Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, hat keinen Erfolg.

I.

Die Angeklagten sind Schutzpolizeibeamte in G.. In der Zeit von Spätsommer 1986 bis Frühjahr 1988 besuchten sie - wie andere Polizeibeamte auch - in ihrer Freizeit in Abständen von zwei bis drei Monaten die Bar "P." in G., um dort gemeinsam mit Bekannten in geselliger Runde Bier zu trinken und sich mit den Bardamen zu unterhalten. Die Bar wurde von Angelika T. betrieben, mit der der Angeklagte B. aufgrund nachbarschaftlicher Beziehungen gut bekannt war. Angelika T. beschäftigte mehrere Bardamen, zu deren vertraglichen Verpflichtungen es auch gehörte, mit Gästen in den der Bar angeschlossenen Separees gegen Entgelt geschlechtlich zu verkehren. Sie bestimmte die Arbeitszeit der Prostituierten, legte die Preise für die sexuellen Leistungen fest, wies ihnen gelegentlich auf diskrete, für Außenstehende nicht ohne weiteres erkennbare Weise in der Bar Kunden zu und behielt einen Teil des zentral kassierten Dirnenlohns für sich.

Aus dem gemeinsamen Kommen und Gehen von Bardamen und Gästen schlossen die Angeklagten, die die Bar ohne sexuelle Absichten besuchten und die Separees niemals betraten, daß im Zusammenhang mit dem Barbetrieb Prostitution ausgeübt wurde. Darüber hinaus bemerkten sie jedoch keine Vorgänge, die darauf hindeuteten, daß die Inhaberin der Bar Art, Zeit und Ausmaß der Prostitutionsausübung ihrer Angestellten überwachte und lenkte. Dienstlich war der Angeklagte Ba. mit dem Betrieb der "P.-Bar" überhaupt nicht, der Angeklagte B. lediglich bei zwei Gelegenheiten befaßt. In einem Fall nahm er an äußeren Absperrmaßnahmen im Rahmen einer Durchsuchung der Bar teil, in einem anderen Fall wies er anläßlich eines Streifengangs die Inhaberin auf die Nichteinhaltung der Sperrstunde hin. Straftaten nahm er bei diesen Gelegenheiten nicht wahr.

Die Angeklagten unternahmen weder Schritte, um die in Verbindung mit dem Barbetrieb stattfindende gewerbliche Prostitution zu verhindern, noch veranlaßten sie die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen die Inhaberin der Bar.

Ein im April 1987 aufgrund eines anonymen Anrufs gegen Angelika T. eingeleitetes Strafverfahren wegen des Verdachts der Förderung der Prostitution wurde im Juli 1988 nach Zahlung einer Geldbuße von 4.000 DM gemäß § 153 a StPO eingestellt.

II.

Soweit die Strafkammer die Angeklagten von den Vorwürfen der Beihilfe zur Zuhälterei und der Strafvereitelung in bezug auf die von Angelika T. begangene Zuhälterei aus t a t s ä c h l i c h e n Gründen freigesprochen hat, weist die Beweiswürdigung keinen Rechtsfehler auf. Insbesondere ist nicht ersichtlich, daß das Landgericht bei seiner Überzeugungsbildung an die zur Verurteilung erforderliche Gewißheit überzogene Anforderungen gestellt hätte. Vielmehr hat es unter zutreffender Berücksichtigung des Grundsatzes "in dubio pro reo" nachvollziehbar dargelegt, weshalb die Angeklagten zwar Anzeichen für eine Förderung der Prostitution durch Angelika T. wahrgenommen, nicht aber solche Umstände bemerkt haben, die auf eine dirigistische Zuhälterei hinwiesen. Eine derartige Unterscheidung ist denkgesetzlich möglich. Die den Angeklagten bekannte Überlassung von Separees an Prostituierte im Rahmen der Öffnungszeiten der Bar bedeutete entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht zwangsläufig eine Bestimmung von Ort, Zeit und Ausmaß der Prostitutionsausübung im Sinne von § 181 a Abs. 1 Nr. 2 StGB.

Mit ihrem Vorbringen wendet sich die Staatsanwaltschaft im wesentlichen gegen die Schlußfolgerungen des Landgerichts. Damit wird der unzulässige Versuch unternommen, die Beweiswürdigung der Strafkammer durch die eigene zu ersetzen. Wenn der Tatrichter die von ihm festgestellten Tatsachen anders wertet als die Staatsanwaltschaft, so ist dies vom Revisionsgericht auch dann hinzunehmen, wenn die Schlußfolgerungen - wie hier - nicht zwingend, aber immerhin möglich sind und der Tatrichter von ihrer Richtigkeit überzeugt ist (BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2).

III.

1.

Auch der auf rechtliche Erwägungen gestützte Freispruch der Angeklagten von dem Vorwurf der Beihilfe zur Förderung der Prostitution ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

a) Voraussetzung für eine hier allein in Betracht kommende Beihilfe durch Unterlassen ist nach § 13 StGB eine Garantenstellung mit einer daraus abgeleiteten Handlungspflicht. Diese kann sich unter anderem aus der Verpflichtung zur Verteidigung bestimmter Rechtsgüter ergeben. Ob die öffentlich-rechtliche Pflichtenstellung von Polizeibeamten eine Garantenstellung für die durch Strafgesetze geschützten Rechtsgüter bewirkt, ist in Rechtsprechung und Lehre umstritten (vgl. zum Meinungsstand Rudolphi, JR 1987, 336, 337).

Nach den Polizeigesetzen der Länder obliegt Polizeibeamten die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Sicherheit und Ordnung sind jedoch nicht nur dann betroffen, wenn Rechtsgüter der Allgemeinheit gefährdet sind, sondern auch, wenn Individualrechtsgüter durch Straftaten bedroht werden (vgl. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht 10. Aufl.§ 5 Rdn. 71; § 6 Rdn. 75; Wagner, Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen 1987 § 1 Rdn. 9, 31). Damit dient die öffentlich-rechtliche Pflicht des Polizeibeamten, Straftaten zu verhindern, zumindest auch dem Zweck, das von dem jeweiligen Straftatbestand geschützte Rechtsgut vor der ihm konkret drohenden Gefahr zu bewahren (a.A. Rudolphi aaO; Winkelbauer JZ 1986, 1119, 1120). Beide Schutzzwecke - Verhinderung oder Beseitigung normwidriger Zustände im Interesse der Allgemeinheit und Sicherung von Individualrechtsgütern im Interesse des einzelnen - sind untrennbar miteinander verbunden. Die Aufgabe, den einzelnen Bürger vor Straftaten zu schützen, ist damit nicht nur Reflex- oder Nebenwirkung einer Berufspflicht anderen Inhalts (so aber Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip 1972 S. 356; im Ergebnis auch Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte 1971 S. 362, 363), sondern sie ist wesentlicher Bestandteil der Berufspflicht des Polizeibeamten (vgl. auch Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht von Amtsträgern, 1989 S. 606 ff). Dies ergibt sich schon daraus, daß der Bürger Träger subjektiver Rechte gegen den Staat ist. Somit hat er einen Anspruch darauf, daß die Polizei zum Schutze seiner Rechtsgüter eingreift (vgl. Wagner, Amtsverbrechen 1975 S. 250, 251 m.w.N.; einschränkend im Sinne einer Schutzverpflichtung nur für "hochwertige Rechtsgüter" Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten 1986 S. 190 ff).

Daß der bedrohte Bürger grundsätzlich über Möglichkeiten verfügt, seine Rechtsgüter selbst zu verteidigen, läßt eine "Obhuts"- oder "Beschützer"garantenstellung schon deshalb nicht entfallen, weil Polizeibeamte kraft ihrer hoheitlichen Eingriffsrechte wirksamere Maßnahmen der Gefahrenabwehr treffen können (a.A. Rudolphi aaO S. 339).

Da sich die Garantenstellung eines Polizeibeamten aus dessen Beruf herleitet, ergeben sich für seine Verpflichtung zur Verhinderung von Straftaten jedoch Einschränkungen:

Zum einen muß der Beamte nach seiner konkreten Dienstpflicht örtlich und sachlich für das geschützte Rechtsgut verantwortlich sein. So obliegt es beispielsweise dem für die Einhaltung des Gaststättengesetzes zuständigen Leiter des städtischen Ordnungsamtes, die unzulässige Prostitutionsausübung in einer Bar durch den Entzug der dem Barbetreiber erteilten Konzession zu unterbinden (BGH JZ 1986, 967); der zur Aufklärung einer bereits begangenen Straftat in einem Ermittlungsverfahren gegen den Barbetreiber eingesetzte Kriminalbeamte ist dagegen zur Verhinderung künftiger Prostitutionsausübung nicht ohne weiteres verpflichtet (BGH NJW 1989, 914, 916). Ausreichend ist aber, daß die Verhinderung einer konkreten Straftat - ungeachtet etwaiger Sonderzuständigkeiten anderer Beamter - allgemein in den Aufgabenbereich des Beamten fällt; eines speziellen Auftrages bedarf es nicht.

Zum anderen trifft eine Garantenstellung für strafrechtlich geschützte Rechtsgüter einen Polizeibeamten nur im Rahmen seiner Dienstausübung. Wird er in seiner Freizeit Zeuge einer Straftat - etwa einer Körperverletzung (§ 223 StGB) -, so haftet er wie jeder Bürger grundsätzlich nur im Rahmen der echten Unterlassungsdelikte, im Beispielsfall nach § 323 c StGB (so auch Böhm, Die Rechtspflicht zum Handeln bei den unechten Unterlassungsdelikten 1957 S. 72; derselbe JuS 1961, 181). Ihm ist, wie dies für das Delikt der Strafvereitelung im Amt bereits anerkannt ist, im Rahmen seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1, 2 GG ein geschützter Bereich menschlicher Beziehungen zuzubilligen, der durch Berufspflichten jedenfalls nur begrenzt eingeschränkt werden kann. Daß ein Polizeibeamter, der gegen eine ihm außerdienstlich bekanntgewordene Straftat nicht einschreitet, damit gleichwohl gegen weiterreichende, sich auf sein Privatleben erstreckende Dienstpflichten verstoßen und deshalb dienstrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden kann, steht einer Einschränkung seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit nicht entgegen. Die von einer dienstrechtlichen Beurteilung abweichende strafrechtliche Wertung ergibt sich vielmehr aus dem allgemein anerkannten Grundsatz, daß nicht jede öffentlich-rechtliche Handlungspflicht zu einer strafrechtlichen Garantenstellung im Sinne des § 13 StGB führt (vgl. Rudolphi, Die Gleichstellungsproblematik der unechten Unterlassungsdelikte und der Gedanke der Ingerenz 1966 S. 27 ff).

Besonderheiten können sich jedoch ergeben, wenn ein Polizeibeamter außerdienstlich Kenntnis von Straftaten erlangt, die - wie Dauerdelikte, fortgesetzte oder auf ständige Wiederholung angelegte Handlungen - während seiner Dienstausübung fortwirken. Hier entfällt die eine Garantenstellung auslösende Pflicht, bekanntgewordene Rechtsgutverletzungen zu unterbinden, nicht schlechthin. Insoweit bedarf es vielmehr der Abwägung im Einzelfall, ob das öffentliche Interesse privaten Belangen vorgeht. Hierbei ist von entscheidender Bedeutung, ob durch die Straftat Rechtsgüter der Allgemeinheit oder des einzelnen betroffen sind, denen jeweils ein besonderes Gewicht zukommt. Dies kann auch außerhalb des Katalogs des § 138 StGB bei schweren Straftaten wie z.B. schweren Körperverletzungen, erheblichen Straftaten gegen die Umwelt, Delikten mit hohem wirtschaftlichen Schaden oder besonderem Unrechtsgehalt der Fall sein. So wird ein Polizeibeamter ungeachtet privater Interessen in der Regel zum Einschreiten verpflichtet sein, wenn er von schwerwiegenden Verstößen gegen das Waffengesetz mit Dauercharakter, nicht auf den Einzelfall beschränktem Handel mit harten Drogen oder Schutzgelderpressung erfährt. Gleiches gilt für Straftaten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität, die erfahrungsgemäß auf Wiederholung angelegt sind. Verhindert der Polizeibeamte im Rahmen seiner Dienstausübung derartige Taten nicht, obwohl er hierzu aufgrund außerdienstlich erworbener Kenntnisse in der Lage wäre, so kann er wegen Teilnahme an dem jeweiligen Delikt belangt werden. Teilt ihm hingegen im Rahmen privater Kontakte ein Bekannter mit, daß er ständig ohne Fahrerlaubnis fahre, so bewirkt dies für den Beamten noch keine Garantenstellung im Sinne des Strafrechts.

b) Die Angeklagten waren als Beamte der Schutzpolizei zur allgemeinen Gefahrenabwehr berufen und damit im Rahmen ihrer Dienstausübung grundsätzlich verpflichtet, zum Schutz der in der "P.-Bar" beschäftigten Bardamen gegen eine ihnen bekanntgewordene Förderung der Prostitution durch die Barbetreiberin einzuschreiten. Eine strafrechtliche Garantenpflicht traf sie aber hier deshalb nicht, weil sie von dem deliktischen Verhalten der Angelika T. außerdienstlich erfahren hatten. Zwar stellt das Vergehen der Förderung der Prostitution ein Dauerdelikt dar, das während der Dienstausübung der Angeklagten fortwirkte. Daß die von Angelika T. begangene Straftat, soweit sie den Angeklagten bekanntgeworden ist, ihrem konkreten Tatbild nach besonders schwerwiegend war, ist nach den Urteilsgründen jedoch zu verneinen. Ob dies auch für die dirigistische Zuhälterei zu gelten hätte, von der die Angeklagten nach den Feststellungen keine Kenntnis hatten, braucht der Senat nicht zu entscheiden.

2.

Soweit den Angeklagten im Zusammenhang mit der von ihnen wahrgenommenen Förderung der Prostitution Strafvereitelung im Amt vorgeworfen worden ist, sind sie ebenfalls zu Recht freigesprochen worden. Auch mit Blick auf das in § 258 a StGB geschützte Rechtsgut der staatlichen Strafrechtspflege bestand für die Angeklagten aus den genannten Gründen im konkreten Fall keine Garantenstellung gemäß § 13 StGB (vgl. BGH NJW 1989, 914, 916 m.w.N.). Das Landgericht hat keine Feststellungen darüber getroffen, daß Angelika T. Kontakte zu Kreisen des organisierten Verbrechens unterhalten oder daß auch nur ein derartiger Verdacht bestanden hätte. Der Hinweis der Staatsanwaltschaft, das "Rotlichtmilieu" bilde einen "Eckpfeiler der organisierten Kriminalität" und bedürfe daher bei der Kriminalitätsbekämpfung besonderer Aufmerksamkeit, führt daher zu keiner anderen Beurteilung. Inwieweit die Belange der Öffentlichkeit durch die unterlassene Verfolgung einer Straftat im besonderen Maße berührt werden, bemißt sich ausschließlich nach dem Unrechtsgehalt der konkret zu beurteilenden Tat und deren Auswirkungen für die Allgemeinheit.